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Rittmeister Brand; Bertram Vogelweid

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II

Eine peinliche Fahrt. Wohl zehnmal tippte Bertram mit der Spitze seines Regenschirms dem Kutscher auf die Schulter und flehte: »Fahren Sie zu, vorwärts!« Er suchte zu imponiren und befahl: »Vorwärts. Fahren Sie zu!« Es machte keinen Eindruck. Er knirschte in Verzweiflung: »Wir kommen zu spät! Kutscher! Mensch! Zu spät!« Half alles nichts. Der Kutscher, breit wie sein Bock, antwortete nur mit undefinirbaren Lauten, einer Art Gegrunze, und sein Fahrgast schalt ihn im Stillen eine Pappendeckelseele, ein stumpfsinniges Halbthier.

Wagen um Wagen, alle mit Koffern beladen, fuhren ihnen vor, der Fliegenschimmel schüttelte dazu nicht einmal den Kopf. Sein Lenker war unzugänglich, und er war ohne Ehrgeiz. Bertram rutschte immer weiter vor auf seinem Sitze und saß zuletzt nur noch auf der Polstereinfassung. Er meinte sich dadurch leichter zu machen; er hätte ums Leben gern mitgezogen und erreichte nichts anderes, als daß ihm zuletzt in seiner Aufregung alles vor den Augen tanzte, und daß er statt des breiten Kutscherrückens ein abscheuliches braunes Gesicht mit Hängebacken vor sich sah. Voll Entsetzen wandte er den Blick ab, lehnte sich zurück im Wagen und gab alle Hoffnung auf, noch zurecht zu kommen. Das begab sich ganz in der Nähe seines Zieles, und ein paar Minuten später hatte er den Bahnhof erreicht.

Aber welch ein Gewirr und Getreibe herrschte da!

»Der Schnellzug is heut’ ungeheuer besetzt,« sagte ein riesenhafter Träger, der an den Wagen Bertrams herantrat und sich des Gepäcks bemächtigte.

Ungeheuer besetzt. O du liebes Schicksal! Just heute, an dem ersten Tag nach vier Jahren, an dem Bertram reisen kann, müssen Hunderte von Leuten reisen, die’s wahrscheinlich ebenso gut früher hätten thun können. Er springt aus dem Wagen und will dem Träger folgen, der die Stufen zur Halle hinaufsteigt. Da wird der schläfrige Kutscher plötzlich lebendig und schreit:

»Erscht hetzen! und durchgeh’n a no? Halt’s ’n auf!«

Bertram erschauderte bei dem Gebrüll. Der Vorwurf, den ihm der Grobian vom Bocke zuschleuderte, traf ihn wie der Blitz vom Himmel. Er hatte vergessen, seine Fahrt, wie es sich gehört, im Voraus zu bezahlen, stand als Betrüger da, die Blicke der Menschen, die sich nach ihm umsahen, sprachen es aus. Er bemerkte auch, daß ein Wachmann ihn fixirte. In zitternder Eile, mit vor Kälte steifen Fingern (am 25. Juli um die Mittagsstunde, bei 28 Graden über Null) entnahm er seinem Portemonnaie eine Banknote und reichte sie dem Grobian, der augenblicklich den Hut zog und kriechend und demüthig bat: »Schaffen Euer Gnaden ein andres Mal wieder.«

Bertram eilte dem Träger nach, der schon auf ihn wartete, kurzweg fragte: »Wohin?« und ebenso kurzweg hinzufügte, nachdem er die Antwort: »Hullein« erhalten hatte: »Nehmen’s Ihr Billet.«

Ja, nehmen! Das ist leicht gesagt. Bei dem Fenster, durch das die Banknoten hinein- und die Fahrbillete herausgeschoben werden, gab es ein Gedränge, als ob dort Brot vertheilt würde unter Hungernde. Bertram stand als der letzte zwischen den eisernen Schlangen, die zum Schalter führen, und zappelte vor Ungeduld und quälte sich mit gräßlichen Zweifeln: »Wohin ist der Kyklope gerannt, was hat er mit meiner Bagage angefangen? Was hat sein mysteriöses Verschwinden zu bedeuten? Der Kyklope ist am Ende gar kein Träger, sondern ein als Träger verkleideter Strolch, der jetzt das Weite sucht mit meinem Hab und Gut.«

Bertram späht ihm vergeblich mit verstörten Blicken nach, möchte nach Hülfe schreien und wagt es doch nicht recht, trotz der Überzeugung, daß er bestohlen ist, beraubt! O die Menschen! die Menschen! Was für ein ausbündiges Gesindel! Fluch über sie und ihre höllische Erfindung, die Eisenbahn, die allen Lastern eine nie dagewesene Fülle von Gelegenheiten bietet, sich auszubreiten, zu wuchern, hereinzustieben, triumphirend mit Dampf in die früher – verhältnißmäßig wenigstens – unschuldige Welt. Bertram seufzte, schnaubte, stampfte und hatte zur Verstärkung seiner Pein ein dumpfes Gefühl, daß er lächerlich sei und sich so ausnehme.

Unweit von ihm, neben einer Säule in der Halle, stand eine junge, große, schlanke Frau in hellgrauem Reiseanzug, mit einem allerliebsten Mützchen ohne Schirm auf dem Kopfe. Sie blieb ganz gelassen mitten in dem fürchterlichen Trubel, der sie umgab, hatte ihre Reisetasche (wo ist die meine, dachte Bertram schmerzlich) auf den Boden gestellt und schien in vollkommener Gemüthsruhe auf jemanden zu warten. Dabei beobachtete sie den armen, zwischen den Eisenbarrièren zuckenden Vogel, diskret, mit höchster Wohlerzogenheit, aber offenbar belustigt. Ihre blauen, ehrlichen und unbeschreiblich sympathischen Augen sprachen: Du machst mir Spaß.

Der vorletzte Passagier war abgefertigt, Bertram trat an seine Stelle und quetschte mühsam das Wort »Hullein« hervor, während draußen – es fuhr ihm in die Kniee, daß sie zusammenknickten – das erste Läuten erscholl. Der Beamte hinter dem Schalter streifte ihn mit einem flüchtigen Blicke, hielt ihn für einen anderen, schob ihm ein Billet erster Klasse hin und sagte während des Herausgebens auf zwei Zehnernoten:

»Eile, Herr Baron, höchste Zeit.«

»Träger! Wo ist der Träger?« rief Bertram und vergaß völlig, daß der ein Schuft, ein Strolch war und die Bagage entwendet hatte.

»Was für a Nummer?« fragten ein paar Blousenmänner.

»Weiß ich’s?« Und noch einmal rief er, aber schon völlig hoffnungslos: »Träger!«

Siehe, da kam der Strolch aus dem Magazin herausgelaufen und hatte ein vertraueneinflößendes Gesicht und sprach: »Da drin hat einer an Koffer falsch aufgegeben.«

»Den meinen,« stöhnte Bertram.

»Na, na, den Ihren nit. Jetzt aber machen’s g’schwind. Wo is Ihr Billet?« Er bemerkte die Aufregung des Reisenden und lächelte – die Nervösen sind die einträglichsten – nahm ihn unter seinen väterlichen Schutz, führte ihn zur Wage und wieder an einen Schalter – was das für unnöthige Förmlichkeiten sind! und wieder hieß es bezahlen, und Bertram glaubte zu bemerken, daß ihm ein Fünfer fehle. Jetzt aber war nicht Zeit, nachzusehen, das zweite Läuten ertönte, und Bertram verlor völlig den Kopf. Er riß seinen Regenschirm dem Träger aus der Hand, rannte durch die Halle über die Treppe, durch den Wartesaal an dem verblüfften Portier vorbei auf den Perron.

Dort wieder ein schreckliches Gedränge und grausame Rücksichtslosigkeit gegen den Nächsten. Mit den Ellbogen, den Knieen, den Füßen wird gerungen, gestoßen, gepufft. Die Männer denken nur an sich, die Frauen nur an ihre Brut, nie wird Bertram einen Platz erobern; auf den Faustkampf ist er nicht eingerichtet. Er bleibt stehen, sieht den Anderen nach und hat einen neuen verzweifelten Anfall von Menschenverachtung.

»Sie! Herr!« schreit ihm plötzlich jemand in die Ohren. Er wendet sich um, und vor ihm steht sein Träger, der gute Kyklop. Er hat sich Bahn gebrochen bis zu ihm und bringt ihm den Gepäckschein, die Handtasche und das Portemonnaie:

»Das alles haben’s bei der Wag liegen lassen,« spricht er, grüßt militärisch und will enteilen. Aber Bertram ruft ihn zurück, sein Herz quillt über vor Beschämung und Rührung. Wie unrecht hat er einem Ehrenmann gethan! Er sucht nach in seiner Geldtasche, ein Fünfer ist noch drin, muß noch drin sein, den Fünfer hat er nicht ausgegeben, aber er findet oder sieht ihn jetzt nicht, knüllt krampfhaft alles Papierene, das ihm zwischen die Finger kommt, zusammen und schenkt es dem Ehrenmann. Dann rennt er weiter, die Ufer der tobenden Menschenfluth entlang. Hinein wirft er sich nicht, das nicht, o pfui! ihm graut.

Mit Verzweiflung fand er sich plötzlich fast allein auf dem Perron. Der ungeheure Zug hatte alles geschluckt. Aus den Fenstern, unter denen Bertram herumirrte, zu denen er hülfeflehend emporsah, blickten böse Gesichter, drohende Augen auf ihn nieder. »Alles besetzt!« riefen grausame Stimmen. Einzelne, noch offen stehende Thüren wurden von innen heftig zugeschlagen.

»Einsteigen!« donnerte ein Schaffner dem armen Ausgeschlossenen zu, und der stöhnte:

»Wo?«

»Welche Klasse?«

»Erste.«

»Was kriechen’s also da herum? Also zurück, ganz hinten!« braust der Schaffner auf, selbst schon im Begriff, seinen luftigen Sitz zu erklettern, und der schreckliche Mensch an der Glocke hebt den Schwengel zum dritten Läuten.

Da öffnet sich der Schlag des letzten Waggons, ein junger Mann steckt den Kopf heraus und winkt dem athemlos heranstürmenden Bertram: »Da her, da ist noch Platz!«

Wenige Sekunden später setzte Bertram den Fuß auf das erste Trittbrett, sein Retter streckte ihm die Hand entgegen, er ergriff sie und ließ seinen Regenschirm fallen und sah sich nicht einmal nach ihm um, erklomm das zweite Trittbrett und stand im Wagen keuchend, verstört. Im selben Augenblick wurde die Glocke geläutet – ein durchdringender Pfiff – ein Ruck, Bertram taumelte und saß, aber so schlecht, daß er gleich wieder aufsprang.

Der junge Mann hatte einen Schrei ausgestoßen: »Donnerwetter, was thun Sie denn? Aber um Gotteswillen, Sie setzen sich ja auf meine Tauben!«

III

Auf dem Ecksitze des Halbcoupés, in das Bertram hereingestürzt war, stand ein Vogelbauer, und in dem befanden sich zwei prächtige Ringeltauben, die ganz erschrocken über die plötzliche Verfinsterung ihres Lokals, Töne des Entsetzens ausstießen und mit den Flügeln schlugen. Ihr Eigenthümer bemühte sich, die in eine Plattform verwandelte Kuppel ihres Bauers aus Draht wieder zurecht zu biegen, und Bertram konnte kein Ende finden mit Entschuldigungen:

»Es ist hoffentlich nichts geschehen?« fragte er besorgt.

»Den Tauben nichts. Aber so lach’ doch nicht,« wandte der junge Mann sich an seine Begleiterin, die in der anderen Ecke saß, und in der Bertram die anmuthige Frau erkannte, deren wenig schmeichelhafte Aufmerksamkeit er schon auf dem Bahnhofe erregt hatte. Trotz der redlichsten Mühe vermochte sie das helle, herzerquickende Lachen, in das sie ausgebrochen war, nicht zu unterdrücken. Sie entschuldigte sich:

 

»Verzeihen Sie, es ist aber zu spaßig gewesen, der Schreck meines Mannes und dann der Ihre.«

»O, gnädige Frau, was mich betrifft, lachen Sie weiter, es klingt so schön,« erwiderte Bertram.

Da wurde sie sogleich ernst und lud ihn ein, sich zu setzen. Er wollte seinen Platz durchaus mit dem Vogelbauer theilen, durfte aber nicht, mußte sich allein in die Ecke placiren. Der Ehemann, der auffallend schöne, braune Augen hatte und kurzgeschorene, schwarze Haare, stellte die Tauben auf den Mittelsitz, den auch er einnahm und sagte:

»Sie müssen sich’s bequem machen, Sie sind unser Gast. Wir haben das ganze Coupé genommen wegen der dummen Viecher und weil die Leute so kurios sind. Wenn einer mit einem Bettsack von hundert Kilo, sechs Kopfpolstern und drei Decken einrückt, sagt niemand was, bringt man aber einen Kolibri in den Waggon, schreien sie gleich: In den Ochsenwagen damit!«

Ein erbitterter Ausdruck tiefster Menschenverachtung lagerte wieder auf Bertrams Zügen: »Dummes, eingebildetes Volk!« brummte er. »Als ob man nicht hunderttausendmal besser aufgehoben wäre in der Nähe einer Taube als in der eines Tabakrauchers!«

Bei diesen Worten wechselte das Ehepaar einen Blick, dessen Bedeutung er sich nicht erklären konnte. Das setzte ihn in Verlegenheit; um sie zu verbergen und sich möglichst angenehm zu machen, begann er, die Tauben zu bewundern; ihre Größe, ihre sanfte Cedernholzfarbe, ihre Ringkragen à la Philippine Welser.

»Ja, ja, sind schön, wenn sie mir nur nicht davonfliegen,« sprach der junge Mann und betrachtete sie mit halb stolzen, halb bekümmerten Eigenthümerblicken, »ich habe sie in Wien gekauft für meine Zucht.«

»Sie züchten Tauben?« fragte Bertram voll Begeisterung. »Ich werde auch Tauben züchten, ja, ja, das ist meine Absicht, ich habe sie eben gefaßt. Ich werde alles thun, was man auf dem Lande thun kann.« Er war wie berauscht. Die kräftige Luft, der Sonnenschein, der Anblick der Felder in ihrer goldigen Pracht, rissen ihn hin. Unbeirrt durch das Erstaunen, das er mit seiner Beredtsamkeit erregte, fuhr er fort: »Ich werde hinter dem Pfluge gehen und singen mit Alexei Koltzow: Vorwärts Gäulchen, vorwärts, zieh die Ackerfurche. O weh!« unterbrach er sich, »ich citire wieder – Werkstattgewohnheit; ich bin wie der Kammerdiener im Proverbe Leclerqs, ich kann in der Freiheit die schönen Tage der Sklaverei nicht vergessen.« Er klopfte mit dem Knöchel des Zeigefingers an seine Stirn: »Nichts als Bücher da drin, todte Buchstaben. Ich bin nämlich – Gott sei’s geklagt, Litterat. Aber nicht lange mehr, bald schon – unnennbare Wonne – Bauer.«

Der Mann und die Frau wechselten wieder einen Blick, den Bertram dieses Mal verstand. Sie hatten sich zurückgelehnt, er beugte sich weit vor, um ihnen in die Augen sehen zu können. Es war ihm so wohlthuend. Diese Menschen schienen so ganz im reinen mit sich selbst, so friedlich, so ausgeglichen.

»Gnädige Frau,« sagte Bertram, »und Sie, mein edler Retter, Sie halten mich für geistesgestört, ich bin es nicht, ich bin nur entsetzlich nervös. Das wird man in meinem sogenannten Berufe, der nicht der meine ist. Ich bin ein Försterssohn und durch Natur, Geburt, Neigung zum Forstwesen bestimmt.«

Das Ehepaar antwortete mit »So?« – »Ja?« höflich, aber erschreckend kühl, er fühlte, daß er sich unangenehm machte, daß man sein Geschwätz zudringlich fand, und doch war’s, als ob ihm ein Teufelchen auf der Zunge säße, das auf ihr herumhüpfte wie auf einem Trampolin und ihn zwang, all die Überflüssigkeiten vorzubringen.

Die junge Frau benutzte die erste Pause, die er machte, um ihn zu fragen: »Ist es Ihnen sehr unangenehm, wenn ich rauche?«

Er verneigte sich: »O gnädige Frau, wenn Sie rauchen, ist es mir eine Ehre und ein Glück!«

Sie lächelte, jetzt fand sie ihn offenbar wieder komisch, griff in ihren Reisesack und entnahm ihm eine Cigarrentasche, ein Feuerzeug und die gestrige »Grenzenlose«, die mit dem Sonntagsfeuilleton.

»Jetzt will ich meinen Vogelweid erst genießen,« sagte sie zu ihrem Mann, »in der Stadt kommt man zu nichts. Ich hab’ gestern in die Zeitung grad nur hineingeguckt.« Sie brannte einen ziemlich großen Glimmstengel an, drückte sich behaglich in ihre Ecke und rauchte und las und vergaß in ihrer genußreichen Versunkenheit alles um sich her – nur nicht ihren Mann. Der hatte sich tief hinuntergleiten lassen auf seinem Sitze, einen Fuß an die Wand des Waggons gestemmt, den anderen überschlagen und sah unverwandt zu ihr hinauf.

»Er ist heut’ besonders gut, nicht wahr?« fragte er, wenn sie sich so recht zu unterhalten schien. Sie antwortete mit stummem Kopfnicken, und er suchte ihr Interesse noch zu erhöhen.

»Wart nur, lies nur, es wird immer besser.«

»Excellent!« rief sie plötzlich aus, »nein, der Vogelweid – wie ich den liebe!«

Bertram hielt sich nicht länger: »Sie haben Unrecht, gnädige Frau, das ist, ich bitte um Verzeihung, eine Geschmacksverirrung.«

Sie wurde roth, ihr Mann fuhr auf: »Erlauben Sie mir« –

»In keinem anderen Punkte hätte ich Ihnen etwas zu erlauben oder zu verbieten, Ihnen, meine gnädige Frau, oder Ihnen, mein edler Retter,« versetzte Vogel. »Aber in dem einen Punkte habe ich das Recht einer Meinung und die Pflicht sie auszusprechen. Sie dürfen mir glauben, daß dieses Feuilleton, das Ihnen besonders gut vorkommt, besonders schlecht ist, und daß Sie über etwas mühsam Zusammengequältes lachen. Lauter alte Witze und Späße, denen man aber ihr Alter nicht anmerken soll, immer das alte Ragout, nur mit neuem Überguß.«

»Erstens,« erwiderte die junge Dame, »haben Ragouts keine Übergüsse, sondern Saucen, und wenn mir die Sauce schmeckt. –«

»Unglücklicherweise. Sie sollten sich das Gebräu nicht schmecken lassen und würden auch nicht, wenn Sie wüßten, aus welchen Ingredienzen es besteht und mit wie niederträchtiger Künstlichkeit es eingerührt ist. Künstlichkeit – Karrikatur der Kunst! und natürlich auch Routine. Die Zwei bringen das Tränklein fertig, das dann den Leuten so leicht eingeht, wirklich wie nichts. Sie brauchen nur den Mund aufthun, es läuft von selbst hinein, das charakterlose, für jeden Gaumen berechnete Zeug!«

Das Ehepaar hatte dem aufgeregten Reisegefährten schweigend zugehört: »Sie sind vom Fach, man sieht’s,« sprach der Mann, und die Frau erklärte:

»Nein, nein! ich lasse mir die Freud’ an meinem Vogelweid nicht verderben. Sie sagen immer wegwerfend: das Zeug. Wie viele würden ihrem Gott danken, wenn sie solches ‘Zeug’ schreiben könnten.«

»Das gewiß. Es trägt ja viel mehr Geld ein, als das Herstellen guter, gediegener Kost. Und – Geld! ‘Am Gelde hängt, nach Gelde drängt’ &c. ist heute noch wahr, und bleibt es vielleicht noch ein Weilchen, bis uns die Sozialisten von dem elenden Tauschmittel befreien. Seien Sie ganz aufrichtig mit mir, gnädige Frau,« begann er nach einer kleinen Weile von Neuem. »Oder seien Sie es auch nicht – mit Worten, ich weiß doch was Sie denken, ich sehe Sie denken. Der Neid spricht aus dir, denken Sie, Sie irren. Der litterarische Bajazzo, den Sie in Schutz nehmen, und den ich angreife, der alte, verbitterte, müde Vogelweid flößt mir nicht den geringsten Neid ein, dazu kenne ich ihn zu gut, bin zu genau eingeweiht in die Geheimnisse seiner armseligen Journalistenexistenz. Ich bin ja selbst dieser Vogelweid. Habe die Ehre, mich noch einmal vorzustellen: Bertram Vogel, genannt Vogelweid.«

Es entstand eine kleine Verlegenheitspause.

»Sie glauben mir nicht?« fragte Bertram.

Doch! ja, sie glaubten ihm. Sie besannen sich jetzt, Porträts von ihm in illustrirten Blättern gesehen zu haben. Nicht sehr ähnlich, allerdings. Das entschuldigte, so hofften sie wenigstens. Der Retter nannte sich:

»Gerhart Neuhaus.«

»Graf Neuhaus,« rief Bertram und lüftete freudig den Hut, »ein Nachbar meines Gönners und Jugendfreundes, Hugo von Weißenberg? Es ist mir eine ganz besondere Ehre.«

»Uns auch,« sagten der Graf und die Gräfin, und man schüttelte einander die Hände. »Wir haben nicht nur viel von Ihnen gelesen, wir haben auch viel von Ihnen gehört,« setzte die junge Frau hinzu. »Sie sind doch auf dem Wege nach Obositz, bringen Ihre Ferien bei Weißenbergs zu, nicht wahr? Man kann Ihre Ankunft kaum mehr erwarten, wird Sie ganz anschließend in Beschlag nehmen. ‘Vogelweid will Niemanden sehen, er ist ein bißchen menschenscheu,’ reden Sie uns immer zu Gehör. Nun, daß Sie nervös sind, gebe ich zu, aber menschenscheu? davon haben wir nichts bemerkt.«

»Sie freilich nicht, meine Herrschaften, ich habe mich Ihnen an den Kopf geworfen und krame mein Innerstes vor Ihnen aus mit barbarenmäßiger Aufdringlichkeit. Stimmung! alles Stimmung! Ich bin ein Sklave meiner Stimmung! Das ist die Folge des unglückseligen Sichüberarbeitens. Arbeit ist der beste Inhalt unseres Lebens, Weisheit, Tugend, Gesundheit, Glück! Sich überarbeiten ist Fluch, ist der Tod aller unserer Fähigkeiten, nicht der geistigen allein, auch der moralischen. Man taugt nichts mehr, man verliert allen Halt … Sehen Sie mich; ich perorire da unaufhaltsam und weiß, in einer halben Stunde, in fünf Minuten vielleicht, werde ich stumm sein wie ein Stock, nicht eine Silbe herausbringen und nicht mehr wissen, ob man sagt: Schöne Frau, ich habe die Ehre oder: Schöne Ehre, – ich hab’ eine Frau.«

Die Gräfin lachte: »Da sind Sie ja sehr zu bedauern.«

»In einem Jahre werde ich sehr zu beneiden sein, wenn ich mein Glück erlebe, wenn ich nicht früher überschnappe, es kommen mir manchmal so elend feige Gedanken.«

»Sie werden noch eine Menge Gutes erleben,« sagte der Graf. »Der kleine Besitz, den Weißenberg für Sie gekauft hat, ist sehr hübsch. Aber ich darf nichts verrathen, das sollen ja lauter Überraschungen werden.«

Die Augen Bertrams leuchteten, doch sprach er ängstlich: »Ich will mir nicht zu große Erwartungen machen. Alles hat zwei Seiten, auch mein Besitz wird sie haben. Vorläufig rechne ich mit Zuversicht nur auf ein ungetrübtes Glück. Auf das Glück, vier volle, gesegnete Wochen in einer unlitterarischen Umgebung zu verleben. Sie können nicht ermessen, was das bedeutet für einen Tintenmenschen wider Willen. Vier Wochen, in denen er kein Buch in die Hand nehmen braucht, in denen ihm kein Manuskript unter die Augen kommt, Niemand ein Autograph von ihm verlangt, vier Wochen himmlischer Seligkeit! Weißenberg war mein Schulkamerad, er ist mir der treuste Freund, meine Vorsehung ist er. O, wie freudig bin ich ihm zu ewigem Dank verpflichtet; in keines Menschen Schuld stände ich mit solcher Wonne, wie ich in der seinen stehe, und ich bin doch lieblos genug, mich weder auf ihn noch auf die Seinen so zu freuen, wie ich mich auf die absolut litteraturfreie Atmosphäre seines Hauses freue.«

Der Graf räusperte sich, die Gräfin sah befremdet aus. »Wann waren Sie zum letztenmal in Obositz?« fragte sie.

»Vor vier Jahren.«

»Stehen Sie nicht in Korrespondenz mit Ihrem Freunde?«

»Alle Jahr zweimal schicke ich ihm Geld, und er schickt mir eine Empfangsbestätigung. Ein litterarischer Taglöhner wie ich, schreibt nicht Briefe zu seinem Vergnügen, und Freund Weißenberg schreibt überhaupt nicht. Bei meinem letzten Besuche wollte er einen Überschlag machen, dazu mußten wir in die Kanzlei gehen, weil die Tinte im Schreibzeug des famosen, männlich thätigen Mannes eingetrocknet war. Und seine liebenswürdige Gattin, die keinen Anspruch auf klassische Bildung macht, und ihre schöngeistigen Bedürfnisse mit ein paar Familienblättern bestreitet … Bei ihrer letzten Anwesenheit in Wien waren wir im Burgtheater und sahen Egmont. Am Schlusse sagte sie: ‘Der Egmont ist doch das schwächste Stück von Laube.’ Eine verehrungswürdige Frau!«

Die Thür des Coupés wurde geöffnet, der Schaffner trat ein und bat um die Fahrkarten. Bertram zog sein Portemonnaie heraus, suchte, fand nichts, wurde kreideweiß, griff in die Brusttasche, und fand auch da nichts.

»Wie kommt dieser Herr herein, der Herr Graf haben doch das ganze Coupé genommen?« sprach der Schaffner.

»Und ich habe eine Karte genommen und bezahlt,« schrie Bertram. Er war aufgesprungen und griff verzweiflungsvoll in alle seine Taschen. »Und dann – was hab’ ich dann gethan?« Ihm ward plötzlich alles klar und die Schamröthe stieg ihm ins Gesicht: »Dann habe ich einem Komfortabler fünf Gulden gegeben, und der Mensch hatte es nicht verdient, denn er war sehr grob; und ich habe einem Träger, einem ausgezeichneten Manne, statt des Trinkgeldes, das ich ihm zudachte, meine Fahrkarte und meinen Gepäckschein in die Hand gedrückt. Nein,« brach er aus, »daß ich reise ohne ein paar Kinderfrauen mitzunehmen, eine zur Rechten und eine zur Linken, daß ich überhaupt reise – ein Mensch, wie ich!«