Za darmo

Rittmeister Brand; Bertram Vogelweid

Tekst
0
Recenzje
iOSAndroidWindows Phone
Gdzie wysłać link do aplikacji?
Nie zamykaj tego okna, dopóki nie wprowadzisz kodu na urządzeniu mobilnym
Ponów próbęLink został wysłany

Na prośbę właściciela praw autorskich ta książka nie jest dostępna do pobrania jako plik.

Można ją jednak przeczytać w naszych aplikacjach mobilnych (nawet bez połączenia z internetem) oraz online w witrynie LitRes.

Oznacz jako przeczytane
Czcionka:Mniejsze АаWiększe Aa

XI

Diese Frage war nicht die einzige, die ihn bedrängte. Das erste Wiedersehen zwischen Sophie und ihm war für sie ein mit Schrecken verbundenes, für ihn ein glückliches gewesen, denn er hatte ihr einen Dienst leisten dürfen. Was aber nun? Ihr gleich, ihr heute noch einen Besuch abstatten, ginge nicht an. Es sähe gar zu hungrig aus nach Lob und Dank, und wahrlich dadurch, daß man einen Zudringlichen fern gehalten hat, erwirbt man doch zu allerletzt das Recht, selbst zudringlich zu sein. Andererseits wieder – verfluchtes Dilemma! – möchte er doch um keinen Preis gleichgültig und theilnahmslos erscheinen.

Vierundzwanzig Stunden lang ertrug Brand die Zweifelsqualen. Länger nicht.

Am nächsten Tag war das Wetter schön, er hatte Klein-Peterl im Stadtpark besucht und wie gewöhnlich unter der fröhlich spielenden Jugend lehr- und segensreich gewaltet. Als es Zwölf schlug, als die Zeit wiederkehrte, zu der die tapfere Frau gestern ausgewandert war, um den Ertrag ihrer Arbeit heimzuholen, als sie vor seinem Geiste stand, wie er sie mit Augen gesehen hatte, in ihrer lieblichen Verwirrung beim unerwarteten Wiedersehen – da war’s beschlossen: »Um Drei bin ich bei ihr.«

Die Stunde schien ihm die passendste für einen ersten Besuch. Es ist eine so hübsche Stunde, diese dritte – nach der Mittagshöhe. Sie lastet nicht mehr drückend schwül und ist doch kräftig von Sonnenlicht durchtränkt. Die dritte Nachmittagsstunde hat manche Analogie mit gewissen gesetzten Jahren im Leben …

Brand ging ins Restaurant, rascher als nothwendig gewesen wäre, und hatte, nach Hause zurückgekehrt, schon um halb zwei Uhr seine Cigarre fertig geraucht. Dann wurde Toilette gemacht. Cylinder Nr. 2, dunkelgrauer Straßenanzug Nr. 2. Alles sehr einfach, aber bürsten mußte Peter den Hut, den Anzug, die Stiefel, daß ihm das Herz weh that um den Filz, das Tuch und das Leder. Brand warf sogar einen Blick in den Spiegel, schüttelte den Kopf und sah unzufrieden aus. Ist auch an seinem Lebenstage früher Nachmittag … oder naht schon der Abend?

Es muß heute eine Andere sein, dachte Peter. Zu den Besuchen bei der »Marchand’ Mod’« wird nur Garderobe Nr. 1 angelegt. Nun ja, von so einer Putzgredl will man sich nicht spotten lassen.

»Jetzt geh’ ich,« sagte Brand, und hinter den armseligen Worten schwoll es empor wie komprimirter Jubel, dem man ein bißchen Luft macht. »Wohin glaubst Du wohl?« setzte er nach kurzem Nachdenken hinzu, und sah den guten Peter, und wußte selbst nicht warum, streng an: »Zur Frau Major von Müller.«

Peter war verblüfft; er gestand sich ungern, daß er nicht wußte, was er denken sollte von seinem Rittmeister. So stieß er denn einen Seufzer aus und sprach: »Die Frau Major von Müller, ja. Belieben jetzt in Klausenburg zu sein, die Frau Major.«

»Sie war dort, ist jetzt in Wien.«

»Da muß sie g’rad hergereist sein, Herr Rittmeister, stotterte Peter, und ein Licht ging ihm auf, sonnenhell, sonnengroß, und er platzte aufleuchtenden Blickes heraus: »Die Frau Major sind jetzt auch eine Witib.«

»Was – auch? Wer – auch?« Ein solcher Esel! setzte er im Stillen hinzu, ob man mit einem solchen Esel ein Wort reden darf, das nicht absolut zum Dienst gehört.

Die kleine Verstimmung Brands verflog im Augenblick, in dem er aus dem Hause trat. So schlecht das Wetter gestern gewesen, so wunderschön war es heute. In strahlender Herrlichkeit stand die Sonne am lichtblauen Himmel; ein verklärender, wie von Millionen winziger Fünkchen durchschimmerter Dunst lag über den Prachtbauten der Ringstraße und über den fernen Bergen. Das alte, ewig junge Wien prangte im Frühlingsschmuck seiner Alleen, Rasenplätze und Gärten: aber noch lag ein winterlicher Hauch in der Luft und gab ihr etwas Kerniges, Stärkendes. Jeder Blick trank Schönheit, jeder Athemzug Kraft, und mit jedem Schritte, den Brand vorwärts machte, steigerte sich sein Glücksgefühl, und sein Unternehmungsgeist wirbelte, wirbelte empor, bis er ins Übermüthige umschlug.

Dietrich trat in einen äußerst eleganten Spielereiladen und kaufte dort den gediegensten Malkasten, der sich auf Lager fand, und die größte Pariser Puppe: ein Wickelkind, von einem lebendigen nur dadurch zu unterscheiden, daß es im zartesten Alter schon beim leisesten Drucke »Papa« und »Mama« quietschte.

Da Brand durchaus nicht wünschte, beladen wie er war, einem Bekannten zu begegnen, nahm er einen Wagen und fuhr bis an die Ecke der Berggasse. Indessen fühlte er sich auch hier nicht ganz behaglich: die Puppe war schlecht verpackt, aus einem Spalt des Papiers kam eine ihrer blonden Locken zum Vorschein, und aus einem anderen ihre rosenfarbige Hand, und mit der schlug sie einem seiner Grundsätze ins Gesicht. Wie oft hatte er Mütter und Gouvernanten gewarnt: »Von dem Tragen großer Puppen werden die Kinder schief.« Und was wird Frau von Müller sagen, wird sie es nicht taktlos finden, daß er gleich beim ersten Besuche mit Geschenken angerückt kommt?

Er verwünschte den Ankauf, zu dem ihn der berauschende Einfluß der Frühlingsluft verleitet hatte und würde seine Übereilung gar zu gern ungeschehen gemacht haben. Die Gasse war ziemlich öde, die wenigen Menschen, die er traf, schenkten ihm keine Aufmerksamkeit; er glaubte etwas wagen zu dürfen, er unternahm den Versuch, sein Paket hinter ein Hausthor zu legen. Aber das unselige Puppenzeug quietschte, und ein angetrunkener Maurer, der plötzlich, wie aus einer Versenkung, auftauchte (es dürfte die Kellerstiege gewesen sein, erklärte Brand sich später), schrie ihn an, das Haus sei kein Findelhaus, er möge sein Kind wo anders weglegen.

In der Entrüstung über diese stupide Verdächtigung fand Dietrich seine Seelenstärke wieder. Mit dem Bewußtsein, daß er Frau von Müller gegenüber nur eine Ungeschicklichkeit, nicht aber ein Unrecht begehe, verfolgte er seinen Weg, erreichte sein Ziel und stieg die schmale Wendeltreppe des alten Hauses mit ihren gefährlich ausgetretenen Stufen empor. Auf dem Gange wendete er sich nach rechts. Dicht neben der Thür 6½ befand sich ein Fenster, das ein weißer Vorhang von innen verhüllte. Brand zog an dem Glockenstrang, und dabei durchzuckte es ihn vom Wirbel bis zur Sohle wie ein elektrischer Schlag.

Alter Mann! alter Mann, was sind das für Gefühle? So war Dir ja zu Muthe, als Du, ein zwanzigjähriger Lieutenant, der unvergeßlich schönen Frau Bürgermeisterin von Wilna zum Geburtstag gratuliren gingst, mit einem Rosenbouquet.

Die Glocke tönte, wie sie zu tönen pflegt in den Wohnungen der Armen: »Bring was, bring was!« sagt sie. Ein Zipfel des Vorhangs wurde in die Höhe gehoben und hinter der sehr sauber geputzten Fensterscheibe erschien ein ältliches, gutmüthiges Frauengesicht. Brand wurde mit prüfendem Blick gemustert und schien einen Vertrauen einflößenden Eindruck zu machen; der Vorhang sank wieder, die Thür öffnete sich.

Auf die Frage, was er wünsche, gab er zur Antwort:

»Ich heiße Brand, ich möchte Frau Major von Müller sprechen, wollen Sie mich gefälligst bei der gnädigen Frau melden.«

Die Küche, in der er eingeladen worden war, bildete den Zugang zum Wohnzimmer. Von dorther ließ eine fröhliche Kinderstimme sich vernehmen, kleine Schritte trippelten, kleine Hände zerrten ungeduldig und ungeschickt an der Klinke der Thür. Sie ging auf. Aus einem Fenster ihr gegenüber strömte eine breite Lichtwelle herein, es sah ins Freie, und von leuchtendem Grunde hoben sich die Gestalten Sophiens und Annerls, die auf der Schwelle erschienen.

Brand grüßte mit einem tiefen Neigen des Hauptes: »Frau Major, gnädige Frau! entschuldigen, verzeihen Sie, daß ich es wage …«

»Verzeihen?« wiederholte Sophie – »ich habe Sie erwartet, Herr Rittmeister.«

Erwartet? ja dann! … dann waren alle seine Skrupel todt, dann war er von allem Bangen erlöst: »Brand, kurzweg, gnädige Frau, ich habe meinen Militär-Charakter« … Er hielt inne. Was Teufel kümmerte sie sein Militär-Charakter und in diesem Augenblick ihn selbst? Sie stand vor ihm, ihre Augen sahen ihn freundlich, gütig an, sie hatte ihn erwartet … »Gnädige Frau,« begann er von Neuem und – hörte auch damit auf. Wer zu viel zu sagen hätte, zu viel des Innigen, Warmen, Liebevollen, sagt lieber nichts.

Annerl zupfte die Mutter am Kleide: »Du Mama, das ist der Herr, der mir so gern etwas schenken möcht’.«

Sophie runzelte ein wenig die Stirn, und Brand wurde sich erst jetzt wieder bewußt, daß er seine Darbringungen noch immer unter dem Arme hielt:

»Können Sie mir verzeihen, gnädige Frau, daß ich mir den indiskreten Wunsch erfüllen wollte, daß ich, einer übermüthigen Regung nachgebend … ich bin beschämt, wirklich … besann mich zu spät, hätte unterwegs gern Alles weggeworfen, wenn ich nur gewußt hätte, wohin?«

Seine Verlegenheit entwaffnete sie, und sie lächelte sogar, als er die Puppe aus ihrer Umhüllung befreite, in beide Hände nahm und der Kleinen entgegen hielt.

Annerl war wie geblendet, sie betrachtete das kostbare Spielzeug mit scheuer Ehrfurcht, legte die Ärmchen auf den Rücken und wich Schritt für Schritt langsam zurück. Brand machte sich so klein er konnte und nahm die feinste Stimme an und den bittendsten Ton und zirpte:

»Nimm mich! ich bin eine gute Puppe, ich bin eine arme Puppe, ich habe keine Mama.«

Bewunderung und Zärtlichkeit drückten sich in den schönen Augen Annerls aus, aber sie setzte ihren Rückzug ununterbrochen fort. Brand folgte und hinter ihm ging Sophie, und hinter Sophie die Dienerin, die den Malkasten trug.

So gelangte die Gesellschaft in das Wohnzimmer. Es war niedrig, ärmlich und reinlich, hatte zwei Fenster und zwei Thüren und die Aussicht in einen ziemlich großen und gut gehaltenen Garten. Ein Arbeitstisch, über dem eine Petroleumlampe an der Decke hing, ein paar Schränke, vier Strohsessel bildeten die Einrichtung des grau getünchten Gelasses.

Georg, der, eifrig mit Zeichnen beschäftigt, am Tische gesessen hatte, war beim Einzug der kleinen Karavane aufgestanden, rückte einen Stuhl für Brand herbei und ersuchte ihn, Platz zu nehmen, mit einer hausväterlichen Art, die komisch gewesen wäre bei jedem anderen Kinde, bei diesem frühreifen, mit den Sorgen des Lebens schon vertrauten Knäblein jedoch wehmüthig berührte.

 

Sophie nahm Brand die Puppe ab und stellte ihm ihren Jungen vor: »Er hat mir gebeichtet, daß er unartig gegen Sie gewesen ist, er meinte – er fürchtete … Verzeihen Sie ihm. So einem kleinen Waarenausträger muß man leider Mißtrauen ins Herz pflanzen, und er ist dumm und unerfahren und wendet es am unrechten Orte an.«

Brand erwiderte, daran läge nichts, aber Georg soll jetzt beweisen, daß er sein Mißtrauen gegen ihn aufgegeben hat, indem er diesen Malkasten von ihm annimmt; »Willst Du, mein lieber Junge?«

Ob er wollte! Lautere Seligkeit strahlte aus seinem armen Gesichtchen, und er machte sich sogleich daran, die Geheimnisse des Wunderschranks zu erforschen: »Nein, aber – aber!« murmelte er, bei jeder neuen Entdeckung von Neuem entzückt, vor sich hin, und Brand staunte über die Geschicklichkeit, mit der das Kind die kleinen Werkzeuge in die Hand nahm, prüfte, und zu benützen begann.

»Sie hätten ihn nicht glücklicher machen können,« sagte Sophie; »und sehen Sie einmal die Kleine an.«

Annerl hatte sich endlich an das schöne Wickelkind, das auf dem Schoß der Mutter lag, heran gewagt, ihren Kopf an den seinen gelegt und streichelte ihm voll wonniger Zärtlichkeit die blonden Locken.

Sophie nickte ihr, dann aber auch Brand freundlich zu: »Die ist im Himmel. Und der Kunstjünger dort … Machen Sie sich gefaßt, jetzt bekommen wir ein wohlgetroffenes Bild von Ihnen,« sie deutete mit einem Augenwink nach Georg, der mit unendlichem Ernst daran gegangen war, Brand zu porträtiren.

Alles, was nicht zu seiner Beschäftigung gehörte, schien für den Kleinen versunken; der Eifer röthete seine Wangen, furchte seine kluge, überkluge Stirn. Er schob die Unterlippe ein wenig vor, hob die Augen zu Dietrich hinauf und senkte sie dann auf die Arbeit, nach einem so merkwürdig forschenden, in die Tiefe dringenden Blick, daß Brand sich auf dem lächerlichen Verdacht ertappte, daß diesem Kind mehr darum zu thun sei, ihm auf den Grund der Seele zu schauen, als sein Gesicht abzukonterfeien.

»Die Mutter hat heute viel zu thun,« sagte Georg plötzlich ganz laut, aber in sein Buch hinein.

Dietrich blickte Sophie fragend an. Ja wohl, es waren noch einige Nachbestellungen gekommen, die morgen abgeliefert werden mußten.

»Da kostet Sie die Zeit, die ich hier zubringe, etwas von Ihrem Schlafe?«

»Und was weiter?«

»Was weiter!« rief er bekümmert aus. Er war aufgesprungen: »Gnädige Frau, entschuldigen Sie, und nicht wahr? dieser Besuch gilt nicht; haben Sie die Großmuth, ihn zu vergessen.«

Sie reichte ihm die Hand: »Gut denn, Sie waren nicht da.«

»Und wenn ich komme, dann sagen Sie wieder: Ich habe Sie erwartet.«

XII

Bei seinem nächsten Besuche fand er sie allein. Sie hatte die Dienerin mit den Kindern ausgeschickt und gönnte sich nach den Anstrengungen der letzten Tage einige Stunden Ruhe. Sie lud ihn ein, am offenen Fenster Platz zu nehmen, und machte ihn aufmerksam auf die Schönheit eines jungen Kastanienbaumes, der über und über mit Blüthen bedeckt war. An dem Garten hatte sie ihre Freude, und nur sie und ihre Kinder durften ihn den Sommer über benützen, mit Erlaubniß des Hausherrn, der sich jetzt auf dem Lande befand. Der Garten wurde vortrefflich gehalten von guten und höflichen Leuten, und man konnte sich in ihm so frei bewegen wie im Zimmer, denn er war nur von Feuermauern umgeben.

Das Alles erzählte sie ihm ein bißchen unsicher und hastig, wie Jemand, der sich frägt, während er zu einem Andern spricht: Interessirt es Dich auch?

Und er wieder war froh, daß sie es übernommen hatte, die Konversation einzuleiten; er hätte nicht gewußt, wie das anfangen.

Sophie fuhr fort: »Sehen Sie, daran, daß ich so dasitzen kann mit den Händen im Schoß und hinaussehen auf dieses kleine Stückchen Natur, und davon einen Genuß habe, daran erkenne ich das Herannahen des Alters. In meiner Jugend war ich viel zu fleißig und auch viel zu sehr mit mir selbst beschäftigt, um mich in müßige Bewunderung der Außenwelt versenken zu können, und dazu hätte es in unserem schönen, alten Garten doch mehr Gelegenheit gegeben als hier.«

Brand blickte sie gerührt an, erwiderte einiges herzlich Unbedeutende und fing jeden Satz mit einem so durchdrungenen: »Verzeihen Sie« an, daß sie sich eines Lächelns nicht zu erwehren vermochte und endlich mit munterer Entschlossenheit sprach:

»Lieber Herr Rittmeister, Sie haben ein Schuldgefühl gegen mich, und davon will ich Sie befreien und zugestehen, daß ich Ihnen gegenüber im gleichen Falle bin. Ich habe ein Unrecht gegen Sie begangen.«

»Wirklich,« rief er freudig, »wenn ich … wenn Sie … Wie sieht das Unrecht aus?«

»Sie sind gut und theilnehmend gewesen, haben mir Hülfe bringen wollen, und ich – nicht daß ich ablehnte, das würde ich wieder thun, aber die Art, in der ich’s that, reut mich, und nicht erst jetzt, sie hat mich sogleich gereut und ich bitte …«

»Bitten Sie nicht,« rief er aus, »beschämen Sie mich nicht zu tief. Erweisen Sie mir lieber eine Gnade, würdigen Sie mich Ihres Vertrauens. Sagen Sie mir, ob Sie in diesem Augenblick doch so ziemlich, doch halbwegs sorgenfrei …«

»Meine drückendste Sorge,« erwiderte sie rasch, »ist jetzt die um Georg. Was soll aus ihm werden? Er ist zu schwächlich, um die Schule regelmäßig besuchen zu können; seine wohlwollendsten Lehrer rathen mir, ihn zu Hause unterrichten zu lassen. Ich habe das bisher selbst besorgt, und er hat es mir leicht gemacht. Aber wie lange werden meine Kenntnisse ausreichen, um einen Knaben zu unterrichten? Und den Umgang mit anderen Kindern völlig entbehren müssen – wie nachtheilig ist das für ihn, er wird immer mehr in sich gekehrt und weltfremd.«

»Gnädige Frau,« sprach Brand nach kurzem Besinnen, »Sie werden sich vielleicht noch erinnern, daß Erziehen von jeher mein Beruf war. Ich habe ihn nicht aufgegeben, ich übe ihn wieder aus in etwas veränderter Form. Ich habe mich der Kindererziehung gewidmet und finde darin eine hohe Befriedigung. Ich erlaubte mir, Sie um Ihr Vertrauen zu bitten …«

»Lieber Herr Rittmeister, Sie bitten um etwas, das Sie haben.«

»Dann, gnädige Frau, überlassen Sie mir die Erziehung Ihres Sohnes,« sagte Brand resolut, und dabei war seine Miene so ernst, so inständig bittend, und aus seiner Stimme klang ein so warmer Herzenston, daß Sophie trotz der peinlichen Überraschung, in die sein unerwartetes Anerbieten sie versetzte, nur Dankbarkeit empfand.

»Ich werde Ihr braves Kind zu einem braven Mann heranbilden,« fuhr Brand fort. »Übergeben Sie ihn mir; er ist in dem Alter, in dem ein Junge nicht mehr ausschließlich unter weiblicher Zucht stehen soll.«

»Unmöglich, unmöglich,« sagte Sophie. »Ein Kind in Ihrem Hause, bei Ihrer Ordnungsliebe!« Sie hielt inne, der schmerzliche Ausdruck, den seine Züge angenommen hatten, that ihr weh.

Er glaubte einen Anflug von Ironie in ihren Worten zu entdecken. Seine Ordnungsliebe war es ja im Grunde gewesen, die den Sieg davon getragen hatte über seine Liebe zu ihr: wollte sie ihn daran mahnen?

»Ich dränge Sie nicht zur Entscheidung,« begann er von Neuem, »ich bitte nur, erwägen Sie meinen Vorschlag, erweisen Sie mir diese Gnade.« Wieder blickte er sie lange und gerührt an, seufzte tief und sagte plötzlich: »Ja, ja, ich bin einst ganz dicht am Glück vorbeigegangen.«

»An dem, was uns damals als Glück erschien,« berichtigte sie. »Wir wollen offenherzig mit einander reden – offenherzig ist mehr als aufrichtig –, einmal und nicht wieder, da sich’s ja um Unwiderrufliches, Unwiederbringliches handelt. Ich habe in jener fernen Zeit sehr gelitten, Sie auch bitter angeklagt, später jedoch mich gefreut für Sie, daß Alles gekommen ist, wie es kam, und daß Sie nicht hereingezogen wurden in unser Elend. Es handelte sich bald nicht mehr um Armuth und Noth, sondern um Schande, um öffentliche Schande. Im Geheimen war sie längst da, trotz Allem, was Müller that, trotz der übergroßen Opfer, die er brachte, hoffnungsfreudig im Anfang – in der Folge hoffnungslos. Ich täuschte ihn nie, aber er ließ sich nicht entmuthigen. Bei ganz edlen Menschen, dachte er wohl, verwandelt sich die Dankbarkeit endlich in Liebe. Ich war so edel nicht – er mußte es zuletzt einsehen, erwartete nichts mehr, und verließ uns doch nicht, gab Alles für uns hin. Das uns das Ärgste erspart blieb, daß die Schmach vom Sterbebette meines Vaters ferngehalten wurde, war sein Werk. Als er sich dann anschickte, Abschied zu nehmen, ohne einen Lohn, ja ohne Dank zu erwarten, da entschloß ich mich, ihn nicht allein ziehen zu lassen, für den verarmten, kränklichen Mann zu arbeiten, ihm eine treue Pflegerin und Frau zu sein.«

»Sie haben Ihren Entschluß redlich ausgeführt,« sprach Brand nach einer langen Pause, »und nichts, nicht das Geringste zu bereuen. Wohl Ihnen.«

Er empfahl sich und ging heim und hatte ein sehr schweres Herz.

XIII

Zu Hause fand er ein nach Veilchen duftendes Billet von Madame Amélie. Sie bat ihn für denselben Abend zum Thee, im »tête à trois« mit ihr und ihrem Gatten. Es handle sich um eine wichtige, Frau von Müller betreffende Angelegenheit, die sie mit ihm besprechen wollten.

Die Eheleute empfingen Brand in einer traulichen Ecke des Salons, an einem elegant gedeckten Tischchen. Das beste Einvernehmen herrschte heute zwischen ihnen; sie waren wie Liebende, die nach kurzem Zerwürfniß ein großartiges Versöhnungsfest gefeiert haben. Amélie strahlte vor Hingebung, Wonne, Zärtlichkeit; Eduard neigte sich ihr gütig und milde zu. Er hatte Unrecht erfahren und verschmerzt, und ließ nun das Licht seiner Huld leuchten über der reuigen, wieder in Gnaden aufgenommenen Sünderin.

»Meine Frau und ich,« begann er nach dem ersten Austausch von Höflichkeiten, »kennen das väterliche Interesse, das Sie an Frau von Müller nehmen, Herr Rittmeister …«

»Ich bin nicht mehr Rittmeister.«

»Das Sie, Herr von Brand …«

»Ich bin nicht Herr von und kann Ihnen das Recht nicht zugestehen, mich zu adeln.«

Ein Ausdruck des Unmuths verzog die schönen Lippen Eduards; er war aber entschlossen, sich dieses Mal durch den bärbeißigen Pedanten nicht aus dem Gleichgewicht bringen zu lassen. »Herr Brand also,« fuhr er mit erhöhter Patzigkeit fort, wir zweifeln auch nicht, daß Sie, als der beste Freund des verstorbenen Majors, Einfluß auf seine Wittwe haben, und wollen Sie ersuchen, ihn zu Gunsten der Proportionen anzuwenden, die wir dieser Dame …« Er wollte sagen: »machen wollen,« das schien ihm aber zu gewöhnlich, und so sagte er: »proponiren wollen.«

Er hatte aus zuverlässiger Quelle erfahren, daß das Haus Bauer, das sich schon seit längerer Zeit bemühte, Madame Amélie Konkurrenz zu machen, »Konkurrenz dieser Frau, dieser genialen Frau, lächerlich, nicht wahr?« – Frau von Müller durch glänzende Anerbietungen für sich zu gewinnen suche: »Die Dame ist natürlich viel zu fein, um uns gegenüber ein Wort darüber zu verlieren. Wir aber wollen ihre Noblesse nicht mißbrauchen. Wir gedenken vielmehr sie so zu stellen, daß sie sich zu ihrem eigenen Vortheil für immer an uns fesseln lasse.«

»Propositionen proponiren – sie so zu stellen, daß sie sich fesseln lasse? Merkwürdig, murmelte Brand und war voll Mißtrauen. Wenn die Unbildung Phrasen drechselte, war sie ihm vollends ein Greuel.

Amélie nickte ihrem Manne beifällig zu, und er sprach ihr durch einen Blick seine Anerkennung ihrer Anerkennung aus.

Dann entwickelte das Ehepaar den Plan, den es gemeinsam »verfaßt« hatte, wie Eduard sich gewählt ausdrückte. Das Geschäft sollte in zwei Ressorts getheilt werden, Konfektion und Putzwaaren. An der Spitze des ersten blieb Fräulein Julie, an die Spitze des zweiten sollte Frau von Müller treten. Von eigentlicher Arbeit wurde sie entlastet, sie hatte die der Anderen zu überwachen und nur hier und da »un coup de main« zu geben. Ihre Erfindungsgabe, ihr Geschmack können sich in viel höherem Maße bethätigen, indem sie ihren Glanz über das große Ganze verbreiten, statt zur Herstellung einzelner »bijoux« zu dienen. Als Besoldung wurden zweitausend Gulden geboten, bei außerordentlichen Gelegenheiten, zu Beginn der Herbst- und Frühjahrssaison zum Beispiel, wenn die Bestellungen sich häuften, auch außerordentliche Remunerationen. Die Atelierstunden waren die zwischen acht Uhr Morgens und acht Uhr Abends mit entsprechenden Ruhepausen für die Mahlzeiten. Nur wenn es, wie schon gesagt, ungewöhnlich viel zu thun gab, wurden die Damen bis Mitternacht, wohl auch bis ein Uhr im Atelier festgehalten.

 

»Und dann können die Damen nach Hause laufen bei Nacht?« fragte Brand mit Schärfe.

»Ja, Monsieur,« erwiderte Madame Amélie, die von ihm ein ganz anderes Entgegenkommen erwartet hatte, »Equipagen kann ich ihnen nicht halten.«

»Nun, gnädige Frau, aufrichtig gestanden, ich werde Frau von Müller abrathen, auf den von Ihnen gewiß sehr gut gemeinten Antrag einzugehen.«

»Warum?« Amélie wechselte einen verständnißinnigen Blick mit ihrem Manne. Er hatte die Augen zum Kronleuchter erhoben, als ob er von dort Stärkung seiner hartgeprüften Langmuth erflehen wollte, und dabei einen leichten Seufzer ausgestoßen.

»Ah – ich errathe Alles – ich weiß?« Sie lachte und zeigte dabei ihre gesunden und noch ganz kompletten Zähne: »Eduard hat mir erzählt. Sie waren neulich Zeuge eines Scherzes, den er sich mit Madame Müller erlaubte, um sie ein wenig zu quälen. O die Männer sind immer grausam, am grausamsten aber doch, wenn sie lieben,« setzte sie hinzu und sah dabei ihrem Mann jämmerlich kokett in die Augen.

Der abgefeimte Racker hat das Prävenire gespielt, dachte Brand und benahm sich so borstig, daß er an diesem Abend das Wohlwollen Madame Vernons beinahe eingebüßt hätte.

Als er fortgegangen war, brach Eduard in Lachen aus:

»Wir haben ihm einen Strich durch die Rechnung gemacht.«

»Wieso?«

»Du fragst, kannst fragen? O, was habe ich für eine liebe, geniale, blinde Frau!.. Er will nicht, daß jemand Anderer dieser Müller ein »Sort« mache, er will selbst ihr »Sort« sein … O, er hat die gediegensten Absichten, er will sie heirathen.«

»Was Dir einfällt – der alte Herr.«

»Ist nicht so alt, kommt nur Dir so vor, bist halt verwöhnt durch den Anblick Deines Mannes,« schäkerte er. »Aber weißt Du was? wir spielen ihm einen Streich.«

»Warum denn? er hat uns ja nichts gethan.«

»Ich, ich bin eifersüchtig auf ihn,« rief Eduard in bezauberndem Übermuthe.

Madame Amélie war denn auch bezaubert.

»Wenn wir ihr nicht helfen von ihrer Armuth, entschließt sie sich am Ende und nimmt ihn und geht an seiner Seite in die ewige Langeweile. Mir könnte das zwar sehr gleichgültig sein, denn, wie Du weißt, ich mag sie nicht, aber ein Schaden fürs Geschäft wär’s, wenn wir sie verlieren würden. Deshalb, Schatz, wollen wir die Müller so stellen, daß sie seine Wohlthaten nicht braucht. Ich bitte Dich, schicke ihr morgen in aller Frühe einen Boten. Jetzt wär’s zu spät, jetzt schläft schon Alles bei ihr im Hause. Sie gehen ja dort zur Ruhe zugleich mit den Hühnern in ihrem Hofe.«

»Woher weißt Du, daß es Hühner giebt in ihrem Hof?« fragte Amélie rasch in einer Anwandlung von Mißtrauen. Eduard aber erwiderte ganz unbefangen:

»Ich bin einmal dort vorbeigekommen. Also schreibe heute noch und bescheide sie für morgen Mittag zu Dir. Sei vielleicht ganz besonders liebenswürdig und lade sie ein, die Kinder mitzunehmen. Denen machen wir einen guten Tag und schicken sie mit Fräulein Julie zu Wagen in den Prater. Bist Du dafür, mein Herz, mein geliebtes?«

Wenn er sagte: »Mein Herz, mein geliebtes,« war sie verloren und hatte keinen Willen mehr als den seinen. Ja, ja, Alles, was er bestimmte, sollte geschehen. Ihn ergriff eine tolle Lustigkeit, er nahm seine dicke Frau in die Arme und tanzte mit ihr im Zimmer herum.