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Rittmeister Brand; Bertram Vogelweid

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IV

Auch der Graf war aufgestanden, er drückte Bertram auf seinen Sitz zurück und redete ihm zu, sich zu beruhigen. »Sie sind mein Gast im Coupé, Sie fahren mit der Taubenkarte, und Ihren Koffer müssen wir halt schauen ohne Gepäckschein herauszukriegen. Nach Hullein ist er aufgegeben, da steigen wir ohnehin zusammen aus.«

Er besprach sich halblaut mit dem Kondukteur, Bertram verstand nur einzelne Worte, es sauste ihm so furchtbar in den Ohren. Aber jetzt erhob sich die Stimme der jungen Frau, die auf eine nur geflüsterte Bemerkung des Schaffners laut erwiderte:

»Es war der große Michel, und der Koffer war neu und aus gelbem Leder, ich habe ihn gesehen und erkenne ihn gleich wieder.«

Dann schienen der Graf und der Schaffner einen Händedruck zu tauschen, und der Schaffner wurde ein Lauzun an Höflichkeit, gab die tröstlichsten Versicherungen und entfernte sich, alle, auch Bertram grüßend.

Der lebte auf, aber noch recht dürftig, war ganz Weichheit und Wehmuth und so voll Dankbarkeit gegen seine Wohlthäter wie ein glücklich Operirter gegen seine Ärzte.

Nach Journalistenbrauch dachte er im allgemeinen ziemlich gering von den Aristokraten, und staunte, daß gerade zwei Angehörige dieser Menschenklasse sich frei von der rohen und egoistischen Rücksichtslosigkeit zeigten, die fast jeden ergreift, sobald er einen Bahnhof betritt: »Ja, ja,« sagte er plötzlich laut, »willst du deinen Nächsten kennen lernen? Sieh dir ihn an im Gedränge und im Eisenbahnwaggon!«

Vogel wurde allmählich wieder beredtsam, seine Reisegefährten verstanden gar diskret und mit achtungsvoller Theilnahme zuzuhören, und so hatte er, er wußte selbst nicht, wie’s geschah, den fremden Leuten, bevor man Lundenburg noch erreichte, wo die große Kofferagnoscirung ins Werk gesetzt werden sollte – seine Lebensgeschichte erzählt.

Er war der Sohn eines seltsamen Ehepaares, nicht seltsam als einzelne für sich, seltsam als Paar, als glückliches, liebendes Paar. Der Vater, Sohn und Enkel von Forstleuten, ein Jäger durch und durch – alle Jäger sind gute Menschen, sagt Turgeniew – von klassischer Bildung nicht angeleckt. Aber auch kein Feind von Büchern, keineswegs; er las sie nur nicht. Wo hätte er die Zeit hergenommen Allotria zu treiben, er ein Oberförster, verantwortlich für das Thun und Lassen eines großen Personals und für jedes Stück Wild und für jeden Baum in einem Komplex von zweitausend Joch Wald! Er hatte immer zu thun, zu thun, was er gern that, höchste irdische Seligkeit! So mühe- und oft gefahrvoll sein Tagewerk gewesen sein mochte, er kam am Abend zufrieden heim, küßte seine Frau und seinen Jungen, hing sein Jagdzeug an den Rechen, versorgte seine Hunde und setzte sich zu Tisch mit gehörigem Waidmannshunger und – durst. Wenn die gestillt waren, zündete er seine Pfeife an, und nun kam das Plauderstündchen. Meistens sprach der Vater allein, und sein Junge hörte ihm mit begeisterter Aufmerksamkeit zu, weil sich’s um Kulturen handelte, um den Holzschlag, um Hunde, um Wild und Wilddiebe. Und auch die Frau hörte ihn immer gern erzählen, nicht weil ihr Interesse an den Dingen, von denen er sprach, groß war, sondern weil sie ihn liebte, ihren braven alten Mann. Innigst liebte, trotz der großen Verschiedenheit ihres Alters und ihres geistigen Horizonts. Sie war die Tochter eines Professors an der Wiener Universität, und die Umstände, unter denen das hochgebildete schöne Gelehrtenkind den einfachen Jägersmann vom Lande kennen lernte und sich in ihn verliebte, würden den Stoff zu einem wunderlieblichen Novellchen bieten. Nur schade, das Publikum, dem dieses Novellchen gefallen würde, liegt mit unseren Großmüttern begraben.

»Kennen Sie,« fragte Bertram, »das liebenswürdige Buch: Als der Großvater die Großmutter nahm? Da hinein würde das Novellchen gehören. Immer begiebt sich dasselbe, das Thun der Menschen bleibt sich beständig gleich, aber was die anderen von diesem Thun wissen wollen, darüber entscheidet die Mode. Alle großen Strömungen in der Weltgeschichte, alle Richtungen in der Wissenschaft, in der Kunst – Sache der Mode, nichts weiter.«

Das Ehepaar wollte Einspruch gegen diese Behauptung erheben, Bertram schnitt jede Kontroverse mit dem Ausruf ab:

»Ich habe eine glückliche Kindheit gehabt! Die beste Lehrerin, die ich hätte finden können, war auch die einzige, von der ich Unterricht erhielt: meine Mutter. Nun aber das Unglück: ich hatte ein merkwürdig gutes Gedächtniß; es machte mir das Studiren zu leicht und deshalb bis zu einem gewissen Grade unfruchtbar. Das Wissen ‘flog mir am Kopfe vorbei,’ um einmal wieder zu citiren und zwar Lichtenberg. Nur Freude war für mich, was man Arbeit nannte, und Hochgenuß die Erholung – das Wandern durch den Wald mit meinem Vater. Es hat eine Zeit gegeben, in der ich jeden Baum, jeden Strauch, jede Blume kannte, ‘von Namen und von Angesicht,’ und den Gesang jedes unserer Waldvögel nachmachen konnte, daß man ihn selbst zu hören glaubte. Ja, die Kindheit war schön. Und das alles auf einmal wie abgeschnitten. Mein Vater wurde eines Tages nach Hause gebracht – todt. Bauern, die an der Waldgrenze jagten, hatten ihn erschossen. Absicht? Zufall? es ist nie herausgekommen. Von den Geschworenen sind die Thäter freigesprochen worden. Das begab sich kurz bevor das große, wie man einst sagte: herrschaftliche Gut, auf dem mein Vater und seine Vorfahren durch Generationen das Oberförsteramt versahen, unter den Hammer kam. Ein junges, nichtsnutziges Früchtlein von einem Majoratsherrn hatte das väterliche Erbe, wenige Jahre, nachdem er es antrat, verspielt, verlumpt.

Meine Mutter wurde abgefertigt mit einer kleinen Summe, die ich aber für einen unerschöpflichen Reichtum hielt. Wir zogen fort aus dem Haus im Walde, nach einem Provinzstädtchen, wo ein Bruder meiner Mutter an der Spitze des Gymnasiums und einer zahlreichen Familie stand. Lauter Buben, und alle studirten, und nun war’s selbstverständlich, daß auch ich studirte. Ich that’s ungern, weiß Gott, aber nicht schlecht, dank meinem lächerlichen Gedächtniß. Als Vorzugsschüler zog ich durch die Klassen. Von Zeit zu Zeit bäumte es sich in mir auf: ‘Mutter, ich will nicht Philologe werden und Bibliothekenstaub schlucken. Ich will ein Förster werden und leben im thauigen Wald, Bäume pflanzen, Wild hegen.’ – ‘Alles schön,’ sagte sie, ‘aber klassische Bildung ist doch das Höchste. Lerne wenigstens den Schatz kennen, den die Menschheit an den Klassikern besitzt, lerne ihre erhebende, veredelnde Macht empfinden.’

Sie selbst war eine tüchtige Lateinerin, und wenn wir an Winterabenden beisammen saßen, las sie mir vor aus ihren geliebtesten Autoren, und dabei bebte leises Entzücken in ihrem Tone, und ihr feines weißes Gesicht verklärte sich. Ich wieder deklamirte deutsche Gedichte, ich war zu fünfzehn Jahren eine wandelnde Anthologie. Mein kleinwinziges, musikalisches Talent half das Unheil vollenden. Aus den vielen Versen und dem bißchen Musik entstand ein Summen, das herauskommen mußte und herauskam in einer Form, die blinde Mutterliebe und meine unerfahrene Jugend für Poesie hielten. Es regnete nicht, es schüttete Gedichte. Die Pseudomuse kargte nicht. Sie spendete ihr Reimgeklingel bei jedem Anlaß, bei Geburtstagen der Professoren, beim Schluß des Studienjahres, bei Fahnenweihen &c. Viele dieser Dithyramben erschienen im Wochenblatt, und wenn meine Mutter mich »gedruckt« sehen konnte, war sie glücklich.

In vorgerückten Jahren begann sie auf einmal gesellig zu werden. Sie ging regelmäßig bei jedem Wetter und an jedem Wochentage zu Bekannten, wie sie sagte, und kam manchmal je nach der Jahreszeit, erhitzt, regentriefend oder durchfroren heim. Und zu meiner Betrübniß zog sie immer dieselben Kleider an, und die wurden nur noch mit viel Kunst und Mühe in leidlichem Stand erhalten. Ich sah meine Mutter aber auch elegante Toilettenstücke anfertigen, die sie niemals trug. Sie liebte es nicht, bei solchen Arbeiten von mir überrascht zu werden, verbarg sie gleich im Schranke, wenn ich eintrat. Trotzdem kam es mir einmal vor, als feiere ich ein Wiedersehen beim Anblick einer Sammetmantille auf dem Rücken der Bürgermeisterin.

‘Mutter’, sagt’ ich, ‘die Bürgermeisterin hat deine Sammetmantille.’ ‘Wieso? ich werde doch keine Sammetmantille haben.’ ‘Aber gemacht hast du sie, ja, ja, ganz gewiß, und verschenkt, oder – Mutter!’ Ihre Verlegenheit erweckte einen beschämenden Verdacht in mir, und er hatte ein Gefolge von peinlichen Gedanken.

Meine Mutter verheimlichte mir allerlei. Es kamen manchmal Briefe mit kleinen Geldbeträgen von räthselhafter Provenienz ins Haus. Meine Mutter arbeitete doch nicht um Geld? Wir waren ja wohlhabend. Und wenn der Hausherr neulich den überhöflichen Bückling, den meine Mutter ihm machte, nur mit einem Kopfnicken erwidert hatte, so hieß das eben: Ich bin ein Flegel, und nicht: Sie sind im Rückstand mit dem Miethzins. Von Geldnoth konnte bei uns keine Rede sein. In der Schule galt ich für reich. Hatte ich nicht alles, was ich brauchte, waren meine Kleider nicht immer in bestem Stand? Fand ich nicht immer beim Heimkehren einen für mich gut besetzten Tisch? Alle diese Fragen konnte ich bejahen und wurde doch den Zweifel nicht los, der mich überkommen hatte und sprach: ‘Wenn die Renten nicht ausreichen, um den Miethzins zu bezahlen, so nimm doch einmal vom Kapital.’ Sie erwiderte mühsam und mit leiser Stimme: ‘Unser Kapital hat einst aus dreitausend Gulden bestanden. Die Renten reichten nicht aus, um uns leben zu machen, ich habe Jahr für Jahr das Kapital angreifen müssen. Da hat es sich denn sehr verringert, das heißt, nein,’ sprach sie und öffnete mir die Arme und zog meinen Kopf an ihre Brust, ‘es hat sich verwandelt, aus sehr Schätzbarem in Unschätzbares. Unser Kapital, das bist jetzt du, das ist deine kräftige Gesundheit, deine rothen Wangen sind’s, deine guten Augen.’

Ich war sehr enttäuscht und sagte: ‘Außerdem haben wir aber doch noch etwas?’ Sie lächelte: ‘Etwas weniges – mich und meine Arbeitskraft.’

 

Einige Tage danach erkrankte sie schwer und verlor das Bewußtsein. Und während sie dalag in Fieberträumen mit geschlossenen Augen, gingen mir die Augen auf. Der Arzt hatte Eisumschläge verordnet, ich mußte die Tücher dazu aus ihrem Schranke, einem Häng- und Legeschrank, nehmen, den sie – gar oft hatte ich sie damit geneckt! – immer vor mir versperrt hielt. Wie ein Dieb kam ich mir vor, als ich den Schlüssel aus der Lade ihres Tisches nahm und den Schrank öffnete.

Auf den ersten Blick errieth ich das Geheimniß, das sie darin vor mir verbarg, das Geheimniß ihrer tiefen Armuth. Da hingen ein paar Gewänder, der Rest ihrer einst wohlbestellten Garderobe, und gewannen eine Sprache, in der sie sagten: Sieh uns an, wir sind in Wirklichkeit anders, als wir uns ausnehmen, wenn uns die Herrin trägt; ganz ausgedient und lebensmüde, kein guter Faden ist mehr an uns. Blüthenweiß und fein geplättet war auf den Legebrettern, um sie nur halbwegs zu bedecken, die Wäsche Stück für Stück nebeneinander gebreitet. Alles geflickt und wieder geflickt mit beispielloser Sorgfalt. Ich hatte meiner Mutter oft einen Vorwurf gemacht aus diesem Sparsamkeitsfleiße. Aber da sagte sie: ‘Nähen kann bald eine, zum Flicken braucht man Bildung,’ und citirte das schöne Gedicht von Annette von Droste: Die junge Mutter. – ‘Ob man den Schleier um die Wiege hing, den Schleier, der am Erntefest zerrissen? Man sieht es kaum, sie flickte ihn so nett, daß alle Frauen höchlich es gepriesen.’

Auf einem Taschentuche lag ein Säcklein aus verblichenem Seidenzeug mit Lavendelblüthen gefüllt, eine Erinnerung an unsern Garten am Försterhaus. Die Blüthen einzusammeln, war meine Arbeit. Ich that sie gern und trug dann ihre Spuren als starken, erfrischenden Duft tagelang in meinen Kleidern. Die Blüthen im Säcklein strömten ihn längst nicht mehr aus; sie waren nur noch Staub.

Auch Schriften lagen im Schranke. Etwas vom Gericht, die Aufkündigung unserer Wohnung, Rechnungen für Modeartikel, von der Hand meiner Mutter geschrieben, und mit dem offenbar zagend hingesetzten Worte: ‘Duplikat’ versehen, aber nicht abgeschickt. Ein Brief mit der demüthigen Bitte, das Honorar für dreißig Unterrichtsstunden gütigst entrichten zu wollen, gleichfalls nicht abgeschickt. Sie hatte gearbeitet, Unterricht gegeben, um die ihr gebührende Entlohnung gebettelt. Gott weiß, wie oft umsonst. Sie hatte gedarbt und gekargt, schweigend und glücklich, daß sie’s für mich thun konnte – bis sie zusammenbrach.

Das alles erzählte mir der alte Schrank, und ich stand vor ihm … Der Frömmste der Frommen hat noch nie andächtiger vor dem allerheiligsten Tabernakel gestanden.

Mit der Andacht war uns aber nicht geholfen, und helfen galt’s, und wenn ich ein Kapital war, galt’s Zinsen tragen.

Vor kurzem, da ich in der Redaktion des Wochenblattes mein Honorar für ein Gedicht abholte, das der Herausgeber zu einer offiziellen Feier bestellt hatte, sagte der zu mir: ‘Ihre Gedichte sind recht schön, wenn Sie aber die Leier, von der in jedem die Rede ist, in die Ecke werfen, und mir einige pudelnärrische Feuilletons leisten wollten, würde dabei für mich und Sie mehr herausschauen, als bei all dem Schwung. Aber der Humor! woher nehmen und nicht stehlen? Sie schon gar. Immer umrauscht von Zaubertönen und verheirathet mit den Kamönen. Von Zeit zu Zeit eine kleine Untreue thät nicht schaden, die verzeiht man auch dem besten Ehemann, aber freilich das Zeug dazu müßte man haben.’

Teufelmäßig gelockt hatte es mich, ihm gleich zu zeigen, daß ich »das Zeug« besaß, und daß die Kamönen, so eng verbunden ich mich auch mit ihnen hielt, mir doch noch nicht die Schlafhaube über die Ohren gezogen hatten.

Meine Herrschaften, am Bette meiner schwerkranken Mutter habe ich mein erstes lustiges Feuilleton geschrieben, und bin dabei – dummer Junge, der ich war – selbst lustig geworden. Eine große Zuversicht erfüllte und beseligte mich durch und durch: Morgen lacht das ganze Städtchen mit mir, und wir bekommen Geld, und meine Mutter wird gesund, denn ich kaufe ihr die theuersten Medikamente und die besten Sachen zum essen und alles was sie freut.

Als ich fertig war mit meiner Arbeit und sie überlas, mußte ich mir den Mund zuhalten, um nicht laut aufzulachen, um nicht einen Jubelschrei auszustoßen, der meine Mutter geweckt hätte. Sie schlief sanft, und ich wagte nicht näher zu treten, schickte ihr nur einen langen, innigen Kuß zu und dachte: Meine Mutter ist jetzt auch mein Kind.

Meine kühnsten Träume sind in Erfüllung gegangen. Ich habe – welch ein Glück für den Geldmacher, welch ein Unglück für den Künstler! nie einen Mißerfolg gehabt, nur mehr oder weniger Erfolg. Zu zwanzig Jahren war ich Redakteur des ehemaligen Wochenblattes, das ich in ein Journal verwandelt hatte, von dem die großen Zeitungen in Wien Notiz nahmen. Dahin erhielt ich einen ehrenvollen Ruf in die Redaktion der ‘Grenzenlosen’. In Wien ist, jetzt sind es schon zwölf Jahre, meine Mutter, in der Überzeugung, daß sie der Welt in ihrem Sohne einen großen Schriftsteller hinterließ, bis zum letzten Augenblick zufrieden und glücklich, gestorben.«

Er hatte immer leiser gesprochen, sich immer mehr vorgebeugt, seine Arme lagen auf seinen ausgespreizten Knien, er hielt die flachen Hände an sein Gesicht gepreßt. Plötzlich fiel auf den Teppich des Waggons eine Thräne, die er rasch mit dem Fuße verwischte. Er wandte den Kopf, sah zum Fenster hinaus und sprach mit etwas erzwungenem Entzücken: »Sehen Sie doch das schöne Kartoffelfeld. Ich möchte auch ein Kartoffelfeld haben!«

Der Zug fuhr in eine große Station ein. »Lundenburg,« riefen die Condukteurs und öffneten die Thüren der Waggons.

»Jetzt wird Ihre Koffergeschichte in Ordnung gebracht,« sagte der Graf, stieg aus, und Bertram mußte ihn zum Gepäckswagen begleiten, wo er von »autoritativer Seite« die Versicherung erhielt, daß sein Kollo in Hullein ausgeladen werden solle.

Ins Coupé zurückgekehrt, brauchte er einige Zeit, um sich von seiner neuen Gemüthsbewegung zu erholen, und sprach nur noch so viel als nöthig war, um die teilnehmenden Fragen seiner Reisegefährten zu beantworten.

Er hatte nach dem Tode seiner Mutter einen einstigen Schulkameraden, Hugo von Weißenberg, auf dem Lande besucht, und damals schon den Entschluß gefaßt, an Fleiß zu leisten, was ein Mensch nur leisten kann, zu sparen wie ein Geizhals, und wenn er das nöthige Geld zusammengebracht haben würde, ein Gütchen zu kaufen, auf dem er leben wollte nach seinem Sinne als Bauer, als Jäger. Vor mehreren Jahren schon hatte Weißenberg den kleinen Besitz für ihn erworben, aber damals war noch kein Wohnraum da, kein Stück Vieh, kein Ackergeräth, nichts.

»Alles Fehlende mußte erschrieben werden. Der beste, fürsorglichste Freund, der sich mit dem Instruiren meines zukünftigen Tusculum plagt, als gälte es seinem eignen Sohn eine Heimstätte einzurichten, sagt immer noch: ‘Arbeite weiter, ein kleines Betriebskapital mußt du haben, du verhungerst ohne Betriebskapital!’

Jetzt will ich mich ihm vorstellen, und zu ihm sprechen: ‘Sieh mich an, dahin hat die Litteratur mich gebracht. Ist’s nicht besser im Freien verhungern, als überschnappen in einer zugigen, lichtlosen Kammer? Ich brauche Ruhe, Ruhe vor der Litteratur.’«

»Mögen Sie die in Obositz finden,« erwiderte die Gräfin. Sie stand auf und trat ans Fenster, an dem Bertram saß. »In fünf Minuten sind wir angelangt, nehmen wir jetzt schon Abschied.« Auch der Graf trat heran: »Auf baldiges Wiedersehen; sagen Sie Freund Weißenberg, daß wir nächstens kommen, ich bitte, Herr Doktor.«

»O, Herr Graf, ich bin nicht Doktor.«

»Wie titulirt man Sie also?«

»Vogel, ganz einfach.«

»Was mich betrifft,« sagte die Gräfin liebenswürdig, »ich bleibe bei Vogelweid. Meine Erklärung habe ich Ihnen schon gemacht und pflege nichts zurückzunehmen.«

»Gerhart, da sind die Kinder,« wandte sie sich an ihren Mann.

Vor der Bahnhofstation, in Begleitung eines kleinen, alten, unbeschreiblich munter dreinblickenden Kindermädchens, warteten ein braunes, schlankes, etwa sechsjähriges Knäblein und seine noch jüngere, vor Lebhaftigkeit sprühende, blonde Schwester. Sie jubelten: Vater, Mutter, und die Gräfin antwortete ihnen nicht, winkte ihnen nicht zu, hielt die Arme gekreuzt, aber ein Ausdruck von tiefinnerlichem Glück breitete sich über ihr Gesicht, und ihre Augen lachten die Kinder an.

Bertram wollte ihr beim Aussteigen behülflich sein, sie war schon herabgehüpft und hatte dabei ihre Reisetasche in der Hand behalten, und nicht einmal ihren Regenschirm fallen lassen. Ihr Mann folgte ihr, er trug die Reisetasche Bertrams, und der sah nun, in Aufmerksamkeit ganz versunken, der freudigen Begrüßung zwischen den Eltern und den Kindern zu.

»Ich möchte auch Kinder haben,« sagte er plötzlich.

»Tauben, Erdäpfelfelder und jetzt auch noch Kinder? Ach, lieber Herr Nachbar, zu denen kommt man, ehe man sich’s versieht,« sprach der Graf.

Bertram aber schrie auf: »All ihr Götter, ich vergesse ja ganz, wo ist mein Koffer?«

»Da steht er, auf der Strecke.«

Wahrhaftig! Da stand er wie von unsichtbaren Händen hingetragen. Er stand, während der Zug, in dem er sich eben befunden hatte, davonbrauste. Doch eine großartige Erfindung, die Eisenbahn!

V

Eine Viertelstunde später fuhr Bertram auf breitem Wege zwischen Baumgruppen, Wiesen und Gebüschen dem Schlosse Obositz zu. Unter den grünumrankten Säulen des Altans erwartete Weißenberg, umringt von seiner ganzen Familie, den werthen Gast. Der Hintergrund wurde von der Dienerschaft ausgefüllt. Sonntäglich angethan, in schneeiger Weste schwenkte der Freund das Taschentuch und schrie aus Leibeskräften: »Willkommen!« In der ganzen Gruppe entstand eine freudige Bewegung, und in den Zuruf des Hausherrn mischten sich einzelne Vivats.

Es schien Bertram unmöglich, daß dieser feierliche Empfang ihm gelte; er wendete sich, um zu sehen, ob nicht hinter ihm der Statthalter einherfahre, oder der Bischof. Aber er erblickte nur ein Staubwölkchen, das die Räder des Wagens aufgewirbelt hatten. Ach, und rings dufteten die Wiesen, und im Zweige eines breitblätterigen Lindenbaumes wurde eine Vogelsoirée mit Gesang und Wettflügen abgehalten.

Die Pferde waren in vollem Lauf, und ihr Lenker trieb sie noch an. Vom Wunsche beseelt, sich auszuzeichnen, wollte er vor dem Altan plötzlich pariren. Das Kunststück mißlang, die Equipage schoß wie der Blitz an den Herrschaften vorbei und dem Stalle zu.

»Holla, halt!« rief der Baron, riefen die männlichen Diener und rannten nach, und sämmtliche Schloßhunde setzten sich mit wüthendem Gebell an die Spitze des Zuges. Nach wenigen Augenblicken riß der Kutscher sein Gespann zusammen, aber Bertram hatte Zeit genug gehabt, um voll Erbitterung vor sich hin zu knirschen: »Bravo! wir liegen schon. Wenn das nicht scheitern heißt im Hafen!«

Der Wagen hielt, und in der nächsten Minute reichte Weißenberg dem Freunde die Hand. Sie hatte Schwielen. »Bist einmal da, endlich!«

»Endlich!« wiederholte Bertram, stieg aus und trat dem Schoßhündchen der Frau Baronin, das ihn umwedelte, auf die Pfote. Es entfloh heulend und er rief: »Himmel, wieviel Unglück habe ich heute mit Hausthieren!«

Die stattliche und gütige Wirthin war herbeigeeilt: »Es thut nichts, gar nichts, trösten Sie sich,« sprach sie huldvoll, »Paffi ist selbst schuld, warum drängt sie sich so heran? Freilich hat sie eine Entschuldigung; die Getreue machte sich zum Dolmetsch unserer Gefühle.«

Das Gesicht Weißenbergs leuchtete vor freudigem Stolze, während seine Gemahlin diese vortreffliche Ansprache hielt, und er massirte – bei ihm ein Zeichen hoher Erregung – sein rundes, ausrasirtes Kinn kräftig mit dem ringförmig zusammengebogenen Daumen und Zeigefinger seiner Rechten.

Bertram verbeugte sich, küßte der Baronin die Hand und erhaschte einen Blick aus ihren noch immer schönen Augen – er traute den eignen nicht – wahrlich einen zärtlichen Blick. Man trat unter das Portal; alte Bekanntschaften wurden aufgefrischt, neue gemacht.

Sieglinde, die Tochter des Hauses, vor vier Jahren ein schmales Backfischchen, prangte jetzt in vorzeitig strotzender Fülle. Sie litt zum Erbarmen unter den Ausbrüchen der Verwunderung, die sie durch ihre bavarienhafte Erscheinung bei aller Welt hervorrief, und kämpfte bis zum Weinen mit beständigem, unmotivirbarem Erröthen.

Den Gegensatz zur Schwester bildete Hagen. Das »Jungelchen,« wie seine Mutter ihn nannte, war zwar hoch aufgeschossen, aber mager und fahl; es hatte ziemlich dünne, blonde Haare und blasse Augen von unbestimmter Farbe, ein aufgestülptes Näschen und einen großen Mund mit dünnen Lippen. Er wurde vorgestellt als Lateiner und Grieche:

»Ja, ja, bereits Schüler, beinahe Vorzugsschüler der sechsten Klasse. Und hier,« die Baronin machte eine so zierliche Handbewegung wie eine Ballettänzerin, die ein Bouquet überreicht, und deutete auf einen jungen Mann von breiter Statur, mit röthlichen Haaren und röthlichem Schnurr- und Backenbarte: »Herr Doktor Meisenmann, der freundliche Gesellschafter und Professor unseres Sohnes.«

 

Man begrüßte einander, und Bertram hütete sich wohl zu fragen, wozu der Gymnasiast, der beinahe Vorzugsschüler war, einen eignen freundlichen Professor brauche.

Der Zimmerwärter kam herbei: »Bitte um den Kofferschlüssel, daß ich auspacken kann,« sprach er mit der Ungenirtheit und Wichtigthuerei verwöhnter alter Diener und nahm das Verlangte in Empfang, indem er dem Gaste vertraulich zunickte.

Weißenberg belohnte ihn mit einem: »Sehr gut, Vater Simon,« hieß ihn vorausgehen und nahm den Arm Bertrams. »Wir folgen, komm, ich führe dich. Nicht depreciren! Nein, sag’ ich dir, du findest den Weg nicht, wohnst nicht in deinem alten Quartier, wohnst im ersten Stock, wir wissen, was wir dir schuldig sind, Mann des Tages. Appartement mit Badezimmer und Badewannen, nen!« wiederholte er, die letzte Silbe nachdrücklich betonend.

Die Baronin ließ ein bedeutsames Räuspern vernehmen, und Sieglinde erröthete.

Der Hausherr fuhr unentwegt fort: »Vorwärts also! Und ihr,« wandte er sich an die Dienerschaft, »habt ihn gesehen, gebt euch zufrieden und tretet ab … Das gilt nicht dir,« rief er einem jungen Mädchen zu, das hinter der Baronin und ihrer Tochter gestanden hatte wie hinter zwei Ofenschirmen und sich jetzt den abgehenden Leuten anschließen wollte. Sie blieb stehen, sehr verwirrt, mit gesenkten Augen, die sie auch nicht erhob, als Weißenberg sprach: »Gertrud, Herr Vogel, genannt – na, du weißt schon. Bertram, das ist Fräulein von Weißenberg, das heißt unsere Nichte Gertrud.«

Er zog den Freund mit fort, sie schritten durch die Halle, über die Treppe. »Beeile dich mit der Wascherei,« empfahl der Baron. »Wir essen gewöhnlich um zwei Uhr, haben aber heute dir zu Ehren die Speisestunde verschoben. In zwanzig Minuten wird die Tischglocke dich rufen, die Köchin ist schon fertig.«

»Was sie für Wimpern hat!« sagte Bertram plötzlich, wie aus Träumen erwachend.

»Wer?«

»Deine Nichte. Und warum ist sie in Trauer?«

»Weil ihre Mutter vor einem halben Jahre gestorben ist.«

»Eine liebliche Erscheinung, so fein und zart.«

»Zart? Ist dir nur so vorgekommen neben unserem Sieglinderl.«

»Und warum so verlegen, ja sogar bestürzt?«

»Unser Sieglinderl ist immer bestürzt.«

»Nein, die andere mein’ ich.«

»So, war die auch bestürzt? Ist sonst nicht ihre Sache. Aber du wirst ihr imponirt haben. Kein Wunder, die erste lebendige Berühmtheit, die ihr vor Augen kommt.«

»Eine Berühmtheit wie ich! Da müßte sie bis heute in der Wildniß gelebt haben.«

»In Wien hat sie gelebt. Freilich seit Jahren wie angeschnallt ans Bett der kranken Mutter.«

Sie waren sehr langsam, denn Bertram blieb alle Augenblicke stehen, die sehr hübsche, freitragende Treppe hinaufgegangen. Weißenberg machte seinen Gast auf die Wände und die hochgewölbte Decke des Treppenhauses aufmerksam: »Sauber, nicht wahr? Ich habe einen Italiener da gehabt, der die Stuckaturen aus dem Mörtel herausgearbeitet hat, unter dem sie durch oftmaliges Übertünchen schon halb verschwunden waren.«

Bertram bewunderte. »Reizend,« rief er begeistert, »das ist Reichthum ohne Üppigkeit, edle Keuschheit, anmuthige Fülle, Sehnsucht und Fähigkeit sich aus steifen, veralteten Formen zu befreien, ohne Ausartung ins Maßlose. Ich sage dir,« brach er plötzlich aus, »deine Nichte ist eine Dame im österreichischen Barockstil!«

Der Baron legte die Hand auf Bertrams Schulter und sprach warnend: »Du, daß du dich nicht verliebst! Es wäre die größte Dummheit, du brauchst Geld, der Ökonom braucht immer Geld, und unsere Nichte – die reine Kirchenmaus. Da sind wir,« unterbrach er sich, und sie blieben abermals stehen vor einer Flügelthür am Ende des bildergeschmückten, teppichbelegten Ganges, den sie durchschritten hatten. »Ich geh’, sonst verplaudern wir uns, und wie gesagt, die Köchin wartet, um anzurichten, nur aufs Glockenzeichen. Nochmals willkommen, und laß dir’s bei uns wohl sein!«

Er enteilte geschäftig, und Bertram sah ihm nach. War auch nicht mehr der selbe, der liebe, alte Mensch! Er schien kleiner, sein Hals kürzer geworden, seine Haltung hatte etwas von der früheren Strammheit verloren. So kann man denn auch vorzeitig altern auf dem Lande, in dieser ozonreichen Luft, in herrlichem Frieden, in nervenstärkender Thätigkeit?

Simon hatte die Thür geöffnet, ermahnte den Gast einzutreten und weidete sich still und stolz an seinem Staunen über die schönen Räume, die ihn umfingen. Ein Salon in dunkelgrünem Sammet, ein luftiges, behaglich eingerichtetes Schlafzimmer mit Himmelbett und nebenan eine köstliche Badestube.

»Bitte, jetzt kommt das Scheenste,« sagte Simon und schwebte auf den Zehen über die ganze Breite des Schlafzimmers. Dem Himmelbett gegenüber befand sich der Eingang zu einem vierten von einer schweren Portière verhüllten Gelaß. Der Diener zog sie zurück, und Bertram blickte in ein großes Arbeitszimmer, in dem ein kolossaler Schreibtisch stand, und das voll war von Bücherschränken, und jeder hatte ein anderes böses Gesicht, das ihn angrinste und triumphirend höhnte: Guck du, wir sind wieder da!

Er prallte zurück: »Vorhang zu! Ich bitte Sie um Gotteswillen, Simon, befreien Sie mich von diesem Anblick.«

Simon rührte sich nicht. »Der Herr Doktor werden’s da so scheen ruhig haben zur Arbeit, sagt die Frau Baronin. Wir haben die Bicher vom Boden heruntergeschleppt. Der Schreibtisch, der is aus der Kanzlei.«

Bertram wußte wohl, daß man den Alten nicht beleidigen durfte, weil er sonst in akute Stummheit verfiel und sich aufs Schmollen verstand, trotz einer Dame des vorigen und einer Kammerjungfer dieses Jahrhunderts.

»Lassen Sie mit sich reden, Simon,« sprach er, seine Ungeduld mühsam bemeisternd. »Ich bitte Sie, nennen Sie mich nicht Herr Doktor, ich bin kein Doktor, ich bin Herr Vogel, ein armer ‘Herr’, der von früh bis Abends und manchmal von Abends bis früh dasitzen und reines, weißes Papier in schwarz beschmiertes verwandeln muß.«

»Muß?« fragte Simon ungläubig.

»Jawohl, um Geld zu verdienen mit meiner Arbeit. Hier aber will ich nicht arbeiten; ich bin gekommen, mich ausruhen vom Lesen und Schreiben und will, solang ich hier bin, kein Buch aufschlagen und keine Feder berühren.«

Damit begab er sich in das Waschzimmer, und Simon folgte ihm, um als Lein- und Handtuchständer zu fungiren. »O Jekerle,« seufzte er betrübt auf, »und wir haben sich schon alle so gefreit.«

»Worauf?« fragte Bertram ahnungsvoll und tauchte aus dem Riesenlavoir empor, in dem er seinen Kopf gebadet hatte.

Aber Simon war ganz Sphinx. »Werden schon hören, bitte,« erwiderte er.