Die Goldene Stadt im Untersberg 3

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„Kranke Bastarde“, flüsterte er vor sich hin, während sich der Duft einer stechenden Räuchermischung in seine Nase legte. Er starrte weiter durch die Öffnung und versuchte, alle Eindrücke in seinem Kopf abzuspeichern.

Nach einigen Minuten sah er, dass ein Mitglied an den Logenmeister herantrat und ihm etwas ins Ohr flüsterte. Plötzlich warf dieser seinen längeren Dolch zu Seite, nahm die rote Kapuze vom Kopf und ging mit hastigen Schritten die Türe zu seiner Rechten aus dem Raum hinaus. Das Ritual wurde unterbrochen und die Mitglieder sahen sich fragend an und begannen sich flüsternd zu unterhalten. Jonas konnte erkennen, dass dieses Ritual abrupt und nicht geplant beendet wurde.

„War ich der Grund?“ Schweißperlen bildeten sich auf seiner Stirn und er war nervös, weil er nicht wusste, womit er zu rechnen hatte. Schnell rannte er daher mit seinem verletzten Bein, so gut er konnte den Tunnel entlang in die Richtung, aus der er gekommen war.

Angekommen in dem Raum mit der Öffnung, wo er heruntergerutscht war, erkannte Jonas, dass ein Entkommen aus dieser unterirdischen Anlage nur mit Mühe erreichbar war. Es war möglich, aber nur deshalb, weil eine alte rostige Kette aus der Schachtwand hing. Jonas sah hoch, zog einmal an der Kette, um den Halt zu testen, und kroch anschließend mit einiger Anstrengung aus der Öffnung ins Freie hinaus.

Schwer atmend blickte er sich im Freien um und auch an sich hinunter. Seine Hose war blutverschmiert und zerrissen, sein Hemd verdreckt und total verschwitzt. „Soll ich so etwa auf die Straße?“ Aber viele Möglichkeiten blieben ihm nicht. Auch nicht viel Zeit, um zu überlegen. Also entschloss er sich, die Seitenstraße zu nehmen und verschwand humpelnd in die Dunkelheit, in der Hoffnung, von niemandem entdeckt zu werden.

3. Eine Welt, die es nicht geben dürfte

Wir standen plötzlich auf dieser felsigen Anhöhe mitten im Gebirge und wussten nicht, wo wir waren. In eisiger Kälte und mit gefrorenen Händen zitterten wir am ganzen Körper.

Als ich die Sonne betrachtete, die uns in dieser kalten Gebirgsluft ein wenig wärmte, wusste ich in diesem Moment um das Geschenk einer höheren Instanz, die uns beobachtete. Ich blickte mich nach dem Professor um und merkte, dass dieser einen Weg im Eis suchte.

„Claras, ich weiß nicht, ob wir hier einen Weg hinunter finden.“

Dann sah ich mich selbst ein wenig in der Umgebung um, konnte aber nur ein weißes Nichts erkennen. Ein paar Schritte weg vom Abhang, den Felsen entlang, waren nur Schnee und Eis, sonst rein gar nichts. Der Professor kam auf mich zu und schüttelte deprimiert den Kopf.

„Jürgen, ich denke wir sitzen fest. Hier führt kein Weg hinaus.“

Wir starrten uns beide mutlos an und ich verlor die Hoffnung auf Rettung. Der Wind pfiff uns um die Ohren und betäubte mein Gesicht. Sollte dies das Ende sein? Sollte dies unsere Bestimmung sein? Jetzt einfach zu sterben, in dieser eisigen Hölle zu erfrieren? Ich fiel auf meine Knie zu Boden und umklammerte meine Brust mit beiden Händen. Es war so kalt!

Als ich so im Schnee kniete und meine letzten Erlebnisse Revue passieren ließ, fiel mir ein, dass uns der Graf an diesen Ort gebracht hatte! Naja, er hatte uns kurz zuvor in der Halle der Zeit erklärt, dass diese uns an alle Orte bringen könne und in jede Zeit! Und dass wir genau dorthin kämen, wo unsere Seele oder unser Unterbewusstsein es wollten.

„Claras, erinnerst du dich an die Worte des Grafen?“

Der Professor sah mich fragend an.

„Welche Worte meinst du, Jürgen?“

„Der Graf hat uns doch gesagt, dass wir genau an diesen Ort kommen, der in unserem tiefsten Innern verankert ist! Er sagte mir, dass der Weg ein schmaler und gefährlicher sei! Also dabei geht es um unsere innere Einstellung. Um unsere Überzeugungen und Taten. Das, was wir sind, was uns ausmacht und was wir für tief verankerte Einstellungen haben. Genau diese Orte werden wir besuchen dürfen!“

„Du sagst, also, dass wir genau dorthin kommen, wo unser tiefstes Inneres liegt? So ungefähr?“

„Ja, ich denke schon mein Freund, das sagte er zumindest.“

Ich blickte nochmals in die Ferne der Berge und betrachtete den Schnee und das Eis, das uns zum Schicksal werden drohte. Bevor ich antwortete, überlegte ich kurz.

„Einsamkeit, Eis, Kälte und weite Ferne mit einem Geschenk des Himmels, das sich Sonne nennt. Sagen dir diese Stichworte etwas Claras?“

„Ja, darin befinden wir uns. Das ist doch offensichtlich.“

„Nein, das meine ich nicht. Ich meine dein Innerstes.“

Claras sah zu Boden und überlegte. Nach einigen Sekunden hob er den Kopf und sah mich an.

„Ja, Jürgen, ich weiß, was du meinst und ja, es sagt mir was.“

Er senkte seinen Kopf und setzte sich ebenfalls in den Schnee.

„Das ist es, mein Freund! Mir sagt es ebenso etwas. Die Kälte, die einsame Stille und die Ferne, die zu sehen ist. Auch das Geschenk der Wärme. Wir sollten dankbar sein und unsere Gedanken ändern.“

Der Professor sah mich an und wurde wütend.

„Verdammt noch mal, willst du jetzt meinen Psychotherapeuten spielen, Jürgen? Herrgottnochmal. Wir sitzen in der Falle! Wir sind praktisch tot! Kein Weg führt weg von hier und du erzählst mir was von einer inneren Einstellung.“

Ich sah den Professor an und konnte seine Wut natürlich verstehen, daher lenkte ich ein.

„Ich will nicht dein Therapeut sein. Ich sage ja nur das, was der Graf uns gesagt hat. Und vielleicht ist das einfach hilfreicher als im Schnee zu hocken, alles zu verdammen und den Kopf einzuziehen.“

Der Professor stand auf und geriet jetzt richtig in Rage.

„Sieh dich um, du verdammter Hund. Nichts! Nichts! Eis, Gebirge und der Tod warten auf uns. Ich hätte dir niemals in diesen Abgrund folgen dürfen. Ich hätte niemals auf dich hören dürfen. Ich hätte mich damals umbringen sollen, als ich bei dir war! Warum? Warum hast du die Rettung geholt, warum hast du mich leben lassen?“

Nach diesen laut gebrüllten zornigen Worten konnte ich beobachten, dass Claras kurz vor einem Nervenzusammenbruch stand. Er war fertig mit der Welt.

„Claras, du hast deinen Sohn wieder gefunden. Du solltest kämpfen!“

Er kam auf mich zu, packte mich an der Jacke und sah mir hasserfüllt in die Augen.

„Was weißt du denn schon, verdammt noch mal? Was weißt du schon über mich? Ja, ich habe meinen Sohn gefunden, aber das macht nicht rückgängig was ich getan habe! Das macht nicht meine Taten rückgängig.

Und wenn wir schon von einem Geschenk reden: WO IST DEIN GOTT? Wo ist dein höheres Wesen? Soll ich dir was sagen, alter Freund? Lass mich in Ruhe! Und deinen Gott, den hat es nie gegeben und wird es nie geben. Er hat mir alles genommen und mich in Agartha in Versuchung geführt! Sollte das Gott sein? Dann scheiß ich drauf, verdammt noch mal. Wir werden hier sterben und das ohne Erleuchtung oder Gnade.“

Nach diesen Worten schubste er mich zur Seite und ging auf den Abgrund zu, der vor uns lag. Ich lag im Schnee, konnte meine Füße nur schwer bewegen, da die Kälte mir durch jede Zelle. Ich sah wie Claras am Abgrund stand und hinunter blickte.

„Nein Claras! Nein Claras! Tu das nicht! Verdammt noch mal. Ich weiß, wir haben noch einen gemeinsamen Weg zu gehen. Ich weiß nicht wohin, aber ich weiß es. Der Graf hat uns dies nicht alles umsonst gezeigt!“

Claras war ganz in Gedanken versunken, während er in den Abgrund starrte. War er ein Ausgestoßener? Ein Abtrünniger? Er wusste es nicht. Alles, was er wusste, war, dass er sich von diesem Leben irgendwie nicht angenommen fühlte. Er dachte an die Menschen, von denen er seit seinem Schicksalsschlag umgeben war. Hier war nicht der Platz, für den er bestimmt war, nein, hier gehörte er nicht hin! Soviel wusste er zumindest.

„Bin ich schuld daran, dass ich hier nicht willkommen bin? Was habe ich getan? Sind es meine Sünden, meine Taten, die mich in diese Situation gebracht haben? Es scheint so! Wäre ich doch nie nach Agartha gegangen.“

Er wurde bei diesen Gedanken richtig depressiv. Als er sich zu mir umdrehte, hatte er sich wieder gefasst und sprach ganz ruhig zu mir.

„Weißt du Jürgen, ich habe immer wieder die Beobachtung gemacht, dass die Leute in meiner Umgebung über alltägliche Dinge redeten und diskutierten. Sie lachten und hatten Spaß daran, aber ich saß derweil auf einem Stuhl und beobachtete sie und erkannte, dass sie sich nicht normal verhielten.

Denn jeder spielte nur eine Rolle, die der gesamten Gruppe Leben einhauchte. Es war einfach nur ein Schauspiel. Sie lachten zwar und hatten Spaß, aber das wollten sie überhaupt nicht. Sie handelten nur unter einem gewissen Gruppenzwang, gemäß der Gruppendynamik, die sie sich selbst erschaffen hatten.

Gruppenzwang, nichts weiter! Und daran konnte ich niemals teilnehmen! Denn meine Taten und der Tod meiner Familie hatten mich sonderbar werden lassen. Ich war dadurch sensibler geworden und konnte mich nicht mit solchen falschen Dingen beschäftigen. Und weißt du, was das Ergebnis davon war? Einsamkeit. Einsamkeit und die Taten, die ich nie vergessen werde.

Und jetzt frage ich dich, als meinen Freund: Was hat das alles denn noch für einen Sinn? Sag es mir! Und ja, du könntest sogar recht haben - vielleicht ist dies die Kälte, die uns gespiegelt wird und manifest geworden ist, als wir die Halle der Zeit verließen und hier gelandet sind. Ich weiß es nicht.“

Ich stand mühsam auf und stakste steif gefroren ein paar Schritte an Claras heran.

„Claras, jeder von uns hat Taten begangen, die er bereut. Der eine schlimmere, der andere weniger schlimme! Aber das ist das Leben mein Freund! Steh jetzt auf, sein dir deiner Taten bewusst und suche einen Weg, um sie auszugleichen. Ich weiß zwar nicht, wie, aber kämpfe darum, mein Freund. Kämpfe und siege.

 

Dann, wenn die Zeit gekommen ist, steh dir selbst oder einem Gott gegenüber und sage ihm oder dir selber, dass du gekämpft hast und nicht verloren hast. Sag ihm, dass du die Taten, die du begangen hast, verstanden hast und für sie gebüßt hast, indem du ein besserer Mensch geworden bist.“

Claras wendete sich vom Abgrund ab, kam auf mich zu und legte seinen Arm auf meine Schulter.

„Jürgen, ich weiß nicht, ob wir hier sterben. Ich weiß nicht, ob uns ein Gott oder ein höheres Wesen von hier abholt. Aber ich werde nicht durch meine eigene Hand sterben! Wenn es so sein soll, ich bin bereit! Aber bis dahin werde ich kämpfen!“

Dann plötzlich fiel ein riesiger Schneebrocken vom Bergabhang herab, der ca. zwanzig Meter rechts von uns liegen blieb. Wir erschraken kurz und ich drückte fest seinen Arm, bevor ich ihm versicherte:

„Claras, ich bin kein Christ. Aber wir kämpfen uns beide durch diese weiße Hölle. Wo auch immer uns dieser Kampf hinführt!“

Dann gingen wir entschlossen an diesen Bergabhang heran, was uns einige Anstrengung kostete, und blieben bei dem Schneebrocken stehen, der eben noch heruntergesaust war.

Als ich auf den Fels zu meiner Rechten starrte, sah ich einen kleinen Höhleneingang, der ins Innere des Berggipfels führte. Der herabgestürzte Schneebrocken und der Schnee, den er mit sich gerissen hatte, schienen den Eingang freigelegt zu haben. Jedenfalls hatte ich ihn zuvor nicht bemerkt. Aber das spielte auch keine Rolle.

Ich machte den Professor auf den Eingang aufmerksam und zeigte mit dem Finger in die Richtung. Er nickte und gemeinsam gingen wir darauf zu, voller Neugier, was uns dort wohl erwartete.

Als wir endlich die Höhle betraten, waren wir dem ewigen Eis und der kalten Gebirgsluft entkommen. Türkisblaue und weiße Höhlenwände, wie ich noch nie welche gesehen hatte, empfingen uns. Auch die Luft im Berg war wesentlich wärmer als draußen. Wir gingen immer tiefer in den Berg hinein, der unsere Seelen verschlang und bald waren wir in den Tiefen des Berges verschwunden.

Nachdem wir uns eine ganze Weile schweigend und konzentriert vorwärts bewegt hatten, kamen wir plötzlich in eine größere Grotte. Zu meinem Erstaunen musste ich feststellen, dass ich die Gegend kannte.

„Claras, ich kenne diese Gegend!“

Der Professor sah mich an und runzelte die Stirn.

„Claras, als ich in Rosenau bei dieser Pyramide war, bin ich in eine Art Trance gefallen und habe mich bei den Zwergen gesehen, die mir den Stein vermacht haben. Und es sah genauso aus wie hier!“

Der Professor sah sich um und schüttelte den Kopf.

„Ich kann es nicht fassen, aber nach all den Erlebnissen muss ich dir wohl glauben, oder?“

Ich ging an die mir schon bekannte Stelle im Zentrum dieser Grotte und sah mich um. Plötzlich hörte ich eine Stimme, die von den Grottenwänden zurückgeworfen wurde.

„Wir haben dich erwartet, Jürgen!“

Ich zuckte zusammen und drehte mich rasch einmal im Kreis, um festzustellen, wer da mit mir gesprochen hatte, konnte jedoch niemanden sehen. Dann trat überraschend ein älterer Mann hinter einer Steinsäule hervor.

„So lange ist es gar nicht her, mein Freund“, lächelte das mir nur zu gut bekannte Gesicht zu.

„Chalse? Bist du das?“ Ich konnte es nicht fassen.

„Ja mein Freund!“, strahlte mich Chalse Frizker an und trat näher an uns heran. Der Professor kam ebenfalls neugierig näher und starrte ungläubig auf diesen älteren Mann, der in Stofffetzen gekleidet war.

„Chalse? Wo ist mein Sohn Antonio?“, wollte der Professor wissen, doch Frizker winkte ab. „Antonio hat seine Aufgaben!“

Obwohl ich mich freute, ihn zu sehen, war ich dennoch ein wenig verwirrt. Ich hoffte auf eine Erklärung.

„Wo sind wir hier, Chalse? Was sollen wir hier? Wir waren vorhin doch noch in der Halle der Zeit?“

„Ja, aber das hatte ich euch ja gesagt. Die Halle befördert euch genau an den Ort, der in Übereinstimmung mit eurem tiefsten Inneren steht. In eurem Fall war dies nun das eisige Orikongebirge in einer Welt, die ihr noch nicht ganz verstehen könnt!“

Verblüfft sahen der Professor und ich uns an und konnte nicht glauben, was der Graf uns eben erzählte. Wir sollten doch tatsächlich in einer anderen Dimensions- und Zeitlinie sein! Der Graf trat einen Schritt auf den Professor zu und legte ihm wie gewohnt seine Hand auf die rechte Schulter.

„Claras, Antonio bat mich, dir zu sagen, dass du nach Simbola gehen solltest!“

„Was ist Simbola, bitte?“

„Das Zentrum der Nibelungen, mein Freund! Du hattest es schon erblickt. Jedoch in einer parallelen, anderen und dunklen Existenz!“

Der Professor starrte mich fragend an und schüttelte kurz seinen Kopf.

„Was meinst du mit einer anderen und dunklen Existenz?“

„Du hast damals das Land der Nibelungen gesehen, das du sehen wolltest, aber nicht das, was es wirklich ist. Erinnerst du dich?“

Claras überlegte einige Sekunden, ließ seinen Blick schweifen und erwiderte:

„Ja ich erinnere mich. Technologien! Dexer sah sie ebenfalls, nicht wahr? Nur, was meinst du mit Nibelungen?“

„Genau, Claras. Dexer sah sie ebenfalls! Was die Nibelungen angeht, da ist die Erklärung etwas schwieriger. Ihr werdet eure Antworten darauf zu gegebener Zeit finden.“

Offenbar kamen wir mit den Nibelungen nicht weiter, also unterbrach ich die beiden und bedrängte den Grafen stattdessen mit anderen Fragen, in der Hoffnung, wenigstens auf andere Dinge ein paar rasche Antworten zu finden.

„Diese Grotte, Chalse, warum diese Grotte? Ich habe hier den schwarz-violetten Stein von einem Zwerg erhalten.“

Der Graf schmunzelte auf die ihm so eigene Art und Weise und erklärte mir dann ausführlich die Zusammenhänge zwischen der Grotte und den Zwergen.

Er erklärte mir, dass diese Grotte, in der wir uns momentan befanden, die Grotte der Schätze genannt wird. Zwerge, Kobolde und manch andere Wesenheiten leben hier in dieser Grotte in einer Art Parallelexistenz der Welt, wie wir sie kennen. Sie beschützen die inneren Eingänge zu diesem Nibelungenland und geben den Menschen eine Art Zutrittskarte zu diesem Reich.

Nicht immer jedoch passieren die Menschen diese oder andere Grotten, wie zum Beispiel auch am Untersberg, dem Herzchakra der Welt. Manchmal gehen sie nämlich direkt in die dunkle Welt der Nibelungen und der hoch entwickelten Technologien jener Welt, die auch Claras und Dexer gesehen hatten – in die Welt, die den Namen Nibelungen trägt. Ich sah den Grafen erstaunt an.

„War auch die Geisterhöhle ein Zugang zu solch einer Grotte?“

„Ja, das war und ist sie! Nur der Zugang wird nicht jedem geöffnet!“

Ich erinnerte mich an den beweglichen Felsen bei der Grasslhöhle und nickte verständnisvoll, aber mit weiteren einhundert Fragen im Hinterkopf.

„Jürgen, du wirst all deine Antworten bald finden! Das verspreche ich dir! Ihr habt damals einen Weg eingeschlagen, den ihr nun weitergehen müsst. Ihr habt hier und jetzt die Wahl! Die Wahl, eure Entscheidung zu fällen. Doch bedenkt eines: Der Strahl zur schwarzen Sonne wurde durch euch aktiviert, hierzu wurdet ihr sowie auch andere auf der ganzen Welt bestimmt. Es ist jedoch noch nicht vollendet, nein, denn die Höllentore wurden noch nicht geöffnet! Entscheidet jetzt, wie ihr weitergehen wollt!“

Der Professor unterbrach den Grafen ungeduldig in seiner Erklärung. „Was müssen wir tun?“

„Claras, ihr müsst euch entscheiden. Geht ihr den Weg weiter oder geht ihr wieder ohne jegliche Erinnerung zurück in euer altes Leben?“

Der Professor und ich sahen uns fragend und ungeduldig an. Ich selber wusste, dass dies keine leichte Entscheidung sein würde. Nein, denn wenn wir den Weg weiter gingen, würden wir mit Sicherheit jegliche Bindung zu unseren Mitmenschen verlieren. Mit diesen ängstlichen Gedanken suchte ich beim Grafen nach weiteren Antworten.

„Chalse, bitte begleite uns. Was ist ...?“

Doch der Graf unterbrach mich in dem Augenblick und sagte: „Ihr müsst euch nicht genau hier und jetzt entscheiden. Ihr wisst nun von den Dimensionen, Parallelen und dem Land der Nibelungen sowie der schwarzen Sonne, die das Leben speist und noch vielen weiteren und mysteriöseren Dingen. Also geht jetzt aus der Grotte hinaus. Ich kann nicht weitergehen, denn das ist mir untersagt worden und ich muss mich an die Regeln halten. Ihr habt nun die Chance, Großes zu leisten. Ihr habt von mir die Werkzeuge und das Wissen dazu erhalten. Nun geht.“

Als Chalse seine kleine Ansprache beendet hatte, zeigte er uns den Ausgang aus der Grotte.

Wir gingen über abstrakte Steingebilde hinweg, wie ich sie schon einmal gesehen hatte. Nur eines fehlte: Wo waren die Zwerge, denen ich damals hier begegnet war? Warum hatte ich den Stein damals genau hier erhalten? Und warum war der Graf nun hier gealtert? Er sah völlig anders aus. Viele Fragen gingen mir durch den Kopf, auf die ich keine Antwort wusste.

Endlich standen wir in einem Tal, das ich ebenso kannte wie die Grotte. Nachdem ich mich kurz orientiert hatte, konnte ich einen Weg ausmachen, der sich mir zwischen den Steinen zu meiner Linken und der kleineren Wiese zu meiner Rechten eröffnete.

Wir waren gespannt, wo uns der Weg hinführen würde und folgten ihm, bis wir einen größeren Platz passierten und nach weiteren fünf Minuten vor einer kleinen Ruine ankamen, die neben einem Wald lag. Vor dieser Ruine saß ein Mönch auf einer Holzbank. Auch er kam mir bekannt vor.

Bei ihm angekommen, hob er seine rechte Hand und zeigte mir in der Ferne eine Brücke, die ich mit bloßem Auge gerade noch erkennen konnte und die ich ebenfalls schon kannte. Sie war nicht allzu weit weg, vielleicht fünf Minuten zu Fuß. Eine sehr schmale, aber lange Brücke. Ich sah den Mönch wieder an.

„Was ist das für eine Brücke? Wo führt sie hin?“

Der Mönch erklärte, dass dies die Brücke sei, die nach Simbola führte. Dann sah er den Professor an deutete ihm an, dass er über die Brücke gehen sollte. Claras war erstaunt und wollte wissen, warum er diesen Weg gehen sollte, doch der Mönch drängte ihn nur: „Nun gehe nach Simbola, mein Freund“, waren seine einzigen Worte.

Und Claras gehorchte. Er ging mit raschen Schritten und wie ihn Trance, ohne weiter nachzufragen über die Hängebrücke, die in einen grünen Nebel getaucht war, und verschwand. Ich blieb verwirrt bei dem ominösen Mönch zurück und wollte ebenfalls in Richtung der Brücke gehen. Aber als ich meinen ersten Schritt machte, um dem Professor zu folgen, hielt mich der Mönch am Arm zurück. „Stopp, Jürgen. Nein.“

Ich sah den Mönch fragend an. „Weshalb nicht? Was mache ich dann hier? Was hat das alles zu bedeuten? Warum nur der Professor? Wer bist du?“

„Jürgen, ich bin einer der neun Wächter vom Untersberg und von den Nibelungen. Wir waren es einst, die die Halle der Zeit am Untersberg bewachten und dort unser Werk vollbrachten.

Claras sollte vor der Entscheidung, die der Graf vorhin erwähnte, noch die andere Welt sehen. All das, was du gesehen hast. Nur so ist eine Weiterführung eurer Aufgaben möglich. Du kannst nicht über die Brücke. Der schwarz-violette Stein, den du erhalten hattest, ist verschwunden. Er wurde der Sonne, die das Leben speist, übergeben.“

Dann zeigte mir der Mönch, eine Türe in dieser Ruine und sagte mir, dass ich nun durch diese Türe gehen sollte und dass wir uns zu gegebener Zeit wiedersehen würden.

4. Die Goldene Stadt

Claras betrat am Ende der Brücke wieder festen Boden und konnte bei einem Blick zurück nur den Nebel sehen, der die Brücke verschlang, sodass deren Ende nicht zu erkennen war. Wie in Trance stapfte er weiter, bis der seltsame Zustand von ihm abfiel und er wieder ganz der Alte war.

„Verdammt, war ich auf Droge? Wie bin ich hierher gekommen?“, fluchte er. Nur vage konnte er sich an das Gespräch mit dem älteren Herrn in der Höhle erinnern. Da ihm nichts anderes übrig blieb und weil er auch neugierig war, wo er sich befand, ging er einfach immer weiter und betrachtete stumm die merkwürdige Landschaft, die sich um ihn herum ausbreitete.

Er befand sich in einer Art Sandwüste, in der es lediglich hier und da ein paar verdorrte Büsche gab. Auch der Himmel sah ganz anders aus, als er ihn kannte. Lebendiger. Farbenfroher. „So was habe ich noch nie gesehen“, schüttelte er ungläubig den Kopf. Er rätselte, wo er sich wohl befand, konnte aber die Landschaft mit nichts vergleichen, was er bisher gesehen hatte.

 

Nach einigen Minuten öffnete sich plötzlich vor ihm in einer Schlucht ein riesiges weites Tal. Vorsichtig trat er näher an den Abhang heran und ließ den Anblick auf sich wirken. Fassungslos starrte er auf die beinahe märchenhafte Landschaft. Ob er wohl in einer Art Matrix gefangen war? War diese Umgebung nichts als ein Hologramm?

Die Umgebung war einfach zu schön, um wahr zu sein. Er hatte keine Ahnung, wo er sich befand und worum es sich dabei handelte. Aber er nahm fremde Töne und Gerüche wahr und sah das zauberhafte Tal mit seinen Steinbauten. Der Professor ließ sich am Rande des Abgrunds nieder und versuchte, seine Gedanken zu sortieren.

All dies war so völlig anders als die Realität, die er kannte. Seine Gedanken und Gefühle waren hier und dort völlig gegensätzlich. Und die Welt, die er kannte, war alles andere als so vollkommen wie das, was er hier sah. Viele Gedanken über die letzten Tage und auch über sein vergangenes Leben kamen ihm in den Sinn. Es war, als würde er seine Vergangenheit Revue passieren lassen und noch einmal erleben.

„Das hier ist der Blick über den Tellerrand oder mein Hamsterrad hinaus, in dem ich bisher gefangen war. Das ist genau das, was ich jetzt gebraucht habe“, stellte er fest.

Claras versuchte, die beiden Welten, die er nun kannte, gedanklich miteinander zu verbinden. Dennoch war er ein Gefangener der Materie, der groben Manifestationen, die dem Erfindergeist der Menschen entstammten. Und dies wurde ihm in diesem Augenblick zum Verhängnis. Rückblickend musste er jetzt erkennen, dass dies der Grund und der Weg waren, die ihn aufgrund seiner Bestimmung und der Opfer, die er gebracht hatte, hierher geführt hatten.

Und das alles ausgerechnet in dem Augenblick, indem er sich dazu durchgerungen hatte, die Lehren der Freimaurer anzunehmen und in den Mysterien der Menschheit weiterzugehen, in dem Wissen um die Energie, die in allem vorhanden ist, das existierte.

„Das ist genau das Problem“, seufzte er. „Ich weiß zu viel, habe zu viel gesehen, kenne zu viele Geheimnisse und weiß über ganz fundamentale Dinge Bescheid, die anderen unbekannt sind.“

Und jetzt noch dieses neue Wissen, diese neue Welt. Das machte es für ihn nicht leichter, nein, eher im Gegenteil. Denn sein Leben war ihm schon lange zur Qual geworden. Er konnte einfach nicht aus seinem Hamsterrad der falschen Systeme und allerhand aufgezwungener Dinge ausbrechen.

War denn überhaupt ein Ausbruch möglich? Eine Flucht vor den von fremden Mächten geschürten Ängsten? Aber er konnte keine Antwort auf diese essenziellen Fragen finden, die er sich hier am Rand des Abgrundes selbst stellte. Zumindest im Moment konnte er keine naheliegende oder sinnvolle Lösung finden, die ihn aus diesem Dilemma herausführen würde. Er konnte im Augenblick den Weg nicht erkennen, der ihn weiterführen sollte.

Mit der rechten Hand nahm er eine Handvoll des Wüstenstaubes auf und ballte die Hand zur Faust. Dann ließ er den sandigen Staub zwischen den Fingern hindurch langsam wieder zu Boden rieseln.

„Sand und Staub. Materie, die in okkulten Kreisen dem Saturn zugeordnet wird“, sagte er zu sich selbst, bevor er sich wieder erhob und erneut das Tal vor seinen Augen betrachtete.

Dort lag eine glitzernde Stadt, die von grünen, riesigen Bäumen umgeben war. Darin befanden sich moderne, prächtige Bauten mit Glasfassaden, in denen sich das Licht einer unbekannten Sonne spiegelte. Der violette und grüne Abendhimmel im Hintergrund berauschte seine Augen.

Claras zückte sein 20-Euro-Fernrohr aus seiner Umhängetasche und sah sich die Stadt genauer an. Sie war nicht weit entfernt und es sah dort ähnlich aus, wie die Welt, die er kannte. Es waren auch Fahrzeuge zu erkennen, die allerdings in der Luft schwebten. Hören konnte er nichts. Es war alles sehr leise. Auch wenn in der Stadt ein großes Getümmel herrschte und sie sehr lebendig wirkte, war alles still.

Kein Brummen von Motoren, keine Nebengeräusche von Flugzeugen oder Zügen, selbst die Menschen waren still. Es gab keine Geräusche in der gesamten Umgebung und er sah nur die Vögel rege hin und her fliegen. Das und die Farbenpracht am Himmel fand er einfach atemberaubend und die Szene stellte für ihn einen Inbegriff der Vollkommenheit dar. Außerdem musste er zugeben, dass er sich hier sehr geborgen fühlte.

„Wo befinde ich mich hier bloß?“, fragte er sich und machte einen Schritt zurück vom Abgrund. Dabei fiel es ihm schlagartig wieder ein. Es war dieses Agartha, das er schon einmal erlebt hatte. Allerdings ein wenig anders und nicht so dunkel wie damals. Oder genau das Gegenteil. Zumindest war das Gefühl ähnlich wie damals in Agartha, oder auch das Reich der Nibelungen, wie es der Graf vorhin noch genannt hatte.

Er wusste es nicht genau, hatte jedoch das unbestimmte Gefühl, dass Agartha präsent war. „Ist jetzt die richtige Zeit dafür, diese Welt zu betreten?“, überlegte er ängstlich. „Will ich sie sehen? Will ich sie spüren?“ Jürgens Worte fielen ihm wieder ein: „Der Weg ist schmal und gefährlich“ hatte er ihm gesagt. Bei der Erinnerung daran war ihm klar, dass er nicht in die Stadt gehen konnte. Damit würde er sich nur selbst betrügen, sich seiner Lebensaufgabe verschließen und sich nie mehr um etwas anderes kümmern können.

Doch die Versuchung war groß. Er rang mit sich selbst, wollte unbedingt in die Stadt gehen, dort bleiben, die Geborgenheit spüren. Aber er wusste auch, dass er zu sehr an seiner Vergangenheit haftete. Seine Taten, seine Verluste, die Dunkelheit des Agarthas, das er damals gesehen hatte und die Macht, die er erhalten hatte – die aber nicht kostenlos gewesen war. In ihm tobte ein Kampf und er musste all seine Kraft aufbringen, um erst einen, dann einen zweiten und einen dritten Schritt vom Abgrund weg zu machen und endlich zu beschließen, dass er nicht in die Stadt gehen würde.

Kaum hatte er seine Entscheidung getroffen, stellte er fest, dass der Weg, den er gekommen war, plötzlich nicht mehr vorhanden war. Er war einfach verschwunden! „Verdammt nochmals, was ...?“ Hastig blickte er sich in der Gegend um und erkundete die Landschaft, die ihm plötzlich fremd erschien, jedoch jener ähnlich war, durch die er hierher gekommen war. Der Weg war weg und er stand vor sandigen Dünen mit Pflanzen, die er vorhin noch nicht gesehen hatte, die jedoch ebenso grün waren wie die Pflanzen, die zuvor die Landschaft geprägt hatten.

Er konnte nicht verstehen, warum der Weg verschwunden war und die Landschaft sich erneut verändert hatte. Die Gegend sah zwar ähnlich aus wie die, durch die er zuvor hierhergekommen war, aber sie war eben nur ähnlich und nicht identisch. Verunsichert ging er wieder an den Abgrund und betrachtete die Stadt, die unter ihm im Tal lag. Ob seine Entscheidung falsch gewesen war? Ob er sich mit seinem Rückzug geirrt hatte? Der Weg war jedenfalls verschwunden und die Landschaft hatte sich verändert. Wohin könnte er denn jetzt gehen? Er würde sich vermutlich hoffnungslos verirren.

Je länger er über eine Lösung nachdachte, desto mehr Angst bekam er. Welche Optionen blieben ihm denn schon? Schließlich begann er vor Aufregung sogar zu zittern und Schweiß stand auf seiner Stirn.

Dann fiel ihm der Graf ein. Er dachte an Jürgen und die Gespräche mit dem Grafen und seinem Sohn. Auch an die Geisterhöhle am Untersberg. Von dort wusste er ja: „Die Angst ist nicht real. Sie ist eine Entscheidung.“ Also versuchte er, diesen Satz zu beherzigen, ruhiger zu werden und sich mit geschlossenen Augen zu entspannen, was ihm nach einigen Minuten auch gelang.

Als er sich besser fühlte, öffnete er die Augen und ihm war klar, dass es für ihn nur einen Ausweg gab: Er musste ins Zentrum dieser Stadt. Als er sich besser fühlte, öffnete er die Augen und ihm war klar, dass es für ihn nur einen Ausweg gab: Er musste ins Zentrum dieser Stadt. Er hatte schon zu viel nachgedacht über seine Angst sowie seine Zweifel über genau diese Situation.