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Rittmeister Brand; Bertram Vogelweid

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XIX

So also ist Einem, der ganz unmotivirt, ohne jeden vernünftigen Grund, aufs Krankenlager geworfen wird. Aufs Krankenlager in der selben Zeit, da er sich zum ersten Male der Vielgeliebten und Vielverehrten wirklich nützlich machen könnte!

Peter war zu Tod erschrocken, als er seinen Herrn erblickte, der, vom Doktor begleitet, die Stiege herauf kam, wankend, erdfahl, mit tief eingefallenen Augen, sich ins Bett kommandiren und sich sogar helfen ließ beim Auskleiden, er, der Rittmeister Brand! Kein Wunder, daß Peter den Kopf verlor, stille Thränen vergoß, an seine Frau telegraphirte und sie in die Stadt berief zur Pflege des Herrn und zu seinem eigenen Troste.

Frau Peters eilte herbei, wurde aber schlecht empfangen. Dietrich gerieth in Zorn über das eigenmächtige Vorgehen seines Dieners. Dieser Peter! Kannte dieser Peter ihn noch nicht, glaubte er wirklich, daß Dietrich Brand einer Frau erlauben werde, sein Krankenzimmer zu betreten, wenn es denn, hol’s der Teufel, ein Krankenzimmer gab? Magdalena wurde nicht vorgelassen, sondern beordert, allsogleich nach Neuwaldegg zurückzukehren, wo sie ein Feld für ihre Thätigkeit hatte und wohin ihre Pflicht sie rief.

Brand aber verlebte einen schlimmen Tag und eine noch schlimmere Nacht. Nie, niemals hätte er es für möglich gehalten, daß eine Krankheit – pah! nicht einmal eine Krankheit, nur ein armseliges Unwohlsein – einen Mann so packen und niederwerfen konnte! Machtlos, sich machtlos fühlen dem eigenen Körper gegenüber, dem Sklaven! Giebt es eine tiefere Beschämung? Er verfluchte sich selbst. In seinem Kopfe ging es zu wie in einem Hammerwerk, in seiner Kehle schnitt es wie mit Messern, der ganze Mensch glühte wie eine Kohle.

Trotz alledem fand ihn der Arzt, der Morgens kam, rasirt, gebadet, sorgfältig angekleidet in einem Lehnstuhl am Fenster des Schlafzimmers sitzen.

»Wie geht es bei Frau Major von Müller?« war Dietrichs erste, mit bedenklich kurzem Athem vorgebrachte Frage.

»Ganz leidlich,« erwiderte der Arzt und vermied dabei, den forschend auf ihn gerichteten Augen des Kranken zu begegnen. »Frau Sophie ist aber sehr besorgt um Sie.«

»Sehr besorgt um mich?« wiederholte Brand mit leisem Zweifel, mit wehmüthiger Wonne.

»Sie läßt Sie dringend bitten, sich zu schonen, einmal auch an sich zu denken.«

»Was soll ich thun?«

»Zu Bette gehen, gewissenhaft Arznei nehmen. Sie sind dann wahrscheinlich in einigen Tagen hergestellt, und das wäre gut, denn Frau Sophie wird Ihrer Stütze recht sehr bedürfen.«

Dietrich erschrak: »Was ist mit ihr? Ist sie krank?«

»Nein, nein,« darüber beruhigte ihn der Doktor, aber mit sehr wenig Worten; er hatte Brand nur einen Augenblick sehen wollen, setzte sich nicht einmal, griff wieder nicht nach dem Pulse des Patienten, legte bloß die schmale, blasse Hand auf dessen Schulter und sprach mit sanfter Bitte: »Bleiben Sie wenigstens zu Hause.«

»Zu Befehl,« erwiderte Brand, worauf ihn der Arzt ein wenig spöttisch und unbeschreiblich gütig ansah und sich mit einem kurzen: »Adieu!« empfahl.

Warum in aller Welt hatte er spöttisch dreingesehen? Aus niederträchtiger, ärztlicher Schadenfreude? Oder machte es ihm Spaß, daß ein alter Soldat sich seinen Anordnungen so ängstlich unterwarf wie ein maroder Pfründner? Ja, das war’s, und darüber gedachte ihn Brand eines Besseren zu belehren. Plötzlich entschlossen, streckte er die Rechte aus und drückte den Tasterknopf der elektrischen Glocke an der Wand anhaltend und energisch nieder.

Peter eilte herbei.

»Meinen Paletot, meinen Hut,« befahl Dietrich, »ich gehe – oder vielleicht ich fahre – zu Frau Major von Müller.«

Nicht ein Wort des Widerspruchs kam über Peters Lippen, doch betrachtete er den Gebieter mit der hoffnungslosen und liebevollen Traurigkeit, mit der eine Mutter ihr starrsinniges Kind betrachtet. Brand fühlte die Empfindung seines Dieners nach, und auch er blieb stumm. Man sagt nicht, man beweist, was man kann.

Peter sah ihn eine so gewaltige Anstrengung machen, als ob er sich aus einem Sumpfe, in dem er halb versunken war, emporarbeiten wollte, sah ihn aufschnellen – und fast zugleich besinnungslos zu Boden sinken.

Es war so schnell geschehen, daß Peter den Sturz nicht verhindern konnte. Jetzt kniete er bei seinem Herrn, hob ihn auf, trug ihn in seinen Armen (welches Glück, daß Brand davon nichts wußte!) auf das Bett, labte ihn und brachte ihn bald wieder zu sich. Als der Rittmeister die Augen aufschlug, stand Peter aber schon abgewendet und ordnete die Kleider im Schranke.

»Ich will heute doch lieber zu Hause bleiben,« sagte Dietrich nach einer Weile, »ich hab’ etwas Schwindel, das kommt von den verfluchten Medikamenten.«

»Von nichts Anderem, Herr Rittmeister,« versetzte Peter.

»Du brauchst dem Doktor nichts davon zu sagen,« nahm Brand nach einer abermaligen Pause wieder das Wort, »es würde ihn kränken, und am Ende bildet er sich noch ein, daß ich ohnmächtig geworden bin wie ein bleichsüchtiger Backfisch.«

»Natürlich, Herr Rittmeister, denn wer kann wissen, was ein Zivilist sich einbildet.«

Zweimal im Laufe des Vormittags mußte Peter einen Kommissionär in die Berggasse schicken, um Nachrichten zu holen. Nur bei Pauline; die gnädige Frau durfte nicht belästigt werden mit den vielen Anfragen. Pauline ließ den Rittmeister beschwören, sich keine Sorgen zu machen. Er fand die Antwort ungenügend und sendete Peter in Person nach einer Botschaft aus, und der kehrte mit der Meldung zurück:

»Die gnädige Frau läßt sich empfehlen, dem kleinen Georg geht’s gut.«

»Wirklich, wirklich? Hast Du ihn gesehen?«

»Ihn nicht, aber die Frau Majorin ist selbst herausgekommen, sie selbst …« Eine unbesiegbare Rührung packte und würgte ihn.

»Jetzt weint er wieder, der Waschlappen,« murmelte Brand und dankte Gott im Stillen, daß er der armen Mutter ihr Kind wieder geschenkt und auch ihm, der es freilich nicht anders erwartet hatte, seinen lieben Jungen.

Es duldete ihn nicht länger im Bette; er ließ sich ankleiden, konnte aber nur auf den Arm seines Dieners gestützt bis zum Lehnsessel gelangen.

Gegen die siebente Abendstunde wurde geläutet, und unmittelbar darauf läutete auch Dietrich und befahl Peter, der hereinstürzte, hochroth im Gesicht und mit verklärter Miene:

»Niemanden vorlassen, keinen Menschen!«

»Herr Rittmeister, es ist die Frau Majorin von Müller.«

Brand erhob sich. Mit ihm zugleich erhob sich aber auch der Fußboden und rollte Wellen, die Decke flatterte wie ein Segel. Dietrich war froh, bei dem allgemeinen Aufruhr wieder in die Arme seines Fauteuils zurückkehren zu können:

»Wer kommt? Wer?..«

Da stand sie schon auf der Schwelle.

»Gnädige Frau … Mein höchster Wunsch – Sie bei mir!«

Sie konnte nicht gleich sprechen, sie ging langsam auf ihn zu und reichte ihm beide Hände.

»Verzeihen Sie,« sagte er. »Nein, daß ich Sie so empfangen muß. Invalid, nicht einmal entgegen gehen, nicht einmal aufstehen … Nein, daß Sie zu mir kommen … Es geht also besser. Mein lieber, kleiner Freund – wie hab’ ich mich nach ihm gesehnt!«

»Er sich auch nach Ihnen.« Sanft entzog sie ihm ihre Hände, setzte sich ihm gegenüber und schlug den Schleier zurück: »Auch Sie sind sehr leidend.«

»Gewesen!« rief er aus.

Nie, niemals hatte ihr Anblick ihn so bewegt in allen Herzenstiefen. Nie war sie ihm so erhaben hold erschienen, Majestät und Lieblichkeit in einer Gestalt.

Brand ließ sie nicht aus den Augen: »Aufrichtig, gnädige Frau,« sprach er, und seine Stimme zitterte, »wie steht’s mit ihm?«

»Gut,« anwortete sie, »ganz gut.«

Er athmete auf, er wurde heiter und gesprächig. Er hatte viel nachgedacht in diesen Tagen der Einsamkeit. Was denkt man nicht Alles zusammen in zweimal vierundzwanzig Stunden! Seine ganze Vergangenheit war vor ihm lebendig geworden, und die leuchtende Überzeugung hatte ihn durchdrungen, daß er nur zu danken habe.

»Gnädig hat mein Herr und Gott sich mir immer erwiesen, zweimal in meinem Dasein aber allgütig. An dem Tage,« Brand senkte nachdenklich den Kopf, »an dem ich im Begriff war, ein Licht auszulöschen, das er angefacht hatte, und er mich in seiner Huld davor beschützte, den Frevel zu begehen. Ein zweites Mal – da er mich Sie, verehrte Frau, wiederfinden ließ, die ich durch eigene Thorheit verloren hatte und jetzt lieben darf – in Ihren Kindern.«

Sie hatte ihm still und teilnehmend zugehört, nun stand sie rasch auf, sagte ihm Lebewohl und wünschte ihm eine recht gute Nacht.

Peter erhielt den Auftrag, einen Wagen zu nehmen und die gnädige Frau nach Hause zu bringen. So geschah’s, und er kam zurück mit einem Gruß von ihr, und Dietrich ging zur Ruhe und schlief wie ein Gesunder. Er erwachte gestärkt, glücklich, und obwohl es regnete, war für ihn die Welt voll Sonnenschein.

Im Laufe des Vormittags brachte ein Dienstmann einen Brief.

»Von der Frau Majorin,« sagte Peter und überreichte ihn ängstlich und zögernd.

Der Inhalt des Schreibens lautete:

 
»Lieber gütiger Herr Rittmeister!
Seien Sie stark, machen Sie sich auf das
Traurigste gefaßt. Ihr kleiner Freund ist todt,
gestern gestorben, als die Kirchenglocken zum Ave
läuteten. Selig entschlafen – ich weiß jetzt,
was das heißt. Ich bin zu Ihnen gekommen,
um es Ihnen zu sagen, und konnte nicht, Sie
haben mir zu leid gethan …«
 

Brand las nicht weiter. Das Blatt entsank seiner Hand. Sie war gekommen, um ihm zu sagen: Das Kind ist todt, und hatte es nicht vermocht; sie wußte, wie weh es ihm thun würde, und hatte es ihm nicht sagen können. Aus Mitleid, aus himmlischem Erbarmen – Nein, das war mehr als Mitleid und Erbarmen – unendlich mehr.

Bertram Vogelweid

I

Bertram Vogel hatte ein Pack Manuskripte in die ohnehin schon überfüllte Lade seines alten Ungeheuers von Schreibtisch gestopft und bemühte sich nun, sie zuzuschieben. Aber sie leistete Widerstand, und als er böse wurde und anfing, heftig an ihr zu rütteln, spießte sie sich gar. Auf einmal schien sie ein menschliches Gesicht anzunehmen, das einen großen, viereckigen Rachen voll Bosheit gegen ihn aufsperrte.

 

Er trat zurück und seufzte grimmig: »Schon wieder! Schon wieder!«

Auch eine Folge seiner entsetzlichen Nervosität, daß alles Leblose, das ihn umgab, sobald er in die geringste Aufregung gerieth, ein höhnisch grinsendes Gesicht annahm, – das Gesicht eines seiner Feinde und Neider. Er hat ihrer zahllose, er, von Natur der friedfertigste und wohlwollendste Mensch, ist mit Feinden und Neidern bespickt, wie der Schild des Achilles mit Speeren. Und daran, und überhaupt an allem Übel, das ihn trifft, ist der Beruf schuld, den er ausübt und haßt, der Beruf, in den die Verhältnisse ihn hineingeschoben haben und für den die zärtlichste, geliebteste, thörichtste Mutter ihn auserwählt glaubte.

»Wart’, du Verfluchter, wie ich dich sitzen lasse,« murmelte er und ballte die Fäuste gegen etwas Unsichtbares in der Luft. »Wart’ nur noch ein Jahr! Wartet auch ihr, wie ich euch verlassen werde«, rief er den verrauchten Wänden zu.

Nur weil die Wohnstube wohlfeil war, hatte er so lange in ihr ausgehalten. Sie lag im vierten Stock eines alten Zinshauses der inneren Stadt, hatte die Form einer Bratröhre und nur ein einziges Fenster, das nie und niemals von der Glorie eines Sonnenstrahls umspielt wurde. Und das Gäßchen, in dem das alte Haus stand, war so schmal, und die bösartig duftenden Rauchfänge seines Gegenübers waren so nahe! Mit einem langen Pfeifenrohr hätte man die Katzen, die Nachts auf dem Dache herumspazierten und ein verachtungswürdiges Konzert aufführten, herunterfegen können. In diese Versuchung gerieth Bertram nicht, er besaß keine lange Pfeife, er war (ebenfalls aus Sparsamkeit) kein Raucher. Er hielt das Fenster überhaupt geschlossen, denn es kam nichts Gutes herein, und für Ventilation war durch die beiden Öffnungen der Bratröhre hinlänglich gesorgt. Die verruchten zwei standen in beständiger, heimtückischer Wechselwirkung und verbanden sich alle Augenblicke zu einem grausamen Attentat gegen den am Schreibtisch sitzenden Mann. Plötzlich legte sich’s ihm wie ein eisernes Band um den Hals, oder es bohrte sich ihm ins Ohr wie ein Dolch, und nun begann das Tosen und Brausen im Kopf und machte ihm die Anstrengung des Denkens zur Höllenqual.

Gedacht aber mußte, es mußte sogar erfunden werden, spannend und originell um jeden Preis, ohne weiteres auch – um den des gesunden Menschenverstandes. O greulich!

In der Fenstervertiefung, über dem Abreißkalender, der das Datum 25. Juli zeigte, hing der Rasierspiegel. Bertram trat vor ihn hin, betrachtete nach langer Zeit einmal wieder das Bild, das ihm daraus entgegensah, mit Aufmerksamkeit. Sie ging allmählich in zornige Entrüstung über.

Achtunddreißig Jahre alt sein und schon so tiefe Falten auf der Stirn haben und so eingefallene Wangen, so rothumränderte, trübe Augen, das ist doch des Teufels! Den verbissenen Zug um den Mund verdeckt glücklicherweise zum Theil der blonde Schnurrbart, dessen Enden sich breit ausgebürstet mit dem kurz gehaltenen Backenbart vereinigen; es sieht fein aus, und der ganze Mensch sieht fein aus, aber schrecklich unruhig und nervös. – Fortwährend muß er blinzeln und von Zeit zu Zeit verzieht ein blitzartiges Zucken ihm das Gesicht. Wie er das häßlich fand, wie er sich darüber kränkte und wie er nun einen neuen Grund zur Kränkung erfuhr! Eine Überraschung – aber was für eine! Mitten im üppigen Wald seiner Haare, gerade auf dem Scheitel, hatte er eine kleine Lichtung entdeckt.

»Das hast du mir angethan,« rief er und ballte wieder die Faust, diesesmal gegen den Arm des Gasrohrs an der Wand über dem Schreibtisch.

Die Flamme war längst ausgelöscht worden, aber bis zum Morgen hatte sie dem unermüdlichen Arbeiter geleuchtet. Achtstundentag – lächerliches Wort! Sei du ein fleißiger Schriftsteller und Redakteur an der großen Zeitung: »Die junge Grenzenlose« und sprich vom Achtstundentag. Habe allmorgendlich ein halbes Hundert Briefe zu verschlingen, ein paar Dutzend Manuskripte, Brochuren, Bücher durchzublättern, habe gewohnheitsmäßig zwei Romane unter der Feder und sprich vom Achtstundentag. Ein Roman »läuft« in einem Volksblatt, der andere in einem Salonblatt, und: Fortsetzung folgt, heißt’s unerbittlich. Eher dürfte die Zeit in ihrem Laufe innehalten, als so ein Roman in dem seinen.

Trotzdem ist die tägliche Arbeit nicht die arge, weil man an sie nur denken braucht, so lange man dabei ist. Die argen, die nervenzerrüttenden Arbeiten sind die, die nur wöchentlich einmal erscheinen, an die man aber beständig denken muß. Da ist der gewisse »Überblick über die neueste Litteratur.« Heißes Pech und brennenden Schwefel über den Erfinder dieses an »über« überreichen Titels.

»Ändern wir ihn, er ist zu lügenhaft,« hatte Bertram Vogel dem Chef und den Kollegen vorgeschlagen. »Wenn wir von einem Einblick in den Wust sprächen, wär’s protzig genug von uns. Ordinäre Ehrlichkeit spräche von einem Streif- oder Seitenblick.«

Man lachte ihn aus. Der Überblick gehörte zum eisernen Bestand der »Grenzenlosen,« die Abonnenten waren an ihren Überblick gewöhnt, hatten ihn bezahlt und geschluckt und glaubten ihn zu haben.

Einer noch größern Beliebtheit als der Überblick erfreute sich das Sonntagsfeuilleton. Es hatte Bertrams Schriftstellerruf begründet, ihn populär gemacht, ihm seinen begeisterten Anhang erweckt und seine ehrenvollen Feindschaften.

Niemand sagte mehr: »Das Feuilleton von Vogelweid,« wie niemand sagt: »Der Wein Burgunder.« Es hieß nur noch: »Haben Sie den heutigen Vogelweid gelesen?« Und: »Der ist wieder unerreichbar, macht einen witzig für die ganze Woche. Und das alles nur so hingeworfen, man spürt ordentlich, wie er sich selbst dabei unterhalten hat.«

Über die Leichtigkeit, mit der Vogel produzirte, hatten sich Legenden gebildet, die man ihm erzählte, ihm ins bärbeißige Gesicht. Er konnte wüthend werden und widersprechen, so viel er wollte; es half nichts, die Leute schworen auf ihren Unsinn. Auf den zum Beispiel, daß er seine Feuilletons am Setzkasten diktire, oder daß er ihrer zwölf an jedem Samstage hinkritzle, eines davon ziehen lasse von der Hausmeisterin, die übrigen ins Feuer werfe.

In Wirklichkeit waren die lustigen Feuilletons, die ins Leben hineingeflattert schienen, lauter Zangengeburten, und Bertram fühlte die Qualen, unter denen sie entstanden, in demselben Verhältniß wachsen, in dem seine Jugend abnahm. Sie war’s, ihr Frohsinn, ihre Lebenslust, was einst in seinen Arbeiten gesprudelt hatte, er besaß kein eigentliches wahres, nur ein Formtalent. Die Form war auch noch immer anmuthig, geschmeidig, tadellos rein, aber der Inhalt bot nichts Neues mehr. Die Feinde und Neider haben es längst gemerkt, die Leser noch nicht. Werden sie sich noch fünfundzwanzig Mal, werden sie sich noch ein Jahr lang darüber täuschen lassen, daß es dieselbe Voltige ist, die ihnen bei veränderter Dekoration in einem fort vorgemacht wird?

Noch ein Jahr, nur noch ein Jahr, und mit der widerlichen Tintenkleckserei ist’s vorüber. Bertram Vogelweid ist todt, Bertram Vogel auferstanden. Er lebt in tiefster Zurückgezogenheit auf seinem eigenen Grund und Boden, auf dem Bauerngütchen, das er erworben und allmählich schuldenfrei gemacht hat. Er wird sein Feld bebauen, sein Gärtlein pflegen, Bäume pflanzen, … Bäume! Was giebt es Schöneres in der Welt? Was hat er je geliebt wie Bäume, der im Wald geborene Försterssohn?

Bäume! Bäume! Heute noch wird er Bäume sehen und freies Feld. Es wirbelt ihm im Kopf bei dem Gedanken, es schwindelt ihm, er muß sich setzen. Er sieht wieder überall Gesichter, verträgt nicht einmal die Freude mehr; sein Arzt und Freund hat ihm mit gutem Grunde vor kurzem erst gesagt: »Jetzt wird mir der Mensch in seinen alten Tagen noch hysterisch.«

Auf dem Schreibtische liegen die Früchte seines wahnsinnigen Fleißes. Vier Überblicke, vier Feuilletons, die letzten Fortsetzungen seiner, ja, das hat er sich zugeschworen, letzten Romane. Des Volksromans mit seinen idealen Anarchisten, ausbeuterischen Kapitalisten, vom Blut und Schweiß des Volkes lebenden Baronen, Grafen und Fürsten, des Salonromans mit seinen Zweideutigkeiten, seinen Schlüpfrigkeiten. Nur allzu treu nach französischen Mustern, und doch überall Champagner in Bier verwandelt.

Ekel und Greuel! Eine plötzliche Wuth erfaßte ihn über sich selbst, über die Wege, die er ging, und über alle die Hunderte von Narren, die sich an ihn herandrängten und seinen Spuren folgen wollten, und denen er davon abgerathen hatte, im Anfang seiner Karriere recht höflich, in der Folge derb und derber.

Er besann sich auch der Singvögel männlichen und weiblichen Geschlechts, die ihm scharenweise zugeflogen waren. Erbarmungslos hatte er sie verscheucht, und wer weiß, ob sich unter ihnen nicht vielleicht doch eine Nachtigall befand.

Da war eine Anna Mimona, deren er nicht ohne eine Art Reue gedenken konnte. Sie hatte ihm ein Heft Gedichte – ein kalligraphisches Meisterwerk – geschickt, und um sein Urtheil gebeten. Ein empfehlendes Wort von ihm, schrieb sie, würde diesen poetischen Versuchen einen Verleger verschaffen und dadurch einer verarmten Familie die Existenz erleichtern.

Bertram hatte das Buch nicht aufgeschlagen. Was kann man einer Person zutrauen, die albern genug ist, die Lyrik als Einnahmequelle anzusehen! Als die Poetin nach langer Zeit wieder schrieb und auf das höflichste um Bescheid ersuchte, erhielt sie ihn. Er lautete: »Kaufen Sie sich eine Nähmaschine.«

Seitdem hatte sie ihn nicht mehr behelligt, und das gefiel ihm; Anna Mimona war also eine feinfühlige Person und bildete einen gewaltigen Gegensatz zu den vielen, die sich ihm nahten, girrend wie die Tauben, sobald aber der Beifall, den sie verlangten, ausblieb, zu bösartigen Krähen wurden und die Augen des unerbittlichen Kritikers bedrohten.

Das alles aber wäre zu verschmerzen, es giebt viel Schlimmeres: die Anhänger und Freunde, die gelobt werden müssen, weil sie loben, die Gegner, die getadelt werden müssen, wenn auch der eignen Überzeugung zum Trotze. So lange gelobt und getadelt, bis aus all dem Müssen eine Art Wollen sich entwickelt und die aufgedrungene Meinung zur eignen wird, weil man um sie gelitten und Anfeindung erduldet hat. Aus dem fortwährenden Bekennen entsteht ein Glauben. Das Vorurtheil ist zur Religion geworden, das Amt hat den Menschen gefressen.

Bertram stieß ein höhnisches Gelächter aus und preßte beide Hände konvulsivisch an den Kopf.

Eine alte Kuckucksuhr, die in der Nähe der Thür ihr langes Pendel schwang, erhob jetzt ein lautes Geschnarre. Sie hatte die Absicht, elf zu schlagen, konnte sie aber nicht ausführen.

In einer Viertelstunde wird der Wagen da sein, der den Reisenden nach dem Bahnhof bringen soll. Bertram hat gestern einem Komfortablekutscher auf dem Stephansplatz das Versprechen abgenommen, sich Punkt ein Viertel auf Zwölf vor dem Hausthor einzufinden. Wenn er nur kommt, der Mensch. Im Moment, in dem Vogel ihm das Angeld gegeben und er’s eingesteckt hat, sind dem Besteller die unverläßlichen Augen des Menschen aufgefallen. Wenn er nur Wort hält. Wort halten ist eine große Tugend, und von einem Komfortablekutscher eine große Tugend verlangen die pure Romantik, die reine Thorheit. Aber man begeht sie, man ist so dumm, man ist ein so vertrauensseliger Esel!

Bertram spürte einen gallbittern Geschmack im Munde und betrachtete mit Wehmuth das hübsche Kofferchen, das er sich gestern angeschafft hatte. Es stand in der Ecke auf zwei Sesseln sauber zusammengeschnallt. Die Schlösser glänzten wie zwei Augen und schienen zu fragen: Nun – wird’s? Wandern wir? Die Handtasche (auch neu und fertig gepackt) war auf dessen Rücken etablirt und noch offen. Sie wartete auf den Schreibtischschlüssel, den sie aufnehmen sollte. Aber der steckte, und die Lade gähnte wie ein Haifisch. Bertram sprang auf und wollte sie mit einem gewaltigen Ruck zuschieben. Da entfaltete sie eine teuflische Bosheit und spie ihm, soviel sie von ihrem Inhalt nur herausbringen konnte, vor die Füße.

Sinnlose Wuth übermannte ihn, er fiel über die Tückische her und rüttelte an ihr, daß sie stöhnte und in allen Fugen bebte.

Jetzt wurde an der Thür geklopft und ohne weitere Umstände eingetreten. Frau Hundlgruber, die Hausmeisterin, ein Bild grandioser Gelassenheit, zwang sich zu einem kleinen Schrei beim Anblick des Zimmerherrn, der seinen Schreibtisch prügelte:

»Jessas und Joseph, Herr von Vogel, was sein’s denn schon wieder nervios, was regen’s Ihnen denn auf? Kommen’s, gehn’s weg, lassen’s mich her.«

 

Sie schob ihn fort mit einer sanften Macht und Leichtigkeit, wie sie ein Feldsesselchen fortgeschoben hätte, sammelte die auf dem Boden liegenden Schriften und legte sie mit glättenden Händen in die Lade, die, empfänglich für anständige Behandlung, den ganzen Reichthum nun gutwillig aufnahm und sich auch ohne Widerstand absperren ließ.

Frau Hundlgruber warf den Schlüssel in die Reisetasche und meldete auch, daß es Zeit, und daß der Einspänner vorgefahren sei.

Wieder gerieth Bertram außer sich: »Zeit ist’s; ich versäum’ den Zug! ich versäum’ den Zug!« stieß er hervor, riß seinen Hut und Überzieher vom Kleiderstock und wollte mit Hinterlassung aller seiner Reiseeffekten davonlaufen.

Frau Hundlgruber ertheilte ihm eine neue Ermahnung, gab ihm seine Tasche und seinen Regenschirm in die Hand, nahm selbst das Kofferchen unter den kräftigen Arm und fragte, was mit den Sachen auf dem Schreibtisch zu geschehen habe.

Bertram rief voll Hast: »Alles Rekommandirte auf die Post … Die Rezepisse verwahren Sie, die bind’ ich Ihnen auf die Seele, mit Spagat, Frau Hundlgruber. Das große Paket tragen Sie, bitte, auf die Redaktion.«

»Jessas und Joseph, das is g’wiß das End’ von Ihrer schönen G’schicht,« sprach Frau Hundlgruber und lächelte seelenvergnügt: »Sagen Sie mir nur noch g’schwind, ich könnt’ ja heut’ nit schlafen vor Neugier: Wird der Baron wirklich lebendig begraben? Verdienen thät er’s, der Schuft der miserable. Is der Pülcher wirklich der Stiftsdam’ ihr Sohn, und wird der brave Anarchist richtig noch Minister bei der Polizei?«

»Das alles soll die Zukunft Ihnen enthüllen, jetzt lassen Sie uns scheiden. Leben Sie wohl, Meisterin dieses Hauses,« sprach Bertram pathetisch, »und wenn hier Feuer ausbrechen sollte, dann retten Sie alles, nur den,« er wies mit ausgestrecktem Finger nach dem Schreibtische, »den lassen Sie verbrennen, der ist assekurirt.«

Damit rannte er die Treppe hinab, stieg in den, vor dem Hause wartenden offenen Wagen, das Gepäck wurde untergebracht und fort ging’s im Gezottel eines steifen Fliegenschimmels, dem Nordbahnhofe zu.