Sequenzen der Wörtlichkeit

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Versprechungen

Es gibt Momente in meinem Leben, da tanzen die Erinnerungen völlig wild vor meinen Augen und verspotten mich. Verhöhnen mich.

Dann stelle ich mir wieder und wieder die Frage, wieso mein Märchen plötzlich zu einem Leben wurde, welches ich nicht gewollt, aber dennoch auf meine Weise gewählt hatte.

Zu leben und ein Mensch zu sein, bedeutet zu verzeihen. Ohne dieses Gut würde sich die Welt unter ihrer Fehlbarkeit begraben.

Der Mensch ist nicht perfekt.

In all diesen Jahren wurde mir bewusst, dass Schuld eng verwandt mit Reue ist. Und dass Reue, wenn sie ehrlich empfunden wird, mehr wert ist als Schuld.

So wurde die Gunst, zu verzeihen, meine oberste Priorität.

Durch dich aber musste ich lernen, dass jedes Prinzip seine Grenzen hat und jede Priorität sich ändern kann.

Denn dir, dir vergebe ich nicht. Ich habe es so oft getan. So oft versucht.

Nach deinem ersten Schlag hast du mich angefleht, zu bleiben. Hast mich inständig gebeten, dir zu verzeihen. Du hattest einen schwierigen Tag, dir ist die Hand ausgerutscht, der Stress und der Druck auf Arbeit bescherten dir ein Blackout.

Ich nahm es hin. Und mehr noch: Ich verzieh dir.

„Es war doch nur das eine Mal.“ (Katja, 26 Jahre)

Als du mich das zweite Mal schlugst, wollte ich gehen. Doch du flehtest mich an: die Arbeit, der Stress, der Druck. Ich habe dich nicht verlassen, denn ich verstand es. Wir redeten lange. Du schworst mir tausend Dinge und ich glaubte sie.

„Er hatte es mir fest versprochen.“ (Verena, 32 Jahre)

Das dritte Mal war heftiger. Ich blutete an der Lippe. War so benommen, dass ich nicht wusste, was passiert ist. Dass ich das Ausmaß dessen nicht begriff, was du sagtest: dass es meine Schuld wäre, weil ich dich provoziere. Dass sich bei uns grundlegend Dinge ändern müssen, weil du sonst gehen würdest.

„Ich wollte ihn doch nicht verlieren.“ (Bianca, 29 Jahre)

Wenn ich an diesen Abend zurückdenke, wird mir bewusst, dass dies der Moment war, in dem ich mich das erste Mal selbst verlor. Denn nun war ich es, die sich entschuldigte. Ich war es, die flehend auf dem Boden saß und weinte, hoffte, dass du mich nicht verlässt, während meine Lippe blutete.

Die Schläge, die in den Wochen und Monaten darauf folgten, nahm ich allesamt hin. Kläglich suchte ich Ausreden für dich, denn nicht einmal diese fielen dir noch ein.

Ich habe sie für dich erfunden. Denn du liebtest mich doch. Das zumindest sagtest du. Das war doch der Grund für alles.

„Unser Märchen sollte doch funktionieren.“ (Jonathan, 38 Jahre)

Ich war so auf eine Lösung des Problems fokussiert, dass ich das eigentliche Problem tatsächlich hinnahm. Immer und immer wieder.

Und entgegen allem, was ich hoffte, wurde es schlimmer.

Ich versuchte, alles an mir zu ändern, und bemerkte erst zu spät, dass du es warst, der mich veränderte. Dass du es warst, der meine Prinzipien verriet und meine Gefühle ausnutzte. Und dass ich es war, die sich selbst irgendwo zwischen deinen Schlägen und Tritten verloren hatte.

Ich, die ich nur noch ein klägliches Abziehbild jenes Mädchens war, das sich einst in das Leben verliebt hatte.

„Ich habe ihn doch geliebt.“ (Marina, 46 Jahre)

Dir, dir kann ich nicht verzeihen. Nicht, nachdem du mich mir selbst genommen hast.

Doch mir, mir muss ich verzeihen. Es ist ein schmaler Grat zwischen Reue und Schuld. Zwischen Schuld und Vergebung. Zwischen Gut und Böse. Und manchmal auch zwischen Märchen und Realität.

Für Katja, Verena, Bianca, Jonathan und Marina, die stellvertretend für jede Frau und jeden Mann stehen, die Opfer von häuslicher Gewalt wurden. Ihr seid nicht allein. Und es ist nie zu spät, sich zu befreien.

Happy End

Da ist ein Riss, in meinem Märchen. Augen, die schreien, Liebe, die leidet. Alle Versprechen

g e b r o c h e n.

Ozean aus Asche

Ich gehe unter in meinen Erinnerungen. Mein Kopf platzt, meine Gedanken rasen, meine Realität verschwimmt. Ich will dich mitziehen, in den Ozean aus Asche, in dem ich

e r t r i n k e.

- Es gelingt mir nicht.

Schuldig

Mein Herz schlägt bis zum Hals und dennoch spüre ich es nicht.

Ich renne, taumle, stehe, schweige, weine. Habe alles verraten, woran ich glaubte.

Gestern begann alles so normal. So leicht, so fröhlich, so vertraut. Und nun stehe ich hier, inmitten der langsam erwachenden Stadt, und löse mich auf.

Die Vögel zwitschern, die Straßen singen, der Wind weht schwach. Auf den Gräsern spiegelt sich das sanfte Licht der Sonne. Es ist so idyllisch, dass ich dir am liebsten ein Bild davon schicken würde.

Doch wie könnte ich das jetzt noch tun? Es mag ein wunderschöner Morgen sein, doch der Moment ist es nicht.

Die Vögel verspotten mich, die Straßen weinen, der Wind nimmt mir die Luft.

Die Strahlen der Sonne sind eiskalt auf meiner Haut und ich erfriere. Meine Jacke habe ich irgendwo vergessen. Halt. Nicht irgendwo. Bei ihr. Wie soll ich dir das nur erklären?

Du würdest mir nicht glauben, wenn ich sage, es lag am Alkohol. Du würdest mir nicht glauben, wenn ich sage, dass ich dich niemals verletzten wollte. Dass ich dich liebe. Auf eine absurde Weise kann ich es selbst nicht glauben, obwohl es die Wahrheit ist.

Ich wünschte, du wärst da gewesen und hättest mich davon abgehalten. Es mag egoistisch klingen, aber wenn du bei mir gewesen wärst, wäre dies niemals passiert. Du hättest dort sein müssen!

Ich strauchle, haste, stehe wieder, falle hin. Wünschte, ich könnte dir noch einmal in die Augen sehen, die so rein und voller Liebe sind.

Noch heute werde ich dir dein Strahlen nehmen.

Ich habe die letzten Jahre mit Füßen getreten, habe sie wie überflüssigen Mist aus meinen Gedanken geworfen und dich verraten.

Verrat kann man verzeihen, aber man kann ihn niemals vergessen. Er wird bei jeder Entscheidung der unsichtbare Dritte sein. Der Schatten des Vertrauens, der Beischlaf unserer Liebe. Er wird sein.

Und so bin auch ich. Verlassen von mir selbst, kurz davor, die Liebe meines Lebens zu verlieren. Meine Vertraute. Meine beste Freundin.

Und so werde ich sein. Denn diese Schuld kann kaum überwunden werden. Und ich vermag nicht zu sagen, wie groß dein Herz ist und wie gewaltig der Schmerz, den du unweigerlich fühlen wirst.

Ich gehe, laufe, renne, gehe wieder, bleibe ein letztes Mal stehen. Vor unserer Haustür. Vor unserer Wohnungstür.

Und gehe hinein.

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