Studienbuch Theaterpädagogik (E-Book, Neuausgabe)

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–‹Erziehung durch Theater› (vgl. Hentschel (2010), S. 238) nennt Hentschel dasjenige Feld, bei dem an sozialen und personalen Kompetenzen gearbeitet wird. Ausgangspunkt von ‚Erziehung durch Theater› ist die Annahme, dass Theaterspielen sowie die rezeptive Beschäftigung mit Theater bildenden Wert haben.10 In diesem Sinn werden kulturpädagogische und menschenbildende Ziele verfolgt.

–Das Feld der ‹Erziehung mit theateraffinen Mitteln› (vgl. Hentschel (2010), S. 238) beinhaltet die Arbeit mit Übungen, Methoden und Settings, die aus der Schauspielausbildung und der Theaterarbeit stammen und zur Ausbildung fachlicher, sozialer oder personaler Kompetenzen wie beispielsweise von Sprach-, Kommunikations- oder Auftrittskompetenz genutzt werden.

Mit den beiden letztgenannten Feldern wird das Feld des dritten Ansatzes, in dem die Arbeit an fachlichen, sozialen oder personalen Kompetenzen als Ziel theaterpädagogischer Arbeit beschrieben wird, weiter differenziert und in zwei neue Felder unterteilt.


Abb. 6: Abgrenzung von Erziehung zum Theater, Erziehung durch Theater und Erziehung mit theateraffinen Mitteln

Erziehung zum Theater

‹Erziehung zum Theater› basiert auf der von Hentschel ausgeführten «kulturpädagogischen Begründung» theaterpädagogischer Arbeit (Hentschel (2010), S. 123). Hentschel schreibt dazu, dass «der Begriff ‹kulturpädagogisch› hier im Sinne der geisteswissenschaftlichen Pädagogik als Weitergabe der in den Bildungsgütern bewahrten kulturellen Werte an die nächste Generation verstanden wird. Nach diesem Verständnis geht es um eine Erziehung zur Kunst, konkret zum Verständnis der dramatischen und theatralen Kunst.» (Hentschel (2010), S. 123) Ziel ist also die aktive Teilhabe an der Kunstform Theater.

Erziehung zum Theater basiert auf einer Didaktik der Theatervermittlung, einer Fachdidaktik Theater, die über eine blosse Sammlung von schauspielerischen Übungen und theatralen Spielen hinausgeht. Sie befasst sich mit der Frage: «Wer was von wem wann mit wem wo, wie, womit und wozu lernen soll» (Meyer (1994), S. 16). Und wenn auch viele Aspekte dieser didaktischen Frage im Kern nicht zu beantworten sind, ohne dass eine konkrete Lernsituation mit konkreten Lernenden vorhanden ist, so lassen sich doch einige grundsätzlich gültige didaktisch-methodische Äusserungen machen: Eine Didaktik, die den Fokus auf die inhaltlichen und methodischen Besonderheiten von Theater legt, rückt zieloffene, entwickelnde, gestaltende Aspekte von Lernen in den Vordergrund. Des Weiteren kann aus der Tatsache, dass Theater in aller Regel in Ensemble-Prozessen entsteht, der Schluss gezogen werden, dass eine Theaterdidaktik kooperatives Lernen in Projektstrukturen stark gewichtet. Ebenso werden Spielen und Lernen in gegenseitige Nähe gerückt.


Wichtig ist dabei festzuhalten, dass sich die didaktischen Entscheidungen und methodischen Formen in diesem Feld der Theaterpädagogik immer aus der Orientierung am Ziel ergeben, den Lernenden Erfahrungen mit Theater zu ermöglichen sowie Möglichkeiten zu schaffen, in denen sie Wissen und Können aufbauen können, das ihnen ermöglicht, ihr «Verständnis der dramatischen und theatralen Kunst» (Hentschel (2010), S. 123) zu erweitern und zu vertiefen, was ihnen die aktive Teilhabe an der Kunstform Theater ermöglicht.

Erziehung durch Theater

Im Gegensatz zum Feld der ‹Erziehung zum Theater› stehen hinter der ‹Erziehung durch Theater› nicht kunstpädagogische, sondern kulturpädagogische und menschenbildende Ziele. Grundlegend für dieses Feld ist die Annahme, Theaterspielen an und für sich habe bildenden Wert. Diese Annahme steht der pädagogischen Haltung Pate, die – im Anschluss an reformpädagogische Werte und Ziele – abgesehen von Privatschulen mit diesbezüglichem pädagogischen Hintergrund,11 insbesondere in der Bildung von Kindern im Kindergartenalter starke Verbreitung hat. Eine enge Verbindung ist auch zur Spielpädagogik vorhanden.

Ziel ist es, den Spieltrieb, der als zentraler Trieb in jedem Menschen schlummert, zu wecken. Dahinter stehen zentrale Anliegen der Reformpädagogik und deren emanzipatorisches Bildungsziel: die Erlangung der Ganzheit des Menschen. Die menschenbildende Bedeutung des Theaterspielens wird in diesem Feld sehr stark gewichtet und tritt an die Stelle der kunstbildnerischen Intention.

Neben vielen methodisch-didaktischen Grundprämissen der Kindergarten- und Grundstufendidaktik basiert auf dieser anthropologischen Sichtweise letztlich auch der Komplex der musischen Bildung. Sie ist aus der in Kapitel 1 erwähnten Schulspiel- und Laienspielbewegung der ersten Hälfte des zwanzigsten Jahrhunderts hervorgegangen und hat in der Volksschule unter dem Begriff ‹Darstellendes Spiel› in Deutschland sogar Einzug in die Lehrpläne gehalten (vgl. Kap. 1). Auch in der Schweiz hat die SADS (vgl. Kap. 1.1) Theater in Schulen auf diese Weise begründet.

Methodisch und didaktisch unterscheidet sich die Arbeit im Feld der ‹Erziehung durch Theater› wenig von derjenigen im Feld der ‹Erziehung zum Theater›. Hier wie da werden die didaktischen Entscheidungen aufgrund der inhaltlichen und methodischen Besonderheiten von Theater getroffen. Sie führen in diesem Feld aber stärker auf die Entwicklung des individuellen Spieltriebs hin als auf das Erleben und Erlernen darstellerischer Kompetenzen oder inhaltlicher und methodischer Besonderheiten von Theater, d.h. sie zielen nicht primär auf das «Verständnis der dramatischen und theatralen Kunst» ab (Hentschel (2010), S. 123).

Noch immer spielt diese anthropologische Begründung eine Rolle im Selbst- und Fremdverständnis der Theaterpädagogik. Allerdings wird sie immer stärker abgelöst, entweder von der kunstpädagogischen Begründung der ‹Erziehung zum Theater› oder durch diejenige des Feldes der ‹Erziehung mit theateraffinen Mitteln›.


Erziehung mit theateraffinen Mitteln

Im Zentrum dieses Feldes steht die Arbeit mit Übungen, Methoden und Settings, die aus der Schauspielausbildung und der Theaterarbeit stammen – allerdings werden mit ihnen weder kunstpädagogische noch in eigentlichem Sinn menschenbildende Ziele verfolgt, sondern die Ausbildung fachlicher, sozialer oder personaler Kompetenzen wie beispielsweise der Sprach-, Sprech-, Kommunikations- oder Auftrittskompetenz. Auch die vielfältigen Übungen zur Wahrnehmungsschulung, die immer wieder als Basis theaterpädagogischer Arbeit bezeichnet werden, können der ‹Erziehung mit theateraffinen Mitteln› (Hentschel (2010), S. 238) zugeordnet werden.

Im schulischen Rahmen können zu diesem Feld szenische Übungen gezählt werden, die oft in der (Fremd-)Sprachendidaktik Anwendung finden. In aller Regel geht es darum, vorgegebene Texte – oft Dialoge – zu lernen und danach auswendig vorzutragen. Im Deutschunterricht gehört das Rezitieren von Gedichten genauso zum allgemeinen Methodenfundus wie das Lesen von dramatischen Texten mit verteilten Rollen. Wie weit diese Arbeit jeweils szenisch wird, Text und Sprechen also situativ gestaltet werden (was in kunstpädagogischem Sinn als ‹Erziehung zum Theater› bezeichnet werden könnte), hängt vom Ziel und vom methodisch-didaktischen Geschick der Lehrperson ab.

Die Fremdsprachendidaktik kennt zwei zentrale methodische Varianten: Einerseits das erwähnte Auswendiglernen von Dialogen, die danach zu zweit (oder zu mehreren) vorgetragen werden, andererseits das sprachliche Stegreifspiel, in dem zu einer vorgegebenen Situation, deren Grundbegriffe zuvor erlernt wurden, improvisiert wird (z. B. ‹am Bahnhof›, ‹im Einkaufsladen› o.ä.). Bei beiden Übungsanlagen geht es darum, Sprechsituationen zu schaffen, in denen vorgängig erlernter Wortschatz einigermassen realitätsnah angewendet werden kann – eigentlich eine klassische Theatersituation, in der Schauspielerinnen und Schauspieler aufgrund eines mehr oder weniger ausgestalteten Theatertexts Szenen entwickeln. Im (Fremd-)Sprachenunterricht ist das Ziel aber in aller Regel eher, die Wörter und Texte korrekt auszusprechen, als auszuprobieren, welch unterschiedliche Geschichten sich mit ein und demselben Text erzählen lassen, je nachdem, in welcher Körperhaltungen, mit welchen Bewegungen, Handlungen, mit welcher Diktion, Lautstärke, Geschwindigkeit, Gestik, Mimik, in welchem Bezug zu Spielpartnern und Raum etc. er vorgetragen wird. Hier liegen die Unterschiede zwischen der kunstpädagogischen ‹Erziehung zum Theater› und der sprachdidaktischen Methode im Sinne von ‹Erziehung mit theateraffinen Mitteln›.

Ebenfalls dem Feld der ‹Erziehung mit theateraffinen Mitteln› zuzuordnen sind die vielen und vielfältigen, oft subsummierend ‹Rollenspiele› genannten szenischen und spielerischen Methoden, die ursprünglich der Verhaltenstherapie entstammen (vgl. Kapitel. 2.2).

2.6 THEATERPÄDAGOGIK ALS TEIL ÄSTHETISCHER BILDUNG

Der fünfte Ansatz, welcher Theaterpädagogik als Teil der ästhetischen Bildung betrachtet, greift Aspekte der bisher dargestellten Ansätze auf und führt sie zusammen. Er setzt Theaterpädagogik als theaterspezifischen Anteil in den Kontext anderer pädagogischer und künstlerischer (Fach-)Ausrichtungen, die gemeinsam ästhetische Bildung ausmachen (vgl. Kapitel 3.3).

 

Der Begriff der ‹ästhetischen Bildung› wird im pädagogischen Kontext auf Friedrich Schillers Schrift ‹Über die ästhetische Bildung des Menschen› (1795/1801) zurückgeführt, in der es heisst: «(…) der Mensch spielt nur, wo er in voller Bedeutung des Wortes Mensch ist und er ist nur da ganz Mensch, wo er spielt (…)» (Schiller (2012)). Schiller – und in der Folge die diesbezüglichen Richtungen der Erziehungswissenschaft bis heute – orientierte sich an einem Verständnis von Ästhetik, das vom griechischen ‹aisthesis› abgeleitet wird, was mit ‹sinnlicher Wahrnehmung› bzw. als Lehre von der Wahrnehmung und der Sinnlichkeit übersetzt und verstanden werden kann. Ästhetisch ist so gesehen alles, was unsere Sinne anregt und in uns Empfindungen und Gefühle hervorruft – angenehme wie unangenehme.12

Ein Bildungsverständnis, das sich an der Ästhetik orientiert, ist im Umfeld und in der Folge reformpädagogischer Anliegen wichtig geworden. Dabei wurde und wird das Verhältnis zwischen rationalem Denken einerseits und ästhetischem Wahrnehmen und Empfinden andererseits immer wieder fokussiert. Ebenso wird die Ausbildung von sinnlicher Empfindungs- und Wahrnehmungskompetenz als zwar wichtig, in der Moderne aber zunehmend schwieriger bezeichnet. Immer stärker werden durch die gesellschaftlichen Gewohnheiten und Gewichtungen das Analytische und Rationale betont: «Es ist heutzutage nichts billiger, als sich im Begrifflichen zu bewegen, Bescheidwissen, Meinungen [zu] ‹vertreten›, Denken, Lesen, Reden, Diskutieren – alles das erfordert nicht die geringste Mühe, es vollzieht sich von selbst. (…) Genau hinzusehen, das Empfindbare abzutasten, wird zu einer selteneren Leistung, die sich der Klugheit nähert, welche das Unformulierte abzuhören vermag.» (Wulf (1991), S. 16 ff.)

Angesichts der steigenden Abstraktion und der vielfach festgestellten Entsinnlichung des Alltags sowie der zunehmenden Digitalisierung und Virtualisierung der Welt schreibt ästhetische Bildung der Förderung des sinnlichen Wahrnehmungs- und Empfindungsvermögens – der Aisthesis also – eine grosse Bedeutung zu. Hauptaufgabe und Kern ästhetischer Bildung sind ästhetische Erfahrungen. Solche lassen sich künstlerisch rezeptiv und – vor allem – produktiv machen: im eigenen Gestalten, sei es bildnerisch, musikalisch, dichterisch oder darstellerisch, das von der Wahrnehmung der Welt und ihren Phänomenen ausgeht. Ästhetische Bildung basiert also auf der Schulung bzw. Ausbildung sinnlicher Wahrnehmung und all jener Kompetenzen, denen eine reflexive sinnliche Wahrnehmungs- und Empfindungsfähigkeit zugrunde liegt. Darunter versteht man gemeinhin Kreativität und die damit eng verbundenen Fähigkeiten und Fertigkeiten, inneren Bildern, Emotionen und Vorgängen bildnerisch, darstellerisch oder allenfalls interpretatorisch Gestalt zu geben.

Dieser kreativen Auseinandersetzung, dem spielerischen und gestaltenden Handeln mit der Umwelt, ordnen in der Folge von Schiller reformpädagogische und emanzipatorische Bildungsansätze menschenbildende Aspekte zu: «Ästhetische Erfahrung bezieht sich nicht auf Kunsterfahrung, sondern ist ein Modus, Welt und sich selbst im Verhältnis zur Welt und zur Weltsicht anderer zu erfahren.» (Otto (1994), S. 56) In diesem Sinn geht ästhetische Bildung über die Entwicklung künstlerischer Kompetenzen hinaus; aus der sinnlichen Erfahrung von Welt kann Wissen und Erkenntnis entstehen.

Zentrale Bedeutung wird dabei der Erfahrung von Freiheit zugeschrieben, die ästhetischer Erfahrung eigen ist. Schiller beschreibt einen ästhetischen Zustand, der im Hinblick auf Erkenntnis und Gesinnung besonders fruchtbar ist. Er bedeutet Freiheit zu jeder Bestimmung, d.h. die Eröffnung unbegrenzter Möglichkeiten zur Wahl der Bestimmung (vgl. Schiller in Hentschel (2010), S. 38).

Aus dem Ansatz, Theaterpädagogik als Teil ästhetischer Bildung zu bezeichnen, erwachsen auch ein- und abgrenzende Konsequenzen (vgl. Kapitel 3.3). Wenn ästhetische Bildung im Kern von ästhetischer Erfahrung abhängig ist, muss im Zentrum theaterpädagogischer Arbeit die praktische Theatererfahrungen stehen: «Sowenig wie Erfahrung überhaupt lässt sich Theatererfahrung nicht vermitteln, man muss sie machen.» (Branneck (1998), S. 25) Die praktische, produzierende Theaterarbeit, das ‹Selber-Spielen›, ist also zentral für diesen Ansatz. Damit rückt eine Besonderheit der Kunstform Theater in den Vordergrund, welche Theaterpädagogik klar von der Vermittlung anderer Künste abhebt: Die Spielenden sind gleichzeitig Produzierende und (zumindest) Teile des Produktes, sie sind gleichzeitig künstlerisch sich äussernde Subjekte und betrachtete (Kunst-)Objekte. Als Menschen sind sie Künstlerinnen und Künstler, als Figuren sind sie Teile einer Szene, einer Geschichte, einer Theateraufführung oder Inszenierung. Insofern kann «(…) mittels der Kunstform Theater eine Rolle (d.h. eine andere, erfundene Figur oder fiktive Welt) sinnlich konstruiert werden (…)» wofür «(…) eine Doppelung des Spielers in Person und Figur bzw. Produzent und Produkt vonnöten [ist]»13 (Weintz (2008), S. 134).

Eine zweite Konsequenz, die sich daraus ergibt, Theaterpädagogik als Teil der ästhetischer Bildung zu sehen, geht letztlich auf Schillers Feststellung zurück, dass Spiel nur dann bildend sei, wenn es Menschen den Zustand der Freiheit zur Selbstbestimmung erfahren lasse. Diese Feststellung setzt klare Ansprüche ans Initiieren und Begleiten von Spielprozessen: Einengende Beschränkungen – seien es vorbestimmte Theatertexte, Regiekonzepte oder Lernziele, die den Spielenden vorgegeben sind – erschweren oder verunmöglichen ästhetische Erfahrung. Theaterpädagogik hat das Ziel Freiräume zu schaffen, in denen sinnliche Erfahrungen im Sinne von sozialen und künstlerischen Erlebnissen möglich sind. Es geht also in der Theaterpädagogik nicht um die darstellende Interpretation eines vorgegebenen Inhalts, sondern um das Erfinden einer neuen theatralen Wirklichkeit: «Nicht das Darstellen oder Abbilden von Wirklichkeit mit theatralen Mitteln wird in ästhetisch bildender Absicht angestrebt. Vielmehr wird davon ausgegangen, dass im Spiel eine eigene, theatrale Wirklichkeit erzeugt und dabei gleichzeitig die spezifische Medialität von Theater transparent wird.» (Hentschel (2010), S. 237)

2.7 ZUSAMMENFASSUNG

Es können unterschiedliche Felder von Theaterpädagogik beschrieben werden, die sich auf unterschiedliche Grundlagen- und Bezugswissenschaften beziehen. Die verschiedenen Beschreibungen liefern unterschiedliche Ansätze, theaterpädagogische Arbeit zu definieren, ein- und abzugrenzen. Die Differenzen und Grenzen sind zum Teil klar und deutlich, zum Teil scheinen sie sich zu verwischen.

Wer theaterpädagogisch arbeitet, kommt nicht umhin, sich auf dieser Landkarte theaterpädagogischer Felder immer wieder neu zu orientieren und zu verorten und so ein lebendiges theaterpädagogisches (Selbst-)Verständnis zu entwickeln.

Den fünf in Kapitel 2 ausgeführten exemplarischen Ansätzen liegt eine Gemeinsamkeit zugrunde: Sie alle nehmen Bezug zu Theater als Kunstdisziplin – sei es nun über die Wahl der Methoden und Arbeitsweisen, die der künstlerischen Theaterarbeit entstammen, oder über die intendierten Ziele der Arbeit, die sich an einem darstellerischkünstlerischen Anspruch orientieren.

Die fünf Ansätze verbindet aber auch eine zweite Grundlage: Sie nehmen alle Bezug zu Bildung und zeichnen einen insgesamt vielfältigen Bildungsbegriff, der den Bogen zwischen fachdidaktischem und kunstpädagogischem Kompetenzerwerb, sozialpädagogischen Anliegen und kultureller Menschenbildung aufspannt.

Theaterpädagogische Arbeit basiert immer auf einem künstlerisch-theatralen Verständnis. Mit theaterpädagogischer Arbeit werden Freiräume geschaffen, in denen Menschen vielfältige Erfahrungen machen, Kompetenzen erwerben, Haltungen entwickeln können. In welchen Feldern diese Arbeit auch immer geleistet wird, welche Ziele und Intentionen prioritär erarbeitet werden, sie fussen immer auf theaterimmanenten künstlerischen Prinzipien und Methoden, über welche Theaterpädagoginnen und -pädagogen als Grundlage ihrer professionellen Tätigkeit verfügen. Welche Bildungsprozesse damit initiiert und begleitet werden, welche Erlebnisse, Erkenntnisse, Erfahrungen ermöglicht werden und – gleichsam als Begleiterscheinung der im Kern künstlerischtheatralen Arbeit – entstehen, hängt vom Feld ab, in dem die theaterpädagogische Arbeit verortet wird.



Zum Primat der Kunst in der praktischen kunstpädagogischen Arbeit äussert sich auch Royston Maldoom. Der englische Choreograph arbeitet im Rahmen der Laientanzbewegung ‹Community Dance› immer wieder mit Laien – insbesondere auch immer wieder mit Jugendlichen an sozialen Brennpunkten. Weitherum bekannt geworden ist er durch ‹Rhythm is it›, die filmische Dokumentation seiner Arbeit mit Berliner Jugendlichen und Schülerinnen/Schülern an einer Aufführung von Igor Strawinskys Ballett ‹Le sacre du printemps› mit den Berliner Philharmonikern und ihrem Chefdirigenten Sir Simon Rattle. Im Rahmen eines ähnlichen Projekts in Zürich sagte er in einem Radio-interview (DRS 2, Kontext vom Montag, 25.04.2011, 09.06 Uhr):

«The first thing in my mind is, that I have to create a good piece of theatre. Secondly, that it has to be something, they [die Spielenden, Anm. d. Verf.] can be proud of – and rightly proud of. And thirdly it has to satisfy, instruct or entertain or educate or whatever the people who are taking the time and trouble if not the money to come and see it. I have to commit myself to the artistic process and to do it honestly and with discipline and that will achieve the results we are looking for. But if I start to become a social-worker, then it’s going to fall apart. I mustn’t fall into that trap, I have to come as an artist. I have to bring passion, I have to bring commitment, I have to bring discipline and all the things that an artist needs. And I strongly believe, that if I put art first as long as I have myself some kind of compassion for people or careing for people, a social agenda of my own, that somehow will give the results we need.»14

LITERATUR

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Rellstab, Felix (2000): Handbuch Theaterspielen, Band 4, Theaterpädagogik. Wädenswil: Verlag Stutz Druck AG (= Reihe schau-spiel, Band 10).

 

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Wanzenried, Peter (2004): Unterrichten als Kunst. Zürich: Verlag Pestalozzianum.

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Der Tanz zu sich selbst, DRS 2, Kontext vom Montag, 25.04.2011, 09.06 Uhr, http://www.drs2.ch/www/de/drs2/sendungen/kontext/5005.sh10176426.html (Abfrage am 27.04.2011, 17:33), Transkription durch den Verfasser

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