Hofräte, Einflüsterer, Spin-Doktoren

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Doch dann kommt die Katastrophe: Als Napoleon nach der Schlacht von Austerlitz Wien besetzt, muss Gentz bei Nacht und Nebel nach Prag und dann nach Dresden fliehen. Im Exil publiziert er weiter mit Eifer und wird vom Preußenkönig eingeladen, noch einmal seine Regierung in dieser schweren Krise zu beraten. Gentz kommt, hält vor den Ministern Hof wie ein Fürst und entwirft scharfe Manifeste gegen den Kaiser der Franzosen. Als dieser aber auch Berlin erobert, ist er wieder in akuter Lebensgefahr und muss sich nach Prag absetzen. Hier verkehrt er in den besten Adelshäusern, korrespondiert mit Gott, der Welt und Fürsten aller Länder, ist aber politisch kaltgestellt, denn Wien ist gegen eine Rückkehr.

Erst 1809 holt ihn der neue Minister Graf Stadion wieder in die Staatskanzlei, um ihm bei der Abfassung eines neuen Kriegsmanifests zur Hand zu gehen. Gentz bezieht jetzt ein Amtszimmer am Ballhausplatz und genießt wieder das Leben. Ein Teil davon ist seine Liaison mit seiner Haushälterin „Cattel“ Swoboda, mit der er seinen Sohn Peppy zeugt. Als der Krieg gegen Frankreich wieder verloren wird und Napoleon nochmals Wien besetzt, geht er, dieses Mal gemeinsam mit seinem Minister, neuerlich ins Exil – zunächst ins ungarische Ofen (Buda), dann nach Böhmen.

Als Graf Stadion von Klemens Wenzel Metternich als Außenminister abgelöst wird, hat der noch keine Verwendung für den Diplomaten – er laviert gegenüber Napoleon. So nimmt Gentz Anfang 1810 – gerade hat er einen beachteten währungspolitischen Aufsatz publiziert – die Einladung des Wiener Finanzministers an, ihn zu beraten. Doch statt sofort nach Wien zu eilen, fährt er mit dem Grafen Stadion auf „Sommerurlaub“ nach Karlsbad (Karlovy Vary) und stürzt sich in mehrere Affären mit hochgestellten Damen. Erst im Oktober holt ihn Metternich nach Wien zurück. Jetzt wird er in die Tätigkeit des Kanzlers und Außenministers einbezogen: Nachdem Gentz im Exil ein umfassendes Wissen in Finanz- und Budgetangelegenheiten erworben hat, wird er zunächst im Informationsbereich, als Wirtschafts- und Finanzexperte, eingesetzt. Bald darauf agiert er für Metternich als Konsulent bei der Gründung der Zeitschrift „Österreichischer Beobachter“, die der Minister und Leiter der Staatskanzlei als offiziöses Organ seiner Politik etablieren will. Ein Jahr lang verbleibt der Publizist in dieser informellen Beraterfunktion, eine Zeit, in der sich Gentz und der Minister zunehmend annähern. 1812 wird der Chevalier dann Metternichs persönlicher Sekretär.

Er hat die volle Gunst des Kanzlers und unmittelbaren Kontakt zu ihm, entscheidet über jeden direkten Zugang zu Metternich und kann sich so, ohne selbst Standesperson zu sein, in die hohe Gesellschaft Wiens eingliedern. Wie sehr er sich etabliert hat, zeigt eine Notiz vom Oktober 1811: „Hatte eine höchst interessante Unterredung von 2 Stunden mit der Kaiserin; vorher frühstückte ich bei Graf Metternich; nachher machte ich eine Promenade mit ihm, und dann ein vortreffliches Diner.“

Auch in finanzieller Hinsicht verbessert der neue Posten seine Position, Metternich gestattet Gentz im Wissen um dessen ständige Geldnot, für 4.000 Gulden im Jahr eine vertrauliche Korrespondenz mit den Gospodaren der Walachei und Moldau zu führen – quasi als deren diplomatischer Berater. Diese Tätigkeit wird übrigens später während des Wiener Kongresses besonders intensiv werden. Der Kanzler und sein Kabinettschef sind jetzt ein unzertrennliches, kongeniales, aufeinander eingespieltes Paar. Metternich berät sich mit ihm in Fragen der Außenpolitik und des Budgets, vor kaiserlichen Audienzen – und auch über Liköre. Er nimmt ihn im Juni 1813 zum Treffen mit Zar Alexander auf Schloss Ratiborschitz mit und bespricht mit ihm seine legendären Verhandlungen mit Napoleon in Dresden, in denen er eine letzte Einigung mit dem Korsen versucht.

Nach dem für Napoleon desaströsen Ausgang des Russlandfeldzuges ist Metternich zur finalen militärischen Auseinandersetzung entschlossen. Wieder wird Gentz mit der Abfassung eines Kriegsmanifests beauftragt und brilliert. Er wird oberster Kriegsberichterstatter und Zensor. Der Kaiser zeichnet ihn mit dem Hofratstitel aus und schickt 2.000 Gulden. Dass Gentz selbst ohnehin schon seit geraumer Zeit gerne als Hofrat aufgetreten ist, tut dieser Karriere keinen Abbruch.

Gentz stürzt sich wieder voll ins gesellschaftliche Leben – in Wien, auf den Landsitzen, in Prag: Er pflegt seine Beziehungen zu Fürstin Bagration (der Mutter von Metternichs unehelicher Tochter Clementine) sowie zur Herzogin von Sagan, die der Kanzler ebenfalls heiß verehrt. Es überschneiden sich also auch die privaten Wege der beiden charmanten und klugen Herren – auch wenn die Liebschaften des Hofrats nicht die Komtessen und Gräfinnen, sondern eher Wiener Mädel sind. Und er lobt sich in Gesellschaft selbst vollmundig: „Wenn irgendwo in Europa ein Krieg ausbricht, so glauben Sie nur, dass ich ihn angezündet habe.“

Anfang 1814 begleitet Gentz den Staatskanzler ins Hauptquartier der Reichstruppen nach Freiburg, kehrt aber bald wieder nach Wien als Zensor zurück, bei den langwierigen Verhandlungen mit Napoleon kann man ihn, das rote Tuch für den Franzosen, nicht einsetzen. Das demoralisiert Gentz, der sich jetzt in unterwürfigen Briefen an Polizeichef Josef von Sedlnitzky für kleine Versehen bei der Publikation von Artikeln wortreich entschuldigen muss.

Als nach dem Sturz Napoleons in Paris entschieden wird, den Kongress zur Neuordnung Europas in Wien abzuhalten, holt ihn Metternich dann doch wieder an seine Seite – vielleicht auch aus schlechtem Gewissen, weil er ihn nicht zur Pariser Konferenz mitgenommen hat. Gentz ist für diese Arbeit wie geschaffen: Vertraut mit Europas Diplomaten, mit einem großen Wissen über die Feinheiten der europäischen Politik ausgestattet. Gleichermaßen Formulierungskünstler und Salonlöwe auf dem gesellschaftlichen Parkett verfügt er über persönliche Freundschaften, insbesondere in England und Frankreich, und beste Insiderkenntnissen über Preußen. Zudem steht der Diplomat seit Langem in persönlichem Kontakt mit dem russischen Zaren, dem preußischen König, Frankreichs Außenpolitikchef Charles-Maurice de Talleyrand und dem britischen Chefverhandler Lord Castlereagh.

Persönlich hat Gentz einen ausgeprägten Hang zu Luxus und kann – so wie sein Mentor Metternich – mit Geld nicht umgehen. Beobachter des Kongresses schildern ihn als ehrgeizig, eitel, für Schmeicheleien offen, wenig selbstsicher, sehr mitteilsam, als fesselnden Gesprächspartner und mitunter auch ein wenig falsch. Man schätzt an ihm seinen ungeheuren Fleiß, seine Beharrlichkeit und Zähigkeit, seine geistige Beweglichkeit, sein strategisches und analytisches Denken in großen Zusammenhängen und den Umstand, nicht zu Unterwürfigkeit zu neigen, sondern oft, vielleicht zu oft, jedem deutlich seine Meinung zu sagen. Der Historiker und Schriftsteller Golo Mann hat ihm später auch Feinfühligkeit attestiert und recherchiert, dass Gentz den Anblick eines Vollbartes nicht ertragen habe, Blitz und Donner hätten ihn nachts aus dem Bett springen lassen, Beerdigungen habe er ein Leben lang gemieden und beim Tod seines Hundes habe er bittere Tränen geweint.

Der Fünfzigjährige ist im Herbst 1814 auf einem Gipfel seiner Karriere angelangt. Die Staatsmänner und Diplomaten bestimmen ihn am Beginn des Wiener Kongresses per Akklamation zum Protokollführer. Der „Sekretär Europas“ wird damit zu einer Zentralfigur der gesamten Neuordnung Europas. Er ist intensiv in die Vorbereitungssitzungen involviert, die er mit Metternich, Castlereagh, dem russischen Chefverhandler Karl Robert von Nesselrode, dem preußischen Kanzler Karl August von Hardenberg sowie dessen rechter Hand, seinen alten Freund Wilhelm von Humboldt, führt. Er legt in einem langen Brief in französischer Sprache bereits ein umfassendes Konzept für die Ergebnisse der ganzen Konferenz dar. Er muss die Tagesordnung festlegen, die Themen vorschlagen, die in den Ausschüssen beraten werden sollen, die Sitzungsberichte verfassen, Reden konzipieren, vor allem aber versuchen, die divergierenden politischen Interessen der am Kongress beteiligten Staaten schon im Vorfeld der großen Treffen auf einen vernünftigen Nenner zu bringen.

Für Kanzler Metternich, der im Rampenlicht der Öffentlichkeit steht und nicht gerade gerne arbeitet, wird der weltbürgerliche Hofrat dadurch ein unentbehrlicher Berater, seine graue Eminenz. Bei ihm laufen die Fäden des Kongresses zusammen. Das wissen auch die prominenten Teilnehmer, die sich in seiner Wohnung in der Seilergasse die Türklinke in die Hand geben, um seinen Rat einzuholen, ihn für ihre Wünsche, Anliegen und Forderungen zu gewinnen und bis spät in die Nacht zu debattieren.

Sitzung der Bevollmächtigten am Wiener Kongress, Gentz ist der dritte Stehende von rechts

Wenn den Hauptakteuren auf der Bühne des Kongresses das rechte Wort fehlt, um ihre Gedanken zu formulieren oder zu verbergen, sitzt der unentbehrliche Chevalier im Souffleurkasten, von wo aus er ihnen dieses im wortwörtlichen Sinne einflüstert – Chefsekretär, Vorsager und Helfer zugleich. Gentz ist daher viel beschäftigt. „Gearbeitet bis ein Uhr“, notiert er nicht nur ein Mal in sein Tagebuch. Und ein andermal entschuldigt er sich brieflich bei einer Bekannten für die Form des „Geschmier“, weil er es völlig übermüdet um drei Uhr morgens verfasste. Er ist der geniale Fleißige, Metternich der geniale Faule. So notiert er auch mit Ingrimm, dass er seinem Kanzler mit einem fertigen Text tagelang zur Einholung der Unterschrift nachlaufen musste, weil sich dieser im schummrigen Palais Palm bei den lockeren Sagan-Töchtern und „der Bagration“ herumgetrieben habe. Doch nicht nur solche Notizen füllen Bände, auch seine Kongresstexte umfassen insgesamt mehrere tausend Seiten.

 

Gentz bringt seine Aktivitäten an den Konferenztischen mit folgender Formulierung auf den Punkt: Er sei da, „um den Ereignissen einen Stil zu geben“. Er ist der Arrangeur der Worte, der Einflüsterer Europas. Er stilisiert die Verlautbarungen der Kabinette, er lässt hinter der imposanten Fassade seiner Worte tiefgreifende Interessengegensätze verschwinden, er schafft es durch verbale Nebelschwaden Kompromisse annehmbar zu machen. Gentz nutzt die Sprache als Element, um Lösungen zu finden. Die Mächtigen danken es ihm mit Ordenskreuzen und Privilegien, die sie seit jeher denen einräumen, die ihnen Geist und Feder leihen; und sie danken mit Geld, das Gentz ungeniert annimmt, weil er das Gefühl hat, dass er es verdient.

Metternich und Gentz prägen den inhaltlichen Gang des Kongresses. In der ersten Phase hintertreibt der Sekretär erfolgreich preußische Ambitionen und wird bald von Berlin als Verräter gesehen. Preußen verleumdet ihn als „grundsatzlos“, weil er mit seiner sachsenfreundlichen Haltung und dem mutigen Auftreten gegen den nationalistischen „Missbrauch der Übermacht“ gegen seine Interessen auftritt. Scharfsichtig wie er ist, erkennt er früh die tiefe Rivalität zwischen Zar Alexander und seinem Vorgesetzten, die er als Schlüsselfaktor für den holpernden Fortgang des Kongresses identifiziert. Natürlich ergreift er hier Partei für den Kanzler, doch er wird nicht blind gegenüber dessen Schwächen. Entschieden bekämpft er ein Vordringen Russlands in den zentraleuropäischen Machtbereich. Schließlich widersetzt er sich auch der völligen Entmachtung Frankreichs. Zwar hat er Napoleon erbittert bekämpft, eine Rückkehr der Bourbonen jedoch erscheint ihm jetzt schlimmer als der Verbleib des Korsen. Vor allem aber plädiert Gentz beharrlich für ein Gleichgewichtssystem, das sowohl außen- als auch innenpolitisch Krieg und Revolution nachhaltig abwehren kann. Da treffen sich seine Argumente mit dem Repräsentanten Frankreichs, Talleyrand, dem er schon im Oktober 1814 zahlreiche Besuche abstattet, bei denen er sich vom schlauen Franzosen mit Schmeicheleien, Schokolade und Werthaltigem verwöhnen lässt.

Trotz seiner enormen Arbeitsbelastung verschafft sich der lebensfrohe Frauenheld Freiräume für seine persönlichen Interessen und Vergnügungen. Er trägt seine rötliche Perücke zu Kongresszeiten mit zunehmender Nonchalance und pflegt die Augen hinter einem Lorgnon mit dunklen Gläsern zu verbergen. Er liebt es, in der Sänfte vom Ballhausplatz nach Hause in die nahe Seilergasse getragen zu werden, wo – nach Franz Grillparzers späterem Zeugnis – bereits im Wartezimmer dicke Teppiche und in der Luft schwere Parfumnoten liegen, überall Glasglocken mit Naschereien herumstehen, im Schlafzimmer ein weißes, von Seide überzogenes Bett prangt und allerlei ausgefallene Gerätschaften Bewunderung erregen, wie etwa ein mobiles Schreibpult, dessen bewegliche Arme Bleistifte, Federn und Tinte darreichen. Natürlich hat Gentz auch einen ausgezeichneten Koch, sodass es seinen diplomatischen Gästen wie seinen Wiener Mädeln, die zu Besuch kommen, an nichts fehlt. Zu guter Letzt lässt er sich noch eine sündteure Equipage aus England kommen,

Die Finanzierung dieses Aufwandes ist natürlich mit dem Hofratsgehalt nicht zu schaffen. Daher jongliert der Diplomat nicht nur permanent mit Schulden, sondern nimmt auch jegliche Einnahmequelle in Anspruch: Er bezieht seit Langem die feste Apanage von den Engländern und die regelmäßigen Unterstützungen von den Walachischen Fürsten, doch zusätzlich verlangt und erhält er Geld für Einzelleistungen, die er den Mächtigen des Kongresses erbringt. Eine Zahlung der Franzosen in der Höhe von 24.000 Gulden – mehrere Jahresgehälter eines Hofrats – ist dokumentiert. Zur Jahreswende 1814/15 sind es mehrere zehntausend Gulden, nach heutigem Wert etwa eine Million Euro, die er als Ehrengaben der Delegationen angeboten erhält und annimmt.

Ab Jänner 1815 gerät der Kongress ins Stocken. Die Entwicklung ist so desillusionierend, dass Metternich sogar seinen Rücktritt anbietet und sich wochenlang in sein Palais und eine Krankheit zurückzieht. Nun lastet die ganze Knochenarbeit, die Tagung dennoch am Laufen zu halten, auf Gentz. Erst als Napoleon überraschend aus seinem Exil auf der Insel Elba zurückkehrt und im Triumph nach Paris eilt, dynamisiert das wieder den Einigungswillen in Wien. Gentz wird beauftragt, eine scharfe Ächtung des Korsen zu formulieren, was ihm nicht mehr so leichtfällt, seine Position zu Bonaparte ist mittlerweile differenzierter. Dennoch gelingt ihm ein pointierter Text. Da erlaubt sich Metternich einen bösen Scherz, indem er seinen wichtigsten Berater per falschem Zeitungsinserat wissen lässt, Napoleon habe eine hohe Prämie auf seinen Kopf ausgesetzt. Gentz ist von der Aktion so geschockt, dass er sich darüber bei Erzherzog Johann beschwert.

Trotzdem arbeitet er zielstrebig weiter und bringt die mühsame Redaktion der vielteiligen Schlussakte im Mai zügig über die Bühne. Während der Schlacht von Waterloo am 18. Juni 1815 sitzt er bereits nach getaner Arbeit mit Humboldt und anderen Diplomaten in feuchtfröhlicher Runde in seinem Landhaus zusammen und feiert den diplomatischen, vor allem aber seinen persönlichen Erfolg, eine alte Epoche Europas zu Ende gebracht und eine neue eingeleitet zu haben. Am nächsten Tag paraphieren die Delegationsleiter die Schlussakte in der Staatskanzlei, Gentz notiert übernächtigt ins Tagebuch: „Endgültiger Schluß des Kongresses nach vollen neun Monaten Dauer. Schlief in der Stadt.“ In einem Brief bittet er Metternich, sich fortan „Premier Secretaire au Congrès de Vienne“ nennen zu dürfen. Das Ehrengeschenk des Kongresses für seine Dienste, eine diamantenbesetzte Schatulle mit 800 Dukaten, nimmt er gerne an.

Doch damit ist die Zuarbeit des genialen Sekretärs für den „Kutscher Europas“ noch lange nicht zu Ende. Zunehmend zeigt er aber dabei, dass er kein willenloser Büttel der Metternich’schen Restauration ist – er bleibt streitbar, originell und wird immer mehr zu einem selbstbewussten Kritiker des versumpften Habsburgerreichs, dem er gerne ein paar Modernisierungen nach französischem Muster verpasst hätte. Gegenüber seinem Vorgesetzten tritt er immer wieder geradezu unbotmäßig auf.

Zunächst reist er für vier Monate nach Paris, um den zweiten Pariser Friedensvertrag auszuhandeln. Wieder zurück, versucht er, vom Kaiser doch noch einen Adelstitel zu erhalten. Doch dieser dankt ihm bloß überschwänglich für seine vielen Verdienste, trotz seiner Verdienste will er den klugen Parvenü nicht in Wiens beste Gesellschaft aufnehmen. 1816 arbeitet Gentz gemeinsam mit dem nunmehrigen Finanzminister Graf Stadion und Metternich an der Neuausrichtung des österreichischen Finanzwesens und ist maßgeblich an der Gründung der Nationalbank und der Beseitigung des inflationären Papiergeldes beteiligt. Er bleibt aber auch auf seinem Schlüsselposten fest sitzen, lässt sich hofieren. Seine Arbeitsbelastung ist allerdings jetzt nicht mehr so groß wie zuvor.

Dann werden sein diplomatisches Geschick, seine Kenntnisse in Grundfragen der Außenpolitik Österreichs und des Deutschen Bundes und seine Formulierungskunst wieder voll in Anspruch genommen, als es gilt, die Ergebnisse des Wiener Kongresses in den folgenden Krisen zu sichern. Er führt wieder Protokoll und Debatten in gewohnt perfekter Weise auf den zwischen 1818 und 1822 einberufenen Mächtekongressen in Aachen, Troppau (Opava), Laibach (Ljubljana) und Verona sowie auf den Ministerkonferenzen in Karlsbad und Wien. Man muss sich diese jährliche Folge von Großkonferenzen etwa wie die heutigen Europäischen Räte oder G7-Gipfeltreffen vorstellen – man will auf Krisenzeichen in Europa rasch und wirksam reagieren. Die Einigung der fünf europäischen Großmächte in Aachen ist wirklich allein Gentz’ Verdienst, ganz Europa dankt es ihm. Sein Erfolg wird auch von seinem Dienstherrn anerkannt, der ihm 1818 wieder eine deutliche Aufbesserung seiner Bezüge gewährt. Dies kommt seinem Lebensstil ebenso zupass wie die persönliche Beziehung zur Familie Rothschild.

Der Kanzler und sein Sekretär haben gemeinsam eine bislang noch nie erreichte zwischenstaatliche Kooperation in Europa entwickelt, ein komplexes System haltbarer Allianzen gefestigt und eine Mechanik gefunden, auf innenpolitischen Aufruhr rasch gemeinsam zu reagieren. Die von Gentz redigierten Protokolle und Schlussdokumente geben heute noch einen tiefen Einblick in das gemeinsame Selbstverständnis und die Funktionsweise Europas in der zweiten Dekade des 19. Jahrhunderts. Es sind dies die ersten politischen Dokumente eines gemeinsamen Europas, die weit über die Außenpolitik und die Regelung völkerrechtlicher Beziehungen hinausgehen.

Metternich schreibt in dieser Zeit an seinen Wegbegleiter: „Ich habe das Gefühl, daß Sie weit besser zu sagen wissen, was ich denken und sagen möchte, als ich es vermag“ und er nutzt die Gelegenheit, „dem Hofrat von Gentz die wärmste Erkenntlichkeit für die wichtige Unterstützung auszudrücken, welche (ich) in seinen durch das volle Gepräge seines großen Talentes ausgezeichneten Arbeiten gefunden“. Dennoch ist sein Verhalten gegenüber dem Freund und Berater widersprüchlich: Zur Sicherheit lässt Metternich die Gentz’sche Korrespondenz durchgehend überwachen. Und tatsächlich vertritt der Kanzlerberater in Briefen an Freunde und Entscheidungsträger oft völlig andere Positionen als in seinen offiziellen Funktionen und Artikeln; mit seinen privaten Ansichten liegt er zumeist richtiger, oft sind diese Wahrheiten für die herrschenden Häupter alles andere als angenehm.

Nach dem spektakulären Attentat des Burschenschaftlers Karl Ludwig Sand auf den Schriftsteller August von Kotzebue berät Gentz die aufgescheuchten europäischen Potentaten bei der Formulierung und Durchsetzung der Repressionspolitik des Deutschen Bundes gegen die liberalen und nationalen Strömungen. Er gestaltet die in den Karlsbader Beschlüssen 1819 verabschiedete Zensurpolitik und wird damit bei der liberalen Presse ebenso wie bei den nationalen politischen Aktivisten besonders verhasst. Der ehedem so kritische Publizist ist jetzt mit Metternich zum obersten Finsterling der vormärzlichen Reaktion geworden. Zwischen 1820 und 1830 schreibt Gentz unermüdlich gegen die revolutionären Bewegungen in Spanien, Italien, Griechenland und Belgien an. In Laibach bereitet er als „brauchbarer Handlanger“ – wie er sich selbst nennt – das brutale militärische Vorgehen gegen die neapolitanischen Aufständischen vor und erhält dafür „Geld über Geld“ des in Neapel ansässigen Bankiers Karl Rothschild. Die Zuwendungen der walachichen Prinzen versiegen zwar, aber der Kaiser zahlt ihm 5.000 Gulden für jede Konferenzteilnahme.

Ab 1824 wird es nach außen hin zwar etwas ruhiger um den Sechzigjährigen. Umso bunter werden seine Liebschaften zu den Mademoiselles. Gleichzeitig wird er in seinen Schriften immer skeptischer, insbesondere die Forderungen des deutschen Liberalismus erscheinen Gentz als eine drohende revolutionäre Kampfansage gegen die bestehende politische und soziale Ordnung. Aus den von Paris ausgehenden Juli-Aufständen des Jahres 1830 schließt er, dass durch die Industrialisierung die Lage der unteren Volksschichten immer unerträglicher werden und zu einer Revolution führen könnte. Damit sieht er viel klarer als sein Kanzler das Jahr 1848 voraus. Und er wendet sich aus dieser Analyse und seiner Theorie der Entwicklung eines revolutionären Geschehens heraus gegen die kriegerischen Interventionen, mit denen Metternich liebäugelt. Die Stimmung in der Staatskanzlei wird angespannt, es kommt immer häufiger zu laustarkem Streit zwischen den beiden Männern. Metternich lässt sich immer weniger beraten und entzieht ihm fühlbar seine Gunst, auch wenn er ihn noch für offizielle Besuche und Missionen einsetzt und in seiner böhmischen Sommerresidenz nicht auf ihn verzichtet.

Fanny Elßler (1810–1884)

Gentz, dem jetzt auch Krankheiten zusetzen, wird noch pessimistischer. Er zweifelt an allem und jedem, auch an der Leitlinie seines Lebens, dem erbitterten Kampf gegen Napoleon. Hier versteigt er sich einmal sogar dazu, den Sturz des ehemaligen Erzfeindes als größtes Unglück zu bedauern. Er ist jetzt zum Dissidenten in der Staatskanzlei geworden. Kein Wunder, dass ihn der Kanzler – wie er sich ausdrückt – nur mehr für „Fantasiedienste“ in Anspruch nimmt.

Ein letztes Mal setzt sich der Staatskanzler noch für ihn ein, als er für den Hofrat anlässlich seiner Versetzung in den Ruhestand erwirkt, dass der Staat einen Teil seiner enormen Schulden begleicht und seine Bezüge zum Abschied verdoppelt. Gentz braucht das Geld, nicht zuletzt, um das Studium seines 1805 geborenen unehelichen Sohns Josef zu finanzieren, der später wie der Vater eine Beamtenkarriere bis zum Hofrat machen und sich als politischer Publizist einen Namen erwerben wird.

 

Gesellschaftlich führt die Distanzierung von Metternich zu einer gewissen Isolierung. Gentz’ Leidenschaft fürs Theater bleibt davon aber unbeeinflusst. 1829 lernt der Hofrat im Kärntnertortheater die schöne Tänzerin Fanny Elßler kennen. Der Altersunterschied ist enorm, er ist mittlerweile 65 Jahre alt, sie 19. Zwischen den beiden entsteht dennoch rasch eine feste Beziehung, das zierliche Mädchen wird seine Geliebte. „Dieser Abend, der um halb zwölf endete, kann nur mit rosafarbenen Zügen bezeichnet werden. Das Glück, welches mir heute zuteil ward, werde ich nie vergessen“, notiert er in sein Tagebuch. Ganz Wien zerreißt sich das Maul über diese Liaison. Sogar der Kaiser ist indigniert. Den alten Herrn kümmert das allerdings nicht.

Gentz fördert Fanny, wo er nur kann, und überhäuft sie mit Geschenken. Er ermöglicht ihr eine höhere Bildung, unterrichtet sie in Französisch und korrektem Deutsch, vermittelt ihr seine Liebe zu Büchern und macht sie mit einflussreichen Leuten bekannt. Fanny dankt es ihm mit einer ehrlichen und tiefen Zuneigung, die aus den erhaltenen Briefen deutlich hervorgeht.

Er zieht sich mit ihr in sein Schlösschen in Weinhaus, einem Vorort Wiens, zurück und verlebt dort mit ihr zunehmend geplagt von körperlichen Leiden sein letztes Jahr. Am 9. Juni 1832 stirbt der Chevalier de Gentz im Alter von 68 Jahren als Bürgerlicher und hoch verschuldet. Die Barschaft, die man bei ihm findet, beträgt fünf Gulden. Das viele Geld hat für seinen Lebensstil nicht ausgereicht, und die von ihm immer wieder angestrebte Erhebung in den Adelsstand war ihm nie geglückt; sie scheiterte wahrscheinlich an seinem Lebenswandel. Die kluge Ehefrau seines großen Partners Metternich meint nach seinem Tod lapidar: „Nun liegt der arme Mann im Grabe, und schon sind nur wenige noch seiner eingedenk; wenige vermissen, niemand beweint ihn, und dennoch gibt es für ihn keinen Ersatz.“

Mit seinem Lebenswerk als Schriftsteller, Übersetzer, Staatstheoretiker, Politikberater, Konferenzmanager und Zensor gehört Gentz zu den wichtigsten Entwicklern des konservativen Denkens des 19. Jahrhunderts in Österreich. Mit seinen politischen Ansichten ist er oftmals gescheitert, mit seinen Dienstleistungen für die Staatenlenker fast nie. Die spätere Geschichtsschreibung verachtet ihn geradezu als Diener Metternichs, seinem Tod folgt eine Welle der Kritik von nationaler und liberaler Seite. Erst später erkennt man, dass er eine der klügsten und einflussreichsten Persönlichkeiten in Europa zwischen 1800 und 1830 war, unendlich viel zur relativen Stabilität, zum Frieden und zur Entstehung einer gesamteuropäischen politischen Perspektive beigetragen hat.

Friedrich Gentz war nie selbst Staatsmann und Politiker im formellen Sinn, sondern „nur“ deren Denker und Umsetzer, vor allem aber ein geistreicher, treffsicherer und gewandter Publizist, ein Meister der Formulierungskunst, der mit seinen Publikationen, Denkschriften, Manifesten und Protokollen politische Entscheidungen im Dienste von Herrscherhäusern äußerst wirksam aufbereitete, beeinflusste und wiedergab. Er war Zuarbeiter, Sekretär im besten Sinn des Wortes, Regierungsgehilfe, persönlicher Konsulent der wirklich Mächtigen.

Und wir finden bei ihm die Eigenschaften, die alle guten „Hofräte“ auszeichnen: Klugheit, hohe verbale Fähigkeiten, einen scharfen, strategischen Geist, ungeheuren Fleiß, Egozentrik und das große Geschick, in die unmittelbare Nähe der Mächtigen zu gelangen, sich dort perfekt anzupassen und unentbehrlich zu machen. Umgekehrt beförderten ihn diese, ließen ihm Ehren und Geld zukommen – und benutzten ihn, solange sie ihn brauchten; als er ihnen nicht mehr nützlich war, ließen sie ihn fallen.

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