In Freiheit dienen

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3 FREI, ARM UND DIENSTBEREIT - Das Wie geistlicher Führung

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Gegen Ende des ersten Jahrtausends nach Christus war die christliche Kirche in Westeuropa in bedauernswertem Zustand. Politische Unruhen hatten die Kirche in die Arme von Fürsten und Königen getrieben, nur um überleben zu können. Und wie immer hing am Schutz der Obrigkeit ein großes Preisschild. Für die Machthaber waren Kirchen und Klöster Quellen ökonomischer Einnahmen und geistlicher Legitimation. Priester und Bischöfe wurden politisch eingesetzt.

Theologische Kenntnisse und dementsprechend auch die Predigtinhalte waren in den Gemeinden äußerst dürftig, da es für kirchliche Diener keine richtige Ausbildung gab. Die Gottesdienste dienten in erster Linie dem rituellen Segnen von Menschen und Äckern, mit geringer bis überhaupt keiner geistlichen Führung im christlichen Leben. Wäre die Kirche ein rein menschliches Projekt gewesen, wäre sie im Laufe der Zeit langsam verwittert und untergegangen.

Der Kirchenhistoriker Kevin Madigan schreibt:

Überall war das kanonische Gesetz der Kirche unbekannt oder man scherte sich nicht darum. Kirchenämter wurden gekauft und verkauft. Die Priester lebten ohne sexuelle Moral. Säkulare Herrscher setzten Bischöfe und Äbte ein. Sie bauten sogar Privatkapellen ohne Aufsicht von Bischöfen oder geweihten Priestern. Unter diesen Bedingungen war es unmöglich zu sehen, dass die Christenheit auf der Schwelle zu einer epochalen Erneuerung stand.13

In allen Bereichen der Kirche, vom kleinen Kloster in der Peripherie bis hin zur Kurie in Rom, begann man davon zu sprechen, dass es dringend notwendig sei, sich aus dieser babylonischen Gefangenschaft unter den politischen Mächten zu befreien. Ein großer Schritt war die Gründung des Klosters von Cluny in der französischen Bourgogne im Jahr 909. Das Kloster wurde zu einem wichtigen Zufluchtsort vor politischen Übergriffen. Im Laufe der Zeit baute es ein Netzwerk mit 500 bis 2000 Tochterklöstern (es liegen unterschiedliche Zahlen vor) auf, die sich über große Teile Europas verteilten.

Wichtige Antriebskraft dieser Bewegung war die Rückkehr zum Neuen Testament. Sowohl die rituellen Gottesdienste als auch die theokratische Geistlichkeitskirche hatten sich lange Zeit vor allem auf das Alte Testament berufen. Nun kehrten immer mehr Menschen zu den Evangelien und dem Bild einer Kirche zurück, die sich durch Freiheit, Armut und Dienstbereitschaft auszeichnet. Vita apostolica war ein Ausdruck, der in den unterschiedlichsten Zusammenhängen gebraucht wurde. Ausgehend von Jesu Lehre über Besitzlosigkeit, Zölibat um des Himmelreichs willen und Gehorsam hatte man lange geglaubt, die Apostel seien Mönche gewesen. Aber hatten die Apostel wirklich in Klöstern gelebt?

An vielen Stellen und zu unterschiedlichen Zeiten begannen die Menschen, christliche Führung neu zu interpretieren – nicht mehr wie zuvor an lokale Klöster gebunden. 1173 brachte Jesu Wort einen jungen und erfolgreichen Kaufmann aus Lyon dazu, alles zu verkaufen und den Armen zu geben. Waldes, so hieß er, gab seiner Frau genug, um davon leben zu können, und seinen Töchtern eine Mitgift, die diese bald darauf mit ins Kloster nahmen. Den Rest seines Vermögens verteilte er auf den Straßen von Lyon. In der Nachfolge der Apostel begann er anschließend umherzuwandern und zu predigen. Als große Neuerung besorgte Waldes sich Übersetzungen der Evangelien in die Volkssprache und predigte daraus.

Von Beginn an unterstützte der Papst Waldes in seiner radikalen Armut. Problematisch wurde es allerdings, als er nicht aufhören wollte zu predigen. Die Angst vor den damaligen »Katharern« (daraus abgeleitet der Begriff Ketzer) in Südfrankreich führte dazu, dass die Kirche allen Laienpredigern als potenziellen Irrlehrern entgegenarbeitete. Der Konflikt eskalierte und schließlich wurden Waldes und seine Mitstreiter aus der Kirche ausgeschlossen, die sie überhaupt nicht verlassen wollten.

Einige Jahrzehnte später beschritt der junge Sohn eines italienischen Kaufmanns den gleichen Weg. Wie Waldes wollte auch Franziskus ein apostolisches Leben führen. Aus verschiedenen Gründen wurde er von der Kirche akzeptiert. Das Treffen zwischen diesem bettelarmen Apostel der Gewaltfreiheit und Papst Innozenz III, der eine eigene Armee besaß, die an den Katharern Völkermord beging, gehört zu den unglaublichsten Ereignissen der Kirchengeschichte. Nachdem er anfänglich beschlossen hatte, Franziskus abzuweisen, hatte der Papst einen Traum, in dem er die Lateranbasilika einstürzen sah und eine einsame zerlumpte Gestalt ihr zur Hilfe eilte.

Der Rest ist Geschichte. Die Franziskaner und ihr spanischer Schwesternorden der Dominikaner revolutionierten die Sicht auf Kirche und Mönche im 13. Jahrhundert. Sie predigten auf den Straßen, sie lehrten die Menschen in ihrer eigenen Sprache, was es heißt, Christus im täglichen Leben nachzufolgen, und sie hielten sich nicht mit der Verwaltung von Ländereien und großen Klosteranlagen auf. Wie ein Lauffeuer breiteten sich die Bettelorden in Europas aufstrebenden Städten aus.

Und so wie vorher vielerorts die Mönche und Klöster die Kirche verkörpert hatten, bekam die Kirche nun ein anderes Gesicht. Die Leitung prägt die DNA der Kirche. Wie die Leitung, so die Kirche. Trotz all ihrer Fehler und internen Konflikte gestalteten die Bettelorden eine Kirche, die von Freiheit, Armut und Dienstbereitschaft geprägt war.

Verwirrendes Bibelverständnis

In seiner Kurzfassung im Markusevangelium lautet der zentrale und grundlegende Text dieser Bewegung so:

Er rief seine zwölf Jünger zu sich, sandte sie jeweils zu zweit aus und gab ihnen die Vollmacht, böse Geister auszutreiben. Er befahl ihnen, nichts mitzunehmen außer einem Wanderstab – keine Nahrung, keine Tasche, kein Geld. Sie sollten Sandalen anziehen, aber kein zweites Hemd bei sich tragen. »Wenn ihr in ein Dorf kommt, seid immer nur in einem Haus zu Gast«, sagte er. »Und wenn ihr in einem Dorf nicht willkommen seid oder man nicht auf euch hören will, dann schüttelt den Staub von euren Füßen, wenn ihr geht. Das ist das Zeichen, dass ihr dieses Dorf sich selbst überlasst.« Dann zogen die Jünger los und forderten die Menschen auf, sich von ihren Sünden abzukehren. Sie trieben viele Dämonen aus und salbten viele Kranke mit Öl und heilten sie.

Markus 6,7-13

Dieser Text ist ein Paradebeispiel dafür, wie ein buchstabentreues Bibelverständnis eine ganze Welt für uns verschließen und eine unglaublich wichtige Anweisung zum Thema Kirchenführung in die Randnotizen der Geschichte abschieben kann. Die Anleitung, die Jesus hier gibt, wurde zu lange von viel zu kleinen und begrenzten Bildern und Interpretationen blockiert. Deshalb verstehen wir nicht, dass Jesus hier von uns spricht.

Dämonenaustreibung wird entweder mit dem sagenumwobenen Amt des Exorzisten in der katholischen Kirche oder mit besonders charismatischen Predigern in Verbindung gebracht. Also nichts, was zu unseren Erfahrungen im Alltag als Christen gehört. Der Verzicht auf Besitz gilt nur für Mönche und Nonnen, also nicht für Otto Normalbürger. Beim Thema Heilung denken wir auch gleich an charismatische Zusammenhänge oder sind generell skeptisch. Auch mit einem umherziehenden Lebensstil können wir uns nicht identifizieren. Also lesen wir den Text wie eine interessante Beschreibung der ersten Apostel, der uns heute aber nichts mehr zu sagen hat.

Aber Jesus überreicht uns einen Schlüssel zu dieser verschlossenen Schatzkammer und liest zu Beginn seines öffentlichen Auftretens ein Manifest für seinen Auftrag in dieser Welt. In der Synagoge seiner Kindheit erweckt er den uralten Text des Propheten Jesaja zum Leben:

Der Geist des Herrn ruht auf mir, denn er hat mich gesalbt, um den Armen die gute Botschaft zu verkünden. Er hat mich gesandt, Gefangenen zu verkünden, dass sie freigelassen werden, Blinden, dass sie sehen werden, Unterdrückten, dass sie befreit werden und dass die Zeit der Gnade des Herrn gekommen ist.

Lukas 4,18-19

Alles, was Jesus danach tut und sagt, muss von diesem Manifest her verstanden werden. Jesu Spuren lassen sich in den Erfahrungen der Menschen erkennen: Freiheit, Heilung und eine neue Lebensausrichtung. Das Erkennungszeichen des Reiches Gottes ist also nicht, dass Menschen komisch und weltfremd in ihrer Spiritualität werden, sondern dass sie sich in ihrer Menschlichkeit aufrichten und beginnen das widerzuspiegeln, was Gott sich bei seiner Schöpfung gedacht hat.

In diese Bewegung bezieht Jesus uns mit ein. Der norwegische Autor und Exerzitienleiter Edin Lövås definiert, was es bedeutet, Christ zu werden: »sich mit Jesus Christus und seinen Interessen in der Welt vereinen«. Das macht Jesus deutlich, als er seine zwölf Apostel aussendet. Gemeindeleiter zu sein bedeutet, anderen den Weg zu weisen. Wie Martin Lönnebo sagt: »Jesus ist der Anführer der Gemeinde. Wer ihm folgt, führt andere richtig.«

Das heißt auch, dass Geister- und Heilungslehren, die zur Verwundung von Menschen und Zersplitterung von Gemeinden führen, diesem Text nicht gerecht werden, egal wie buchstäblich man ihn auslegt. So sagt Jesus in der Bergpredigt: »Ihr seht, man erkennt sie an ihren Früchten« (Matthäus 7,20). Wenn man spürt, wie sich die Schultern entspannen und man ruhiger atmet, wenn man erfährt, wie Wunden und Beziehungen heilen, und wenn man merkt, wie man langsam frei wird von den Mächten, die man vergeblich zu vertreiben versucht hat – dann weiß man, dass man es mit dem lebendigen Jesus von Nazareth zu tun hat. Wenn diese Kennzeichen fehlen, steht man wahrscheinlich unter anderen Einflüssen und sollte weiteren Kontakt vermeiden.

 

Heilung und Befreiung

Alles beginnt mit dem ersten Satz: »Er rief seine zwölf Jünger zu sich …« Sie werden zu Jesus, nicht zur Arbeit gerufen. Wir sind in eine tiefe, persönliche »Ich-Du«-Beziehung zu Jesus gerufen. So tief, dass Paulus den Ausdruck »in Christus« dafür verwendet.14 Dieser Weg beginnt immer damit, dass wir mit unseren Fragen und Problemen zu Jesus kommen und erfahren, dass er unsere tiefste Sehnsucht beantwortet. Der Anfang besteht nicht darin, dass wir unser Ich verstecken und uns einer Art »Spiritualität« zuwenden. Wir kommen mit unseren Wunden, unserem Sehnen, unserer Sünde, unserer Stärke und unserer Schwäche zu ihm. Und wir erfahren, dass Jesus in unser Leben einzieht.

Auf dem Weg ergibt sich dann eine Schwerpunktverschiebung, die sich sowohl beim Lesen der Evangelien als auch in den eigenen Erfahrungen erahnen lässt. Es ist nicht so, dass das eigene Ich ausradiert wird oder die eigenen Fragen zum Verstummen gebracht werden. Stattdessen richtet sich die Aufmerksamkeit mehr und mehr auf den Meister: Was will er? Wohin geht er? Was tut er? Wofür brennt er? Wie kann ich daran teilhaben?

Diese Schwerpunktverschiebung wird auch in der Fortsetzung jenes ersten Satzes deutlich: »Er sandte sie jeweils zu zweit aus und gab ihnen die Vollmacht, böse Geister auszutreiben.« »Wie der Vater mich gesandt hat, so sende ich euch« (Johannes 20,21). Das ist keine Kreditkarte, mit der wir uns davonmachen und über die wir frei verfügen können, als wäre Jesus der Schlüssel zu unserem persönlichen Führungsimperium. Es ist eine Vereinigung mit Jesus selbst, untrennbar verbunden mit ihm selbst und seiner Agenda aus Nazareths Synagoge.

Er gab ihnen Macht über die Dämonen – nicht über die Menschen. Dieser kleine Unterschied bedingt den himmelweiten Unterschied zwischen religiösem Machtmissbrauch und Teilhabe an Jesu Sendung in der Welt. Der Mensch ist nicht gesandt, um sich Macht über andere Menschen anzueignen. Der Mensch ist gesandt, um Menschen von den Mächten zu befreien, die sie fesseln.

Das setzt voraus, dass wir selbst als Erste diese Freiheit gekostet haben. Allzu oft wurde die Autorität von Leitern als Werkzeug missverstanden, das unabhängig vom Leben des jeweiligen Leiters eingesetzt werden kann. Deshalb gibt es so viele tragische Beispiele von mehr oder weniger dramatischen Doppelleben, weil derjenige, der eigentlich anderen die Befreiung verkündigen sollte, selbst von Mächten und Missbrauch geplagt war, sich aber weigerte, Seelsorge und andere Hilfe in Anspruch zu nehmen. Bis die Fassade schließlich bröckelte … und wiederum zu einem Hindernis für das Hören auf Jesu Wort wurde.

Dass Jesus ihnen Macht über die Dämonen gab, muss zuallererst bedeuten, dass sie selbst auf gewisse Art befreit wurden, bevor sie andere befreien konnten. Doch damit stechen wir oft in ein Wespennest kultureller Missverständnisse, wie das folgende Beispiel veranschaulicht:

Pastor X war zu Besuch bei einer befreundeten Gemeinde in Afrika und traf auf Menschen, die von Dämonen besessen waren. Diese wurden von den Priestern der Gemeinde mit einfachen und deutlichen Exorzismen behandelt, in denen den Geistern befohlen wurde, die jeweilige Person zu verlassen, die daraufhin frei wurde. Nach seiner Heimkehr in die ruhige und gut etablierte Gemeinde im Norden erlebt der Priester eine Glaubenskrise. Gibt es hier keine Dämonen? Oder sind wir hier nur zu feige? Was ist in der heutigen säkularen und postmodernen Gesellschaft eigentlich mit Befreiung gemeint?

Im Neuen Testament finden sich verschiedene Ausdrücke für die bösen Mächte: »Herrscher«, »Mächte«, »Kräfte«, »Herrschaften« und so weiter. Einige Vorschläge der schwedischen Bibelkommission können weiteren Aufschluss geben: »Das Wort bezieht sich auf die hochrangigen Engelfürsten, aber gleichzeitig auch auf das, was sie in der sichtbaren Welt bewachen: Himmelskörper, Elemente, Naturkräfte und politische Mächte. Es gibt keine klare Unterscheidung zwischen geistlichen Wesen und materiellen Kräften.«

Jesus sendet die Menschen aus, um in seinem Namen die destruktiven Mächte in der Form zu konfrontieren, in der sie sich manifestieren. Doch in unserem gut aufgeräumten Dasein, aus dem wir, wie aus dem Haus in Jesu Gleichnis, alle Dämonen vertrieben haben, kehren die Mächte natürlich in Gestalten zurück, die wir nicht bereit sind als Dämonen zu erkennen.15 Einige Schlagworte: Arbeit. Geld. Internet. Betrieb. Partei. Soziale Medien. Konsum. Dazu zwei einfache Fragen:

1. Gibt es etwas, das mich zu etwas verleitet, was ich gar nicht will?

2. Gibt es etwas, das mich daran hindert, das zu tun, was ich zutiefst möchte?

Langsam erkennen wir, dass Mächte nicht nur exotische Wesen in irgendwelchen afrikanischen Dörfern sind, sondern ganz konkrete Einflussfaktoren in unserem eigenen Leben. Jesusnachfolge bedeutet also stets eine Mobilisierung aufseiten der Befreiung, wo nur jene, die selbst auf irgendeine Art frei geworden sind, denen helfen können, die sich nicht losreißen können. Statt nach einer Möglichkeit zu suchen, um die eigene geistliche Führungsposition zu stärken, geht es darum, wie der blinde Bartimäus die niedrigste Position absoluter Abhängigkeit von Jesus einzunehmen und zu rufen: »Jesus, Sohn Davids, hab Erbarmen mit mir!« (Markus 10,48).

In ähnlicher Weise ist auch Heilung etwas Exklusives und Spektakuläres geworden, womit nur wenige Erfahrung haben, statt einfach der heilsame Einfluss zu sein, der von einer Person ausgeht, die nahe bei Jesus lebt. Es ist wie mit den Dämonen: Sobald man den Blick nicht mehr von der buchstabentreuen Eingrenzung einschränken lässt, eröffnet sich ein so viel größeres Feld von Jesu Einfluss auf die persönliche Befreiung und Heilung. Es geht nicht darum, Gottes befreiende oder heilende Kraft zu entmythologisieren oder zu säkularisieren. Es geht darum, das Sichtfeld zu erweitern, um auch jene Bereiche zu sehen, in denen Mächte und Wunden viel zu lange ungestört die Kontrolle übernehmen konnten, weil man überzeugt war, dass es dabei einfach nicht um so alltägliche Dinge gehen könne.

Dynamisches Zusammenspiel

Vielleicht lassen sich die beiden Seiten christlicher Führung so zusammenfassen:

• Berufung: sich mit Jesus Christus und seinen Interessen in der Welt vereinen.

• Sendung: Menschen von allem befreien, was sie an einer Antwort auf ihre Berufung hindert.

Diese beiden Aspekte spielen dynamisch zusammen. Die Gefahr bei einer scharfen Trennung zwischen Berufung und Sendung besteht darin, dass das geistliche Leben in die Berufung verlagert und so zum Arbeitsmittel degradiert und letztlich säkularisiert wird. Wir sind mit Jesus Christus in der Berufung und in der Sendung vereint, sowohl im Gebet als auch in der Arbeit. Ziel ist nicht eine einseitige Hinwendung von der Berufung hinaus in die Welt, sondern ein dynamisches Zusammenspiel, in dem sich alles auf die Berufung zu Jesus Christus bezieht und alle Energie von dieser Beziehung ausgeht.

Dieses Zusammenspiel wird besonders deutlich bei Ignatius von Loyola und der 1540 von ihm gegründeten Bewegung, der Gesellschaft Jesu (Jesuiten). In einer Zeit großer Veränderungen, 300 Jahre nach Franziskus, war es wieder an der Zeit, der Kirche ein neues Gesicht zu geben. Das europäische Weltbild war buchstäblich explodiert, als gänzlich neue Kontinente auf der Landkarte aufgetaucht waren. Der Humanismus hatte die mittelalterliche Gedankenwelt aufgemischt und die Renaissance stellte das Individuum auf neue Weise heraus. Der Buchdruck hatte die Kommunikation revolutioniert und neue Ideen verbreiteten sich so weit und breit wie nie zuvor.

Die Gesellschaft Jesu war ein apostolischer Orden und ließ die Vision der vita apostolica wieder aufleben: eine Gemeinschaft in Bewegung, die in Armut und Gehorsam den Menschen auf der ganzen Welt dienen sollte. So formulierte Ignatius es in der ursprünglichen Zielsetzung von 1540: »… die Gesellschaft wurde vor allem zu diesem Zweck gegründet: besonders nach dem Fortschritt der Seelen im christlichen Leben zu streben und den Glauben durch des Wortes Dienst, geistliche Übungen und Taten der Liebe zu verbreiten, und besonders durch die Unterweisung der Kinder und Menschen, die vom Christentum nichts wissen.«16

Um dies praktisch umzusetzen, strich Ignatius drei Elemente, die jahrhundertelang für Mönche selbstverständlich gewesen waren: Kloster, Stundengebet und Ornat. Die Inkulturation, die zum Merkmal der Diakonie und Missionsarbeit der Jesuiten wurde, setzte eine hohe Sensibilität für die umgebende Kultur und ein entsprechendes Anpassungsvermögen voraus. Hier zeigte Ignatius einen beinahe sakramentalen Respekt für die geistliche Bedeutung der Arbeit. Sowohl er als auch nachfolgende Leiter kamen oft in Konflikt mit Brüdern, die fanden, dass sie viel zu wenig Zeit zum Beten und viel zu viel zu tun hatten. Sein Sekretär Juan de Polanco schreibt in einem Brief 1551:

Mir ist aufgefallen, dass [Ignatius] lieber dazu ermutigt, Gott in allem zu finden, als lange Zeit im Gebet zu verbringen. Diesen Geist will er auch bei den Mitgliedern der Gesellschaft sehen: Wenn möglich, soll in jeder Liebeshandlung oder jedem Gehorsamsschritt genauso viel Andacht liegen wie in Gebet und Meditation. Die Brüder sollen nichts aus einem anderen Grund tun als aus Liebe und Dienst an Gott unserm Herrn.17

Erst wenn der Ruf zu Christus alles durchdringt, kann die Arbeit ein genauso guter Treffpunkt mit Gott sein wie das Gebet. Wenn dieser Fokus fehlt, wird die Arbeit eher zur Flucht vor dem Gebet und wir landen auf abschüssigem Boden Richtung Säkularisierung. Deshalb müssen wir ständig zum Gebet zurückkehren, um Christus auch in der Arbeit mit offenem Herzen begegnen zu können.

Die verderbliche Tyrannei der Augen

Jesus sandte die Apostel ohne eine Habe aus. Heute wandern die Blicke ängstlich zum Auto, dem Bankkonto, der Büchersammlung und der teuren Garderobe und wir fragen uns, was der Text mit uns zu tun hat. Wieder gilt es, den Blick zu weiten, ohne ihm gleichzeitig die Deutlichkeit in Bezug auf all das, was wir eigentlich nicht benötigen, zu nehmen.

Possessiveness ist ein schwer zu übersetzender Begriff aus dem Englischen. Er beschreibt die Neigung, sich an Besitztümern festzuklammern, sich selbst und dem Eigentum ein Monument zu errichten. – Oder auch Gottes Gaben als Selbstverständlichkeit zu erachten, auf die wir ein Anrecht haben und über die wir verfügen können. Es spielt keine Rolle, ob es dabei um die Ausbildung, die spirituelle Begabung, Erfolge und Positionen oder um Besitz und Geld geht. Oftmals fällt es viel schwerer, sich von unsichtbarem Reichtum zu befreien. Dabei kann dieser in der Nachfolge Jesu ebenso hinderlich sein.

Prestige ist ein weiterer Begriff, der die heimtückische Versuchung beschreiben kann, die eigene Identität aus all unseren Qualifikationen, Diensten und der Resonanz unserer Umgebung zusammenzusetzen. Jesus hebt in der Bergpredigt zwei Mächte hervor, die mit Gott um die Herrschaft in unserem Leben konkurrieren: Geld und die Meinung der Mitmenschen. Er sagt deutlich, dass Mächte dieser Art niemals gleichberechtigt zusammenarbeiten können. Die Frage ist immer, wer die Macht hat und wer sich unterordnen muss:

Niemand kann zwei Herren dienen. Immer wird er den einen hassen und den anderen lieben oder dem einen treu ergeben sein und den anderen verabscheuen. Ihr könnt nicht gleichzeitig Gott und dem Geld dienen.

Matthäus 6,24

Dass dieses Prinzip nicht nur für das Thema Geld gilt, ergibt sich aus dem Gedankengang des Textes. Jesus empfiehlt all jenen, die sich von der »verderblichen Tyrannei der Augen« loslösen wollen, die klassischen geistlichen Übungen: Almosen, Gebet und Fasten. Was die Mitmenschen von uns denken, kann bekanntermaßen ebenso viel Druck ausüben wie Geld und ebenso verheerende Auswirkungen auf geistliche Führung haben, sodass diese schließlich nur noch auf uns selbst und nicht mehr auf Christus deutet. Die Frage nach unserem Prestige stellt uns vor die gleiche radikale Wahl wie Geld: Entweder definiert der Vater, wer ich bin, oder andere Menschen.

Jesus zeigt den Weg zur Freiheit: der ständigen Jagd nach Bestätigung den Rücken zuzukehren und stattdessen das Antlitz des Vaters im Verborgenen zu suchen. Dies ist der einzige Spiegel, in dem wir in den richtigen Proportionen erscheinen.

 

Wenn Jesus von Besitzlosigkeit spricht, ist dies also keine Bürde, sondern Freiheit. Wer sich mit Jesus unter seinem Freiheitsmanifest aus der Synagoge von Nazareth vereint, kann nicht selbst vom Reichtum verblendet sein, sei dieser nun materieller oder geistlicher Art. »Selig sind, die da geistlich arm sind; denn ihrer ist das Himmelreich«(Matthäus 5,3; LUT). Das ist nicht nur der Schlüssel zur Bergpredigt, sondern auch zu allem christlichen Leben und aller Führung.

Nur der Arme kann empfangen. Solange wir noch in der Illusion von eigenem Reichtum und Selbstgenügsamkeit leben, wird Empfangen weiterhin ein Luxusgut bleiben. Erst wenn die Illusion zerplatzt und wir die Wahrheit über uns selbst akzeptieren, können wir die Gnade wie das tägliche Brot annehmen. Dann landet sie auch nicht im eigenen Vorrat, sondern kann freien Herzens weitergegeben werden an jene, die sie benötigen.

Es scheint einleuchtend, dass Ignatius in seinen Anweisungen an seine Mitbrüder diesen Zusammenhang zwischen innerem und äußerem Reichtum herstellte:

Armut ist wie eine Festung um die Ordensgemeinschaft herum. Um sie am Leben und in guter Ordnung zu halten und gegen viele Feinde verteidigen zu können und weil der Teufel sich genauso darum bemüht, diese Festung zu stürzen, ist es für den Zusammenhalt dieser Gemeinschaft von äußerster Wichtigkeit, dass jeder Anflug von Gier von uns vertrieben wird.18

Direkt im Anschluss heißt es: »Auch für das Wohlbefinden der Gesellschaft ist es von äußerster Wichtigkeit, mit großer Ausdauer allen Ambitionen vorzubeugen, die der Grund für alles Böse in allen Gemeinschaften und Gemeinden sind.«19 Sollte beispielsweise jemand Interesse daran zeigen, Vorsteher der Jesuiten zu werden, ist diese Person laut Satzung unmittelbar von der Liste denkbarer Kandidaten zu streichen.20 Es gilt, wie Jesus sagt, den Preis zu berechnen, bevor man sich in die Nachfolge begibt:

Denn wer würde mit dem Bau eines Hauses beginnen, ohne zuvor die Kosten zu überschlagen und zu prüfen, ob das Geld reicht, um alle Rechnungen zu bezahlen? […] Oder welcher König käme je auf den Gedanken, in den Krieg zu ziehen, ohne sich zuvor mit seinen Beratern zusammenzusetzen und zu erörtern, ob seine Armee von zehntausend Soldaten stark genug ist, die zwanzigtausend Soldaten zu besiegen, die gegen ihn aufmarschieren?

Lukas 14,28-33

Dann wird es paradox: »Genauso kann auch niemand mein Jünger sein, ohne alles für mich aufzugeben.« Es besteht also nicht jener die Herausforderung, der ausreichend Besitz, Wissen und Macht angesammelt hat, sondern jener, der all sein Eigentum loslässt. Denn Jesus ist all unser Reichtum und unsere Kraft. Er allein.

Jede Form von Besitz fördert Angst; dass man alles verlieren könnte, was man besitzt, dass andere mehr haben könnten als man selbst. Eine reiche Kirche ist immer ängstlicher als eine arme und hat immer mehr Angst vor Veränderungen, weil sie viel zu verlieren hat. Eine arme Kirche ist kreativer, traut sich, Risiken einzugehen und neue Schritte zu wagen, weil sie nicht viel zu verlieren hat. Und wie immer sind es die Leiter, die mit ihrem eigenen Lebensstil die Kirche prägen.

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