Das Gefühlsleben der Tiere

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DANKSAGUNG

Zuallererst danke ich all den wundervollen tierischen Wesen, die ich das Glück hatte, in den verschiedensten Situationen kennen zu dürfen. Ihre Bereitschaft, ihr Leben und ihre Leidenschaft mit mir zu teilen, war es, die mich vor über 35 Jahren zu der Entscheidung brachte, mich mit ihren Gefühlen und Weltbildern auseinanderzusetzen. Moses, Mishka, Inuk, Sasha, Jethro, Zeke, Maddy, Sukie, Willie, Scrap, Max, Toso und weitere Hundefreunde haben geduldig gelauscht, wenn ich über ihre Gefühle sprach, und mich zu einem besseren Hund gemacht.

Jan Nystrom, Jaak Panksepp, Jessica Pierce, Michael Tobias und Nancy McLaughlin kommentierten zahlreiche Teile dieses Buches. Sie und Colin Allen, Jonathan Balcombe, Iain Douglas-Hamilton, Michael W. Fox, Jane Goodall, Lori Gruen, Dale Jamieson, Mary Midgley, Cynthia Moss, Jill Robinson und Sue Townsend haben mein Denken hinsichtlich der Emotionen der Tiere und warum sie von Bedeutung sind beeinflusst und ich lernte viel aus ihrer Weisheit. Jim McLaughlin machte mich auf die Vorstellung von Fischen als „Ströme von Protein“ aufmerksam.

Jill Robinson, Betsy Webb, Mim Rivas Eichler, Michael Tobias, CeAnn Lambert, Louis Dorfman, Scott Coleman und Marty Becker ließen mich an Geschichten teilhaben, die ich in diesem Buch verwendet habe. Jim und Jamie Dutcher, deren gemeinnützige Organisation Living with Wolves (www.livingwithwolves.org) der erzieherischen Aufklärung und der Zerstörung gefährlicher Mythen hinsichtlich der Wölfe und anderer Raubtiere gewidmet ist, ließen mich an ihrem großen Erfahrungsschatz teilhaben.

Als Boniface Zakira, mein Führer in Tansania, ein winziges Chamäleon auf einem Grashalm entdeckte, während er mit 24 Kilometern in der Stunde durch den Serengeti Nationalpark fuhr – ein winziger Fleck, den ich nicht eher sehen konnte, bis ich mich ihm bis auf 15 Zentimeter genähert hatte – wurde mir erst vollständig bewusst, wie viel eifrige Beobachter tierischen Verhaltens übersehen können, selbst wenn sie sich völlig auf ihr Tun konzentrieren. Danke, Boniface, für diese Lektion in Demut.

Kristen Cashman von der New York Library half sehr dabei, die endgültige Herstellung des Buches zu organisieren. Monique Muhlenkamp half liebenswürdigerweise bei der Publicity, während ich die Welt mit Autos, Flugzeugen, Schiffen und Zügen bereiste. Jeff Campbell war ein wunderbarer Lektor und mein Erstlektor Jason Gardner war sehr geduldig und freundlich. Indem er eine frühe Fassung dieses Buches überarbeitete und umorganisierte, bevor Jeff es in die Hände bekam, tat er mehr als seine Pflicht! Mit ihnen zu arbeiten war eine echte Freude.

Jan Nystrom, meine beste Freundin, ist immer für mich da. Sie hat das ganze Ding gelesen und kann immer noch sehen! Jans anhaltende und unerschütterliche Freundschaft, ihre Leidenschaft, ihre Herzenswärme, ihre Liebe und ihre köstlichen selbstgemachten Salsas, Suppen, Eintöpfe und Pasteten machen mich sehr, sehr glücklich.


KAPITEL 1

Argumente für die Gefühle der Tiere und weshalb sie von Bedeutung sind

Viele Tiere zeigen ihre Gefühle ohne Scheu in der Öffentlichkeit, für alle sichtbar. Und wenn wir aufmerksam sind, sagt uns das, was wir von außen sehen, viel darüber, was in Kopf und Herz eines Individuums vorgeht [1]. Wir werden feststellen, dass sorgfältige wissenschaftliche Forschung bestätigt, was wir intuitiv wissen: Tiere fühlen und ihre Gefühle sind für sie ebenso wichtig wie unsere Gefühle für uns.

Vor ein paar Jahren waren mein Freund Rod und ich mit unseren Fahrrädern in der Gegend von Boulder, Colorado, unterwegs, als wir Zeugen eines sehr interessanten Verhaltens von Elstern wurden. Elstern sind Rabenvögel und sehr intelligent. Eine Elster war offensichtlich von einem Auto erfasst worden und lag tot am Straßenrand. Vier weitere Elstern standen um sie herum. Eine näherte sich dem Leichnam, pickte sanft mit dem Schnabel an ihm – genau wie ein Elefant den Leichnam eines anderen Elefanten mit dem Rüssel berührt – und trat zurück. Eine weitere Elster tat es ihr nach. Als nächstes flog eine der Elstern auf, kam mit einigen Gräsern im Schnabel zurück und legte diese neben den Leichnam. Eine andere Elster tat dasselbe. Dann standen alle vier Elstern für einige Sekunden still, bevor eine nach der anderen davonflog.

Hatten diese Vögel über das, was sie da taten, nachgedacht? Zeigten sie dem Freund ihren Elsternrespekt? Oder hatten sie nur gehandelt, als ob sie Anteil nehmen würden? Waren sie lediglich tierische Roboter? Ich möchte diese Fragen gerne in ihrer Reihenfolge beantworten: ja, ja, nein und nein. Rod war sehr erstaunt, wie überlegt die Vögel gehandelt hatten. Er fragte mich, ob das normales Elsternverhalten sei, und ich erklärte ihm, dass ich so etwas noch nie zuvor gesehen und auch noch nichts über trauernde Elstern gelesen hatte. Wir können nicht wissen, was sie tatsächlich gedacht oder gefühlt haben, doch die Interpretation ihres Verhaltens gibt uns keinen Grund, nicht daran zu glauben, dass diese Vögel sich von ihrem Freund mit einem Elstern-Lebewohl verabschiedet haben.

Trotz der mehr als drei Jahrzehnte, die ich nun mit dem Studium von Tierspezies verbringe, habe ich nie aufgehört, von den Tieren zu lernen, auf die ich treffe. In der Nähe meines Hauses in den Bergen außerhalb von Boulder, Colorado, leben Rotfüchse. Wenn ich in die Augen eines Rotfuchses schaue, der vor dem Fenster meines Büros sitzt und mich beim Tippen beobachtet, oder wenn ich Rotfuchs-Welpen beim Spielen zusehe oder wenn ich eine Rotfüchsin dabei beobachte, wie sie sich von ihrem toten Partner verabschiedet, kann ich nicht anders, als ernsthaft darüber nachzudenken, wie es wäre, eines dieser Tiere zu sein, die sich mein Hanggrundstück mit mir teilen. Viele Tiere leben auf dem umliegenden Land – Kojoten, Berglöwen, Stachelschweine, Waschbären, Schwarzbären, eine Vielzahl von Vögeln und Eidechsen neben vielen Hunden und Katzen. In all den Jahren waren sie mir Freunde und Lehrer.

Wenn ich über die Gefühle von Tieren nachdenke, kann ich ebenfalls nicht anders, als mich zu fragen: Was ist mit den Insekten? Haben sogar Moskitos ein Gefühlsleben? Natürlich sind die Gehirne von Moskitos nur winzig und verfügen nicht über den Nervenapparat, der für die Entwicklung von Emotionen notwendig ist, deshalb ist es sehr zweifelhaft, ob sie fühlen können. Doch ehrlich gesagt wissen wir es nicht. Eines Tages werden wir vielleicht einen Weg finden, es herauszufinden. Noch wichtiger jedoch ist, ob es für uns einen Unterschied machen würde, wenn es so wäre, und das sollte es. So wie es einen Unterschied für uns macht, dass andere Tiere Gefühle haben. Das Wissen, dass Tiere fühlen – und unsere Fähigkeit sie zu verstehen, wenn sie Freude, Trauer, Eifersucht und Ärger ausdrücken –, erlaubt es uns, mit ihnen in Verbindung zu treten und außerdem ihre Sichtweise der Dinge zu bedenken, wenn wir mit ihnen interagieren. Das Wissen um die Leidenschaften der Tiere sollte einen Unterschied machen in dem, wie wir unsere Mitlebewesen sehen, vertreten und behandeln.

DICKE HAUT UND EIN WEICHES HERZ
Babyl, die Elefantendame, und ihre bedingungslosen Freunde

Eine Reise nach Kenia und Tansania öffnete mir kürzlich die Augen in Bezug auf die Welt der Elefanten, die zu den erstaunlichsten Geschöpfen zählen, die ich je gesehen habe. Als ich große Gruppen wilder Elefanten aus nächster Nähe beobachtete, konnte ich ihre majestätische Präsenz, ihr Bewusstsein und ihre Emotionen spüren. Diese Erfahrungen aus erster Hand unterschieden sich vollständig von der Beobachtung von Elefanten in Gefangenschaft, die oftmals allein leben, in den eng begrenzten und unnatürlichen Gehegen von Zoos. Mein Besuch bei ihnen war zutiefst spirituell, inspirierend und transformierend.

Während wir eine Gruppe wilder Elefanten im Samburu Reservat in Nord-Kenia beobachteten, bemerkten wir, dass einer von ihnen, Babyl, nur sehr langsam ging. Wir erfuhren, dass sie verkrüppelt war und sich nicht so schnell fortbewegen konnte wie der Rest der Herde. Wir sahen jedoch, dass die Elefanten in Babyls Gruppe sie nicht zurückließen; sie warteten auf sie. Als ich unseren Führer, den Elefanten-Experten Iain Douglas-Hamilton, danach fragte, erklärte er, dass diese Elefanten immer auf Babyl warteten und das bereits seit Jahren. Sie gingen eine Weile, hielten dann an und schauten zurück, um zu sehen, wo Babyl sich befand. Je nachdem, wie sie vorankam, warteten sie entweder oder zogen weiter. Iain erzählte uns, die Leitkuh würde Babyl gelegentlich sogar füttern. Weshalb verhielten sich die anderen Elefanten der Herde auf diese Weise? Babyl konnte nicht viel für sie tun, also schien es keinen Grund oder praktischen Nutzen zu geben, ihr zu helfen. Der einzige offensichtliche Schluss, den wir daraus ziehen konnten, lautete, dass die anderen Elefanten sich um Babyl sorgten und aus dem Grund ihr Verhalten anpassten, damit Babyl bei der Gruppe bleiben konnte.

Freundschaft und Mitgefühl reichen weit. Babyls Freunde bilden da keine Ausnahme. In Ostindien stürmten im Oktober 2006 14 Elefanten auf der Suche nach einem Herdenmitglied, das in eine Grube gefallen und ertrunken war, durch ein kleines Dorf [2]. Anwohner hatten die 17 Jahre alte Elefantenkuh bereits beerdigt, trotzdem mussten Tausende von Menschen fluchtartig ihre Häuser verlassen, weil die anderen Elefanten mehr als drei Tage suchten und randalierten.

 

DAS HERZ IST DAS THEMA

Im September 2006 fand unter der Überschrift „Das Herz des Themas“ ein Meeting statt, das sich mit dem Wohl der Tiere beschäftigte. Es ist schön, Wissenschaftler zu erleben, die das Wort Herz benutzen, denn das Herz ist tatsächlich das Thema.

Ich befasse mich mit den Emotionen von Tieren und liebe, was ich tue. Im Verlauf meiner Karriere studierte ich eine Vielzahl von Tieren – Kojoten, Wölfe, Hunde, Adelie-Pinguine, Schützenfische, Abendkernbeißer und Diademhäher – und bin dabei einer Vielzahl von Fragen nachgegangen. Fragen über Sozialverhalten, Sozialordnung und soziale Entwicklung bis hin zu Kommunikation, Spiel, nichträuberisches Verhalten, Aggression, elterliches Verhalten und Moral. Ich kann die Beweise für Emotionen bei Tieren unmöglich leugnen und diese werden auf breiter Front durch unser derzeitiges Wissen in den Bereichen Verhalten, Neurobiologie und Evolutionsbiologie bei Tieren gestützt.

Tatsächlich ist das Studium der tierischen Emotionen ein dynamisches und sich rasch entwickelndes Feld der Wissenschaft und es besteht großes Interesse an diesem Thema, sowohl von Seiten der Wissenschaftler als auch bei „normalen“ Menschen. Im März 2005 trafen sich in London rund 600 Menschen aus 50 Nationen zu einem Grundlagen-Meeting, finanziert von Compassion in World Farming Trust, um mehr über das Empfindungsvermögen, Bewusstsein und Gefühlsleben von Tieren zu erfahren. Im Oktober 2006 organisierte die World Society for the Protection of Animals eine Konferenz in Rio de Janeiro, um zu diskutieren, wie das Wohl der Tiere auf Farmen und in Forschungslabors verbessert werden kann. Die Organisatoren erwarteten etwa 200 Menschen, doch es kamen rund doppelt so viele, vornehmlich aus Brasilien und den umliegenden Ländern. Die positive Reaktion auf diese Meetings in London und Rio zeigt, dass nun tatsächlich die Zeit für uns gekommen ist, das Gefühlsleben von Tieren anzuerkennen und aus dieser Erkenntnis Konsequenzen zu ziehen.

Geschichten über die Emotionen der Tiere und unsere komplexen Beziehungen zu ihnen erscheinen in wachsender Zahl in der Presse, angefangen von prestigeträchtigen wissenschaftlichen Magazinen wie Science, Nature, Trends in Ecology and Evolution und Proceedings of the National Academy of Science bis hin zu New York Times, Psychology Today, Scientific American, Time, The Economist und sogar Reader’s Digest. Das Gefühlsleben der Tiere war auch Thema eines überraschenden Film-Kassenschlagers: Der Marsch der Pinguine. Der im Sommer 2005 erstmals veröffentlichte Dokumentarfilm beschreibt in eindringlichen Bildern die Gefühle von Pinguinen und zeigt, wie sie leiden und auch wie sie bei der Versorgung ihrer Eier und ihrer Jungen extremsten Herausforderungen trotzen.

Doch trotz zunehmender wissenschaftlicher Beweise und einer breiten öffentlichen Überzeugung bleibt eine kleine Minderheit innerhalb der wissenschaftlichen Gemeinschaft skeptisch. Einige bezweifeln noch immer, dass tierische Emotionen überhaupt existieren, und viele, die glauben, dass sie existieren, neigen zu der Ansicht, tierische Emotionen müssten unbedeutender sein als menschliche. Dies scheint mir eine überholte und sogar unverantwortliche Sichtweise und mein Hauptziel in diesem Kapitel – und tatsächlich im ganzen Buch – ist es, zu zeigen, dass tierische Emotionen existieren, dass sie für die Menschen wichtig sind und dass dieses Wissen unser Verhalten gegenüber unseren tierischen Freunden beeinflussen sollte.

Bei der Erörterung tierischer Emotionen beziehe ich mich in der Hauptsache auf Datenmaterial zum Verhalten und anekdotische Berichte, um zu zeigen, wie eine Kombination aus gesundem Menschenverstand und wissenschaftlichen Daten – was ich als „wissenschaftlichen Verstand“ bezeichne – starke Argumente für die Existenz tierischer Leidenschaften liefert. Einzelne Geschichten bilden also die Basis für meine Erörterung, ich bringe jedoch auch wissenschaftliche Studien mit ein, da sie zur Untermauerung meiner Thesen notwendig sind.

Sobald wir uns jedoch darüber einig sind, dass Emotionen bei Tieren existieren und dass sie von Bedeutung sind – wovon sehr viele Menschen bereits überzeugt sind – was dann? Dann müssen wir uns über Ethik Gedanken machen. Wir müssen unsere Handlungen betrachten und überlegen, ob sie mit unserem Wissen und unserer Überzeugung übereinstimmen. Ich bin der festen Ansicht, dass Ethik die Wissenschaft durchdringen sollte. Wir sollten immer darum bemüht sein, Wissen, Handlung und Mitgefühl miteinander zu verbinden. Dies ist tatsächlich das Herz des Themas.

WAS SIND EMOTIONEN?

Diese Frage zu beantworten, ist sehr schwierig. Die meisten von uns erkennen Emotionen, wenn sie sie sehen, haben jedoch Probleme damit, sie zu erläutern. Sind sie physischen oder mentalen Ursprungs oder beides? Als Wissenschaftler kann ich sagen, dass Emotionen psychische Phänomene sind, die das Verhalten regulieren und kontrollieren; sie sind Phänomene, die uns ausdrücken und die uns bewegen. Oftmals wird zwischen „emotionalen Antworten“ auf physische Reaktionen und „Gefühlen“, die aufgrund von Gedanken entstehen, unterschieden. Emotionale Antworten zeigen, dass der Körper auf bestimmte externe Stimuli reagiert. Sehen wir zum Beispiel ein Auto auf uns zu rasen, fühlen wir Angst – was zu erhöhtem Herzschlag, Blutdruck und einem Anstieg der Körpertemperatur führt. Doch tatsächlich wird die Angst erst empfunden, wenn das Gehirn auf die physischen Veränderungen reagiert, die eine Reaktion auf das herannahende Auto sind.

Andererseits sind Gefühle psychische Phänomene, Ereignisse, die sich ausschließlich im Gehirn eines Individuums zutragen. Ein äußeres Ereignis kann eine Emotion wie Ärger oder Trauer hervorrufen, doch nach einer gewissen Reflexion mag es sein, wir entscheiden, dass wir anders fühlen. Wir können unsere Emotionen interpretieren. Gefühle drücken sich in unterschiedlichen Stimmungen aus. Sie helfen uns und haben Einfluss darauf, wie wir in einer Vielzahl von Situationen mit anderen umgehen.

Charles Darwin, der erste Wissenschaftler, der Tieremotionen systematisch untersuchte, erkannte sechs allgemein gültige Emotionen: Ärger, Glück, Traurigkeit, Ekel, Angst und Überraschung [3]. Er vertrat die Ansicht, dass diese sechs Kernemotionen uns dabei helfen, mit einer Vielzahl von Umständen und in einer komplexen sozialen Umwelt zurechtzukommen. Diese Liste wurde inzwischen ergänzt. Stuart Walton fügt in seinem Buch A Natural History of Human Emotions Eifersucht, Verachtung, Scham und Verlegenheit zu Darwins Kerngruppe hinzu, der Neurowissenschaftler Antonio Damasio (in seinem Buch Descartes’ Irrtum. Fühlen, Denken und das menschliche Gehirn) stellt fest, dass zu den sozialen Emotionen außerdem Sympathie, Schuld, Stolz, Neid, Bewunderung und Entrüstung gehören. Es ist interessant, dass keiner dieser Wissenschaftler die Liebe erwähnt.

Welche dieser Emotionen, wenn überhaupt, verspüren Tiere? Und empfinden Tiere irgendwelche Emotionen, die Menschen nicht haben? Dies ist eine sehr interessante Frage. Die Ethologin Joyce Poole, die viele Jahre lang Elefanten studierte, erläutert: „Ich bin überzeugt, dass Elefanten einige Emotionen haben, die wir nicht kennen und umgekehrt [4]. Ich glaube allerdings auch, dass wir viele Emotionen miteinander gemein haben.“ Wenn Poole Recht hat, dann könnte es bei Tieren einige Emotionen geben, die wir niemals verstehen werden, andererseits gibt es aber viele, die wir verstehen. Sind Tiere, menschliche und nichtmenschliche gleichermaßen, nicht glücklich, wenn sie spielen oder wieder mit einem geliebten Wesen zusammenkommen? Sind Tiere nicht traurig, wenn sie einen geliebten Freund verloren haben? Wenn sich Wölfe wieder begegnen, heftig mit der Rute wedeln, winseln und springen, zeigen sie dann keine Freude? Was ist mit Elefanten, die beim Wiedersehen eine Begrüßungszeremonie vollführen, mit den Ohren schlagen, sich drehen und Töne von sich geben, die als „Begrüßungsgrollen“ bezeichnet werden – ist das keine Freude? Und mit welchem Wort außer Trauer sollen wir eine Emotion bezeichnen, die Tiere zeigen, wenn sie selbst ihren Sozialverband verlassen, nach dem Tod eines Freundes niedergeschlagen sind, aufhören zu fressen und sogar sterben? Trotz aller Unterschiede teilen alle Spezies ganz sicher einen Kern an Emotionen.

PRIMÄR- UND SEKUNDÄREMOTIONEN

Forscher erkennen für gewöhnlich zwei unterschiedliche Formen von Emotionen, die Primär- und die Sekundäremotionen. Primäremotionen werden als angeborene Grundemotionen bezeichnet. Dazu gehören generalisierte schnelle, reflexähnliche („automatische“ oder auch fest verdrahtete) Emotionen wie Angst und Angriffs- oder Flucht-Reaktionen auf Stimuli, die eine Gefahr darstellen. Sie erfordern kein bewusstes Nachdenken und beinhalten Darwins sechs universelle Emotionen: Angst, Ärger, Ekel, Überraschung, Traurigkeit und Glück. Tiere können eine primäre Angstreaktion zeigen, zum Beispiel das Meiden des reaktionsauslösenden Objekts, und dies nahezu unbewusst, noch bevor sie überhaupt erkannt haben, dass dieses Objekt die Reaktion hervorruft. Laute Geräusche, bestimmte Gerüche, über den Kopf hinwegfliegende Objekte: Diese und andere ähnliche Stimuli sind oftmals angeborene Signale für „Gefahr“, die eine automatische Meidereaktion hervorrufen. Bei der Konfrontation mit einem gefährlichen Stimulus gibt es nur wenig oder gar keinen Raum für Fehlreaktionen. Deshalb hat die natürliche Selektion zu angeborenen Reaktionen geführt, die für das Überleben eines Individuums entscheidend sind.

Primäremotionen sind evolutionär gesehen mit dem alten limbischen System (besonders der Amygdala, dem Mandelkern) verbunden. Dies ist der „emotionale“ Teil des Gehirns (so benannt durch Paul McLean im Jahr 1952). Die physischen Strukturen des limbischen Systems und ähnlicher emotionaler Bereiche existieren bei vielen verschiedenen Arten und liefern ein Nervensubstrat für Primäremotionen. In seiner Theorie vom „dreieinigen Gehirn“ (Triune brain) identifiziert McLean das Reptilien- oder primitive Gehirn (wie bei Fischen, Amphibien, Reptilien, Vögeln und Säugetieren), das limbische oder Zwischenhirn (paleomammalian) bei allen Säugetieren und das neokortikale oder „rationale“ Großhirn (neomammalian) bei wenigen Säugetieren, darunter Primaten und Menschen – alle in einen Schädel gepackt. Jedes ist mit den anderen beiden verbunden, hat jedoch seine eigenen Funktionen. Während das limbische System der Hauptbereich des Gehirns zu sein scheint, in dem viele Emotionen wohnen, lässt die derzeitige Forschung darauf schließen, dass nicht notwendigerweise alle Emotionen in einem einzigen System bestehen und möglicherweise mehr als ein System innerhalb des Gehirns für Emotionen zuständig ist.

Sekundäremotionen sind komplexere Emotionen. Diese beziehen höhere Hirnzentren im cerebralen Kortex (Hirnrinde) mit ein. Es kann sich dabei um Kernemotionen wie Angst und Ärger handeln, sie können aber auch nuancierter sein wie Reue, Verlangen oder Eifersucht. Sekundäre Emotionen sind nicht automatisch. Sie entstehen im Gehirn und das Individuum denkt über sie nach und entscheidet, wie es mit ihnen umgehen soll – welche Handlung ist die beste in einer bestimmten Situation. Bewusstes Überlegen und sekundäre Emotionen können beeinflussen, wie wir auf Situationen reagieren, die Primäremotionen hervorrufen. Wir mögen uns ducken, wenn ein Objekt ungesehen über uns hinwegfliegt, doch sobald wir feststellen, dass es sich lediglich um einen Schatten handelt, werden wir uns das Wegrennen verkneifen und eine leichte Verlegenheit verspüren. Wir werden uns rasch wieder aufrichten und so tun, als sei nichts gewesen.

Das Nachdenken über die Emotion verleiht Flexibilität in der Reaktion auf sich verändernde Situationen, nachdem die Entscheidung getroffen ist, welche der verschiedenen möglichen Reaktionen auf eine spezielle Situation angebracht ist. Manchmal, wenn man belästigt wird, mag es angebracht sein, der Person aus dem Weg zu gehen, doch manchmal mag gerade das eine noch schlimmere Situation heraufbeschwören – abhängig davon, um wen es sich bei dieser Person handelt und welche Konsequenzen man befürchtet. Auch wenn die meisten emotionalen Reaktionen unbewusst entstehen – sie entstehen, ohne dass darüber nachgedacht wird –, versuchen wir zu lernen, zu denken bevor wir handeln. Das Nachdenken erlaubt uns, Verbindungen zwischen Gefühlen und Handlungen herzustellen. Dies wiederum ermöglicht es uns, in unserem Verhalten variabel und flexibel zu sein, so dass wir, abhängig von der sozialen Situation, immer das Richtige tun. So gesehen ist der Nachweis von Emotionen bei Lebewesen auch ein wichtiger Schritt, Empfindungsfähigkeit und Ich-Bewusstsein zu bestimmen.