Gewaltfrei, aber nicht machtlos

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1.6. »Ich weiß, was gut für dich ist!«

1.6.»Ich weiß, was gut für dich ist!«

Auch dieser Satz löst heutzutage »Allergien« aus, ist er doch äußerst ambivalent besetzt. Gerne wurde er insbesondere von früheren Generationen dazu verwendet, kindliche Wünsche zu unterdrücken und sich hinter der »Maske Autorität« zu verschanzen, um der heranwachsenden Generation nicht Rede und Antwort stehen zu müssen und Kritik mundtot zu machen. Unterdrückte Konflikte erzeugen jedoch Widerstand und feindselige Gefühle, das ist allgemein bekannt. Manche Menschen spielen gerne mit ihrer Macht unter dem Mäntelchen der Fürsorge – nicht nur im Kinderzimmer.

Bevormundung in bester Absicht

In bester Absicht oder warum auch immer, zu starke Bevormundung kann zu Entwicklungshemmungen führen, zur Entfremdung zu mir selbst. Manchen Menschen ist eine chronische Unsicherheit förmlich ins Gesicht geschrieben. Nicht selten hat sie ihre Wurzeln in ihrer Erziehung, geprägt von ängstlicher oder unterdrückender Bevormundung.

Wenn ein anderer behauptet, zu wissen, was gut für mich ist, dann traue ich bald selbst nicht mehr meinen eigenen Empfindungen und Meinungen, sondern schaue auch noch als Erwachsener stets auf eine höhere Instanz, um Bestätigung oder Erlaubnis einzuholen.

Für Kinder mit starker Persönlichkeit ist dieser Satz ein Reizwort und provoziert Protest und Widerstand, spätestens in der Pubertät.

Unsere eigene »Landkarte« prägt unser Weltbild

Weiß nicht jeder selbst am besten, was gut für ihn ist? Gilt das nicht auch für unsere Kinder? Selbst wenn wir zu wissen glauben, was für unsere Kinder gut ist: Wir dürfen nicht vergessen, dass wir doch immer von unserer eigenen subjektiven »Landkarte« ausgehen, von unserer Persönlichkeit, geprägt von unseren persönlichen Erfahrungen, Wünschen und Ängsten.

Respekt und Wertschätzung

Um Kindern wirklich gerecht zu werden, müssen Eltern versuchen, sich in sie hineinzuversetzen, dem Geheimnis ihrer Persönlichkeit nachzuspüren, um ihr Wesen, ihre Neigungen und Talente zu erkennen. Das erfordert einen tiefen Respekt vor der sich entfaltenden, einmaligen Persönlichkeit des Kindes und ein behutsames, achtsames Hinhören. Darum ist das einfühlsame, aktive Zuhören eine der wichtigsten Schlüsselqualifikationen für Eltern und alle Menschen, die einen respektvollen und wertschätzenden Umgang miteinander pflegen wollen.

Wenn Eltern ihren Kindern diese Haltung entgegenbringen, bekommen sie sehr wohl ein Gespür dafür, was gut für ihre Kinder ist, und strahlen es auch aus – ohne ihnen diesen Satz selbstherrlich drüberzustülpen.

1.7. »Ich weiß, was gut für dich ist!« – die andere Seite der Medaille

1.7.»Ich weiß, was gut für dich ist!« –

die andere Seite der Medaille

Eltern und Erzieher müssen wissen, was gut für ihre Kinder ist! Das Baby und Kleinkind muss sich darauf verlassen können, dass seine Eltern in den vielen alltäglichen Situationen die richtigen Entscheidungen treffen, wie auch der Gärtner wissen muss, welche Maßnahmen zu welcher Jahres- und Entwicklungszeit zu treffen sind.

Kinder brauchen einen geschützten Rahmen

»Ich weiß, was gut für dich ist!« ist vor allem eine Haltung, die Eltern ausstrahlen müssen. Sie gibt dem Kind Sicherheit und Geborgenheit und bildet zusammen mit Liebe und Annahme den Boden zur Festigung des Urvertrauens. Nur in einem geschützten und von Eltern verantworteten Rahmen können Kinder unbeschwert ihr Kindsein ausleben.

Kinder nicht mit Freiheit überfordern

Schon früh beginnen Kinder, nach Freiheit und Autonomie zu streben und Dinge für sich selbst entscheiden zu wollen. Es beginnt mit »Selber, selber!« und hört sich später vielleicht so an: »Von dir lass ich mir nichts mehr sagen! Ich weiß selbst, was gut für mich ist!« Manche Kinder fordern sehr vehement, auf eigenen Beinen zu stehen, und trauen sich in diesem an sich gesunden Impuls oft mehr zu, als sie dann tatsächlich bewältigen können. Wenn Eltern in falsch verstandener Freiheitsideologie nicht lenkend und Grenzen setzend eingreifen, führt das beim Kind nicht zur Stärkung der gesunden Willenskraft, sondern zu Labilität, Launenhaftigkeit, Willkür und Aggression. Auch die soziale Eingliederung kann durch das zu starke Ausleben des kindlichen Eigenwillens und natürlichen Egoismus erschwert werden.

Autoritätsverlust führt zu elterlicher Verunsicherung

Nach Jahrzehnten oder Jahrhunderten restriktiver Erziehungskultur ging die Tendenz der letzten Jahrzehnte eher dahin, Kindern sehr viel eigene Entscheidungsfreiheit zuzugestehen. Daher wurde in bester Absicht zu viel elterliche Autorität abgegeben. Das hat bei der heutigen Elterngeneration große Unsicherheit und oft auch Hilflosigkeit verursacht, welche erst recht zu elterlicher Unberechenbarkeit und nicht selten zu offener oder unterschwelliger Aggression ihren Kindern gegenüber führt. Was als kindliche Freiheit und Eigenständigkeit gepriesen wird, entpuppt sich bei genauerer Betrachtung oft als Trend zur Verwahrlosung. Erwachsen gewordene Kinder sagen dann rückwirkend: »Ich konnte machen, was ich wollte. Ich hatte den Eindruck, meinen Eltern war es sowieso egal!«

Kinder in die Krise

Bei Kindern und Jugendlichen wiederum hat der Selbstbestimmungs- und Freiheitskult dazu geführt, dass sie sich immer weniger von Erwachsenen sagen lassen. Wenn Erziehende die Steuerung abgeben, führt dies zu mangelnder Selbstdisziplin, Charakterschwäche und fehlendem Verantwortungsbewusstsein. Es verleitet dazu, dass junge Menschen immer jünger Entscheidungen treffen und Erfahrungen machen, für die sie noch nicht reif sind. Das führt zu Überforderung und Entwicklungsstörungen, zu schwerwiegenden Krisen und verpatzten Lebenschancen. Wie viele Umwege und Leid könnten unserer Jugend erspart bleiben, wenn sie auf gut gemeinte und fundierte Ratschläge von Eltern und Pädagogen/innen hörte!

Eltern mit Führungskompetenz

Erziehung gelingt am besten dann, wenn beide Seiten aufeinander hören und einander ernst nehmen und wenn Eltern und Erzieher fähige Berater und Mentoren sind, die auf Basis von Liebe und Annahme Kinder bei der Entscheidungsfindung unterstützen, mit Widerstand umgehen und Einsicht fördern können. Die kompetente Anwendung der Coaching-Formel »Verstehen, Klären, Lösen« ist hier die erforderliche Schlüsselqualifikation. Kinder brauchen gefestigte Persönlichkeiten, die ihnen Interesse und Aufmerksamkeit schenken und die sie als Vorbilder achten können.

Entwicklungschance für beide Seiten

Der Weg in die Eigenständigkeit ist ein Prozess lebendiger Entwicklung, der beide Seiten emotional fordert. Die Verantwortung bleibt aber bei Eltern und Pädagogen/innen. Sie müssen Einfühlungsvermögen und Führungskompetenz beweisen, um die wahren Bedürfnisse ihrer Kinder Bescheid wissen, sie liebevoll auf ihrem Reifungs- und Loslösungsprozess begleiten und die täglichen Herausforderungen auch als Chance für ihre eigene Entwicklung sehen.

Kapitel 2: Erziehung und die Frage der Macht

Kapitel 2

Erziehung und die Frage der Macht

»Wer liebt, herrscht ohne Gewalt

und dient, ohne Sklave zu sein«

Zenta Maurin

2.1. Grundsätzliche Überlegungen

2.1.Grundsätzliche Überlegungen

Viele Menschen haben ein derart gestörtes Verhältnis zum Thema Macht, dass man sie in der Erziehung am liebsten ganz abgeschafft hätte. Weil mit der Ausübung von Macht die Gefahr von Gewalt und Machtmissbrauch einhergeht, wurde sie in den letzten Jahrzehnten in der Pädagogik generell negativ bewertet. Man wollte sie aus der Erziehung verbannen. Deshalb ist sie nicht etwa verschwunden, sondern sie treibt seltsame Blüten, oft im Verborgenen. Viktor Adler sieht in der Frage der Macht das zentrale Motiv für menschliches Handeln.

Wir müssen uns vor Augen halten, dass sich ein gesundes Selbstwertgefühl nur dann entwickeln kann, wenn sich ein Kind akzeptiert, ernst genommen und handlungsfähig, also mächtig fühlt, im Gegensatz zu ohnmächtig. Macht ist also nichts Negatives an sich, auch nicht die elterliche Macht, sondern es kommt darauf an, wie wir damit umgehen. Lassen Sie mich einige grundlegende Überlegungen dazu anstellen.

Grundsatz 1: Macht braucht Legitimität

Staat und Gesellschaft

Im Staat ist sie durch Verfassung, Gesetze und Verordnungen geregelt in Parlament, Regierung und Verwaltung, Polizei und Gericht. In der Wirtschaft wird sie durch Arbeitsrecht, Verträge und Vereinbarungen ergänzt. Im Leben der Demokratie geht die Macht durch freie Wahlen vom Volk aus.

Elternhaus

Die Legitimität der elterlichen Macht ergibt sich aus der biologischen Beziehung. Sie wurzelt in der Fürsorge und Verantwortung der Eltern für ihre Kinder und deren anfänglicher Hilflosigkeit und Unfähigkeit zu selbständigem Überleben.

Schule

Die Legitimität der pädagogischen Macht ergibt sich aus dem für die Durchführung des Bildungsauftrags benötigten Ordnungsrahmen.

Macht darf nur zum Dienen dienen

Grundsätzlich lässt sich sagen, dass Macht nur dort legitim ist, wo sie zum Wohle derer dient, über die sie ausgeübt wird, um ein gemeinsames, übergeordnetes Ziel zu erreichen.

Grundsatz 2: Macht braucht Befugnisse

Im Staat, bei der Polizei und in der Wirtschaft sind die jeweiligen Befugnisse klar definiert. Der Finanzminister z. B. hat klar definierte Möglichkeiten, wie er seine Steuern eintreiben kann. Ein Polizist kann Strafmandate austeilen.

 

Welche Befugnisse haben Eltern und Lehrer? Mir scheint, dass man ihre Befugnisse aus Angst vor Machtmissbrauch stark reduziert, indem man den Worten Macht und Autorität einen negativen Beigeschmack verpasst hat.

Gab es früher oft ein Zuviel an Autorität, so erleben wir heute eher ein Defizit. Pädagogen sehen sich häufig vor dem Dilemma, dass sie Führungsverantwortung tragen müssen, ihnen aber die dafür erforderlichen Machtbefugnisse aberkannt wurden.

Stattdessen fordert man von ihnen, Jugendliche allein über die Kunst der Motivation zu lenken. Diese ist überaus wichtig im pädagogischen Alltag und erfordert permanente Selbstreflexion und Weiterbildung. Aber es ist, als müsste der Finanzminister allein auf Aufklärung und Motivation setzen, um seine Steuern einzuheben. Ob alle Staatsbürger die Reife hätten, ihre Abgaben freiwillig in der erforderlichen Höhe abzuliefern?

Grundsatz 3: Macht braucht Kontrolle

Ethisch saubere Machtverhältnisse kommen ohne entsprechende Kontrollmechanismen nicht aus. Es bedarf mehrerer Ebenen, um Macht zu kontrollieren.

a)Durch übergeordnete Instanzen

In der Erziehung ist das zum Beispiel die Jugendwohlfahrt.

b)Im Reflexions- und Erfahrungsaustausch auf gleicher hierarchischer Ebene

zwischen dem Elternpaar, aber auch in der Beratung, in Seminaren und im Erfahrungsaustausch von Eltern untereinander.

c)Durch jene, über die sie ausgeübt wird

Überall muss es ein Recht auf Einwand oder Einspruch geben. Es ist die Aufgabe der Eltern, die Einwände ihrer Kinder ernst zu nehmen und ihnen Gesprächs- und Konfliktkultur zu vermitteln. Immer aber sollten die Ebenen des Respekts gewahrt bleiben und Wertschätzung in beide Richtungen fließen.

In den vorangegangenen Seiten habe ich einen Schwerpunkt darin gesehen, ein Defizit elterlicher Autorität in der gegenwärtigen Erziehungskultur aufzuzeigen. Damit möchte ich aber keineswegs die Bemühungen um Liberalisierung und Demokratisierung der vergangenen Jahrzehnte abwerten, die für unsere westliche Kultur überaus wichtig waren, sondern lediglich darauf hinweisen, dass ein neues Ungleichgewicht entstanden ist, welches die Gefahr einer reaktionären Gegenbewegung in sich birgt.

Meine Aufgabe sehe ich darin, mich für ein neues Gleichgewicht einzusetzen und Eltern darauf zu sensibilisieren, in ihrem Erziehungsalltag die jeweils richtige Balance zwischen Freiheit, Mitsprache und Gehorsam zu erkennen, und sie in ihren Fähigkeiten zu bestärken, stimmig, authentisch und selbstbewusst auf die unterschiedlichen Situationen zu reagieren.

2.2. Betrieb Familie

2.2.Betrieb Familie

Stellen Sie sich Ihre Familie wie einen kleinen Betrieb vor. Die Eltern sind die Vorgesetzten, die Kinder die Mitarbeiter. Da stellt sich die Frage: Haben Sie Führungskompetenz? Wissen Sie, was Sie von welchem Mitarbeiter verlangen können? Sind die Aufgaben klar definiert? Geben Sie Gelegenheit zur Mitsprache? Nehmen Sie die Sorgen Ihrer Mitarbeiter ernst? Überlegen Sie sich, was Sie von einem Chef erwarten, damit Sie gerne für ihn arbeiten, und prüfen Sie, wie weit dieses »Anforderungsprofil« auf Sie zutrifft als »Boss« Ihren Kindern gegenüber.

Wie viel Führungskompetenz haben Sie?

Die nächste Frage ist, ob Sie sich als Chef ernst genommen und respektiert fühlen. Können Sie sich durchsetzen? Wird Ihre Autorität akzeptiert? Sind Sie konfliktfähig? Können Sie delegieren? Wie locker oder mühsam funktionieren die alltäglichen Abläufe? Wie viel Kontrolle dürfen oder müssen Sie ausüben? Passt das Betriebsklima? Stimmt die Vertrauensbasis? Gibt es Mobbing oder Machtmissbrauch? Macht das Zusammenleben Freude oder ist es von Chaos, unterschwelligen Konflikten und Machtkämpfen geprägt? Wichtig ist auch, ob das Führungsteam, die Eltern, gut kooperieren und wertschätzend und freundlich miteinander umgehen und ob Fairness und Solidarität die Beziehungen prägen.

Eine Fülle von Aufgaben

Der Betrieb Familie hat eine Fülle von Aufgaben zu bewältigen, die von Visionen und Zielen geleitet werden: Die materielle Existenzsicherung der Familie, Gesundheit und Freizeit, die Entfaltung und Ausbildung des Nachwuchses – das alles erfordert bewusstes Handeln, die Schaffung tragfähiger und klarer Strukturen und gerade in unserer modernen Welt ein kluges und effizientes Zeitmanagement.

Wofür steht Ihre Familie?

Wie sieht es mit der Familienkultur, mit der »Corporate Identity« in Ihrem Betrieb Familie aus? Welche Ausstrahlung hat er nach innen und nach außen? Welche Rolle spielt er in der Gesellschaft? Welche Werte und Familienregeln sind Ihnen wichtig? Wie werden diese den Mitarbeitern vermittelt? Stärken sie ihnen den Rücken oder stellen sie ein einengendes Korsett dar oder gar ein Gefängnis, aus dem man am liebsten ausbrechen möchte?

Coaching und Weiterbildung

Die Liebe der Eltern zueinander und eine funktionierende Partnerschaft bieten das beste und tragfähigste Gerüst für ein erfülltes Familienleben. Bitte beachten Sie: Nicht nur die Mitarbeiter, auch die Führungskräfte müssen von Zeit zu Zeit auftanken, brauchen Coaching und Weiterbildung, um die vielfältigen Anforderungen des modernen Lebens zu bestehen. Das gilt auch, wenn die Eltern voneinander getrennt sind, und erhält einen besonderen Stellenwert bei Alleinerziehenden. Wie sieht es mit Ihren persönlichen Ressourcen aus? Wo holen Sie sich die Kraft, die Sie brauchen, um gut für sich selber und Ihre Familie sorgen zu können? Der Austausch im Freundeskreis und die gelegentliche Rücksprache mit kompetenten Vertrauenspersonen helfen, die eigene Situation objektiv zu beleuchten und sogenannte »blinde Flecken« zu vermeiden, auch dann, wenn man selbst »vom Fach« sein sollte.

Familie lässt sich nicht kündigen

Ein guter Chef fühlt sich für seine Mitarbeiter verantwortlich, Eltern umso mehr. Einen wesentlichen Unterschied gibt es allerdings zwischen Firma und Familie: Eltern und Kinder genießen absoluten Kündigungsschutz! Daran kann z. B. auch eine Scheidung nichts ändern. Mit dem Erwachsenwerden erhalten die Kinder immer mehr Selbständigkeit und Unabhängigkeit und gründen eines Tages ihre eigene Firma oder Familie, in welcher die Eltern höchstens noch beratende Funktion einnehmen. Trotzdem bleiben sie mit ihren Kindern in einer lebenslangen Schicksalsgemeinschaft verbunden, die einen einzigartigen Reife- und Entwicklungsprozess für beide Seiten möglich macht, der aber auch schwierige und schmerzhafte Anteile beinhalten kann.

Wie schön ist es, wenn erwachsene Kinder sich in Liebe und Dankbarkeit von ihren Eltern lösen können, um eine neue Beziehung der Gleichberechtigung und Generationensolidarität miteinander einzugehen.

2.3. Die natürliche hierarchische Ordnung

2.3.Die natürliche hierarchische Ordnung

Moderne Eltern wollen Kinder nach demokratischen Prinzipien erziehen und sie gehen vom Ideal der Gleichberechtigung aus. Im Konfliktfall wird Eltern von den meisten Experten geraten: Verständnis, Geduld, diskutieren, verhandeln, verhandeln, verhandeln – bis eine für beide Seiten akzeptable, eine sogenannte WIN-WIN-Lösung gefunden wird. Ein wunderbares Konzept für Erwachsene, in das Kinder hineinwachsen sollten.

Aber kennen Sie das? Sie haben Ihrem Kind ausreichend erklärt, warum es Zähne putzen soll, warum es einen bestimmten Film nicht sehen darf etc. Jede weitere Erklärung wird mit einem »Ja, aber …« abgeschmettert. Da fängt man an, sich sozusagen den »Mund fusselig« zu reden, kein Argument kann motivieren und überzeugen. Hier geht es also um das Durchsetzen notwendiger Maßnahmen, nicht um Win-Win-Lösungen, weil dem Kind offenbar noch die nötige Reife und Einsicht fehlt.

Wenn ein 5-Jähriger oder 12-Jähriger bei der Debatte über das Fernsehprogramm zu seinen Eltern sagt: »Aber du schaust dir doch auch an, was du willst!«, fehlt diesen oft das passende Argument. Aus Sicht der Gleichberechtigung ist dieser Einwand stichhaltig. Wie kommen Sie dazu, Ihrem Kind Vorschriften zu machen? Das tun Sie doch auch Ihrem Partner oder Ihrer Freundin gegenüber nicht! Spüren Sie, dass das mit der Gleichberechtigung so nicht stimmen kann?

Kinder sind gleichwertig, aber nicht gleichberechtigt

Sie haben von Geburt an dieselbe Würde wie Erwachsene und verdienen dieselbe Wertschätzung – aber sie haben nicht dieselben Pflichten wie ihre Eltern und daher auch nicht dieselben Rechte – eine pädagogische Binsenweisheit, die aber durch die blauäugige Gleichberechtigungsbrille betrachtet häufig verzerrt wird.

»Ich will den Willen meines Kindes nicht brechen!«,

sagen verantwortungsbewusste und bemühte Eltern, fühlen sich aber zunehmend hilflos, wenn ihre Anweisungen ignoriert werden oder das Kind auf legitime Auforderungen mit »Hab’ keine Lust!«, »Mir doch egal!« reagiert oder wenn es sich weigert, seine Sachen in Ordnung zu halten, Hausaufgaben zu erledigen, sich gesund zu kleiden oder zu ernähren, etc.

»Kinder lernen aus den Folgen«

ist ein Slogan, der eine gewisse Berechtigung hat. Aber was ist, wenn mein Kind die Folgen auch dann nicht ernst nimmt, wenn es die zehnte Bronchitis oder Blasenentzündung hat, die Zähne bleibenden Schaden nehmen oder die Tochter mit 20 ohne Schulabschluss und Berufsausbildung dasteht? »Du hättest das besser wissen müssen!«, lautet dann der berechtigte Vorwurf der jungen Leute an ihre Eltern.

Ob wir es wollen oder nicht: Die Beziehung zwischen Eltern und Kindern ist nicht von Gleichberechtigung, sondern von einer natürlichen hierarchischen Ordnung geprägt. Die Rolle der Eltern ist die von Führungskräften. Sie tragen die Verantwortung dafür, das Unternehmensziel zu erreichen, die Existenz ihrer Mitarbeiter abzusichern und ein Klima zu schaffen, bei dem jeder seine Rechte und Pflichten kennt und ein offenes und verständnisvolles Miteinander möglich wird. Um diesen Ansprüchen gerecht zu werden, dürfen sie ihre Führungsverantwortung nicht abgeben – um dann womöglich den Kindern die Schuld am Chaos zu geben.

2.4. Elternrechte, Elternpflichten, Kinderrechte, Kinderpflichten

2.4.Elternrechte, Elternpflichten,

Kinderrechte, Kinderpflichten

Die Pflicht der Eltern ist es, ihre Kinder zu lieben und für sie zu sorgen, ihre Gefühle und Bedürfnisse ernst zu nehmen. Die Pflicht der Kinder ist es, ihre Eltern zu achten und ihnen zu gehorchen. Das ist die Ausgangsbasis in der Beziehung zwischen Eltern und Kindern und entspricht der natürlichen hierarchischen Ordnung zwischen den Generationen, den »Ordnungen der Liebe«, um es mit Bert Hellinger zu sagen. So ist es auch im vierten Gebot festgelegt: »Du sollst Vater und Mutter ehren, auf dass du lange lebest und es dir wohlergehe auf Erden.«

Alle menschlichen Kulturen basieren auf dem Respekt der jüngeren vor der älteren Generation. Es widerspiegelt den Vorsprung an Wissen und Erfahrung und gewährleistet die Balance zwischen Geben und Nehmen, da das kleine Kind noch nicht die Verantwortung für das eigene Leben übernehmen kann. Umgekehrt können seine Eltern ihre Verantwortung nicht wahrnehmen, wenn es sich notorisch ihren Weisungen widersetzt und die Achtung vor ihnen verliert. Tiefenpsychologisch gesehen verliert es damit auch seine Selbstachtung. Wer seine Eltern nicht respektieren kann, hat auch Schwierigkeiten, ein gesundes Selbstwertgefühl zu entwickeln.

Heute ist erfreulicherweise viel von Kinderrechten die Rede. Was man Kindern, auch noch hierzulande und über den Globus betrachtet, alles antut, ist eine Schande für die Menschheit. Andererseits hat unsere westliche, konsumorientierte Jugend begonnen, selbstbewusst auf ihre Rechte zu pochen, manchmal auch ohne den gebührenden Respekt. Daher stellt sich für mich auch die Frage: Was ist mit den Kinderpflichten? Ich glaube, dass wir die junge Generation nicht nur mit Kinderrechten, sondern auch mit Kinderpflichten vertraut machen müssen, so wie auch Elternrechte und Elternpflichten stärker im Bewusstsein der Öffentlichkeit verankert werden sollten.