Helen und die Häute der Frauen - Erster Teil: SOKO Haut

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Helen dachte, dass Raul mit dem Laptop und dem USB-Stick durchaus noch etwas anfangen konnte. Vielleicht konnte er das Kennwort knacken. Falls die Festplatte noch intakt war, war sie sicher auch geschützt, vielleicht sogar mit „TrueCrypt“, dann wäre es schwierig. Man sollte aber an die beiden Teile rankommen können. Sie würde BH fragen müssen, ob darüber Näheres bekannt war. Die Ungarn hatten doch sicher versucht, die Festplatte zu analysieren oder wenigstens zu archivieren.

Neben den wenigen Tageskleidern und Artikeln der Körperpflege fielen etwas nuttige, knappe Reizwäsche und Accessoires aus dem Erotikshop auf: Gleitgel, sehr breiter Analdehner, Nippel-Klemmen, Thai-Kugeln, Lederbänder. In einem weiteren Metallkoffer fand man jede Menge Videos und CD-ROMs, sowie den schon erwähnten USB-Stick. Dieses Material wurde weiter untersucht. Es waren nicht nur industrielle Filme westlicher Produktion, sondern auch Bänder aus durchaus professioneller, ungarischer und anderer Eigenproduktion. Die Hersteller waren aufgelistet. Einige stammten aus mittelöstlicher Produktion, aus Bahrain von Omar bAA - Production Inc., mit Sitz in Manama, Bahrein, und in Kalifornien. Es waren ausnahmslos pornographische Filme. Überwiegend Gangbang und harte Vergewaltigungsfilme. Dabei fand man auch das Snuff- Video, das sie gestern gesehen hatte und jetzt nach erkennungsdienstlichen Methoden aufgearbeitet wurde. Diese Filme hatte BH ja schon an sich genommen. Sie würde alles zu sehen bekommen.

Bei der Durchsicht der Liste der Videos war Helen schon gestern etwas bekannt vorgekommen, sie konnte es aber nicht einordnen. Sie grübelte, kam aber nicht dahinter. Zu viel Grübeln half jetzt nicht. Sie war sich sicher, dass es ihr irgendwann einfallen würde.

Die untersuchende Polizeibehörde kam zu dem Schluss, dass das Snuff-Video den Mord aufgezeichnet hatte, der vor ca. 24 Monaten zunächst ad acta gelegt worden war, weil man nicht weiter gekommen war. Jetzt half Kommissar Zufall weiter. Auf Grund der Ausweise hatte man Dr. Maric Hödeny überprüft, die Schneiderei in Szeged gefunden und den grausigen Fund der sechs gegerbten Frauenhäute gemacht. Weiter hatte man anhand biometrischer Daten festgestellt, dass sowohl die ermordete Frau des Snuff-Videos, als auch die tote Beifahrerin im Unfallwagen in den weiteren Pornostreifen eine besondere Rolle spielten.

Spurensicherung Vesprem betr. Unfall

Vom Unfallhergang war umständehalber nur die Aussage des geschockten LKW-Fahrers vorhanden, der auch die Polizei über sein Handy gerufen hatte. Notiert worden war alles von einem Polizeihauptkommissar, der mit I. Körty unterschrieben hatte:

In einer Linkskurve dieser nicht asphaltierten Nebenstrecke kam dem LKW nachts gegen 23 Uhr mit aufgeblendetem Licht ein größerer Wagen, ein PKW bzw. schon eher ein SUV, auf seiner, der rechten Straßenseite schleudernd entgegen. Der LKW-Fahrer versuchte, nach links auszuweichen. Es kam zum Crash und der SUV prallte in und unter den Auflieger des Sattelschleppers. Bei dem Crash rutschte der Sattelschlepper in den Graben der linken Straßenseite und die Tür des Führerhauses verklemmte sich. Der Motor qualmte. Es bestand Brandgefahr. Der Fahrer war allein und kletterte über das Schiebedach aus dem Führerhaus, nachdem er die Scheibe der rechten Tür von innen nicht öffnen oder zerstören konnte. Er musste sich übergeben, als er sah, dass das Hinterrad des Aufliegers wohl über den Kopf des PKW-Fahrers gerollt war.

Begleitet wurde diese erste schreckliche Wahrnehmung des Unfalls von einer nicht enden wollenden, lauten Musik aus dem Unfallwagen. In einer Endlosschleife lief die ewig lange Version mit hämmernder Trommelmusik von den Iron Butterflys In a Gadda da Vida. Es war fast apokalyptisch, diese laute Musik zu hören, sagte der Fahrer des Langholzers. Er konnte die Musik nicht ausstellen. Eingeklemmt unter dem Auflieger des Sattelschleppers arbeitete die Batterie des Geländewagens unverdrossen weiter.

Helen fand, dass diese Musik ungewöhnlich war, zumal es bei diesem Song eigentlich um den Garten Eden ging. Sie fand auch, dass hier außerordentlich häufig gekotzt wurde. Beim Snuff - Video war ihr ehrlich gesagt auch zum Kotzen zu Mute gewesen. Also auch das war relativ.

Spurensicherung Vesprem betr. Container-LKW:

Die Untersuchungen waren von der Polizei damals erfolglos in verschiedene

Richtungen geführt worden.

Erst nach dem Unfall von Mandy und Maric, und damit auch mit dem Auftauchen der Unterlagen von Mandy und der Videos, kam erneut Bewegung in die Ermittlungen. Man stellte diverse Verknüpfungen fest und überprüfte das Beziehungsgeflecht des Dr. Maric Hödeny so gut es ging. Die Phantasie der Kommissare und der Mitarbeiter der kleinen Sonderkommission, die sofort gebildet wurde, war gefragt. So fand man schließlich eine kleine Schneider-Fabrik im Südosten von Ungarn, bei Szeged, im serbisch-rumänischen Grenzgebiet, die Dr. Maric Hödeny gehörte. Das war zunächst nichts Ungewöhnliches. Solche Fabriken gab es zu der damaligen Zeit in Hülle und Fülle. Bei niedrigen Lohnkosten konnte mit Profit für den europäischen Markt produziert werden. Die Polizei suchte nach Spuren aller Art. Man suchte nach Zusammenhängen mit der Maric`schen Pornoszene und dem Snuff-Video mit Doreen.

In den Pflegeheimen in Budapest, die zu Marics Unternehmung gehörten, fand man nichts, was weiter führte. Lediglich den Hinweis auf ein weiteres Pflegeheim in Vesprem. Hier waren Doreen und Mandy bekannt, sie standen auf der Personalliste und den Gehaltsabrechnungen. Hier fand man auch DNA-Spuren der beiden Frauen, die dort tatsächlich einen Spind mit Kleidern und Kosmetikartikeln gehabt hatten. Sie hatten hier hin und wieder übernachtet, jedoch nie im Pflegebereich gearbeitet, wohl aber anders, was mit schiefem Grinsen kommentiert wurde. Sie galten ganz unverblümt als Nutten, die für Maric arbeiteten und auch im Pflegeheim in einer gesonderten Etage Freier empfingen. Da sie dort immer auch mit Maric anzutreffen waren, wurde ihre Anwesenheit ohne Fragen hingenommen. Nördlich von Vesprem stieß man dann nach weiteren Recherchen, verlassen auf einem Waldparkplatz, in der Nähe der ehemaligen russischen Kasernen, heute der NATO angegliedert, am Flugplatz von Papa, auf mehrere, sehr große russische Container-LKWs. Militärgrün und symbolhaft verziert, jedoch nicht etwa mit einem roten Stern, sondern mit zwei gegensinnig aufeinandergelegten roten Herzen mit weißem Rand. Das ähnelte dem Sowjetstern. Sechs Sattelschlepper russischer Bauart, die mit einer Bar mit Tanzfläche und Tanzstange, Sitzecke und allerlei Zubehör einer Stripteaseszene und angekoppelten Nebenräumen ausgestattet waren. In einem Geräteraum fand man BDSM-Zubehör wie Ketten, Seile, Spreizstangen und Folterbänke und -tische. Es gab Umkleideräume, Toiletten, Duschen. Diese LKW-Sattelschlepper mit ihren Containeraufliegern konnte man zu räumlichen Einheiten zusammenkoppeln. Durch dieses räumliche Zusammenschließen kamen zu den Funktionsplätzen wie Bar, WC, Duschen, Tanzfläche und Bühne mit Polestange noch Sitz- und Liegeecken und auch besondere „Behandlungszonen“ hinzu. So konnte man ein mobiles Bordell mit Niveau in kürzester Zeit aufbauen und schnell wieder bei Bedarf an eine andere Stelle transportieren. Diese Container ließen sich durch spezielle Mechanik von der üblichen Breite von 2,50 m auf 3,50 m verbreitern. Sie hatten je eine Länge von knapp 15 m und waren als Sattelschlepper mit eigener Zugmaschine konzipiert. Das Andocken erfolgte seitlich am vorderen Ende, wo auch die Motoren für die Raumverbreiterung und die Klimaanlage waren. Dieses Containerbordell hatte eine Größe von ca. 400 qm und war ursprünglich als mobiler Arbeitsplatz für den Stab und die Raketentechniker geplant gewesen.

Helen recherchierte über diesen Militärstandort und das Angebot an gebrauchtem Militärgerät und kam zum Schluss, dass Maric die Container sehr billig erworben und umgebaut hatte. Nicht von ungefähr standen sie zwischen Papa und Vesprem, einem der ehemals größten russischen Militärlager in Ungarn, wie Helen herausfand. Heute war die Einrichtung der NATO angegliedert, mit einer Flugtransportstaffel und vor allem Raketen- und Radartechnikern im Militärdienst. Das hieß, Militär mit gehobener Bildung und der besseren Bezahlung. Von Seiten der Nato und den ungarischen Angehörigen höherer Dienstgrade war die Nachfrage nach Frauen mit höherem Bildungsniveau daher, nach ihrer Recherche, gegeben. Maric hatte dieses Bordell den besonderen und gehobenen Bedürfnissen angepasst.

Marics Zielgruppe waren die Offiziere, er wollte schließlich Geld verdienen mit seinen Frauen. Diese Offiziere machten auch das entsprechende Geld für gute Frauen locker. Schließlich gab es hier sonst nichts. Allerding forderten sie auch das volle Programm. Sex „light“ war mit diesen Burschen nicht zu machen. Hier fand man dann auch genügend DNA-Spuren von Mandy und Doreen an diversen Geräten, Ketten und Spreizstangen.

Manuelas Briefe an Doktor von Eynim.

Helen arbeitete sich weiter voran. Gestern hatte sie das Konvolut schon grob

überflogen und die von ihrem Chef markierten Passagen gelesen.

In der Akte der Mandy aus Deutschland, gefunden im Autowrack, fanden sich neben Mandys Tagebuch, das sie schon bearbeitet hatte, in einem großen DIN-A3-Umschlag die Fotokopien von Briefen (350) einer Manuela an Dr. von Eynim.

Helen grübelte. Wie kam Mandy an die Briefe von Manuela? Konnte ja eigentlich nur eine Leichtsinnigkeit des Doktors gewesen sein. Mandy hatte sie ihm einfach weggenommen, aber warum? Was wollte sie damit bezwecken, hatte sie etwas bezweckt, war das vielleicht ein Grund für ihren Tod? Oder wollte sie Beweise in ihrer Hand behalten und wenn, zu welchem Zweck?

Bevor Helen sich an die vielen Seiten von Manuelas verliebten Briefen machte, ließ sie noch einen weiteren Kaffee aus dem Automaten und ging auf die Toilette. Ihr Handy machte bling.

 

OK, dachte Helen, das war eine E-Mail. Lese ich später. Nach ihrem Toilettengang war sie doch neugierig und schaute nach. Eine Nachricht an ihre neu angelegte Adresse für den anonymen Umgang mit ihrem Kontakt zur Vermittlerin des Chateau-Urlaubs.

Helen schaute in ihrem „Chateau“-Account bei ihrer neuen GMX-Adresse nach. Es war die Antwort auf ihre Anfrage bezüglich eines 14-Tage-Kurses im Chateau d‘Au. Frau Ruth Sonne mailte, dass ab dem 20. Juni ein Platz für 14 Tage Vollpension und länger frei wäre. Vorher sei der für sie vorgesehene DOM im Urlaub. Eine Besprechung vorher in Frankfurt sei sinnvoll. Sie solle doch bitte bezüglich des Termins für die Besprechung Vorschläge machen. „Bitte an meine Adresse“, schrieb Ruth Sonne. In Frankfurt würde sie von der sehr kompetenten Iwana Agapova beraten werden, da sie selber ab demnächst im Urlaub sei.

Also, dachte Helen, das läuft, der DOM ist sicher nach dem Urlaub in besonders guter Form, dazu sicher noch knackig braungebrannt. Sie merkte, wie unruhig sie bei dem Gedanken wurde, sich in Kürze diesem völlig unbekannten Mann, ihrem DOM, zu unterwerfen und ihren Körper darüber hinaus für alle Wünsche fremder Männer preiszugeben. Das erregte sie und ein gewaltiger Anflug von Geilheit nahm ihre Gedanken kurzfristig und intensiv gefangen, auch wenn eine unbestimmte Sorge mitschwang. Andererseits hatte sie ja vor drei Wochen Mut bewiesen und nahtlos an frühere freizügige Erlebnisse angeknüpft. Es war ein großer Erfolg für sie geworden. Morgen, in der Sauna, würde sie wieder dran sein. Mit dieser Erfahrung würde sie sich von ihrem zukünftigen DOM disziplinieren und zu ihrer Lust unterwerfen lassen. Helen mailte ihre Terminvorstellung für ein Gespräch mit Iwana Agapova an Ruth Sonnes Adresse.

Gleich am heutigen Morgen war Moneypenny im Auftrag von BH bei ihr gewesen und hatte ihr eine aktualisierte Personalliste der Privatklinik von Doktor v. Eynim mit dem Hinweis gegeben, dass sie selber diese Liste überarbeitet hatte. Warum ließ er sie nicht einfach den Fall abarbeiten, fragte sich Helen.

Diese Liste habe der Chef gleich angefordert nachdem er das Material gesichtet hatte. Der Instinkt des erfahrenen Jägers habe ihm gesagt, dass das Abklopfen des Beziehungsgeflechtes und der Umgebung immer sehr wichtig sei. Auf dieser Liste habe er alle Personen mit Funktion markiert, die direkten und häufigen Umgang mit dem Doktor hatten. Dahinter habe sie selber die ermittelten E-Mail-Verbindungen dieser Personen notiert, soweit sie über die Klinik zu erhalten gewesen waren, erklärte ihr Moneypenny.

Helen fand dieses Vorgehen allerdings ausgesprochen gut. Es nahm ihr viel Arbeit ab. Sie scannte diese Liste sofort und suchte nach Personen, die den meisten Umgang mit dem Doktor hatten und vielleicht am vertrautesten mit ihm waren. Das waren seine Sekretärin, zwei Arzthelferinnen, die Pflegedienstleiterin und ein OP-Pfleger. Von dem OP-Pfleger, der Sekretärin und der PDL war eine E-Mail-Adresse bekannt.

Moneypenny hatte auch die Dienstzeiten dieser Personen ermittelt und dabei herausgefunden, dass die PDL, Krankenschwester Clarissa, schon seit der Afrikajagdreise ihres Chefs nicht mehr zum Dienst erschienen war. Sie war einfach ohne Angabe von Gründen verschwunden. Die Personalchefin und Vertraute der Chefsekretärin, so übermittelte es Moneypenny, habe Nachforschungen angestellt und herausgefunden, dass ihre Wohnung schon seit vier Wochen verwaist sei. Niemand aus ihrer Umgebung wisse Bescheid. Auch Fragen an ihren Bikerfreund, Peter Stange, hätten nichts gebracht. Er habe nur mit den Schultern gezuckt.

Von ihrem privaten PC schickte Helen eine Nachricht an Raul, hängte die Liste an und bat ihn, mal in den Rechnern der drei Personen zu schnüffeln. Dass Clarissa verschwunden war, wollte Helen zunächst für sich behalten. Weiter waren noch ein Winfried Steinmüller und eine Uschi Steinmüller wichtig. E-Mail Adressen waren Helen bisher unbekannt. Sie gab aber die Adresse an Raul weiter.

In der Abteilung befand sich seit drei Wochen ein junger Kollege, der von Borhagen genannte Stefan, der noch in der Phase der Einarbeitung in die unterschiedlichen Verantwortungsbereiche war. Er war vorher irgendwo anders eingesetzt worden, ehe er in diese Abteilung kam. Helen erkundigte sich, ob dieser junge Mann schon mit viel Arbeit eingedeckt war. Da er im Augenblick nur mit dem Sortieren alter Fälle beschäftigt war, dachte Helen, die Akten könnten noch eine Zeitlang staubig bleiben und holte ihn kurzerhand zu sich, um ihm Aufträge zu geben. Das Einverständnis von BH hatte sie ja. Es war ein großer, schlanker, unauffälliger, relativ hübscher Bursche von ca. 23 Jahren. Durchaus attraktiv, dachte Helen, als er zu ihr ins Zimmer trat. In anderem Kontext durchaus jemand zum Anbändeln, jedenfalls vom Äußeren und seinem Auftritt her gesehen. Sie hatte sich schon ein paar warme Gedanken gemacht. Dann musste sich Helen gleich revidieren. Unangenehm fiel ihr auf, dass er sie frech und direkt und viel zu lange von oben bis unten musterte. Hoppla, dachte Helen, der hat dir aber das bisschen, was du bei dieser Hitze noch anhattest, sehr schnell ausgezogen. Sie war gewarnt und würde ihm in Zukunft nicht zu viele Möglichkeiten zur Augenweide geben dürfen. Sie dachte, dass er durchaus zu der Gruppe gehören könnte, die ihr gestern diese unanständige Ankündigung gemacht hatte.

Sie tat, als habe sie es nicht zur Kenntnis genommen, und gab ihm die Aufträge. Sie würde ihn schon noch zu gegebener Zeit bei den Eiern kriegen. Er sollte zunächst die Handynummer von Clarissa ausfindig machen und dann über das System der Bundespolizei eine Ortung dieses Handys durchführen lassen. Als nächstes sollte er nach Toni suchen und sich um Fotographien von Clarissa, Uschi Steinmüller, Manuela und Dr. v. Eynim kümmern, um ein Bild von den Personen zu bekommen, die in diesem Fall eine Rolle spielten.

In der Zwischenzeit hatte Raul geantwortet:

„Wir müssen uns auch über das Finanzielle unterhalten. Ich werde einige Ausgaben haben, die ich nicht über meine Redaktion laufen lassen kann. Und dann kann ich erst einsteigen, wenn die Zielrechner im Netz sind.“

Helen mailte zurück, dass das Finanzielle von „Oben“ abgesegnet sei. Das Weitere sei ihr klar. Man müsse eben etwas Geduld haben.

BH war schon am späten Vormittag von seiner Besprechung zurück. Moneypenny kam zu Helen ins Zimmer.

„Der Chef ist zurück und du kannst jetzt gleich zu ihm.“

Helen ging rein zu BH und berichtete ihm von den durchsuchten Akten. BH runzelte die Stirn.

„Ich war gerade bei einer Besprechung über unsere Sicherheitslage. Wir haben ein Leck. Aber dass man so dreist in Ihr Zimmer eindringt und die Akten durchforstet hätte ich jetzt nicht erwartet. Haben Sie eine Idee? Lassen Sie es mich wissen, wenn Sie eine Spur haben.“

„Ich bin da völlig ratlos. Wir könnten höchstens die Spurensicherung rufen. Aber ich fürchte, dass es viele Spuren der Ungarn in diesen Akten gibt.“

„Eine gute Idee ist das trotzdem. Ich werde das sofort veranlassen. Die Aufarbeitung kann ja irgendwann später erfolgen. Also, wir haben das BKA und den BND zur Klärung unseres Lecks eingeschaltet. Das wird unauffällig passieren. Außer mir und Ihnen weiß niemand weiter Bescheid. Und das muss auch so bleiben. Dieser neue Fall wird gleich eine Eingangsarbeit sein. Das heißt dann aber auch, dass der von mir vorgeschlagene Stefan nur die allerdürftigsten Informationen bekommen darf. Je weniger, desto besser. Er darf nur Ihr unwissender Handlanger sein. Sie haben Ihn sicher noch nicht eingeweiht.“

„Nein sicher nicht.“

Eine halbe Stunde später waren drei Mann in ihrem Zimmer und nahmen sich die Akten vor. Sie fanden tatsächlich einige Haare, die nicht zu Helen gehörten.

Ehe sich Helen nach diesem Intermezzo wieder an die Arbeit machte, schickte sie noch ein Foto des Drohzettels an Raul. Der meldete sich sofort und meinte, dass sie jetzt sehr, sehr vorsichtig sein müsse. „Das weiß ich selber“, whatsappte Helen zurück. Helen machte sich danach an die Lektüre und merkte sich das Wichtigste für den Rapport aus der Akte Manuela.

Sie las alles zunächst quer und gab das Auffälligste in ihren PC ein. Es wurde eine sehr knappe Zusammenfassung der Briefe von Manuela an Dr. von Eynim.

Sie hatte noch genug vom ersten Überfliegen der Notizen von Mandy. Auch Manuela präsentierte sich als sehr experimentierfreudiges und extrem geiles Weibchen, das für ihre Liebe bereit war, sehr viel zu wagen in Bezug auf ihren dabei erforderlichen körperlichen Einsatz. Sie war, um ihrem Freund zu gefallen, bereit sich jedem Fremden bedingungslos hinzugeben, den er ihr vorschlug.

Einiges übernahm Helen wörtlich. BH hatte auch schon alles gelesen und Marker an manche Stellen geklebt. Dadurch fühlte sie sich nicht ganz anonym und wusste, dass ihre Professionalität gefordert war. Das erleichterte Helen die Zusammenfassung sehr und sie erfuhr das Wichtigste vorweg:

Manuela wurde von ihrem Freund an BDSM-Clubs für Gegenleistungen vermittelt bzw. verkauft und erduldete ihm zuliebe dort diverse Prozeduren, die man auch sexuelle Folterungen bzw. Prostitution nennen könnte. Daneben erlebte sie Piercings und Tätowierungen. Als sie Dr. v. Eynim kennenlernte, offenbarte sie sich ihm. Verliebte sich in ihn. Erkannte aber auch seine Schwächen und versuchte, ihn über die Promiskuität seiner damaligen Freundin Mandy aufzuklären bzw. ihm klarzumachen, dass Mandy, wie auch Doreen, Prostituierte im Dienst von Dragan und Maric war. Doreen war darüber hinaus noch in weitere Aktivitäten für Maric verwickelt. Manuelas Aufklärungsversuche fruchteten nichts. Der Doktor schien nicht zuzuhören oder wusste ohnehin schon alles. Langsam erkannte sie ein Geflecht, in das auch Dr. von Eynim eingewoben war. Sie fragte den Doktor direkt, warum er mit Maric experimentelle Operationen durchführte, obwohl er wusste, dass Mandy mit Maric eine Beziehung pflegte. Maric als Zuhälter, Mandy als seine Nutte. Sie wies den Doktor darauf hin, dass Dragan und Maric in der Bistrobar neugierige Schülerinnen anmachten, in den Club einluden und diejenigen, die den Club dann aufsuchten, verführten, mit Drogen willig machten, einritten und für die Prostitution vorbereiteten. Manuela wunderte sich, warum der Doktor nicht reagierte. Manuela nahm sich zurück. Mit ihrem Umzug in ein anderes Bundesland brach der Kontakt zu von Eynim ab.

Helen überlegte, ob sie dieses Thema bei der Befragung des Doktors ansprechen sollte. Sie wollte mit diesem Wissen aber eher noch warten.

Nach der Lektüre der 350 ein- bis zweiseitigen Briefe ergab sich für Helen das Bild einer unsterblich in Hagen von Eynim verliebten Frau, die sich von ihm Erfüllung wünschte und ihm alles beichtete, was ihr bisher widerfahren war.

Alle Briefe waren mit Datum versehen und begannen mit der Anrede „Mein geliebtes Herzblatt“ und endeten mit „Deine Dich liebende M“.

Manche Passagen las sie dann doch genauer und fand schließlich heraus, dass Manuela von ihrem Freund über eine Kontaktperson, „Frau Ruth Sonne“ auch an einen speziellen BDSM-Club, dem Chateau d‘Au, vermittelt worden war. Sie beschrieb die Spiele, die nach der Geschichte der O nachempfunden waren, sehr genau, Folterspiele im Grenzbereich zwischen Lust und Schmerz, und fügte an, dass sie dabei im Prinzip auf die Funktion ihrer drei Löcher auf zwei Beinen, garniert mit zwei Brüsten, reduziert wurde.

An dieser Stelle zuckte Helen merklich zusammen, wobei sie diese Reduktion nicht störte. Im Gegenteil, so war die Aufmerksamkeit auf genau diese sensiblen Körperpartien konzentriert. Es war etwas anderes, was sie elektrisierte.

„Ruth Sonne, BDSM-Club“. Mit einer Ruth Sonne hatte sie doch einen Termin in Frankfurt vereinbart! Jetzt muss ich wohl doch alles ganz genau lesen, sagte sie sich und machte eine Zusammenfassung, in der sie besonders auf die Fragen von Borhagen einging.

An diese Stelle hatte BH dann auch wieder einen Zettel geheftet mit der Bemerkung:

„Bitte nach Ruth Sonne recherchieren.“

Schon alleine aus diesen Gründen musste sie einfach dieses ganze erotische Gesülze lesen, wie schon BH vor ihr. Sie hatte es gleich befürchtet. Das erste Vögeln mit dem Doktor hatte Manuela schön beschrieben. War ja nicht ganz einfach, immer wieder neue Formulierungen für das ewig alte Rein-Raus-Spiel zu finden. Es hatte sie richtig angemacht.

Wo hatte sie das mit dem Rein-Raus-Spiel zum ersten Mal gehört? Helen überlegte. War das nicht A Clockwork Orange? Ob es Borhagen wohl auch so angemacht hatte wie sie, überlegte Helen und dachte an seine Hand auf ihrem Schenkel. Ob ihn das wohl erregt hatte und er sich danach hatte entspannen müssen? Sie wollte solche Gedanken nicht an sich heranlassen, aber plötzlich waren sie da, und sie stellte sich Borhagen mit deutlicher Beule in der Hose vor. Diese Gedanken kamen immer öfter, nachdem er seine Hand schon so intensiv auf ihrem Schenkel platziert hatte. Ob er sich wohl zur Entlastung einen runterholen würde? Sie dachte an seine Hand, die keineswegs ganz ruhig auf ihrem Schenkel bei der Video-Session gelegen hatte. Sie dachte, er hätte sie ruhig länger liegen lassen können. Auch das Spiel seiner Finger auf ihrem Schenkel hatte sie richtig angemacht. Es hatte ihr direkt in den Unterleib gezogen und sie hatte gespürt, dass sie nass wurde. Das wäre früher undenkbar gewesen. Plötzlich bahnte sich ein Paradigmenwechsel an. Sie konnte sich jetzt sogar deutlich mehr vorstellen. Bisher hatte sie in BH nur ihren Chef gesehen und keinen einzigen Gedanken daran verschwendet, dass er auch ein Mann war, der an Frauen interessiert sein könnte. Plötzlich begann seine Bemerkung von der „wunderschönen Frau“ bei der Betrachtung ihres bloßstellenden Nacktbildes eine besondere Bedeutung zu bekommen. Sie wischte diese Gedanken zunächst weg. Aber er kam wieder und verfolgte sie regelrecht.

 

Borhagen über Ruth Sonne zu informieren, das würde sie noch ein wenig aufschieben, so etwa fünf bis sechs Wochen, bis sie den Clubaufenthalt hinter sich und auch verarbeitet hatte. Ihre bisherigen privaten Erkenntnisse in Bezug auf Ruth Sonne und Chateau d‘Au würde sie nicht in ihre Zusammenfassung einfließen lassen. Und den Doktor würde sie sich genau vornehmen. Etwas anders allerdings, als Borhagen es sich gedacht hatte. Sie hatte so eine Idee, dass es sich lohnen könnte. So viele „gute“ Frauen konnten doch nicht irren. Sie war plötzlich richtig scharf gemacht. Sie malte sich aus, wie sie zu den DNA-Proben kommen würde. Nach diesen Texten, hatte sie eine ungefähre Vorstellung davon, was im Chateau d‘Au auf sie zukommen würde. Da brauchte es keine anonyme Drohung mehr.

Sie würde dort genau das erleben, und zwar bis zur Bewusstlosigkeit.

Helen las über die sexuelle Hörigkeit von Manuela, die dazu geführt hatte, dass sie sich ihrem Freund zuliebe in diesem Club jeder nur denkbaren sexuellen Manipulation, Strafen und sogar operativen Eingriffen unterwarf. Sie bekannte, dass sie dabei extreme Lust empfand. Sie gab daher auch den Forderungen, sich piercen und operieren zu lassen, nach und präsentiert schließlich mit Stolz ihren modulierten Körper, ihre neuen, großen Brüste mit den gewaltigen Ringen in ihren Brustwarzen und der Klitoris, sowie ihre korrigierten Schamlippen. Ganz besonders stolz war sie auf ihren intimen Ring, der ihre Zugehörigkeit zu Maric und seinen Besitzanspruch auf sie manifestieren sollte. Er sollte ihren Gral verschließen, unerwünschte Spermien vernichten, und diente zum Fixieren.

Helen rätselte über diese Aussage. Sie wusste nicht, was sie mit dieser Bemerkung anfangen sollte. Mit einem Post-it hatte Borhagen nachgefragt: „Was muss man davon halten? Ein Ring im Gebärmutterhals zum Anketten?“

Borhagen wies zu Recht auf Zusammenhänge mit den ungarischen Schneiderpuppen hin und fragte nach einer Beteiligung von Dr. v. Eynim oder Maric. Er fragte auch, ob das alles so wichtig sei. Helen stöhnte und stellte fest, dass Borhagen doch tatsächlich alles, Wort für Wort, gelesen hatte.

BH hatte im Zusammenhang mit den Umwandlungsoperationen an diese Seite einen Post-it geklebt mit der Bemerkung:

„Maric, BDSM. Beziehung Dr. v. Eynim - Maric?? Ist das Ganze wichtig?“

Nicht zu fassen, dachte Helen, warum, zum Teufel, hat er alles genau gelesen?

Ob das Ganze wichtig war, frage sie sich auch.

Hatte BH Spaß an der Erotik? Das wäre ein sympathisches Motiv. Oder BH als reiner Kriminalist? Aber wie kam er an dieser Stelle auf Maric? Stand wahrscheinlich weiter hinten in den Briefen. Jedenfalls hieß das wieder, dass sie alles Wort für Wort lesen musste. Plötzlich klingelte es bei Helen: Die Uterusfasszange! Die diente dazu, die Gebärmutter zu fassen, herunter zum Introitus zu ziehen, um den Ring durch den Gebärmutterhals zu stechen und zu schließen. So wurde der Gral beringt. Der Ring war groß genug, um eine Kette einzuhängen.

Helen öffnete eine neue Datei, in der sie die Originaltexte und ihre Kommentare katalogisierte. Für BH und eventuelle Mitarbeiter arbeitete sie weiter an einer kurzen Zusammenfassung:

Mit dem Beitritt in diesen Club führte Georg, Manuelas Freund, sie in die BDSM-Szene mit allen Konsequenzen ein. Er organisierte ihr einen DOM, der sie in dieser BDSM-Szene führte und ihr sofort klarmachte, dass es nur um ihre Bereitschaft zur sexuellen Interaktion in diesem Club ging. Sonst nichts. Sie hatte sich vögeln zu lassen. Und das auf jede Art. Punktum.

Es waren Rituale, die sich eng an das große Vorbild aus der Geschichte der

O anlehnten. Ein Roman mit einer sehr bizarren Geschichte, der Manuela schon immer mit einem gewissen Schauer fasziniert hatte. Eine Nachahmung schien bisher im Reich der Phantasie zu liegen. Jetzt schien eine reale Imitation im Bereich des Möglichen.

Hier hatte Borhagen wieder einen Zettel eingefügt:

„Wir müssen diesen Club finden. Haben sie die Geschichte der O gelesen? Muss ich das auch, um alles zu verstehen? Die Marquise von O ist ja wohl nicht gemeint.“

Helen dachte, nein, das hat nichts mit der Marquise zu tun, und mit dem Auffinden des Clubs warten wir noch. Sie würde Borhagen sagen, dass er die Geschichte der O ruhig lesen könne. Die Realität sei jedoch deutlich härter. Also könne er ruhig darauf verzichten. Kostete nur Lebenszeit. Diese Geschichten hier waren Erotik genug.

Sie zitierte auch einige Passagen wörtlich:

„Schon beim ersten Besuch musste ich mich auf Georgs Wunsch hin den

Anordnungen des DOMs fügen und mit Brazilian Cut, nur mit Bustier, Strapsgürtel und Stockings bekleidet, ohne Slip oder String, aber mit Dildo und Analdehner im Club auftreten, was zur Folge hatte, dass ich laufend begehrt wurde und mich vor den vielen Händen, die mich überall zärtlich und fordernd berührten und mir zu verstehen gaben, dass ich mitkommen sollte, kaum retten konnte. Die Hände und Finger, die mich berührten, waren so geschickt und beharrlich, dass ich sie irgendwann auch nicht mehr abwehren wollte. Ich stand an der Bar, hatte ein Bein aufgestellt und bot ihren Fingern den Platz, den sie brauchten. Schnell war ich daher von Plug und Dildo befreit. Manche Finger waren so geschickt, dass ich, an die Theke und mein Champagnerglas geklammert, zuerst fast auslief und dann einen Orgasmus bekam. Schließlich ging ich mit einem auf die Spielwiese und Georg schaute zu oder hielt mich so fest, dass die anderen sich schnell an mir abwechseln konnten. Es schien ihm Spaß zu machen, dabei zu sein, mich festzuhalten und zu spüren, wie mein Körper durchgearbeitet wurde, wie ich von einer Hand in die andere wanderte und dabei von einem Orgasmus zum anderen getrieben wurde. Die kurze Pause beim Wechsel reichte, um mich schnell wieder bereit für den nächsten Orgasmus zu machen. Zwischendurch wurde ich immer wieder mit dem Begrüßungscocktail versorgt, der meine Stimmung noch weiter anhob.“

Helen dachte, schade, dass wir nicht wissen, was der Doktor dachte, als er die Briefe las. Vielleicht sollte sie ihn danach fragen. Zum Thema Cocktail hatte BH wieder einen Zettel angehängt: „Drogen mit Alkohol?“