Helen und die Häute der Frauen - Erster Teil: SOKO Haut

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Helen erkannte, dass sie so ganz gegen ihren Willen die Tagebücher der Mandy und die Briefe der Manuela genauer lesen musste.

Borhagen hatte schon jede Menge Zettel mit Namen und tausend Farben eingeklebt. Sie musste notgedrungen auf den gleichen Wissensstand kommen wie ihr Chef.

Ob sie wollte oder nicht, der Abgleich der DNA des Dr. von Eynim mit dem DNA-Pool der ungarischen Polizei hatte dabei echte Priorität. Vielleicht ist er ja einer der vielen, die ihre Spuren in Mandys oder Doreens Körper vor ihrem Tod hinterlassen haben oder auch im Jagdhaus im ungarischen Forst, dachte sie. Apropos Doreen, woher wusste sie überhaupt, dass die Gehäutete Doreen hieß?

Ach ja, Borhagen hatte den Namen auf den Zettel geschrieben. Sie musste einfach alles lesen.

Die eigentliche Sachlage glaubte die federführende deutsche Staatsanwaltschaft durch die Ungarn geklärt zu sehen. Für die noch offenen Fragen war von Seiten der um Amtshilfe gebetenen deutschen Staatsanwaltschaft Unterstützung zugesagt. Hier sollte Borhagen mit seinem Team ansetzen. Nichts war sehr eilig. Überwiegend stützte man sich ja auf die Untersuchungen aus Ungarn bzw. Budapest und die Erkenntnisse der Semmelweiss Universität.

Die ungarische SOKO „BOR“, zu Deutsch „Haut“, wandte sich direkt an die Leitstelle der ehemaligen deutschen Nachfolge-Sonderkommission der SOKO „Weißes Fleisch“. Sie wussten, dass dort Erfahrung mit dem Thema war, wenn auch die Ausgangsbasis eine scheinbar andere war, und die SOKO schon lange aufgelöst war. Jedenfalls war Borhagen als Ansprechpartner bekannt. Man vermutete, dass letztlich wieder der Frauenhandel die Haupttriebfeder war.

Die SOKO „Weißes Fleisch“, hatte vor Jahren sehr erfolgreich den Frauenhandel zwischen Deutschland und Tschechien einerseits, und Ungarn mit der Ukraine und Rumänien andererseits aufgemischt. Man wusste von Zeiten, da jede Woche ein Frauenhändlerring in Tschechien und Ungarn aufgeflogen war, bis ein Lernprozess bei den Händlern einsetzte und sie ihre Vertriebsmethoden und Transportwege änderten. Die Beschaffungsmethoden blieben weitgehend die gleichen. Jetzt nutzte man aber zusätzlich das Internet und die sozialen Netzwerke. Helen wusste, dass neugierige und pubertierende junge Mädchen nicht nur in der Ukraine und Rumänien über Facebook und ähnliche Netzwerke in die Falle von Frauenhändlern gelockt wurden. Auch die Islamisten mischten jetzt mit.

Als der Zeitpunkt des Montagnachmittag-Treffens mit Borhagen näher rückte, hatte Helen schon Raul, ihren Studienfreund und IT Spezialisten, begeistert.

Raul, der über ungeahnte Beziehungen und Möglichkeiten verfügte, hatte schon angefangen, ein spezielles Suchprogramm zu organisieren, das sich auf Körper- und Gesichtserkennung spezialisiert hatte. Ein Programm, das nach mathematischen Prinzipien und biometrischen Daten der von ihm vorgegebenen, bekannten Gesichter und Körper das Internet nach entsprechenden Pornoseiten und Bildern durchsuchen sollte. Diese Beispiel-Gesichter und -Körper würden dann durch die Zielpersonen ersetzt werden. Raul sagte zu Helen, wenn alle, die sich bei Facebook oder Twitter oder anderen sozialen Netzwerken darböten, wüssten, dass man sie auf diese Weise weltweit verfolgen konnte, würde mancher das Posten von Bildern einfach bleiben lassen.

Mandys Tagebuch

Nachdem Helen die gesamte polizeiliche Lektüre quergelesen und Notizen für Fragen vorbereitet hatte, war sie schon bis zu den Tagebuchseiten von Mandy und Manuela vorgedrungen. Kurz hatte sie die Briefe von Manuela überflogen und nachgesehen, welche Schwerpunkte BH mit seinen Markern gesetzt hatte.

Mit deutlicher Zurückhaltung und in Erwartung seichten Gesülzes hatte sie danach begonnen, die handschriftlichen Seiten Mandys, die mal mit Bleistift, mal mit Kugelschreiber, in Ich - Form und teilweise sehr weitschweifig geschrieben waren und die man im Unfallwagen des Dr. Maric Hödeny gefunden hatte, zu lesen und aufzuarbeiten. Schon beim ersten Blättern hatte sie erkannt, dass sie hier eine besondere Qualität zum Lesen bekam.

Auch in diesem Tagebuch fand Helen die vielen Lesezeichen von BH. Nach den Erfahrungen mit den Texten von Manuelas Briefen und Borhagens Hinweis auf genaue Beachtung der Texte, las Helen alles zunächst noch einmal quer und die Seiten, die BH mit Post-its markiert hatte, genauer. Sie sagte sich, bei endlicher Lebenszeit müsse man sorgfältig mit seiner zur Verfügung stehenden Zeit umgehen, auch wenn in diesem Fall die Pornographie vom Staat bezahlt wurde und alles andere als langweilig war. Die Beschreibungen in den Briefen von Manuela könnten sicher etwas für die Porno-Literaturszene sein.

Borhagen hatte unendlich viele Lesezeichen eingeheftet. Auch Post-its mit Randbemerkungen und Fragen, die es zu beantworten galt. Helen machte zunächst eine Zusammenfassung und ging dann auf einige Fragen von Relevanz ein. Den vollständigen Text stellt Helen, wie schon die Texte von Manuela, in einen gesonderten Ordner.

Es waren zwei aneinandergeklebte DIN-A-5-Schreibhefte, die einen Schutzumschlag aus Weihnachtspapier erhalten hatten, grüngrundig, mit roten Weihnachtssternen. Auf die Innenseite des Deckels des ersten Heftes war mit rotem Filzstift eine Widmung an Hagen von Eynim gerichtet:

Lieber Hagen, ich hatte Dich sehr, sehr geliebt. Aber meine Vergangenheit hat mich immer wieder eingeholt. Ich konnte sie Dir meist gut verbergen. Irgendwann sollst Du sie doch direkt von mir erfahren. Nicht über andere. Ich habe versucht alles portionsweise aufzuzeichnen. Die Zeit mit Dir war es mehr als wert.

Keine Unterschrift, wie unterbrochen. Vielleicht hatte sie noch etwas hinzufügen wollen. Oder es war das letzte, was sie geschrieben hatte.

Wider Erwarten war das Geschreibsel von Mandy keineswegs langweilig und auch kein Gesülze. Helen war von der sprachlichen Dichte und vom Inhalt überrascht. Es las sich flüssig und war der Bericht über eine Missbrauchshistorie durch Vertraute und Familienangehörige vom siebenten Lebensjahr bis zu ihrem Tod. An einigen Passagen aus den Tagebüchern von Mandy war sie länger hängen geblieben. Sie war einfach sehr gespannt auf den Inhalt, weil Borhagen überall dort, wo Namen ins Spiel kamen, Zettel eingefügt hatte.

Sie fasste das Gelesene kurz zusammen, das sie zunächst in ihren privaten Rechner eingab, mal knapp, mal etwas ausführlicher, mal wörtlich zitierend. Auch diese Zusammenfassung sollte eventuell schnell ausgedruckt und zur Verfügung gestellt werden können. Auch diese Texte würde sie vor Stefan zurückhalten. BH würde sie morgen einen kurzen und präzisen Bericht über den aktuellen Stand geben. Bisher sah alles nach einem unübersichtlichen Filz aus, in den nur langsam eine Struktur kam.

Dennoch gab es Handlungsstränge zwischen Manuela, Mandy, Doreen, Maric, Dragan und Dr. v. Eynim. Helen fand sie.

Helen hielt sich bei ihrer Zusammenfassung nicht an die Reihenfolge der Texte, denn Mandy hat das niedergeschrieben, was ihr gerade der Erinnerung wert schien, alles ohne eine strenge biographische Reihenfolge. Um alles zu verstehen, musste die

Chronologie gefunden werden.

Als sie ihre „Biographie“ niederzuschreiben begann, war Mandy schon Vollwaise mit ihrem Onkel als Vormund, und lebte in der Wohnung ihrer verstorbenen Eltern. Die Eltern waren, als sie zwölf war, tödlich mit dem Auto verunglückt.

Das ist ja fast eine Parallele zu mir, dachte Helen.

Warum sie vom sechsten bis zwölften Lebensjahr in der Schweiz bei ihrer Großmutter lebte und warum in dieser Zeit die Eltern keine Erwähnung finden, geht aus dem Tagebuch nicht hervor. Sie bezog nach dem Tod der Eltern eine Waisenrente, die ihr Vormund verwaltete. Ihr Taschengeld war jedoch für ihre Verhältnisse so gering, dass sie mit stillschweigender Billigung des Onkels nach der Schule im Service einer Bistrobar arbeitete. Sie sah sehr gut aus und wusste das auch. Sie hatte eine schlanke Figur mit beeindruckender Oberweite und wirkte wesentlich älter, als sie tatsächlich war. Sie hatte genau die richtigen Proportionen für diesen Job und setzte sie auch gekonnt ein. Sie war ein Hingucker und zog die Gäste an. Sie hatte ein freches Mundwerk und war dank ihrer Vorgeschichte schlagfertig mit ihren Antworten, auch auf eindeutige oder obszöne Anspielungen, und lenkte die lüsternen Blicke der Barbesucher auf sich. Sie war immer präsent und man spürte bei jeder ihrer Bewegungen erotisches Vibrieren. Keiner konnte wissen warum. Zu diesem Zeitpunkt hatte sie schon fast sechs Jahre voller sexueller Erfahrungen hinter sich. Sie war schon mit zwölf Jahren körperlich voll entwickelt und weiter als manche 18-jährige. Sie hatte mit achteinhalb Jahren ihre erste Periode und schon davor ihre ersten sexuellen Erfahrungen gesammelt. Auf Grund dieser frühen sexuellen Einstimmung war sie immer auf der Suche nach einem neuen Abenteuer. Sie bezeichnete sich selbst als dauergeil. Diese frühen Erlebnisse hatten sie promiskuitiv gemacht.

Mandys sexuelle Biographie begann mit ihrem ersten und sofort erfolgreichen Verführungsversuch auf dem Heuboden. Beim bisher üblichen, spielerischen Balgen im Heu provozierte sie den Tabubruch und öffnete Alfons, dem Stallknecht des Großvaters, die Hose und erlebte die Faszination des Verströmens seines Samens in ihrem Mund. Da war sie etwas über sieben Jahre alt, weit über ihr Alter hinaus körperlich entwickelt. Den Bruch in diesem anfänglich unbeschwerten Verhältnis hat sie selber bewusst herbeigeführt, nachdem sie Alfons beim Liebesspiel mit seiner ebenfalls sehr jungen Freundin beobachtet hatte. Sie sagte sich, das kann ich auch und das kann ich besser. Ich will Alfons haben. Mandy, die mit der Sexualität der Tiere des Bauernhofes sehr vertraut war, wusste alles über den Verkehr der Geschlechter. Der Großvater betrieb eine Deckstation für Schafe und Rinder im Entlebuch bei Luzern. Mandy wusste daher bereits über die Abläufe und Zusammenhänge Bescheid. Nach dem Tabubruch durch diese erste, von ihr provozierte Begegnung war es nur eine Frage der Zeit, bis sie mit Alfons alle Variationen des Liebesspiels im Heu erlebte. Der Tod des Großvaters gab die Möglichkeit zu ungehemmter Freiheit, da Alfons und Mandy nunmehr fast keiner Kontrolle mehr unterlagen. Die Großmutter war alt und gebrechlich und lebte mit ihrer blinden Schwester auf dem Hof, der jetzt von Alfons verwaltet wurde. Nach Mandys früher Menarche mit achteinhalb Jahren brachte ihr Alfons, auch zur Vermeidung einer Schwangerschaft, den Analverkehr als künftigen Hauptverkehrsweg bei. Sie sahen sich täglich auf dem Heuboden. Statt mit Puppen spielte sie mit Alfons und machte schließlich alles, was er wünschte. Schließlich ließ sie sich von Alfons überreden, auch mit anderen Jungs im Stall der Hammel-Deckstation zu verkehren. Sie machten Spiele, bei denen Mandy mit verbundenen Augen erraten musste, wer sie gerade von hinten nahm.

 

Dann trat der Onkel Richard, der eigentlich ihr Cousin war, in ihr Leben. Onkel Richard war Schweizer Bergbauingenieur und hatte lange Jahre in Südafrika und Namibia im Gold- und Diamantenbergbau gearbeitet. Er war Jäger und Cohiba-Raucher. An ihm testete sie ihre inzwischen vielfältigen Erfahrungen. Onkel Richard ließ sich sehr bereitwillig auf ihre Verführungsversuche ein, zumal sie von der Großmutter nicht verhindert, sondern eher noch unterstützt wurden, da beide aus Platzgründen in einem Bett schlafen mussten. Die Nymphe Mandy verliebte sich in ihren Onkel. Es wurde eine sehr innige Beziehung, die bis zu ihrem frühen Ende nicht an Intensität verlor. Sie gingen in der Schweiz auch gemeinsam auf die Jagd. Alfons fühlte sich durch die Anwesenheit des Onkels, der jetzt seine Stelle bei Mandy übernahm, zurückgesetzt. Er wurde eifersüchtig und sann auf Rache. Als der Onkel wieder häufig im Ausland weilte, war Alfons wieder gefragt. Er verkaufte jetzt Mandys Bereitschaft zum Sex jeder Spielart an seine deutlich älteren Bekannten, die unbedingt mit dem gut entwickelten Teenager schlafen wollten. Alfons verdiente an ihr und kaufte sich davon ein Auto. Der Onkel kam dahinter und Alfons verschwand eines Tages spurlos. Sein Auto wurde unweit des Jagdgebietes des Onkels gefunden. Alfons selber blieb verschollen. Mandy ahnte, dass es Sauen waren, die ihr Onkel an einer besonderen Kirrung mit Schafskadavern angelockt hatte, und die letztendlich für die spurlose Entsorgung zuständig waren.

Dann zog Mandy nach dem Tod der Großmutter wieder nach Deutschland. Die Eltern starben bei einem Autounfall und der Onkel wurde offiziell ihr Vormund. Sie war jetzt zwölf. Onkel Richard hatte längst Mandys Nymphomanie und ihr promiskuitives Potential, das sich nicht mehr nur auf ihn beschränkte, erkannt. Mandy hatte jetzt nach der Schule laufend Affären mit Älteren und besserte damit ihr Taschengeld auf. Onkel Richard steuerte das ab sofort und beauftragte Dragan, sie im Bistro anzustellen und zu seiner Nutte aufzubauen. Zu diesem Zweck wurde sie laut Schweizer Ausweis (Typ 85) fünf Jahre älter gemacht.

Als sie richtig für Dragan arbeitete, brachte Onkel Richard Maric ins Spiel, der Dragans Imperium übernahm und sie neben Doreen als seine Edelnutte arbeiten ließ. Doktor von Eynim wurde eine Zeitlang vom Freier zum Geliebten. Mit Doreen war sie häufig in Ungarn in einem Offiziersbordell von Maric. Dann kam ihr mysteriöses Ende. Doreen verschwand und Mandy wurde beim Unfall in Ungarn tot und ausgeweidet gefunden.

Helen hatte alles kommentarlos gelesen und zusammengefasst. BH hatte bis hierher schon einige Post-its angehängt und bemerkt, dass das Geflecht sich um Dragan und Maric verdichtete und Richard hinzukam. Man sollte vielleicht doch die Schweizer Kollegen nochmals aktivieren, nach Spuren von Alfons zu suchen, nachdem Mandy so eindeutige Hinweise in ihrem Tagebuch gab und den Platz der Saukirrung beschrieb.

BH hatte auf die Post-its geschrieben:

„Mandys Pass überprüfen! Bei den Schweizer Behörden nach Alfons nachfragen.

DNA-Spuren von Alfons an der Kirrung? Hat Richard Mandy bewusst mit Dragan bekannt gemacht hatte, um sie in die Prostitution zu führen, weil er wusste, dass sie ohnehin schon äußerst promiskuitiv war, sodass der nächste Schritt logisch und leicht sein würde? Vielleicht wollte er sich auch auf diese Weise an ihr rächen. Vielleicht hat er auch an ihr über Dragan mitverdient?“

Helen kam ins Grübeln. Wie alt war Richard heute? Mitte 50 schätzte Helen. Sie verstand, warum BH nach Richard suchen wollte. Hatte Richard Alfons vor seinem Verschwinden noch befragen können? Zu einem Geständnis zwingen können? Hatte Richard womöglich Alfons verschwinden lassen, wie es Mandy zwischen den Zeilen andeutete? Eine Überlegung, die sich anbot.

Helen würde also auch mit den Schweizer Kollegen Kontakt aufnehmen müssen. Man musste auch überprüfen, ob ihr Schweizer Pass echt oder gefälscht war. Man musste auch nach Richard suchen und auch nach dem Schmuck. Helen hatte die Stelle mit dem Schmuck überlesen. Ja, stimmt, sagte sie sich, Richard hatte Mandy laufend Tansanite und Demantoide aus Südafrika geschenkt. Mandy erwähnte tatsächlich, dass sie einige der Ringe täglich getragen hatte.

Von diesem Schmuck hatte man bei Mandy nichts gefunden. Würden wohl andere jetzt haben. Helen fand, dass dieser Schmuck durch die Steine so besonders wertvoll wurde. Richard hatte Mandy mit diesem Schmuck quasi entschädigt. Er musste wohl insgesamt sehr wertvoll gewesen sein.

Aber noch etwas fiel ihr auf.

Das hatte BH seinerseits wohl überlesen. War ja auch kein Wunder. Diese Lektüre würde BH auch nicht ganz unberührt gelassen haben. Sie notierte:

Richard hat wohl Cohiba geraucht. In der Schneiderei fand man auch Reste von Cohiba-Zigarren. Das muss mit BH besprochen werden. Wenn das der gleiche Raucher ist, dann haben wir eine DNA-Spur von Richard. Ich muss noch einmal nachlesen, ob die DNA-Spuren an Mandys Ausweis mit der DNA an den Szeged-Zigarren identisch sind. Man vergisst das ja prompt. Dann war Richard auch in der Schneiderei und hat mit den Verbrechen mehr zu tun als bisher angenommen. Aber da war noch ein anderer Cohiba Raucher, oder Mitraucher.

An einer dieser Stellen schreibt Mandy über den Zuhälter Dragan:

„Ich kann verstehen, dass Frauen ihm hörig wurden, wie auch ich. Sein Schwanz war die Waffe, mit der er seine Frauen erst breit und dann bereit machte, ihm bedingungslos zu gehorchen. Er war stark, hart und ausdauernd und immer bereit. Es war einfach sensationell, von ihm gevögelt zu werden. Doreen war nur eine von vielen, die mit dieser Waffe hörig gemacht wurden. Seine animalische Männlichkeit war beeindruckend und zwang zur Unterwerfung. Ohne hierbei seine daraus resultierenden kriminellen Machenschaften beschönigen zu wollen. Er hat einfach alle Mädchen schnell willig und hörig gevögelt.“

Die Funktion Dragans beschrieb Helen für sich zunächst als Erwecker eines jeden Dornröschens, das sich in seinen Fängen verwickelte. Er machte die unerfahrenen, pubertierenden Mädchen durch sein dominantes Auftreten neugierig und schließlich mit seiner sexuellen Potenz abhängig, und nutzte das aus, indem er sie schrittweise in die Prostitution führte und sie für sich arbeiten ließ. Einige machten bei ihm und seinen Geschäftspartnern Karriere als Edelnutten und verdienten dann auch selber sehr viel Geld. Er ließ sie teilhaben und schützte sie, solange sie kooperativ waren. Waren sie widerspenstig, waren sie einfach irgendwann verschwunden.

Mandy schreibt, nachdem sie von Dragan „eingeritten“ worden war, wie sie es selber formulierte: „Sein wohlgebauter, starker Körper mit den harten Muskeln bot, natürlich ganz besonders nackt, einen überwältigenden Anblick, der den Mädchen sofort weiche Knie machte. Sein fettloser, stahlharter Bauch ging in eine ebenso beeindruckende, stahlharte Männlichkeit über. Der Drang, sein prachtvolles Exemplar in die Hand zu nehmen und seine samtige Spitze freizulegen, um sie im Mund explodieren zu lassen, seine Hoden zu ergreifen, überwältigte mich einfach jedes Mal. Das ging den anderen Mädchen nicht anders. Wenn er mich dann anfasste und auseinanderfaltete, stieß er immer in eine schon völlig nasse und bereite Tiefe, um mich dann ohne Unterlass bis zur Bewusstlosigkeit zu vögeln.

So war es kein Wunder, dass ich mich später, als er mich schon an Maric verkauft hatte, bei jedem Wiedersehen sofort wieder für ihn hinlegte, als hätten wir uns erst gestern das letzte Mal gesehen.“

Helen war von dieser Fülle erotisch-pornographischer Beschreibungen, die keine Details ausließen, sehr überrascht. Sie war fasziniert von der Deutlichkeit und fast schon brutalen Beschreibung der Pracht und Schönheit des erigierten Penis und der erregenden Elastizität und Schwere der Hoden in ihrem Beutel, von dem Drang, alles mit den Händen zu greifen und diese Teile im Mund zu haben, das Sperma zu schlucken. Sie wusste, wie problematisch es für Männer sein musste, von einer Frau im Wesentlichen über ein attraktives und gut funktionierendes Genital definiert zu werden, was in Mandys Beschreibung zweifellos stattfand. Helen musste unumwunden zugeben, dass sie diese Faszination für einen perfekt arbeitenden männlichen Apparat mit Mandy teilte. Es würde sich auch für mich lohnen, Dragan kennenzulernen, dachte sie. Sie war stark angeregt von Mandys Beschreibungen. Sie verstand ihren Chef gut, der die Problematik schon angedeutet hatte. Man durfte trotz der Pornographie nicht den Faden verlieren.

Helen sah, dass Mandy, kurz auf einen Nenner gebracht, sich auf Initiative und Wunsch ihres Onkels Richard für Dragan prostituiert hatte und dass diese Entwicklung mit einer kontinuierlichen, von jahrelangem Missbrauch durch Alfons, ihren Onkel und andere bewirkten Promiskuität und Ausweitung bzw. Entgrenzung der Tabuzonen einhergegangen war. Helen war überrascht, mit wie wenig Aufregung Mandy ihren „Verkauf“ an Maric zur Kenntnis nahm. Sie beschrieb den Vorgang, als ob es etwas ganz Selbstverständliches wäre.

Helen fasste weiter zusammen:

Im Folgenden berichtete Mandy über den Beginn einer freundschaftlichen Beziehung zu Doreen, die sie im Club von Dragan kennenlernte und als klassische Hure mit Niveau beschrieb. Sie ließ sich auch ausführlich über Doreens körperliche Vorzüge aus. Sie berichtete, dass sie gemeinsam im Bordell von Maric in Ungarn waren und dort absolut jede Art der körperlichen Hingabe an Freier mitmachten. Doreen hatte auch den Verkehr mit den Hunden von Maric perfektioniert und mit Lust praktiziert. Mandy bewunderte Doreen wegen ihrer Schönheit und der Eleganz, die sie auch beim Sex unter „Folterbedingungen und mit den Hunden“ nicht verlor. Mandy hielt weiter fest, dass Doreen vor ihr die Geliebte von Hagen von Eynim war.

Die Sprache Mandys war meist eher sachlich und direkt. Sie benannte alles ohne Schnörkel. Gegen Ende des Tagebuches wurden die Einträge knapper. Mandy erwähnte, dass sie große Brustimplantate erhielt und ähnliche kosmetische Korrekturen erfuhr wie Doreen. Die Lippen wurden etwas aufgespritzt und ihre Schamlippen drastisch verkürzt. Das Rein-Raus ging jetzt reibungsloser. Dann wurde Doreen vaginal zum Transportmedium chirurgisch verändert und auf Reisen geschickt. Mandy erwähnte, dass Maric auch sie im gleichen Sinne operieren wollte.

Hier hat BH wieder Zeichen gesetzt: Ist das vielleicht die Erklärung für ihren Tod?

Eine missglückte Darm-Vagina-Operation, schrieb er. Doreen als Drogenkurier?!

Sollte Mandy auch diesen Weg gehen?

Helen musste konstatieren, dass eine Menge Erklärungen zu dem „Fall“ in Mandys Tagebuch zu finden waren. Sie war beeindruckt und wusste, dass sie das eine oder andere nochmals nachlesen musste. Die Fülle der erwähnten sexuellen Erlebnisse sollte auf Verstöße gegen geltendes Recht überprüft werden, theoretisierte sie, wusste aber auch, dass das im Moment marginal und ohne Relevanz war.

Das „Snuff-Video“

Es war kurz vor 16 Uhr und Zeit, sich ins Büro von Borhagen zur privaten Video- Vorführung zu begeben. Sie war so vertieft gewesen, dass sie diesen Termin verpasst hatte. Sie war gefangen von Details der Lektüre und machte sich Notizen für die weitere Recherche.

Bis zu diesem Zeitpunkt war Helen noch nicht klar, wo die besondere Rolle eines

Dr. v. Eynim sein sollte. Bisher war er ihr nicht weiter verdächtig aufgefallen. Einziger Hinweis war die Erwähnung im Schreiben von Uschi Steinmüller, seine Rolle als Liebhaber von Doreen, Manuela und Mandy. Gut, Doreen und Mandy waren Opfer von Verbrechen geworden. Aber es ergaben sich in den Unterlagen keine Hinweise auf eine Beteiligung des Doktors. Jedenfalls war ihr keiner aufgefallen. Helen war gespannt, ob ihr Borhagen Aufklärung über seinen Informationsvorsprung geben würde. Sie wollte es jedenfalls wissen.

 

Kurz nach 16 Uhr erinnerte sie sich an den Termin und beeilte sich, um noch so halbwegs pünktlich zu sein. Sie musste ja nur das Sekretariat passieren. Sozusagen etwas mehr als fünf Meter.

Borhagen war auch noch beschäftigt und wartete noch nicht. So gab es keinen unnötigen Stress. Helen nahm schon mal Platz auf dem rechten der bereitstehenden Stühle, vor dem Wand-TV- Schirm. Auf dem linken Stuhl lag die Fernbedienung des Beamers. Borhagen hatte den Beamer schon eingeschaltet und warmlaufen lassen.

Es war nahezu unerträglich warm in seinem Arbeitszimmer. Und jetzt noch die Wärme des Beamers. Auf dem Schreibtisch stand der angekündigte Cognac mit zwei Gläsern. Neugierig schaute sie sich die Flasche an. Sie war kein Cognac-Kenner. Hier stand jetzt ein Hennessy. Den hatte sie schon einmal getrunken. Der schmeckt nach Seife, dachte sie. Das war ein frühes Erlebnis. Deshalb war sie nie zum Cognac-Liebhaber geworden. Egal, die Wirkung machte den Alkohol.

Als das Telefonat beendet war, setzte sich Borhagen links neben Helen und legte ihr

dar, was die Staatsanwaltschaft von der Übernahme des Auftrags durch ihre Abteilung erwartete. Die Erfahrungen vorangegangener, erfolgreicher Ermittlungen waren der Hauptgrund. Nebenbei auch die Dokumentation, an der sie beide arbeiteten. Borhagen beschrieb dann weiter, wie er Helens Aufgabe in diesem Fall sah: offene Diskussionen und offene Darlegung der Fahndungsziele mit gegenseitiger vollständiger Information über alle erzielten Ergebnisse. Zwei Mal wöchentlich Abgleich der Fakten, einmal wöchentlich Stand der Ergebnisse und Weiterentwicklung der Arbeitshypothese. Eigentlich nichts Neues. Es musste nur mal wieder gesagt werden.

„Und das Wichtigste ist, absolutes Stillschweigen gegenüber Allen.“ Nur er und Helen seien vorläufig involviert. Jede weitere Einweihung musste abgesprochen werden. Helen wollte wissen, was die Gründe für die Geheimhaltung waren. Die Korruption im ungarischen Polizeiapparat und die vermutete Involvierung deutscher Stellen. Hier nichts Konkretes. Wenn sie mit Stefan als Helfer einverstanden wäre, sei das für ihn in Ordnung.

Helen konnte nur sagen, „ich kann Stefan überhaupt nicht beurteilen“, und dachte, eigentlich wollte ich ihn auf ganz andere Art kennenlernen, nachdem er ihr körperlich attraktiv vorkam.

Borhagen sagte, diese Geheimhaltung sei seine ganz persönliche Entscheidung. Dann schwenkte er zum Film über.