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Rittmeister Brand; Bertram Vogelweid

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XIX

Der Besuch der Nachbarn wurde von Weißenberg und seinem Gast am folgenden Nachmittag erwidert. Als ihr Wagen über die Grenze fuhr, begann der Freiherr Vergleiche zwischen Obositz und Luchov anzustellen, die alle zu Gunsten Luchovs ausfielen:



»Obwohl die Bevölkerung ärmer ist als bei uns, hat sie fast keine Steuerrückstände und hat ein hinreichend dotirtes Armenhaus und Spital und eine gut organisirte Feuerwehr und einen Veteranenverein, der nicht wie der unsere drei Viertel seiner Einnahmen auf Landpartien verjubelt. Das Beste von allem aber ist: Gerhart hat Einfluß auf die Leute, während meine Obositzer lieber zu Grunde gehen, als einen Rath von mir befolgen würden. Und doch ist nie etwas geschehen, wodurch ihr Mißtrauen sich rechtfertigen ließe. Meine Eltern und Großeltern waren gute und hülfreiche Herren. Das Gut Luchov geht seit Generationen von einer Hand in die andere; warum ist gerade hier die Bevölkerung rechtschaffen, fleißig, nüchtern, warum erhält und entwickelt sich gerade hier die Kultur, während ringsum alles verwildert? Ja, warum? Wie kommt das Goldkorn in den Kies, in die Quarzgänge? Naturerscheinung, und die Kulturgeschichte ist Naturgeschichte.«



Am Ende des Dorfes bog ein breiter Weg, der zum Schloßgarten führte, von der Straße ab. Das Thor stand offen, und an einem der Pfeiler war eine Tafel mit einer böhmischen Inschrift angebracht.



»Schau,« nahm Weißenberg wieder das Wort. »Da steht: Hier wohnt der Vorsteher des Ortes Luchov. Gerhart ist zum Bürgermeister gewählt worden, nachdem er kaum einige Jahre hier zugebracht hatte. Einstimmig gewählt. Ich kann meine Wahl nicht durchsetzen, mich wollen sie nicht. Und sie könnten doch wissen, daß ich es ehrlich mit ihnen meine. Beweise dafür haben sie genug.«



Die zwei Kinder, die Bertram schon auf der Eisenbahn gesehen hatte, kamen mit offenen Armen auf Hugo zugelaufen, als er aus dem Wagen stieg: »Der Vater und die Mutter sind im Dorf, werden aber bald kommen,« sagte das Knäblein und schwenkte den breiten Strohhut vor Hugo, vor Bertram, vor dem Kutscher, begrüßte auch die Pferde, die er beim Namen anrief und erkundigte sich nach dem Befinden der Hunde in Obositz.



Indessen hatte Bertram einen Handschlag mit dem kleinen Mädchen gewechselt, das auf die Frage, ob es ihn noch kenne, antwortete: »O ja, du bist ein Vogel und ich,« sie warf sich in die Brust, »bin die Tochter des Bürgermeisters. Da kommt er schon und die Mutter auch.«



»Lauft ihnen entgegen, Kinder,« sagte Hugo. Aber der kleine Junge stellte sich der Schwester, die schon davonstürmen wollte, mit ausgespreizten Beinen in den Weg und redete eifrig mit einer wahren Richtermiene auf sie ein:



»Du darfst nicht, du weißt recht gut. Du siehst doch, daß der Vater mit dem Leschka spricht. Wir dürfen nicht zu ihm, wenn er mit einem großen Menschen spricht,« wandte er sich erklärend an Weißenberg.



»Das nenn’ ich Kinderzucht,« meinte der. »Ja, ja, da könnt’ ich was lernen. Mein Junge war seinerzeit auch ein lieber Kerl. Weiß Gott, wie’s kommt, daß er sich so kurios herausgewachsen hat.«



Der Graf und die Gräfin wurden von einem bäuerlichen Ehepaar, einem stattlichen Greise und einem hochgewachsenen, spindeldürren Weibe, begleitet. In dem Mann erkannte Bertram einen der Bauern, die er gestern auf dem Wege nach Vogelhaus in Gesellschaft Meisenmanns getroffen hatte; die Frau war eine unheimliche Erscheinung, mit ihrem wie aus Citronenholz geschnittenen Gesichte und dem stechenden Blick ihrer dunkeln Augen.



Gerhart grüßte seine Gäste, blieb aber am Thor stehen und ließ sich nicht stören in seiner Verhandlung mit dem Bauern. Die Gräfin eilte auf Weißenberg und Bertram zu, und das Weib folgte ihr, unaufhörlich sprechend in gleichmäßig klapperndem Tone. Plötzlich vertrat die Alte ihr den Weg, streckte die Rechte aus, streichelte ihr die Wange, sagte dabei etwas, das sich offenbar auf die Kinder bezog, und hastete davon.



Die Gräfin hatte die unerwünschte Liebkosung ruhig erduldet, deutete mit einer Bewegung des Kopfes nach der Forteilenden und sprach zu Weißenberg: »Antisemitischer Wahnsinn, importirt aus Obositz. Die Leschkova hat mir eben empfohlen, auf meine Kinder acht zu geben, damit sie nicht einem Ritualmorde zum Opfer fallen und er, Leschka, will, daß alles daran gesetzt werde, den einzigen Juden, den wir im Dorfe haben, den kleinen Handelsjuden Moschko, der seit zehn Jahren unangefochten hier haust, um sein Wohnungsrecht zu bringen. Gerhart hat zu thun, dem Herrn Gemeinderath, hinter dem schon eine Partei steht, den Kopf zurecht zu rücken.«



»Schad’ um die Müh. Sie ist verschwendet. Einen Bauern kriegt unsereins nicht herum.«



»Mein Mann hat schon so manchen herumgekriegt,« erwiderte die Gräfin mit ruhiger Sicherheit, und Bertram sah sie bewundernd an. »Mein Mann,« das hatte sie mit demselben beglückten Stolze, mit eben solcher Zärtlichkeit gesagt, mit denen er sagte: »Meine Frau.«



Nach zehn Ehejahren war die Zuneigung dieser beiden Menschen noch warm und begeistert wie junge Liebe und durch die Zeit vertieft, durch Treue geheiligt worden.



»Dein Meisenmann säet Drachenzähne,« sprach Gerhart, der nun auch herbeikam, zu Weißenberg. »Er predigt Deutschenhaß und Antisemitismus. Wann kriegen wir ihn endlich einmal fort aus unserer Gegend, wann zieht er als Professor in das goldene Prag?«



»Im Herbst, denk’ ich.«



»Erst?« Die Gräfin zuckte die Achseln. »Nein, lieber Freund, daß Sie den nicht hinausgeworfen haben, als er sich bei Ihnen um unsere Gertrud bewarb, verzeih’ ich Ihnen nie.«



»Je nun, sie könnt’s schlechter treffen. Er hat sie sehr gern und ist ein guter Mensch.«



»Ein guter Mensch, der Böses thut.«



»Ach was! Deklamirt gegen die Deutschen und gegen die Juden und würde doch keinem ein Haar krümmen.«



»Werden die Leute, die er verhetzt, ebenso platonisch hassen?« fragte Gerhart. »Ich glaube, daß sie sehr aufgelegt sind, zu Knütteln und Beilen zu greifen. Das bedenkt er nicht, der Maulheld, oder macht sich kein Gewissen draus. Ein roher Kerl, der aus eigenster Überzeugung selbst dreinschlägt, ist mir lieber.«



»Mit einem solchen kann ich dir auch aufwarten; hab’ erst neulich meinen Heger vor ihm retten müssen, der ein paar Holzdiebe arretirt hatte und den er dafür zur Rechenschaft zog. Er ist ein ehemaliger Schlossergeselle, zieht hier herum und verbreitet die sozialistischen Lehren auf dem Lande. Ich kenn’ ihn seit Jahren; er war ein tüchtiger Arbeiter, bis er ein Rednertalent in sich entdeckte. Das ist das einzige, das er jetzt ausübt, und wo seine Zunge nicht ausreicht, hilft er mit den Fäusten nach.«



Der Graf führte seine Gäste in den Garten, der hübsch angelegt war, sich aber an Größe und Schönheit mit dem Obositzer nicht vergleichen konnte. Vor zwei Jahren hatte ein Wirbelsturm hier gehaust und die schönsten Bäume ihrer Kronen, viele auch der Hauptäste beraubt.



Bertram wurde immer schweigsamer. Schadenfeuer, Deutschenhaß, sozialistische Agitation, Wirbelsturm – das waren freilich Dinge, an die er nicht gedacht hatte, als er noch in seiner Bratröhre saß und den Aufenthalt auf dem Lande für die reine Idylle hielt.



Aus dem Garten ging man in den Meierhof und in die Stallungen; die Fütterung war vorbei, den Rindern die Streu zum Nachtlager zurecht gemacht, der Boden wurde gekehrt, die Barren wurden gereinigt. Beaufsichtigt oder nicht, verrichteten die Leute emsig und ruhig ihre Arbeit, und Bertram bewunderte die Sauberkeit und Ordnung, die nach vollendetem Tagewerk allenthalben herrschte.



»Es bleibt noch manches zu wünschen übrig,« erwiderte der Graf, »und, glauben Sie mir, lernen können Sie bei uns nichts. Wir sind selbst Schüler, wir richten uns, so viel wir können, nach der Wirthschaft in Obositz. Da steht unser Vorbild.« Er klopfte Weißenberg liebreich und respektvoll auf die Schulter.



Der lehnte ab: »Den Mechanismus hab’ ich in leidlichen Stand gesetzt, aber mein Werk ist todt, weil ich die Menschen nicht gefunden habe, die auf meine Absichten eingehen; im Gegentheil, mit wenigen Ausnahmen lauter Gegner, offene und geheime. Abgetrotzt muß ihnen werden, was sie mir leisten sollen. Dir thun deine Leute was zu lieb, mir zu leid, was sie können!« Er kam wieder auf seine Naturerscheinung zurück, und man sah wohl, daß Gerhart ihm nicht recht gab, sich aber schwer entschloß, dem verehrten Manne zu widersprechen.



»Daß deine Obositzer nicht viel taugen, ist ausgemacht,« sagte er. »Vielleicht hat gerade die Großmuth ihrer früheren Herren, die ihnen materiell nützte, ihnen moralisch geschadet. Du, Lieber, Bester, bist in vielem zu gut und nachgiebig.«



»Aha, ich verstehe, das heißt schwach.«



»Verzeih, ja, in vielem – in anderem wieder – wie soll ich sagen? – zu empfindlich. Bist halt vom alten Schlag, hast noch Erinnerungen an eine Zeit, in der der Grundbesitzer der Herr gewesen ist. Das merken diese Menschen, die sich nicht mehr beugen und unterordnen wollen. Bei mir ist’s anders, ich bin hier von allem Anfang an ein Gleicher unter Gleichen gewesen. Manches, das dir rücksichtslos erscheint, kommt mir selbstverständlich vor. Sie haben mich zum Bürgermeister gewählt, ja, aber wer weiß, ob sie mich wieder wählen, wenn meine Zeit um ist? Ihre Interessen liegen mir am Herzen wie die meinen, sie sind die meinen, wie die meinen die ihren sind – trotzdem: der Klassenhaß, der Argwohn wurzeln schon zu tief in den Gemüthern. Meine Treuesten wissen nicht, was sie antworten sollen, wenn ein Sozialist – ich achte jeden uneigennützigen! – sie fragt: Warum wählt ihr einen Grafen?«



Die Gräfin hatte sich mit den Kindern ins Haus begeben und ließ nach einer kleinen Weile die Herren zur Jause rufen. Aber Gerhart, der eben angefangen hatte, eine nöthig gewordene Grenzregulirung mit Weißenberg zu besprechen, ersuchte Bertram, einstweilen allein voraus zu gehen.



Der Salon, in dem die Hausfrau ihn empfing, war behaglich eingerichtet, spiegelhell und geräumig. Die bunten, doch geschmackvollen Cretonnetapeten und Draperien erinnerten Bertram an Turgenjews Schilderung des Gastzimmers Frau Shipjagins, und zugleich fiel ihm ein, daß er hier das Widerspiel der Gattin des russischen Staatsmannes vor sich habe. Einen größern Kontrast zwischen ihrem gemachten Wesen und dem der lieben Frau, die ihn jetzt einlud, am Tische Platz zu nehmen, konnte es nicht geben.

 



»Die Herren sprechen von Grenzregulirung. Da finden sie kein Ende, und wir wollen nicht auf sie warten. Nehmen sie eine Tasse Thee?« fragte sie.



Aber er wünschte ihrem Beispiel und dem der Kinder zu folgen und bat um ein Glas Milch. »Ich muß wenigstens im kleinen alles Nervenaufregende vermeiden.«



»Wenn Sie das nur auch im großen könnten.«



»Freilich, wenn! Aber Sie wissen, Frau Gräfin, ein Jahr lang muß noch gesündigt werden auf meine Nerven, ein Jahr lang muß ich noch frohnen, widerstrebend, verzweifelnd, aber ich muß!«



»Durchaus?«



»Durchaus. Ich darf meine Zeitung, meine alte Nährmutter, nicht sitzen lassen. Es wäre eine Treulosigkeit.«



»Dann thun Sie’s nicht,« versetzte die Gräfin rasch. »Wie schwer es Ihnen auch falle, thun Sie’s nicht.«



Er hob den Kopf, den er hatte sinken lassen, und blickte ihr in die Augen. Einen andern Rath, als den, treu zu sein, kann nicht geben, wer so ehrliche Augen hat. Alles echt an der Frau und klar wie der Tag. Wieder kam die Ähnlichkeit zwischen ihr und Gertrud ihm in den Sinn, eine rein geistige Ähnlichkeit. Er konnte nicht umhin, der Gräfin diese überraschende Beobachtung mitzutheilen und ihm schien, als ob ein Lächeln voll gutmüthigen Spottes ihre Lippen umspiele, als sie sprach:



»Mein Mann hat mir schon gesagt, daß Sie das finden.« Dabei blickte sie ihm fest und freundlich ins Gesicht, und schon war er im Begriff sein Herz vor ihr auszuschütten, als Weißenberg und Gerhart eintraten.



Die beiden Kinder hatten wie auf Verabredung ihre Sessel immer näher an Bertram herangerückt. Auf einmal legte sich ein kleiner Arm um seinen Hals, und Gretl flüsterte ihm zu:



»Du sollst später zu uns kommen.«



»Komm’ nur,« ergänzte Hans, »wir haben einen Rutschberg, da kannst du mit dem Dackerl fahren, er fährt auch gern.«



»Ich komme gewiß,« erwiderte Bertram und drückte den kleinen Arm an seinen Mund und hatte antizipirte Vatergefühle. In der Nähe dieser Frau, dieser Kinder, im Frieden dieses Hauses wehte eine Atmosphäre der Lauterkeit, der Gesundheit, die einzuathmen Heilung und Segen war.



Beim Abschied küßte er der Gräfin die Hand, schüttelte die Gerharts viele- und vielemale und erschöpfte alle Beredsamkeit, über die er zu verfügen hatte, mit den Worten:



»O Herr Graf, o Frau Gräfin, o Seelencurort Luchov!«



XX

Die erste Stunde nach Sonnenuntergang war angebrochen. Mild und klar die Luft, alle Farbentöne gedämpft und harmonisch, alle Schatten durchsichtig. Aber schon vertiefen sie sich, wie heiterer Frieden in feierliche Wehmuth übergeht, wenn sich in Erinnerung verwandelt, was seliges Genießen war. Hochsommerabend. Kein jubelvolles Wachsen der Tage mehr, die Höhe ist überschritten, nun kommt die Wende.



Die Freunde hatten während ihrer Heimfahrt lange schweigend nebeneinander gesessen. Auf einmal sprachen beide fast zugleich, und sie mußten so ziemlich denselben Gedanken verfolgt haben, denn Weißenberg sagte:



»Ich bin auch ein glücklicher Mensch,« und Bertram sagte:



»Es wäre höchste Zeit für mich, glücklich zu werden.«



»Meine Frau ist eine Frau allerersten Ranges,« begann Hugo von neuem, und Bertram erwiderte mit plötzlicher Heftigkeit:



»Und wenn ich nicht auch eine Frau allerersten Ranges bekomme, wenn deine Nichte mich verschmäht, bin ich ein ärmerer Teufel, als ich je war. ‘Wer die Schönheit hat gesehen mit Augen’« ..



Weißenberg verschränkte die Hände über dem Magen und sprach: »Ob ich’s nicht vorausgesehen habe! Ich hätte sie wegschicken sollen. Hab’ mir noch gedacht, schick’ sie weg.«



»Das konntest du dir denken? Du wußtest, er muß sie lieben und hättest sie aus dem Wege räumen mögen? Du hättest mir das anthun können? Du, du!« Er schüttelte den Kopf wie einer, der die bitterste, die schmerzlichste Enttäuschung erlebt hat.



Weißenberg drückte sich in die Ecke des Wagens und sah ihn von der Seite an: »Wenn du sie nicht gesehen hättest, würdest du sie schwerlich geliebt haben, mein ich.« Und jetzt fiel er aus dem Ton des weichen Vorwurfs in den der Anklage; »Du bist unrettbar verliebt. So unvernünftig redet ein sonst Vernünftiger nur, wenn er unrettbar verliebt ist.«



»Und wenn ich’s bin?«



»Und wenn sie’s wird und dich nimmt – du bist nicht reich, und sie bekommt von uns nur ein ganz kleines Heirathgut – dann hast du dich sehr geirrt, wenn du auf ein sorgenfreies Leben in deinem Vogelhaus gehofft hast. Dann geht die Müh’ und Plag’ erst recht an.«



»Frevle nicht! Sprich nicht von Müh’ und Plage – du kennst sie nicht. Mensch, der immer hat, was man nicht zu schätzen weiß, wenn man’s nicht hat – Zeit. Was schiert mich Müh’ und Plage, wenn ich Zeit hab’, mich zu mühen und zu plagen? Es giebt nur eine Qual: Mehr Arbeit als Fähigkeit sie zu bewältigen, innerhalb einer unverrückbaren, eisernen Frist. Und was für Arbeit – nicht gebenedeite Feldarbeit unter Gottes freiem Himmel, bei der die Brust weit, das Auge hell wird und die Kräfte wachsen – wie ich sie jetzt schon wachsen fühle in diesen meinen Armen!« Er hob sie hoch empor. »Nein, Gedankenarbeit, ein Aufwerfen schillernder Blasen, in denen fremde Gedanken sich spiegeln, mehr ist’s nicht. Mein ganzes, sogenanntes Schaffen Rauch und Dunst, aber auch der, lieber Freund, auch der kann nur einem siedenden Gehirn entsteigen.«



»Na, na,« sagte Weißenberg. »Ich bitte dich, hör’ auf. Du sprichst dich sonst in einen Anfall von Nervosität hinein.«



»Er ist vorüber. Ich wollte dir nur erklären –«



»Brauchst nicht. Wenn man auch nur einen Don Juan u. s. w. vor der Ankunft eines gewissen Jemand fertig bringen wollte, kann man sich schon einen Begriff machen … aber ich sag’ dir doch … es giebt Ärgeres.«



»Du sagst mir?« – Mit Entrüstung hatte er’s hervorgestoßen und – schämte sich ihrer sofort, denn der Freund sprach:



»Was wird aus meinem Hagen werden?« – Plötzlich, mit einem schmerzlich gepreßten Laut entrang es sich seiner Brust. Man sah es wohl, das war seine Lebenspein. Wie selten er sie aussprach, sie quälte ihn immer.



»Ich will dir einen Vorschlag machen,« erwiderte Bertram. »Gieb mir den Jüngling mit nach Wien.«



»Nach Wien? Dort geht er vielleicht ganz zu Grunde.«



»Hier aber gewiß, in seiner Ausnahmsstellung auf dem Gymnasium eurer kleinen Stadt. Die einen hofiren ihm aus Interesse, die anderen feinden ihn an aus Neid oder Vorurtheil – lauter Gift. Schmeichelei oder Verfolgung – seine Eitelkeit wird durch beide genährt.«



Nun sprach er von einem gemeinsamen Freunde aus früherer Zeit, einem gewiegten Pädagogen, mit dem er in Verbindung geblieben: »Dem möcht’ ich Hagen anvertraut sehen, das ist der rechte Mann! Der würde ihn im Zügel halten, ohne ihn je die Abhängigkeit unnöthig fühlen zu lassen.«



»Aber Wien … die Versuchungen einer großen Stadt.«



»Versuchungen hat er in der kleinen auch. Sie rücken ihm da noch viel näher.«



Halb und halb gab Hugo ihm recht, wollte die Sache erwägen, sich jedenfalls mit seiner Frau darüber berathen.



»Thu’ das,« versetzte Bertram, und sie versanken wieder in ihr früheres Schweigen.



XXI

Morgen rede ich mit ihr, – heute rede ich mit ihr, war Bertrams letzter Gedanke beim Einschlafen und sein erster beim Erwachen gewesen. Er stand zeitlich auf und ging in den Garten und hoffte sie dort zu finden, aber umsonst. Das Wetter war freilich nicht einladend, der Himmel aschgrau, am Horizont ballten sich schwer und drohend riesige Wolken und glichen einem phantastischen Gebirgszuge.



Später erst traf Bertram die Ersehnte in Gesellschaft ihrer Cousine, auf dem Wege nach der Nähschule im Dorfe, und von dort aus gedachte Gertrud einen Krankenbesuch bei einer alten Pensionistin im Namen der Tante abzustatten.



Das könnte die gute Baronin auch selbst thun, dachte Bertram, ging auf sein Zimmer, legte seinen neuen Lodenanzug an, der ihn vom Kopf bis zu den Füßen wetterfest machte und begab sich nach Vogelhaus.



Auf dem Felde nächst der Villa war eine Anzahl Tagelöhner und Fuhrleute in voller Thätigkeit. Das Getreide sollte noch vor dem Ausbruch des Regens unter Dach gebracht werden. Ein hochbeladener Erntewagen fuhr eben ins breit gähnende Thor der Scheune ein, auf einen anderen wurden die letzten Garben kunstvoll gehäuft. Waniek leitete die Arbeit, hatte die Augen überall, gab gelassen seine Befehle, und ohne Einwand und ohne aufhaltsame Hast wurden sie vollzogen.



Als Bertram erschien, änderte sich das Bild. Die Weiber legten die Rechen weg, wischten den Schweiß vom Gesicht und jammerten über die Hitze. Die Arme und Beine der Männer waren plötzlich wie mit Blei eingegossen. Die aufgespießten Garben schwankten lange auf den Zinken der Gabel, ehe die Lader die Kraft aufbrachten, sie zum Ordner emporzuheben, und den hatte eine solche Müdigkeit überkommen, daß Waniek ihn vom Wagen herabsteigen hieß und seine Stelle einnahm.



Ein paar heftige Windstöße erbrausten, Staubwolken wirbelten, dann fielen die ersten, schweren Regentropfen. Männer und Frauen verlegten sich auf Wetterbeobachtungen, und drangen alle zugleich auf Bertram ein; einige bittend und klagend, andere mit brüsk heischenden Gebärden.



Er verstand sie nicht, wandte sich an Waniek und fragte:



»Was wollen sie?«



»Ganzen Tagelohn wollen’s,« war die phlegmatisch und verächtlich ertheilte Antwort.



»Sie sollen ihn haben, natürlich, was können denn sie dafür, daß es regnet?« Bertram nickte gewährend und rief den Leuten eines der wenigen Worte zu, die er erlernt hatte:



»Ano, ano!«



»Ano!« wiederholten sie und lachten den großmüthigen Arbeitgeber an, und er konnte sich mit dem besten Willen nicht verhehlen, daß diese Lustigkeit eine starke Zugabe von Geringschätzung hatte. So schweigsam man früher gewesen war, jetzt wurde geplaudert, geschrien, aller Thätigkeitsdrang schien sich in die Zungen geflüchtet zu haben. Nicht ruhig, wie die früheren, fuhr der letzte Wagen in die Scheune. Die Pferde, übermäßig angetrieben, wurden stutzig, mußten ausgespannt und andere vorgespannt werden. Einzig und allein der Energie Wanieks war’s zu danken, daß auch diese Fuhre eingebracht wurde, ehe der Platzregen niederging.



Bertram begab sich ins Haus. Es kam ihm heute ganz besonders schmuck vor und war in der That auf den Glanz hergerichtet. Auf der Stiege lag ein Lauftuch aus Kokosstroh, eine Binsenmatte auf dem Gange, die Klinke der Thür, die zum Wohnzimmer führte, blinkte freundlich einladend wie ein Freundesauge. Komm nur, komm, tritt ein, schien sie zu sagen. Jetzt sah er auch, daß ein Pergamentstreifen an dem Schlüssel hing und auf dem waren die Worte zu lesen: Berthas Dank.



Nein, diese Baronin, diese allerletzte Romantikerin, welch einen wunderbaren, guten, lieben Einfall hatte sie gehabt! Bertram fand seinen Salon genau wie den Goethes in Weimar eingerichtet. Im Schlosse mußten sich Möbel aus der Zeit der großen Klassiker vorgefunden haben, denn da standen sie, altmodisch ehrwürdig und prächtig erhalten. An der Wand das wohlbekannte Kanapee mit steifen Rücken- und Seitenlehnen und abgestumpftem Aufsatz unter einer trefflichen Reproduktion der aldobrandinischen Hochzeit und davor der runde, mit einem Teppich bedeckte Tisch. Auch ein Klavier war da, dieses aber kein alterthümliches Juwel, sondern ein, wenn auch nicht neues, doch vorzügliches Instrument. Hingegen stand im Arbeitszimmer ein dem Goetheschen ähnlicher Bücherschrank. Das Stehpult ihm gegenüber, der Tisch in der Mitte der Stube, die beiden Sessel, das Kissen erinnerten gleichfalls deutlich an ihre Urbilder. In solcher Nutzanwendung ließ sich Bertram die Litteratur gefallen und ging äußerst gerührt von einem Einrichtungsstück zum anderen, ans Klavier aber setzte er sich und schlug einige Akkorde an. Seit dem Tode seiner Mutter hatte er keine Taste mehr berührt. Nun kam plötzlich die Begeisterung über ihn. Sein musikalisches, sein kleines, aber sein wirkliches, armes, vernachlässigtes Talent gab einige schwache Lebenszeichen. Er phantasirte, er begann zu singen: »Hier gedachte still ein Liebender seiner Geliebten,« anfangs leise, dann immer lauter, immer hingerissener, endlich brüllte er’s hinaus: »Hier gedachte still …«



Ein Klopfen an der Thür unterbrach ihn, Waniek trat ein, und Bertram ward bestürzt und entschuldigte sich:



»Lieber Waniek, ich glaube, ich habe gesungen, ich kenne mich nicht vor Freude, müssen Sie wissen; welche Überraschung habt Ihr mir bereitet!«

 



Waniek sah ihn mit der freudigen Theilnahme eines gerührten Vaters an: »Wirdé hochwohlgeborene Frau Baronin fraien, wenn héerte, daß gnädige Herr Fraide haben.« Ein gutes Lächeln lagerte auf seinen breiten Lippen, er wußte etwas von jedem Gegenstand zu erzählen, der aus dem Möbeldepot des Schlosses nach Vogelhaus geschafft worden war. Das Schreibpult hatte dem seligen Excellenzherrn gedient, auf dem Kanapee hatte Kaiser Joseph gesessen, als er den Großvater des Herrn Barons in Obositz besucht hatte. Bald aber ging Waniek vom Historischen zum Praktischen über. Er mußte sagen, daß der gnädige Herr Vogel nicht weiter wirtschaften dürfe, wie er angefangen hatte. Für einen halben Arbeitstag einen ganzen Taglohn auszahlen, »isé nix.« Die Leute sollen nicht eben so viel Geld wie gewöhnlich und noch einmal so viel Zeit haben, um es auszugeben. Dabei kommen nur Räusche heraus, die statt um vier Uhr früh, wie sich’s gehört, erst um Mittag ausgeschlafen sind. Auch mit dem Arbeiten des gnädigen Herrn Vogel auf dem Felde war Waniek nicht einverstanden. Wenn er sich durchaus nützlich machen wolle, könne es höchstens als Aufseher geschehen, sonst lachen die Leute den gnädigen Herrn aus.



»Aber, mein lieber Waniek, wie soll ich denn ein Aufseher sein, wenn ich gar nichts verstehe?« wandte Bertram ein.



»Wer’n schon lernen.«



»Von Ihnen! Nehmen Sie mich in die Schule, ich habe Ihnen gut zugesehen. Die Leute gehorchen Ihnen und haben Respekt vor Ihnen, weil Sie alles hundertmal besser verstehen und machen können als jeder andere. Darum will auch ich Ihnen gehorchen und so lange Unterricht bei Ihnen nehmen, bis aus mir ein tüchtiger Ökonom geworden ist. Sie sind Soldat gewesen, richten Sie mich ab, wie ein Wachtmeister den Rekruten, kommandiren Sie mich.«



Waniek hatte wieder sein prächtiges Lächeln: »Werd’ schon kommandiren, wenn befehlen,« sagte er und verabschiedete sich in seiner kraftvollen und bescheidenen Ruhe; der Beneidenswerthe!



Bertram trat ans Fenster und sah ihm nach. Da stand er im Vorgärtchen und schnitt aus bereitliegenden Rasenziegeln Streifen zurecht, die wahrscheinlich zur Einfassung von Blumenbeeten bestimmt waren. Bei der Arbeit könnte Bertram ihm helfen und würde es mit dem größten Vergnügen thun; aber leider ging’s nicht an. Leider gebot ihm die einfachste Pflicht der Höflichkeit, augenblicklich nach Obositz zurückzueilen, um der Frau Baronin zu danken, gleich im ersten Freudenausbruch. Hastig knöpfte er die Lodenjoppe zu und griff nach seinem Hute. Ein dunkles Gefühl sagte ihm freilich: Was dich jetzt wieder auf und davon jagt, ist ein ganz anderes als reines, pures Dankbarkeitsbedürfniß, es ist die fieberhafte Unstätheit, die dich seit Tagen in schwebender Pein, ein lebendes Pendel, hin und her treibt zwischen Obositz und Vogelhaus. Ja, das war’s und war ein unabwendbares Schicksal, in das es hieß, sich fügen mit männlicher Ergebung.



Nachdenklich ging er die Treppe hinab und mit etwas verlegenem Gruße an dem fleißigen Waniek vorbei in den strömenden Regen hinaus. Gar bald besiegte das Bewußtsein, daß jeder Schritt ihn der Vielgeliebten näher führte, alle unbehaglichen Empfindungen. Herrlich erschien ihm sein Spaziergang unter der Himmelstraufe. Welch ein Unterschied zwischen der Stadt und dem Lande! Dort schütten die Wolken nassen Ruß auf unsere Häupter, hier weiches, thauklares Wasser. Übermüthig schob Bertram den Hut ins Genick, warf den Kopf zurück und bot sein Gesicht dem Regen dar. Wohlthuend kühl rann er ihm über die Stirn und die Wangen. Der Sturm hatte sich gelegt, mit sanftem, gleichmäßigem Rauschen fiel der Regen zur heißdürstenden Erde nieder, die ihm alle ihre Poren öffnete und neu belebt den Duft ihrer urkräftigen, zähen Schollen als urgesunden Athem ausströmte.



In der Nähe der Wegstelle, an der ein Fußsteig abzweigte und dem Dorfe zulief, waren einige Linden im Dreiecke gepflanzt. Am Stamme der einen lehnte eine weibliche Gestalt, in einem langen, grauen Mantel, und sie schien etwas Rothes in den Armen zu tragen und nun etwas Weißes in Bewegung zu setzen. Sollte das vielleicht ein Taschentuch sein, und gab sie ein Nothsignal?



Er beschleunigte seine Schritte und hörte ganz deutlich seinen Namen rufen, und nun überrieselte es ihn auch im bildlichen Sinne, denn o Zufall, verhüllter, geheimnißvoller Gott! Die ihn rief, war sie, seine unbewußte Quäl