Das Gefühlsleben der Tiere

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HUNDE SIND GLÜCKLICH, NICHT „GLÜCKLICH“
Der Grund, weshalb ein Hund so viele Freunde hat, ist der, dass er mit dem Schwanz wedelt statt mit der Zunge.
– Verfasser unbekannt –

Wir hatten es alle gesehen. Maddy und Mickey, zwei Hunde von Freunden, haben regelmäßige Spielstunden bei mir zu Hause, wenn ihre menschlichen Gefährten unterwegs sind. Bei der Ankunft springen sie wild im Spiel umher, hecheln und bellen, und ihre wedelnden Ruten scheinen sie vorwärts zu treiben. Sie versuchen, mit jedem Anwesenden zu spielen, wirbeln im Kreis herum im Versuch, ihre eigenen Ruten zu fangen, sie „laufen amok“ und rennen dabei alles und jeden in ihrem Weg über den Haufen. Sie stoppen lediglich einmal, um den anderen damit zu foppen, nur um sogleich wieder weiterzuspielen. Es ist überhaupt keine Frage: Diese Hunde haben Spaß!

Für die meisten Menschen reicht eine halbe Stunde zusammen mit einem Hund als Beweis dafür, dass Tiere Emotionen haben, völlig aus, da Hunde ihre Gefühle nicht verstecken. Der Ethologe und Nobelpreisträger Konrad Lorenz lieferte uns ein sehr einfaches und weit verbreitetes Beispiel, als er bemerkte, wie offensichtlich emotional Hunde sind, wenn sie erwarten, gleich Gassi gehen zu dürfen. Lorenz schrieb in So kam der Mensch auf den Hund: „Der Hundebesitzer sagt ohne besondere Betonung und ohne den Namen des Hundes zu nennen, ‚Ich weiß nicht, ob ich ihn mitnehmen soll oder nicht.’ Sofort steht der Hund auf der Matte, wedelt mit der Rute und tanzt vor Aufregung herum… Sollte sein Herrchen sagen ‚Ich glaube, ich gehe doch nicht mit ihm’, werden die erwartungsvoll aufgestellten Ohren traurig herabsinken… Und bei der endgültigen Ankündigung: ‚Ich werde ihn zu Hause lassen’, wendet sich der Hund niedergeschlagen ab und legt sich wieder hin.“ [5]

Glücklicherweise ist nun im Wesentlichen Schluss mit der wegwerfenden, skeptischen Behauptung, Tiere würden nur so handeln, „als ob“ sie Freude, Trauer, Ärger oder Schmerz fühlen würden. Ich kenne keinen praktizierenden Forscher, der seinen tierischen Gefährten zu Hause oder auf Cocktailpartys keine Gefühle zuschreibt – der nicht reichlich vermenschlicht – unabhängig davon, was er bei seiner Arbeit tut. (Dieses Vermenschlichen ist, nebenbei gesagt, nichts, wofür man sich schämen müsste; wie Alexandra Horowitz und ich argumentieren und wie ich im Kapitel 5 zeige, tun diese Wissenschaftler damit lediglich etwas ganz Natürliches [6]. Das Anthropomorphisieren ist eine Wahrnehmungsstrategie, die sich entwickelt hat; die natürliche Selektion hat uns in einer Weise geformt, dass wir Tiere so sehen.) In der Tat haben verhaltens- und neurobiologische Studien durchweg gezeigt, dass Tiere die Primäremotionen mit uns teilen, diese instinktiven Reaktionen auf die Welt, die wir Angst, Ärger, Überraschung, Traurigkeit, Ekel und Freude nennen. Heute wird dieser Umstand im Großen und Ganzen als Tatsache akzeptiert.

Wissenschaftler sind sich heute über die allgemeine Verbreitung primärer Emotionen einig, basierend auf Studien, die belegen, dass Menschen und Tiere ähnliche chemische und neurobiologische Systeme aufweisen. Zum Beispiel werden Tiere häufig dazu benutzt, um Medikamente für Menschen mit psychischen Störungen zu entwickeln und zu testen [7]. Eine kürzlich veröffentlichte Studie zeigt, dass Mäuse gute Beispiele in Sachen Traurigkeit und Introvertiertheit sein können. Wenn Mäuse schikaniert oder dauerhaft von anderen Mäusen dominiert werden, ziehen sie sich in sich zurück. Diese depressiven Mäuse sprechen auf Medikamente für Menschen, wie zum Beispiel Prozac, an. In einem anderen Beispiel können suizidal veranlagte Ratten – oder Ratten mit Toxoplasmose, die eine suizidale Hinwendung zu Katzen entwickelt haben – erfolgreich mit Psychopharmaka behandelt werden. Nach der Gabe von Haloperidol, das bei Schizophrenie eingesetzt wird, verringert sich ihre Zuneigung zu Katzen drastisch. Der Veterinärmediziner Nicholas Dodman schlägt vor, ähnliche Medikamente in Verbindung mit Verhaltenstraining bei problematischen Hunden und Katzen zum Einsatz zu bringen. Wenn Tiere wie Menschen auf diese Medikamente reagieren, dann ist es äußerst wahrscheinlich, dass eine ähnliche neurale Basis existiert und ihre Gefühle daher wahrscheinlich ebenfalls sehr ähnlich sind.

Zahlreiche Berichte und auch wissenschaftliche Daten weisen darauf hin, dass Tiere zudem über einen Reichtum an sekundären Emotionen verfügen. Viele Menschen wissen das bereits einfach durch die tägliche Beobachtung ihrer Haustiere. Die Wissenschaft benötigte länger, um dieses „Allgemeinwissen“ zu akzeptieren, doch das war wohl zu erwarten; denn eine wichtige Funktion der Wissenschaft ist es, direkte, subjektive Erfahrungen „objektiv“ zu werten.

Die sekundäre Emotion der Empathie oder des Mitgefühls bei Tieren festzustellen ist wichtig, denn sie weist auf selbstlose Fürsorge für andere hin. Erinnern Sie sich an Babyl und ihre fürsorglichen Freunde. Während meines Aufenthalts in Homer, Alaska, las ich eine ähnliche Geschichte über zwei Grizzlybären-Jungen, die fest zusammenhielten, nachdem sie zu Waisen geworden waren, weil ihre Mutter in der Nähe des Russian River erschossen worden war. Das weibliche Jungtier blieb bei seinem verwundeten Bruder, obwohl dieser humpelte, nur sehr langsam schwamm und Hilfe bei der Futtersuche benötigte. Ein Beobachter notierte: „Sie kam mit einem Fisch aus dem Wasser, schleppte ihn zurück und ließ den anderen fressen [8].“ Das junge Weibchen sorgte offensichtlich für den Bruder und ihre Unterstützung war für sein Überleben entscheidend.

Es gibt außerdem einen Bericht über eine Gruppe von ungefähr Hundert Rhesusaffen in Tezpur, Indien, die den Verkehr zum Erliegen brachten, nachdem ein Affenbaby von einem Auto angefahren worden war [9]. Die Affen bildeten einen Kreis um das verletzte Baby, dessen Hinterbeine gebrochen waren und das auf der Straße lag und sich nicht bewegen konnte. Sie blockierten den gesamten Verkehr. Ein Regierungsbeamter berichtete, dass die Affen wütend waren und ein Ladenbesitzer sagte: „Es war sehr emotional… Einige von ihnen massierten seine Beine [10]. Schließlich verließen sie den Ort und trugen das verletzte Baby mit sich [11].“

In einer klassischen Studie nimmt ein hungriger Rhesusaffe kein Futter, wenn das für einen anderen Affen bedeutet, dass er dann einen Stromstoß erhalten würde. Es existiert noch eine jüngere wissenschaftliche Studie zur Empathie bei Mäusen. In dieser Studie wird einem oder beiden Mitgliedern eines Paares erwachsener Mäuse Essigsäure injiziert, wodurch sie sich vor Schmerzen winden. Auf diese Weise können die Forscher beobachten, ob diese Nagetiere die Fähigkeit besitzen, Mitgefühl für andere zu haben, die Schmerzen leiden, oder nicht. Die Forscher entdeckten, dass Mäuse, die ihre Partner unter Schmerzen leiden sehen, selbst sehr empfindlich sind und dass eine Maus mit Schmerzen sich mehr windet, wenn ihr Partner ebenfalls unter Schmerzen leidet. Die Mäuse nutzten visuelle Hinweise, um die empathische Reaktion zu entwickeln, obwohl sie bei vielen ihrer sozialen Begegnungen gewöhnlich den Geruchssinn nutzen. Wie wir also an den Geschichten zu Beginn dieses Kapitels sehen, verfügen Tiere (auch Mäuse) über Empathie. Zudem ist bekannt, dass die empathische Reaktion bei Mäusen durch dieselben Hirnmechanismen wie beim Menschen herbeigeführt wird.

Natürlich ist diese Studie verstörend. Mussten die Forscher solche Schmerzen verursachen, um zu ihren Schlüssen zu kommen? Mäuse (und Ratten) sind derzeit nicht durch die Tierschutzverordnung geschützt, doch vielleicht führen diese und andere Ergebnisse dazu, dass ihr Status dem von Hunden, Katzen und nichtmenschlichen Primaten angeglichen wird, wenn es um invasive Experimente an Tieren geht. Wie wir in Kapitel 6 sehen werden, ist die Tierschutzverordnung weit davon entfernt, einen angemessenen Schutz zu bieten, doch das wäre immerhin ein Anfang.

Nachdem diese Studie zur Empathie erschienen war, erhielt ich zahlreiche Berichte über Empathie bei einer Vielzahl von Tieren, darunter auch Nagetiere [12]. Menschen, die mit Tieren leben, waren von den Ergebnissen nicht überrascht. CeAnn Lambert, die das Indiana Coyote Rescue Center leitet, erzählte mir, dass sie eines heißen Sommermorgens zwei Mäusebabys in einem tiefen Waschbecken in ihrer Garage entdeckte. Sie versuchten, aus dem Waschbecken zu klettern, kamen aber nicht an den steilen, glatten Seiten hinauf. Eines der Mäusebabys schien weniger erschöpft als das andere. CeAnn ließ etwas Wasser in einen Deckel laufen und stellte ihn in das Waschbecken und sofort lief das fittere Jungtier hin, um zu trinken. Auf dem Weg zum Wasser fand die Maus ein Stück Futter, nahm es auf und brachte es zu seinem Wurfgeschwisterchen. Die geschwächte Maus versuchte, ein Stück von dem Futter abzubeißen, während die andere es langsam weiter in Richtung des Wassers bewegte. Schließlich konnte auch die schwächere Maus etwas trinken. Beide erholten sich und kletterten über ein Brett hinaus, das CeAnn in das Waschbecken gestellt hatte.

Es gibt noch viele Beispiele mehr, doch der Punkt ist: Selbst wenn tierische Emotionen nicht genau mit unseren eigenen oder mit denen anderer Spezies übereinstimmen, bedeutet das nicht, dass Tiere nicht fühlen. Tatsächlich sind tierische Emotionen, wie die letzten Berichte zeigen, nicht auf „instinktive Reaktionen“ beschränkt, sondern sind mit etwas, was als guter Teil bewussten Denkens erscheint, verbunden.

 

WENN TIERE FÜHLEN, WAS WISSEN SIE DANN?
Tiere haben ihre Geheimnisse, doch ihre Gefühle sind erkennbar
Die Abneigung zeitgenössischer Philosophen und Wissenschaftler, die Sichtweise anzunehmen, dass Tiere Verstand haben, sagt in erster Linie etwas über ihre Philosophie und ihre Wissenschaft aus, denn über die Tiere.
– Dale Jamieson, „Science, Knowledge and Animal Minds“ –

Wenn Tiere bellen, heulen, schnurren, winseln, grunzen, lachen oder quieken, hat das für sie etwas zu bedeuten. Was sie sagen, sollte auch uns etwas bedeuten, denn ihre Gefühle sind von Bedeutung. Lynne Sharpe weist in ihrem wundervollen Buch Creatures Like Us? darauf hin, dass die Interessen und Sorgen von Tieren für diese ebenso wichtig sind, wie unsere es für uns sind. Ruten teilen uns mit, was Tiere fühlen, und das gleiche tun verschiedene Posen, Gangarten, Gesichtsausdrücke, Geräusche und Gerüche. Manchmal wünsche ich mir, ich hätte eine Rute und bewegliche Ohren, damit ich besser mit Hunden und anderen Tieren kommunizieren könnte, deren Ruten und Ohren uns viel darüber erzählen, was sie denken und fühlen. Wildes Wedeln oder die Rute, die zwischen den Beinen herunterhängt, schenken uns den Einblick in ihre eigene Form von Empfindungsvermögen.

Was Tiere wissen – und wie viel Ich-Bewusstsein sie besitzen – ist ein Thema weit verbreiteter und oftmals hitziger Debatten. Die sich sammelnden wissenschaftlichen Beweise besagen, dass sie ganz schön viel wissen, doch die Schwierigkeit der Kommunikation über Artengrenzen hinweg mag es unmöglich machen, jemals genau zu wissen, wie viel. Mein Grundsatz tierische Emotionen und Empfindungsfähigkeit betreffend ist ziemlich einfach – Tiere werden immer ihre Geheimnisse haben, doch ihre emotionalen Erfahrungen sind erkennbar. Mit anderen Worten: Wir wissen, dass zahlreiche Tiere ein reiches Spektrum an Emotionen haben, von denen einige, wie die Empathie, einen bestimmten Grad an bewusstem Denken erfordern. Viele Tiere zeigen Sinn für Humor. Einige wenige Tiere, darunter Schimpansen, Delfine und Elefanten, haben Tests absolviert, die Ich-Bewusstsein erkennen lassen [14]. Manche mögen einen Sinn für Ehrfurcht haben und manche mögen moralische Wesen sein, die „Richtig“ von „Falsch“ unterscheiden können.

Selbstverständlich bestehen Unterschiede zwischen den Arten. Wir würden Variationen auf der Basis sozialer, ökologischer und physikalischer Faktoren erwarten. Trotz der manches Mal extremen Unterschiede bestehen jedoch auch bezwingende Ähnlichkeiten. Ein allgemein gebräuchlicher Maßstab nennt sich die „relative Gehirngröße [15]“ (die Größe des Gehirns im Verhältnis zur Körpergröße) und tatsächlich stimmen fast alle Forscher darin überein, dass beim Vergleich von Arten die relative Hirngröße in Bezug auf verschiedene Verhaltensaspekte einen Unterschied macht, wozu nichträuberische Lebensweise und Fütterungsstrategien gehören. Nur, was diese Differenzen zu bedeuten haben, bleibt größtenteils ein Geheimnis. Es gibt jedoch keinen Nachweis dafür, dass es bedeutet, Tiere mit einem geringeren Größenverhältnis hätten kein reiches Gefühlsleben. Da wir alte Gehirnbereiche mit ihnen teilen, die für die menschlichen Emotionen wichtig sind, namentlich das limbische System mit der mandelförmigen Struktur, die Amygdala genannt wird, ist der reine Fokus auf die relative Hirngröße irreführend. Wir müssen unsere Aufmerksamkeit darauf lenken, was wir mit anderen Tieren teilen und nicht darauf, wie viel wir mit ihnen teilen. Die Gehirne von Mäusen, Hunden, Elefanten und Menschen unterscheiden sich stark in ihrer Größe, doch alle diese Arten empfinden Freude und Empathie.

Leider werden gerade in sehr populären Büchern noch immer falsche Vorstellungen über die ungestützten Verallgemeinerungen der kognitiven, emotionalen und empathischen Fähigkeiten von Tieren verbreitet. Zum Beispiel behauptet der Harvard-Psychologe Daniel Gilbert in seinem beliebten Bestseller Ins Glück stolpern: „Das menschliche Tier ist das einzige Tier, das über die Zukunft nachdenkt.“ Gilbert selbst schreibt dies kursiv und behauptet, dass dies ein Merkmal zur Definition des Menschseins sei. Nicht einmal die Skeptiker gegenüber Emotionen bei Tieren, die ich kenne, würden so etwas jemals behaupten. Es existieren buchstäblich Bände voller Daten, die beweisen, dass Individuen vieler Arten über die Zukunft nachdenken, von mexikanischen Blauhähern, Rotfüchsen und Wölfen, die Futtervorräte anlegen, bis hin zu rangniederen Schimpansen oder Wölfen, die in Anwesenheit eines dominanten Individuums vorgeben, ein bevorzugtes Futter nicht zu sehen und später wiederkehren, um es zu fressen, wenn das ranghöhere Tier nicht mehr in der Nähe ist. Außerdem erzählt uns Gerald Hüther in seinem Buch Bedienungsanleitung für ein menschliches Gehirn entgegen aller wissenschaftlichen Beweise, dass die Fähigkeit zur Empathie das menschliche Gehirn von allen anderen Nervensystemen abhebt.

Die einfache Wahrheit lautet letzten Endes, dass ein Hund über eine Reihe emotionaler und kognitiver Fähigkeiten nach Hundeart verfügt. Ethologische Untersuchungen und Forschungen im Bereich der sozialen Neurowissenschaften zeigen, dass Menschen nicht die einzigen Bewohner des Gefühlsuniversums sind. Hunde und viele andere Tiere können glücklich, traurig und sauer sein. Sie lassen ihre Ruten sprechen. Tiere sprechen zu uns über eine unendliche Vielzahl von Verhaltensmustern – Posen, Gesten und Gangarten – sowie mit ihren Schnauzen, Schwänzen, Augen, Ohren und Nasen [16].

TIERE UND MENSCHEN
Geteilte Gefühle, geteilte Leben

Tierische Emotionen sind für sich genommen von großer Wichtigkeit, doch allein schon die Anwesenheit von Tieren – mit ihren frei geäußerten Emotionen und ihrer Empathie – ist für das menschliche Wohlbefinden von großer Bedeutung. Die Gefühle von Tieren sollten uns wichtig sein, denn wir brauchen sie in unserem Leben. Sie helfen uns. Wir werden deshalb so von ihnen angezogen, weil sie Emotionen haben; in Ermangelung einer gemeinsamen Sprache stellen Emotionen wahrscheinlich sogar unser effektivstes Mittel zur Kommunikation über die Artengrenzen hinweg dar. Wir können unsere Emotionen mit anderen Lebewesen teilen, wir können die Sprache der Gefühle verstehen und das ist der Grund, weshalb wir tiefe und dauerhafte Bindungen mit anderen Lebewesen eingehen. Emotionen sind der Kitt, der uns aneinander bindet. Sie katalysieren und regulieren soziale Handlungen bei Tieren und Menschen.

Das Buch Heilende Haustiere des Tierarztes Marty Becker zeigt, auf welche Art und Weise Haustiere Menschen gesund und glücklich machen können – sie unterstützen die Heilung einsamer Menschen in Pflegeheimen, Krankenhäusern und Schulen. In dem Buch Kindred Spirits zeigt der holistische Veterinärmediziner Allen Schoen 14 konkrete Beispiele auf, in denen die Beziehung zwischen tierischen Gefährten und Menschen eine Stressreduzierung ermöglichte. Dazu gehören die Senkung des Blutdrucks, die Steigerung der Selbstachtung bei Kindern und Erwachsenen, das Erhöhen der Überlebensrate von Patienten nach Herzinfarkt, die Verbesserung des Lebens von Senioren, die Hilfe bei der Entwicklung einer humanen Einstellung bei Kindern, das Bieten einer gewissen emotionalen Stabilität für Pflegekinder, die Reduzierung der Arztbesuche wegen kleinerer Probleme bei Medicare-Patienten sowie die Verringerung der Einsamkeit bei Vorpubertierenden. Und Michelle Rivera erzählt in ihrem Buch Hospice Hounds zahlreiche Geschichten, wie Hunde und Katzen Menschen helfen können, die im Sterben liegen.

Eine kürzlich durchgeführte Studie zeigt, dass der Besuch eines freundlichen Welpen eine gute Medizin für ein krankes Herz darstellen kann [17]. Bei einer Zufallsstudie an 76 stationär behandelten Herzpatienten fanden Forscher der UCLA heraus, dass die Angstgefühle bei Patienten, die mit Hunden gleich welcher Rasse interagierten, um durchschnittlich 24% abnahmen. Die Hunde lagen für 12 Minuten auf den Betten der Patienten, während diese die Hunde einfach streichelten und hinter den Ohren kraulten. „Diese Studie demonstriert, dass bereits die kurzzeitige Anwesenheit eines Hundes vorteilhafte physiologische und psychologische Auswirkungen auf den Patienten hat, der diesen Kontakt wünscht“, sagte Kathie Cole, eine Krankenschwester am UCLA Medical Center.

Ähnliches zeigt sich in meinem Heimatstaat. Im Frauengefängnis von Colorado leben die Insassinnen mit Hunden, die ansonsten im örtlichen Tierheim eingeschläfert worden wären, und sorgen für sie. Die gemeinsamen Spaziergänge, das Kämmen und Umsorgen, ja selbst das zusätzliche Saubermachen ist für jeden der Beteiligten unglaublich lohnend und vorteilhaft – für die Insassinnen, die Hunde und die Gefängnisangestellten.

Berichte von Begegnungen zwischen wild lebenden Tieren und Menschen – und andere artübergreifende Beziehungen – bestätigen die Ergebnisse dieser Studien. Löwen sind herrliche und kraftvolle Raubtiere, und doch zeigen sie auf unerwartete Weise Mitgefühl, Sympathie und Empathie. Zum Beispiel retteten drei Löwen in Äthiopien ein zwölf Jahre altes Mädchen vor einer Bande, die sie entführt hatte [18]. Sergeant Wondimu Wedajo sagte: „Sie standen Wache, bis wir sie gefunden hatten, ließen sie dann einfach wie ein Geschenk an uns zurück und verschwanden wieder im Wald.“ Stuart Williams, ein Wildtier-Experte des Ministeriums für Landentwicklung in Äthiopien, meinte, dass das junge Mädchen gerettet worden war, weil es wegen des Traumas, das es erlebt hatte, weinte. Williams erklärte: „Das Wimmern eines jungen Mädchens könnte mit dem miauenden Geräusch eines Löwenwelpen verwechselt werden, was wiederum erklärt, weshalb [die Löwen] sie nicht gefressen haben. Andernfalls hätten sie es wahrscheinlich getan.“ Drei der vier Kidnapper wurden schließlich gefasst.

In einem von vielen Berichten über Delfine, die Menschen auf See helfen, kreiste in Neuseeland eine Gruppe Delfine schützend um eine Gruppe von Schwimmern, um den Angriff eines großen weißen Hais abzuwehren [19]. „Sie begannen, uns zusammenzutreiben. Sie drückten uns alle vier zusammen, indem sie enge Kreise um uns zogen“, erzählte Rob Howes, einer der Schwimmer. Anhand solcher Berichte erkennen wir, dass die empathische Präsenz von Tieren eine direkte Auswirkung auf unser Wohlergehen und sogar auf unser Überleben haben kann.

Wenn es auch seltsam scheint, dass Tiere von ihrem üblichen Verhalten abweichen, um sich um uns zu kümmern, so ist das nur die halbe Geschichte. Manche der Beziehungen, die Tiere eingehen, sind sagenhaft unwahrscheinlich – zum Beispiel adoptierte im Samburu Reservat im Norden Kenias eine Löwin in fünf verschiedenen Fällen Oryx-Antilopenbabys [20], üblicherweise eine beliebte Mahlzeit von Löwen. Und im Mutsugoro Okoku Zoo in Tokio freundete sich Aochan, die Schwarze Erdnatter, mit dem Zwerghamster Gohan an. Der Hamster wurde ihr eigentlich als Mahlzeit angeboten [21]; Aochan hatte gefrorene Mäuse als Futter abgelehnt und die Zoowärter waren davon ausgegangen, der Hamster würde appetitlicher sein. Aochan weigerte sich jedoch, das Tier zu fressen, und schien es vorzuziehen, den Käfig mit der Hamsterdame zu teilen. Nun macht Gohan sogar ein Nickerchen auf dem Rücken der Schlange. Und obwohl Aochan begonnen hat, gefrorene Nager zu fressen, zeigt er noch immer keine Neigung, seine Freundin zu verspeisen. Kazuya Yamamoto, ein Zoowärter, sagte: „Aochan scheint Gohans Gesellschaft sehr zu genießen.“

Und was machen wir aus der folgenden Fisch-Geschichte? Mary und Dan Heath behaupten, ihre erwachsene Golden Retriever-Hündin Chino sei eng mit dem knapp 40 cm langen Koi Falstaff befreundet [22]. Seit sechs Jahren trifft sich das Pärchen regelmäßig am Rand des Teiches, in dem Falstaff lebt. Jeden Tag, wenn Chino dort hinkommt, schwimmt Falstaff zur Begrüßung an die Oberfläche und knabbert an Chinos Pfoten. Wenn Falstaff dies tut, starrt Chino mit einem neugierigen und verwunderten Ausdruck im Gesicht nach unten. Ihre enge Freundschaft ist außergewöhnlich und bezaubernd – und eine machtvolle Demonstration dessen, wie wichtig der Kontakt mit anderen Wesen wirklich ist.

 

Ich kann selbst viele Geschichten erzählen, die dies ebenfalls veranschaulichen. Zwei davon, die mit meinem langjährigen Hundegefährten Jethro zu tun haben, möchte ich mit Ihnen teilen. Eines Tages, als Jethro ungefähr zwei Jahre alt war, rannte er nach dem Spielen im Hof zur Vordertür und wartete darauf, hineingelassen zu werden. Als er da saß, bemerkte ich ein kleines, pelziges Etwas in seinem Maul. Meine erste Reaktion war: „Oh nein, er hat einen Vogel getötet.“ Doch als ich die Tür öffnete, ließ Jethro ein sehr junges, sehr lebendiges Häschen vor meine Füße fallen – klatschnass von seinem Speichel. Ich konnte zwar keinerlei Verletzungen entdecken, doch ich beschloss, das Häschen bei mir zu behalten, bis ich sicher sein konnte, dass es in der Lage war, eigenständig zu überleben. Ich nannte die Kleine Bunny und nahm an, ihre Mutter war abhanden gekommen, vermutlich von einem Kojoten, Rotfuchs oder Berglöwen gefressen worden. Jethro schaute mit großen Augen zu mir auf, ganz offensichtlich in Erwartung eines Lobes dafür, dass er dem Häschen so ein guter Freund war. Dies erhielt er natürlich durch ein Streicheln seines Kopfes und ein Kraulen seines Bauchs.

Als ich eine Kiste, eine Decke und Futter für Bunny zusammensuchte, wurde Jethro ganz aufgeregt. Er versuchte, sie mir aus den Händen zu schnappen, jaulte, folgte mir auf Schritt und Tritt und beobachtete jede meiner Bewegungen. Als ich den Raum mit der Kiste verlassen musste, rief ich Jethro, mitzukommen, doch er wollte die Kiste nicht alleine lassen. Ich dachte, er würde versuchen, sich Bunny oder das Futter zu schnappen, doch das tat er nie; er stand stundenlang da und beobachtete fasziniert, wie das kleine Fellbündel versuchte, sich langsam in seinem neuen Zuhause zu orientieren. Jethro schlief sogar neben Bunny und in den zwei Wochen, in denen ich sie gesundpflegte, tat Jethro ihr nicht ein Mal weh. Tatsächlich hatte Jethro Bunny adoptiert und all seine Aufmerksamkeit war darauf gerichtet, dass ihr niemand etwas tat. Selbst als der Tag gekommen war, um Bunny wieder in die Freiheit zu entlassen, damit sie ihr Leben als frei lebender Hase beginnen konnte, beobachtete Jethro sie einfach nur dabei, wie sie vorsichtig herumschnupperte und schließlich langsam davon hoppelte.

Neun Jahre später kam Jethro erneut mit einem nassen Tier im Maul zu mir gerannt. Hm, fragte ich mich, ein weiteres Häschen? Dieses Mal entpuppte sich das nasse Bündel als Jungvogel, der von einem Flug gegen eine Fensterscheibe betäubt war. Ich hielt ihn einige Minuten in der Hand, bis seine Sinne zurückzukehren begannen. Jethro, seiner selbst treu, beobachtete jede Bewegung. Als ich dachte, der Vogel könne wieder fliegen, setzte ich ihn auf das Verandageländer. Jethro näherte sich ihm, schnupperte, trat zurück und beobachtete, wie er davon flog. Jethro liebte andere Tiere und er rettete zwei vor dem Tod. Er hätte beide ohne große Mühe fressen können. Doch das tut man seinen Freunden nicht an.

Wenn Tiere ihre Gefühle zum Ausdruck bringen, fließen sie aus ihnen heraus wie Wasser aus einer Quelle. Die Emotionen von Tieren sind rein, ungefiltert und unkontrolliert. Ihre Freude ist die reinste und ansteckendste Freude und ihre Trauer die tiefste und überwältigendste Trauer überhaupt. Ihre Leidenschaft zwingt uns vor Freude und Sorge in die Knie. Würden Tiere ihre Gefühle nicht zeigen, würden Menschen wahrscheinlich keine Bindungen mit ihnen eingehen. Wir entwickeln enge Beziehungen zu unseren Haustieren und dies nicht nur wegen unserer eigenen emotionalen Bedürfnisse, sondern auch, weil wir ihre erkennen. Als ein Bewohner der Ausläufer der Rocky Mountains liebe ich felsige Landschaften, Flüsse und Bäche, doch ihnen fühle ich mich nicht so nah, wie ich mich tierischen Lebewesen nahe fühle. Ich glaube, das liegt daran, dass Landschaften und Wasserläufe keine Gefühle oder Ansichten haben – sie sind, im Gegensatz zu Tieren, nicht empfindungsfähig.

Geteilte Emotionen und ihre Kraft, anzuziehen und zu verbinden [23], sind verantwortlich für die Milliarden Dollar schwere Haustier-Industrie dieses Landes [24]. Mehr als 60% aller Haushalte der Vereinigten Staaten halten mindestens ein Haustier und mehr als 55% haben einen Hund oder eine Katze. Doch die Vielfalt der Tiere, die als Haustiere gehalten werden, vor allem weltweit, ist erstaunlich. Dazu gehören Nagetiere, Vögel, Fische, Amphibien, Reptilien, Insekten, Spinnen, Wirbellose und viele mehr. Rund 20% der Haushalte haben einen Vogel und mehr als 600 Millionen Fische werden jedes Jahr an Aquarianer verkauft. Sowohl in den Vereinigten Staaten wie auch in Großbritannien wächst die Anzahl der Haustiere.

Eine besondere Beziehung gehen dabei Kinder und Haustiere ein. Im Rahmen von Jane Goodalls Roots & Shoots Programm [25] (Wurzeln & Keime) arbeite ich mit Kindern. Ziel des Programmes ist es, Kinder dazu anzuregen, Respekt gegenüber Tieren, Menschen und der Umwelt zu entwickeln. Das ist nicht schwierig; Kinder sind neugierige Naturforscher, die schnell mit allen möglichen Lebewesen Bindungen eingehen. Kinder gehören außerdem zu den besten Beispielen für den starken Einfluss tierischer Emotionen und Empathie auf das Leben von Menschen. Mehr als 75% der Kinder in den Vereinigten Staaten leben mit Haustieren und es ist wahrscheinlicher, dass Kinder mit einem Haustier aufwachsen als mit beiden Elternteilen. Amerikanische Jungs werden wahrscheinlich eher für ein Haustier als für ältere Verwandte oder jüngere Geschwister sorgen. Eine große Mehrheit von Kindern bezeichnet ihre Haustiere als „Familie“ oder „besondere Freunde“ und „Vertraute“. Und mehr als 80% bezeichnen sich selbst als Mütter oder Väter ihrer Haustiere. Sollten sie auf einer einsamen Insel stranden, würden mehr als die Hälfte der Kinder die Gesellschaft ihrer Haustiere der ihrer Familienmitglieder vorziehen und Kinder sorgen sich auch um heimatlose Haustiere.

Eine Studie, an der 194 amerikanische Universitätsstudenten teilnahmen, zeigt, dass diejenigen, die als Kind mit Hunden oder Katzen gelebt hatten, selbstbewusster sind als diejenigen, die keine Haustiere hatten. Bei einer Studie, die in Kroatien durchgeführt wurde, erwiesen sich Kinder, die mit Hunden lebten, als empathischer und sozialer eingestellt als Kinder, die nicht mit Hunden lebten. Kinder mit einer größeren Zuneigung zu ihren Haustieren schätzten das Klima in ihrer Familie als wesentlich besser ein als Kinder, die weniger Zuneigung verspürten. Die Interaktion mit Haustieren hilft Kindern außerdem dabei zu lernen, dass Tiere andere Bedürfnisse haben als sie selbst und fördert die Entwicklung einer Verstandestheorie (ihre Haustiere haben ihren eigenen Glauben und ihre eigene Weltsicht).

Haustiere können soziale Katalysatoren sein und dabei helfen, autistische und sozial zurückgezogene Kinder zugänglich zu machen (eine Intensivierung pro-sozialer Verhaltensweisen). Der Begriff „Tiergestützte Therapie“ wurde vor mehr als vier Jahrzehnten von Boris Levinson geprägt und wird heute noch verwendet. Levinson, ein amerikanischer Kinderpsychologe, fand heraus, dass viele Kinder, die zurückgezogen oder unkommunikativ waren, aus sich herausgingen und positiv interagierten, wenn sein Hund Jingles die Therapiesitzungen begleitete.

Haustiere helfen auch Missbrauchsopfern, indem sie sie vorbehaltlose Liebe lehren, Pufferung und das Überwinden des Traumas erleichtern. In einer Studie werden Haustiere für sexuell missbrauchte Kinder als größere Unterstützung eingeschätzt als Menschen. Haustiere bieten Kindern Unterstützung, über eine Scheidung, die Erkrankung oder den Verlust eines Familienmitglieds oder engen Freundes hinwegzukommen. Der Wert von Tieren für uns Menschen kann nicht übertrieben dargestellt werden und es sind ihre Emotionen, die uns zu ihnen hinziehen. Und obwohl wir Tiere brauchen, wären doch viele Tiere ohne uns besser dran.