Die Chroniken von 4 City - Band 1-3

Tekst
0
Recenzje
Przeczytaj fragment
Oznacz jako przeczytane
Czcionka:Mniejsze АаWiększe Aa

Oberin

Der Haupteingang des sogenannten Towers ähnelt europäischen Kathedraleneingängen. Er ist mit zahlreichen Tiersymbolen wie Salamandern und Eulen verziert. Zwei Nischen flankieren den Eingang: Eine beherbergt die Statue des Masters, die andere die seines Vaters.

Love wird von den Schrottsammlern in die Lobby geschoben. Der Boden besteht aus gepflastertem Marmor und die Decke wurde aus Buntglas gefertigt, durch welches das Tageslicht hereinfällt.

Love weiß gar nicht, wohin sie zuerst schauen soll. Jeder Zentimeter dieses Gebäudes will begutachtet und bewundert werden. Sie wird in einen Raum neben der Lobby geführt, wo bereits mehrere Frauen auf sie zu warten scheinen. Die hintere Wand besteht aus einer Fensterfront. Vor dem Fenster ist eine breite, dunkle Couch positioniert. Ein silbergrauer Teppich liegt vor einer Badewanne aus schwarzem Keramik. Gaslampen sind an Stahlträgern angebracht, die an der hohen Decke entlanglaufen. Als eine der Frauen den Schalter drückt, entflammt eine Lampe nach der anderen.

Die Frauen beginnen sich, um Love zu kümmern. Als wäre sie eine Schaufensterpuppe und keine echte junge Frau, lässt sie die Prozedur über sich ergehen. Es sind ihre Überlebensinstinkte, die sie davor warnen, etwas Unüberlegtes zu tun oder zu versuchen, sich zu früh für den Mord ihres Vaters und ihrer Geliebten zu rächen. Mehrere Schrottsammlerinnen des fremden Clans ziehen Love splitterfasernackt aus und beginnen ihre Wunden zu versorgen, zu verbinden und sie von oben bis unten zu waschen. Sie schneiden ihre verbrannten Haare ein Stück ab. Abschließend wird sie wieder angezogen. Sie vermutet, dass sie jetzt zum Harem des wohl mächtigsten Masters in ganz 4-City gehört. Und das, weil er ihren Vater betrogen hat. Durch eine Täuschung, durch die vorgetäuschte Absicht, Love zu heiraten. So ist er kampflos in den Bezirk ihres Vaters eingedrungen, hat ihn verraten und ermordet. »Man darf niemandem trauen und ganz besonders keinem Schrottsammler«, denkt Love und beißt die Zähne zusammen, als die Frauen sie endlich alleine lassen und sie sich mit ihrer neuen, kurzen Frisur für einen Moment in der Fensterfront betrachtet.

Sie könnte glücklich darüber sein, dass sie viel mehr ihrer Mutter gleicht als ihrem Vater. Die weiße Haut, die blonden Haare, die blauen Augen mit einem Hauch grün darin. Im Grunde sieht sie ihrem Vater überhaupt nicht ähnlich. Anders als Lea. Deshalb und vermutlich nur deshalb ist Lea nun tot und Love noch am Leben.

Sie könnte sich dafür hassen, sie könnte über den Verlust der beiden weinen, aber alles, was sie spürt, ist Hass. Abgrundtiefen Hass, der ganz allein nur auf eine einzige Person abzielt. Alle anderen sind nur Spielfiguren in dem Schachspiel der Master. So ist das eben bei den Schrottsammlern. Schlägst du der Schlange den Kopf ab, dann wächst ein neuer nach und der ganze Rest folgt erneut dem neuen Clanoberhaupt. Loves Plan ist also denkbar einfach. Sie wird der Schlange den Kopf abtrennen und selbst den Platz des Masters einnehmen. Das ist es, was ihr Vater von ihr erwarten würde. Das ist sie Drave und Lea schuldig. »Das würde er doch von mir erwarten«, denkt Love. Er würde doch sicher nicht wollen, dass sie flüchtet, nur um ihr eigenes Leben zu retten. Sie wird den Master töten, die Frage ist nur, wie und wann. So lange muss sie mitspielen, auch wenn sie über ihren Schatten springen, sich demütigen oder Dinge tun muss, für die sie sich eines Tages hassen wird. Sie ist es ihren Lieben schuldig.

Jemand betritt den Raum. Love sieht in dem Glas der Fenster das Spiegelbild einer älteren Frau. Sie hat eine hagere Gestalt und ihre Gesichtszüge sind hart und emotionslos. Ihre Bewegungen und ihre Ausstrahlung haben jedoch auch etwas Reines und Unergründliches an sich. Etwas, das hinter der Härte verborgen liegt. Vielleicht war sie einmal ein guter Mensch.

»Man nennt mich die Oberin«, stellt sie sich vor. »Ich kümmere mich um dich, so lange du hier bist.« Während sie spricht, holt die Oberin einen metallenen Reif aus ihrer Rocktasche.

»Jede von euch bekommt so einen Ring. Es handelt sich nicht um Schmuck, es ist das Symbol dafür, dass du nun eine Sklavin bist.«

Love betrachtet die winzigen Abstufungen in dem Material und die kleinen Metallplatten, die man mit dem richtigen Werkzeug oder vielleicht auch mit roher Gewalt lösen kann, um das zu studieren, was darunter liegt. In seinem Inneren ist eine Technik versteckt, da ist sie sich sicher.

Dann legt die Oberin das Band eng um Loves Hals und verschließt es hinten im Nacken. Damit ist Loves verschönernde Prozedur beendet. Ihr Körper steckt nun in einem enganliegenden braunen Kleid, das bis zu den Knien reicht. Sie würde es durchaus als hübsch und elegant bezeichnen, wenn sie nicht wüsste, von wem es stammt. Loves Füße und Beine wurden in hochgeschnürte Stiefel gesteckt und mit Lederbändern bis knapp unterhalb der Knie festgezurrt. Das gekürzte, noch leicht feuchte und gekämmte Haar steht ihr frech vom Kopf ab. Links wurde eine längere ursprüngliche Strähne mit einer Haarnadel zusammengesteckt. Zuletzt wurde sie geschminkt. Love hat sich noch nie geschminkt. Das Zeugs verwischt nur, wenn man wie sie die meiste Zeit in der Werkstatt verbringt und sich selbst mit den Fingern beim Überlegen und Tüfteln im Gesicht herumfummelt oder bei körperlicher Arbeit ins Schwitzen gerät. Doch sie muss zugeben, dass die Frauen guten Geschmack bewiesen haben. Das Make-up ist dezent aufgetragen und betont ihre leicht kantigen, attraktiven Gesichtszüge. Jetzt wird sie von der Oberin in einen anliegenden Flur geführt. Vermutlich könnte Love die Frau mit Leichtigkeit überwältigen und fliehen, aber ihr Instinkt rät ihr, das nicht zu tun. Es geht nicht darum, zu entkommen. »Ich werde ihn töten«, flüstert sie immer wieder leise in ihrem Innern und bereits jetzt wird es zu ihrem ganz persönlichen Mantra, so lange, bis es vollbracht sein wird.

Ganz anders als ihr Vater, legt dieser Master Wert auf Extravaganz und Reichtümer. Hier finden sich neben den Wandgemälden an den Seitenwänden alle möglichen Arten von Verzierungen, allen voran etliche Vampir- und sonstige Gruselköpfe, von denen jeder einzelne individuell modelliert ist.

»Das nenne ich wahre Liebe zum Detail«, denkt Love. Von der Decke hängen hier und da Tropfsteine so niedrig herab, dass man sie ohne Probleme anfassen und aus nächster Nähe bewundern kann. Unterhalb der Gemälde führen mehrere Türen in dahinterliegende Räume.

»Schrottsammler ist nicht der richtige Ausdruck. Schmucksammler wäre zutreffender«, sagt Love, aber die Oberin schweigt.

Sie kommen in einen normalen und relativ einfachen Gang. Hier befindet sich auch Loves Zimmer, das an Bescheidenheit kaum zu unterbieten ist. Es handelt sich um eine Besenkammer mit einem Bett und einem kleinen Waschbecken darin. Das Fenster ist vergittert und winzig. Als die Tür hinter ihr verschlossen wird, setzt sich Love auf das schmale Bett und schaut die Wand an, die sich nur in einen halben Meter von ihr entfernt befindet. Jetzt, wo sie allein ist, ist ihr nach Weinen zumute, aber sie schluckt die Tränen tapfer hinunter. Sie sitzt da und wartet ab, was das Schicksal noch für sie parat hat. Ihr Vater hat einmal gesagt, dass der Tod nicht das Ende ist, sondern nur ein Übergang zu etwas Neuem. Ob das besser oder schlechter ist als das Leben davor, hängt davon ab, wer man war. Was man gedacht, getan und ertragen hat. Das sei das Gesetz von Karma.

»Es kann nur besser werden«, denkt Love im einen Moment und »was für ein schlimmer Mensch muss sie in ihrem letzten Leben gewesen sein«, denkt sie in einem anderen Augenblick. Doch ihr gelingt es, sich nicht mit diesen Gedanken zu identifizieren. Weitere Gedanken kommen und gehen und Love ist mehr und mehr dazu in der Lage, diese einfach zu beobachten und wieder davonziehen zu lassen. Wie Wolken am Himmel. Je länger sie das tut, desto ruhiger wird ihr Geist, bis sie letztlich nur noch dasitzt und atmet und alles in ihr und um sie herum ganz ruhig geworden ist. Selbst ihre Absicht, den Mann zu töten, den sie über alles hasst, ist gerade unwichtig geworden. Dann hört sie Stimmen draußen auf dem Flur und sie erinnert sich an die letzten Worte ihres Vaters: »Deine Mutter lebt. Sie ist wie du.« Sie setzt sich ein Ziel, für das es sich auf jeden Fall zu leben lohnt. Ein Ziel, das ihr noch wichtiger erscheint, als Rache. Sie will ihre Mutter finden.

Die Tür geht auf.

»Es ist Zeit«, sagt die Oberin.

Sklaven

Als Love den Flur betritt, öffnen sich weitere Türen entlang des Gangs. Der Abstand der Türen zueinander lässt darauf schließen, dass sich dahinter ebenfalls sehr kleine Räume befinden müssen. Mädchen treten heraus, eines hübscher als das andere und alle tragen sie ähnliche, sehr schöne Kleidung. Für einen Moment erschreckt sich Love vor einem Gesicht. Sie erkennt das junge Ding an ihrem Schmollmund. Es ist ein Mädchen aus dem Clan ihres Vaters. Niemand darf Love erkennen und verraten, wer sie wirklich ist, deshalb senkt sie schnell den Kopf und blickt zur Seite. Sie sieht das Mädchen erneut aus einem anderen Blickwinkel an und erkennt erleichtert, dass sie sich getäuscht hat. Die Ähnlichkeit ist zwar frappierend, aber glücklicherweise ist es nicht das Mädchen aus ihrem ehemaligen Clan.

Auf die Aufforderung der Oberin hin marschieren alle los. Geschlossen gehen sie hintereinander her, bis sie wieder im Freien, ganz in der Nähe des Foyers, ankommen.

Love blickt sich um und entdeckt an der Fassade Wasserspeier, Ecktürmchen, bemalte Terrakottatafeln und schwebende Stützpfeiler. Über dem Ausgang befinden sich Figuren, Statuen von Frauen mit Halsbändern.

 

Nun werden sie auf eine kleine Empore geführt und müssen sich in Reih und Glied aufstellen. Pferdelose Kutschen fahren vor. So etwas hat Love noch nie gesehen. Wie funktionieren sie? Wie werden sie angetrieben?, fragt sie sich, als sich die Türen der Fahrzeuge öffnen und ein dutzend alte, junge, dicke, gebückt gehende, schmächtige, bärtige Männer und nur ein paar vereinzelte Frauen aussteigen. Ein Anflug von Gier blitzt in den Augen der meisten auf. Eine kleine Falte formt sich über Loves Nasenwurzel und sie befürchtet das Schlimmste. 4-City ist eine käufliche Welt.

Leider werden ihre kühnsten Alpträume zur Realität und schon beginnen die Männer die Mädchen zu begutachten.

»Sind sie alle gesund? Niemand hat die Krankheit?«, fragt der ein oder andere.

»Das sind sie. Sie sind alle Schrottsammler. Schrottsammler haben niemals die Krankheit«, antwortet die Oberin.

Dennoch verwenden die Fremden irgendein seltsames Gerät und tasten die Mädchen damit in einem Abstand von wenigen Zentimetern ab. Offensichtlich, um sich selbst davon zu vergewissern, dass niemand die sogenannte Krankheit hat. Dann, als wären sie eine Ware, heben die Käufer hier und da ein Kinn oder einen Rock an. Love kann ein junges Ding neben sich schluchzen hören. Ein böser Blick von der Oberin, bringt sie wieder zum Schweigen.

»Reiß dich gefälligst zusammen«, hört Love die Oberin zischen. Einer der Männer drängelt sich etwas näher nach vorne und baut sich schließlich vor Love auf. Er streicht sich über seinen nicht vorhandenen Kinnbart und beäugt sie.

»Bist du auch fleißig und folgsam?«, fragt er. Love weiß nicht, was sie sagen soll. Am liebsten würde sie ihm ins Gesicht spucken, aber das traut sie sich doch nicht.

»Was soll die kosten?«, wendet sich der unsympathische Kerl in Richtung der Oberin.

»Ein echtes Schnäppchen. Zehn Gramm zu Ektoplasma verdichtetem Æther.«

»Das soll ein Schnäppchen sein?«, ereifert der Mann sich, doch flugs tritt er noch näher heran, drückt mit seiner rechten Hand Loves Wangen zusammen, sodass sie unwillkürlich ihren Mund öffnen muss, um dem Schmerz zu entgehen. Er sieht sich, ähnlich wie beim Pferdekauf, Loves Zähne an, welche zwar ziemlich schief im Mund stehen, für eine Schrottsammlerin jedoch erstaunlich gut und gesund erscheinen. Der potentielle Käufer lässt sich seine Überraschung nicht anmerken.

»Mhmmm ...«, und wieder an die Oberin gerichtet nuschelt er: »Spricht dieses Weib auch unsere Sprache?«

»Soll sie dir Geschichten erzählen oder willst du deinen Spaß mit ihr haben?«, fragt die Oberin und wendet sich von ihm ab.

»Ich krieg dich«, brummt der Mann mit unheimlicher Stimme ganz nah an Loves Ohr. Sie kann seinen Mundgeruch und diverse Körperausdünstungen riechen und muss sich beherrschen, um nicht zu würgen.

»Meine sehr verehrten Herrschaften. Genug geglotzt. Die Versteigerung beginnt«, ruft nun die Oberin. Der offizielle Ton will absolut nicht zu ihrer etwas rüden Erscheinung passen. Sie ergreift den Arm des schluchzenden Mädchens und hebt diesen leicht an. »Ich habe ein ganz besonderes Angebot für euch.« Sie wirft dem Mädchen einen bitterbösen Blick zu. Das Mädchen dreht sich daraufhin einmal um die eigene Achse. Sie schaut ängstlich zu Boden und hat Mühe, ihre Tränen zu unterdrücken. »Diese Sklavin ist gefügig, fleißig und gesund. Sie ist harte Arbeit gewohnt und widerspricht nicht.« Love ist sich nicht sicher, woher die Oberin das weiß und ob all das, was sie sagt, wirklich wahr ist, aber offensichtlich erhofft sie sich so, einen guten Preis zu erzielen.

»Ihr Name ist Lisa, doch nennt sie von mir aus, wie ihr wollt.« Die Oberin blickt das Mädchen an und für einen kurzen Augenblick sieht Love so etwas wie Kummer und tiefes Bedauern in den Augen der Oberin. »Macht mir einen guten Preis und ihr könnt sie mitnehmen.« Dann verschränkt sie die Arme vor der Brust und wartet ab.

Geräusche bewegen die Menge dazu, sich umzublicken. Eine verspätete Kutsche fährt vor und ein breitschultriger Mann mit einer auffällig großen Papageienschnabelnase und eine junge Frau mit einem silbrigen Halsband steigen aus. Gediegenen Schrittes tritt der Hüne auf den Platz bis vor die Empore. Er ist wahrhaftig eine einschüchternde Erscheinung. Hinter sich zieht er die junge Sklavin her. Sie ist vielleicht gerade einmal 18 Jahre alt. Sein Griff ist wie der eines Schraubstockes, denn so sehr sie sich auch gegen ihn lehnt, es hilft nichts und sie stolpert jeden zweiten Schritt hinter ihm her. Als er direkt vor der Empore ankommt, zerrt er sie etwas grob am Arm.

»Still jetzt!«, raunt er missmutig. Das Mädchen ist zierlich und misst etwa 1,60 Meter. Ihr Haar liegt in braunen Locken wirr um ihr feingeschnittenes Gesicht. Es gleicht mehr einem strubbeligen Fell als Menschenhaar. Scheu, ja beinahe ängstlich, schaut sich das Mädchen aus ihren braunen Augen um. Die Angst steht ihr ins Gesicht geschrieben. Einige drehen sich zu ihm um. Nach einer halben Ewigkeit beginnt der Mann mit Blick auf Lisa, das weinende Mädchen, zu sprechen.

»Wie viel wollt ihr für sie haben? Wenn es nicht übertrieben ist, will ich den Preis zahlen.« Flüchtig und ängstlich mustert Lisa den Mann.

»Fünfzehn Gramm Ektoplasma«, meint die Oberin.

»Gekauft!«, antwortet der Hüne.

Die Auktion nimmt ihren Lauf.

Ein paar der besonders hübschen Mädchen werden als erste von den Männern herausgepickt und abgeführt. Weiter rechts wird mit der Oberin gehandelt und gefeilscht und Ektoplasma wechselt schließlich den Eigentümer. »Das ist kein Sklavenmarkt«, denkt Love. Nein, es ist viel schlimmer. Wir sind Kriegsbeute und werden an den meist Bietenden verkauft.

Eine Frau zeigt offenkundiges Interesse an Love. Der widerliche Mann, der wohl nur darauf wartet, mit der Oberin zu verhandeln, ist Love ebenfalls keinen Zentimeter von der Seite gewichen.

»Was willst du für sie?«, ruft die Frau der Oberin zu. Die Oberin blickt zu ihr, offenbar erfreut darüber, dass es gleich zwei Interessenten für Love zu geben scheint.

»Dreißig Gramm!«, sagt sie geradeheraus.

»Was?«, schimpft der Mann. »Eben waren es nur zehn.«

»Zahlt oder lasst es.«

Ein schwarzhaariges, dünnes Mädchen will derweil erschrocken einen Schritt zurückweichen, doch ihr dicker, ungepflegter Käufer lässt dies nicht zu. Mit unerbittlicher Härte umklammert er ihren Unterarm und dann blickt er zur Oberin.

»Fünf Gramm«, verhandelt er und streicht sich über sein fettes Kinn.

»Sie gehört dir«, schlägt die Oberin in den Handel ein und wirft dem Mann den Sender für das Halsband zu. Der fette Mann fängt das kleine Gerät ungeschickt auf und blickt zu der Sklavin. Ein schmieriges Grinsen liegt ihm auf den Lippen.

Es ist ein Geschäft. Ein durchaus lukratives, wie es den Anschein hat, denn die Männer scheinen gut zu bezahlen. Loves Hoffnungen schwinden. Sie hatte die Hoffnung, hierbleiben zu können und eine Gelegenheit zu erhalten, irgendwann den Master zu töten. Plötzlich passiert etwas Unvorhergesehenes.

Das schmächtige Mädchen, reißt sich doch von dem dicken Käufer los und springt die Empore hinunter.

»Bleib stehen!«, ruft die Oberin hinterher, aber das Mädchen hört nicht. Sie rennt einfach darauf los. Der Hüne mit seinen beiden Sklavinnen dreht sich um. Das Mädchen stürmt auf ihn zu.

»Nimm mich mit! Bitte!«, fleht sie ihn an. Sie ist schon fast bei den Kutschen angekommen, als Love sieht, wie ihr Käufer die Fernsteuerung zückt und sie betätigt. Im nächsten Augenblick spürt Love, wie sich das Stahlband um ihren Hals leicht zusammenzieht. Dem flüchtenden Mädchen ergeht es aber viel schlimmer. Sie stürzt direkt zu den Füßen des Hünen zu Boden und hält sich schreiend mit beiden Händen den Hals. Alle anderen Sklavinnen, einschließlich Love sind auf die Knie gefallen und röcheln nach Luft ringend, doch das dünne Mädchen wälzt sich voller Schmerzen und Panik auf dem Asphalt.

Der Käufer geht die Stufen der Empore nach unten und hört nicht auf, den Sender zu betätigen. Er kommt bei dem Mädchen an und blickt auf sie hinab. Es tritt bereits Schaum aus ihrem Mund.

»Aufhören!«, brüllt die Oberin und Love sieht schon wieder eine ganz andere Frau vor sich. Macht sie sich wirklich Sorgen? Ist ihr das Schicksal des Mädchens vielleicht doch nicht so gleichgültig? Aber der Mann hört nicht auf. Der Hüne reißt dem Käufer schließlich den Sender aus der Hand. Im nächsten Moment lässt der Druck auf Loves Hals nach. Der Mann schaut den Hünen wutentbrannt an und in seinen Augen sieht Love noch etwas anderes. Lust, die Lust zu töten. Sie hat das schon oft in den Augen von Schrottsammlern gesehen. Die Oberin und der dicke Mann streiten und jetzt fängt auch das Gemurmel der anderen Käufer an, lauter zu werden. Der Hüne hebt das Mädchen hoch. Sie liegt vollkommen schlaff in seinen Armen.

»Der Handel ist für heute beendet«, verkündet die Oberin. »Du und du! Helft mit!«, befiehlt die Oberin. Love und ein Mädchen mit dicken, roten Haaren, die wie eine glänzende Welle über ihre Schultern fallen, sind gemeint. Zusammen übernehmen sie die Verletzte aus den Armen des Hünen und tragen sie zurück in den Tower, zurück auf ihr Zimmer. Es befindet sich im gleichen Korridor wie Loves. Sie legen sie ins Bett. Der Brustkorb des Mädchens hebt und senkt sich nur schwach.

»Was ist mit ihrem Halsband los?«, fragt Love. Sie betrachtet den metallenen Reif. Er scheint beschädigt zu sein. Ein paar der Plättchen haben sich gelöst und darunter kommt die Technik zum Vorschein. »Was ist das?«, fragt Love weiter, als sie die kleine Menge Dampf sieht, die austritt und darunter etwas, das wie eine Flüssigkeit schimmert und leuchtet.

»Finger weg! Bevor das Band explodiert«, faucht die Oberin sie an und schlägt Loves Hand beiseite.

»Explodiert?«, fragt die Rothaarige ängstlich. Love kombiniert derweil in ihrem Verstand die Informationen, die sie bis jetzt über das Halsband gesammelt hat.

»Zu Ektoplasma verdichteter Æther«, flüstert sie.

»Sie liegt im Sterben«, flüstert die Rothaarige und Love glaubt wirklich so etwas wie Mitgefühl in den Augen der Oberin zu entdecken.

»Vermutlich ist der Tod die bessere Alternative«, sagt die Oberin leise. »Er ist nicht das erste Mal hier. Er kauft sich jeden Monat ein neues Mädchen«, ergänzt sie und ihre Stimme wird dabei zu einem Flüstern. Love muss an den ekligen Mann denken und ihre Nackenhaare stellen sich auf.

»Wer sind diese Männer?«, fragt Love. »Und was machen die mit uns?«

»Menschen. Und ich will gar nicht wissen, was die Antwort auf deine zweite Frage ist.«

»Menschen?«

»Aus dem Zentrum der Stadt. Aus der Sektion der Menschen. Das Ding hier stammt aus ihrer Technologie. Es funktioniert mit Æther, einer rätselhaften Energie, mit der sie uns bezahlen.«

»Was meinst du damit, das Ding kann explodieren?«, fragt die Rothaarige erneut ängstlich nach. Plötzlich blickt die Oberin auf. Ihr Blick verändert sich wieder zu der gewohnten Härte.

»Ich habe euch schon viel zu viel erzählt. Geht auf eure Zimmer!«, befiehlt sie harsch. Love und die Rothaarige stehen auf. Als sie fast an der Tür sind, hört Love die Oberin noch etwas sagen. »Es tut mir leid.« Es ist nicht mehr als ein tonloses Wispern und Love ist sich nicht sicher, wen sie damit meint und zu wem sie gesprochen hat. Zu dem halbtoten Mädchen, zu ihnen oder zu sich selbst.

Love sitzt in ihrem Zimmer und lässt die Ereignisse Revue passieren. Die Schrottsammler treiben Handel mit den Menschen. Nicht mit irgendwelchen Menschen, sondern mit den schlimmsten Kreaturen, die sich Love vorstellen kann. Sie fragt sich, wer furchtbarer ist. Der Master, der die Mädchen eintauscht oder die Käufer? Beide verdienen eine gerechte Strafe! Sie fasst sich an ihr Halsband. Es funktioniert mit Æther und es gibt eine Art Fernsteuerung, die nicht einwandfrei ist. Warum sonst waren auch die Bänder der anderen Mädchen und ihr eigenes davon betroffen, als der Mann den Sender für das Halsband des schwarzhaarigen Mädchens betätigt hat? Sie muss das Ding loswerden oder es zerstören. Nicht auszudenken, wenn sie an einen ähnlichen Menschen wie diesen Widerling heute verkauft werden sollte. Sie muss verstehen, wie das Halsband beschaffen ist. Ein Buch darüber lesen oder es so wie immer machen. So wie mit allen anderen kaputten Apparaten, die ihr Vater angeschleppt hat. Es auseinanderbauen und die Logik dahinter entschlüsseln. Das ist Loves Talent.

Das Band kann sich um den Hals zusammenziehen und es kann auch explodieren, überlegt sie. Wenn man es öffnet, tritt Dampf aus und darunter hat etwas schwach geleuchtet. Das war das Ektoplasma, kombiniert Love und es ist eine Technologie der Menschen. Mehr weiß sie im Grunde noch nicht darüber.

 

Die Oberin gibt ihr Rätsel auf. Sie scheint auch eine Gefangene zu sein, auch wenn sie kein metallenes Halsband trägt.

Als es im Korridor ganz still geworden ist und nur noch vereinzelt ein feines Weinen oder leises Schluchzen von einem der anderen Mädchen zu hören ist, schleicht Love lautlos zur Tür. Wie nicht anders zu erwarten war, ist sie abgeschlossen. Türen zu knacken ist für Love ein Kinderspiel. Alles was sie dazu braucht, ist das richtige Werkzeug. Sie löst die kleine metallene Haarnadel und die letzte lange Strähne ihrer ursprünglichen Mähne fällt auf ihre Schultern. Eine Minute später hat sie das Schloss geknackt und öffnet die Tür. Erst einen Spalt breit und als sie sich sicher ist, dass die Luft rein ist, schleicht sie sich hinaus auf den Flur. Drei Zimmer weiter drückt sie die Türklinke nach unten. Diese Tür ist nicht abgeschlossen. Sie schlüpft hinein und findet das arme Mädchen auf dem Bett liegen. Love stülpt sich der Magen um, als sie den Geruch bemerkt. Der Darm und die Blase des Mädchens müssen sich entleert haben. Love presst die Lippen zusammen und versucht, den Geruch, den der Tod mit sich trägt, zu ignorieren. Sie legt zwei Finger auf die Halsschlagader des Mädchens und erhält Gewissheit. Jetzt wandert sie mit leicht zittrigen Händen zu dem beschädigten Halsband und versucht seinem Geheimnis auf die Schliche zu kommen.

To koniec darmowego fragmentu. Czy chcesz czytać dalej?