Die Mineralwasser- & Getränke-Mafia

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Da ich keine weiteren Details zu dieser Meldung finden konnte, fragten wir bei Nestlé nach, ob das Unternehmen dort in Äthiopien inzwischen Wasser abfülle und verkaufe. Außerdem wollten wir wissen, ob Nestlé an Abfüllorten, wo die Menschen in der (nahen) Umgebung sich das abgepumpte und in Flaschen verkaufte Wasser nicht leisten können, dafür Sorge trägt, dass diese Menschen das zum Überleben benötigte Wasser von Nestlé kostenlos erhalten – so wie Herr Brabeck-Letmathe dies immer wieder betont.

Nestlé antwortete, dass man zwar derzeit keine Aktivitäten in Äthiopien und auch keinen Brunnen im Bau habe, aber als langfristiger Partner großen Wert auf ein gutes nachbarschaftliches Verhältnis mit den lokalen Gemeinschaften an den weltweiten Niederlassungen lege. Dazu gehöre auch an „vielen Standorten“, an denen die öffentliche Wasserversorgung nicht sichergestellt ist, die Bereitstellung von Trinkwasser oder Wasseraufbereitungsanlagen. Dazu nannte Nestlé ganze zwei Beispiele. Eines davon war der unsägliche Wasserhahn in der Nähe der Abfüllanlage im südafrikanischen Pretoria. Und wer es überlesen haben sollte: Nestlé gibt längst nicht allen bedürftigen Menschen kostenlos Wasser – nur „vielen“. Wir fragten nach, was man sich unter „vielen Standorten“ vorstellen dürfe – 99 Prozent aller Standorte vielleicht? Oder etwas weniger?

Nestlé bat um Verständnis: Es stünden keine weiteren Informationen zur Verfügung.

Der Zeit sagte Brabeck am 26. Januar 2012:

„Ich bin der Meinung, dass es ein Menschenrecht ist, über die täglich benötigten fünf Liter Trinkwasser und 20 Liter Wasser für die tägliche Hygiene zu verfügen.“

Also „satte“ 25 Liter. Inklusive Geschirr spülen, Wäsche waschen, Körperpflege und Toilettengänge. Und was ist mit der Bewässerung meines Gartens, wo ich Gemüse für meine Familie anbauen muss, um zu überleben? Wir haben es übrigens einmal getestet und sind eine Woche lang extrem sparsam mit Wasser umgegangen. Das Ergebnis: 25 Liter pro Tag und Person sind ein Witz!

In seiner offiziellen Stellungnahme zum Dokumentarfilm „Bottled Life“ sagt Brabeck:

„Ich bin aber andererseits nicht der Meinung, dass die übrigen 98,5% des Süßwassergebrauchs – inbegriffen die Bewässerung von Golfplätzen und das Autowaschen – ein Menschenrecht sind.“

Ja, all die Menschen in Südafrika, Algerien, Pakistan und wo sonst Sie noch zu Dumpingpreisen das Wasser abpumpen, haben sicherlich eigene Pools, Autos und Golfplätze!

Ist es das, Herr Brabeck, was Sie mit „gezielt eingreifen“ meinen?

Nestlégate

Oder das vielleicht?

Im Jahr 2008 wurden Nestlé und die Sicherheitsfirma Securitas mit einer Strafanzeige und einer Zivilklage konfrontiert. Der Vorwurf: Eine Gruppe von Attac in der Schweiz, die an einem kritischen Buch über Nestlé gearbeitet hatte, war im Auftrag von Nestlé von Securitas infiltriert und ausspioniert worden. Das Westschweizer Fernsehen TSR hatte den Fall publik gemacht. Im Januar 2013 lag das Urteil vor: Ein Zivilgericht verurteilte den Nahrungsmittelkonzern sowie Securitas wegen unerlaubter Infiltration. Nestlé und Securitas wurden dazu verurteilt, den beiden Klägerinnen eine Genugtuung in Höhe von je 3000 Franken zu bezahlen.

Was die Verantwortlichen im Spionagefall um Nestlé und Securitas nicht gesagt haben und wie sie im Untersuchungsrichter einen Verbündeten fanden, erzählt ein Buch. Der Journalist Alec Feuz gelangte in den Besitz der Untersuchungsakten und zeichnet in seinem Buch „Affaire Classée“ („Zu den Akten gelegte Affäre“) das Verfahren minutiös nach. Über knapp 200 Seiten führt er Untersuchungsrichter Jacques Antenen vor, sodass man fast – aber nur fast – Mitleid mit dem Richter bekommt. Feuz diktiert ihm naheliegende Fragen, die der Richter nie gestellt hat, weist auf widersprüchliche Aussagen und fehlende Beweisdokumente hin. Antenen bittet die Anwälte der Firmen freundlich darum, selbst nach Beweismitteln zu forschen. Seine Begründung: „Ich kann doch nicht 850 Polizisten zu Nestlé schicken!“ Wer des Französischen mächtig ist, wird seine Freude an diesem Buch haben.

In guter Gesellschaft

Nestlé ist natürlich nicht der einzige Multi, der in die Kritik geraten ist, er scheint nur besonders dreist und besonders aktiv zu sein. Doch Konzerne wie Coca-Cola, PepsiCo oder Aqua-Danone stehen den Schweizern in nicht viel nach.

In North Carolina, so Dr. Cat Warren im preisgekrönten Dokumentarfilm „Tapped“ („Abgefüllt“) von Stephanie Soechtig, könne man sich ausgetrocknete Landstriche gar nicht vorstellen. Doch genau dazu sei es gekommen. Pepsi, so Warren, betrieb seine Abfüllanlage trotz einer schweren Dürre weiter. Stadtrat Eugene Brown entrüstet sich: „Auf dem Höhepunkt der Dürre pumpten sie pro Tag 1,5 Millionen Liter ab.“ Pepsi füllte kommunales Wasser ab und verkaufte es der Bevölkerung, als dort das Wasser ausging.

In seinem Buch „Das Wasser-Syndikat“ beschreibt Jens Loewe, wie sich der Weltkonzern Coca-Cola um die Belange der Bewohner der Gemeinde Plachimada im indischen Bundesstaat Kerala „kümmert“: 2002, ein Jahr nach der Inbetriebnahme einer Fabrik zum Abfüllen von Flaschenwasser und zur Getränkeherstellung, begann der Grundwasserspiegel in der Umgebung so stark zu sinken, dass die Brunnen versandeten. Bürgerproteste erhoben sich, und die Regionalregierung entschied sich deshalb, die Konzession für Coca-Cola nicht zu verlängern. Der oberste Gerichtshof von Kerala erklärte dieses Vorgehen 2005 allerdings für unwirksam und begründete seine Entscheidung mit den Ergebnissen eines „Expertenberichts“. Es stellte sich heraus, dass ein Mitglied dieser Expertengruppe ein Vertreter von Coca-Cola war. Letztlich haben die Bürger der Gemeinde aber doch noch einen Sieg davontragen, denn nach weiteren Protesten und einer langen gerichtlichen Auseinandersetzung musste Coca-Cola die Fabrik schließen, berichtete die BBC im Februar 2011. Die Bürger hätten darüber hinaus ein Anrecht auf Entschädigung.

Auch der Konzern Danone lässt sich nicht lumpen: In einer Kleinstadt in der Nähe von Solo in Zentral-Java stellt der französische Multi Aqua-Danone Flaschenwasser her. Um an die unterirdischen Wasservorräte zu gelangen, musste das Unternehmen nur wenig Land erwerben. Schätzungsweise 64 Liter in der Sekunde Wasser fördert das Unternehmen. Das scheint Auswirkungen zu haben, denn es kommt immer wieder zu Auseinandersetzungen mit den Bauern in der Umgebung. Sie sind verzweifelt und erbost, weil sie ihre Nassreis-Felder aufgrund des stark gesunkenen Grundwasserspiegels nicht mehr ausreichend bewässern können.

Das Milliardengeschäft mit Wasser

Es gibt genügend Wasser auf der Welt. Theoretisch jedenfalls, denn das Wasser ist sehr ungleich verteilt. Doch häufig ausgerechnet dort, wo dieser wichtige Rohstoff knapp ist, beuten Konzerne wie Nestlé, Danone, PepsiCo oder Coca-Cola die bestehenden Vorkommen aus und verkaufen sie für viel Geld in Flaschen weiter. Nicht selten direkt in der Nachbarschaft, und immer mit riesigen Gewinnen. Kein anderes Lebensmittel ist billiger zu haben und verspricht üppigere Margen, und die Märkte sind noch lange nicht gesättigt. Die Konzerne reiben sich bereits die Hände … Das Ganze erinnert an den Ölboom der 1930er Jahre. Banken locken in ihren Hochglanzbroschüren mit Sprüchen wie „Wasser, das Öl des 21. Jahrhunderts“. Willem Buiter, Chefökonom von Citigroup:

„Wasser als Anlagekategorie wird zur wichtigsten physischen rohstoff-basierten Anlageklasse überhaupt werden und Öl, Kupfer, Agrarrohstoffe und Edelmetalle in den Schatten stellen.“

Wasser muss etwas kosten. Und wenn es das Leben von Menschen ist.

Lesen Sie dazu bitte auch das Interview mit dem Soziologen und Globalisierungskritiker Jean Ziegler im Anhang des Buches: „Wir lassen sie verhungern.“

Ausverkauf auf Raten

Dass Regierungen an Konzerne Wasserlizenzen vergeben, hat Strategie, denn es geht um viel mehr als um die Produktion von Flaschenwasser: Man kann davon ausgehen, dass auch die Wasser- und Abwasserversorgung vieler Länder künftig an Privatunternehmen verkauft wird. Verkauft werden muss, denn die Länder sind hoffnungslos verschuldet. Zahlreiche Schwellen- und Entwicklungsländer lassen sich dazu übrigens von der 2030 Water Resources Group (WRG) beraten. Deren Präsident? Peter Brabeck-Letmathe, Firmenboss von Nestlé.

Der Startschuss für den Ausverkauf des Wassers fiel schon vor vielen Jahren. Die Weltbank hatte 1992 damit begonnen, die Wasserprivatisierung in Entwicklungsländern zu fördern und zu unterstützen. 1998 empfahl die UN Kommission für nachhaltige Entwicklung diesen Regierungen, sich an große multinationale Unternehmen zu wenden, um deren Wissen und Expertise zu nutzen. Die meisten Entwicklungsländer haben übrigens überhaupt keine Wahl, ob sie Gelder von der Weltbank annehmen wollen oder nicht. Doch jedes Land, das die Weltbank hereinlässt, lässt damit natürlich auch Konzerne wie Coca-Cola, PepsiCo, Nestlé, SUEZ oder Veolia in den inneren Kreis der Regierung hinein …

Die Finanzmärkte bereiteten sich zur selben Zeit vor. Der weltweit tätige Finanzdienstleister Goldman Sachs war eine treibende Kraft bei der Gründung des World Resources Institute (WRI) und etablierte einen Finanz-Index, der „wasserbezogene Risiken bei Unternehmen und ihren Investoren misst und absichert“. Der Index berücksichtigt Daten wie Wasserknappheit und Wasserqualität. Die Wasserbranche profitiert seit vielen Jahren von einem hohen und weitgehend krisensicheren Wachstum. An der Börse sind für Anleger dadurch überdurchschnittliche Kursgewinne von bis zu 60 Prozent möglich (wieviel Prozent Zinsen bekommen Sie nochmal für Ihr Sparguthaben?). Wasser ist seit langem ein Spekulationsobjekt. Dies führt häufig zu grotesken Situationen, zum Beispiel in Australien. Die Regierung hatte in den 1990er Jahren ihr größtes Wasservorkommen – eine Region im Murray Darling Basin – an Investoren verkauft. Im darauffolgenden Jahrzehnt wurde Australien von einer furchtbaren Dürre heimgesucht, und der spekulative Markt explodierte daraufhin. Australien musste Land bzw. Wasserrechte zu horrenden Preisen zurückkaufen. Der Gewinn für die Spekulanten betrug mehrere Milliarden Dollar.

 

Die Situation in Europa ist übrigens noch lange nicht ausgestanden: Das geplante Transatlantische Freihandelsabkommen TTIP zwischen der EU und den USA dient den Interessen der Konzerne – und nicht den Bürgern. Zum einen öffnet es Privatisierungen Tür und Tor. Das Abkommen soll es Konzernen nämlich erleichtern, auf Kosten der Allgemeinheit Profite bei Wasserversorgung, Gesundheit oder Bildung zu machen. Zum anderen kann der Schuss auch finanziell in die Hose gehen. Ausländische Konzerne können Staaten auf hohe Schadensersatzzahlungen verklagen, wenn sie sich – zum Beispiel durch „unfaire“ Gesetze – benachteiligt fühlen. Dies kann man am Beispiel NAFTA (Nordamerikanisches Freihandelskommen) bereits jetzt schon sehr schön in der Praxis beobachten: 2001 belegte Mexiko alle Produkte, die den besonders gesundheitsschädlichen Zuckersirup Isoglukose enthielten, mit einer Steuer. Ein Konzern klagte auf entgangene Gewinne. Die Rechtsgrundlage der Klage: Der Investorenschutz der NAFTA. Mexiko verlor und musste 58 Millionen Dollar Schadensersatz zahlen. Unter www.state.gov/s/l/c3439.htm können Sie selbst einsehen, wie viele Klagen von wem gegen wen eingereicht wurden und welches Land bisher am meisten „bluten“ musste. Ein T(t)ip: Die USA sind es nicht.

Übrigens: Wenn TTIP erst einmal da ist, werden wir es auch nicht wieder los, denn Vertragsänderungen müssten von allen Vertragspartnern genehmigt werden. Da die EU den Vertrag abschließt, könnte Deutschland den Vertrag auch nicht kündigen. Mitgehangen, mitgefangen.

Lesen Sie dazu auch bitte den Beitrag des Juristen Axel Fischer im Anhang des Buches: TTIP – die schleichende Entstaatlichung der „Alten Welt“.

Der Wolf im Schafspelz

Dass Nestlé-Chef Brabeck auch Präsident der 2030 Water Resources Group (WRG) ist, war für mich Grund genug, dieser ominösen Gesellschaft ein bisschen nachzuschnüffeln. Sie gibt sich den Anschein von Neutralität, wird aber von Unternehmen wie Barilla, Coca-Cola, The International Finance Corporation, McKinsey, Nestlé oder Syngenta finanziert und gesteuert. 2009 veröffentlichte die WRG ein umfangreiches Dokument mit dem Titel „Charting Our Water Future. Economic frameworks to inform decision-making“ (Die Gestaltung unserer Wasserzukunft. Wirtschaftliche Rahmenbedingungen für fundierte Entscheidungsfindung). Im Vorwort kommt (der damalige) Prinz Willem-Alexander von Oranien-Nassau in seiner Funktion als Vorsitzender im Bereich Wassernutzung der Vereinten Nationen zu Wort. Er sagt:

„Wenn Wasser jeden angehen soll, dann müssen die Beteiligten in Ländern mit Wasserknappheit zusammenkommen und einige schwierige Zugeständnisse auf dem Weg zu sicheren Wasserressourcen machen. Einige Lösungen könnten unpopuläre politische Veränderungen und die Einführung von wassersparenden Technologien bei Millionen von Farmern erfordern. Die Gespräche unter den Beteiligten müssen sich also auf wirtschaftliche und soziale Prioritäten konzentrieren, wie viel Wasser benötigt wird, damit diesen Prioritäten entsprochen werden kann, und bei welchen der schwierigen Herausforderungen es sich lohnt, dieses Wasser zu beschaffen.“

Was sagt der Holländer wirklich? Er sagt, dass sich Schwellen- und Entwicklungsländer auf harte Zeiten einstellen dürfen. Politisch dürfte es schwierig werden, soziale Unruhen liegen deshalb durchaus im Bereich des Möglichen. Die Bauern müssen irgendwie überredet werden, viel Geld für Wassertechnologie auszugeben. Sollte sich etwas wirtschaftlich oder sozial (!) nicht rechnen, sollte es gar nicht erst versucht werden.

Auch viele andere Ausführungen in diesem Dossier sind äußerst vielsagend. Und nicht minder erschreckend und kaltschnäuzig:

„Verschiedene Studien legen nahe, dass der Abbau von Energiesubventionen in Indien – welche es Bauern derzeit ermöglichen, Grundwasser zu sehr niedrigen Preisen abzupumpen – zu einer geringeren Getreideproduktion führen würde, was wiederum zu reduzierten Wassermengen für die Bewässerung führen würde.“ Alles klar?

„Die Rückzahlungskurve […] zeigt, wie lange es dauert, bis sich ein Investment rechnet, und erlaubt damit einen Vergleich mit den Erwartungen des Endnutzers: Ein Bauer mit niedrigem Einkommen will sein Geld vielleicht in 3 Jahren wiederhaben, wohingegen ein industrieller Wassernutzer flexibler ist. Wenn man die Finanzen transparenter gestaltet, kann dies politischen Entscheidungsträgern dabei helfen, zwischen Maßnahmen zu unterscheiden, auf die noch etwas mehr Druck ausgeübt werden muss, und solchen, die – zumindest auf dem Papier – für den Endnutzer vorteilhaft aussehen.“ Zumindest auf dem Papier? Diese Menschen sollen gnadenlos verheizt werden!

Übrigens: Zu den Unterstützern der WRG gehört unter anderem die Deutsche Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit (GIZ). Die Schweizer Direktion für Entwicklung und Zusammenarbeit (Deza) ist sogar Gründungsmitglied und unterstützt die WRG mit millionenschweren Beträgen – also mit Steuergeldern.

Lateinamerika spielt nicht mit

Doch es gibt Hoffnung, und zwar ausgerechnet aus „weniger entwickelten Ländern“. In Mittel- und Südamerika formiert sich Widerstand. Und diese Beispiele zeigen, wieviel Macht von zivilgesellschaftlichem Engagement ausgehen kann.

In Uruguay wurde ein Verbot für Wasserprivatisierungen beschlossen. In Ecuador ebenfalls. In Mexiko wurde das Menschenrecht auf Wasser im Gesetz verankert. Und in Cochabamba in Bolivien konnte die Wasserversorgung rekommunalisiert werden: Dort war es nach der Übernahme der Wasserversorgung – wie so häufig bei solchen „Deals“ – durch den Konzern Bechtel zu enormen Wasserpreiserhöhungen gekommen. Es gab Proteste, Aufstände, auch Tote. Doch letztlich nahm Bechtel seinen Hut, und die Wasserprivatisierung musste im Jahr 2000 rückgängig gemacht werden. Ähnliches ereignete sich auch in anderen Städten Boliviens, zum Beispiel in El Alto und La Paz.

In Paraguay fordern viele Bürger ebenfalls ein Gesetz, das die Wasserprivatisierung verbietet. Paraguay hat allen Grund dazu, denn die Region sitzt auf einem riesigen unterirdischen Süßwasservorkommen, dem sogenannten Guarani-Aquifer. Mit einer Ausdehnung von fast 1,1 Millionen Quadratkilometern (mehr als die doppelte Fläche Frankreichs) und einem Gesamtvolumen von rund 30.000 Kubikkilometern gehört der Guarani-Aquifer zu den größten unterirdischen Süßwasserreservoirs der Welt. Es verläuft unter den Staatsgebieten von Brasilien, Argentinien, Uruguay und Paraguay, was einen hohen Koordinierungsbedarf zwischen diesen Ländern erfordert, um möglichen Konflikten vorzubeugen. Diese Koordinierung ist bereits seit Jahren im Gange. Allerdings: Laut der Defensoria da Água (brasilianische Organisation zum Schutz des Wassers) haben sich die Konzerne Nestlé und Coca-Cola bereits Informationen zu günstigen Wasserentnahmestellen beschafft und Land in diesen Gebieten gekauft.


Zum ersten Mal in der Geschichte nimmt Lateinamerika sein Schicksal offenbar selbst in die Hand. Ich denke, das wird spannend. Und für gewisse(nlose) Konzerne hoffentlich eine Lehrstunde wie aus dem Bilderbuch.

„Wasser ist ein Menschenrecht. Es ist für das Überleben auf der Erde notwendig. Wenn man Lebensnotwendiges zur Handelsware macht und der Zugriff darauf schwieriger wird, kann es zu politischer Instabilität kommen.“

Dennis Kucinich, Mitglied des US-Repräsentantenhauses

Mit diesem ersten Kapitel haben Sie nun eine ungefähre Vorstellung davon, weshalb ich den Buchtitel so und nicht anders gewählt habe.

1 Non-Governmental Organisation (Nichtregierungsorganisation: zivilgesellschaftlich zustandegekommener Interessenverband)

Die Diktatur der Mächtigen

Seit Jahrzehnten hat die riesige Lobby der Lebensmittel- und Getränkehersteller die Politiker fest im Griff. Einer ihrer Hebel ist die Meinungsbildung in der Medizinforschung. Damit schaffen es die Hersteller, dass Nebenwirkungen mit freundlicher Unterstützung von Wissenschaft und Staat verharmlost werden. Wie das geht? Ganz einfach.

Die Industrie treibt die Forscher vor sich her

… bezahlt sie dafür fürstlich, und die Politiker hecheln verwirrt hinterher. Wir alle haben uns daran gewöhnt, von Studienergebnissen zu hören, die kurze Zeit später von einer anderen Studie widerlegt werden. Nehmen wir das Beispiel Zucker. Man wundert sich nur noch kurz darüber, wenn man liest, dass das American Journal of Public Health im Jahr 2007 warnte, Limonaden machen dick und fördern Diabetes, weil es nur ein Jahr später im American Journal of Clinical Nutrition heißt, dass es praktisch keinen Zusammenhang dafür gebe. Solche widersprüchlichen Aussagen von Medizinern haben dazu geführt, dass wir Hinweise auf eine gesündere Ernährung von vornherein mit großer Skepsis aufnehmen – „Wer weiß schon, was wirklich stimmt?“ Im Zweifel ignorieren wir sie und machen weiter wie bisher. Das gilt nicht nur für uns Verbraucher, sondern auch für Politiker, Ernährungsberater, Mediziner – und Journalisten. Weil die Unsicherheit dank widersprüchlicher Forschungsergebnisse so groß ist, haben Politiker eine hervorragende Ausrede, um unliebsame Gesetze erst gar nicht zu erlassen. Dieser lähmende Zustand kommt den Herstellern nicht nur gerade recht – sie haben ihn herbeigeführt.

Professor Torben Jorgensen ist Leiter des Forschungszentrums für Prävention an der Universität in Kopenhagen. Er erläuterte im Juni 2015 auf einer Fortbildungsveranstaltung der Deutschen Akademie für Präventivmedizin, wie diese Strategie funktioniert. Bereits 2007 gab es erdrückende Beweise dafür, dass zuckerhaltige Getränke bereits bei jungen Menschen zu Übergewicht führen. Doch der Forscher Richard A. Forshee sah die Sache komplett anders. Für seine Forschungsarbeiten an der Universität von Maryland erhielt er finanzielle Hilfe, und zwar von Coca-Cola und PepsiCo, so Jorgensen (das lässt sich übrigens ganz einfach nachprüfen – es stimmt). Die Ergebnisse seiner Studien zogen die bisherigen Erkenntnisse stark in Zweifel. In der Zwischenzeit wechselte seine Mitarbeiterin und Mitautorin in die Ernährungsindustrie. Kollegen aus der Forschung nahmen die Arbeit von Forshee unter die Lupe – ein völlig üblicher Vorgang – und entdeckten methodische Mängel. Jorgensen sagt, dass Forshee für seine Untersuchung genau die Arbeiten ausgesucht hatte, die man so deuten könne, dass zuckerhaltige Limonaden unbedenklich seien. Doch da war das Kind schon in den Brunnen gefallen, denn die Arbeit war publiziert. Nun konnte man sie zitieren, vorlegen, Politikern unter die Nase halten. Und dies ist nur ein Beispiel von sehr, sehr vielen. Je mehr Studien sich widersprechen, umso größer wird die Verunsicherung bei Politikern. Nachvollziehbar, nicht?

Dr. Johannes Scholl, der die Veranstaltung der Akademie für Präventivmedizin leitete, ist erbost darüber, dass man nicht einmal in führenden Fachzeitschriften vor Manipulationen gefeit ist: „Als David Ludwig von der Harvard-Universität 2013 seine überzeugenden Bildbefunde zum Suchtpotenzial bestimmter Zucker und Kohlenhydrate in dem weltweit führenden American Journal of Clinical Nutrition veröffentlichte, hat Ian Macdonald von der Universität von Nottingham diese in demselben Journal ziemlich kleingeredet.“ Das British Medical Journal enthüllte jedoch, dass Unternehmen wie Mars und Coca-Cola den Forscher Macdonald bei seiner Stoffwechselforschung finanziell unterstützten. Das britische Ärzteblatt konnte außerdem aufdecken, dass dies bei zahlreichen Experten, die die britische Regierung in Sachen Ernährung unabhängig beraten sollen, ganz ähnlich aussieht. Viel zu selten gelangen Machenschaften wie die eben erwähnte und die nun folgende an die Öffentlichkeit.

„Keine Einflussnahme!“

Bereits im August 2015 hat die Times berichtet, dass Coca-Cola in den USA dem Global Energy Balance Network (GEBN) 1,5 Millionen Dollar gespendet hatte. Nicht gerade wenig – dafür kann man schon etwas erwarten, oder? Kurze Zeit später wurde bekannt, dass Coca-Cola damit offenbar die Forschung über Fettleibigkeit beeinflussen wollte, denn das Global Energy Balance Network betreibt in diesem Bereich Forschung. Professor James O. Hill, Präsident von GEBN und Mediziner an der Universität Colorado, beteuerte, dass es keine Einflussnahme des Konzerns gegeben habe. Doch E-Mails, die die Nachrichtenagentur Associated Press in die Hände bekam und in Auszügen veröffentlichte, legen das Gegenteil nahe. Eine führende Mitarbeiterin des Konzerns ist mittlerweile zurückgetreten.

 

Coca-Cola-Präsident Kent Muhtar räumte ein, dass sein Unternehmen auch an andere Organisationen und Wissenschaftler gespendet hat. Seit 2010 seien insgesamt 120 Millionen Dollar geflossen. Gleichzeitig betonte Muhtar, der Konzern werde seine Aktivitäten in Zukunft transparenter gestalten. Ich fürchte, die Wahrscheinlichkeit, dass ABBA noch einmal ein Konzert gibt, ist größer.

Nun könnten Sie einwenden, dass Professor Hill so lange als unschuldig gelten muss, bis sein Fehlverhalten eindeutig nachgewiesen werden kann. Da stimme ich Ihnen zu. Es ist ja auch möglich, dass Professor Hill noch nicht viel Erfahrung in der Zusammenarbeit mit Konzernen hatte und einfach einen Fehler gemacht hat. Sehen wir also einmal nach, ob Hill einfach unerfahren ist:

Professor Hill hielt 2013 auf dem International Congress of Nutrition (ICN) in Granada einen Vortrag zum Thema Übergewicht. Der Kongress wurde von der Nahrungsmittelindustrie mitfinanziert, die auch mit Ständen und Symposien präsent war, darunter Nestlé, Süßstoff-Hersteller Ajinomoto, Friesland Campina, Danone – und Coca-Cola. Hm. Hill ist aber nicht nur Referent, sondern auch Mitglied im International Scientific Committee des ICN. Hills Vortrag „Energy Balance and Active Living“ wurde von der ILSI gesponsert. Das ILSI (International Life Sciences Institute) ist eine einflussreiche Lobbyorganisation im Lebensmittelbereich. Finanziert wird sie weitgehend durch Unternehmen der Lebensmittel-, Chemie- und Gentechnikindustrie, zum Beispiel Coca-Cola, Nestlé und Monsanto. Hm. Hill bietet Ernährungsexperten kostenlose Online-Webinare zum Thema Übergewicht an, und zwar auf der Plattform des Beverage Institute. Dieses Institut gehört – Coca-Cola. Na sowas! 2011 veröffentlichte das ILSI einen Vortrag zum Thema Übergewicht. Der „Experte“: Hill. Die Sponsoren für diesen Vortrag: Die International Beverage Association (Coca-Cola ist selbstverständlich Mitglied) und Lebensmittelriese McCormicks. Zu den „Beratern“ dieses Vortrags gehörte auch Coca-Cola. Und so weiter und so fort …

Zu den Sponsoren des ICN gehört übrigens auch das von der Lebensmittelindustrie finanzierte EUFIC. EUFIC wirbt auf seiner Website mit einem Interview mit Hill, das man im Rahmen des Kongresses geführt habe. Wer mag (und des Englischen mächtig ist), kann sich das völlig einseitige und nichtssagende Interview im Internet anhören. Sechs Minuten, die sich lohnen: http://www.eufic.org/upl/1/default/doc/3-ICN2013_James%20O%20Hill.mp3

Die Times hatte übrigens auch entdeckt, dass die Website von Hills Organisation GEBN von Coca-Cola registriert und betrieben wurde. Hill erklärte diesen Vorgang damit, dass seine Mitarbeiter nicht gewusst hätten, wie man eine Internetadresse registriert. Sicher …

EUFIC: „Inhaltlich korrekt und wahr“

Das Wissenschaftliche Beratungsgremium der EUFIC hat „primär die Aufgabe, sicherzustellen, dass die Informations- und Kommunikationsprogramme des EUFIC auf wissenschaftlich überprüften Erkenntnissen beruhen, die von der wissenschaftlichen Gemeinschaft generell unterstützt werden, so dass die Information repräsentativ, inhaltlich korrekt und wahr ist.“ Diese Logik ist einzigartig: Wenn Erkenntnisse von der wissenschaftlichen Gemeinschaft generell unterstützt werden, so sind diese Informationen automatisch wahr. „Generell“ bedeutet aber natürlich auch, dass diese Ansichten nicht von allen Wissenschaftlern geteilt werden müssen – es gibt also konträre Meinungen. Und die sind dann automatisch unwahr?

Das EUFIC ist natürlich keine unabhängige Institution, sondern eine klassische Lobbyorganisation, die schöngefärbte Informationen verbreitet. Nehmen wir die Wissenschaftler und Experten unter die Lupe, die im Namen von EUFIC die Wahrheit und nichts als die Wahrheit verbreiten.

Da hätten wir zum Beispiel den Deutschen Klaus Grunert, Professor für Marketing an der Aarhus Universität. Grunert ist darüber hinaus Mitglied im Verwaltungsrat der Lobbyorganisation ILSI – und im wissenschaftlichen Beirat des Bundesforschungsinstituts für Ernährung und Lebensmittel (Max-Rubner-Institut). Autsch! Grunert vertritt zum Beispiel die Ansicht, dass auf Lebensmittelverpackungen viel zu viele Informationen stehen. (Und wo wir gerade beim Max-Rubner-Institut sind: Dessen Präsident ist Prof. Dr. Gerhard Rechkemmer. Rechkemmer sitzt auch im Leitungsgremium von ILSI. Zur Verteidigung sagt Rechkemmer, ILSI sei keine Lobbygruppe, sondern eine „wissenschaftliche Plattform“. Diese Aussage finde ich wenig wissenschaftlich und schon gar nicht seriös, sondern unredlich und irreführend.)

Professor Mike Gibney vom University College Dublin findet die Angst vor genetisch veränderten Lebensmitteln unbegründet. Er ist Vorsitzender der staatlichen Lebensmittelsicherheitsbehörde von Irland.

Arnout Fischer ist außerordentlicher Professor an der Wageningen Universität in Holland. Er untersucht, unter welchen Umständen Verbraucher Nano-Technologie in Lebensmitteln akzeptieren würden. Danke, Herr Fischer, für diese völlig unerwünschte Forschung! Fischer arbeitet unter anderem für connect4action, eine Organisation, die die „Kommunikation“ zwischen Wissenschaftlern, Lebensmitteltechnikern und Verbrauchern fördern will. Zu den „Partnern“ von connect4action gehört nicht nur das EUFIC, sondern auch die eine oder andere von der Lebensmittel- und Chemiebranche geförderte Institution. Darüber hinaus ist Fischer für ILSI tätig, sitzt dort in einer Expertenkommission. Fischer kennt sich bestens damit aus, wenn es um den Einfluss von Wissenschaftlern auf politische Entscheidungen angeht – er verfasst Artikel und hält Vorträge darüber, in denen er erklärt, wie man es schafft, dass zum Beispiel Politiker und die Öffentlichkeit mehr Vertrauen in das haben, was Experten (und die Unternehmen, die sie sponsern) sagen.

Dann hätten wir noch Albert Flynn, Professor für Ernährung an der School of Food and Nutritional Sciences am University College in Cork. Flynn sitzt darüber hinaus im wissenschaftlichen Beirat von Kraft – ist aber gleichzeitig Vorsitzender des Wissenschaftsausschusses der Europäischen Behörde für Lebensmittelsicherheit! 2011 kam Flynn deshalb schon einmal in Bedrängnis, als ihm vorgeworfen wurde, er habe in seiner Funktion als EFSA-Vorsitzender den Lebensmittelriesen Kraft begünstigen wollen.

Gerd Harzer ist ebenfalls mit dabei. Er ist Honorarprofessor an der Technischen Universität München und war lange Jahre in führender Position bei Kraft und Milupa beschäftigt. Heute berät er aber auch das Bayerische Staatsministerium für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten. Für Harzer ist die EU-Verordnung zu nährwert- und gesundheitsbezogenen Angaben auf Lebensmitteln („Health Claims“) viel zu restriktiv gehalten – die Lebensmittelindustrie wäre gerne flexibler, wenn sie dem Verbraucher mitteilen will, was gesund ist und was nicht. Das glaube ich sofort.

Josef Schlatter, Toxikologe und ehemaliger Leiter der Sektion Lebensmitteltoxikologie des Schweizerischen Bundesamtes für Gesundheit, ist zum Beispiel der Ansicht, dass alle bekannten krebserregenden Stoffe in Lebensmitteln tatsächlich nur einige wenige Prozent der Krebsfälle erklären können, die Epidemiologen diesen Stoffen zuschreiben. Außerdem wird die Gefährlichkeit von Desinfektionsnebenprodukten in chloriertem Trinkwasser seiner Ansicht nach überschätzt. Bis 2012 war Schlatter für die Lobbyorganisation ILSI tätig. Nachweislich wurde er bei seiner wissenschaftlichen Arbeit unter anderem von Coca-Cola, Danone und Nestlé unterstützt. Schlatter berät das Bundesinstitut für Risikobewertung und sitzt im wissenschaftlichen Ausschuss der EFSA.