Vom Salz in der Suppe

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Xian – Die Terrakotta-Armee als Beilage

Von Anfang an war mir im Unterbewusstsein klar, dass ich während meiner China-Zeit auch das »8. Weltwunder«, die sagenhafte Terrakotta-Armee in Xian sehen wollte.

Jene archäologische Sensation, welche erst 1974 rein zufällig entdeckt wurde und etwa 7.000 lebensgroße Terrakotta-Krieger umfasst, die der erste chinesische Kaiser vor über 2000 Jahren schaffen ließ, um sich unsterblich zu machen und sein Grab bewachen zu lassen. Das Grab, welches nicht allzu weit als schmuckloser Hügel zu sehen ist und bis heute ungeöffnet blieb und wo angeblich der Sarg des Kaisers inmitten eines Sees aus Quecksilber ruhen soll? Hier erwarten Archäologen einst gewiss noch größere Sensationen, wenn das Grab geöffnet werden wird. Das ist bisher aus Furcht vor unwiederbringlichen Schäden unterblieben. Aber es wird daran gearbeitet und irgendwann wird es passieren.

Ja, zumindest diese Krieger, inzwischen eine der magischsten China-Attraktionen überhaupt, die wollte auch ich irgendwann unbedingt sehen.

Eines Tages fragte mich meine Dolmetscherin Guo Li, was ich zum Nationalfeiertag machen würde, weil da vier freie Tage am Stück zusammenkämen. Oh, das mit den vier Tagen hatte ich nicht gewusst und so war ich etwas überrascht. Peking und Shanghai kannte ich nun schon recht gut. So könnte ich mir ja eines meiner ferneren Traumziele vornehmen, falls die Zeit zur Organisation nicht schon zu kurz war. Da auch Chinesen während solcher Feiertage gerne und viel reisen, ergab eine erste grobe persönliche Recherche, dass es mit Flugtickets, egal wohin, wahrscheinlich schon zu spät war, was wahrscheinlich auch für das »nur« ca. 1.000 Kilometer von mir entfernte Xian mit seiner Terrakotta-Armee zutraf. Da konnte auch Guo Li, my private travel agency, die mir ja gewöhnlich über einige Organisationshürden hinweghalf, nichts mehr machen.

»Dann fahr doch mit dem Zug«, meinte sie. Auf diesen Gedanken wäre ich in Unkenntnis praktikabler Zugverbindungen allein nicht gekommen, aber Guo Li erklärte mir, dass es sogar eine Direktverbindung ohne Umsteigen gäbe und somit folgte ich ihrem Rat und los ging es. Das Hinticket nach Xian bekam ich problemlos über mein Hotel.

In China bekommt man jedoch (zumindest damals) in aller Regel keine Rücktickets für die Eisenbahn. Die gibt es nur am Zielort und sind dort über das Hotel, in dem man wohnt, normalerweise ebenso problemlos erhältlich, wie ich mein Hinticket in Zibo erhalten hatte.

Mit dieser schon mehrfach erfolgreich erprobten Praxis im Kopf reiste ich also los.

Damit begann ein Abenteuer, was Xian und die Terrakotta-Armee fast zur Nebensächlichkeit werden ließ. Schon der einzelne Europäer ohne jegliche Begleitung in der Menschenmenge des Bahnhofes macht einen zur offen und meist freundlich angestarrten Besonderheit. Da kann es schon mal passieren, dass Kinder ihre Eltern anstupsen und auf einen zeigen oder umgekehrt die Eltern ihre Kinder aufmerksam machen: Guck, da, eine Langnase! Im Zoo einer kleineren Stadt erlebte ich sogar einmal vor einem Tigerkäfig, dass nur ich ehrfurchtsvoll das prächtige Tier anstarrte, jedoch für eine ganze Großfamilie samt Großeltern und Enkeln offensichtlich ich das bestaunenswerte Wesen und der Tiger die Nebensache war. Und in provinziellen Kaufhäusern kann man ähnliches erleben.

Im Zug eine Vier-Personen-Schlafwagen-Kabine, alles sauber und ordentlich. Zwei ältere Männer und eine recht sympathisch aussehende Frau mittleren Alters. Ganz offensichtlich kannten sich die drei untereinander auch nicht. Da man aber 21 Stunden, also einen ganzen Tag und eine Nacht, zusammen verbringen musste, entspann sich ganz langsam ein gegenseitiges Bekanntmachen. Ich konnte natürlich weder etwas verstehen, noch mich beteiligen. Kam es mal zu einem Augenkontakt, erntete ich stets freundliches Grinsen oder Kopfnicken. Da entsann ich mich meines kleinen Deutsch-Chinesisch Sprachführers, schlug die passende Seite auf und zeigte auf den entsprechenden Satz, der erklärte, dass ich Deutscher sei. Besonders ausgeprägtes, anerkennendes Kopfnicken. Deutsche genießen in China allgemein eine recht große Reputation. Dann mit dem kleinen Büchlein wieder hin und her und bald wussten wir das Wichtigste voneinander. Bald wurden Essereien ausgepackt, Bekanntes, wie Erdnüsse und Kürbiskerne, aber auch die sagenhaften blauen Eier. Indem ich mich nicht zierte und von jedem der wie selbstverständlich auch mir angebotenen Dinge eine Kleinigkeit kostete, stieg ich in der Gunst meiner Begleiter enorm.

Mittlerweile war die Schaffnerin durchgekommen und bekam, an den Gesten auch für mich unschwer zu erkennen, von den anderen dreien erzählt, wer ich sei. Kurz darauf war offensichtlich die Nachricht wie ein Lauffeuer durch den Zug geeilt: »Ausländer in Kabine 6 des Wagens 4.« Pausenlos ging nun die Tür auf, manche schauten bloß neugierig rein, andere, vor allen jüngere, die mehr oder weniger etwas Englisch konnten, kamen in die Kabine und somit hatte es nun keinen Mangel mehr an Dolmetschern. Nun konnten wir auch manche Details austauschen. Später nistete sich ein junger Mann aus dem Nachbarabteil fest bei uns ein, bis er in irgendeiner Stadt auf dem langen Weg aussteigen musste. Lixing Zhu, wie ich seiner Karte entnehmen konnte, stammte auch aus meiner Stadt Zibo und war auf Dienstreise. Die sympathische Frau im Abteil war eine Diätärztin und auf dem Weg nach Xian, um ihren Sohn bei der Armee zu besuchen. (Ihren Mann, ein Herzspezialist des Krankenhauses von Zibo, lernte ich Wochen später dann auch noch kennen.)

Lixing Zhu erklärte der Schaffnerin meine noch ungelösten Probleme mit dem Rückticket. Sie, sehr freundlich und auch irgendwie souverän, zeigte auf das Schild an ihrer Brust. Ich sollte mir Wagen-Nummer und ihre persönliche Nummer merken, mich übermorgen auf der Rückfahrt bei ihr melden, dann würde man schon weiter sehen. (Mei wenti!)

Als Lixing Zhu aussteigen musste, wurde sein Dolmetscher-Platz bald durch Xiao Yün, einer jungen Frau aus Qingdao, der berühmten und wunderschönen Hafenstadt am Gelben Meer, eingenommen. Sie war nicht nur ebenfalls recht sympathisch, sondern sah obendrein auch noch gut aus. Ihre Art wirkte anfangs einerseits etwas naiv und scheu, sie zeigte sich jedoch andererseits auch selbstbewusst und offen, sonst wäre sie kaum extra zu mir ins Abteil gekommen. Meist war der Kontakt junger Chinesen zu Ausländern dem Wunsch geschuldet, ihre meist nur spärlichen Englisch-Kenntnisse zu erproben oder zu verbessern. Xiao Yün war somit kein Einzelfall, ich traf eine Menge solcher Mädchen und Frauen wie auch jungen Männer, deren suchendes Tasten zwischen Tradition und Moderne die Mädchen einfach liebenswert machte, während das bei jungen Männern alles oft ins Machohafte abglitt.

Ich habe Xiao Yün, die zu Beginn unserer Bekanntschaft immerhin schon 26 Jahre alt war, später noch zweimal in Qingdao, wohin ich gelegentlich übers Wochenende fuhr, zum Essen getroffen. Einmal überraschte sie mich telefonisch sogar mit der Ankündigung, demnächst eine Dienstreise in meine Stadt Zibo zu haben. Nicht ihre Dienstreise an sich überraschte mich, eher schon die Tatsache, dass sie völlig von sich aus, mich dabei auf die Möglichkeit eines Treffens aufmerksam machte. Doch was sich dazu vorher am Telefon abspielte, das war richtig drollig. Denn da nahm sie mir am Telefon das Versprechen und die Bestätigung ab, dass ich sie wirklich »nur« wie eine Tochter liebe, um ja keine Missverständnisse über den Zweck unserer Treffens aufkommen zu lassen. Man hörte ja schließlich über Ausländer aus dem Westen so manches. Wobei der eigentliche Knaller dabei die Wortwahl ihres Anliegens in seiner Einfachheit und Direktheit war, was so gar nicht zu typischer chinesischer, blumiger, umschreibender Ausdrucksweise passte. Mir war klar, dass das primär nur ihrem bescheidenen Englisch-Wortschatz geschuldet war. Und das schien ihr auch selbst bewusst zu sein, so wie sie nach Worten suchte und ihr Anliegen etwas drucksend und kleinlaut an den Mann brachte. Allein dafür hätte man sie schon gern haben müssen. Ich bestätigte ihr ihren »Tochterstatus« stets und hielt mich auch außerirdisch korrekt daran. Es war und blieb ein Vater-Tochter-Treffen. Nicht mehr, doch, was beiderseitige Freude, Herzlichkeit und Vertrauen anbelangte, auch nicht weniger. Und falls sich da bei mir angesichts meiner Situation doch mal der eine oder andere unangemessene Gedanke in irgendeiner Gehirnecke verirrt haben sollte, so vermochte ich den dort zuverlässig unter Verschluss zu halten. Dafür hielt jedoch dieser Kontakt zu meiner »Tochter«, zumindest per Telefon, in lockerer Form recht lange, bis ich später erfuhr, dass sie geheiratet hatte, Mutter geworden war und sie wohl nun anderes zu tun hatte, als sich mit einem älteren Ausländer abzugeben. Doch zu meinem recht positivem Bild einfacher chinesischer Menschen hatte gerade Xiao Yün wesentlich beigetragen.

Und Xiao Yün ist hier nur deshalb konkret erwähnt, weil sie zur Geschichte passt. (Wie in der nächsten Geschichte jene »Summer« ebenfalls) Jedoch zählen dazu noch viele andere Chinesen und Chinesinnen, die dazu beigetragen haben, dass mein persönliches Chinabild sich sehr viel positiver darstellt, als es die vordergründig distanzierte Art und Weise des Westens im Allgemeinen ist. (Und die in meinem erwähnten China-Buch teilweise eine Rolle spielen und ich mit einigen bis heute in lockerem Kontakt bin.)

Ein anderer Grund dafür mag auch mein so unmittelbarer und langzeitlicher direkter Kontakt zu Chinesen sein. In dessen Folge erfuhr ich, dort als quasi »Einsamer« lebend, viel mehr von chinesischer Mentalität, Kultur, Lebensart und auch Geschichte. Was gewiss ebenfalls meine Sicht auf das Land und dessen Politik beeinflusst haben mag.

 

Insgesamt ein hochinteressantes Thema in unserer sich (auch in Deutschland) im Umbruch befindlichen Welt. Wohl aber für ein Buch über spezielle Reiseerlebnisse weniger geeignet.

*

Die Fahrt nach Xian führt auch stundenlang durch das fruchtbare Lößgebiet des Gelben Flusses. Kilometerlang an steilen Abhängen entlang, die massenhaft von Höhlen durchlöchert waren. Nicht irgendwelche Höhlen, sondern Wohnhöhlen. Viele mit kunstvoll verzierten Eingängen, andere völlig schmucklos, nur als Unterkunft für das Vieh. Später las ich, dass in dieser Gegend rund drei Millionen Menschen in solchen Höhlen wohnen und leben. So kamen wir schließlich nach 21 Stunden in Xian an.

Kaum hatte ich im Hotel eingecheckt, begann ich mich schon um mein Rückticket zu kümmern. Damit ging das Hauptabenteuer der ganzen Reise los: »Das Rückticket können Sie erst am Montag bekommen, morgen und übermorgen ist Feiertag«, eröffnete mir die Dame an der Rezeption.

»Aber ich brauche …, muss zurück …!« Schulterzucken mit bedauernder Miene. »Aber mir wurde gesagt, dass ich über das Hotel …?«

Wieder Schulterzucken! »Sorry, aber es ist Feiertag. Sonst jederzeit und gerne! Das Personal, welches Derartiges sonst erledigt, hat heute Urlaub. Sie können sich aber ein Ticket am Bahnhof selbst kaufen«, erklärte sie mir und gab mir noch eine Wegbeschreibung. Da war nichts mehr zu machen. Ich konnte zu dieser Zeit noch kaum die einfachsten Sätze auf Chinesisch sprechen oder verstehen! Trotzdem ging es nun los zum beschriebenen Bahnhof. Das sollte doch auch allein zu schaffen sein.

Ein Chaos ist harmlos im Vergleich zu dem Tumult auf dem Bahnhof. Die Hieroglyphen an den Anzeigetafeln blieben für mich natürlich Böhmische Dörfer. Vor Verzweiflung suchte ich nach jungen, intelligent aussehenden Leuten, in der Annahme, dass diese etwas Englisch könnten. Nach einigen Anläufen wurde ich bei einem jungen Pärchen fündig. Sehr liebenswürdig und wirklich hilfsbereit waren beide, aber eine Fahrkarte konnten sie mir auch nicht organisieren. Dafür die Auskunft, dass ich auf dem falschen Bahnhof sei. Für Ausländer gäbe es Tickets nur an einer speziellen Stelle des Zentralbahnhofes, der offensichtlich woanders war. Die beiden halfen noch dem Taxifahrer zu erklären, wohin ich wolle, dann ging es, nun wieder allein, erneut los. Diesmal zum Zentralbahnhof.

Dort fand ich nach längerem Suchen tatsächlich die Stelle für Ausländertickets. Ein Glücksgefühl durchströmte mich, ein Lottogewinn kann kaum Angenehmeres auslösen. Es stand sogar eine kleine Schlange davor, obwohl … merkwürdigerweise die auf einem Schild verkündete Öffnungszeit schon fast eine Stunde vorüber war? Das machte mich zwar stutzig, dennoch reihte ich mich brav mit in die Schlange ein. Die Leute würden schon wissen, warum sie hier anstanden. Der Herdentrieb ließ grüßen! Anfangs versuchte ich noch ein Gespräch, doch niemand verstand mich oder wusste irgend etwas Genaues. Ein junger, recht zerlumpt aussehender Mann musterte die Schlange und kam dann direkt auf mich zu. In recht gutem Englisch, ich glaubte mich im falschen Film, sagte er: »Bist du hier um Xian und die Terrakotta-Armee zu sehen?«

»Ja!« – »Kann ich dein Guide sein?«

»Ja, gerne, aber vorher müsstest du mir behilflich sein, ein Rückticket nach Zibo zu bekommen!«, und erzählte ihm kurz von meinem Ticketproblem. »Mei wenti« meint er lässig und zog mich aus der Reihe der Wartenden. »Aber der Schalter hat doch noch geschlossen, wie willst du …?«

»Der wird auch geschlossen bleiben«, sagte er. »Heute ist Feiertag. Die einzige Möglichkeit ist, ich besorge dir in der anderen Halle ein Ticket für Einheimische und du versuchst es damit. Ich schreibe dir für den Schaffner auf einen Zettel, welche Probleme du hattest, ein Ticket zu bekommen. Damit wirst du schon irgendwie durchkommen.«

Also scherten wir aus der Reihe aus, wie lange die anderen noch standen, entzieht sich meiner Kenntnis. Und warum kein einziger von den etwa zwanzig, dreißig Personen mitbekam, dass der Schalter wahrscheinlich gar nicht öffnen würde, blieb mir auch schleierhaft. Vielleicht würde er später doch noch öffnen und mein neuer Guide wollte bloß nicht solange warten und schob mich deshalb auf die Einheimischen-Schiene? Ich werde es nie erfahren.

Mein neuer Freund stand nun trotzdem über eine Stunde in der Schlange der Einheimischen, kaufte für mich das Ticket und dann ging es los zur berühmten Terrakotta Armee. Anschließend lud ich ihn zum Essen ein. Sein Äußeres sah recht verwahrlost aus, unrasiert, an einem Schuh fehlte die Sohle völlig, die abgetragenen Sachen schienen das letzte Mal im vorigen Jahrhundert gewaschen. Aber immer mehr trat dieser Eindruck in den Hintergrund und ein hochintelligenter, früherer Englisch-Lehrer in den Vordergrund, der sich hier als »Fremdenführer« den Unterhalt für sich und seine 200 Kilometer entfernt lebende Familie verdiente. Warum ein so offensichtlich intelligenter und auch sympathischer Mann überhaupt arbeitslos war, bekam ich nicht definitiv heraus. Doch wenn ich an meine Dolmetscherin dachte, die ja auch eine frühere Englisch-Lehrerin war, und nun in meinem Betrieb arbeitete, ist eine (zumindest damals) recht unterprivilegierte (und entsprechend -bezahlte) Stellung des Lehrerberufes recht wahrscheinlich.

Wir hatten gute Gespräche, er lud mich zu sich nach Hause ein und dem ich auch liebend gerne gefolgt wäre, musste allerdings ja schon morgen (mit meinem mühsam ergatterten Ticket) wieder zurück. Ein liebenswerter Mensch, der hätte ein richtiger Freund werden können. Wie leicht wäre es für mich gewesen, ihn mit etwas Geld zu unterstützen. Aber als ich ihn abends für seine Dienste weit über die vereinbarte Summe hinaus entlohnen wollte, was mir überhaupt nicht weh getan hätte, lehnte er entrüstet ab.

Wir drückten uns zum Abschied wie alte Freunde! Ich war beeindruckt, wie schon so oft vorher und noch viele Male nachher. Beeindruckt von der Größe einfacher Menschen, von der Art, wie sie ihr Leben bestritten und dabei eine Gelassenheit und Zufriedenheit ausstrahlten, die uns europäischen oder amerikanischen »Konsummaschinen« längst abhanden gekommen scheint.

Andererseits sind natürlich gerade Chinesen für ihren »Geldinstinkt« weltweit bekannt. Der angedeutete Riss muss also wahrscheinlich nicht zwischen Nationen, sondern innerhalb derer verlaufen. Doch ist das wohl ein anderes Thema. Auch für einen Deutschen kein unbekanntes.

Was soll ich über Xian, der ältesten Hauptstadt Chinas und Anfangs- oder Endpunkt der berühmten Seidenstraße, heute eine moderne, lebhafte Mehrmillionenstadt, sagen?

Was über die vielbeschriebene Terrakotta-Armee? Was über die kleine und große Wildgans-Pagode, jene markanten und formvollendeten Bauwerke, welche das Stadtbild prägen und als Besuchermagnet wirken. Was über die gewaltige begeh- und befahrbare Stadtmauer mit ihren monumentalen Toren?

In jedem Reiseführer ist das nachzulesen. Besser kann ich es auch nicht.

Aber die Terrakotta-Armee ist schon beeindruckend, der Besucherrummel aus aller Welt weniger. Aber das ist wohl überall dasselbe. Wer beispielsweise schon mal vor den ägyptischen Pyramiden stand und sich dabei wunderte, wie jene bekannten Bilder von scheinbar einsam in der Wüste stehenden Pyramiden zustande gekommen waren, der weiß wovon ich rede.

Xian hatte auch vor der Entdeckung der Terrakotta Armee, schon seiner geschichtlichen Bedeutung wegen, eine Menge zu bieten. Seit jedoch 1974 ein Bauer beim Graben eines Brunnens zufällig auf die unterirdischen Schätze gestoßen war, entwickelte sich Xian zu einem Mekka der Touristen und jeder China-Tour-Anbieter, der auf sich hält, hat Xian als »Muss« in seinem Programm.

Nur etwa ein Drittel aller Krieger sind bis heute zu sehen. Jedes Gesicht, der in Reih und Glied in Schlachtordnung stehenden lebensgroßen Krieger-Figuren trägt individuelle Züge. Zweitausend Jahre alte Kunst der Schöpfer. Oder Wahnsinn des ersten Kaisers, Qin Shi Huangdi, der den Befehl dafür gab? Bis heute umstritten!

Und was wird erst bei der Öffnung des eigentlichen Grabes dieses Herrschers zutage gefördert werden?

Während es gestern während der langen Zugfahrt sehr warm und sonnig war, regnete es heute, meinem eigentlichen und einzigen Xian-Tag, an dem ich mit meinem neuen Freund unterwegs war, von morgens bis abends. Dafür war der nächste Tag, mit 21 Stunden im Zug zurück nach Zibo, wieder ein schöner sonniger Tag mit entsprechenden Kabinentemperaturen!

Die Rückfahrt verlief »planmäßig«. Ich wurde wegen meines Tickets für Einheimische überhaupt nicht gefragt, suchte und fand auch die freundliche Schaffnerin wieder und bekam von ihr einen Platz im Abteil für gehobenere Ansprüche zugewiesen. Den dafür eigentlich zu entrichtenden Zusatzbetrag lehnte sie entrüstet ab.

Ein paar Wochen später rief mich Lixing Zhu, mein neuer Freund von der Hinfahrt an. Wir wären eingeladen von der Ärztin, welche wir beide auf eben dieser Hinfahrt kennengelernt hatten.

Eine überaus sympatische Familie. Leider war jegliche Verständigung nur über Lixing Zhu möglich. Schade! Auch ich lud alle mal zu mir ins Hotel ein. Dann wieder fuhren wir einmal zu viert mit zwei uralten Fahrrädern zu einem Restaurant. Dort in der Provinzstadt, völlig normal so eine Zirkusnummer auf diesen alten Drahteseln, auch für einen Professor.

Der Höhepunkt unserer Bekanntschaft aber war das nächste Frühlingsfest wo Lixing und ich in der Wohnung des Professors zum »Dumbling machen« eingeladen waren. Diese Zeremonie muss man sich vorstellen wie in Deutschland das gemeinsame Herrichten der Weihnachtsgans im Kreise der Familie. Dort als Ausländer dabei zu sein und eigenhändig erst die Teigtaschen zu formen und sie danach mit Füllung zu versehen, bevor sie ins heiße Wasser kommen, ist schon eine besondere Ehre. Nach dem Essen wurde ich gefragt, welches von den verschiedenen Sorten Fleisch, die es neben den Dumblings auch gegeben hatte, mir am besten schmecken würde. Da musste ich bei einer besonders leckeren, hellbraunen Sorte nicht lange überlegen. Ob ich wüsste, was das für Fleisch sei? Natürlich wusste ich das nicht! Mit umso mehr Stolz kam die Antwort: »Dog«. (Hund) Hier im Norden eine sehr teure Delikatesse, nur für besondere Anlässe. Mehr üblich in Korea und Vietnam. Zum Glück erfuhr ich alles erst hinterher.

Ich erzählte ihnen von meiner besonderen Beziehung zu Hunden und sagte, mehr zum Spaß: »Wenn ich das meiner Tochter, einer Hundebesitzerin, erzähle, spricht sie mit ihrem Vater kein Wort mehr.«

Mit meinem Freund Lixing verband mich eine dauerhafte Freundschaft und verbindet mich noch heute in lockerer Form per Email. Irgendwann heiratete er und auf seiner Hochzeit war ich, wie schon so oft anderswo, der einzige Ausländer.

Eine chinesische Hochzeit läuft in vielem ähnlich ab wie eine traditionelle Hochzeit in Deutschland. Alles etwas pompöser, bunter, lauter, kitschiger. Anders ist, dass es ganz früh losgeht. Die Einladung lautete für 6.30 Uhr morgens! Dann haben die Gäste mit dem jungen Paar zunächst nichts zu tun, denn das taucht erst gegen Vormittag auf. Zwischendurch wird im Wesentlichen … gewartet.

Wenn dann das Paar kommt, wäre es gut einen Ohrenarzt in der Nähe zu haben. Ohrenbetäubendes, scheinbar nicht enden wollendes Knallen, auch in unmittelbarer Nähe, muss man dann abhalten.

Dann geht es, wie anderswo auch, mit Reden halten sowie Essen und Trinken weiter, wobei Letzteres doch das Wichtigere zu sein scheint. Besonders ich musste viel, viel trinken, denn Eltern von Braut und Bräutigam, Onkels, Tanten, Geschwister, Freunde, Kollegen, jeder wollte einmal mit dem einzigen »wai guo ren«, dem Ausländer, anstoßen. Und der berühmte, gerade bei Hochzeiten unumgängliche »Maotai«, ein chinesischer Hirse/​Weizen-Schnaps ist mit seinen überdimensionalen Prozentgehalten nicht jedermann Sache. Auch meine nicht. Somit wurde es wirklich sehr hart. Für mich! Obwohl Europäer generell viel mehr Alkohol vertragen sollen als alle Asiaten, was angeblich mit einem fehlenden oder vermindertem Enzym der Asiaten zusammenhängen soll, welches den Alkohol abbaut. Diese Erklärungen nützten mir jedoch hier, wo laufend jemand aus dem Clan mit kleinem Tablett und zwei Gläsern drauf auf mich zugesteuert kam, überhaupt nichts. Und sie kamen stets einzeln und alle anderen schauten nicht nur zu, sondern klatschten sogar, wenn wir anstießen. Und schwupp, war die Höflichkeitsfalle zugeschnappt. Höflichkeitsfalle deshalb, weil ich nun, nachdem ich arglos mit den ersten paar getrunken hatte, nun plötzlich anderen, vielleicht gar einem alten Opa, der auch schon mit Tablett und Gläsern angerückt kam, diese »Ehre« nicht verweigern konnte.

 

Nachdem somit zumindest der obere Familienclan »abgearbeitet« war und es später heimwärts ging, zeigte sich bei mir die Begrenztheit jener Theorie mit den Enzymen recht ausgepägt.

Denn als ich in mein Hotel einschwankte, war mir so schlecht, dass ich es nicht mehr bis ins Zimmer schaffte. Zum Glück war niemand im Gang, denn alles ergoss sich dort … auf den Teppich.

Nun auch noch zu feige, es jemandem zu sagen. Das ging aber nun wirklich nicht. Ich hatte einen so guten Ruf in »meinem« Hotel, was mir viele Aufmerksamkeiten, Freundlichkeiten und »Privilegien« verschaffte und was ich unmöglich aufs Spiel setzen konnte, ging es mir undeutlich durch den dröhnenden Kopf. Und dann das Getratsche, dass »unser« Ausländer …, und die hämischen oder auch ungläubigen Blicke am nächsten Tag? Nein, das durfte nicht sein, da lieber mal etwas feige sein.

An einem der nächsten Tage gab ich einem der Mädchen, von der ich annahm, dass sie es war, welche die Schweinerei auf dem Korridor weggemacht hatte …, eine Tafel Schokolade. »Zum Glück« konnte ich ihr aus Sprachgründen nicht erklären, warum ich gerade ihr die Schokolade geben wollte. Gefreut hat sie sich trotzdem. Nette Kerle, diese Deutschen!

Dass ausgerechnet mir das passieren konnte? Der ich eigentlich immer bemüht war, möglichst nicht groß aufzufallen. Und wenn doch, dann wenigstens positiv.

Na, es soll nicht wieder vorkommen! Ehrenwort, kam es auch nicht.

Im Betrieb, wo meine Kollegen jede sich bietende Gelegenheit zu einer Fete nutzten, hatte ich bald die Weichen dafür gestellt, um nicht eines Tages entweder eine Lachnummer abzugeben oder gar mit bleibenden Leberschäden nach Hause fahren zu müssen. Denn auch dort wollte anfangs jeder allein mit mir anstoßen. Bei einer Runde von acht bis zehn Personen kann das ein hartes Brot werden, was ich auch versuchte meiner Dolmetscherin klarzumachen. Die jedoch meinte nur gelassen: »Chinese customs« (Chinesische Gewohnheiten) wobei nebenbei ihre Gestik deutlich zum Ausdruck brachte: »Frag nicht, das verstehst du sowieso nicht.« Spontan drehte ich den Spieß um: »Nun lass uns aber mal German customs praktizieren: Wenn angestoßen wird, dann alle zusammen und nicht jeder einzeln mit mir. Wir sind doch schließlich ein Team?«

Meine »Schlitzohren« hatten’s verstanden und künftig auch akzeptiert. Deswegen wurde zwar nicht gleich weniger gefeiert, doch gläserne Blicke und fahrige Bewegungen konnten fortan (dank der »Enzym-Theorie«?) nun viel wahrscheinlicher bei meinen chinesischen Kollegen als bei mir beobachtet werden.


Xian: Das eigentliche Ziel!

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