Unternehmensnachfolge

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7. Pflichtteilsrecht

a) Unternehmensbewertung

246

Für die Berechnung des Pflichtteilsanspruchs ist der tatsächliche Verkehrswert des Nachlasses im Zeitpunkt des Erbfalls maßgebend, § 2311 Abs. 1 BGB. Ein einzelkaufmännisches Unternehmen ist daher grds. mit seinem vollen Wert einschließlich etwaiger stiller Reserven und des good will zu bewerten.[300] Auf Buch- oder Bilanzwerte ist nicht abzustellen. Auch kann der Erblasser nicht eine abweichende Wertbestimmung anordnen, § 2311 Abs. 2 S. 2 BGB. Wie der volle Wert eines Unternehmens für Zwecke der Pflichtteilsberechnung ermittelt wird, ist im Gesetz – insbesondere im Vergleich zum steuerlichen Bewertungsrecht – kaum geregelt.[301] Im Idealfall lässt sich der Wert eines Unternehmens durch einen zeitnahen Verkaufspreis feststellen. Bis zu welchem Zeitpunkt ein zeitnaher Verkauf angenommen werden kann, ist von der Rechtsprechung bislang nicht einheitlich beurteilt worden. Teilweise wurden Betriebsveräußerungen fünf Jahre, in einem Einzelfall sogar sechseinhalb Jahre nach dem relevanten Stichtag, noch als ein Verkauf in zeitlicher Nähe eingestuft.[302] Der ein bis zwei Jahre nach dem Erbfall vereinbarte Kaufpreis kann wohl mit Sicherheit als zulässiger Bewertungsmaßstab herangezogen werden.[303]

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Lässt sich der Unternehmenswert nicht aus einem zeitnahen Verkaufspreis ableiten, stehen für die Bewertung eines Unternehmens im Wesentlichen folgende Bewertungsmethoden zur Verfügung:

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Beim Ertragswertverfahren werden die künftig zu erwartenden Überschüsse aus den in der Vergangenheit (i.d.R. in den letzten drei bis fünf Jahren[304] vor dem Erbfall) liegenden Überschüssen hochgerechnet. Diese Überschüsse werden dabei um Abschreibungen, angemessenen Unternehmerlohn und laufende Betriebssteuern bereinigt.[305] Aus diesen Überschüssen wird anschließend das Jahresdurchschnittsgewinn ermittelt, wobei es sachgerecht erscheint, dem letzten Jahresergebnis ein größeres Gewicht zukommen zu lassen.[306] Der so ermittelte Jahresdurchschnittsgewinn ist auf den Stichtag abzuzinsen.[307] Auf diese Weise wird der Betrag ermittelt, der unter Anwendung eines angemessenen Kapitalisierungszinsfusses eine laufende Rendite i.H.d. prognostizierten Überschüsse erwarten lässt.[308] Der Kapitalisierungszinsfuss wird dabei auf der Grundlage der Effektivverzinsung inländischer öffentlicher Anleihen, also risikoloser Anlageformen, ermittelt.[309] In der Praxis ist die Festlegung des Kapitalisierungszinssatzes regelmäßig streitanfällig. Die Sachverständigenansätze schwanken hier zwischen 5 und 15 % jährlich.[310] Der auf diese Weise ermittelte Ertragswert ist abschließend um den gemeinen Wert der nicht betriebsnotwendigen Vermögensgegenstände zu erhöhen, da diese auf den prognostizierten Ertrag des Unternehmens keinen Einfluss haben.[311]

249

Dem Ertragswertverfahren ähnlich ist das international vorherrschende „Discounted-Cash Flow-Verfahren“ (DCF-Verfahren), das allerdings in der Rechtsprechung bislang keinen Niederschlag gefunden hat.[312]

250

Beim Substanzwertverfahren werden alle selbstständig veräußerungsfähigen Vermögensgegenstände des Unternehmens zu Wiederbeschaffungspreisen, abzüglich der Verbindlichkeiten, bewertet.[313] Das Substanzwertverfahren geht von einer Unternehmensfortführung aus.[314]

251

Die sog. Mittelwertmethode bildet einen Mittelwert aus Ertrags- und Substanzwert.

252

Der Liquidationswert eines Unternehmens ist der Barwert aller Nettoerlöse, die sich bei einer Veräußerung der einzelnen Vermögensgegenstände abzüglich Schulden und Liquidationskosten bei einer Aufgabe des Betriebs ergeben.[315]

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Bei der Vergleichswertmethode wird ein Markt gesucht, auf dem sich ein allgemein anerkannter Wert für ein Unternehmen bilden lässt. Da sich aber kaum zwei Unternehmen finden, die wirklich miteinander vergleichbar wären, scheidet diese Methode im Rahmen der Pflichtteilsberechnung von vornherein aus.[316]

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Grundsätzlich kann der Tatrichter frei entscheiden, welche Bewertungsmethode er im zu entscheidenden Einzelfall anwendet.[317] Die Literatur und die Betriebswirtschaftslehre ziehen heute allerdings nahezu einhellig das Ertragswertverfahren heran, um den Wert eines Unternehmens zu ermitteln (zuzüglich einer Einzelbewertung des nicht betriebsnotwendigen Vermögens).[318] Der BGH hat sich zur Unternehmensbewertung im Pflichtteilsrecht bislang noch nicht geäußert. Zum Zugewinnausgleich ergingen jedoch Entscheidungen, die auf die Ertragswertmethode abstellten.[319] Trotz der bestehenden Strukturunterschiede zwischen Zugewinn und Pflichtteil sind keine zwingenden Gründe ersichtlich, warum die zum Zugewinn ergangene Rechtsprechung nicht auch auf das Pflichtteilsrecht übertragen werden könnte.[320] Andere Bewertungsverfahren, insbesondere das früher angewandte Substanzwertverfahren (zuzüglich eines „good will“) oder die Mittelwertmethode sind damit überholt.[321] Als Untergrenze für die Pflichtteilsbewertung wird überwiegend der Liquidationswert angenommen.[322] Ist der Erlös aus dem Verkauf des Unternehmens größer als der Ertrag aus der Fortführung, wird ein rational agierender Kaufmann sein Unternehmen veräußern. Wird das Unternehmen trotzdem fortgeführt, hat der BGH es in einer früheren Entscheidung abgelehnt, auf den Liquidationswert abzustellen, es sei denn die Fortführung ist wirtschaftlich nicht vertretbar.[323] Diese Ansicht führt allerdings zu dem nicht überzeugenden Ergebnis führen, dass die Höhe des Pflichtteilsanspruchs von der subjektiven Entscheidung des Erben abhängt, das Unternehmen fortzuführen (oder eben nicht): Führt der Nachfolger das Unternehmen fort, gilt die Ertragswertmethode, andernfalls der Liquidationswert.[324] Der Liquidationswert ist schließlich auch dann maßgeblich, wenn der Erblasser die Fortführung des Unternehmens etwa durch Auflagen oder Strafklauseln angeordnet hat. § 2311 Abs. 2 S. 2 BGB verbietet, dass der Erblasser mittelbar oder unmittelbar Einfluss auf die Pflichtteilsbewertung nimmt.[325]

255

Sofern die Erben das Unternehmen veräußern, werden einkommensteuerpflichtige Gewinne entstehen, § 16 Abs. 3 EStG. Nach der früheren Rechtsprechung des BGH konnte diese latente Steuerlast bei der Pflichtteilsberechnung nur berücksichtigt werden, wenn eine Auflösung der stillen Reserven absehbar war oder der Wert des Unternehmens nur durch Verkauf realisiert werden konnte.[326] Richtigerweise muss man die latente Steuerlast immer als Risikofaktor berücksichtigen.[327] Dies entspricht der neueren Rechtsprechung zum Zugewinnausgleich, die sich auf die Pflichtteilsberechnung übertragen lässt.[328] Der BGH akzeptiert hier eine pauschalierte Abzinsung von 25 %. Dies erscheint als angemessen, sofern nicht besondere Aspekte, wie z.B. eine Betriebsstilllegung kurz nach Erbfall, hinzukommen.[329] Darin ist kein Verstoß gegen das Stichtagsprinzip des § 2311 Abs. 1 S. 1 BGB zu sehen, da die stillen Reserven bereits vor Eintritt des Erbfalls gebildet worden sind.

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Bei kleineren und mittlere Unternehmen sowie Handwerksbetriebe hängt der Ertrag regelmäßig stark von der Person des Unternehmensinhabers ab. Ein neuer Unternehmensinhaber kann zu einer deutlich schlechteren Ertragsaussicht führen. Welchen Anteil aber dieser personale Faktor für den Ertrag des Unternehmens hat, lässt sich naturgemäß kaum genau bestimmen.[330] Das vergangenheitsbezogene Ertragswertverfahren kann hier nicht zu sachgerechten Ergebnissen führen. Für die Berechnung des Zugewinns hat der BGH auf den Substanzwert (zuzüglich eines etwaigen „good will“) abgestellt.[331] Im Bereich des Pflichtteilsrechts fehlt es bislang noch an einer Entscheidung. Richtigerweise lässt sich die vorgenannte Rechtsprechung zum Zugewinn aber auf das Pflichtteilsrecht übertragen. Dies gilt im besonderen Maße auch für Freiberuflerpraxen, deren Ertragsaussichten vielleicht noch mehr als bei einem sonstigen kleineren Unternehmen von der Person des Inhabers abhängen. Daneben zieht der BGH (zumindest im Zugewinnausgleich) die Bewertungsrichtlinien der jeweiligen Standesorganisationen heran.[332] Nach anderer Ansicht soll auch bei kleineren, personenbezogenen Unternehmen die Ertragswertmethode herangezogen werden. Der personale Faktor soll dann durch entsprechende Abschläge berücksichtigt werden.[333]

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Praxishinweis:

Die Bewertung von Unternehmen im Pflichtteilsrecht ist mit zahlreichen Unwägbarkeiten verbunden. Vor diesem Hintergrund kann es anratsam sein, dass der Erblasser sich mit dem Pflichtteilsberechtigten verbindlich auf ein Verfahren zur Unternehmensbewertung einigt. Dies kann aus Sicht des Erblassers der zweitbeste Weg sein, wenn er einen Pflichtteilsverzichtsvertrag gegen Abfindung nicht erreichen kann. Die Beteiligten sollten das Bewertungsverfahren möglichst detailliert beschreiben, um alle etwa später auftretenden Streitigkeiten (Abschläge, Berücksichtigung von latenten Steuern, Ermittlung des durchschnittlichen Jahresertrags etc.) zu vermeiden. In einer solchen Vereinbarung kann freilich ein teilweiser Pflichtteilsverzicht liegen, so dass die notarielle Form eingehalten werden sollte, § 2348 BGB.

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Formulierungsbeispiel:[334]

… vereinbart mit dem Erblasser was folgt und verzichtet mit Wirkung für sich und seine Abkömmlinge gegenüber dem Erblasser insoweit vorsorglich auf das gesetzliche Pflichtteilsrecht einschließlich von Ergänzungs- und Zusatzpflichtteilsansprüchen: Für die Berechnung von Pflichtteilsansprüchen soll mein Unternehmen … nach dem Ertragswertverfahren auf der Grundlage der Grundsätze zur Durchführung von Unternehmensbewertungen des Instituts der Wirtschaftsprüfer in Deutschland e. V. (IDW), Düsseldorf, in der jeweils gültigen Fassung bewertet werden. Die derzeit gültigen Standards sind dieser Urkunde als Anlage beigefügt. Die Bewertung hat für alle Beteiligten verbindlich durch einen Wirtschaftsprüfer als Schiedsgutachter zu erfolgen. Können sich die Beteiligten über die Person des Wirtschaftsprüfers nicht einigen, soll dieser auf Antrag eines Beteiligten vom Präsidenten der für den Wohnsitz des Erblassers zuständigen Kammer der Wirtschaftsprüfer bestimmt werden. Im Übrigen bleibt das gesetzliche Pflichtteilsrecht unberührt. Der Erblasser nimmt diesen beschränkten Pflichtteilsverzicht an.

 

b) Stundung

259

Pflichtteilsansprüche sind grundsätzlich sofort mit dem Erbfall fällig sind und können damit die Liquidität des Unternehmens erheblich belasten oder gar den Bestand des Unternehmens gefährden. Auch die Neufassung der Stundungsvorschrift des § 2331a BGB führt nur zu einer geringfügigen Besserstellung des Erben. Zwar ist der persönliche Anwendungsbereich erweitert worden des Inhalts, dass nun alle Erben (und nicht nur die pflichtteilsberechtigten) einen Anspruch auf Stundung haben. Der sachliche Anwendungsbereich ist aber unverändert eng. Musste nach alter Rechtslage die sofortige Erfüllung des Pflichtteilsanspruchs den Erben bislang „ungewöhnlich hart treffen“, genügt nun eine „unbillige Härte“. Nach neuer Rechtslage sind die Interessen des Pflichtteilsberechtigten „angemessen“ zu berücksichtigen, § 2331a Abs. 1 S. 2 BGB, wohingegen bislang die Stundung dem Pflichtteilsberechtigten „zumutbar“ sein musste. Unverändert kann der Pflichtteilsberechtigte auch nach aktueller Rechtslage die Verzinsung sowie die Bestellung von Sicherheiten verlangen, § 2331a Abs. 2 i.V.m. § 1382 Abs. 3 BGB.

260

Ausweislich der Gesetzesmaterialien bezweckte der Gesetzgeber mit den Änderungen in § 2331a BGB zwar eine Erweiterung der Norm.[335] Zumindest für den Bereich der Unternehmensnachfolge ist der Anwendungsbereich ist aber weiterhin deutlich zu eng. Die den Erben treffende „unbillige Härte“ bezieht sich unverändert auf die Art des Gegenstands und nicht etwa auf die Schwierigkeiten bei der Erfüllung der Zahlungspflicht.[336] Fehlende Liquidität im Unternehmen ist damit kein Stundungsgrund.

261

De lege ferenda wäre eine Angleichung zur Stundungsvorschrift im Zugewinnsrecht wünschenswert, § 1382 BGB. § 1382 BGB stellt auf die „Unzeit“ der Forderung ab, die bei Liquiditätsschwierigkeiten durchaus bejaht werden kann. Was im Übrigen unter der neuen Formulierung „unbillige Härte“ zu verstehen ist, lässt sich auch aus der Gesetzesbegründung nicht klar ergründen. Die Regelbeispiele im Gesetz (Aufgabe der Familienwohnung, Veräußerung eines die wirtschaftliche Lebensgrundlage bildenden Wirtschaftsgutes) sind jedenfalls unverändert. Ebenso unklar ist, ob es sich bei der Umformulierung von „zumutbar“ in „angemessen“ lediglich um Semantik handelt oder wirklich rechtlicher Gehalt beikommt. Sofern der Tatrichter § 2331a BGB nicht extensiver als bislang auslegt, wird die gesetzliche Stundung zumindest im Bereich der Unternehmensnachfolger weiterhin ein Schattendasein führen.

262

Praxishinweis:

Angesichts der Schwächen der gesetzlichen Regelung für den Bereich der Unternehmensnachfolge kann es sich empfehlen, eine vertragliche Stundungsvereinbarung zu treffen. Diese wird der Erblasser oftmals deutlich einfacher (und kostengünstiger) erreichen, als einen (gegenständlich beschränkten) Pflichtteilsverzicht. Der Inhalt der Stundung (Dauer, Verzinsung, Sicherheitsleistung, Ratenzahlung, Wertsicherung etc.) sollten präzise festgelegt werden. Da die Stundung einen teilweisen Pflichtteilsverzicht bedeutet, ist die notarielle Form des § 2348 BGB einzuhalten.

263

Formulierungsbeispiel:[337]

Die Erfüllung des Pflichtteilsanspruchs ist wie folgt gestundet: Der Pflichtteilsanspruch ist in fünf gleichen Jahresraten zu bezahlen. Die erste Rate ist sechs Monate nach verbindlicher Einigung über den für die Berechnung des Pflichtteilsanspruchs maßgebenden Nachlasswert zur Zahlung fällig. Der Pflichtteilsanspruch ist von der Fälligkeit der ersten Rate an mit jährlich 2 % zu verzinsen. Eine Sicherheitsleistung für den Pflichtteilsanspruch kann nicht verlangt werden. Soweit die vereinbarte Stundung einen Pflichtteilsverzicht bedeutet, verzichtet … für sich und seine Abkömmlinge gegenüber dem Erblasser insoweit auf das gesetzliche Pflichtteilsrecht einschließlich von Ergänzungs- und Zusatzpflichtteilsansprüchen. Im Übrigen bleibt das gesetzliche Pflichtteilsrecht unberührt. Der Erblasser nimmt diesen beschränkten Pflichtteilsverzicht an.

c) Auskunftsanspruch

264

Nach § 2314 Abs. 1 S. 1 BGB kann der Pflichtteilsberechtigte vom Erben Auskunft über den Bestand des Nachlasses verlangen. Gehört zum Nachlass ein Unternehmen, so kann der Auskunftsberechtigte die Vorlage von allen Dokumenten und Unterlagen verlangen, die es ihm ermöglichen, den Geschäftswert zu ermitteln.[338] Welche Unterlagen der Erbe im konkreten Fall genau vorlegen muss, hängt entscheidend von der Bewertungsmethode für das in Frage stehende Unternehmen ab. Wird der Wert eines Unternehmens wie im Regelfall auf der Grundlage der Ertragswertmethode berechnet, wird die Vorlag einer Bilanz nicht ausreichen. Vielmehr muss der Erbe sämtliche Unterlagen vorlegen, die eine Ermittlung des prognostizierten Ertrags ermöglichen (insbesondere Gewinn und Verlustrechnung, Umsatzzahlen, Geschäftsbücher).[339] Der Anspruch geht dabei fünf Jahre zurück.[340] Stehen Erben und Pflichtteilsberechtigter im Wettbewerb, kann der Auskunftsanspruch nach § 242 BGB dahingehend beschränkt sein, dass nur eine zur Verschwiegenheit verpflichtete Person Einsicht in die Geschäftsunterlagen nehmen darf.[341] Neben dem Anspruch auf Vorlage der relevanten Unterlagen kann der Pflichtteilsberechtigte die Ausarbeitung eines Bewertungsgutachtens verlangen.[342] Der Pflichtteilsberechtigte hat jedoch keinen Anspruch auf Herstellung eines Gutachtens auf der Grundlage einer bestimmten Bewertungsmethode.[343] Legt der Erbe ein Wertgutachten vor, besteht der Anspruch auf Vorlage der Geschäftsunterlagen gleichwohl unverändert fort.[344]

265

Der Pflichtteilsberechtigte kann seine Ansprüche auf Auskunft (gegebenenfalls eidesstattliche Versicherung nach § 260 Abs. 2 BGB), auf Vorlage der erforderlichen Unterlagen und Zahlung des Pflichtteils im Wege einer Stufenklage nach § 254 ZPO verfolgen. Da der Auskunftsberechtigte regelmäßig nicht in der Lage sein wird, die von ihm für die Pflichtteilsberechnung benötigten Unterlagen genau zu benennen, kann der Klageantrag im Rahmen einer Auskunftsklage weit gefasst sein.[345]

266

Formulierungsbeispiel Stufenklage:[346]

1. Der Beklagte wird verurteilt, dem Kläger Auskunft über den Bestand des Nachlasses nach dem am … verstorbenen … zu erteilen.

2. Der Beklagte wird verurteilt, den Wert des Unternehmens … zum Stichtag … durch einen Sachverständigen ermitteln zu lassen.

3. Für den Fall, dass das Verzeichnis nicht mit der erforderlichen Sorgfalt errichtet worden sein sollte, wird der Beklagte verurteilt, an Eides Statt zu versichern, dass er den Nachlassbestand vollständig und richtig angegeben hat.

4. Nach Auskunftserteilung wird der Beklagte verurteilt, an den Kläger den Pflichtteil in Höhe einer Pflichtteilsquote von ¼ des Nachlasswertes nebst 5 % über dem Basiszinssatz seit dem … zu zahlen.

267

Praxishinweis:

Die Erbschaftsteuer für einen Pflichtteilsanspruch entsteht erst mit dessen Geltendmachung, § 3 Abs. 1 Nr. 1 Fall 4 ErbStG. Ein nicht geltend gemachter Pflichtteilsanspruch löst keine Erbschaftsteuer aus. Noch nicht endgültig geklärt ist die Frage, ob die Einreichung einer Stufenklage zu einer Geltendmachung des Pflichtteilsanspruchs und damit zum Entstehen der Erbschaftsteuer führt. Nach richtiger Ansicht ist dies der Fall.[347] Begeht der Pflichtteilsberechtigte lediglich Auskunft, sollte er klarstellen, ob er den Pflichtteilsanspruch i. S. d. § 3 Abs. 1 Fall 4 ErbStG geltend macht (um etwa die Frist des § 2332 BGB zu wahren) oder eben nicht.

d) Strategien zur Pflichtteilsvermeidung/-reduzierung

aa) Pflichtteilsverzichtsvertrag

268

Ein Pflichtteilsverzicht gemäß § 2346 Abs. 2 BGB ist offensichtlich das wirkungsvollste Mittel zur Vermeidung von Pflichtteilsansprüchen.[348] Ein Pflichtteilsverzicht weist gegenüber einem Erbverzicht den Vorteil auf, dass sich die Pflichtteilsquote anderer Pflichtteilsberechtigter nicht erhöht. Darüber hinaus kann ein Pflichtteilsverzicht – anders als der Erbverzicht – gegenständlich auf einen Nachlassgegenstand, z.B. das Unternehmen, beschränkt werden.[349] Eine generelle Bezugnahme auf den steuerlichen Begriff „Betriebsvermögen“ sollte vermieden werden, da der Erblasser sonst durch die bewusste Umwandlung von Privatvermögen in Betriebsvermögen (z.B. durch die Errichtung einer gewerbliche geprägten GmbH & Co. KG) den Anwendungsbereich des gegenständlich beschränkten Pflichtteilsverzichtsvertrags einseitig erweitern könnte.[350]

269

Praxishinweis:

Der Erblasser kann einen Pflichtteilsverzichtsvertrag auch mit dem als Erbe eingesetzten Unternehmensnachfolger abschließen. Sinn macht ein solcher auf den ersten Blick unsinniger Vertrag zumindest dann, wenn die Erbeinsetzung mit Beschränkungen i. S. d. § 2306 BGB belegt ist (z.B. Testamentsvollstreckung, Vor- und Nacherbschaft, Vermächtnis). In diesem Fall könnte der Erbe – nach neuer Rechtslage unabhängig von der Erbquote – ausschlagen und seinen Pflichtteil verlangen. Der avisierte Unternehmensnachfolger ist möglicherweise an schneller Liquidität mehr interessiert als an einem (potentiell) größeren, aber im Unternehmen gebundenen, Vermögen. Die sorgsam austarierte Unternehmensnachfolge könnte damit ausgehebelt werden.

270

Formulierungsbeispiel:

… verzichtet für sich und seine Abkömmlinge gegenüber dem Erblasser auf sein Recht zur Ausschlagung der Erbschaft nach § 2306 BGB. Insoweit verzichtet … auf sein gesetzliches Pflichtteilsrecht. Im Übrigen bleibt das gesetzliche Pflichtteilsrecht unberührt. Der Erblasser nimmt den beschränkten Pflichtteilsverzicht an.

271

Der Pflichtteilsberechtigte wird in aller Regel nicht bereit sein, ohne Gegenleistung auf seinen Pflichtteil zu verzichten. Die Abfindung muss nicht notwendigerweise in Bargeld bestehen. Der Erblasser kann auch die Übertragung von Sachwerten oder die Einräumung einer Unterbeteiligung anbieten, um die Liquidität des Unternehmens zu schützen.[351] Eine Abfindung mit Sachwerten kann auch steuerlich ein interessantes Gestaltungsmittel sein: Eine Barabfindung ist mit dem vollen Nominalwert zu versteuern, § 3 Abs. 1 Nr. 1 ErbStG, wohingegen bei einer Sachabfindung möglicherweise eine steuerliche Verschonung eingreift, z.B. §§ 13a, 13b, 13c, 19a ErbStG.

272

Der Pflichtteilsverzicht ist für beide Vertragsparteien insoweit ein Risikogeschäft, als sie die weitere Wertentwicklung des Unternehmens bis zum Todestag nicht absehen können.[352] Dies führt zur Folgefrage, inwieweit ein Pflichtteilsverzicht einer Anpassung nach § 313 BGB (Wegfall der Geschäftsgrundlage) zugänglich ist bzw. angefochten werden kann, wenn beispielsweise der Unternehmenswert bis zum Todeszeitpunkt unerwartet erheblich steigt. Hierbei muss unterschieden werden dem Verfügungsgeschäft, i.e. dem eigentliche Verzicht, und dem Verpflichtungsgeschäft, das dem Verfügungsgeschäfts zugrunde liegt und z.B. die Abfindung regelt.[353]

273

Die Anfechtung des Verfügungsgeschäfts wegen eines Inhalts- und Erklärungsirrtümer ist bei einem Pflichtteilsverzicht nicht möglich, da die Rechtsfolgen dieses Verzichts auch für einen Laien klar verständlich sind, über die im Übrigen auch der Notar belehren muss.[354] Aus demselben Grund scheidet auch ein Wegfall der Geschäftsgrundlage des Pflichtteilsverzichts aus. Eine arglistige Täuschung wird regelmäßig das Verpflichtungsgeschäft betreffen. Sofern ein Erbverzicht erklärt wurde, ist zu beachten, dass nach herrschender, wenngleich wenig überzeugender Meinung eine Anfechtung nur zu Lebzeiten des Erblassers möglich ist.[355]

 

274

Das dem abstrakten Verzichtsvertrag zugrundeliegende Verpflichtungsgeschäft kann angefochten werden. Wird es wirksam angefochten, schlägt die Nichtigkeit des Verpflichtungsgeschäfts auch auf das Verfügungsgeschäft durch, sofern beide Vereinbarungen in einer Urkunde enthalten sind.[356] Eine Anfechtung wegen eines Inhalts- und Erklärungsirrtums nach § 119 Abs. 1 BGB wird angesichts der notariellen Beurkundungspflicht regelmäßig ausscheiden. Eine Anfechtung aufgrund arglistiger Täuschung nach § 123 Abs. 1 BGB kommt in Betracht, wenn der Erblasser über sein Vermögen unzutreffende Aussagen gemacht hat oder werthaltiges Vermögen verschwiegen hat.[357] Möglich ist schließlich eine Anfechtung nach § 119 Abs. 2 BGB, wenn der Verzichtende sich über die wertbildenden Faktoren und/oder über den Bestand des Vermögens des Erblassers irrt. Der Irrtum muss sich allerdings auf das gegenwärtige Vermögen des Erblassers im Zeitpunkt der Beurkundung beziehen. Ein Irrtum des Verzichtenden über die künftige Entwicklung des Vermögens kann eine Anfechtung nach § 119 Abs. 2 BGB nicht rechtfertigen.[358] Eine unerwartete Steigerung des Unternehmenswerts stellt damit keinen tauglichen Anfechtungsgrund dar. Wohl kann dieser Fall aber zu einem Wegfall der Geschäftsgrundlage des Verpflichtungsgeschäfts führen, wenn die Beteiligten die Wertsteigerung des Unternehmens nicht vorausgesehen haben und sie bei Kenntnis dieser Entwicklung die Abfindungsvereinbarung so nicht getroffen hätten.[359] Diesen Einwand kann der Pflichtteilsberechtigte auch noch nach dem Erbfall geltend machen.[360] In der Regel werden die Vertragsbeteiligten eine Anpassung der Abfindungsvereinbarung in Abhängigkeit von der wirtschaftlichen Entwicklung des Unternehmens nicht wünschen. Vielmehr bezwecken sie mit ihrer Vereinbarung Planungssicherheit insbesondere auf Seiten des Unternehmers. Wünschen die Beteiligten, dass die Abfindungsvereinbarung abschließend ihre pflichtteilsrechtliche Beziehung regelt, kann folgendes vereinbart werden:[361]

275

Formulierungsbeispiel:

Die vorstehend getroffene Abfindungsvereinbarung mit Bezug auf den Pflichtteilsverzicht ist unabhängig vom derzeitigen Bestand und Wert des Vermögens wie auch von Bestand und Wert des künftigen Nachlasses des beteiligten Erblassers; eine Anfechtung oder auch Anpassung, etwa wegen Irrtums oder wegen einer Änderung oder des Wegfalls der Geschäftsgrundlage, ist daher ausgeschlossen.

276

Eine Anpassung nach den Grundsätzen des Wegfalls der Geschäftsgrundlage könnte der Verzichtende nur noch dann verlangen, wenn mit dem Pflichtteilsverzicht nicht der verfolgte Zweck erreicht wird, z.B. weil ein Kind einen Pflichtteilsverzicht erklärt, damit sein Geschwisterteil das Unternehmen fortführen kann, dieses aber kurz nach dem Erbfall veräußert wird.[362]