Gewaltfrei, aber nicht machtlos

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Kapitel 3: Die Nachrichtenanalyse

Kapitel 3

Die Nachrichtenanalyse

»Der Schlüssel für jede gute Beziehung

ist eine klare Kommunikation

und der Respekt vor der Persönlichkeit und

Individualität des anderen.«

Thomas Gordon

3.1. Die 4 Seiten der Nachricht

3.1.Die 4 Seiten der Nachricht[1]

Das »Nachrichtenquadrat« des deutschen Kommunikationsforschers Friedemann Schulz von Thun stellt ein hervorragendes Kommunikationswerkzeug dar, um die »Botschaften zwischen den Zeilen« zu verstehen. Da man bei der Anwendung dieses »Werkzeugs« bewusster senden (reden) und entschlüsseln (zuhören) lernt, versuchen wir in unseren Seminaren, Eltern damit vertraut zu machen – falls sie es nicht ohnehin schon sind, denn es wird häufig auch in beruflichen Weiterbildungsseminaren verwendet. Das dahinterliegende Prinzip lässt sich in wenigen Minuten erklären. Ich lade Sie ein, die beiden Graphiken zu betrachten, die 4 Seiten der Nachricht zunächst aus der Sicht des Senders (der Sender mit den 4 Zungen), dann aus der Sicht des Empfängers (der Empfänger mit den 4 Ohren), der die empfangene Nachricht hört und entschlüsseln muss.

Laut F. Schulz von Thun hat jede Nachricht gleichzeitig vier Ebenen, der Sender spricht sozusagen mit vier Zungen.


Übersicht 2

Die Sachebene

Immer, wenn jemand sendet, gibt es einen Sachinhalt. Das lässt sich mit der Frage auf den Punkt bringen: Worum geht es? Worüber informiere ich? Es sind Informationen, Erklärungen, Beschreibungen, Argumente.

Die Selbstoffenbarungsebene

Immer, wenn jemand verbal oder auch non-verbal eine Nachricht sendet, sagt er oder sie auch etwas über sich selber aus. Wir bekommen einen Eindruck, ein Bild von der Person, selbst wenn wir sie nicht sehen, wenn sie zum Beispiel im Radio spricht. Das ist die Ebene der Selbstoffenbarung oder Ich-Ebene. Nicht immer ist den Menschen bewusst, was sie auf dieser Ebene senden. Das hat viel mit Selbsterkenntnis zu tun. Oft haben wir aber geradezu einen blinden Fleck. Die Frage lautet: Wie wirke ich auf andere? Was tu ich von mir selber kund? Wir können diese Ebene ausdrücklich zum Thema machen, zum Beispiel: »Ich komme aus Österreich«, »Ich liebe Musik«, »Ich freue mich«, »Ich bin müde«, »Ich bin verärgert.« Wenn wir uns Klarheit verschaffen wollen, können wir auch danach fragen, wie wir auf andere wirken: »Welchen Eindruck hast du von mir?« Was wir hier senden, ist zum einen situationsbezogen, von unserer momentanen Befindlichkeit abhängig, aber auch von unserem Charakter, unserem Temperament, unserer Persönlichkeit, von unserem Äußeren und unserem Outfit, das zu unserer Persönlichkeit passen kann oder auch nicht.

Die Beziehungsebene

Immer wenn wir eine Nachricht senden, dann drücken wir irgendwie auch aus, wie wir zu der Person stehen, zu der wir sprechen, was wir von ihr halten, welche Einstellung und welchen hierarchischen Bezug wir zu ihr haben. Das kann idealerweise neutral wohlwollend sein und eine Haltung der Wertschätzung ausdrücken, aber auch ängstlich, unterwürfig oder abschätzend, überheblich oder demütigend. Wenn ich sage: »Ich liebe dich« oder »Ich hasse dich!«, habe ich beide Male direkt zum Ausdruck gebracht, wie ich zu dir stehe, einmal auf positive, das andere Mal auf negative Weise, das heißt, die andere Person wird es entweder gerne hören oder auch nicht, sich dabei gut oder verletzt fühlen.

Meist wird aber der Beziehungsinhalt nicht direkt, sondern indirekt, anders gesagt nicht explizit, sondern implizit ausgedrückt.

Der Appell

Auf der Appellebene bringe ich zum Ausdruck, bewusst oder unbewusst, was ich vom anderen erwarte, wozu ich ihn veranlassen möchte. Das lässt sich mit der Frage klären: »Was will ich von dir?«, »Wozu sage ich das überhaupt?«

Die Bedeutung der Nachricht ergibt sich immer aus einem bestimmten Kontext, den wir als Ganzes sehen müssen, um sie richtig zu interpretieren. Sie wird über das gesprochene oder geschriebene Wort, die Sprache, Gestik und Mimik kommuniziert, welche dem Inhalt des Gesagten die besondere Bedeutung verleihen. Nicht umsonst sagt das Sprichwort: »Der Ton macht die Musik!«

Eine der Seiten der Nachricht steht immer im Vordergrund, d. h. sie wird ausdrücklich, explizit, gesagt, während die anderen Botschaften meist unausgesprochen, implizit, darin enthalten sind.

Fallbeispiel 1:

Eine Frau macht folgende Bemerkung: »Es zieht!«

Es handelt sich hier vordergründig um eine Nachricht auf der Sachebene. Sie macht eine Feststellung. Welche Selbstoffenbarung macht sie mit dieser Bemerkung? Anders gesagt: Was glauben wir, was sagt diese Person damit über sich selber aus? Wahrscheinlich: »Mir ist kalt.« Was sagt dieser Satz über ihre Beziehung zu demjenigen aus, dem sie das sagt? Das kann neutral wohlwollend sein, es könnte aber auch einen unterschwelligen Vorwurf enthalten, je nach Tonlage (»Merkst du nicht, dass mir kalt ist?!«). Schließlich: Welchen Appell sendet diese Frau damit? Wahrscheinlich: »Mach das Fenster zu!« oder »Ich möchte dich nur informieren, dir meine Befindlichkeit mitteilen.«

Wir merken, dass die Lösungen vielschichtig und nicht eindeutig sind. Aus der Sicht des Empfängers sind es bloße Vermutungen. Ihre Deutung ergibt sich aus dem jeweiligen Kontext und lässt sich aus Ton, Mimik und Gestik interpretieren. Sehen wir uns deshalb die nächste Graphik an.

3.2. Der Empfänger mit den 4 Ohren

3.2.Der Empfänger mit den 4 Ohren

Betrachten Sie dazu die Übersicht 3.

Um eine Nachricht zu entschlüsseln, muss der Empfänger Vermutungen darüber anstellen, wie das Gesagte wohl gemeint sein mag. Er hört sozusagen mit 4 Ohren gleichzeitig, indem er sich intuitiv folgende Fragen stellt:

Das Sach-Ohr

Auf der Sachebene: »Worum geht es eigentlich? Ist die Information klar für mich?« Habe ich überhaupt akustisch richtig verstanden? Hier hilft Nachfragen: »Kannst du es bitte wiederholen? Ich habe dich nicht gut gehört.« Oder: »Ich habe das nicht gut verstanden. Kannst du es mir bitte erklären?« Oder: »Was bedeutet eigentlich XY?«

Das Selbstoffenbarungsohr

Auf der Selbstoffenbarungsebene fragt sich der Zuhörer: Was ist das für einer? Wie ist seine oder ihre momentane Stimmung? Wenn jemand Selbstoffenbarungsbotschaften gut entschlüsseln kann, spricht man von Menschenkenntnis.


Übersicht 3

Unser unsichtbares Schild

Ist es nicht so, als würden wir Menschen wie mit einem unsichtbaren Schild durchs Leben gehen, auf dem Botschaften stehen können wie: »Ich bin offen und kommunikativ«, »Ich bin ängstlich und misstrauisch«, »Keiner mag mich!«, »Ich bin zu kurz gekommen!«, »Ich traue niemandem«, »Ich lasse mir nichts gefallen«, »Ich habe Komplexe«, »Ich bin die Größte!«, »Ich bin ein Optimist« oder »Ich bin ein Menschenfreund«? Vor einigen Jahren sah ich einen Film mit Andreas Vitasek, in welchem die Hauptdarstellerin sagte: »Spätestens mit 40 hat jeder das Gesicht, das er sich verdient!« Ich denke, da ist etwas Wahres dran. Für mich sagt dieser lockere Spruch aus, dass uns Dinge im Leben nicht einfach nur passieren, sondern dass wir die Wahl haben, selbst an unserer Persönlichkeit zu arbeiten oder es auch bleiben zu lassen, bewusst nach Werten zu leben oder uns gehen zu lassen – und dass man es uns mit der Zeit ansieht, welche Grundeinstellung wir im Leben haben.

Das Beziehungsohr

Am empfindlichsten reagieren die meisten Menschen am Beziehungsohr. Intuitiv stellen wir uns die Frage: »Wie steht diese Person zu mir? Mag sie mich? Akzeptiert sie mich? Nimmt sie mich ernst?« Wenn wir Störungen am Beziehungsohr wahrnehmen, sollten wir es ansprechen, weil diese Ebene die sensibelste ist und die gesamte Kommunikation und Beziehung zwischen zwei Menschen beeinträchtigen kann.

Das Appellohr

Schließlich gibt es noch das Appellohr. Da stellen wir uns die Frage: »Was erwartet der Sprecher von mir?« »Wozu will er mich motivieren, überreden oder anleiten?«

Wenn Eltern versuchen, die Wünsche und Bedürfnisse ihres Kindes zu erkennen, sind sie appellorientiert. Das ist bei Babys und Kleinkindern durchaus angemessen und notwendig. Später kann die einseitige Betonung des Appellohrs in Verwöhnung ausarten – wenn wir einseitig darum bemüht sind, unseren Kindern jeden Wunsch von den Augen abzulesen, unsere eigenen Bedürfnisse dabei missachten und unmerklich beginnen, uns von ihnen dirigieren zu lassen.

Umgekehrt haben Kinder oft ein Problem mit dem Appellohr. Oft wollen sie so gar nicht tun, was von ihnen erwartet wird.

Wer effizient kommunizieren will, tut gut daran, auf alle vier Ebenen gleichzeitig zu achten. Welche Ebene gerade die wichtigste ist und auf welcher Ebene wir reagieren wollen, können wir bewusst entscheiden.

3.3. Quelle von Missverständnissen

3.3.Quelle von Missverständnissen:

Vermutungen und Interpretationen

Immer, wenn wir eine Botschaft empfangen, fragen wir uns intuitiv: Wie ist das gemeint? Dabei stellen wir Vermutungen an. Es ist nichts Negatives an sich, Vermutungen anzustellen und Dinge oder Ereignisse zu interpretieren, d. h., ihnen unsere persönliche Deutung zu geben. Ohne eine solche »Denkakrobatik«, denn das ist es ganz bestimmt, könnten Menschen gar nicht effizient miteinander kommunizieren. Zum Glück interpretieren wir in einem hohen Ausmaß richtig. Treffende Zuordnungen zu finden ist ein Zeichen von Intelligenz und sozialer Kompetenz. Aber es muss uns klar sein, dass Vermutungen eben nur Vermutungen sind, dass sie stimmen können oder auch nicht. Daher ist es ratsam, vorschnelle Schlüsse, die wir oft für Tatsachen halten, zu meiden, denn sie könnten falsch sein und zu Vorurteilen verleiten. Wir könnten uns irren und so dem anderen Unrecht tun.

 

Klärung durch Nachfragen

Daher sollten wir unsere Vermutungen klugerweise und fairerweise auf ihre Richtigkeit hin prüfen, will man nicht aneinander vorbeireden und Störungen aufgrund von Missverständnissen erzeugen. Es ist in der Verantwortung des Empfängers, nachzufragen.

Ich habe die Wahl: Auf welcher Ebene will ich reagieren?

Machen wir uns auch bewusst, dass wir immer die Wahl haben: Auf welcher Ebene will ich reagieren? Ich kann es mir aussuchen und dadurch das Gespräch positiv oder negativ beeinflussen. Für einen bewusst kommunizierenden Menschen gibt es keine Ausrede: »Weil er … getan/gesagt hat, musste ich … tun/antworten!« Nein! Ich hätte immer auch anders reagieren können!

Gehen wir zurück zu unserem harmlosen Beispiel »Es zieht!« Wie kann der Empfänger oder die Empfängerin darauf reagieren? Er könnte auf die Sachebene schauen und die Information einfach nur zur Kenntnis nehmen, z. B.: »Ja, finde ich auch!« Er könnte auf die Selbstoffenbarungsebene eingehen und nachfragen: »Ist dir kalt?« oder auf der Beziehungsebene reagieren, wenn er sich beispielsweise kritisiert fühlt: »Musst du schon wieder meckern?« oder etwas salonfähiger »Ich fühle mich kritisiert« bekunden. Weiters könnte der Empfänger nach dem Appell fragen: »Soll ich das Fenster zumachen?« Die Antwort könnte auch non-verbal sein, indem er einfach aufsteht und das Fenster schließt.

3.4. Unklare Botschaften

3.4.Unklare Botschaften

Rate doch mal!

Sehr klar drückt diese Frau mit ihrer Nachricht »Es zieht« jedenfalls nicht aus, was sie will. Manche Menschen haben die Erwartung, der andere müsse das doch erraten, und sind enttäuscht, wenn es nicht so ist. Klarer wird die Kommunikation, wenn sie sagt: »Mir ist kalt. Bitte mach das Fenster zu!« Dann sendet sie gleich auf zwei Ebenen (Selbstoffenbarung und Appell) und der Empfänger weiß, was mit ihr los ist und was sie will. Das macht es ihm leichter, sich in sie hineinzufühlen, sie zu verstehen. Sie gibt ihm eine Chance, in ihrem Sinn zu handeln, anstatt sich zu ärgern, wenn es nicht geschieht – ohne womöglich ihren Anteil am Misslingen der Kommunikation zu erkennen.

Wenn wir es »durch die Blume« sagen

Ein Merkmal der Erziehung vergangener Tage war es, Kindern, insbesondere Mädchen, zu vermitteln: »Es gehört sich nicht, Wünsche zu äußern, anspruchsvoll zu sein. Das ist unbescheiden und unerzogen.« Durch solche Botschaften konditioniert, haben viele Erwachsene nicht gelernt, ihre Wünsche offen und adäquat zu formulieren. Sie sagen es daher »durch die Blume«, eben so, dass der andere raten muss. Damit ersparen sie es sich, offen zu ihren Wünschen zu stehen oder ehrlich Kritik zu äußern. So sehr ich Blumen liebe, als Kommunikationsmittel zur Verschleierung taugen sie wenig. Sie bringen Missverständnisse und Gefühle der Frustration auf beiden Seiten. Nachdem ich mit dieser Strategie geringe Chancen habe, meine Wünsche und Bedürfnisse befriedigt zu sehen, verleitet sie auch zu Manipulationsspielchen. Irgendwie will man ja doch erreichen, was man will. Das Leben wird kompliziert, Beziehungen werden getrübt.

Was ist dabei, offen und freundlich zu sagen, was wir wünschen und was uns stört – solange wir dem anderen die Freiheit lassen, unsere Wünsche zu erfüllen oder auch nicht? Rücksicht und Bescheidenheit sind Tugenden, die ich sehr schätze. Aber sie sollten auf dem Boden eines gesunden Selbstwertgefühls wachsen, als Tugend einer reifen statt frustrierten Persönlichkeit, die sich einem anderen zuliebe zurücknehmen, gegebenenfalls aber auch für ihre Bedürfnisse selbstbewusst eintreten kann.

Ich bin für eine offene und wertschätzende Kommunikation mit unseren Kindern von klein auf, in welcher beide Seiten einander ernst nehmen und aufeinander hören. Die Anleitung dazu können sie nur von uns Erwachsenen erhalten. Gesprächskultur gehört vorgelebt und eingeübt.

Widersprüchliche Botschaften

Manche Menschen sagen mit Vorliebe genau das Gegenteil von dem, was sie meinen.

•»Das ist aber eine schöne Bescherung!« statt

»Welch ein Missgeschick!«

•»Das ist aber nicht sehr nett von dir!« statt

»So eine Frechheit!«

•»Du hast uns gerade noch gefehlt!« statt

»Gerade jetzt kommst du sehr ungelegen!«

Bei Kindern stiftet eine solche Sprache Verwirrung. Sie nehmen Dinge auf kindlich naive Art wörtlich. Ironie und Zynismus haben immer einen negativen Beigeschmack und sind für Kinderseelen giftig und verwirrend.

»Dann mach doch, was du willst!«,

hört man manche Eltern sagen, wenn sie vom Verhalten ihres Sohnes oder ihrer Tochter enttäuscht sind, weil er oder sie nicht auf die Stimme der Vernunft hört. Es ist ein Zeichen von Hilflosigkeit und Resignation, wenn wir Kinder auf solche Weise von uns stoßen. Denn in Wirklichkeit will man genau das nicht. Viele Konflikte ließen sich leicht lösen, wenn Eltern den Mut hätten, ihre ehrlichen Gefühle zu sagen, weil es Kinder ermutigt, dasselbe zu tun, anstatt sich in Protestreaktionen hineinzusteigern.

»Das darf man nicht!«

Stellen Sie sich vor, Ihr Kind benimmt sich unartig einer von Ihnen ungeliebten Person gegenüber. Dann kann es vorkommen, dass man das Kind verbal dafür tadelt, weil man korrekt sein will, das Kind jedoch ein geheimes Lächeln, vielleicht sogar eine gewisse Genugtuung bei Ihnen verspürt. Worauf soll es reagieren: auf das, was Sie sagen, oder auf das, was Sie ausstrahlen? Kinder entscheiden sich immer für das Letztere, denn sie sind Meister der intuitiven Kommunikation. Weil sie die Zusammenhänge aber nicht logisch zuordnen können, entsteht Verwirrung: »Was meint meine Mutter nun eigentlich?!« Fragt das Kind nach, so heißt es meistens: »Sei nicht so frech!«, weil man sich ertappt fühlt.

3.5. Der Vorgang des Verschlüsselns und Entschlüsselns

3.5.Der Vorgang des Verschlüsselns

und Entschlüsselns

Die beiden Vorgänge des Verschlüsselns und Entschlüsselns finden immer statt, wenn Menschen miteinander kommunizieren, meistens unbewusst. Gott sei Dank entschlüsseln wir in einem hohen Ausmaß richtig – das heißt, beim Empfänger kommt ungefähr das an, was der Sender meint, sonst wäre menschliche Kommunikation unmöglich.

Aber stimmiges Verschlüsseln und Entschlüsseln ist gar nicht so selbstverständlich. Der Sender fasst seinen Gedankeninhalt, das, was er sagen will, in Worte. Er verschlüsselt. Das erfordert die hohe Kunst, zu abstrahieren und sich auszudrücken. Der Empfänger leistet einen ebenso großen Beitrag zum Gelingen der Kommunikation, indem er entschlüsselt. Das gelingt ihm, indem er zuhört und sich intuitiv überlegt, wie das Gesagte wohl gemeint sei. Das Resultat hängt von seiner Aufmerksamkeit, seinem Wissensstand, seinen Vorerfahrungen, seinem Wohlwollen und von seiner Stimmung ab. Dabei kommt es nicht nur auf die gesprochenen Worte, sondern auch auf Mimik und Tonfall an und auf den jeweiligen Kontext, d. h. auf den Zusammenhang, in dem eine bestimmte Nachricht gesendet wird. Je besser die Beziehungsebene zwischen zwei Menschen ist, umso wahrscheinlicher ist es, dass Botschaften gut gesendet und gut empfangen werden.

Wie schon erwähnt, kann es leicht zu Missverständnissen kommen und manchmal hat man gar den Eindruck, zwei Menschen sprechen nicht dieselbe Sprache – dann kriegen sie alles in die »verkehrte Kehle« oder es scheint, als lebten sie auf einem »anderen Planeten«. Je konfliktträchtiger die Beziehung, umso häufiger tauchen kommunikative Schwierigkeiten auf. Umgekehrt können diese zu Konflikten führen, die vorher nicht vorhanden waren, weil man gerne dem jeweils anderen die Schuld an einem Missverständnis gibt, das man gar nicht als solches erkannt hat. Man nimmt es einfach gerne »persönlich«.

Die Verantwortung des Senders

Wie sieht die Verantwortung des Senders am Gelingen der Kommunikation aus?

Je klarer und kongruenter, d. h. stimmiger der Sender seine Nachricht formuliert, umso leichter kann sie der Empfänger richtig entschlüsseln. Daher tragen wir die Verantwortung dafür, klar zu senden, insbesondere wenn wir mit Kindern reden. Sehen Sie sich die Fallbeispiele 2, 3 und 4 an.

Die Verantwortung des Empfängers

Aber auch als Empfänger tragen wir ein Stück Verantwortung dafür, wie die Nachricht bei uns ankommt. Nehmen wir uns die Mühe, aufmerksam zuzuhören? Fragen wir nach, wenn uns etwas nicht klar ist, oder gehen wir naiv davon aus, dass das, was wir verstehen, genau das ist, was der Sender gemeint hat? Sind wir von Vorurteilen geprägt und denken: »Das sagt sie nur, um mich zu ärgern« oder »Ich weiß eh, was sie sagen will, da brauche ich gar nicht genau hinzuhören«?

Warum kommunizieren Menschen überhaupt?

Sie wollen informieren (Sachebene), etwas bezwecken und Anweisungen geben (Appellebene) oder über sich selber reden (Selbstoffenbarungsebene). Meiner Meinung nach ist es das Mitteilungs- und Geltungsbedürfnis, welches den Inhalt der meisten Gespräche bestimmt. Natürlich ist das auch von Typ zu Typ verschieden. Aber wir wollen, indem wir reden, etwas verarbeiten und uns dabei auch wichtig fühlen. Es geht also um das Bedürfnis nach Selbstoffenbarung, das jedem Menschen angeboren und dessen Befriedigung genauso lebensnotwendig ist wie Essen, Trinken und frische Luft zum Atmen. Wir sollten einander ermöglichen, dieses Bedürfnis in gesunden Proportionen und auf gesunde Weise ausleben zu können. Wenn wir es Kindern ermöglichen, leisten wir den wichtigsten Beitrag für ihre psychische Gesundheit und zur Entfaltung eines gesunden Selbstwertgefühls. Dies gelingt, wenn Eltern Aufmerksamkeit schenken, sich zurücknehmen und aktiv zuhören, wenn Kinder das Bedürfnis haben, uns ihre Erlebnisse mitzuteilen.

Ich bin OK, du bist OK

Es ist vorteilhaft, wenn Menschen so miteinander kommunizieren, als würden sie auf der Ebene der Selbstoffenbarung sagen: »Ich bin OK«, und die zugrundeliegende Beziehungsbotschaft würde lauten: »Du bist OK.« Das gelingt aber nur, wenn unser Selbstwert intakt ist, wenn wir unsere Stimmungen kontrollieren können und dem anderen Wohlwollen entgegenbringen. Wenn man verliebt ist, sind diese Voraussetzungen optimal vorhanden. Aber wie ist es im Konfliktfall? Wenn ich in einer Stresssituation bin oder jemanden unsympathisch finde? Bin ich auch dann noch dazu willens und fähig?

Spüren Sie, wie wichtig offene, wohlwollende und wertschätzende Kommunikation mit Kindern für deren Entwicklung ist? Ich denke, ja, sonst hätten Sie dieses Buch erst gar nicht in die Hand genommen.

Leib und Seele

Die Art und Weise, wie wir mit unseren Kindern kommunizieren, ist prägend für ihr Wohlbefinden und die Entwicklung ihres Selbstwertgefühls. So wie der Körper die Basis unserer physischen Konstitution ist, so ist das Selbstwertgefühl die Grundlage unserer Seele, unserer Persönlichkeit. So wie der Körper braucht es Nahrung, um sich zu entwickeln. Wird der Körper verletzt, stößt man einen Schmerzensschrei aus. Wird die Seele verletzt, so reagiert sie mit Abwehr oder Rückzug, ausgedrückt in so manchen Verhaltensauffälligkeiten.

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