Mails von Marge

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Eine Holländerin kam an den Tisch, das üppige Gesäß steckte in einer beigen Shorts, eine Krickelbluse im Delfterkachelmuster flatterte darüber, sie erkundigte sich, ob die Aachenerinnen schon die Seiten kopiert hätten. Die Frau mit den rötlichen Haaren klärte uns auf. Die Holländerin hatte ihren Reiseführer verloren und sie versprachen ihr, dass sie den von den beiden bekommen würde. Nur benötigten sie noch einige Seiten aus dem Reiseführer für ihre Heimreise. Wollten die entsprechenden Seiten aus dem Outdoor reißen, das gefiel aber der Krickelbluse nicht.

Marianne kam gut gelaunt zurück an den Tisch, sie hatte ein Zimmer in einer privaten Herberge ergattert. Am späten Nachmittag noch etwas Günstiges zu finden wäre pures Glück. Wir beschlossen uns um 19.00 Uhr wieder auf der Playa de Santa Maria, vor der Kathedrale mit Josef und den Aachenerinnen zu treffen. Als Carola ihren Rucksack schultern wollte, war sie entsetzt, ihre Jakobsmuschel hing in zwei Teile zerbrochen am Band. Sie war sehr traurig, es wäre eine besondere Muschel, stimmt, statt des üblichen Weiß schimmerte diese Muschel perlmuttartig violett. Sie hatte diese Jakobsmuschel geschenkt bekommen und man sollte auch nur mit einer Geschenkten laufen. Bedröppelt zogen die Zwei zur Unterkunft.

Die Brünetties kamen um die Ecke, sie wollten eine Stadtrundfahrt machen und fragten, ob Josef und wir nicht mit wollen. Durch unsere Medikamenten- und Posttortur kannten wir ja schon die Stadt und Josef wollte seine Augen noch ausruhen, die Fahrt hätte auch bis nach 19.00 Uhr gedauert. Schade, die Brünetties waren auch angenehme Begleiter ¡Buen camino! Mädels, auch sie reisten den nächsten Tag ab.

Es war sehr stickig in der Stadt und wir trollten uns in die Kathedrale, ein Muss in Burgos, ein Ort wo es nicht nur kühl war, sondern man sich auch prima verlaufen konnte. Hier ein Raum, dort ein Winkelchen. Schnell war die Orientierung verloren. Meine Augen suchten Kerzen, sie haben keine gefunden, nur diese blöden Elektrokästchen. Nö, die wollte ich nicht füttern. Ich schaute mir Orgeln ja gerne an, solange sie nicht gequält werden, die in der Kathedrale von Burgos hat nicht nur hoch gebaute Pfeifen, sondern wie Posaunen aussehende ”Querflöten“. Es fehlten nur die Engel dahinter und für mich waren sie auch zu hoch angebracht.

Nach dem Besuch der Kathedrale schnell noch ins Hotel, um unsere Einkäufe in unserem ”Salon“ abzulegen. Zweimal gingen wir über la Plaza Mayor, es strömten immer mehr junge Leute zusammen, sie demonstrierten gegen die Jugendarbeitslosigkeit und für gerechtere Bezahlung. Der Ausgang der Wahl in der Region Burgos hatte sie auf die Straße getrieben. Wir trafen die Aachenerinnen auf dem Platz, sie wirkten sehr abgehetzt und waren auf der Suche nach einem Laden, wo sie die benötigten Seiten aus dem Führer kopieren könnten. Wir schlenderten zur Kathedrale und suchten uns einen Platz auf der Mauer im durch Bäume gespendeten Schatten. Während wir auf die anderen warteten, sah ich in einiger Entfernung die Delfter Kachel hin und her huschen. Es war wohl der Tag des Suchens, die einen suchten einen Copy-Shop, die andere suchte die, die den Copy-Shop suchten.

Josef kam und setzte sich zu uns, wir suchten nicht, wir warteten. Dann kamen die beiden Aachenerinnen. Duschen hätten sie sich schenken können, sie landeten völlig genervt bei uns an. Kein einziger Laden würde Fotokopien anfertigen, nun müssten sie eben alles abschreiben, was sie noch als Hinweise für die Rückfahrt benötigten. Gesagt, getan. Sie schrieben das Wichtige aus dem Führer ab. In der Ferne tauchte die Holländerin auf, Marianne schon halb auf dem Weg zu ihr, um ihr den Outdoor zu bringen, bemerkte noch, sie werde die Kachelbluse fragen, ob sie mit zum Essen kommen möchte. Drei Köpfe schütteln sich energisch, man konnte es auch als – ach nö - ansehen, Marianne sah es leider nicht. Sie flitzte zur Holländerin und auch wieder zurück, nein, sie kommt nicht mit. Hörbares Ausatmen der Erleichterung von uns.

Wenn man sich in einer größeren Stadt aufhält, ist der Ort der Pilgerspeisung schwieriger. In den Dörfern kein Problem, eine Bar, ein Pilgermenu fertig, keine weitere Diskussion. Wir streiften hungrig durch die Gassen. Mit den Worten: „Ich frag mal“, entschwand Marianne wieder. Carola meinte, sie würde jetzt einen Apotheker fragen. Das wäre mein allerletzter Einfall, ausgerechnet einen Apotheker. Es dauerte und dauerte, sie kam nicht zurück. „Na, vielleicht hat sie sich ja wieder in den Apotheker verliebt, denn könnte es noch ein Weilchen dauern“, bemerkte Carola. Sie kam mit einem Zettel in der Hand zurück, nannte das Restaurant. Auf die Frage wo das Lokal den wäre konnte sie aber leider nicht antworten.

Wir schauten uns weiter um, meinten bei einer Bar, mit eingedeckter Terrasse im Schatten, das sieht doch gut aus und nahmen Platz. Einige Tische entfernt saß auch unser ”Erstpilgerpärchen“, hatte sie schon vermisst. Schnell hatten wir uns über das – wer und was – entschieden. Die Mädels warfen sich gegenseitig die Erzählbälle zu. Nachdem sie sich bei dem Trauerseminar kennengelernt hatten beschlossen sie gemeinsam über den Jakobsweg zu pilgern. Angefangen hatten sie 2006 und sind durch Frankreich gelaufen. Oft wäre ihnen stundenlang kein Mensch begegnet. Marianne meinte sie würde aber immer von ihrem Mann begleitet, öffnete ihre Tasche und zog ein im Silberrahmen gefasstes Kleinformatfoto heraus. Auf dem Bild lachte fröhlich ein bebarteter grauhaariger Mann. Er war Maler und musste seine Heimat Persien nach dem Umsturz verlassen. Sie hatten früher immer viele ausländische Künstler zu Gast in ihrer Wohnung. Sie warf noch einen zärtlichen Blick auf das Bild und steckte es wieder ein.

Josef erzählte dann seine Geschichte und war untröstlich. Ich möchte sein Erlebtes hier nicht erzählen. Ich glaube, er möchte es nicht. Für mich ist Josef von Beginn an ein ganz besonders liebenswerter Mensch, aus ihm strahlt so viel menschliche Wärme und ich möchte ihn nicht verletzen. Vielleicht waren auch die mitgeteilten Schicksalsschläge der anderen ein Wink an uns, mit dem eigenen kostbaren Leben sorgsamer umzugehen. Man sollte öfter innehalten und begreifen, was das wirkliche Glück ist.

Jeder an unserem Tisch schien sich einige Minuten seinen Gedanken zu überlassen. Der Wein und das Wasser wurden gebracht. Der Wein lockte uns aus der Reserve und lockerte die Zunge. Mit ihr fuhr Marianne dann auch wieder fleißig über die breiten Lippen.

Carola und Marianne pilgerten seit 2006 immer jeweils 14 Tage im Frühjahr und Herbst. Als sie durch Frankreich liefen, hörten sie neben dem Weg ein zartes Maunzen. Sie sahen im hohen Gras nach, was denn dieses Geräusch verursachte. Dort hätte ein nur ein paar Tage altes Kätzchen gesessen. Eine kleine weiße Miezekatze mit schwarzem Schwanz, die Ohren hatten auch schwarze Spitzen. Carola hätte dann aus ihrem umgebundenen Frotteehandtuch eine Tasche geformt und das Kätzchen so getragen. Im nächsten Ort wurde dann Aptamil (geht auch für menschliche Säuglinge)und eine Puppennuckelflasche mit Liebesperlen gekauft. Die Liebesperlen wurden mit der Babynahrung ausgetauscht und die Mieze gefüttert.

Die Beiden versuchten bei den am Weg liegenden Bauernhöfen das Kätzchen unterzubringen. Keiner wollte Mieze, sie gaben aber die Empfehlung es beim Tierheim zu versuchen. Ja – ja, das kannten sie, hatte die Miezekatze erst eine Pfote im Tierheim, dann war´s das auch mit der Katze, das wollten sie auf keinen Fall. Was nun, in Herbergen sind mitgebrachte Tiere nicht erlaubt. Sie kauften eine Bauchtasche, legten die Tasche mit ”Tinas-Ladys“ aus. Fütterten die Mieze, bevor sie zum Übernachten in die Albergue gingen und hofften, dass das Kätzchen die Nacht über hübsch ruhig ist.

Sie sind tagelang unentdeckt zu dritt durch Frankreich gewandert. Somit war das Kätzchen eigentlich die jüngste Pilgerin. Jetzt ist die Katze 1 ½ Jahre und lebt bei Carola. Sie kramte ihre Kamera hervor und zeigte uns Bilder von der Samtpfote, auch die Bilder von der Zeit, als sie noch in Frankreich ein Kätzchen war, konnten wir auf dem Display betrachten. Wir kamen auf leidende Tiere zu sprechen, aufgeregt fällt mir dazu der Hund bei der Schafherde vor der Matagrande Hochebene ein. Carola und Marianne sagten aber, sie wären zu dem Hund gegangen und er hätte schläfrig geblinzelt. Na ja, selbst der beste Hütehund kann wohl nicht bei jedem der zahlreichen Pilger anschlagen – oder er war vom Bellen müde, weil dauernd jemand vorbeilatschte. Da sie auch Hundebesitzer sind, will ich mal glauben, dass dem Hund nichts passiert war.

Josef erzählte, er hätte heute eine junge Frau wiedergetroffen. Sie war Deutsche, lebte schon seit Jahren in England und war mit Ihrem Sohn auf dem Camino. Sie lief nicht, sondern sie rannte eher. Ich beschreibe die Frau und ihren ca. 10 Jahre alten Sohn. Genau, die meinte er, sagte Josef. Genau, es war die junge Frau, die so ”nett“ unseren Frühstückstisch in Puente la Reina umdekoriert hatte. Auch an uns war die Frau, ihren Sohn hinter sich her zerrend, in einem Affenzahn vorbeigehastet. Josef berichtete, die junge Frau erzählte ihm, dass sie nur wenige Tage Zeit hätte, aber nun mit Schmerzen zum Arzt gegangen sei. Der stellte fest, dass eine Ader in ihrer Kniekehle gerissen ist und hat sie zu drei Tagen Pausen verdonnert. Tja, der Camino ist eben doch keine Rennpiste. Pah, nun war sie auch nicht schneller als wir.

Die Mädels meinten, dass sie im Juni noch nach Hamburg reisen wollten. Natürlich gaben Wolfgang und ich noch Tipps mit auf den Weg. Nachdem uns viel einfiel, notierte ich auf einem Minizettel die wichtigsten Punkte, Fähre 62, aussteigen Dockland, rechts um die Ecke lecker Fisch essen – bloß nicht linksseitig, dort ist das teure Fischereihafen-Restaurant – wieder auf die Fähre 62, Oevelgönne - Finkenwerder.

 

Gut, dass es zum Essen Wein und Wasser gab, so konnten wir unsere Gaumen mit dem Wein betäuben. Gemeinsam stellten wir fest, dass wir lange nicht so schlecht gegessen hatten. Wir gaben Carola noch eine Jakobsmuschel, die wir besorgt hatten. Sie sollte im Herbst nicht ohne geschenkter Muschel ihren Weg fortsetzen. Es wurde bereits dunkel und wir beschlossen aufzubrechen. Nach herzlichen Umarmungen trennten sich unsere Wege.

Wir gingen wieder über den Plaza Mayor, dort war die Zahl der Demonstranten erheblich angewachsen, sie riefen ihren Unmut, durch Sprechchöre unterstützt, über den Platz. Vier Polizisten, ich wiederhole, vier Polizisten standen gelangweilt daneben. Nicht wie bei uns, wo 200 Demonstranten gegenüber von 200 Polizisten stehen und jeder nur auf den Knüppel oder den geworfenen Stein wartet. Die Polizisten trugen auch nur ganz normale Uniformhemden und –hosen. Könnte es sein, dass es hier noch so etwas wie gegenseitigen Respekt gibt?

Am Hotel angelangt, taperten wir die Treppen in den 3. Stock hinauf. Wir gingen auch am Restaurant im 1. Stock vorbei, hier fand eine Feier statt. Der Lärmpegel der beteiligten Kinder schlug uns entgegen. Dachte noch, gut, dass unser Zimmer weiter oben ist. Sah mir gerade die Internetseiten des Hotels an: An Ihren angenehmen und gemütlichen Aufenthalt denkend, renovieren wir ständig die Atmosphäre der verschiedenen Räume. Vielleicht sollten sie nicht die Atmosphäre, sondern die Zimmer renovieren. Das Hotel wurde 1937 eröffnet. Alles klar! Weiter im Internet über den Saal: (Originaltext)Am Anfang, der Saal bot den Touristen und Gästen sehr schöne und lange Abendveranstaltungen als das Fernsehen noch nicht existierte. Heutzutage gibt es nicht mehr, aber der Saal bleibt ein ruhiges Zimmer für nette Unterhaltungen sowie eine leutselige Ecke, um ruhig zu bleiben.

Es war für uns schon ungewöhliche 22.30 Uhr, als wir endlich im Bett lagen. Die Entfernung vom 1. zum 3. Stock ist nicht wirklich weit. Der Schall wabberte durch unsere persönliche ”Atmosphäre“, sooft ich versuchte meine Augenlider in Schlafposition zu bringen, riss der Lärm sie wieder in die Höhe, die blöden Ohren schalteten auch nicht ab. Mensch, es war Montag, gibt es hier keine Schule? Müssen die Kinder nicht langsam mal ins Bett? Doch - oh yeah – oder nein, sie gingen nicht ins Bett – sie trampelten krakeelend in den 3. Stock – hallo, da waren wir doch schon – rannten über den Flur, rissen Türen auf, knallten sie wieder zu, trampelten kreischend zurück, gackerten und das Spiel fing von vorne an. Vor Ärger flatterten nun meine Augenlider, ja hätte ich das von dem Saal vorher gelesen, vielleicht hätte ich ja auch die Ecke um ruhig zu bleiben gefunden. Später klappten irgendwann meine erschöpften Augenlider zu.

Burgos - Hornillos del Camino

Mit ”eingepacktem“ Rucksack stiefelten wir vor 7.00 Uhr, man könnte sagen noch leicht müde, die Treppen hinunter. Der Fahrstuhl war sogar einem alten Ehepaar wie uns zu eng. An der Rezeption legte ich die abgesprochenen 50,00 € auf den Tresen und wir wendeten uns Richtung Tür. Da meinte der Schnösel doch, er bekäme 54,00 €. Nun war der Bock aber so was von Fett, ohne Frühstück sich mit mir anlegen, ganz - ganz schlechtes Timing. Hatte das Gefühl, als wenn mein Kopf vor Wut abfliegt.

Kramte meinen Zettel, den wir bei der Anmeldung erhielten, heraus. Da stand definitiv 50,00 € drauf. Der Portier zeigte mit seinem manikürten Fingerchen auf das ganz klein gedruckte + I.V.A. daneben und grinste. Ich zückte die restlichen 4,00 € und wir zogen stinkig ab. Wenn man sonst in einem Hotel oder Hostal eincheckte, gab man seine Pilgerpässe hin, legte einen Ausweis dazu und zahlte sofort. Am Vortag wollten sie noch kein Geld haben, nannten nur den Nettopreis und legten dann am Abreisetag die Mehrwertsteuer oben drauf. Es ging nicht um die 4,00 € Épw, sondern um die Art und Weise.

So, bevor ich durch diese Stadt lief, brauchte ich unbedingt etwas zwischen meine Zähne und noch dringender Café con leche. Zum Glück hatte eine mickrige Bar schon auf, meine Erstanforderungen an den Tag konnten gestillt werden. Um einen der gelben Hinweise, die Muschel, die Sonne oder einen Pfeil zu finden, musste man immer nur Richtung Kirche bzw. Kathedrale laufen. Wir fanden den in den großen Städten spärlich gekennzeichneten Camino. Nun konnten wir mit unserer Etappe von Burgos nach Hornillos del Camino 21,4 km starten.

Ich erschrak, was stöckelte denn da vor uns her? Och nö, die Hightech Holländer. Zischelte zu Wolfgang: „Langsamer gehen.“ Obwohl, so langsam konnte man gar nicht gehen. Wir besuchten noch eine Bar, um uns für den Weg ein Bocadillo zu besorgen. Die ”Sicht“ war wieder frei und wir konnten uns auf den Weg machen. Vor uns liefen zwei junge Spanier, die wir von unserer ”Lieblingsalbergue“ kannten. Der eine junge Mann bewegte sich ”unrund“ schwer auf seinen Pilgerstab gestützt vorwärts. Wir zogen mit einem ¡Buen camino! an ihnen vorbei und überquerten eine Straße, immer schön nach links über den Zebrastreifen – nach rechts über den beampelten Zebrastreifen und das Gleiche noch einmal. Geradeaus wäre ja auch zu einfach gewesen.

Endlich hatten wir die Stadt verlassen. Wir liefen über einen mit Bäumen und Büschen gesäumten Weg. Vor mir blinkerte etwas Weißes auf, es war das T-Shirt des Holländers, der am Weg stand. Wir grüßten ihn im Vorbeigehen, da sah ich Frau Holland neben einem Busch in gehockter Stellung sitzen. Holland in Not.

Im flotten Paarlauf ging es über Autobahnen und an den Autobahnen entlang. Danach freuten wir uns über Wege, die teilweise im Schatten lagen und einige Zeit an einem Fluss, später an Feldern entlang führten, für Flachländler angenehm zu laufen. Wir erreichten den Ort Tardajos, Pause war fällig. Die für Pilger angesagte Bar wurde angesteuert. Die dazugehörige mit riesigem Pavillon überdachte gekieselte Fläche war durch die Straße von der Bar getrennt. Dankbar nahmen wir im Schatten Platz.

An einem anderen Tisch saßen unsere immer freundlichen französischen Pilger vom Burgos-Bus. Wir begrüßten uns gegenseitig mit einem Zulächeln. Wir verstanden uns auch ohne Worte. Und dann kamen sie, Deutsche oder zu viele Deutsche in einer Gruppe von ca. 10 Personen. Eine kreischte: „Marianne setz dich schon mal hier hin.“

Marianne schnaufte, war auch schon älter, tat, was ihr befohlen wurde.

Rücksichtslos, konnte noch rechtzeitig einen Stuhl für meinen Mann festhalten, wurden Stühle von den umstehenden Sitzgruppen über die Kiesel geschleift. Endlich unter krrrrrr - krrrrrr – krrrrrr hatten sie genug zusammen und sie setzten sich hin. Unsere französische Busmitpilgerin aus Burgos sah irritiert auf diese Gruppe und lief mit den mit Spiegeleiern und Schinken gefüllten Tellern an ihnen vorbei zu ihrem Tisch. Unser Augenkontakt signalisierte, dass wir uns schon wieder wortlos verstanden.

Es gab viele neue Pilger auf dem Weg und auch diese Gruppe muss in Burgos gestartet sein. Alle Gruppenmitglieder trugen orangene Tücher am Hals, an der Hose, um den Arm gebunden oder am Rucksack befestigt. Sie entwickelten sich von orange zu ”roten Tüchern“. Eine aus der Meute blies einen gelben Luftballon auf und befestigte ihn an einem Pfeiler des Pavillons. Mariannes Platzanweiserin meinte, genau so müsste es sein, jeder sollte wissen, dass sie hier gewesen waren. Da hing er nun dieser lächerliche Ballon.

Ich tippte insgeheim auf Sportverein bzw. – wir treffen uns einmal im Monat zum Wandern – Vereinigung. Der Letzte ihrer Sorte kam angeschnauft, er lief in Turnschuhen und trug das schwerste Gepäck in Form von Körperspeck mit sich. Da die anderen Mitglieder ihn mit so einem süffisanten Grinsen begrüßten tat er mir leid. Also Sportverein stimmte schon mal nicht und für eine Wandervereinigung hätte er besser ausgerüstet sein müssen, der arme Kerl. Was ich aber auch immer zu wissen glaube.

Der exzellente Sitz der Frisuren von den Frauen bekräftigte mich bei meiner Meinung, dass sie in Burgos gestartet waren und ihr Schminktäschchen hatten sie auch nicht vergessen. Ein pummeliges Blondchen mit halblangem Pagenschnitt zog sich erst ihre knallroten Lippen nach und dann die Stiefel aus. Zum Wechseln der Strümpfe legte sie die getragenen Strümpfe auf den Tisch und zog sich ein neues Paar Socken an. Tja, pilgern hat schon was mit Einfachheit zu tun.

Wir hatten uns gestärkt und machten uns wieder auf den Weg. Wenn ich meinen Rucksack geschultert hatte, fuhr oft meine linke Hand Richtung des über dem Gurt befindlichen ”Rettungsrings“, mit den Spitzen von Zeigefinger und Daumen prüfte ich die Breite. Hm, sehr zufriedenstellend. Seh ich mir die Bilder jetzt an, frage ich mich, was ich denn da nun wieder gefühlt hatte.

Nachdem wir durch Rabé de las Cazadas gelaufen waren, begann die Meseta. Der Camino führt wieder durch eine baum- und strauchlose Landschaft an Wiesen und Felder entlang. Die einzige Möglichkeit im Schatten einen Schluck erfrischendes Wasser zu trinken, war, nach rechts zum Brunnen Parotorre abzubiegen, an dem nicht nur Bäume, sondern auch Holzbänke und -tische stehen und es einen Grill gibt. Wir hatten aber leider kein Grillfleisch mit. Holland kam, wir gingen lieber weiter.

Es war warm und wir stiefelten bergauf. Neben mir tauchte unser Erstpilger alleine auf, erschrocken fragte ich ihn: „Oh, wo ist Madame?“ Er schmunzelte mich an und wies mit der Hand hinter sich. Da kam Madame, ich klopfte mit meiner Hand auf mein Herz und atmete dazu erleichtert aus. Sie lachte mich an und ich freute mich, alles war gut.

Die Wetterverhältnisse waren grandios – äh – für einen Strandurlaub. Zwischendurch schnell ins Wasser springen, wenn einem zu warm ist und zurück unter den Sonnenschirm lesen oder einfach nichts tun. Tz – tz – tz, Wasser gab es nur ohne Meersalz aus der Flasche, der Sonnenschutz war ein Hut, wobei der Rest des Körpers in der sengenden Sonne brutzelte. Oben auf der Hochebene angekommen konnten wir schon mal einen Blick auf den im Tal liegenden Ort Hornillos del Camino werfen.

Die letzten Kilometer bergab zogen sich. Meine Füße meinten auch, dass es für diesen Tag genug ist. Ich müsste vielleicht meine Füße überprüfen, ob eine Tageslaufleistung eingestanzt ist. Da es für Füße auch keine Bedienungsanleitung in Papierform gibt und ich leider keinen Internetzugang mit hatte, konnte ich derartiges leider nicht nachsehen. Wir schotterten bis zum Ortseingang. Dort gab es einen Dorfladen und gegenüber ein Hostal. Leider hatte dieses Hostal einen Zettel ”komplete“ an den Butzenscheiben hängen. Die dunklen Scheiben ließen einen noch nicht mal einen Blick hinein werfen.

Mein Mann holte uns Getränkedosen. Ich hatte nicht nur keine Lust auf Wasser, sondern auf nix mehr – fertig – einfach völlig fertig. Setzte mich auf die kleine im Schatten stehende Bank vor den Laden. Um meinen gesamten Körper vor der Sonne zu schützen, hätte ich mich tief in die Sitzfläche gedrückt hinlegen müssen. Ich maulte, mach ich immer wenn ich kaputt bin. Wolfgang sollte alleine im Ort nach einer Übernachtungsmöglichkeit suchen. Mein Körper, besonders meine Füße streikten und ich unterstützte sie. Einigkeit soll ja starkmachen – hm – hier doch eher schwach.

Meine Chevaliers huschten an mir vorbei, öffneten die Tür des Hostals und verschwanden darin. So eine Oberfrechheit, sie hatten wohl reserviert. Meine Laune sank noch ein Stück tiefer. Da saß ich nun im kaum noch vorhandenen Schatten und suchte krampfhaft nach jemanden, den ich ordentlich ärgern konnte. Leider kam weder Wolfgang zurück, noch sonst ein Pilger vorbei. Er hatte seinen Rucksack bei mir gelassen, somit nahm ich nicht an, dass er sich von mir, seinem knurrigen Eheweib abgesetzt hatte.

Endlich erschien er zurück, er hätte weiter im Ort eine Herberge gefunden und dort mit einer Englisch sprechenden Mitarbeiterin gesprochen. Es gäbe 6 km weiter ein Hotel und wir würden vor der Albergue abgeholt werden. Mensch, hätte uns auch vor dem Laden abholen können. Der Rucksack wurde wieder geschultert und ab zur Albergue. Wir trafen dort auch Josef an, er hatte in der Herberge schon seine Sachen untergebracht. Begeistert war er von der Herberge nicht. Und auch diese Albergue war schon belegt. Die orangenen Tücher flatterten an uns vorbei, die Platzanweiserin rief noch ein: „Vielen Dank für den Tipp”, er sei ihr Retter gewesen zu Josef. In meinem Kopf spuckte es: Josef wie kannst du nur. Wie kamen die überhaupt hierher, überholt hatten sie uns nicht. Sie wurden zu einem Matratzenmeer in einer Sporthalle geführt. Wenn sie einen Spiegel dort fanden, konnten sie ihn ja fragen: Spieglein, Spieglein an der Wand wer sind die am dollsten geschminkten Pilgerinnen auf dem Camino in diesem Land?

 

Wer weiß, vielleicht hätte er geantwortet: Ihr seht ja toll aus, so schön zurechtgemacht. Bei mir käme bestimmt: Nimm mal schön dein Wellblechpalastgesicht weg. Und die Haare sind auch nicht geföhnt. Kann ich noch einmal bitte die mit den orangenen Tüchern sehen? Hallo, ich bin auf dem Pilgerweg und Marathonläufer sehen im Ziel auch nicht gut aus. Wenn der Spiegel dann bemerken würde, ich wäre ja auch noch nicht am Ziel, müsste ich ihm leider recht geben. Zum Glück halten alle Spiegel den Mund.

Wir saßen auf dem ungastlichen Platz vor der Albergue, ein Tisch, zwei Stühle, ein kleiner Sonnenschirm und an der Wand hing ein roter Bushaltestellen-Mülleimer. Ich fragte mich, wo sich die ganzen Pilger (32) aufhalten sollten. Als ein Auto angefahren kam, sprang ich auf, nur um mich wieder hinzusetzen. Es fuhr vorbei, denn eben nicht. Beim nächsten Auto blieb ich sitzen, es war aber für uns angefahren gekommen.

Schnell die Rucksäcke, Stick´s und wir hinein, ab ging die Fahrt. Aus dem Seitenfenster hinausschauend sah man das Schild des nächsten Ortes. Ich glaubte es nicht, da stand doch tatsächlich – Isar-. Somit landeten wir in Bayern, vor dem Hotel Rural. Ich zückte mein Geldtäschchen, um das Taxi zu bezahlen. Der Fahrer sah mich verwirrt an. Wolfgang meinte: „Das ist doch der Besitzer vom Hotel, der möchte kein Geld für die Fahrt.” Auch gut.

Die Bar ist auch die Rezeption, klein aber gemütlich, hier hielten sich auch einige Spanier an Biergläsern fest. Oder sie kamen um sich die barbusige, schielende Figur anzusehen, die auf dem Tresen stand. Wir wurden gefragt, ob wir etwas trinken möchten. Ach, endlich einen Café con leche, Wuschi nimmt lieber ein Bier. Smoky ging natürlich mit dem Café vor die Tür und suchte dort an der linken Hausseite Schatten. Das Angebot für Schattenplätze war aber den Tag so was von gering. Es fehlten hier Sonnenschirm und Stühle. Nach dem Getränkegenuss führte uns der Besitzer nach oben zu unserem Zimmer. Obwohl das hätten wir auch selber gefunden, es gab nur fünf Zimmer. Die Zimmer hatten keine Nummern, sondern Namen, die Namen habe ich aber vergessen. Ich kann mir ja nur Zahlen merken.

Wir schlossen auf und fielen fast vor Staunen in Ohnmacht. Wir Luxuspilger, wir Glückspilze. Uns empfing ein in warmen Farben gehaltenes großes Zimmer, das Bett lud zum Sofortschlaf ein. Wir widerstanden. Das Zimmer musste ja noch mit dem Rucksackinhalt umdekoriert werden. Ich betrat das Baño, oh my good, eine Badewanne, wer jetzt noch am Luxus zweifelte. Ich ging plätschern, nach der Reinigung von Körper und Wanderkleidung hatte meine Erschöpfung die Müdigkeit an die Hand genommen und war verschwunden. Wir gingen sauber und bestens gelaunt hinunter. Auf unsere Frage, wo wir unsere Sachen trocknen könnten, meinte der Hotelier: im Garten auf dem Trockenständer. Den Ständer hatte ich oben im Flur gesehen. Aber welchen Garten meinte er? Gingen diesmal rechtsseitig um das kleine Hotel. Da gab es eine kleine von einer Hecke umrahmte Grasfläche, ohne Sonnenschirm zwar, aber mit Tisch und 2 Stühlen. Wie wohl die Notunterkunft mit Matrazenmeer aussah? Tz,tz.

Hatte ich mir auf dem Camino kühleres Wetter gewünscht? Dieser Wunsch wird verspätet erfüllt. Es ist Juli, theoretisch Sommer, kalendermäßig, aktuelle Temperatur 12ºC. Es schifft, mit kurzen Unterbrechungen, seit drei Tagen. Ein sogenannter Deutscher “Supersommer“. Schlafanzugsonntag. Da Philips sich, seit einer Woche, mit dem von Allitsches (Alice) HD-Rekorder angerichteten Schaden beschäftigt, können wir Fernsehtage schlicht vergessen. Allitsche, meine neue “Freundin“, das Blondchen, das immer so schön mit ihrem braunen Kleid um die schlanken Beine wedelt. Wie konnte ich als Frau nur darauf hereinfallen. War es Neid auf diese Figur, dachte ich, da färbt vielleicht etwas ab. Einen vernünftigen Grund kann ich einfach nicht mehr erkennen. Zurück auf den richtigen Weg.

Wir setzten uns in den Garten und bewachten, abwechselnd mit Cafe, Cerveza oder Clara (Alsterwasser) bewaffnet, unsere auf dem Trockenständer hängende Wäsche. Beschrieben den ersten Schwung Postkarten. 28º C warm war es bestimmt. Wir rückten die Stühle so dicht an die Hecke, dass wir ein Stückchen im Schatten relaxen konnten. In dem Hotel waren auch ein Franzose und eine Deutsche untergekommen. Die Kommunikation mit dem Franzosen beschränkte sich aufs freundliche Zunicken. Die Deutsche kam in “unseren“ Garten. Sie war klein, fast dürr und trug ihr graues Haar pusteblumenmäßig. Ich tippte auf Lehrerin, weil sie ein so strenges, keinen Widerspruch duldendes Gesicht hatte. Sie beklagte sich darüber, dass die Herberge belegt war und sie nun hier in diesem Hotel übernachten musste. Warf noch einen begehrlichen Blick auf unsere Heckenplätze und unter der Bemerkung, hier wäre ja auch kein Schatten, zitterte sie wieder ab.

Getränke machten nicht satt, der große Hunger rüttelte an unseren Magenwänden. Ich ging ins Hotel und fragte, wann wir comidos (essen) könnten. Der Besitzer sah zur Uhr und meinte, in einer ½ Stunde, um 17.15 Uhr, könnten wir essen. Was für ein Luxus, nicht bis zum Abend warten zu müssen. Das wurde hier ja immer schöner. Nachdem wir unsere trockene Wäsche in unser Zimmer gebracht und so noch rumgetrödelt hatten, war es Zeit zum Speisen.

Neben der Bar gab es den Speiseraum. Der Hotelier, außer kochen machte er alles, führte uns zu einem, in der hintersten Ecke stehenden, eingedeckten Tisch. Fast wie in einem Separee. Wein und Brot standen schon bereit. Es wurden uns als Vorspeise gebratenes Gemüse, als Hauptgang Schweinefilet mit Salat und leckerer Soße und zum Dessert Eis gebracht. Dazu genossen wir den vorzüglichen Rotwein. Das Schlaraffenland hatte seine Pforte nun aber ganz weit aufgerissen.

Wir beschlossen noch eine Runde durchs Dorf zu drehen. Die Pusteblume kommt uns mit einer Tüte in der Hand entgegen. Meinte, falls wir noch einkaufen wollten, könnte sie uns sagen, wo sich das Geschäft befindet. Nö, wollten wir nicht. Unser Energiedepot (Bananen) war noch gefüllt und Wasser holten wir uns im Hotel. Wir liefen zur nahegelegenen Kirche hinauf. Das ganze Gelände um sie sah ungepflegt aus. Neben der Kirchenuhr tummelten sich Wespen oder Bienen um eine Lücke in der Kirchenmauer. Außer den Insekten ging wohl keiner in diese Kirche. Von dem höhergelegenen Platz vor der Kirche konnten wir weit ins Land sehen. Das Land, das wir schon “abgelaufen“ waren. Zufrieden mit uns und der Welt gingen wir zum Hotel.

Als wir durch das mittelalterlich anmutende Dorf zurückgingen, stellten wir fest, dass der Ort wie ausgestorben war. Kein Mensch begegnete uns. Man hörte auch kein Kinderlachen, keine meckernden Mütter, keinen Rasenmäher, keinen Handwerker bohren und hämmern, sah keine Katze, es bellte kein Hund. Nix. Da musste der Hotelbetreiber sich ja über unsere Anwesenheit freuen.

Als wir im Hotel ankamen, handelten die beiden anderen Gäste, die Deutsche in perfektem Französisch und spanisch, gerade die Uhrzeit für Frühstück und Abfahrt aus. Wir fanden eine Frühstückszeit um 7.15 Uhr in Ordnung, den anderen Pilgern ist das zu spät. Damit der Hotelier nicht überstrapaziert wurde, schlossen wir uns den Beiden an. Nun sollte es um 6.15 Frühstück geben und die Abfahrt um 6.45 Uhr erfolgen. Ich war fasziniert von den Sprachkenntnissen der Frau und fragte sie, ob sie Lehrerin war. Nein, sie wäre Übersetzerin gewesen, ihr Hörvermögen ließ nach und sie musste den Beruf aufgeben. Gut, dass ich in ihrer Anwesenheit kein spanisch gesprochen hatte. Mit ¡Buenas noches! gingen wir hinauf in unser “Gemach“.