Auf der Suche nach dem idealen Ort

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Rachel und Tristan hatten sich so aneinander gewöhnt, sie waren beinahe schon wie siamesische Zwilling, dass Rachel abends anfing zu weinen, weil sie 18 Tage getrennt sein würden. Sie fuhr zu ihren Eltern ins Rheinland. Auch Tristan spürte eine gewisse Tristesse, und er blieb ihr auch während ihrer Abwesenheit tatsächlich treu.

Nach 18 Tagen, machte sich Tristan mit seiner DS auf den Weg zu ihr. Er durfte natürlich nicht mit seiner geliebten Rachel zusammen übernachten, sondern wurde im Gästezimmer untergebracht. Aber in der Nacht wurde er wach, weil Rachel sich heimlich in sein Bett geschlichen hatte. Welches Glück! Sie mussten sich verdammt beherrschen, nicht zu laut zu sein.

Am nächsten Tag, nach dem Frühstück, machten sie sich auf nach Sitges bei Barcelona mit einem Halt in Saarbrücken, wo sie Pablo trafen, der ihnen den Schlüssel für das Haus in Sitges gab und übernachteten bei seinen Eltern, die ihnen wenigstens erlaubten, auf einer Matratze auf dem Boden im Wohnzimmer nebeneinander zu liegen.

Am nächsten Morgen starteten sie, und nach einer Tagesreise kamen sie in Sitges an. Nachdem sie ihre Sachen verstaut hatten, schlenderten sie in die City, wo in den verkehrsberuhigten Straßen eine Bar neben der anderen lag. Hier sollten sie jeden Tag mehrere Stunden bei XX-Bier, Gin Tonic und nach dem Strand mit einer Horchada de Chufa, einer eiskalten Mandelmilch, verbringen. Es war eine einzige Community, alles junge Leute, Jeder mit Jedem im Gespräch. Es wurde viel getrunken und gekifft, und Tristan fand, er habe noch nie einen so unbeschwerten und harmonischen Urlaub verbracht.

Tagsüber fuhren sie meist an das westliche Ende der Stadt, parkten die DS, packten ihre Strandsachen und liefen durch einen Eisenbahntunnel zum nächsten Strand, der bekannt dafür war, dass man hier nackt baden konnte. Der Gang durch den Tunnel war nicht ungefährlich. Es war die sehr befahrene Küstenstrecke nach Tarragona. Man musste sich vergewissern, dass kein Zug im Anrollen war und schnell durchlaufen. Die Zugführer kannten zwar diesen Durchgang und gaben schon von weitem einen langen Pfeifton ab, dann war aber wirklich Eile angesagt, denn zwischen Zug und Tunnelwand war kein Platz. Es kursierte zwar das Gerücht, dass es ging, wenn man sich flach auf den Boden legte, Aber Tristan und Rachel wollten es darauf nicht ankommen lassen, und Tristan legte jedes Mal das Ohr auf die Schienen, bevor sie losspurteten.

Rachel war eine begeisterte Fotografin. Sie hatte immer ihre Spiegelreflex dabei und machte ausschließlich Schwarz-Weiß-Fotos. Als Tristan einmal auf dem Bauch lag, türmte sie ein paar Kieselsteine auf seinem Po und machte ein Foto davon. Dieses Foto, auf dem man sogar noch die kleinen Härchen auf seinem Knackarsch sah, wurde ihr Lieblingsfoto. Wieder in Berlin, fand es in einem Silberrahmen seinen Stammplatz neben ihrem Bett.

Es war nun Herbst, und es sollte der heißeste Herbst des Jahrhunderts werden. Am Freitag, dem 13. November1981 war der Tag X angesagt. 57 Häuser wurden besetzt, teilweise scheinbesetzt, die meisten gleich wieder geräumt. Riesen Krawall auf dem Kottbusser Damm, die ganze Nacht Martinshörner, keiner machte ein Auge zu in der Fabrik.

Am nächsten Morgen auf dem Weg zum Winterfeldplatz und ins Slumberland sahen sie das Chaos, umgestürzte ausgebrannte Autos, noch qualmende Mülltonnen, die als Barrikade gedient hatten, Feuerspuren überall auf dem Asphalt. Zum Glück hatte sich der Kampf nicht in die Seitenstraßen verlagert. Viele Typen kamen auf der Suche nach einem Platz in einem besetzten Haus auch in der Fabrik vorbei. Sie sagten ihnen dann, dass sie allein für ihre Etage 2400,- DM Warmmiete zahlten, also 400 DM für jede Person, dazu noch Geld für Strom und Telefon. Man musste schon berufstätig sein oder reiche Eltern haben, um hier zu wohnen, außerdem waren sie komplett in allen Etagen und WGs.

Tristan und Rachel gingen weiterhin aus, hörten sich im Quartier Latin das United Jazz- und Rock Ensemble, Willem Breuker solo und die Brötzmann-Group an. Sie ließen es sich auch nicht entgehen, im Metropol das Konzert mit den Neonbabys, Schlaflose Nächte, den Au Pairs und den Einstürzenden Neubauten zu erleben. Während des Konzerts wuchtete N.U. Unruh, der für den Krach zuständig war, ein riesiges Stahlrohr von der Bühne vor die Füße der Fans in der ersten Reihe. Man konnte von Glück sagen, dass diese beiseite springen konnten, und nichts passiert war.

Sie schauten im Kino „Die Bleierne Zeit“ oder „Unversöhnliche Erinnerung“ an. Danach landeten sie nun meistens im Café Kreuzberg in der Ohlauer Straße, der gerade in der Szene angesagten Lokalität, in der Musiker live auftraten. Sie trafen dort immer Leute aus der Fabrik, tranken Kerner und quatschen bis zum frühen Morgen.

Dann kam Silvester. Tristan und seine WG hatten den irren Einfall, mal nicht die ganze Nacht in der Szene rumzulaufen, sondern selbst eine Fete zu veranstalten. Sie sagten allen Leuten Bescheid, die sie kannten und meinten, diese können auch ruhig noch Freunde mitbringen. Sie hatten ein paar Salate vorbereitet und einige Kasten Bier und Wein gekauft, und dann war es soweit. Die ersten kamen gegen 22 Uhr und wurden noch freudig begrüßt. Gegen 23 Uhr war der Gemeinschaftsraum schon gut gefüllt. Dann kamen immer mehr Leute, die sie nicht kannten. Es hatte sich wohl rumgesprochen, dass in der Schinkestraße die angesagteste Fete der Stadt läuft. Die Fete hatte sich verselbständigt. Da bereits alle Getränke konsumiert waren, organisierten die Gäste Nachschub aus Tankstellen und noch offenen Kneipen. Vor ihrer einzigen Toilette bildete sich eine Schlange. Typen rasierten sich mit unseren Rasiermessern und Mädchen verbrauchten das Parfum. Sie versuchten noch, alles was zu retten war in den Zimmern zu verstauen, aber da keines der Zimmer abschließbar war, dauerte es nicht lange, und diese wurden auch schon besetzt von kiffenden und kopulierenden Paaren. Tristan überschlug kurz der Zahl der Besucher und landete bei zirka 400 Personen, die Leute im Treppenhaus nicht mitgezählt.

Die Sache wurde ihnen immer unheimlicher. Gegen 3 Uhr flüchteten sie in Rachels WG in der Etage über ihnen und hofften, dass am nächsten Tag das Chaos nicht allzu groß wäre.

Um 13 Uhr gingen sie dann runter und schmissen die letzten Besucher raus. Das Chaos hielt sich einigermaßen in Grenzen. Sie räumten alles wieder auf seinen Platz und gingen raus an die frische Luft, am Landwehrkanal entlang spazieren.

Gegen Ende Januar fuhr Rachel mal wieder zu ihren Eltern, worüber Tristan gar nicht so traurig war. Er war genervt darüber, dass sie ständig bei ihm rumhing, und selbst wenn sie sich den ganzen Tag nicht gesehen hatten, stand sie abends auf der Matte oder kam in sein Bett, wenn er schon schlief. Er scheute aber die Konfrontation und ließ alles erst einmal so laufen wie es war.

Just am ersten Abend, als Christian, Susanne, Beate und Tim aus der WG beschlossen, ins Backstage am Stuttgarter Platz zu fahren, trafen sie Diotima von der Frauen-WG in der ersten Etage im Treppenhaus.

Diese WG war berüchtigt in der Fabrik. Immer wieder hatten sie Besuch von der Polizei, weil einige der Bewohnerinnen eine große Gewaltbereitschaft zeigten. Sie waren bei Krawall-Demos immer in der ersten Reihe zu finden, schlugen am Ku’damm mit Pflastersteinen, die sie entweder in ihren Rucksäcken mitführten oder mit langen Messern aus dem Bürgersteig brachen, die Glasvitrinen ein. Auch in der Fabrik hatte man mit ihnen zu tun. Alle paar Wochen musste man das Treppenhaus neu streichen, um ihre gesprayten Sprüche zu übertünchen. „Schwanz ab!“ gehörte da schon zum Standardrepertoire.

Diotima entschloss sich sofort, mitzukommen. Sie zwängten sich alle in Tristans DS und fuhren hin. Der Laden war wie immer rappelvoll. Man war schon froh, wenn man es geschafft hatte, einen Stehplatz links neben dem Tresen zu ergattern, bevor man sich peu à peu zu der Tanzfläche nach hinten durcharbeiten konnte. Tristan trank seinen obligatorischen Tequila Sunrise, tanzte ein wenig, stand mit den anderen rum und versuchte sich bei der lauten Musik zu unterhalten. Als sie später wieder in der Fabrik ankamen, machte Diotima den Vorschlag, noch zum Café Kreuzberg zu laufen und einen Absacker zu trinken. Die anderen wollten ins Bett, und so machten sich Tristan und sie allein auf den Weg.

Diotima war nicht gerade schlank aber auch nicht dick, sie trug kurze schwarze Haare und hatte leicht mongolische Züge, also hohe Wangenknochen und leicht geschlitzte Augen. Sie stellte sich als sehr unterhaltsam und witzig heraus. Eine Wohltat nach all dem Stress und den Diskussionen, die er mit Rachel hatte. Um 3 Uhr gingen sie nach Hause. Sie verabschiedeten sich im Treppenhaus mit zwei flüchtigen Wangenküsschen, und Diotima sagte ihm, dass es ein schöner Abend war und er sie doch mal besuchen kommen sollte.

Gleich am nächsten Abend klingelte er an Tür von Diotimas WG. Mary öffnete die Tür und ließ in herein. Diotima war nicht da, und von den anwesenden Frauen spürte er eine Atmosphäre, die zwischen Gleichgültigkeit und Ablehnung schwankte. Er verabschiedete sich sofort und beschloss, das nächste Mal vorher anzurufen.

Am nächsten Tag rief er unten an. Diotima war da und lud ihn ein, nach unten zu kommen. Diotima stellte ihn den anderen Frauen vor. Man war sich zwar schon vorher des Öfteren im Hof oder im Treppenhaus begegnet, kannte sich aber nicht mit Namen. Sie saßen alle am großen WG-Tisch und tranken eine Flasche Cognac. Später kam Diotima mit zu Ihm in seine Etage.

Gerade als Beide mit einer Sektflasche in sein Zimmer gehen wollten, kam Rachel herein. Die Beiden kannten sich natürlich. Rachel stutzte kurz, meinte, sie habe auf ihn gewartet, weil sie doch reden wollten und verzog sich gleich wieder. Genau das hasste er mittlerweile an ihr. Unangekündigt auftauchen. Probleme wälzen wollen. Es ging ihr nur um ihre Bedürfnisse. Ihm graute schon vor der nächsten Begegnung.

 

Nachdem Beide die Sektflasche geleert hatten und einige Joints geraucht hatten, beschlossen sie, noch ins Max und Moritz zu gehen. Auch dort unterhielten sie sich angeregt, kifften mit den anderen Gästen. Es war völlig normal, dass eine große Tüte herumgereicht wurde, und jeder, der wollte, daran ziehen konnte. Wieder zurück, tranken sie in Tristans WG noch einen Kaffee, und um 4 Uhr verabschiedete sich Diotima mit einem zärtlichen Abschiedskuss. Wie verheißungsvoll! Er wusste nun, es würden noch viele Küsse nachkommen. Und mehr….

Es kursierte in der Fabrik das Gerücht, dass Diotima, als sie nach Berlin kam, die ersten Jahre als Prostituierte gearbeitet hätte. Er hatte sie im Max und Moritz darauf angesprochen. Sie hatte völlig cool reagiert und ihm die Geschichte erzählt. Es war ihr egal, was die Leute in der Fabrik über sie erzählten, sie bat Tristan aber, nun nicht rumzulaufen und dieses Gerücht zu bestätigen.

Das Gespräch mit Rachel stand nun an. Er ging zu ihr nach oben und schlug ihr vor, dass sie es erst einmal bei einer Freundschaft belassen sollten, aber mit der Perspektive, dass sich alles wieder zusammenfügt.

Rachel ging am selben Tag noch zu Diotima, sagte ihr, dass sie keine Besitzansprüche stellt, und dass sie mich haben kann. Als Diotima ihm das erzählte, kam sich Tristan wie eine Ware vor, dazu noch eine gebrauchte. Diotima wusste, was in ihm vorging und schmunzelte.

Er hat das Datum nicht vergessen: Es war der 29. Januar 1982. Tristan und Diodima trafen sich nach der Arbeit und gingen ins Werkbundarchiv zur 50er Jahre Ausstellung und danach noch ins Schwarze Café, das nun genau wie Tristans Fabriketage weiß gestrichen war. Das einzige aus der schwarzen Ära war auf der Speisekarte das Schwarze Frühstück: ein schwarzer Kaffee und eine Gauloises ohne Filter.

Sie gingen dann in ihre WG. Die Frauen waren nicht da. Diotima machte ihnen ein Brathähnchen, und als sie es gegessen hatten, gingen beide am Schlafzimmer der Frauen vorbei, in dem diese ein acht Meter langes Hochbett gebaut hatten, auf dem sie alle nebeneinander lagen, in Diotimas Zimmer, in dessen Mitte ein Himmelbett stand.

Sie setzten sich nebeneinander auf den Rand. Beide waren sehr schüchtern und irgendwie gehemmt. Es dauerte lange, bis Diodima sich küssen ließ, dann zogen sie sich gegenseitig aus, Stück für Stück mit langen Pausen. Nun waren beide nackt und kuschelten sich unter der Decke eng aneinander. Als Tristan in sie eindringen wollte, schob sie ihn leicht zur Seite und tupfte etwas Vaseline aus ihren kleinen Tiegel neben dem Bett auf und in ihre Möse. Sie sagte ihm, dass das nichts mit ihm zu tun hat, es ist eine Folge aus ihrer Zeit als Prostituierte. Sie wird nicht nass, und bekommt sehr schwer einen Orgasmus, aber es macht ihr trotzdem Spaß und es erregt sie, nur leider ohne diese Begleiterscheinung. Das alles verwirrte Tristan, und er hatte Schwierigkeiten, in sie einzudringen. Sie schmusten und küssten sich leidenschaftlich und schliefen dann beide nebeneinander ein.

Am nächsten Morgen, beim Frühstück bei ihr, erzählte sie ihm, dass sie drei Stunden im Gemeinschaftsraum geschlafen hat, weil er so schnarchte. Seltsam, das hatte Rachel nie gestört!

Es entwickelte sich ein ähnliches Verhältnis wie mit Rachel. Mal kochte sie bei sich, und er ging nach unten, oder sie kam zu ihm, wenn er oder jemand anderes bei ihm kochte. Mal schliefen sie bei ihm, mal bei ihr, aber meist wachte er alleine auf, weil sie während der Nacht gegangen war. Sie lobte ihn und bedankte sich bei ihm, auch wenn andere es hören konnten, dass er so rücksichtsvoll ist und ihr immer Platz für ihre Hand lässt, damit sie an ihre Klitoris kommt.

Er fuhr morgens immer früher los zur Arbeit als sie, und meist lag dann ein Brief bei ihm auf dem Tischchen in der Gemeinschaftshalle neben dem Telefon, wenn er nach Hause kam, in dem sie ihm eine liebe Nachricht hinterlassen hatte, bevor sie zur Arbeit fuhr.

Tristan erinnerte sich gerne an diese Zeit, als noch nicht jeder zu jeder Zeit online war, als es noch Zeit kostete, bis man einen Brief erhielt, als es noch spannend war, ob nun ein Brief angekommen war oder nicht, und man sich bis dahin Gedanken machte oder sich freute.

Anfang Februar gingen alle WGs ins SO36 zum Konzert von Blurt, einer neuen Band, die so eine Mischung aus Jazz und Punk spielten. Tristan hatte seine alte Lederjacke an, weil klar war, dass er im Gewühle vor der Tribüne Pogo tanzen würde. Er entdeckte dann später, dass er trotz der dicken Lederjacke blaue Flecken hatte, aber Spaß hat es gemacht.

Nach dem Konzert ging Diotima auf Rachel zu, aber diese rastete sofort aus, was das soll und rauschte ab in die eine Richtung und Diotima in die andere. Tristan rief noch Diotima hinterher. Die meinte aber er soll sich da raushalten. Alle fuhren dann noch ins Morgenrot am Paul-Linke-Ufer und redeten mit Anne über die Situation vorhin. Als sie um 2 Uhr nach Hause kamen, war die Tür zu Frauen-WG abgeschlossen. Tristan rief an, und eine der Frauen machte auf. Er ging in Diotimas Zimmer, legte sich zu ihr, gab ihr kleine Küsse, bis sie aufwachte. Sie schliefen miteinander und unterhielten sich bis 5 Uhr. Dann ging er nach oben, wo ihn um 6 Uhr sein Wecker gleich wieder aus dem Bett warf.

Irgendwann im April merkte er, dass Diotima nicht so ganz bei der Sache ist. Sie schliefen zwar regelmäßig miteinander, aber sie schien weit von ihm entfernt. Sie war weiterhin sehr zärtlich, aber die Leidenschaft fehlte.

Dann, am 27. April, rückte sie mit der Wahrheit heraus. Sie war sich die ganze Zeit nicht sicher, aber nun hat es ihr Arzt bestätigt: Sie war schwanger. Sie schlug ihm sofort vor, sich die Sache zu teilen. Sie der Stress und er die Knete. Genau so drückte sie sich aus. Er war ziemlich durcheinander. Bei Rachel brauchte er sich keine Gedanken machen. Sie benutzte ein Diaphragma. Bei Diotima hatten sie den klassischen Coitus interruptus praktiziert, wohlwissend, dass das so ziemlich die unsicherste Verhütungsmethode war. Nun war es also soweit. Zum Einen wollte er irgendwann auch mal Kinder haben, aber jetzt schon. Das fand er es zu früh. Das übliche Gerede beim ersten Mal.

Außerdem genoss er gerade das Leben in vollen Zügen. Er hatte einen großen Freundeskreis, zog gerne und viel um die Häuser, kaum eine Nacht vor 3 Uhr morgens zu Hause.

Letztendlich war er erleichtert, dass Diotima so realistisch an die Sache heran ging. Sie hatte sich schon sachkundig gemacht. Sie wollte zur Abtreibung eine Betäubung mit Akupunktur. Das kostete genau 400,- DM. Er überwies ihr gleich am nächsten Tag das Geld auf ihr Konto, und die Sache kam danach überhaupt nicht mehr zur Sprache. Sie wollte nicht, dass er mitbekommt, wann sie den Eingriff vornehmen lässt, und irgendwann, als Tristan mal nachfragte, hatte sie die Abtreibung schon hinter sich.

On the road - to Joseph Beuys

Oh, the sadness of the lights that night! The young Pitcher looked just like Dean. A pretty blonde in the seats looked just like Marylou. It was the Denver Night; all I did was die.

Down in Denver, down in Denver

All I did was die“

Jack Kerouac, On the Road, part three, chapter one, 1955

Tristan wurde langsam unruhig. Seit Juni 1982 verfolgte er alle Beiträge im Fernsehen und in der Presse, die mit der Documenta 7 in Kassel zu tun hatten. Sie lief nur noch bis zum 28. September, und nun war schon der 16. September. Es hatte auch damit zu tun, dass Christian immer mal wieder sagte, dass er vielleicht mitkommen wollte, sich aber nie konkret ausdrückte.

Er wartete, bis Christian in seinem Zimmer war und stellte ihn zur Rede. Nach kurzer Überlegung entschied sich Christian, mitzukommen. Die Frage war jetzt nur noch, sollten sie mit dem DS oder mit der XT fahren, also schauten sie in der Zeitung nach der Wettervorhersage, fanden, dass das Wetter gut genug war, um die Enduro zu nehmen , und beschlossen, am nächsten Tag nach der Arbeit loszufahren.

So kam es, dass Tristan und Christian am Freitag, den 17. September 1982 auf Tristans Yahama XT500 losfuhren. Der Vorteil am Grenzkontrollpunkt Dreilinden war, dass man mit dem Motorrad an der langen Autoschlange vorbei ganz nach vorne durchfahren konnte, um dem DDR-Volkspolizisten die Ausweise zu überreichen. Kurz darauf winkte der nächste VoPo aus seinem Häuschen heraus, und sie konnten nach vorne fahren, mussten kurz die Helme absetzen, damit der VoPo die Ohren mit dem Passfoto vergleichen konnte, nahmen ihre Pässe mit dem Laufzettel wieder in Empfang, und los ging die Fahrt.

Die Enduro war kein geeignetes Motorrad für eine lange Autobahnfahrt. Der Tank war klein, die Vibrationen am Lenkrad höllisch und das Stollenprofil der Reifen sehr laut. Sie mussten oft tanken, und bevor Tristan die Zapfsäule abnahm, musste er einige Minuten warten, weil seine Hände durch die starke Vibration völlig gefühllos waren.

Sie entschieden sich, einige Kilometer vor Kassel ein Hotel zu suchen, und so fuhren sie bei Lutterberg von der A7 ab, Sie fanden gleich im Ort einen Landgasthof, hielten, und fragten nach zwei Zimmern für zwei Nächte. Es war gerade mal noch ein Doppelzimmer frei. Sie überlegten, wenn hier draußen nur noch ein Zimmer frei war, so würde es immer schlechter werden, je näher sie an die Stadt kamen und entschlossen sich, das Doppelzimmer zu nehmen. Sie bestellten in der Gaststube etwas zu essen, tranken noch 2 Bier und gingen nach oben ins Zimmer. Tristan machte den Fernseher an, und Christian versuchte, gleich einzuschlafen bevor Tristan zu schnarchen anfing. Das klappte ganz gut, und am nächsten Morgen, nach dem spärlichen Frühstück, machten sie sich wieder auf den Weg.

Sie stellten das Motorrad in der Straße gegenüber der Wiese vor dem Fridericianum ab.

Tristan hatte im Fernsehen schon oft Aufnahmen von dem riesigen, aufgetürmten Haufen mit Basaltblöcken vor dem Fridericianum gesehen, aber ihn nun in Natura mit eigenen Auge zu sehen, ließ ihn erst mal innehalten. Es sah irgendwie wie eine Baustelle aus, als ob jemand eine Grube ausgehoben hätte, und den Schutt hier aufgetürmt hätte. Sie näherten sich diesem Haufen, auf dem schon einige Kinder rumturnten, bemerkten aber sogleich eine Ansammlung von Menschen mitten auf dem Haufen. Sie kämpften sich durch die Menge von Schaulustigen und Fernsehkameras und sahen ihn nun vor sich. Joseph Beuys, mit riesigen Asbesthandschuhen war gerade dabei, einen Schmelztiegel voll flüssigem Gold in eine Form zu gießen. Später erfuhren sie, dass es das Gold einer Kopie der Zarenkrone war, die in die Form eines Hasen gegossen wurde als eine Aktion gegen Tierversuche.

Sie wollten in Ruhe durch alle Veranstaltungsräume schlendern, das Fridericianum, die Neue Galerie, und die Orangerie. Aber vor allen Dingen waren sie auf der Suche nach den Werken der Jungen Wilden, Jörg Immendorff, Georg Baselitz, Anselm Kiefer und natürlich Salomé. Christian hatte schon mal eine Party in seiner Galerie am Moritzplatz besucht, und Beide waren natürlich dabei, als Salomé mit seiner Punkband „Geile Tiere“ im Dschungel aufgetreten war. Beide hatten die vage Hoffnung, dass sie ihn vielleicht treffen würden, sahen ihn aber nicht. Im Nachhinein waren sie sogar froh darüber, denn Salomé hätte sie bestimmt nicht wieder erkannt, er wäre wahrscheinlich sogar genervt gewesen, wenn sie ihn angesprochen hätten. So blieb ihnen wenigstens diese Enttäuschung erspart.

Sie traten heraus aus der Orangerie, gingen links zu den Karlsauen und bewunderten die riesige Spitzhacke von Claes Oldenburg, zu der Tristan bei seinen späteren Besuchen der Documenta alle 5 Jahre immer wieder pilgern würde.

Dann sahen sie in der Ferne am Ende der Parkanlage einen kleinen Pavillon, schauten in ihren kleinen Führer und lasen, dass dort eine Skulptur von Rebecca Horn ausgestellt ist.

Als sie dort ankamen, sahen sie auf dem Boden eine halbrunde Edelstahlplatte, von der nach hinten viele Stacheln aus Edelstahlstäben herausragten. Sie schauten sich fragend an, ob das nun alles war, aber dann fingen diese Stacheln an, sich nach oben zu bewegen und bildeten nach einigen Minuten einen großen Halbkreis, den man sich mit einiger Fantasie als Pfauenrad vorstellen konnte, und so hieß sie auch, die Skulptur, die Pfauenmaschine. Zwölf Jahre später sollte Tristan diese Skulptur wieder sehen, in der Neuen Nationalgalerie in Berlin bei der ersten großen Einzelausstellung von Rebecca Horn.

 

Gegen Nachmittag, nachdem sie noch durch Kassel geschlendert waren, wollte Tristan die Enduro mit dem Kickstarter antreten, rutsche aber mit dem Fuß ab, die Maschine fiel zur Seite, und der Bremshebel am Lenker brach ab. Nun war guter Rat teuer, sollten sie es wagen, sich nur auf die Fußbremse zu verlassen, oder irgendwie nach einen Ersatz suchen. Sie fuhren vorsichtig los, aber schon bald war klar, ohne die Handbremse war es viel zu gefährlich, den weiten Weg nach Hause zu fahren.

Sie hielten an der nächsten Tankstelle und fragten den Tankwart um Rat. Dessen Gesicht hellte sich auf, er machte eine Geste, die besagte, dass er seit Jahren auf diese Gelegenheit gewartet hatte. Er führte sie zu der Werkstatt neben dem Kassenhäuschen und zeigte auf die Schnur, die an der Wand gespannt war. Dort waren zirka zwanzig verschiedene Handhebel für Motorräder aufgefädelt. Tristan und Christian konnten es kaum glauben. Der Tankwart schaute sich den abgebrochenen Hebel an, suchte einen vergleichbaren Hebel raus, fädelte ihn ab, hielt ihn an den Lenker und sagte „Ich glaube, der passt. Wenn nicht allzu viel los ist, könnte ich es in einer halben Stunde schaffen. Also lauft noch ein wenig rum. Wir sehen uns.“

Nach einer halben Stunde stand die Maschine schon vor der Werkstatt bereit. Der Tankwart wollte gerade mal fünfzehn DM haben. Tristan gab ihm 20,- DM, und sie fuhren los zum Landgasthaus in Lutterberg.

Schon am Ortseingang war ein großes Transparent über die Straße gespannt. „Schützenfest - 18. Und 19. September 1982“. Das war jetzt genau das Richtige. Sie stellten die Maschine vor dem Gasthaus ab, gingen zur Festwiese und versuchten, den Vorsprung, den die Dorfbewohner schon hatten, einzuholen, was ihnen natürlich nicht gelang.

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