Liebe mit kleinen Schönheitsfehlern

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Liebe mit kleinen Schönheitsfehlern
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Mara Trevek



Liebe mit kleinen Schönheitsfehlern



Eine Mara-Lovestory





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Inhaltsverzeichnis





Titel







Liebe mit kleinen Schönheitsfehlern







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Impressum neobooks







Liebe mit kleinen Schönheitsfehlern




Freitagnachmittag, endlich! Alexandra Deckert trat aus der Bank, in der sie arbeitete. War das ein Tag gewesen! Mit einer großen Aufregung hatte er angefangen. Die Filiale im Nachbarort – nur wenige Kilometer entfernt – war kurz nach der Öffnung überfallen worden. Der Täter hatte eine Waffe gehabt, doch zum Glück wurde niemand verletzt.



Und dann wollten offenbar alle Kunden unbedingt heute ihre Bankgeschäfte erledigen. In langer Reihe hatten sie vor dem Schalter gestanden. Wenn Lexi eins wusste, dann das: Warten vergrätzte die Leute. Und der Umgang mit gereizten Kunden machte wenig Spaß.



Sie dachte an den greisen Herrn Stein, der noch kurz vor Tores Schluss gekommen war. Zugegeben, er war ein bisschen langsam geworden. Ein bisschen sehr langsam. Sogar sie musste sich zusammenreißen, um nicht ungeduldig zu werden, als er umständlich seine Siebensachen aus den verschiedenen Taschen seiner Jacke zusammensuchte und später wieder darin verstaute. Trotzdem tat ihr der alte Mann leid, als sie das unzufriedene Gemurmel im Hintergrund hörte und die spitzen Bemerkungen über Rentner, die doch weiß Gott genug Zeit hätten, zur Bank zu gehen, wenn andere arbeiten mussten.



Der einzige kleine Lichtblick war Florian Burmann gewesen, ein neuer Kunde, der gern mit ihr flirtete. Und sie mit ihm. Er nannte sie „die hübscheste Bankangestellte des Ortes, wenn nicht der Welt!“, und man sah ihm deutlich an, dass er meinte, was er sagte. Er war wohl nicht der Einzige, der ein Auge auf sie geworfen hatte, den Komplimenten nach zu urteilen, die Lexi immer wieder bekam. Sicher lag es zum Teil auch daran, dass ihr der Umgang mit Kunden Freude machte – falls diese nicht gerade schlechtgelaunt und in Scharen vor ihrem Schaltertisch standen.



Zum Glück kam nun erst mal das Wochenende!



Ein plötzlicher kalter Windstoß packte sie. Lexi blickte zum Himmel hinauf, an dem sich schwarzgraue Aprilwolken übereinanderschoben. Auch das noch! Von einer Sekunde auf die andere stürzten Wassermassen vom Himmel. Gerade noch rechtzeitig stülpte sie ihre Kapuze über. Ihre kinnlangen, blonden Haare blieben so zwar fast trocken, aber der Rest war im Nu pitschnass. Lexi stellte sich in einem Hauseingang unter, doch sie war zu ungeduldig, um das Ende des Gusses abzuwarten. „Bis zu Vanessa ist es eh nur ein Katzensprung“, dachte sie und eilte weiter, wobei sie im Slalom um die Pfützen herumlief.



Sie atmete auf, als sie das Haus erreichte, in dem ihre Freundin wohnte, und drückte lang, kurz, kurz, lang auf den Klingelknopf.



„Du Ärmste!“, schnarrte es durch die Sprechanlage, dann summte die Tür.



Erst drinnen merkte Lexi, wie durchweicht sie war. Die Kleidung klebte ihr am Körper. Um nicht im klammen Hausflur auf den Aufzug warten zu müssen, sprintete sie die Treppen bis zum vierten Stock hoch.



Vanessa erwartete sie an der Wohnungstür. „Schnell! Zieh deine nassen Sachen aus. Ich hole dir einen Bademantel.“ Mit beiden Händen zog sie Lexi in die Wohnung. „Willst du einen heißen Tee? Oder lieber einen Grog?“



Lexi musste lächeln. Vanessa und ihr Grog! Sie trank ihn zu jeder Jahreszeit, auch im Frühling. „Danke!“, sagte sie. „Ein Grog wäre prima.“



Vanessa verschwand. In eine kuschelige Decke gehüllt hockte Lexi kurz darauf auf der Couch. Langsam wurde ihr wieder warm. Sie hörte ihre Freundin in der Küche rumoren und lächelte. Die liebe, gute Vanessa! Immer besorgt, immer hilfsbereit. Seit sie sich kannten, war ihre Freundin in jeder Lebenslage für sie dagewesen – wenn sie krank war, während des letzten Umzugs, bei Liebeskummer und natürlich, wenn es etwas zu feiern gab.



Erst als Vanessa mit zwei Grogs in der Tür erschien, fiel Lexi auf, was für ein finsteres Gesicht sie heute machte. Auch sah sie aus, als ob sie geweint hätte. Während sie das heiße Getränk schlürften, blieb Vanessa schweigsam und schaute mit zusammengezogenen Augenbrauen in ihr Glas.



„Was ist los?“, fragte Lexi schließlich.



Vanessa presste die Lippen aufeinander. Ihr ohnehin schmaler Mund wurde zu einem fadendünnen Strich.



„Raus mit der Sprache!“



Den Blick in Vanessas fast schwarzen Vogelaugen konnte Lexi nicht recht deuten. Lag Wut darin? Schmerz? Oder beides? „Wer hat dich geärgert?“, fragte sie auf gut Glück.



Vanessa stellte ihr Glas mit einer so heftigen Bewegung auf dem Tisch ab, dass Lexi fürchtete, es würde zerbrechen. „Er hat mich entlassen“, zischte sie mit zusammengebissenen Zähnen.



„Wer?“, fragte Lexi in ihrem Schrecken überflüssigerweise, obwohl sie genau wusste, von wem die Rede war: von Christian Rapp, dem Inhaber einer kleinen Firma, in der Vanessa seit zwei Jahren angestellt war.



Nun brach ihre Freundin in Tränen aus. „Wie konnte er das tun?“ Sie vergrub ihr Gesicht in den Händen. Die hochgesteckten, schwarzen Haare hatten sich gelöst, einzelne Strähnen hingen wirr herunter.



Mit einem Sprung war Lexi bei ihr. Sie setzte sich auf die Sesselkante und legte ihren Arm um Vanessas knochige Schultern. „Erzähl! Was ist passiert?“



Vanessa konnte nicht sofort sprechen. Weinen schüttelte ihren schmächtigen Körper. Ohne Näheres zu wissen, empfand Lexi plötzlich glühenden Zorn auf diesen Christian Rapp.



Vanessa kramte ein Taschentuch hervor, von dem sie offensichtlich schon reichlich Gebrauch gemacht hatte, und schnäuzte sich. Ihre etwas zu große, schmale Nase leuchtete geradezu absurd rot in dem bleichen Gesicht. „Fristlos“, fügte sie krächzend hinzu.



Lexi drückte die Freundin an sich und wartete, bis die sich so weit beruhigt hatte, dass sie weitersprechen konnte. „Meine Mutter war krank“, sagte sie mit heiserer Stimme. Dann schwieg sie erneut, als ob damit alles erklärt wäre.



Lexi kannte Frau Friedrich gut. Schon damals, als sie und ihre Familie noch Tür an Tür mit Vanessa und ihrer Mutter in dem Apartmenthaus in einem Außenbezirk der Stadt gewohnt hatten, war sie häufig krank gewesen. Oder sie hatte zumindest geglaubt, krank zu sein. Wie besorgniserregend ihr Zustand tatsächlich war, konnte man nie mit Bestimmtheit sagen. Sie selbst zumindest hielt schon einen Schnupfen für ein dramatisches Ereignis und führte sich dementsprechend auf.



„Diesmal war es wirklich ernst“, fügte Vanessa hinzu, als ob sie Lexis Gedanken lesen könnte. Sie hatte Brechdurchfall, wie du damals. Weißt du noch?“



Lexi nickte. Sie erinnerte sich nur zu genau. Eine schwere Salmonelleninfektion mit tagelangem Erbrechen und Durchfall hatte sie beinahe hilflos gemacht. Am Ende war sie zu schwach gewesen, um sich ein Glas Wasser zu holen. Vanessa war gekommen und hatte sich um sie gekümmert. Dafür verschob sie sogar ihren Urlaubsantritt um ein paar Tage. Ihre Freundin hatte durchaus ihre Fehler, aber das vergaß Lexi ihr nie.



„Ich wollte meiner Mutter helfen.“ Vanessa ballte die Hände in ihrem Schoß und brach erneut in krampfartiges Schluchzen aus. Die Knöchel staken weiß hervor. Lexi legte ihre Hand auf die kleinen, kalten Fäuste.



„Deshalb habe ich mich krankgemeldet“, fuhr Vanessa fort.



Lexi schwante etwas. „Und er hat rausgekriegt, dass es ein Vorwand war?“



Vanessa nickte. „Ich bin ihm über den Weg gelaufen, als ich für meine Mutter in der Apotheke was besorgt habe. „‚Sie brauchen gar nicht mehr wiederzukommen‘“, hat er zu mir gesagt.



„Ja, aber ... Sicher hast du ihm erklärt ...“



„Ich hab’s versucht“, fiel Vanessa ihr ins Wort. „Aber er wollte nichts hören. Ist weitergegangen. Hat mich einfach stehen lassen.“



Tiefstes Mitleid erfüllte Lexi. Sie konnte sich gut in ihre Freundin hineinversetzen. Nicht nur, dass die jetzt ohne Job dastand. Und wer weiß, wann sie wieder einen finden würde – falls überhaupt. Sondern auch diese Schmach! Diese Geringachtung. Diese ... diese ... Ungerechtigkeit?



„Warum hast du dich überhaupt krankgemeldet?“, erkundigte sie sich. „Du hättest einfach um einen freien Tag bitten können, um deine Mutter zu pflegen.“



„Dieses unsoziale Schwein hätte mir nie dafür frei gegeben. Erst neulich hat er einem Kollegen verweigert, auf die Beerdigung eines langjährigen Nachbarn zu gehen, angeblich, weil ein wichtiger Geschäftstermin anstand.“



„Das ist ja ungeheuerlich!“ Lexi schüttelte empört den Kopf. Christian Rapp schien ja ein höchst unangenehmer Zeitgenosse zu sein. So jemanden zum Chef zu haben, war bestimmt kein Vergnügen. „Arme Vanessa“, sagte sie. „Morgen früh bringe ich ein paar Zeitungen mit und wir durchforsten gemeinsam die Stellenanzeigen. Aber jetzt trinken wir erst mal noch einen Grog. Bleib sitzen“, fügte sie hinzu, als ihre Freundin aufstehen wollte, „ich mach das schon.“



Allein in der Küche, ließ sie sich die Sache noch einmal durch den Kopf gehen. Das sah alles andere als rosig für Vanessa aus. Es war schwer genug, einen Job zu finden. Mit einer fristlosen Entlassung schien es fast unmöglich.



„Ich meine, du solltest noch mal versuchen, mit deinem Chef zu sprechen“, sagte sie, als sie mit den Grogs ins Wohnzimmer zurückkehrte.

 



„Mit diesem arroganten, eingebildeten Arschloch? Nein, den Gefallen tu ich ihm nicht, dass ich vor ihm krieche.“



„Was heißt hier kriechen? In aller Ruhe mit ihm reden!“



„Mit dem kannst du nicht reden. Dazu ist der viel zu engstirnig. Überhaupt sollte ich froh sein, dass ich dieses Ekel los bin. Auf so einen Chef, der seinen Angestellten nachspioniert und sie derart ausbeutet, kann ich weiß Gott verzichten!“



„Wieso ausbeutet?“, warf Lexi ein.



„Weil er alle dazu zwingt, dauernd Überstunden zu machen.“



„Das mag ja sein, aber er zahlt auch gut, besonders für Überstunden“, erwiderte Lexi. „Über dein Gehalt konntest du dich zumindest nie beklagen.“



„Verteidigst du ihn etwa?“ Vanessas tiefdunkle Augen glühten.



„Nein, nein, natürlich nicht. Beruhige dich“, versuchte Lexi sie zu beschwichtigen. „Schlaf erst mal eine Nacht drüber und morgen sehen wir weiter.“



***



Am nächsten Morgen machte Lexi sich schon früh auf den Weg, um Brötchen und verschiedene Zeitungen zu besorgen. Gegen halb neun klingelte sie lang, kurz, kurz, lang bei Vanessa. Der Frühstückstisch war bereits gedeckt und es roch anregend nach Kaffee.



„Leg die Zeitungen weg“, sagte Vanessa, „die gucken wir uns später an. Setz dich. Ich hab mir was überlegt.“



„Das klingt gut. Lass hören.“



Ihre Freundin suchte offenbar nach den richtigen Worten. Sie goss etwas Milch in ihren Kaffee und rührte ausgiebig in der Tasse.



„Du machst es aber spannend!“



Vanessa blickte auf und räusperte sich mehrmals. „Ja, also, letzte Nacht habe ich kaum geschlafen. Und da ... hatte ich eine Idee.“ Sie stockte.



„Wie du an einen Job kommen kannst?“, versuchte Lexi ihr auf die Sprünge zu helfen. Einen kurzen Moment keimte Panik in ihr auf. Warum war Vanessa so verlegen? Sie würde ihr jetzt hoffentlich nicht verkünden, dass sie beabsichtigte, ins Rotlichtmilieu einzusteigen!



„Nein“, antwortete die zu ihrer Erleichterung, „mit einem Job hat es nichts zu tun. Das ist sowieso im Moment für mich zweitrangig. Ich habe ja zum Glück meine Mutter, und die wird mich wohl kaum verhungern lassen.“



Lexi nahm der Freundin den Löffel ab, mit dem sie noch immer in ihrem Kaffee herumrührte. „Also? Was hast du dir überlegt?“, hakte sie nach.



„Es geht um den Sausack“, antwortete Vanessa. Plötzlich sprang sie auf, stützte sich auf ihre Fäuste und lehnte sich weit über den Tisch. Ihr zischender Atem streifte Lexis Gesicht. „Ich will Rache“, presste sie hervor. „Dass er mich so behandelt und mit Füßen getreten hat, das soll er mir büßen.“



Lexi wich zurück. „Lass den Blödsinn. Bei solchen Sachen kommt nie etwas Gutes heraus. Außerdem – wie willst du das anstellen?“



„Nicht ich“, erwiderte Vanessa und blickte Lexi vielsagend an.



„Was ... du meinst ... ich?“, stotterte die verwirrt. „Das ist nicht dein Ernst.“



Vanessa setzte sich wieder hin. „Mein voller Ernst. Du wirst mich rächen. Und ich weiß auch, wie.“



„Nein, bei aller Liebe, das kannst du vergessen!“



„Wieso? Du bist doch sicher mit mir einer Meinung, dass dieses Arschloch Strafe verdient hat.“



„Ja, schon. Aber ich habe damit nichts zu tun. Und du lass ebenfalls die Finger davon. Sonst verbrennst du sie dir noch.“



„Darauf kannst du Gift nehmen, dass ich die Finger von diesem Hurensohn lasse.“ Mit angewidertem Gesicht formte Vanessa ihre Hände zu Krallen und streckte sie abwehrend aus. „Aber hör dir erst mal meinen Plan an.“



„Das klappt nie im Leben!“, rief Lexi aus, als sie geendet hatte.



„Warum denn nicht? Er ist schon seit Längerem solo.“



„Weshalb sollte er sich ausgerechnet in mich verlieben?“



„Weil ich denke, du bist sein Typ. Und weil Männer auf dich fliegen. Mit deinem Charme wickelst du sie alle um den kleinen Finger. Ein Blick aus deinen schönen Augen, dazu dein berühmtes Lächeln – schon schmelzen sie dahin.“



„Du übertreibst maßlos.“



„Ich übertreibe kein bisschen. Abgesehen davon“, fuhr Vanessa unbeeindruckt fort, „wird er dir auf jeden Fall abnehmen, dass du in ihn verknallt bist. Dieser hochnäsige Patron! Dieser eitle Fatzke! Der denkt bestimmt, dass Frauen gar nicht anders können, als ihm zu verfallen.“



„Selbst wenn es so wäre, nein, ich halte mich da raus! Das ist zu gemein.“



„Wenn du es wärst – ich würde es sofort für dich tun.“



Das glaubte Lexi ihr unbesehen.



„Du bist es mir einfach schuldig“, setzte Vanessa hinzu.



„Ja. Du hast mir oft geholfen. Insofern bin ich dir tatsächlich etwas schuldig. Aber so was? Nein, das kannst du nicht von mir verlangen.“



„Du hast auch Vorteile davon. Denk doch mal nach! Es ist bestimmt ganz nett, mal eine Zeitlang mit einem reichen Pinkel auszugehen. Außerdem sieht er passabel aus und wirkt auf den ersten Blick sogar sympathisch. Und wenn er dir dann zu Füßen liegt, wenn er dir aus der Hand frisst, gibst du ihm einen Tritt und jagst ihn zum Teufel. Ha! Dann kann er mal am eigenen Leib erfahren, wie das ist. Ich hoffe, es wird richtig, richtig wehtun!“



Langsam gingen Lexi die Argumente aus. „Ich habe keine Ahnung, wie ich mich an ihn ranmachen sollte“, sagte sie in der Hoffnung, dass dieser Einwand ihrer Freundin den Wind aus den Segeln nehmen würde.



Weit gefehlt! „Aber ich weiß, wie du an ihn rankommst!“, rief sie. Ihre kleinen Augen funkelten triumphierend. „Er hat einen braunen Labrador. Mit dem geht er gern am Waldsee spazieren. Ich sage dir, das ist

die

 Gelegenheit.“



„Soll ich den ganzen Tag auf gut Glück um den Waldsee rennen, oder was?“



„Ich weiß ungefähr, wann du ihn dort antriffst. Er fährt immer wochentags nach der Arbeit hin, und er hat mal gesagt, dass er gern den Sonntagmorgen am Waldsee verbringt.“



„Und dann? Wie stellst du dir das vor? Wenn ich ihm tatsächlich begegnen sollte, kann ich doch nicht einfach hingehen und sagen: Guten Tag, ich bin Alexandra Deckert, und meine Freundin will, dass ich Sie kennenlerne.“



„Lexi!“ Jetzt wirkte Vanessa wirklich ungehalten. „Stell dich nicht dümmer, als du bist. Du packst einfach den Hund deines Bruders ins Auto und fährst ebenfalls zum Waldsee. Als Hundebesitzer kannst du ganz zwanglos mit einem anderen Hundebesitzer ins Gespräch kommen.“



Lexi kam nicht mehr gegen Vanessa an. „Also gut“, sagte sie lahm. „Meinetwegen. Ich versuch’s. Aber ohne jede Garantie für irgendwas!“



Danach fühlte sie sich richtig unwohl in ihrer Haut. „Mach dir keine Sorgen“, versuchte sie sich selbst zu beruhigen, „Das klappt eh nicht.“ Sie nahm sich vor, keine allzu großen Anstrengungen zu unternehmen. Aber wenigstens hatte sie guten Willen gezeigt.



***



Am Sonntag fuhr Lexi schweren Herzens zu ihrem Bruder, um dessen Berner Sennenhund zu einem Spaziergang abzuholen. Sebastian hatte sich am Telefon überrascht gezeigt. „Du gehst doch nie spazieren“, sagte er, „und erst recht nicht mit Emma.“



„Ich will mich ein bisschen an der frischen Luft bewegen“, hatte sie behauptet. „Da bietet es sich an, dass ich deinen Hund mitnehme.“



Sie fand, das klang überzeugend. Doch als Sebastian ihr öffnete, schien er immer noch Zweifel zu haben. „Willst du am Waldsee jemanden treffen?“, erkundigte er sich.



„Quatsch! Nein! Wie kommst du denn auf diese Idee?“ Lexi lachte und merkte selbst, wie falsch es sich anhörte. Obwohl es im Grunde stimmte. Sie

wollte

 dort niemanden treffen. Mehr noch, sie hoffte, niemanden zu treffen. Um ganz genau zu sein: Sie hoffte ganz dringend, Christian Rapp nicht zu begegnen.



Mit Emma auf dem Rücksitz machte sie sich auf den Weg zum Waldseeparkplatz. Je näher sie dem kleinen See kam, desto stärker wurde ihr Wunsch, Christian Rapp möge ihr dort bitte nicht über den Weg laufen. „Wenn ich es dreimal vergeblich versucht habe“, überlegte sie, „kann ich mit Fug und Recht zu Vanessa sagen, dass es zwecklos ist.“



Am Waldsee war wenig los. Auf dem Parkplatz standen nur drei Autos. Kein Wunder bei dem Wetter! Es war zwar Ende April und es regnete nicht, aber der Himmel war bedeckt und ein unangenehm böiger Wind wehte.



Mit Emma im Schlepptau lief sie den Weg entlang, der zum See führte. Das heißt, eigentlich war es umgekehrt: Mit ihr im Schlepptau lief Emma den Weg entlang. Sie zog dermaßen, dass Lexi buchstäblich rennen musste.



Niemand kam ihr entgegen. Lexis Hoffnung stieg, dass sie bald unverrichteter Dinge nach Hause zurückkehren konnte.



Sie überlegte, ob sie Emma von der Leine lassen sollte. Lieber nicht. Wer weiß, ob sie hören würde, wenn Lexi sie rief. Am Ende lief sie noch weg! Andererseits war es wahrlich kein Vergnügen, von ihr um den See gezerrt zu werden.



Noch zögernd bückte sie sich, um die Leine zu lösen. Da hörte sie hinter sich plötzlich eine Stimme: „Hat der Hund sein Frauchen endlich davon überzeugt, dass es besser ist, ihn loszumachen?“



Lexi richtete sich auf. „Ich bin nicht sein Frauchen, sondern sein Tantchen. Das ist der ... Hund meines ...“ Das letzte Wort blieb ihr im Halse stecken, als sie sah, wer vor ihr stand: Er. Christian Rapp. Sie erkannte ihn von dem Foto, das Vanessa ihr gezeigt hatte. Und an dem schokoladenbraunen Labrador, der jetzt auf Emma zustürzte.



„Das ist der Hund Ihres ...?“, hakte er nach.



„Wie bitte?“ Lexi konnte keinen klaren Gedanken fassen.



„Sie wollten mir sagen, wessen Hund das ist.“



„Ach so, ja. Äh. Er gehört meinem Bruder“, stotterte Lexi.



Christian Rapp lächelte. Er hatte ein sympathisches Lächeln. Überhaupt sah er nett aus. Kein bisschen wie ein arrogantes Arschloch.



Die Hunde hatten sich inzwischen ausgiebig beschnüffelt. Plötzlich rannten sie wie auf Kommando gleichzeitig los und verschwanden im Gebüsch am Wegrand. So ergab es sich ganz von selbst, dass Lexi und Rapp gemeinsam weitergingen.



Worüber unterhalten sich zwei Leute, die mit Hunden an einem Seeufer entlangspazieren? Natürlich über Hunde. Seine Hündin hieß Maru. Er hatte sie vor Kurzem aus dem Tierheim geholt. Dort war sie gelandet, weil jemand sie an einem Autobahnrastplatz ausgesetzt hatte. Lexi schüttelte den Kopf. „Dass jemand so etwas übers Herz bringt ...“



„Mir ist das ebenfalls unbegreiflich. Ein Hund hängt an seinem Besitzer. Er vertraut ihm. Wie kann man ihn einfach seinem Schicksal überlassen? Maru hat großes Glück gehabt, dass sie nicht überfahren wurde.“ Seine Stimme war angenehm. Und was er sagte, klang definitiv nicht nach einem unsozialen Schwein.



„Maru hat sich sehr schnell an mich gewöhnt“, erzählte er weiter. „Sie ist verspielt und total verschmust. Aber ich musste ihr im wahrsten Sinne des Wortes erst mal die Flötentöne beibringen.“ Er grinste, setzte eine Hundepfeife an die Lippen und pfiff. Wie ein Pfeil kam Maru aus dem Unterholz geschossen. Emma trottete in einigem Abstand gemächlich hinter ihr her. Christian Rapp lobte die Hündin, tätschelte sie und gab ihr ein Leckerchen. Maru sprang an ihm hoch und bettelte um mehr. Er gab ihr noch eins. Emma ging ebenfalls nicht leer aus.



Lexi beobachtete ihn. Der ehemalige Chef ihrer Freundin gefiel ihr, das musste sie zugeben. Besonders mochte sie seine blauen Augen. „Hochnäsiger Patron“, hörte sie im Geiste Vanessas Stimme, „eitler Fatzke!“ Ihr Blick glitt über seine Gestalt. Er war dem Anlass entsprechend leger gekleidet mit Jeans, Lederjacke und sportlichen Schuhen, die wie neu aussahen. Sein Haarschnitt war tadellos. Ein frisch-herber, männlicher Duft von Rasierwasser umgab ihn. Er wirkte wie aus einem Katalog für Outdoorbekleidung. Schon möglich, dass er ein wenig eitel war.



Die Zeit verging schnell. Ehe Lexi es sich versah, hatten sie den kleinen See umrundet. Er schlug vor, eine zweite Runde zu machen, und sie stimmte gern zu. Die Hunde rannten mit ungebrochener Energie wieder los.



Später gingen sie gemeinsam zum Parkplatz. „Wann kommen Sie das nächste Mal wieder hierher?“, erkundigte er sich.



„Morgen Abend“, antwortete Lexi wie aus der Pistole geschossen. „Es sei denn, es regnet.“



„Es wird nicht regnen. Sollen wir uns um sieben Uhr auf dem Parkplatz treffen?“



„Gern“, sagte eine beflissene Stimme und Lexi brauchte eine Sekunde, um zu realisieren, dass es ihre eigene war.



„Was geht denn hier ab?“, fragte sie sich verwirrt. Zwar verlief alles nach Plan, doch an den hatte sie keinen Gedanken verschwendet, als sie so spontan zustimmte.



Christian Rapp bückte sich, um Emma zum Abschied zu streicheln. „Bis morgen, Emma“, sagte er. Dann richtete er sich auf und lächelte sie an. „Tschüss, bis morgen.“

 



„Tschüss, Herr Rapp“, antwortete Lexi noch immer leicht neben der Spur.



Er stutzte. „Woher kennen Sie meinen Namen?“



Au weia! Lexi wurde siedend heiß. Unter Hundebesitzern kam es häufig vor, dass man die Namen der Hunde kannte, nicht aber den ihrer Besitzer. Auch Christian Rapp und sie hatten sich einander noch nicht vorgestellt. Am liebsten hätte sie ihre glühenden Wangen mit ihren klamm gewordenen Fingern gekühlt. „Ich ... ich glaube, ich habe Sie mal in der Zeitung gesehen“, stotterte sie. Dabei hatte sie keine Ahnung, ob er jemals in einer Zeitung abgebildet gewesen war. Sie konnte bloß hoffen, dass der Inhaber einer ortsansässigen Firma dort gelegentlich auftauchte.



„Ah, ich verstehe.“ Seine Stirn glättete sich in einem Lächeln. „Sie meinen sicher einen der Artikel, die neulich anlässlich des 25jährigen Firmenjubiläums in den Lokalausgaben erschienen sind.“



„Genau“, antwortete Lexi erleichtert. Gleichzeitig überlegte sie: „25jähriges Firmenjubiläum? Er sieht keinesfalls älter als Mitte dreißig aus.“



Er schien ihre Gedanken zu erraten. „Mein Vater hat mir die Firma vor fünf Jahren aus gesundheitlichen Gründen übergeben“, erklärte er. „Das stand ja auch in den Artikeln.“



„Ah ja.“



Als er auf sein Auto zustrebte, wischte sie sich den Schweiß von der Stirn. Das war ja gerade noch mal gut gegangen!



Christian Rapp stieg in einen dunklen BMW. „Schön groß“, dachte Lexi und kletterte in ihren kleinen Peugeot, in dem Emma auf dem Rücksitz kaum Platz fand. Während der Fahrt zu ihrem Bruder dachte sie über ihre Begegnung mit Christian Rapp nach. Vanessa würde hocherfreut sein, dass ihre Rechnung aufging.



Aber ging sie tatsächlich auf?



Lexi hatte da so ihre Zweifel ...



Wie erwartet, war Vanessa begeistert. Lexi musste ihrer alles haarklein berichten. „Was habe ich dir gesagt?“, rief sie aufgekratzt. „Er beißt an! Und wenn er erst mal richtig an der Angel zappelt, ist er geliefert.“



Sie lachte lauthals darüber, dass Christian gesagt hatte, es werde nicht regnen. „Ich hatte ja gar keine Ahnung, dass er sogar Wetter machen kann“, höhnte sie. „Aber das ist typisch für ihn. Er denkt, er ist der liebe Gott und die Welt dreht sich nur um ihn. Doch diesmal irrt er sich gewaltig!“ Sie lachte wieder dieses spöttische Lachen, in das Lexi beim besten Willen nicht einfallen konnte.



***



Zum ersten Mal in ihren Leben hätte Lexi über Regen eine gewisse Erleichterung verspürt. Doch Christian Rapp behielt recht: Am folgenden Tag war es sonnig und warm. Nach der Arbeit fuhr sie sofort zu Sebastian, um Emma abzuholen. Der grinste, als er ihr die Tür öffnete. „Es geschehen noch Zeichen und Wunder“, sagte er. „Meine Schwester ist von einem Tag auf den anderen zum Frischluftfanatiker mutiert.“



Lexi murmelte etwas von Bewegung, die bekanntlich guttue, wenn man eine überwiegend sitzende und stehende Tätigkeit ausübe.



„Soso.“ Ihr Bruder grinste wieder und Lexi zog es vor, auf weitere Kommentare zu verzichten.



Als sie um fünf vor sieben auf dem Parkplatz ankam, war Christian Rapp noch nicht da. Sie blieb einen Moment im Auto sitzen.



Sieben Uhr. Emma wurde unruhig. Sie bellte und scharrte mit den Vorderpfoten. Lexi stieg aus und wanderte mit ihr auf dem Parkplatz hin und her.



Zehn Minuten nach sieben. Und wenn er sie versetzen würde? Das würde gut zu einem arroganten Arschloch und unsozialen Schwein passen.



Um Viertel nach war Lexi es leid. Sie jedenfalls wartete jetzt keine Sekunde länger. Dann musste er eben allein am See spazieren gehen, falls er überhaupt noch kam.



Um zwanzig nach sieben hatte sie mit Emma an der Leine das Seegelände erreicht. Sie wandte sich ein letztes Mal um. Von Christian Rapp keine Spur. Vanessa hatte ihn vollkommen richtig eingeschätzt. Alles, was sie über ihn sagte, traf zu. Lexi leinte Emma ab und marschierte los. Die Wut beschleunigte ihre weit ausholenden Schritte. In Rekordzeit hatte sie die Hälfte des Wegs geschafft, der um den See herumführte.



„He! Hallo!“



Lexi erkannte seine Stimme. Er war also doch noch aufgetaucht. Eine Unverschämtheit, sich dermaßen zu verspäten!



„Warten Sie!“



Lexi rannte weiter. Was bildete der Kerl sich eigentlich ein? Dass sie Gewehr bei Fuß stehen würde, bis er geruhte zu erscheinen?



Maru und Emma begrüßten sich stürmisch und rannten in schöner Eintracht gemeinsam ins Gebüsch.



„Maru! Emma! Hierher!“



Wie eine Urgewalt brachen die Hunde wieder aus den Sträuchern hervor und rannten auf Christian zu. Lexi blieb notgedrungen stehen und wandte sich um.



„Du meine Güte, haben Sie ein Tempo drauf!“, rief er ihr zu, während er den Hunden ein Leckerli gab. „Wenn Maru und Emma nicht so gut erzogen wären, säßen Sie jetzt wahrscheinlich schon zu Hause.“



Lexi wusste nicht, wie sie reagieren sollte. Einerseits musste sie über das, was er sagte, lachen. Andererseits war sie immer noch knallwütend auf ihn.



Das sah er ihr wohl an, denn er fuhr fort: „Erst mal möchte ich mich für mein Zuspätkommen entschuldigen. Ich hatte schon den Computer heruntergefahren, da kam noch ein äußerst wichtiger Anruf, auf den ich den ganzen Tag gewartet hatte. Selbstverständlich hätte ich Sie benachrichtigt, wenn ich gekonnt hätte. Aber ich weiß ja noch nicht einmal Ihren Namen.“



„Alexandra Deckert“, antwortete Lexi automatisch.



Dies fasste er anscheinend als Zeichen auf, dass sie seine Entschuldigung angenommen hatte. Und das, stellte sie verblüfft fest, hatte sie auch.



„Ich hoffe, Sie lassen es auf dem Rest des Weges ruhiger angehen“, fuhr er fort. „Ich musste heute wieder durch meinen Arbeitstag hetzen und würde mich jetzt gern ein wenig entspannen.“



„Okay. Ich habe nichts dagegen, spazieren zu zockeln.“ Lexi setzte sich gemächlich in Bewegung.



„Wir brauchen nicht gleich zu zockeln. Gehen wir doch einfach.“



„Wissen Sie was?“ Lexi blieb wieder stehen. „Das wird mir jetzt etwas zu kompliziert. Wo hört bei Ihnen das Zockeln auf und fängt das Gehen an? Es ist wohl besser, Sie geben Sie das Tempo vor, und ich folge Ihnen.“



„Immer noch böse?“



Sein Lächeln war einfach umwerfend. Das Blau seiner Augen ebenfalls. Nicht zu vergessen das volle dunkle Haar, das ihm in die Stirn fiel. „Nein“, erwiderte sie wahrheitsgemäß, „natürlich nicht.“



Sie liefen weiter.



„Haben Sie auch einen stressigen Job?“, erkundigte er sich.



„Hin und wieder. Ich arbeite bei einer Bank.“



„Und? Keine Angst vor Bankräubern? Erst vor ein paar Tagen wurde doch wieder eine Filiale hier in der Gegend überfallen.“



Lexi zuckte die Achseln. „Wahrscheinlich sollte ich Angst haben. Aber aus irgendeinem Grund habe ich immer das Gefühl, so was könnte bei uns nicht passieren.“



„Sie haben in beiden Punkten Unrecht.“



Verwirrt schaute Lexi ihn an. „Ich weiß natürlich, dass jede Bank überfallen werden könnte. Aber was ist der zweite Punkt?“



„Sie haben Unrecht, wenn Sie sagen, dass Sie Angst davor haben sollten. Angst ist nur sinnvoll, wenn sie dazu führt, dass im Vorfeld vorbeugende Maßnahmen getroffen werden. Sie kann aber kaum dazu beitragen, einen Überfall zu verhindern. Und im Falle der Fälle ist sie ein schlechter Berater, weil jemand, der Angst hat, schnell falsch reagiert.“



Lexi lachte. „Na, dann ist es ja gut, dass ich so furchtlos bin.“



Christian Rapp wiegte den Kopf. „Hier haben Sie im Grunde schon wieder Unrecht. Furchtlosigkeit ist genauso gefährlich, weil sie leichtsinnig macht.“



„Ja, was denn nun? Sollte ich Ihrer Meinung nach Angst haben vor Überfällen oder nicht?“



„Könnten wir uns vielleicht auf gelassene Vorsicht oder, wenn Sie das lieber mögen, auf vorsichtige Gelassenheit einigen?“



„Okay. Von nun an übe ich meinen Job mit gelassener Vorsicht aus – oder vorsichtiger Gelassenheit. Wenn ich es recht bedenke, habe ich das

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