Gewaltfrei, aber nicht machtlos

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2.5. Der Kampf der Generationen

2.5.Der Kampf der Generationen

»Ich will aber nicht!« – Schon in der Trotzphase wird klar, dass sich Kinder gegen den elterlichen Willen auflehnen und ihren eigenen durchsetzen möchten. Es geht also um die Frage der Macht.

Kindlicher Widerstand ist

eine entwicklungspsychologische Notwendigkeit

Warum fordern Kinder Erwachsene so häufig zum Machtkampf heraus? Weil der Kampf der Generationen zum natürlichen Entwicklungsprozess dazugehört!

Indem sie Erwachsenen Widerstand entgegenbringen, lernen Kinder, ihren eigenen Willen und ihre Interessen zu spüren und durchzusetzen, auszuloten, wie viel Macht sie besitzen und sich gegen Übergriffe anderer zu wehren.

Wir dürfen es als Zeichen ihres Vertrauens werten, dass wir Eltern für sie die Ansprech- und Konfliktpartner Nummer Eins sind – weil sie eben zu uns eine ganz besonders enge und einmalige Beziehung haben – und dürfen ihr Trotzen und Revoltieren nicht persönlich nehmen.

Eltern und Pädagogen/innen sind aufgefordert, sich dieser Herausforderung zu stellen, wenn sie Kinder ins Leben begleiten. Dieser natürliche Machtkampf zwischen Eltern und Kindern löst bei Erwachsenen oft Angst aus und wird nicht selten mit Unterdrückung und Gewalt beantwortet. Das muss aber nicht so sein! Das natürliche Kräftemessen kann auch von Wertschätzung, Liebe und Fairness geprägt sein und kann solchermaßen einen absolut positiven Beitrag in der kindlichen Entwicklung und in unserer Beziehung zum Kind leisten.

Kinder wollen starke Eltern

Wie sollen Kinder Respekt haben, wenn Eltern schwach und nachgiebig sind und sich zu viel gefallen lassen? Es ist natürlich, dass Kinder testen, um zu wissen, woran sie sind und wie weit sie gehen können. Jedoch können sich Kinder nur dann bei ihren Eltern geschützt und geborgen fühlen, wenn sie sie als überlegen erleben und zu ihnen aufschauen können.

Konfliktkultur

Kinder wollen eine klare Antwort auf ihre Frage der Macht. Eltern, die sich zu ihrer Führungsrolle bekennen, können diese so ausüben, dass sie sich nicht zu Machtmissbrauch – meist aus Überforderung – hinreißen lassen, sondern dass sie eine Kultur des Einspruchs und Widerspruchs möglich machen, damit Kinder lernen, ihre Wünsche und Bedürfnisse, aber auch ihre Einwände so zu artikulieren, dass sie zu ernst zu nehmenden Verhandlungspartnern heranreifen können. Auch liegt es in der Kompetenz der Führungskraft, konstruktive Streitkultur zu vermitteln, bei der alle Beteiligten sich respektiert und ernst genommen fühlen.

Kinder brauchen authentische und starke Persönlichkeiten und Vorbilder – echte, wohlwollende Autoritäten.

Überforderung durch Schwäche

Wenn Eltern ihre Führungsrolle und ihre Macht abgeben, wird oft jeder kleine und notwendige Ablauf im Familienalltag zur Nervenprobe. Damit überfordern sie nicht nur sich selber, sondern vor allem auch ihre Kinder, weil es ihnen an Halt und Orientierung fehlt.

Solche Kinder werden führungslos, frech und altklug und wir bringen sie um ihre unbekümmerte Kindheit und womöglich auch um ihre zukünftigen Chancen im Leben.

2.6. Führungskompetenz und Führungsverantwortung

2.6.Führungskompetenz und

Führungsverantwortung

Was versteht man nun unter Führen oder Führung?

In einem Skriptum aus dem Fach Betriebswirtschaft meiner Tochter Michaela (Quelle leider unbekannt) fand ich zu diesem Thema folgende Aussagen:

»Führen ist das Richtung weisende und steuernde Einwirken auf das Verhalten anderer Menschen, um ein Ziel zu verwirklichen. Es umfasst auch den Einsatz verschiedener Ressourcen. Führen ist lehr- und lernbar.«

Was unterscheidet nun Führen von Zwang und Manipulation? Es hat mit der Legitimität der Führungsposition, der Kompetenzen und Machtbefugnisse und mit der Wahl der Mittel zu tun. Manipulation ist versteckte Machtausübung – sowohl was das Ziel als auch die Mittel anbelangt. Sie lässt sich schwer nachweisen, insbesondere dann, wenn ihre Opfer unmündige Kinder sind oder sich scheinbar freiwillig einem Diktat unterwerfen.

»Führen ist nichts Selbständiges an sich, nicht Selbstzweck, sondern Mittel zum Zweck, um Visionen, Planungsvorstellungen, Ziele, Aufträge und deren Anforderungen realisieren zu können. Führen hat eine dienende Funktion – nämlich der Sache, dem Ziel.«

Diese dienende Rolle kennen Eltern zur Genüge. Mit der Geburt eines Kindes wird ein langer Lebensabschnitt dieser Aufgabe untergeordnet. Wie lässt sich nun das Dienen mit dem Bekenntnis zu elterlicher Macht und Autorität vereinbaren? Zenta Maurin hat es in bewundernswerter Weise auf den Punkt gebracht und darum steht dieses weise Zitat auch zu Beginn dieses Kapitels: »Wer liebt, herrscht ohne Gewalt und dient, ohne Sklave zu sein.«

»Effizientes Führen ist für den Erfolg unabdingbar.«

Egal, wie man die Erziehungskultur vergangener Tage beurteilen mag – es gab einen allgemeinen gesellschaftlichen Konsens darüber, was akzeptiert war und was nicht. Kinder und Jugendliche wussten, was man von ihnen erwartete, woran sie waren, was sie sich erlauben konnten und was nicht. Dadurch war es für Eltern leichter, Führungskompetenz auszuüben.

Das hat sich in unserer modernen, pluralistischen Zeit grundlegend geändert. Erziehung ist zur Privatsache geworden. Es gibt viel weniger verbindliche Werte und Methoden, auf die Eltern zurückgreifen können, und keinen allgemeinen Konsens, was erlaubt ist und was nicht. Ein Überangebot an Erziehungsratgebern schafft oft erst recht Unsicherheit. Die Jugendschutzbestimmungen wurden lockerer und können sehr individuell ausgelegt werden. Dadurch können sich Eltern kaum mehr auf diese berufen, wenn sie dringend eine Stärkung ihrer elterlichen Autorität benötigen.

Es gibt kaum jemanden, der einen 12-jährigen Raucher im öffentlichen Raum zur Rede stellen würde, und wenn, dann wehren sich viele Eltern gegen einer derartige Einmischung. Das bedeutet aber auch, dass sie nicht mehr auf die Ressource eines erziehenden Kollektivs zurückgreifen können und Eltern heute zunehmend alleine dastehen und das Grenzensetzen viel mühsamer geworden ist als in früheren Zeiten. Ist man noch dazu allein erziehend, fehlt auch der zweite, stärkende und ausgleichende Elternteil.

All das hat Erziehung heute schwieriger gemacht und es ist notwendiger denn je, sich der eigenen Werte und Führungskompetenzen bewusst zu werden und ständig daran zu arbeiten.

Welches sind nun die Ziele der Erziehung?

Das langfristige Ziel der Erziehung besteht darin, die nächste Generation, die nächsten Führungskräfte heranzuziehen. Dabei handelt es sich darum, Kindern eine gesunde und ihren Anlagen und Begabungen entsprechende Entfaltung ihrer Persönlichkeit und ihre Integration in der Gesellschaft zu ermöglichen, in einer Weise, die sie ein aktives und verantwortungsbewusstes Individuum werden lässt, das im Einklang mit sich selbst, seinen Mitmenschen und der Umwelt leben kann – das aber auch genügend Selbstbewusstsein besitzt, seine eigene Meinung zu vertreten, und genügend Mut und Zivilcourage, sich in begründeten Fällen auch gegen den allgemeinen Strom oder gegen Autoritäten zu stellen.

»Die Aufgabenstellung des Managers konzentriert sich immer mehr auf menschliche und soziale Führung.«

Die Aufgabenstellung der Eltern umfasst nicht nur die Befriedigung von Bedürfnissen, sondern vor allem auch die emotionale und soziale Entwicklung der Kinder und die Vermittlung von Werten. Eltern sind für das Familienmanagement verantwortlich. Sie sorgen für den Lebensunterhalt der Familie und müssen auch Verpflichtungen in Staat und Gesellschaft wahrnehmen. Bei alldem sollen auch ihre eigene persönliche Entwicklung und das eigene Wohlergehen nicht zu kurz kommen.

Welche Eigenschaften haben erfolgreiche Führungskräfte?

Wie Eltern ihre Rolle als Führungskräfte sehen und welche Aufgaben ihnen zum jeweiligen Entwicklungsstand ihrer Kinder zukommen, wird in unseren Seminaren von den Teilnehmern aktiv erarbeitet. Welches Anforderungsprofil haben verantwortungsbewusste Eltern zu erfüllen? Hier einige Anregungen:

•Liebesfähig, einfühlsam, belastbar, selbstsicher,

ausgeglichen, flexibel

•verantwortungsbewusst, positiv denkend,

aufmerksam, kritikfähig, konsequent

•Eltern sollten Veränderungen wahrnehmen und angemessen darauf reagieren, das Kreativpotential der Kinder und Partner erkennen und schätzen und an ihre Kinder glauben.

•Hinzu kommt ein hervorragendes Zeit- und Ressourcenmanagement

Sind Eltern Übermenschen?

Ein derartiger Anforderungskatalog ist nicht selten von Versagensängsten begleitet. Müssen Eltern Übermenschen sein? Nein, sie dürfen auch Fehler haben, aber sie sollten sich ihrer Vorbildfunktion bewusst sein und offen und verantwortungsvoll damit umgehen. Eltern müssen auch dafür sorgen, dass sie sich vor Überforderung bewahren, indem sie einander partnerschaftlich unterstützen und sich gegebenenfalls auch Ressourcen von außen holen, damit sie ihre wichtige Aufgabe der Kindererziehung gut erfüllen können.

Echt sein geht vor perfekt sein

Eltern verdienen Ermutigung und Wertschätzung und dürfen mit ihren Sorgen und Nöten von Politik, Wirtschaft und Gesellschaft nicht allein gelassen werden, denn sie leisten die wichtigste volkswirtschaftliche Aufgabe, die in einer Gesellschaft erbracht werden kann: Sie sichern den Fortbestand unserer Zivilisation.

 

Freiheit, Mitsprache, Gehorsam/Autorität

In einem gut geführten Unternehmen hat jeder Mitarbeiter ein gewisses Maß an Freiheit, an Mitbestimmung, aber auch an Weisungsgebundenheit (Gehorsam). In diesem Rahmen hat er oder sie die Möglichkeit, sich zu engagieren und zu entfalten, um zum Unternehmenserfolg beizutragen und selbst einmal in eine Führungsrolle hineinzuwachsen.

Daher stellen wir uns die Frage: Wie viel Freiheit, Mitsprache und Autorität braucht ein Kind?

2.7. Das »3-Körbe-Prinzip«

2.7.Das »3-Körbe-Prinzip«

In den zahlreichen täglichen Interaktionen zwischen Eltern und Kindern fällt es nicht immer leicht, schnell und gleichzeitig situationsgerecht zu reagieren. Was können Sie erlauben, was nicht? Wie lange sollen Sie mit Ihren Kindern diskutieren? Wann lieber nicht? Wann sollen Sie auf Gefühle eingehen, wann auf Ihre Autorität pochen? Das Bild von den drei Körben soll Ihnen helfen, die jeweilige Situation schnell und stimmig zuzuordnen, um rasch und kompetent reagieren zu können.


Das 3-Körbe-Prinzip Eltern als Führungskräfte: gewaltfrei, aber nicht machtlos
Die natürliche hierarchische Ordnung: Eltern sorgen – Kinder folgen – Kultur des Widerspruchs Kinder sind gleichwertig (Würde, Wertschätzung), aber nicht gleichberechtigt (unterschiedliche Rechte und Pflichten). Wir hören aufeinander: Eltern auf die Gefühle und Bedürfnisse der Kinder, Kinder auf das Wort der Eltern
FREIHEIT – Kinder bestimmen Für Gefühle und Bedürfnisse. Die Wesensart des Kindes annehmen, wie es ist Fördert: Kreativität, Lebensfreude, Selbstwertgefühl, individuelle Entfaltung Freiheit braucht einen geschützten Rahmen je nach Situation, Alter und Entwicklungsstand des Kindes VERSTÄNDNIS, ANNAHME Aktives Zuhören, Coaching
MITSPRACHE – Beide bestimmen Bei Dingen, die Kinder etwas angehen, bei Problemen, die sie haben oder verursachen Fördert: Kompetenz, Selbstbewusstsein Verantwortungsgefühl, Kooperation Kinder nach ihren Ideen fragen, wie sie Probleme lösen möchten PARTNERSCHAFTLICHKEIT Verhandeln, Familienkonferenz
GEHORSAM – Eltern bestimmen Bei Dingen, welche die Kompetenzen und Einsichtsfähigkeit der Kinder überschreiten Fördert: inneren Halt, Sicherheit Geborgenheit, soziale Eingliederung Regeln, Strukturen, Gebote, Verbote, Vorbilder, Werte, Familienkultur, Rituale GRENZEN, AUTORITÄT Anweisungen, Konsequenzen, Strafen

Übersicht 1

Der Korb der Freiheit

Hier bestimmt das Kind, es kann tun, was es will. Hier kann es seinen kindlichen Übermut, seine Fantasie und seine Sorglosigkeit ausleben und Lebenslust auftanken. Es ist der Bereich der Gefühle und Bedürfnisse, der Lebensfreude und der Kreativität. Ein Kind muss auch spüren, dass es so sein darf, wie es seiner Wesensart nach ist. Das gelingt, wenn Eltern die Botschaft vermitteln: »Ich mag dich, wie du bist!« »Wir freuen uns, dass es dich gibt!« Das vermittelt Selbstwertgefühl und Urvertrauen.

Der Korb der Mitbestimmung

Hier bestimmen beide, das Kind darf mitreden. Es gibt Angelegenheiten, bei denen Sie Ihr Kind alters- und situationsbedingt mitbestimmen und mitentscheiden lassen können. Indem Sie Ihr Kind auf diese Weise ernst nehmen, stärken Sie das kindliche Selbstbewusstsein und sein Verantwortungsgefühl. Einmal getroffene Entscheidungen sollten auch für das Kind verbindlich sein – es sei denn, es wird neu verhandelt. Dies ist der Bereich der Mitbestimmung und der Eigenverantwortung.

Der Korb des Gehorsams

Hier bestimmen die Eltern, das Kind muss folgen. In manchen Belangen hat sich das Kind einfach den Anordnungen der Eltern zu fügen. Regeln und gute Gewohnheiten können dazu beitragen, dass dieser Bereich zu einer Selbstverständlichkeit wird. Er hilft entscheidend mit, den Schutz des Kindes zu gewährleisten und die notwendigen alltäglichen Abläufe effizient und reibungslos abzuwickeln. Hier bekennen sich Eltern zu ihrer natürlichen Autorität und gewähren dem Kind dadurch Halt, Sicherheit und Geborgenheit. Es ist der Bereich der Grenzen, der Achtung und des Respekts zwischen den Generationen. Liebevolle Autorität gibt Halt, fördert Selbstdisziplin und stärkt die Liebe der Kinder zu ihren Eltern.

Schauen wir uns die einzelnen »Körbe« noch genauer an.

Korb 1: Der Korb der Freiheit

In der Deklaration der Menschenrechte steht: »Jeder Mensch ist frei und gleich an Würde geboren.« In seiner Würde ist jedes Kind frei von Anfang an. In die Freiheit des Handelns muss es erst Schritt für Schritt hineinwachsen, bis es erwachsen ist. Sensible Eltern haben Respekt vor der Persönlichkeit und Würde ihres Kindes, vor der Freiheit, zu der jeder Mensch berechtigt und berufen ist.

In welchen Bereichen hat das Kind Freiheit? Zunächst beim Äußern seiner Gefühle und Bedürfnisse. Niemand weiß besser über das eigene Befinden Bescheid als die betreffende Person selber – auch das Kleinkind. Es weiß selbst am besten, ob es hungrig oder ängstlich ist, auch wenn es sich noch nicht adäquat artikulieren kann. Eltern müssen nicht für alle Gefühle und Bedürfnisse Lösungen anbieten, aber sie sollten sie akzeptieren und ernst nehmen.

Ein wichtiger Bereich der Freiheit ist die Entfaltung der Persönlichkeit, das Kind in seiner ganz persönlichen Eigenart zu akzeptieren und nicht durch »Sei anders«-Botschaften zu verunsichern. Jedes Kind hat seine besondere Art sich auszudrücken. Es sollte nicht dauernd gezeigt oder vorgeschrieben bekommen, wie es etwas zu machen hat. Um seine Fähigkeiten zu entfalten, braucht es die Möglichkeit zu testen und zu experimentieren. Ihre Kreativität entfalten Kinder am besten, wenn ihnen innerhalb entsprechender Rahmenbedingungen angemessene Freiheit zugestanden wird, insbesondere beim Spielen. Geben Sie Ihrem Kind so viel Freiheit wie möglich innerhalb der Grenzen, die Sie für sinnvoll erachten. Das kann auch individuell von Kind zu Kind verschieden sein. In seiner Entwicklung fordert das Kind immer mehr Freiheit und Eigenständigkeit. Grenzen werden fortlaufend in Frage gestellt und verschoben – was beide Seiten herausfordert und dort gelingt, wo Liebe und Vertrauen die Basis bilden.

Das Kind in seiner Freiheit zu respektieren erfordert sehr viel Einfühlungsvermögen und Verständnis. Daher sind hier die erforderlichen Schlüsselqualifikationen das aktive Zuhören und das Hinführen zu Selbständigkeit und Einsicht durch das elterliche Coaching-Gespräch mit der Formel »verstehen – klären – lösen«, das in einem späteren Kapitel vorgestellt wird.

Korb 2: Der Korb der Mitbestimmung

Die moderne Auffassung von Pädagogik geht davon aus, dass Kinder selbständiger und selbstbewusster werden, wenn sie angemessen mitreden und mitbestimmen können. Auch ich teile diese Ansicht. Wenn Kinder die Erfahrung machen, dass sie auf rechte Weise (»Mama, bitte darf ich …?« »Ich hab’ einen Vorschlag …«) und mit guten Argumenten bei ihren Eltern etwas erreichen können, haben sie es nicht nötig, zu trotzen und zu erpressen. Doch ist es Aufgabe der Eltern, darauf zu achten, Kinder mit der Frage »Was willst du?« nicht zu überfordern. Das hängt vom Alter und Reifegrad des Kindes ab und ob die Eltern dafür sorgen, dass vereinbarte Regeln eingehalten werden.

Wenn Sie sich gestört fühlen, ist es ebenfalls von Vorteil, Mitbestimmung einzuräumen, statt Befehle auszuteilen: »Ich hab’ ein Problem: Ihr seid mitten im Basteln, aber wenn der Tisch voll geräumt ist, kann ich nicht kochen …« Wenn Sie Ihren Kindern Gelegenheit geben, selber Lösungsvorschläge einzubringen, werden sie mehr Verantwortung übernehmen und beide Seiten fühlen sich respektiert – so mancher Machtkampf kann so vermieden werden.

Die kommunikativen Schlüsselqualifikationen im Korb der Mitbestimmung sind verschiedene Verhandlungstechniken, wie sie vor allem auch Thomas Gordon in seiner »Familienkonferenz« sehr schön dargestellt hat. In vielen Unternehmen ist betriebliche Mitbestimmung eine Selbstverständlichkeit und trägt bedeutend zur Motivation der Mitarbeiter und zum Unternehmenserfolg bei.

Korb 3: Der Korb des Gehorsams/der Autorität

Warum verwende ich dieses für viele Menschen so ungeliebte Wort? Ich könnte doch einfach nur vom Grenzensetzen reden. Grenzen setzen müssen wir im Leben immer wieder, auch auf gleicher hierarchischer Ebene, wenn zum Beispiel ein Kollege oder Nachbar meine Grenzen missachtet. Hier aber geht es darum, dass Kinder lernen, sich einzufügen und unterzuordnen. Diese Tugenden stehen heute nicht hoch im Kurs, weil man häufig annimmt, dass sie dem gesunden Selbstbewusstsein im Wege stehen. Das ist ein Irrtum. Wer Führungsqualitäten erwerben will, muss zuerst einmal gelernt haben, sich unterzuordnen. Dies ist gerade in den ersten Kindheitsjahren sehr wichtig. Kinder fühlen sich gut, wenn sie sich ihren Eltern bedingungslos anvertrauen und unterordnen können, in der Gewissheit, dass sie auch ihrerseits mit ihren Anliegen ernst genommen werden. Dann strahlen sie Heiterkeit und innere Ruhe aus. Notorische Neinsager hingegen sind nicht selbstbewusster, sondern labiler, launenhaft, überdreht und unausgewogen.

Welche kommunikativen Strategien können Eltern anwenden, um sich in Korb 3 durchzusetzen? Hier kommt es vor allem zum Einsatz von Ich-Botschaften, Anweisungen, Geboten und Verboten, Regeln und Konsequenzen. Manchmal kann auch eine Strafe angemessen sein – vorausgesetzt, sie greift nicht auf körperliche Züchtigungen oder Demütigungen zurück.

Wie können Eltern erkennen, auf welcher Ebene, in welchem Korb sie jeweils reagieren sollten?

Hier einige Beispiele:

•Ihr Kind hat ein Problem, kommt mit sich selber und seinen Gefühlen nicht klar? Verständnis und Einfühlungsvermögen sind gefragt: Korb 1.

•Es missachtet Ihre Grenzen? Dann haben Sie Handlungsbedarf in Korb 3.

•Sie reden sich »den Mund fusselig«, aber es fehlt Ihrem Kind an Einsicht? Fragen Sie sich leise: »Fühle ich mich ernst genommen?« Wenn Sie die Frage mit nein beantworten müssen, ist ebenfalls Handlungsbedarf in Korb 3.

•Sie spüren bei Ihrem Kind ein legitimes Streben nach Autonomie? Bieten Sie Mitsprache an, um neue Vereinbarungen zu treffen! (Korb 2)

Für eine Kultur des Widerspruchs

Um sicher zu gehen, dass wir Eltern nicht über kindliche Bedürfnisse »drüberbügeln«, müssen wir ihnen die Möglichkeit einräumen, Einwände zu präsentieren. Wenn Sie der Meinung sind, dass die Steuervorschreibung zu hoch ist, erheben Sie Einspruch. Wenn Ihr Kind der Aufforderung »Zieh dich an, wir müssen gehen!« nicht nachkommen will, kann es mit Ihnen Verhandlungen aufnehmen und somit in Korb 2 (Mitsprache) wechseln: »Darf ich noch den Turm fertig bauen?« Grundsätzlich spricht nichts dagegen, dass Sie diesem Einwand stattgeben – aber die Führungskompetenz bleibt bei Ihnen.

 

Zuerst »abholen«, dann hinführen

Sie sollten sich von einem Tobsuchtsanfall im Supermarkt von Ihrem Kind nicht erpressen lassen, daher ist Korb 3 (Gehorsam) angesagt. Ein stures elterliches Nein kann die Eskalation jedoch noch verschärfen. Wie wäre es, Sie holen Ihr Kind in Korb 1 (Freiheit) ab, indem Sie zunächst Verständnis für seinen Wunsch äußern (»Du hättest dieses Spielzeugauto wirklich gerne …«) und dann erst zu Ihrem Entschluss zurückkehren (Ich-Botschaft: »Das Problem ist nur, dass ich dir nicht jedes Mal etwas Neues kaufen will, wenn wir einkaufen gehen. Aber du kannst wählen, welches Joghurt du möchtest.« (Korb 2) So wird es Ihrem Kind leichter fallen, Ihr Nein zu akzeptieren (Korb 3).

Mit diesem kurzen Ausflug zur Kunst des Grenzensetzens möchte ich veranschaulichen, wie Sie zwischen den drei Körben flexibel hin- und herschwenken können – und Ihre Führungskompetenz

beibehalten.

Vorsicht Machtmissbrauch!

Die Notwendigkeit der Wahrung elterlicher Autorität soll aber kein Freibrief für willkürliche Machtausübung sein. Gar zu leicht lässt sich Autorität missbrauchen – wenn Eltern nicht auf die Gefühle ihrer Kinder eingehen und wichtige Bedürfnisse missachten, wie Aufmerksamkeit, Zuwendung, Überforderung, bzw. »lästiges« kindliches Verhalten autoritär »abstellen«.

Hier einige Beispiele:

•Wenn Einwände abgewimmelt werden:

»Warum muss ich die warme Weste anziehen?« »Weil ich es gesagt habe!« – »Warum darf ich nicht zu meinem Freund gehen?« »Weil ich nicht will!« – »Ich bin schon so müde, ich will nach Hause gehen!«, aber Kinder die halbe Nacht lang das Elternprogramm absolvieren müssen.

•Wenn kindliche Kritik abgeschmettert wird:

»Mama, du hast selbst gesagt, dass man vor dem Essen nicht naschen soll!« »Sei nicht so frech!« – »Papa, du hast versprochen, mit mir zu spielen!« »Jetzt gib endlich Ruhe!«

•Wenn Meinungen der Kinder lächerlich gemacht werden:

»Was verstehst denn du schon davon!«

•Wenn mit Angst manipuliert wird:

»Wenn du nicht sofort aufhörst, holt dich der schwarze Mann!«

•Wenn mit Liebesentzug gedroht wird:

»Wenn du nicht brav bist, hab ich dich nicht mehr lieb!«

•Wenn Eltern die Abhängigkeit der Kinder missbrauchen und ihre Macht ausspielen:

»Wenn es dir nicht passt, kannst du ja gehen!«

Herausforderung in Liebe

Es war immer schon so: Kinder stellen Eltern in Frage, Kinder halten uns den Spiegel vor, Kinder machen uns auf unsere eigenen Fehler und Schwächen aufmerksam. Das tut manchmal weh. Aber wenn wir uns ernsthaft damit auseinandersetzen, dann fördern wir nicht nur die Beziehung zwischen uns und unseren Kindern, sondern auch unsere eigene Entwicklung. Wenn Offenheit, Verständnis und Wertschätzung unsere Beziehungen prägen und wir nicht alles persönlich oder tierisch ernst nehmen, sondern uns vom kindlichen Humor anstecken lassen, dann können unsere täglichen familiären Auseinandersetzungen durchaus witzig und lustvoll sein – sind sie doch die Übungswiese unserer Kinder zum Erlernen sozialer Kompetenz.

Die eigenen Kinder sind unsere größte Herausforderung. Es gibt keine schönere Anerkennung, keinen größeren Erfolg im Leben, als die Liebe und die Achtung unserer Kinder zu gewinnen. Dies wird nur möglich sein, wenn unsere Beziehung zu ihnen von Liebe und Wahrheit geprägt ist und wenn wir uns ehrlich bemühen, an uns zu arbeiten und Vorbild zu sein. Keine Angst: Kinder brauchen keine Übermenschen. Sie haben Nachsicht mit so manchen unserer Fehler, wenn sie unsere Fairness und unser ehrliches Bemühen spüren.