Za darmo

Rittmeister Brand; Bertram Vogelweid

Tekst
0
Recenzje
iOSAndroidWindows Phone
Gdzie wysłać link do aplikacji?
Nie zamykaj tego okna, dopóki nie wprowadzisz kodu na urządzeniu mobilnym
Ponów próbęLink został wysłany

Na prośbę właściciela praw autorskich ta książka nie jest dostępna do pobrania jako plik.

Można ją jednak przeczytać w naszych aplikacjach mobilnych (nawet bez połączenia z internetem) oraz online w witrynie LitRes.

Oznacz jako przeczytane
Czcionka:Mniejsze АаWiększe Aa

XV

Bertram lief ins Schloß, um seine Morgenschuhe mit Reitstiefeln zu vertauschen, bei einem Haar hätte er Sporen angeschnallt. In den Sattel stieg er nicht, sondern schwang er sich und ergriff die Zügel mit solcher Entschlossenheit, daß die Kuh die Ohren spitzte. Aber das imponierte ihm mit nichten. Spitze du, dachte er, ich sitz’ das aus. Hier bin ich Mann und nicht Schreiber. Munter und kühn trabte er vorwärts und traf eine Viertelstunde vor dem Zuge auf der Station ein. Die Kuh war dort eine bekannte Persönlichkeit. Sie wurde bei besonderen Anlässen, dem Aufgeben und in Empfang nehmen von Geldbriefen und dergleichen vom Postboten herübergeritten, und während der seine Gänge besorgte, in den Schuppen eingestellt.

Das geschah auch heute auf die freundliche Einladung des Herrn Expeditors, sie erhielt Gastfreundschaft für den Nachmittag, und Bertram ließ ihr zur Unterhaltung ein Bündel Heu vorsetzen. Dann trat er an den Schalter mit großartiger Ruhe – er war freilich der einzige Passagier – und löste zwei Billete erster Klasse, eines zur nächsten Station, eines nach Trzebinia, begab sich auf den Perron und erwartete den Zug. Ein paar Träger schlotterten daher, vorahnend, daß es keine Beschäftigung für sie geben werde. Ein kleines Mädchen barfüßig und zerlumpt, mit verwilderten, staubigen Haaren, brachte auf einem angebrochenen Teller schöne, schwarze Kirschen herbei. Jeder der Träger machte sich das Vergnügen ihr einige davon zu entreißen, und Bertram, der Landessprache unkundig, mußte zu dieser Brutalität schweigen. Aber auch schweigend vollbringt der Hochgemuthe eine rettende That. Er ging auf die Kleine zu, steckte ihr einen Gulden in die Hand, eine Kirsche zwischen die Zähne und wies mehrmals nacheinander von dem Inhalt des Tellers auf ihren Mund, und von dem Fleck, auf dem sie stand, nach dem Ausgang. Sie lachte, sie begriff, stopfte gleich ein halbes Dutzend der saftigen Früchte in den Mund und rannte davon.

Das Glockenzeichen wurde gegeben, majestätisch fuhr der Zug ein. Aus dem Fenster eines Coupés dritter Klasse neigte sich ein schwarzes Lockenhaupt, das ein riesiger Rembrandthut malerisch beschattete.

»Hierher, Schaffner! hierher!« rief eine dünne Stimme, und im nächsten Augenblick erglänzten auf den Stufen des Waggons ein Paar Lackstiefeletten, zwei kurze Beinchen hüpften zur Erde, blieben aber plötzlich steif und regungslos stehen:

»Willkommen, Just Carolus!« sprach Bertram und lüftete den Hut. Der Rembrandt wurde einen halben Meter hoch über das Lockenhaupt gehoben.

»Sie, Herr Vogel, welche Überraschung.«

»Wir haben nur eine Minute Aufenthalt! steigen Sie wieder ein und wundern Sie sich später. Die Frau Baronin schickt mich Ihnen entgegen. Infolge eines Mißverständnisses wurde der Wagen aus Obositz nicht hierher, sondern zur nächsten Station dirigiert. Steigen Sie ein. In dieses, das nächste Coupée!«

»Erste Klasse, so? ach ja, das ist ja sehr aufmerksam von der Frau Baronin.«

»Sie haben Gepäck bei sich?«

»Diese Tasche.«

»Es ist doch alles drin, was Sie der Frau Baronin mitbringen wollten, ihre Briefe, ihre Photographie?«

»Woher wissen Sie …«

»Fragen Sie nicht, steigen Sie ein!« befahl Bertram so kühl und gebieterisch, als ob er auf der Nordbahn zu Hause wäre und zu ihren Machthabern gehörte.

In dem Coupé, in das er Carolus vorantreten hieß, hatte eine ältliche, sehr dicke Dame mit türkischem Gesichtstypus sich häuslich eingerichtet. Ihre Füße ruhten auf dem Sitze ihr gegenüber, der außerdem von einem wundervollen, grauen Affenpintscher eingenommen wurde. Neben ihr stand eine geöffnete Reisetoilette mit kostbarer Einrichtung, die verschiedensten Effekten, seidene Decken, Kissen, ein Vermeillebesteck, eine goldene Cigarettentasche, lagen auf den Wagenpolstern umher. Die Luft war etwas dumpf und mit Peau d’Espagne-Düften und denen des feinsten ägyptischen Rauchtabaks erfüllt.

Die Fremde warf den beiden Herren, die sich bescheiden in die Ecken neben dem Eingang gesetzt hatten, einen feindseligen Blick zu, der aber milder wurde, nachdem er Justs Lockenkopf gestreift, auf den er auch öfters und immer freundlicher wiederkehrte, bis er endlich wie gebannt auf ihm ruhen blieb.

Sollte das der berühmte französische coup de foudre sein? fragte sich Bertram.

Carolus aber war zu verwirrt, um den guten Eindruck, den er hervorbrachte, zu bemerken. Ihm wurde bang und bänger in Vogels Nähe. Er war ihm draußen schon furchtbar gewesen, als er mit natürlicher Stimme zu ihm gesprochen hatte, jetzt fand er ihn doppelt furchtbar, als er sich zu ihm neigte und ihm leise zuflüsterte:

»Sie werden mir die Photographie und die Briefe, die Sie bei sich haben, sofort ausliefern, und dann werden Sie eine Vergnügungsfahrt unternehmen nach Trzebinia.«

»Warum nach Trzebinia?«

»Diese Gegend ist ohne Reize,« sprach die Dame, und statt Justs, an den sie sich gewendet hatte, erwiderte Bertram kurz abbrechend:

»Gänzlich.« Er setzte seinen Fuß mit Wucht auf das Füßchen des zierlichen Männleins, neigte sich vor und begann wieder im früheren Tone.

»Sie übergeben mir die Sachen, die ich verlange, auf der Stelle und schicken mir das Manuskript der Frau Baronin morgen nach Obositz oder« …

»Oder was? Keine Drohung … Ich bitte mir aus« – Carolus hauchte es nur; er hatte sich zurückgelehnt, seine Zähne klapperten. Die Mitreisende betrachtete ihn voll Erbarmen. Sie fand ihn gar zu herzig in seinem sammtenen hellbraunen Künstlerflaus, in seinen taubengrauen Höschen, und unbeschreiblich rührend war ihr der Ausdruck der Qual in seinem interessanten Gesichtchen.

»Ihr Freund befindet sich schlecht,« sagte sie und reichte Bertram ein Riechfläschchen: »Bitte, lassen Sie ihn dieses athmen.«

»Athmen Sie,« rief Bertram, hielt dem bleichen Carolus mit einer Hand das Flacon unter die Nase und nahm mit der andern ein Päckchen in Empfang, das der Bedrängte aus der Brusttasche gezogen hatte. Die Herren führten ein kurzes Gespräch, das der Lärm des über eine Brücke hinrasselnden Zuges für ihre Gefährtin im Coupé unhörbar machte.

»Sie überfallen mich wie ein Straßenräuber.«

»Wie ein Straßenräuber, der über alle Errungenschaften der Kultur verfügt, ja. Wenn Sie mir das,« er spielte mit dem Päckchen, ließ es kreisen zwischen seinen Fingern, »nicht gutwillig anvertraut hätten, würde Ihrer irgendwo unterweges eine bescheidene Empfangsfeierlichkeit gewartet haben.«

»In Trzebinia, meinen Sie. Als ob es mir nicht freistände, auszusteigen, wo ich will.«

»Unbemerkt nicht. Dafür wäre leicht gesorgt. Ein Passagier erster Klasse, mit Ihrem Äußern, so auffallend hübsch gekleidet, wie Sie immer sind. Ich bin Ihrer sicher, verlassen Sie den Train, wo es Ihnen beliebt; seien Sie nur gewiß morgen nachmittags wieder in Wien. Mein Advokat, den Sie ja kennen, wird den Auftrag haben, abends bei Ihnen anzufragen, ob das Paket abgeschickt ist.«

»Es wird abgeschickt sein,« knirschte Carolus. »Aber bei nächster Gelegenheit – machen Sie sich gefaßt.«

»Auf einen Vipernstich in die Ferse ist unsereins immer gefaßt – Sie fahren also bis Trzebinia, geehrter Freund,« sagte er laut, »und so benützen Sie wohl den nächsten Zug, der morgen um 7 Uhr 55 Minuten von dort abgeht, zur Rückkehr nach Wien?«

»Nach Wien?« mischte die Dame sich ins Gespräch. »Ich komme von dort, eine charmante, kleine Stadt, dieses Wien.«

»Und, gnädige Frau,« fragte Bertram, »sind auf dem Wege nach?« –

»Nach Hotin.«

»In Bessarabien?«

»Meine Güter sind in der Nähe.«

»Güter in Bessarabien?« Carolus machte eine rasche Schwenkung auf seinem Sitze und sandte einen Blick voll heißer Sympathie zu der Reisenden hinüber. Sie hatte die Zeit der Reife längst überschritten, und sie hatte sehr schwellende Formen, aber sie hatte eine goldene Cigarettentasche und Ringe von unermeßlichem Werthe und eine mit Diamanten besetzte Uhr, und sie kam, wie er bald erfuhr, aus England, wo sie eine Saloneinrichtung für ihr Schloß gekauft hatte, und auch den schönen Affenpintscher. Für fünfzig Pfund – ein Bettel; hundert waren ihr schon für das Prachtthierchen geboten worden.

Das Gespräch zwischen Carolus und der Bessarabierin belebte sich immer mehr. Sie nannten einander ihre Namen. Der ihre war ihm unaussprechbar, der seine entzückte sie. Just Carolus. Wie das klang! wie mild und fest, wie edel und gelehrt. Er war gewiß ein Gelehrter. Ihr verstorbener Gatte, der Bojar, wäre auch gern ein Gelehrter gewesen, aber die Verwaltung seiner Besitzungen gab ihm viel zu thun, er konnte sich seiner Liebhaberei nicht widmen.

Verstorben der Gatte! O seliger Bojar, Wohlthäter! Carolus pries sein Andenken. Er bezeigte der Dame tiefste Theilnahme und hoffte nur, daß ihr daheim, zu ihrem Troste, liebliche Kinder blühten …

Aber nein, sie war kinderlos und stand einsam und trotz einiger Glücksgüter, mit denen der Himmel sie gesegnet hatte, doch recht arm in der Welt.

Die langen Wimpern Justs, seine größte Schönheit, senkten sich und verschleierten seine habgierigen Augen. Er seufzte tief, und auch die Wittwe seufzte.

Der Schaffner kam, war mürrisch, entschuldigte sich bei der gnädigen Frau. Er hatte die Herren nicht einsteigen gesehen, er würde ihnen sonst andere Plätze angewiesen haben.

Auch Bertram entschuldigte sich und nahm zugleich Abschied. Er stellte der Reisegefährtin ihr Flacon zurück und reichte Just sein Fahrbillet. Mit Mißvergnügen entdeckte dieser, als er es in die Brusttasche steckte, daß er nur große Banknoten bei sich habe. Am Schalter wechselt man so ungern.

»Sie können mir,« sagte er nachlässig, »dreißig Gulden zur Rückreise vorstrecken, Vogel.«

»Verdammter Kerl,« fluchte Bertram im Stillen und suchte in seinem Geldtäschchen: »Kann ich? Da sind fünfzehn. Sie werden gegen Ihre Gewohnheit zweiter Klasse fahren müssen.«

 

Die Bojarin erschrak. Zweiter Klasse durfte nicht einmal ihre Kammerjungfer mehr fahren. Ein deutscher Baron hatte ihr dort einen Heirathsantrag gemacht. In die Gefahr, meinte Bertram, werde Carolus nicht kommen, aber die liebenswürdige Wittwe bestand darauf, ihm für alle Fälle aus der Verlegenheit zu helfen.

»Mein Diener kommt auf jeder Station meine Befehle holen,« sagte sie. »Er führt die Kasse, er wird die Banknote Herrn Justs Carolus wechseln.«

Der Zug hielt. Bertram betrat die Plattform im Augenblick, in dem ein großer, bärtiger Russe im Nationalkostüm die Stufen heraufstieg. Er hatte eine wohlgefüllte Geldkatze umhängen und trat mit der Mütze in der Hand an die Thür des Coupés.

Nun gilt’s dein Meisterstück, Just Carolus, dachte Vogel, finde Mittel, die kleinen Banknoten einzustecken und die Abwesenheit der großen zu erklären.

XVI

Bertram ging auf der Landstraße den selben Weg zurück, den er eben mit der Eisenbahn vorwärts gebraust war. Eine echt mährische Gegend. Der Gebirgszug, der in der Ferne blaute, mit stumpfen Höhen gekrönt, goldig schimmernde Felder und üppige Wiesen, soweit das Auge reichte, Pflaumenbäume mit Früchten überladen, kräftiges Weideland, auf dem schöne Rinder grasten und in der Nähe jeder menschlichen Ansiedlung helle, laute Scharen des mährischen Schwans, des Hausthiers ohne Furcht und Tadel, der glorreichen Gans. Auf einen Tiger würde sie losfahren, mit aggressiv vorgestrecktem Halse, mit zornig wackelndem Schwanze. Das härteste Schicksal trifft sie, beugt sie aber nicht. Jahr für Jahr erbarmungslos gerupft, ihres zarten Flaums beraubt, erhebt sie sich aus den Händen ihrer Peiniger und flattert mit blutendem Flügel und hinkt mit verstauchtem Fuß wund und nackt ebenso stolz, wie ehedem in blühender Gesundheit und prangendem Gefieder.

Und die Dorfleute, die nicht nur gegen dieses, sondern gegen jedes Thier die naivste Grausamkeit ausüben, sind beinahe durchwegs gutmüthig und haben eine freundliche Würde und eine angeborene Höflichkeit in ihrem Benehmen. Fast alle, denen Bertram begegnete, grüßten ihn, er dankte aufs freundlichste, nahm sich vor, die Landessprache eifrig zu studieren und träumte von künftiger Popularität. Dann dachte er an das Duett, das jetzt im Waggon, den er verlassen hatte, gesungen werden dürfte, klopfte lachend auf das in seiner Brusttasche untergebrachte Päckchen, und sang nach der ins Heitere übersetzten Melodie von: Der gute Kamerad:

 
»Was immer auch daraus entsteh’,
Ich hab’ eine That gethan, Juchhe!
Eine bessere find’st du nit, Juchhe!«
 

So lustig ging’s eine Weile fort, dann begann ihm sehr heiß zu werden. Die Sonne brannte – wie glühende Liebe! rief er laut. Ich liebe dich, o Mädchen – du Königliche! Ich kenne dich kaum und kenne dich doch. Du imponierst mir, und ich fühle mich doch zu deinem Beschützer berufen.

Die Hitze wurde drückend, einige Müdigkeit stellte sich ein, aber seltsam – ging’s nicht zu wie im Märchen? im Augenblick, in dem er sich das zum Bewußtsein brachte, wurde er von einem raschen Gefährt ereilt, das plötzlich neben ihm anhielt:

»Wohin, Herr Vogelweid?« ertönte vom Kutschbock herunter die Stimme Gerhart des Retters.

»Zur Station, Herr Graf.«

»Da bringe ich Sie hin. Kommen Sie.«

So las er ihn zum zweitenmal von der Straße auf: »Sie machen aber sehr weite Spaziergänge,« sagte er. »Mir scheint, daß Sie es schon nöthig haben, sich von der durchaus nicht litteraturfreien Atmosphäre in Obositz zu erholen. Ja, der Zug der Zeit. Uns hat er noch nicht ergriffen.«

»Sie sind ihm entronnen. Sie gehören gewiß zu den wahrhaft, den vom Buche zum Leben Vorgeschrittenen.«

»O, ich bitte, wir haben uns vom Buche durchaus nicht ganz emancipiert. Meine Frau liest sogar recht viel und auch ernste Sachen.«

Wenn er sagte: »Meine Frau,« nahm seine Stimme einen ganz eigen lieben Ausdruck an, und ein schönes Leuchten brach aus seinen dunkeln Augen. »Meine Frau,« Zärtlichkeit und Ehrfurcht, freudige und stolze Liebe verkündete sich dabei unwillkürlich und unbewußt in seinem Blicke. Heil dir, dachte Bertram, du braver Mensch bist auch ein glücklicher Mensch:

»Das Fräulein Gertrud von Weißenberg,« sprach er plötzlich, »hat große Ähnlichkeit mit Ihrer Frau Gemahlin.«

»Das wäre mir nie aufgefallen.«

»Groß, wenn auch nicht so groß, schlank, wenn auch nicht so schlank … und das Gesicht« ..

»Nun ja, ein Gesicht hat jede. Was aber die Ähnlichkeit betrifft« …

»Sie liegt in dem Eindruck, den die ganze Erscheinung hervorbringt. Edelste Anspruchlosigkeit, die schönste Ruhe, die vollkommenste Natürlichkeit ist beiden Damen eigen.« Er schwieg eine Weile und sagte dann nachdenklich: »Wie sich wohl die Zukunft des Fräuleins gestalten wird?«

»Nicht besonders heiter.«

»Warum? warum sollte sich das Fräulein nicht glücklich verheirathen?«

»Weil wir vor lauter Geldgier dumm geworden sind, wir Männer; wer heirathet heutzutage ein armes Mädchen?«

»Ich wüßt’ wohl einen, der sich selig preisen würde« … platzte Bertram heraus. Hätt’ er doch geschwiegen! Der Graf sah ihn von der Seite unangenehm fragend in einer Weise an, die ihn verwirrte, er bereute gesprochen zu haben und – redete weiter: »Sie glauben also nicht, daß sie ihn nehmen würde?«

»Ich glaube nicht.«

»Also nicht.« – Er war so bestürzt, daß der Graf ihn besorgt fragte:

»Was ist Ihnen?«

Die Antwort blieb aus, und im nächsten Augenblick wurde die Aufmerksamkeit beider durch ein wildes Schreien und Fluchen, das sich in der Ferne hören ließ, in Anspruch genommen. Gerhart gab den Pferden die Zügel und fuhr die jetzt ziemlich steil ansteigende Straße rasch hinauf. Inmitten der Anhöhe sah man ein mit Brettern beladenes Fuhrwerk halten, dem zwei armselige, alte Mähren vorgespannt waren. Unfähig, ihre schwere Last weiter zu schleppen, hatten sie ihr nachgegeben und den Wagen in ein Rinnsal gleiten lassen, in dem er nun quer über dem Wege stand. Der Lenker des unglücklichen Gespanns schlug drein in sinnloser Wuth mit dem Peitschenstiel, den Fäusten, den Stiefelabsätzen, und die Gäule senkten ihre Köpfe zur Erde, rührten sich nicht mehr, ließen die Mißhandlungen ihres Peinigers in stumpfer Verzweiflung über sich ergehen.

Gerhart hielt knapp bei ihnen an. Er war dunkelroth und biß die Zähne zusammen: »Entschuldigen Sie einen Moment, Herr Vogel,« sagte er und winkte seinem Kutscher, der sofort absprang. Er schien zu wissen, um was es sich handelte, und schob einen Stein hinter eines der Wagenräder. Auch Gerhart sprang ab, ging mit drohenden Worten auf den Fuhrmann zu, entriß ihm die Peitsche und schleuderte sie zur Erde. Einen Augenblick war’s, als wolle der Mensch sich zur Wehre setzen; als er aber sah, daß der Graf und der Diener die Stränge ihrer Pferde zu lösen begannen, und errieth, daß man ihm zu Hülfe kommen wollte, zog er den Hut und brach in jämmerliche Klagen aus.

Nach wenigen Minuten waren die kräftigen Pferde den erschöpften vorgespannt und zogen das Gefährt den Berg hinauf.

Bertram blieb sitzen und sah ihnen nach.

Ein gutmüthiger Mensch, der Graf. Da half er gequältem Gethier aus der Noth, ihm aber hatte er ganz gelassen einen Stachel ins Herz gebohrt, mit seinem zweifelnden Blick und mit seinem grausamen: Ich glaube nicht.

Als Gerhart nach einer Weile zurück kam und die unterbrochene Fahrt fortsetzte, sagte er: »Sehen Sie, dieser Fuhrmann ist ein armer Teufel; ich weiß nicht, was mit ihm geschieht, wenn seine Pferde umstehen, und dennoch schindet er sie zu Tod. Die Armuth ist eben nicht sparsam.«

Es war spät am Nachmittag, als Bertram heimkehrte; die Schatten wuchsen und die Sonne sank, und das Vesperbrot war, wie Simon Befehl hatte Herrn Vogel zu melden, auf der Terrasse serviert.

Dort fand Bertram die Baronin in peinlicher Erwartung, ruhelos auf und ab wandelnd. Sie empfing ihn mit einem unterdrückten Aufschrei.

»Ach Sie! Endlich, Vogelweid! Was bringen Sie? Erlösung? Befreiung … Bin ich gerettet?«

Als er alles bejahte, kannte ihr Dank keine Grenzen. Eine Sechzehnjährige hätte ihn nicht heißer empfinden, und kindlicher ausdrücken können, als Bertram die verfänglichen Briefe an Carolus und die Photographie mit der Widmung hervorzog und ihr überreichte.

Wie hatte diese Frau sich und ihre Gefühle konserviert. So etwas wäre unmöglich in der Stadt.

»Ich will nicht ungestraft gefehlt, geirrt haben,« sagte sie. »Ich werde ehrlich Buße thun; ich habe das Bedürfniß, zu sühnen, Vogelweid.«

Über die Art, in der das geschehen sollte, konnte sie ihm im Augenblick keine Aufklärung geben, denn Hugo kam eben in Begleitung Meisenmanns herbei. Der Freund und die Gattin bereiteten dem Herrn des Hauses einen Empfang, auf den er nicht gefaßt gewesen war.

»Hugo! Hugo! mein Alter! Ich hab’ dich noch nicht gesehen, seitdem du im Feuer gewesen bist und Menschenleben gerettet hast. O, ich weiß – ich weiß, du Braver!« rief Bertram ihm begeistert entgegen, und die Gattin schwebte im wuchtigen Fluge auf ihn zu und lag an seiner Brust und weinte auf seine lichtblaue Piquéweste »Thränen der Wiedergeburt.«

Ihr Mann fand das schön gesagt und gut gegeben, ersuchte sie aber Maß zu halten: »Du warst am Vormittag schon gerührt, Bertherl, das ist hinreichend, auch für eine so liebe und treue Frau wie du.«

»Treu?« – die Baronin zuckte zusammen wie eine verwundete Taube.

»Nun, vielleicht nicht? Ich bitte dich, Bertherl, mache dich nicht interessant. Wir wollen jausen ohne Interessantmacherei und ohne Rührung. Solche Sachen verderben einem nur den Appetit.«

»Vor meiner Rührung brauchen Herr Baron sich nicht zu fürchten,« sprach Meisenmann mit forciertem Humor. »Haben unter anderen einen deutschen Juden aus dem Feuer gezerrt. Ich an Ihrer Stelle hätte ihn tiefer hineingeworfen.«

»Sie Meisenmann? Wie macht das ein Theoretiker? Ich bin neugierig. Sie müssen es mir zeigen bei nächster Gelegenheit.«

Der Professor rutschte unruhig auf seinem Sessel hin und her. »Nächste Gelegenheit? Was für eine Gelegenheit meinen?«

»Wir werden ja sehen, sie kommt.«

»Wenn man sie herbeiführen will, kommt sie freilich.«

»Ohne Sorge! Ich werde nicht extra Feuer legen, damit Sie Juden hineinwerfen können.«

Sieglinde und Gertrud kamen, die erstere aufgelöst in Verlegenheit, im scheuen Blick die Frage: Was sagen Sie zu meinen Gedichten? die zweite sehr ernst und noch stiller als gewöhnlich. Bertram glaubte zu bemerken, daß Meisenmann sie schon einigemale triumphirend angesehen habe, und war voll Indignation und hätte ihm gar zu gern zugerufen: Sie nimmt dich nicht; mich nicht und dich ebensowenig.

Etwas freier athmete er, als Hugo und Meisenmann sich zu Hagen verfügten und er allein blieb mit den Damen. Die Baronin und Sieglinde fingen an zu flüstern und einander gegenseitig aufzumuntern: »Du, Lindchen, du!« »Um Gotteswillen, nein, du, Mama!« Die liebende Mutter gab nach. Sie räusperte sich, sie hielt eine kleine Rede, in der sie ihren sehnlichen und den nicht minder sehnlichen Wunsch ihrer Tochter ausdrückte, Bertrams Urtheil über die Gedichte Lindchens in Erfahrung zu bringen.

»Gedichte?« Er mußte sich besinnen. »Gedichte – ja so!«

»Mama, Mama, Herr Vogelweid hat ganz vergessen …« klagte Lindchen tief gekränkt.

»Nein, Baronesse, ich habe nicht vergessen, ich habe ge–geblättert, sagen wir, in den Gedichten, die Sie mir geschickt haben …« Erbarmungslose, die einen Überfütterten noch stopft, wollte er hinzusetzen, aber die ängstlich gespannten Mienen der Mutter und der Tochter, die demüthig sehnsüchtige Erwartung, mit der beide Damen zu ihm empor schmachteten, entwaffnete ihn. Diese Dilettanten! sie haben alle Aspirationen, machen alle Leiden des echten Künstlers durch – nur was dabei herauskommt, ist anders. »Vor allem, Baronesse,« wendete er sich an Sieglinde, »was haben Sie vor mit Ihren Gedichten?«

»Drucken lassen« – sie stöhnte es fast, und er seufzte, wurde aber nicht grimmig, sondern sprach in weichem, zuredendem Tone:

»Sehen Sie sich um in der Welt. Wohin Sie blicken, überall begegnen Sie den allgemeinen, unaufhaltsamen Fortschritten …«

»Unserer Litteratur!« fiel Bertha begeistert ein.

»– Der Socialdemokratie, Frau Baronin.«

»Ach ja,« versetzte sie und lächelte ihn höchst unsicher an.

»Wir gehen einer neuen gesellschaftlichen Ordnung entgegen. Lösung der wirtschaftlichen Fragen heißt der nächste Schritt zum Ziele, und er liegt, wie man sagt, in der allgemeinen Verstaatlichung. Meine unmaßgebliche Meinung ist nun, daß der Übergang zu dieser breiten Straße des Heiles uns wieder auf jetzt ganz verlassene Fußpfade führen wird, zum Beispiel – zur Hausindustrie.«

»Ach ja,« wiederholte die Baronin und gab ein heuchlerisches: »Ganz recht!« dazu, um zu verbergen, daß sie ihn durchaus nicht begriff.

 

»Eilen Sie uns voran, Baronesse! Streben Sie keine fabriksmäßige Vervielfältigung Ihrer Dichtungen an, verschmähen Sie die kapitalistische Bücherproduktion durch den Verleger – singen Sie, ein liebliches Vögelchen, Ihre zarten Lieder den Eingeborenen von Obositz, zirpen Sie, ein trautes Heimchen, am häuslichen Herde.«