Die Wolfssymphonie

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Du hast selten gewonnen, du verbrachtest Stunden mit Kartenspielen, ohne einmal das Steuerrad des Lastwagens angefasst zu haben, du hast dich mit dem Fahrer unterhalten, und ihr habt geschwitzt in der Hitze seiner Führerkabine, deren Türfenster heruntergekurbelt waren. Von Zeit zu Zeit sagte er, «ich werde ein Stück vorfahren, in den Schatten!», und hat den Motor in Gang gesetzt. Er hat seinen Lastwagen in den Schatten gefahren, und ihr habt das Spiel wieder aufgenommen. Manchmal musstet ihr euer Kartenspiel mittendrin unterbrechen, der Chauffeur hat den Motor gestartet, hat dir gesagt, dass du aussteigen sollst, und ist etwas erledigen gegangen, für die Baustelle, er ist Backsteine oder Zement aufladen gegangen. Du kanntest alle Lastwagenfahrer, die auf der Baustelle deines Vaters arbeiteten, und dein Vater hat nie erfahren, dass einer seiner Fahrer dir einen Deal vorgeschlagen hat, damit du dich hinter das Steuer seines Fahrzeuges setzen konntest, auf dem Gelände. Du kanntest alle Unebenheiten des Terrains, auf dem du das Steuerrad des Lastwagens übernehmen durftest. Es gab Schlaglöcher, und manche Stellen waren mit gelblichen Grasbüscheln bedeckt. Du bist über Steine gefahren, die groß wie Gänseeier waren, du hast versucht, mit den Rädern des Lastwagens über die trockenen Äste zu fahren, die auf diesem Gemeindegrundstück, das nur als deine Fahrlernpiste und als Durchfahrtsweg für die Dorfeinwohner diente, verstreut lagen.

* * *

Ich schaue ihr in die Augen, sie misst mich mit ihren Augenlidern, sie legt ihre Augenlider an mein Gesicht, und ich werde verschluckt von ihren Wimpern und ihren Pupillen, und die Farbe ihrer Augen breitet sich in mir aus wie ein Feld, sie hat grüne Augen, es ist ein Grün mit grauen und blauen Sprenkeln, sie schaut mich noch immer an, sie fixiert mich.

Ich nehme ihre Augen in die meinen auf, sie taucht in mich ein, ich bekomme keine Luft mehr, ich möchte außerhalb ihrer Augen einen Weg einatmen, eine Straße, einen Ausweg, der zur Ruhe führt, ihre Augen eine Flasche Wein, eine Schubkarre wie eine Hängematte, ein Bett wie ein Weingarten, sie schaut mich weiter an, ihre Augen insistieren, sie durchbohren meinen Blick, meine Hellsichtigkeit, meine Losgelöstheit von der Welt geht durch sie hindurch.

Ich weiß nicht, ob sie mich sieht, ich weiß nicht, was sie in mir sieht, ich sehe sie ganz nahe vor mir, sie auf einem Stuhl, ich auf einem anderen Stuhl, wir schauen uns an. Sie ist so nahe, dass sie mit einer Hand mein Bein berührt, ihre Finger haben eines meiner Beine ergriffen, und ich schaue ihr noch immer in die Augen, die leuchten wie Hemdknöpfe in einem Fertiglinsengericht. Sie streicht mit ihrer Hand über mein Bein, sie kommt näher, ich spüre, wie sie mich in eine andere Welt stößt, es gibt Welten, denen ich nicht angehöre, diese Welten gehören ihr und anderen, ich möchte nicht in eine andere Welt gehen, sie erfasst mich mit ihren Augen, ich erkenne sie wieder, sie ist diejenige, die vor mir, mit mir und neben mir «waschbaren Brustprotektor» getragen hat. Für die Kleine hat sie es getan. Die Große war nie an der Brust, die Kleine hängt immer an den Brüsten ihrer Mutter, sie ist meine Frau, und sie hat ihre waschbaren Brustprotektoren getragen, deren primäre Funktion ist: «Absorbiert den Milchausfluss und schützt die Kleider.»

Ich sehe, wie sie mich anschaut, und ich habe sie ihre Brüste anschauen sehen, während sie die Kleine gestillt hat, «weich, zuverlässig und ästhetisch» das Ding, das sie über mehrere Monate hinweg getragen hat, ihre Augen müssen an diesem Ding hängengeblieben sein, sie schaut mich mit all den Dingen ihres Lebens an, ich merke, dass sie bettelt, sie verlangt nach Luft für sich: «luftdurchlässig».

Ich sehe sie in ihren Augen und in ihren Gesten, die sie aufstehen und zu mir herkommen lassen, ich weiß, dass sie sich auf meine Knie setzen wird, sie liebt es, auf meinen Knien zu sitzen, sie und ich, eng beieinander, sie auf meinen Beinen und mit ihren Armen um mich geschlungen, wir werden uns, «Einheitsgröße, perfekter Halt», dieses Dings bewusst, das ihr dazu gedient hat und noch immer dient, die Kleine zu stillen.

Sie schmiegt sich an mich, ihr Gesicht und ihre Augen liegen an meinem Hals, sie umarmt mich, ich spüre sie vibrieren wie ein Blatt Papier vor dem laufenden Staubsaugerrohr, sie atmet mich ein, ich atme sie ein, ein anderes Detail: «Erhältlich in Apotheken und Drogerien zu Packungen à 4 Stück».

Ich fasse an ihre Hüften, ich fasse an ihre Hüften und an ihre Pobacken, sie mag es nicht besonders, wenn ich ihr an die Pobacken fasse, sie fährt mit ihrer Hand über meinen Rücken, meine Schultern, sie sitzt auf mir, rittlings auf meinen Knien auf einem Stuhl sitzen wir. Ich küsse sie, und sie küsst mich, die Große und die Kleine spielen in ihrem Zimmer, sie lachen und kreischen in ihrem Spiel, sie und ich, gegeneinander gelehnt, wie eine angezündete Zigarette verzehren wir einander.

Ihre Augen, die denen meiner Frau gleichen, sie taucht sie ein und lässt sie an meinen Augen zehren, sie nähert sich meinem Körper, sie stößt mich weg, sie zieht mich zu sich hin, sie redet mich mit ihrer Stimme an und sagt: «Vor dem ersten Gebrauch Brustprotektoren bei 60° C waschen». Ich weiß nicht, ich weiß nicht mehr, ob wir diese Dinger gemäß der Bedienungsanleitung gewaschen haben, ich weiß nicht, ob die Kleine ein Kind der Welt der Bedienungsanleitung ist, ich weiß nicht, ob das Leben eine Art Bedienungsanleitung ist, ich weiß es nicht, sie weiß es nicht, wir wissen es nicht.

* * *

Deine Mutter ist hier, im Hof des Hauses der Frau deines Vaters. Sie sitzt auf einem Stuhl in der Ecke des Hofes, und sie hat Tränen in den Augen. Seit sie angekommen ist, sitzt sie in dieser Ecke des Hofes und schaut die Leute an, die an ihr vorbeigehen, und sie weint. Deine Mutter ist heute Morgen angereist, um hier zu sein, sie ist im Zug angereist, um am Begräbnis deines Vaters zugegen zu sein. Sie ist schwarz gekleidet, wie die meisten Frauen in diesem Hof, sie sitzt auf dem Stuhl und weint, und sie schaut dir zu, wie du mit denen redest, die dich ansprechen und dir Fragen stellen über dich und deinen Vater, der bei einem Verkehrsunfall ums Leben gekommen ist. Deine Mutter weiß, dass du nie mit ihr zusammenleben wirst. Sie weint, und sie denkt, dass du nicht mehr bei deinem Vater leben wirst, und sie will verstehen, weshalb dein Vater in einem Lastwagen gestorben ist, der Backsteine transportiert hat, die für den Bau von zwei Zimmern für dich gedacht waren, im Hof des Hauses der Frau deines Vaters. Du siehst deine Mutter auf diesem Stuhl sitzen, und du gehst zu ihr hin, und du bleibst vor deiner weinenden Mutter stehen, und du siehst, wie sie ihr Gesicht in ihre offenen Hände legt, und der Kopf in ihren Händen legt sich auf ihre Knie, und du siehst den gekrümmten Rücken deiner schluchzenden Mutter, und ihre schwarzen Haare fallen über ihre Beine und verdecken ihr Gesicht und die Hände. Du umfasst den Rücken deiner Mutter mit deinen Armen und legst deinen Kopf auf den gekrümmten Rücken deiner Mutter, die auf diesem Stuhl hockt in einer Ecke des Hofes, und du hörst deine Mutter weinen, und ihr bleibt eine Weile so sitzen, und deine Mutter beugt ihren Rücken auf dem Stuhl zurück, und du siehst sie mit ihren Händen die Tränen wegwischen, und sie fängt an zu lachen und sagt, «wenn Gott es so gewollt hat, dass du ohne deinen Vater und weit weg von mir lebst, dann sollst du so leben!» Und sie lächelt dich weiter an und nimmt dich in die Arme und küsst dich auf die Stirn und sagt: «geh zu deinem Vater!»

* * *

Dieses Foto wurde in einer Kunstgalerie aufgenommen, du hältst die Kleine fest im Arm, du stehst aufrecht und trägst sie auf dem linken Vorderarm, und mit dem rechten stützt du ihren Körper. Sie trägt ein rotes Röcklein, bespickt mit gelben Blumen, du trägst einen roten Pullover, den du von deinem hiesigen Schwiegervater bekommen hast, er hat dir diesen Pullover, den du sehr magst und den du fast jeden Tag trägst, geschenkt, deine Frau möchte dich zwischendurch gerne ohne diesen Pullover sehen, sie sagt, «zieh einen anderen Pullover an, tu es für mich, nur heute!»

Du trägst die Haare kurz, deine Frau schneidet dir seit einigen Jahren die Haare, sie ist deine Coiffeuse, du trägst ein blaues Hemd unter dem Pullover des Schwiegervaters, es ist ein Markenpullover, es steht ein Name in weißen Kleinbuchstaben auf deiner Brust, hinter euch sieht man Teile von zwei Gemälden.

In einer Hand hältst du ein Papiertaschentuch, die Kleine hatte Schnupfen, ihre Haare sind zu einem Dutt hochfrisiert, sie schaut mit offenem Mund zum Photoapparat, ohne zu lachen. Sie trägt rote Baumwollstrümpfe, und du lachst über dieses Bild, das du mit einer Reißzwecke an die Wand eines Zimmers gepinnt hast, du hast Postkarten, Fotos und mehrere Zeitungsartikel, die an einer Wand angepinnt sind, und diese Wand ist vollständig zugedeckt von Bildern, die du nicht in Kartonkisten oder in Schubladen aufbewahrst.

Die Große muss irgendwo in der Kunstgalerie sein, sie muss alleine sein oder mit ihrer Mutter, sie isst Kekse, die vom Künstler offeriert werden, der hier Gemälde und Zeichnungen und Stiche ausstellt, diese Fotografie wurde während einer Vernissage aufgenommen.

Gegen Ende des Abends werdet ihr alle in ein Restaurant gehen, ihr werdet zusammen essen, es werden viele Leute am Tisch sitzen, ihr werdet ungefähr dreißig Personen plus Kinder sein. Mehrere Kinder sind da, die alleine oder mit ihren Eltern die Gemälde an der Wand anschauen, die Kinder stellen den Erwachsenen Fragen, die Kleine hat dich gefragt, «Papa, was ist das?», und hat mit ihren Fingern auf eine Malerei gezeigt, die aussah wie Eingeweide von jemandem, dem der Magen durch die Kugel einer Maschinenpistole explodiert ist. Die Große sagt, «hier ist es rot, hast du gesehen, Papa?!», du schaust dieses Foto an, und du erinnerst dich an diesen vergangenen Tag, an dem ihr alle vier an diese Vernissage gegangen seid, und der Mann, der seine Werke ausgestellt hat, ist ein alter Herr. Es gab einige Gemälde von ihm mit dem Portrait seiner Frau, die voriges Jahr verstarb.

 

* * *

Ich schaue dir in die Augen, und ich umfasse mit einer Hand deine Schultern, so, wie ich dich umfasst habe, als wir, dein Vater, du und ich, das erste Mal an einen Jahrmarkt gegangen sind. Du hast an jenem Tag gelernt, mit einem Luftgewehr zu schießen. Dein Vater hatte dir gezeigt, wie du das Gewehr zu halten hast, und du hast dich auf dem Tresen des Schießstandes abgestützt, du hattest einen Ellenbogen auf dem Holztresen, und das Gewehr war geladen, und du hast uns gefragt, welche Zielscheibe du anvisieren sollst. Es gab mehrere Zielscheiben aus Blech, und jede Zielscheibe stellte eine Figur bei der Arbeit dar, und man musste auf einen schwarzen Kreis zielen, wo jeweils eine Feder ausgelöst wurde, die sich hinter der Zielscheibe befand und die die Figur in Bewegung versetzte. Dein Vater hat gesagt, «der Schmied», du hast deinen Kopf zu den Zielscheiben gedreht, hast den schwarzen Kreis des Schmieds anvisiert, hast abgedrückt, und die Blechfigur hat angefangen, mit ihrem Hammer zu schlagen, und du hast uns angeschaut und gelacht, und ich habe dich bei der Schulter genommen, so wie jetzt.

Der, der den Schießstand mit den Luftgewehren betrieb, hatte an eine Angelschnur von etwa zehn Zentimetern einen Nagel gebunden, diese Schnur war an der Decke des Standes neben den Zielscheiben befestigt. Der Nagel, der an der Schnur hing, war eines der schwierigsten Schießziele, denn der Mann, der die Gewehre nachlud, ließ ihn schwingen, und die Schützen mussten anlegen und warten, bis er in die Schusslinie kam. Nur wenige schafften es, den schwingenden Nagel zu treffen. Du hast gesagt, «ich werde auf den Nagel zielen», und du hast den Gewehrlauf auf den Nagel gerichtet, der sich an seiner Schnur bewegte, du hast einige Sekunden gewartet, um zu sehen, auf welcher Bahn sich der Nagel vor dir hin und her schwang, und du hast abgedrückt, und alle haben gesehen, wie der Nagel schlagartig die Richtung geändert hat, und der Schießstandbetreiber hat zu deinem Vater gesagt, «er schießt gut, der Bengel!» Dein Vater war stolz auf dich, er hat geantwortet, «das ist mein Sohn!», und er hat dir an diesem Jahrmarktsschießstand noch weitere hundert Schüsse mit dem Luftgewehr bezahlt, dann sind er und ich in der Nähe in ein Restaurant gegangen, wo du eine Stunde später wieder zu uns gestoßen bist.

* * *

Die Ente ist gelb, und ihr Schnabel ist orange, und die Postkarte ist rund um das Bild dieses Vogels weggeschnitten, und auf ihrem Rücken haben sie einige Zeilen geschrieben, um die Kleine zu grüßen, einige Tage nach ihrer Geburt. Sie haben geschrieben, «Ein herzliches Willkommen der Kleinen! Wir gratulieren den glücklichen Eltern von ganzem Herzen. Wir freuen uns sehr über euer Glück», und sie haben unterschrieben, sie haben ihre Vornamen am unteren Rand der Karte hingeschrieben.

Es ist eine der Karten, die wir zur Geburt der Kleinen erhalten haben, diese hier kam zusammen mit einem Babykleidchen, wir haben es während eines Festes des Fußballklubs meiner Plakatierfirma bekommen, es waren viele Menschen in einem Saal, es war Herbst, und sie haben uns eine Überraschung gemacht, indem sie dieses Kleidchen und die Postkarte in den Kinderwagen, in dem die Kleine schlief, gelegt haben, wir haben es zu Hause gefunden, als wir das schlafende Baby aus der Babytragetasche gehoben haben.

Sie waren schon lange verheiratet, sie hatten drei Kinder, drei Buben, und die beiden älteren spielten schon Fußball in den Juniorenvereinen der Schule. Diese beiden Jungen kamen mit ihrem Vater an die Matchs, die die Mannschaft der Plakatierer in der Meisterschaft hatte, ich habe diese Jungen Ball spielen sehen am Rande des Spielfeldes, auf dem ihr Vater als Vorstopper spielte, sie schauten uns zu und rannten mit ihrem eigenen Ball herum, sie tranken in der Pause den Tee mit uns.

Es ging ihnen gut damals, dieses Paar und ihre drei Kinder waren auch am Fest. Er war vergnügt, und sie redete über ihre wöchentliche Wäsche, die zum größten Teil aus den Fußballkleidern ihrer Kinder und ihres Mannes bestand. Ich habe später erfahren, dass sie sich haben scheiden lassen, die Buben sind bei der Mutter geblieben, er hat angefangen zu trinken, und sie haben ihn aus der Firma geschmissen. Er bringt keine Plakate mehr an in der Stadt, er klebt keine Werbeplakate mehr mit mir. Er hat nicht einmal mehr einen Führerschein. Ich sehe ihn von Zeit zu Zeit in der Stadt, er läuft mit geröteten, tränenden Augen durch die Straßen, man könnte meinen, er weine unablässig. Er riecht nach Wein und zittert, seine Hände und die Finger seiner Hände zittern, er bleibt einen kurzen Moment stehen und sagt, «es geht gut!, es geht sehr gut!»

Manche sagen, er sei selber schuld, sie sagen, er habe seine Frau mehrmals betrogen, und sie habe es satt gehabt, die Liebschaften ihres Mannes hinzunehmen. Die Arbeitskollegen sagen, dass er sogar einmal eine seiner Geliebten mit zu sich nach Hause genommen habe, vor den Augen seiner Frau und seiner Kinder sei er mit dieser Frau dahergekommen und habe gelacht.

Er wohnt ganz alleine in einem Studio, er zahlt seiner Frau und seinen Kindern Unterhaltsgeld, er muss jetzt arbeitslos sein, er will keine Entziehungskur machen.

Manche prophezeien, dass er sich umbringen wird.

Ich behalte diese Karte neben all den anderen auf, die wir zur Geburt der Kleinen bekommen haben, das Kleidchen, dem sie beigelegt war, ist dem Mädchen zu klein geworden, wir haben es einem anderen Kind geschenkt, das es nun trägt, irgendwo in der Stadt. Es liegen viele Geheimnisse der Welt in dieser gelben Ente mit dem orangen Schnabel, und hinter den Worten, die auf der Karte geschrieben stehen, gibt es diese Frau und ihren Mann und ihre drei Kinder.

* * *

Ich nehme dich an der Schulter, so wie ich deinen Vater an der Schulter genommen habe, wenn ich ihm etwas habe sagen wollen, und ich habe ihn jedes Mal so an der Schulter genommen, wenn ich ihm habe ankündigen wollen, dass ich ihn am nächsten Tag mit zur Jagd nehmen wollte. Als er klein war, ging er gern mit mir auf die Jagd. Er hatte ein eigenes Gewehr, maßangefertigt, und er hatte gelernt, Hasen, Füchse, Wildschweine und Hirschkühe zu schießen. Er war ein guter Jäger, er putzte seine Waffe ganz alleine, und er wollte dir beibringen, was ich ihm über die Jagd beigebracht hatte. Ich erzähle dir, wie ich alle meine Jagdwaffen bei der Polizei der Einheitspartei habe abgeben müssen, du warst damals eineinhalb Jahre alt. Dein Vater wird noch einen Tag unter uns sein, da liegt er und sagt nichts mehr, er lässt uns über unsere nahen und fernen Erinnerungen sprechen. Schau, als ich meine Jagdwaffen bei der Polizei der Einheitspartei habe abgeben müssen, weil ich nicht der Einheitspartei angehörte und nur ein kleiner Teil der Mitglieder dieser Partei Jagdwaffen haben durfte, wollte dein Vater, der nun hier in seinem Sarg liegt, sein Kinderschießgewehr nicht hergeben. Die Einheitspartei hatte Angst vor den Jägern, die nicht der Einheitspartei angehörten. Sie beschlossen, alle Jagdwaffen einzuziehen, sie hatten Angst vor Anschlägen, sie fürchteten um ihr Leben. Er hatte mir gesagt, dass seine Kinderwaffe dir zustehe, und dass er dich auf der Jagd mit seiner Waffe schießen sehen wolle. Er hat dieses Gewehr im Garten hinter dem Haus vergraben, er hat es in zwei Metern Tiefe vergraben. Er hat das Loch in der Nacht ausgehoben, hat das Jagdgewehr in ein Schafsleder eingepackt und darum herum eine große dicke Plastikfolie gewickelt, er hat eine Art Paket geschnürt, das das Gewehr vor Regenwasser schützen sollte, und hat das Paket in das Loch gelegt und dann einen Apfelbaum eingepflanzt. Der Apfelbaum ist nun dreizehn Jahre alt, er trägt schöne Früchte, und das Jagdgewehr deines Vaters befindet sich unter diesem Baum. Du wirst es eines Tages ausgraben können, das Gewehr. Es gehört dir, und du kannst es ausgraben, wann immer du willst. Es muss noch viele Jagdgewehre geben, die vergraben liegen in den Gärten und Feldern und Wäldern des Landes. Die Leute der Einheitspartei wollten nicht, dass man die alten Jagdgewehre wieder ausgräbt. Ich nehme dich an der Schulter, und ich sage dir: Wir sind nicht das, was in den Büchern geschrieben steht, und wir sind keine Bilder; wir sind die Passagiere der Toten, verstehst du?! Geh, schau dir die Welt an, und fang damit an, dass du dir noch einmal deinen toten Vater anschaust in seinem Sarg, der hier in diesem Haus steht, das nicht meines ist und auch nicht deines. Schau dir die Leute an, fühle, rieche den Geruch der Toten und der Lebenden, koste Erde und Nahrung und Plastik und Eisen, höre, hör hin bis zum Moment, in dem dir bewusst wird, dass alles aus Fleisch und Knochen ist, mein Enkel. Aus Fleisch und aus Knochen deines Körpers. Und du wirst wachsen. Geh und schau dir deinen Vater an, lass dich von ihm durchdringen als dem Vater, der weit, sehr weit von uns weggeht. Lass dich von ihm durchdringen, so wie du es mit dem Wasser des Flusses deiner Kindheit gemacht hast und noch immer machst, lass dich von deinem Vater durchdringen, als würdest du zwischen Leben und Tod schwimmen wollen, auf dieser Grenzlinie, an der wir alle zu Passagieren der Toten werden. Geh!

* * *

Wir haben die runde Plastikabdeckung der Spezialsteckdose für das Fernsehgerät behalten. Wir haben sie entfernt, als wir in diese Wohnung gezogen sind, in der wir seit mehr als vier Jahren wohnen, wir bewahren sie in einer Schublade auf, und manchmal sprechen wir über sie. Wir vier verweilen eine ganze Weile über dieser Abdeckung, die mit einem bedruckten Papier beklebt ist, wir reden über die Plombe und über den gedruckten Text, und von der Schnur, die die Plombe mit der Plastikabdeckung verbindet, wir reden über das Fernsehen. Derselbe Text ist in drei Sprachen auf dem runden Papier abgedruckt, wir verstehen nur den französischen, wir lesen und kommentieren den deutschen Text und die anderen Texte, wir lachen: «Die Plombierung darf nur nach Rücksprache mit den Städtischen Werken entfernt werden. Zuwiderhandlungen werden strafrechtlich verfolgt.»

Wir haben sie wie eine Medaille aufbewahrt, diese Abdeckung. Wir nehmen sie öfters aus ihrer Schublade, sitzen um sie herum und reden über Filme und andere Fernsehsendungen. Wir haben der Großen und der Kleinen gesagt, dass wir weder deutsch noch italienisch sprechen, und wir haben ihnen erklärt, dass sie diese beiden Fremdsprachen mit Sicherheit in der Schule lernen werden. Und die Mädchen, sie lachen: «Senza il consenso delle aziende industriali non si può togliere la piombatura. Chi trasgredisce si rende colpevole e verrà punito a norme di legge.» Wir haben ein Fernsehgerät, das wir von einem unserer Freunde geschenkt bekommen haben, er hatte zwei Fernsehgeräte, und er hat uns eines davon gegeben. Die Mädchen lieben es, sich in diesem Fernseher, den wir umsonst bekommen haben, Trickfilme anzusehen. Wir bezahlen keine Gebühren für diesen Fernseher, wir haben an die Städtischen Werke geschrieben, «Sehr geehrte Damen und Herren, wir besitzen keinen Fernseher, und wir bitten Sie, keine Fernsehempfangsgebühren zu erheben».