Bayerisch Kalt

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Bis dass der Tod euch scheidet, eben. Und ich bin es jetzt, der ihren letzten Funken Hoffnung, sofern dieser noch glimmt, löschen muss.

Während der Fahrt nach Moosbach, dem Wohnort des jungen Paares, gehe ich noch einmal in Gedanken die ersten Fakten durch. Ich werde Verena damit konfrontieren müssen, dass der Täter ihren Mann nicht nur töten wollte. Er wollte Silvian lebendig verbrennen! Nicht der Wagen hat sich beim Unfall entzündet. Er war es, der zuerst gebrannt hat. An der Flucht gehindert durch Handschellen aus dem Erotiksortiment einer einschlägig bekannten Handelskette. Nicht sonderlich stabil, aber feuerfest genug, um nicht in der Flammenhölle des Fahrerhauses zu schmelzen. Für den Zweck ausreichend eben. Die Kollegen versuchen, den Laden und Näheres über einen möglichen Käufer herauszufinden. Ein dünner Faden Hoffnung, an den sie sich klammern. Nach meiner Erfahrung verschenkte Zeit.

Silvian Lazar war zum Zeitpunkt seines Todes trocken wie ein Schwamm in der Wüste, sagt die Gerichtsmedizin. Kein Alkohol, keine Drogen, keine Medikamente. Er starb an einem neurogenen Schock, ausgelöst durch die kaum vorstellbaren Schmerzen.

Vielleicht eine Enttäuschung für den Täter? Warum diese Art des Todes? Eine Warnung? Rache? Vergeltung?

Oder auch, und davor habe ich am meisten Angst: Freude am Leid des anderen. Ein Psychopath und Sadist wäre das Letzte, was ich hier im Bayerischen Wald haben möchte.

Hier nicht und nirgendwo.

*

Das Haus, das Verena Lazar nun allein bewohnen wird, ist nicht zu übersehen. Am Ortsrand Moosbachs gelegen, hebt es sich durch seinen modernen Baustil von den übrigen Gebäuden des Dorfes ab. Schon der Garten des mit einem herrlichen Blick über die Hügel des Bayerischen Waldes gesegneten Anwesens riecht förmlich nach Geld. Silvians Geschäftsführergehalt konnte sich offensichtlich sehen lassen.

Ob er deshalb diese attraktive Frau abbekam? Verena Lazar hat alles, was man von einer schönen Frau erwartet. Auch die tiefen Ringe um die geröteten Augen, die eine Nacht mit Tränen, wenig Schlaf und vielen Ängsten verraten, können das hübsche Gesicht nicht verunstalten.

»Kommen Sie herein«, bemüht sie sich um Fassung, ohne meinen Dienstausweis, den ich gewohnheitsmäßig zücke, auch nur anzusehen. Sie führt mich in ein riesiges Wohnzimmer. Durch eine vollverglaste Außenwand fällt der Blick hinaus in den Garten. Auch hier grüßen aus jeder Ecke Wohlstand und Reichtum.

»Frau Lazar. Ich muss Ihnen leider sagen, dass die DNA-Proben übereinstimmen. Der Tote ist Ihr Mann. Es tut mir wirklich leid.«

Sie nickt mechanisch. Obwohl sie mit diesem Ergebnis rechnen musste, ist es doch immer wieder dieser Augenblick der letzten Gewissheit, der dem Menschen die Endgültigkeit des Todes vor Augen führt. Erschöpft lässt sie sich in einen der Sessel fallen und stützt den Kopf in die Hände. Sie sagt nichts. Was sollte sie auch? Ich lasse ihr einige Sekunden, beobachte, wie ihre Augen groß werden. Ein Wort meiner Vorstellung hat die richtige Stelle in ihrem Kopf erreicht.

»Kriminalpolizei! Warum Kriminalpolizei? Silvian hatte doch einen Unfall? Ich habe ihn immer wieder gebeten, nicht so zu rasen. Er hat nie auf mich gehört. Er liebte schnelle Autos. Es war doch ein Unfall?«

Jetzt wird es richtig übel. Ich hole tief Luft. Und dann erzähle ich ihr von Feuer und Handschellen.

Die junge Frau, die seit dieser Nacht Witwe ist, läuft ziellos durch den Raum. Endlich bleibt sie vor mir stehen.

»Sie wollen mir sagen, dass Silvian ermordet wurde? Nein, nicht ermordet. Verbrannt! Wollen Sie das sagen?«

Ihre Augen starren mich an. Wie auch soll sie das Unglaubliche glauben?

»Frau Lazar, bitte setzen Sie sich.« Ich nehme sie bei der Hand und führe sie zur Couch. »Ich weiß, diese Frage klingt naiv, aber sie gehört nun mal zum Programm: Hatte Ihr Mann Feinde? Ich meine, Feinde, die ihm so einen Tod wünschen.«

Sie atmet tief durch. »Geschäftlich weiß ich das nicht, aber privat sicher nicht. Er hatte sogar ziemlich viele Freunde.«

»Durch sein Engagement für den Fußball?«

»Das sicher auch. Aber auch in der Firma war Silvian gern gesehen. Das Betriebsklima dort soll sehr gut sein. Die Bezahlung übrigens auch.«

»Wie lange schon kennen Sie Ihren Mann?«

Sie blickt auf ihre Hände, den Ring an der rechten. »Ich habe Silvian zum ersten Mal in Straubing getroffen. Beim Eishockey. Die Tigers haben gegen die Augsburg Panthers gespielt. Ich war mit Freunden dort. Silvian saß eine Reihe hinter mir. Nach der Schlusssirene hat er mich aufgehalten und gefragt, wer gewonnen hat. Er sagte, er habe die ganze Zeit nur mich angesehen und keine Minute des Spieles mitbekommen. Ich fand das lustig und romantisch zugleich. Wir haben unsere Handynummern ausgetauscht. Tja, so ging es los. Silvian war nett und charmant. Und er hat mich auf Händen getragen. Und das auch noch nach unserer Hochzeit. Wir haben vor vier Monaten geheiratet.«

So viel zum Kirchbacher Geheimdienst. Jasmin und Kathy müssen wohl ihre Ohren auf andere Neuigkeiten ausrichten. Verena Lazar hat ihren Mann nicht betrogen. Auch nicht mit diesem Schönling von einem Fußballer. Dessen bin ich mir ganz sicher.

Wieder blickt sie auf den Ring an ihrem Finger, zögert. »Das Haus haben wir gekauft. Der frühere Besitzer hat sich übernommen. Silvian sagte, es war ein Schnäppchen, was immer das heißen mag. Ich denke, es war noch immer teuer genug. Aber er war ja Geschäftsführer und hat richtig gut verdient.«

Seltsam, denke ich. Sie scheint über ihre finanzielle Situation kaum Bescheid zu wissen. Hat sie das alles ihrem Mann überlassen?

»Als Nächstes wollten wir ein Kind.« Sie kann jetzt die Tränen nicht mehr zurückhalten. Jahrelange Erfahrung hat mich gelehrt, für diese Situationen tiefster Verzweiflung gewappnet zu sein. Ich reiche ihr ein blütenweißes Taschentuch. Eine schmale Brücke des Vertrauens.

Die beiden waren eine deutsche Musterfamilie. Hochzeit, Haus, Kind. Wie gemalt. Bis gestern jedenfalls. Gestern entschied sich jemand, diesen Lebensplan zu durchkreuzen.

»Wie würden Sie Ihre Ehe bezeichnen? War es eine glückliche?« Diesmal zögert sie nicht. »Ja, das war sie. Ich war glücklich. Silvian war ein wunderbarer Ehemann.«

War! In dem Augenblick, da sie das Wort ausspricht, wird ihr erneut dessen Tragweite bewusst. Sie schließt die Augen und lehnt sich schluchzend zurück. Eine Minute später hat sie sich wieder gefangen. »Entschuldigung«, flüstert sie.

Ich nicke ihr zu. »Hatte Ihr Mann Familie? Ich meine, ist er allein nach Deutschland gekommen?«

»Er hatte keine Eltern mehr, wenn Sie das meinen. Aber er war nicht allein. Silvian hat zwei Onkel, die sich um ihn kümmern. Ich habe die beiden noch nicht oft gesehen. Eigentlich nur zur Hochzeit. Ja, da waren sie alle da. Auch jede Menge Cousinen und Cousins. Einige kamen sogar aus Rumänien. Silvian sagte, dort sei Familie alles und die Hochzeit eines Familienmitglieds zu versäumen undenkbar. Diejenigen, die in Deutschland leben, haben alle Karriere gemacht. Soviel ich weiß, fehlt es ihnen nicht an Geld. Das stimmt wohl, wenn ich an die Autos denke, mit denen sie damals vorgefahren sind.«

»Arbeiten bei der GME noch andere Verwandte Ihres Mannes?«

Sie überlegt kurz. »In Kirchbach nicht, aber ich denke, in der Zweigstelle in Rumänien sicher. Aber genau weiß ich das nicht. Silvian hat nie viel über die Firma geredet.«

»War er oft geschäftlich unterwegs?«

»Ziemlich oft. Manchmal auch an den Wochenenden oder spätabends. Aber das brachte seine Stellung wohl so mit sich.«

»Hat er Ihnen gesagt, wohin er gestern Abend wollte?«

»Nein. Es war keine Seltenheit, dass er noch mal wegmusste.«

»Können Sie sich vorstellen, warum er einen Wagen der Firma genommen hat? Wo doch in Ihrer Garage wahrlich kein Notstand herrscht und er laut Ihrer Aussage gern schnelle Autos fuhr. Wieso da ein Lkw?«

Sie schüttelt den Kopf. Sie weiß es wirklich nicht. Ihr Mann ließ sie offensichtlich über so manche Dinge im Unklaren. Und sie machte sich keine Gedanken über seine Geschäfte. Entweder ist Verena Lazar von einer gewissen Naivität geprägt oder – und davon gehe ich aus – ihr privates Glück reichte ihr. Warum auch nicht?

»Nein, er nimmt öfter Fahrzeuge der Firma. Das ist dort allen Mitarbeitern erlaubt.«

Sie spricht wieder in der Gegenwart von ihm. Noch immer hat sie sein Tod nicht vollständig erreicht. Versteckt in einer Ecke ihres Bewusstseins lächelt Silvian ihr noch zu, hält er sie noch in den Armen.

Ich will sie nicht länger quälen. »Vielen Dank, Frau Lazar, dass Sie sich trotz der schwierigen Situation Zeit für mich genommen haben. Falls ich noch Fragen habe, kann es sein, dass ich noch mal bei Ihnen vorbeikomme.«

»In Ordnung. Wenn ich Ihnen helfen kann, den Mörder meines Mannes zu finden.«

Das kann ich ihr nicht versprechen. Nur, dass ich mein Bestes geben werde.

Grigore

Der Anruf erreichte Grigore auf halber Strecke zwischen München und Kirchbach. Die Freisprecheinrichtung seines Audi Q7 gestattete es ihm, mit unverminderter Geschwindigkeit weiter nach Osten zu fahren. Für gewöhnlich war er ein guter Fahrer, doch die Nachricht vom Tod seines Neffen warf ihn aus der Bahn.

Seltsam, dachte er. Früher hatte er nicht nur innerhalb der Familie als eiskalt gegolten. Dabei war er das nie gewesen. Er vermied es jedoch mit eiserner Disziplin, seine Gefühle nach außen dringen zu lassen. Disziplin, das war sein Credo, seit er denken konnte. Nur so hatte er es an die Spitze der Organisation geschafft. Damit und mit Härte und Grausamkeit.

 

Doch davon wollte er nichts mehr wissen. Diese Zeit war vorbei. Es galt, die Familie zu schützen. Auch vor dem Zugriff des Staates. Und deshalb mussten die Geschäfte sauber wie eine Schneeflocke im Winter aussehen.

Allein schon wegen Milan. Mit ihm hatte Grigores neues Leben begonnen. Der Sohn seiner Tochter Ada war nicht nur der erste in Deutschland geborene Lazar. Er war auch ein kleiner Engel, der das kalte Herz seines Opas mit jedem Lächeln ein Stück mehr schmolz. Ihn im Arm zu halten, war mehr wert als alles Geld dieser Welt. Milan verdiente es, nicht als Teil einer Familie aufzuwachsen, die von der Polizei und der Konkurrenz gejagt wurde. Nein, er sollte als unbescholtener Mensch durchs Leben gehen können.

Unbescholten und wohlhabend natürlich. Die Vergangenheit des Großvaters sollte ihm dabei nicht im Wege stehen. Er hatte alles für dieses neue Leben getan.

Die Firma: Sie sollte absolut sauber arbeiten. Keine Steuertricksereien, gute Bezahlung der Mitarbeiter, keine geschäftlichen Unregelmäßigkeiten.

Der neue Wohnort: nicht in einer Großstadt, nicht in einem der mondänen Orte an einem der Bilderbuchseen im Voralpenland. Ein kleines Dorf im Bayerischen Wald. Abgelegen und unauffällig. Hier konnte man die Anerkennung der Leute noch durch Höflichkeit und Hilfsbereitschaft gewinnen. Dazu das Engagement für die örtlichen Vereine. Das kam gut an. Alles lief wie geplant.

Und jetzt das! Silvian tot. Ermordet! Verbrannt!

Verena hatte Mühe gehabt, zwischen Tränen und Schluchzen die Einzelheiten zu schildern. Auch die Polizei war schon bei ihr gewesen.

Warum Silvian? Schickte sich die Vergangenheit an, Grigores Traum zu zerstören?

Er verdiente diesen Traum nicht. Er wusste das, und dennoch war er nicht bereit, freiwillig daraus zu erwachen.

Das Gleiche galt für den Mann am anderen Ende der Leitung. Ludovic war der Jüngste von ihnen und er war der Mann fürs Grobe. Während er, Grigore, stets versucht hatte, ihre oftmals gefährlichen Geschäftspartner mit Argumenten zu überzeugen, scheute sein Bruder nicht davor zurück, auch mal die Fäuste oder eine Waffe einzusetzen. Dies war früher häufiger nötig gewesen, als es Grigore recht gewesen war. Ludovic und Ghenadie, der als Ältester unter ihnen die Firma bis zu seinem Tod leitete, hatten Kunden und Schleuser jedoch stets überzeugen können, dass es für sie das Beste war, mit den Lazar-Brüdern zu kooperieren. Zusammen hatten sie aus dem Familienbetrieb in kurzer Zeit ein kleines Kartell geformt, das am Ende nicht nur die Familie ernährte, sondern auch andere Bewohner Muntele Reces, jenes kleinen Ortes in den Rumänischen Karpaten, den sie verlassen hatten, um das Glück zu suchen. Jetzt leitete Ludovic dort ihren Zweigbetrieb, der nicht weniger als das Ende der Hoffnungslosigkeit für die Menschen des Dorfes bedeutete. Grigore wusste, sein Bruder würde seinen Seelenfrieden nur in ihrer beider Heimat finden. Außerdem – bei dem Gedanken huschte ein Lächeln über sein Gesicht – war Ludovic ein miserabler Geschäftsmann und es hätte nicht lange gedauert, bis er mit dem deutschen Rechtssystem in Konflikt geraten wäre.

Auch jetzt konnte er sein aufbrausendes Wesen nicht bezähmen. »Was ist los bei euch da drüben? Kannst du mir sagen, was das mit Silvian soll?«

Ludovic wusste also Bescheid. Das verwunderte nicht. Nachrichten, die die Familie betrafen, machten schnell die Runde. Dafür sorgten die Frauen, und in Zeiten des Internets gab es die alten Grenzen nicht mehr.

»Na was? Er wurde ermordet. Sicher nicht freiwillig, oder?«

»Bestimmt nicht auf diese Weise. Aber warum? Was hat der Kerl wieder angestellt? Hat er sich auf irgendwelche Geschäfte eingelassen?«

Das fragte sich auch Grigore. Sein Neffe pflegte einen aufwendigen Lebensstil und es würde nicht überraschen, wenn die Anteile aus den ehemaligen Geschäften und das Gehalt, das er ihm über die GME zahlte, hierfür nicht ausreichten. Silvian war nicht der Hellste in der Familie und er hatte sie alle in die größten Schwierigkeiten gebracht, die man sich nur vorstellen konnte. Sein Versagen und das der beiden anderen hatte das Ende der kriminellen, aber auch goldenen Ära ihres Unternehmens eingeläutet. Seine Unbesonnenheit und seine Feigheit. Aber er gehörte zur Familie.

»Silvian war ein Idiot! Das weißt du genauso gut wie ich. Wir hätten ihm die Geschäftsleitung der GME nie übertragen dürfen. Er hatte diese zweite Chance nicht verdient. Und die beiden anderen auch nicht.«

Sogar im Wissen um den furchtbaren Tod seines Neffen konnte Ludovic seine Verachtung nicht verbergen. Zu tief saß der Stachel des Versagens. »Wir hätten noch so viel Geld machen können. Das ganze letzte Jahr. Diese feige Memme hat uns alles verdorben.«

»Jetzt fang nicht wieder damit an!« Er konnte die alte Leier nicht mehr hören. »Ich hab genug davon. Wir haben das gemeinsam entschieden, und glaube mir, es war gut so.« Grigore dachte an Ada und Milan.

Er wusste, für Ludovic war es nicht gut. Mitte des Jahres 2015, als das anfängliche Rinnsal der Flüchtlinge die Ausmaße eines gewaltigen Stromes angenommen hatte, war ihr Unternehmen auf dem Höhepunkt gewesen. Vom ersten Fuß, den ein Rettung suchender Syrer, Afghane oder Libanese in eines der überladenen Boote setzte, bis zu dem Zeitpunkt, da er erstmals deutschen Boden betrat, hatte die Familie alles organisiert. Und für alles kassiert natürlich.

»Gott sei Dank muss Ghenadie nicht mehr erleben, was für ein Versager aus seinem Sohn wurde.«

Ludovic konnte es nicht lassen. Und das Schlimmste daran war, er hatte recht. Ghenadie war es gewesen, der die Weichen für ihren Aufstieg gestellt hatte. Er hatte die Kontakte zu den richtigen Stellen geknüpft. Ghenadie hatte sich nicht einmal gescheut, europäische Fördertöpfe anzuzapfen. Diese und das illegale Geld hatten die kleine Fabrik für Computerzubehör schnell wachsen lassen. Seit dem Umzug nach Deutschland sprudelte sie nun als neue Haupteinnahmequelle der Familie.

»Ich bin froh, dass unser Bruder nicht mehr erleben musste, dass sein Sohn bei lebendigem Leib verbrannt ist«, sagte Grigore. Er hörte den jüngsten der Söhne von Mugur und Caralina Lazar tief durchatmen. Vielleicht begriff er endlich, wie tragisch das Ganze war.

»Wichtiger ist es jetzt herauszufinden, warum er ermordet wurde.«

»Ja, du hast recht. Denkst du, es hat etwas mit dem Missgeschick zu tun?«

Missgeschick! Was für eine euphemistische Bezeichnung für ein Ereignis, das die Medien als die schlimmste Tragödie seit Menschengedenken bezeichnet hatten.

»Hm. Vielleicht! Silvian wurde verbrannt. Vergeltung drängt sich da als Motiv schon auf.«

»Was sollen wir tun?«

»Nichts! Vorerst können wir nichts tun.«

»Nichts? Und die Hochzeit? Willst du nichts wegen der Hochzeit unternehmen?«

Richtig! Die Hochzeit!

»Wann wolltest du kommen?«

»Ich hatte für Donnerstag geplant. Zwei Tage vor der großen Feier. Die anderen aus der Familie werden erst am Freitag in München landen.«

»Gut! Hör zu! Reserviere drei Tickets mehr! Du solltest noch ein paar der Jungs aus dem Dorf mitbringen. Du weißt schon, wen. Sechs zusätzliche Augen können nicht schaden«, sagte er.

Und drei Pistolen mehr auch nicht, fügte er lautlos hinzu.

Ich

Silvian Lazar gönnte sich zu Lebzeiten unter anderem den Luxus, das Vorzimmer seines Büros durch eine wahre Schönheit zu verzieren. Und es ist nicht nur Jenny Schneiders Äußeres, das ihm den täglichen Gang zur Arbeit erleichterte. Auch ihr Wesen ist von einnehmender Art, als sie mir einen Stuhl und eine Tasse Kaffee anbietet. Gewiss hat sie schon jemanden von der Polizei erwartet. Der Unfalltod ihres Chefs hat unter den Mitarbeitern der GME schnell die Runde gemacht. Auch dass der Chefsessel nicht aufgrund der verlorenen Kraftprobe zwischen dem firmeneigenen Lkw mit einem Baum seit heute verwaist ist. Kein Wunder. Es waren genügend Helfer des Roten Kreuzes und einiger Feuerwehren vor Ort. Ein Ereignis wie dieses schreit geradezu danach, verbreitet zu werden. Entsprechend gedrückt ist die Stimmung auf dem Gelände der Green Mountain Electronics. Gäbe es eine Fahne, sie würde auf Halbmast wehen. Ich genehmige mir einen Schluck des Kaffees.

»Sie haben sicher schon damit gerechnet, dass jemand von der Kripo hier auftaucht.«

Sie nickt wortlos.

»Wie lange sind Sie schon hier in der Firma?«, eröffne ich das Frage-Antwort-Spiel.

»Von Anfang an. Die GME gibt es noch nicht sehr lange. Und hier in Kirchbach erst seit letztem Jahr. Ich habe einige Stellenanzeigen in der Zeitung gesehen, mich auf eine beworben und wurde eingestellt.«

»Dann kennen Sie sicher alle Mitarbeiter bestens?«

»Nun ja, ich denke schon.«

»Ich bin auf der Suche nach Nadim Hemedi. Können Sie mir etwas über ihn sagen?«

»Nadim?« Das Warum bleibt unausgesprochen und steht doch im Raum. Und es bleibt unbeantwortet. Wie soll ich ihr auch erklären, dass ich den ersten Abdruck der Spur zu ihm auf dem Kirchbacher Fußballplatz gefunden habe.

»Herr Hemedi. Ja! Ich hörte, er arbeite hier und sei auch für den Fuhrpark zuständig.«

»Nadim ist so ziemlich für alles zuständig. Er ist ein richtiger Tausendsassa, müssen Sie wissen. Zuerst hat ihn der Chef ja nur wegen des Fußballs eingestellt. Das kann er nämlich auch. Ich verstehe zwar nichts davon, aber wenn es stimmt, was die anderen sagen, sind er und sein Freund, der Miro, richtig gut.«

»Und seit wann sind diese Wunderknaben bei der GME?«

»Nur Nadim. Miro arbeitet droben für den Fürsten. Arberbergbahn und so.«

Stimmt. Das haben sie ja am Fußballplatz auch schon gesagt. »Und Herr Hemedi?«

»Das dürfte etwa sechs oder sieben Monate her sein. Ja, es war kurz vor Ostern, da war der Herr Pfarrer mit ihm hier.«

Ich sehe ihre Augen glitzern. Auch ihre Wangen und ihre Stimme verraten es. Nadim Hemedi ist für Jenny Schneider mehr als nur ein Hausmeister.

»Der Pfarrer?«

»Der Pfarrer aus Bad Kötzting kümmert sich besonders um die Flüchtlinge. Er organisiert Sammlungen und Veranstaltungen für sie. Für Nadim hat er eine Wohnung im Pfarrheim zur Verfügung gestellt und dann einen Job für ihn gesucht.«

»Einen Job? Als Asylsuchender darf er doch in Deutschland nicht arbeiten.«

»Nadim war zu diesem Zeitpunkt schon als Asylant anerkannt. Bei ihm ging das besonders schnell, hat er mir einmal gesagt. Warum, kann ich nicht sagen. Vielleicht, weil er so gut Deutsch kann. In den Asylunterkünften, in denen er sein erstes Jahr in Deutschland verbrachte, hatte er sehr viel Zeit, müssen Sie wissen. Und er wollte unbedingt unsere Sprache beherrschen. Während die meisten anderen nur rumlungerten, hat er jede Minute genutzt, um zu lernen.«

»Hat er Ihnen das auch erzählt?«

»Natürlich. Wenn man miteinander arbeitet, ergibt sich auch so manches private Gespräch.« Sie lächelt verlegen. »Jedenfalls hat der Pfarrer mit Silvian gesprochen und am selben Tag hat Nadim bei uns angefangen. Ich glaube, der Chef hat das nie bereut.«

Und du auch nicht, denke ich. »Was macht Herr Hemedi in der Arbeit so alles?«

»Alle kleinen Reparaturen, die so anfallen. Als Hausmeister ist er große Klasse. Er kümmert sich um alles.«

Auch um Sie?, möchte ich fragen, besinne mich aber rechtzeitig auf meine Aufgabe. »Auch um die Fahrzeuge der Firma?«

»Ja, um die auch. Wenn es kleinere Reparaturen sind. Er kontrolliert alle Fahrzeuge regelmäßig. Bei größeren Mängeln fährt er sie in die Werkstatt.«

»Und wo ist Herr Hemedi gerade?«

»Er hat sich heute Vormittag freigenommen. Als ob er das mit Silvian geahnt hätte.« Ihre Stimme wird zum Flüstern. Einen Herzschlag blickt sie aus dem Fenster, dann wendet sie sich wieder mir zu. »Er sagte, er müsse heute dem Pfarrer helfen. Sie sollten ihn in Bad Kötzting im Pfarrhaus finden.«

Anscheinend ist mein Blick ein einziges Fragezeichen.

»Nadim hilft dem Pfarrer, wenn es im Pfarrhaus oder der Kirche etwas zu reparieren gibt. Er will sich damit für die Unterstützung bedanken, sagt er.« Jetzt kann es ihre Stimme nicht mehr verbergen. Sie hat sich in das fußballspielende Handwerksgenie verknallt.

»Wie war eigentlich Herr Lazar so? Als Chef, meine ich.«

Überrascht vom Wechsel des Themas zögert sie einige Sekunden. »Es war sehr angenehm, mit ihm zusammenzuarbeiten.«

 

»Angenehm?«

»Ja, ich weiß. Blöder Ausdruck. Er hat mir viele Freiheiten gelassen. Der Chef war oft unterwegs. Er hat sich in die Betriebsabläufe nicht so sehr … äh … integriert. Er sagte, ich solle nur machen. Hauptsache, der Betrieb läuft.«

»Und? Läuft er?«

»Mehr als das. Er spurtet geradezu. Grigore Lazar war bisher mehr als zufrieden mit mir.«

Der Stolz in ihrer Stimme deckt sich mit dem in ihrem Gesicht. Warum auch nicht? Wenn sie tatsächlich die Firma ohne ihren Chef leitet. Der Geschäftsführer der GME war anscheinend mehr am süßen Leben interessiert.

»Grigore Lazar ist einer der Eigentümer der Firma, ja?«

»Er hat sich einen alten Bauernhof gekauft und wohnt jetzt dort. Erst seit ein paar Wochen.« Und er weiß, dass ich es bin, die den Laden hier schmeißt, möchte sie noch sagen, muss es aber nicht. Ich höre es auch so.

»Na dann, das war’s fürs Erste. Vielen Dank für Ihre Zeit und den Kaffee. War ausgezeichnet.«

Wenn auch nicht so perfekt wie Rosi Geigers schwarze Delikatesse, denke ich.

»Gerne. Herr Kommissar?« Sie schluckt. »Hat der Mörder den Chef wirklich lebendig verbrannt?«

Mit einem Nicken wische ich sämtliche Farbe aus ihrem Gesicht.