Helen und die Häute der Frauen - Erster Teil: SOKO Haut

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„Tatsächlich, Annegret, Sie sieht mir unheimlich ähnlich. Aber deshalb muss mir erzwungener Sex nicht unbedingt gefallen, oder?“

„Na, manchmal sind die Grenzen verschwommen. Manchmal muss ein bisschen nachgeholfen werden.“

„Annegret, das ist sehr dünnes Eis.“

Beim Resümieren ihres aktuellen Falls war ihr endlich eingefallen, was ihr beim Betrachten der „Schneiderpuppen“ bekannt vorkam und doch noch eine Weile im Nebel geblieben war: Samys Brustwarzen-Piercing.

An diese Ringe musste Helen denken, als sie die Akten durcharbeitete und die Bilder der mit eben dieser Art von Piercingringen geschmückten Brustwarzen der „Schneiderpuppen“ sah. Auch Mandys Brustwarzen waren derartig „geschmückt“. Helen wusste, dass sie sich unter diesem Aspekt das Video erneut ansehen musste. Diesmal unter anderen Voraussetzungen.

Helen trank ihren Kaffee aus und whatsappte erneut an Annegret. Natürlich würde sie am Mittwoch in die Sauna kommen. Sie freue sich darauf. Vielleicht würde es wieder so gut werden wie vor drei Wochen.

Annegret whatsappte zurück: „Die Burschen sind von der harten und stabilen Sorte. Ich glaube, das sagt alles, die Grundvoraussetzung stimmt.“

Helen erinnerte sich, wie Annegret damals, vor einigen Wochen, angepriesen hatte, sich schon mal die Kerle anzuschauen, denen sie sich anbieten sollte. Immerhin waren es aktive, durchtrainierte Hockeyspieler. Eine Garantie für körperliche Fitness. Die spezielle Fitness und Phantasie, die Helen von den Kerlen erwartete, war Durchhaltevermögen, das, was ihr was bringen würde. Und das würde sich noch zeigen müssen. Sie wollte mehr als nur das Reinstecken und ein paarmal Hin und Her. Dann erst fiel ihr auf, dass Annegret von mehreren gesprochen hatte, die sie auf Helen angesetzt hatte. Helens Herzklopfen wurde wilder bei dieser Vorstellung. Vielleicht hätte sie sich nicht gleich soweit aus dem Fenster lehnen und Annegret gegenüber nicht so dick auftragen sollen. Einer wäre ja als Wiedereinstieg auch genug gewesen. Aber jetzt war es so. Annegret hatte damals den Saunabesuch auf 19 Uhr nach ihrem Fitness-Training im Club geplant. Sie wusste, dass Helen kommen würde. Die übrigen Spielerinnen würden sicher nicht in die Sauna gehen. Sie mussten zu ihren Familien. Das eigentliche Hardcore-Treffen hatte Annegret für den kommenden Freitagabend bei sich geplant. Das fiel dann allerdings aus. Helen ihrerseits hoffte nur, dass diesmal nicht noch dieser neue Fall, der ihren Schreibtisch blockierte, dazwischen funken würde. Sie hoffte, nicht ihre Planungshoheit zu verlieren, obwohl ihr ziemlich klar war, dass diese Hoffnung illusorisch war. Der Freitag war gestrichen. Es würde andere Tage geben, an denen sie das Erlebnis mit mehreren Männern gleichzeitig haben würde.

Während sie noch mit ihren Gedanken beim vorgesehenen Saunabesuch weilte, kam wieder eine weitere Nachricht von Annegret:

„Ich vergaß, dir zu sagen, dass ich den Kerlen gesagt habe, dass du ziemlich bereit wärst. Frech von mir, ich weiß, aber diente zum Anheizen. Die werden möglicherweise schon in der Sauna versuchen, dich anzumachen. Ich sage das, damit du nicht erschreckst, wenn die Burschen schnell zur Sache kommen wollen und es dir auch gleich zeigen. Andererseits kannst du ja auch die entsprechenden positiven oder negativen Signale senden, wenn du die Kerle in der Sauna siehst. Appetitlich sind sie allemal. Sie sind übrigens sauber rasiert, wie du es gern hast. Aber du wirst ja sehen.“

Helen hatte geantwortet:

„OK, habe verstanden. Körpersprache. Werde also in der Sauna gleich wieder die Beine breit machen oder eben auch nicht.“

„Ich sehe, dass du verstanden hast, worauf es immer wieder ankommt. Übrigens werden wir in der Sauna wahrscheinlich sowieso alleine sein, weil die Mädchen natürlich noch nicht in die Sauna dürfen und die übrigen Männer sehr häuslich sind und nach dem Training heim zu Mutti müssen, wenn ich mich nicht sehr täusche. Aber noch was. Du bist hoffentlich ganz blank! Ich meine Hollywood-Cut oder höchstens Landing-Strip. Die Kerle stehen auf blanke Mösen. Sie wollen das gespaltene Pfläumchen sehen.“

„Was denkst du denn. Werde aber noch mal waxen. Seit meinem 14. Lebensjahr dulde ich da unten kein Härchen. Ich kann haarige Säcke auch nicht ausstehen. Ich liebe es, wenn ich die Eier im Griff habe und unter glatter, samtiger Haut flutschen lassen kann. Im Mund mag ich die Stoppeln auch nicht haben. Das muss alles schön glatt und samtig geschmeidig sein.“

Helen resümierte weiter:

„Ich ahne, dass du schon eingeplant hast, dass ich von den Kerlen gleich noch in der Sauna gevögelt werde. Was machst du dann solange?“

Annegret antwortete:

„Ich schaue zu! Nein, im Ernst, ich habe auch für mich gesorgt. Wir sind zu fünft. Ende jetzt, wir sehen uns.“

Helen war damals nass geworden bei der Vorstellung, in der Sauna auf zu allem entschlossene Männer zu stoßen. Im Prinzip hatte Annegret sie schon verplant. Also musste sich Helen damals für den Abend besonders vorbereiten oder zu Hause bleiben. Der Gedanke, dass schon zwei Männer von Annegret auf sie angesetzt waren, die schon gewisse Erwartungen für den Saunabesuch hatten, machte sie einerseits richtig geil, andererseits hatte sie Bedenken, ob diese Kerle ihr auch gefallen würden. Und dann gleich zu zweit. Es dämmerte ihr, dass Annegret sie schon für den Freitag vorbereiten wollte. Den Freitag, an dem ihre bisherigen Phantasien Wirklichkeit und sie ein Objekt für alle anwesenden Männer werden würde - was sie sich ja vorgestellt hatte und was sie so unendlich geil gemacht hatte. Diesen Freitag hatte es aus Zeitgründen auch damals nicht gegeben.

Es würde ihn auch diesmal aus Zeitgründen nicht geben können, das ahnte sie, nachdem sie den Aktenberg grob überflogen hatte.

Die neugegründete „SOKO Haut“ würde den „alten Fall mit den neuen Vorzeichen“ bearbeiten. Sie ahnte, dass sie zunächst nur zusammen mit Borhagen die SOKO bilden würde, bis sie das erste Thema „Doktor von Eynim“ recherchiert hätte. Aber verdammt noch mal, warum sollte das alles so vertraulich sein? Es war doch angeblich ein alter Fall!

Heute war wieder so ein Tag, an dem sie dankbar war, dass der Kaffeeautomat angeschafft worden war. Er war in einer an sich ziemlich nutzlosen Ecke installiert worden. Es gab einen relativ kurzen Weg zu den Treppen und Toiletten und einen Blick auf die Landschaft durch ein schmales Fenster. Alles in allem kein Ort, an dem sich übertrieben viel Kommunikation entwickeln konnte. Wohl auch nicht sollte, obwohl seit den Überlegungen von Steve Jobs auch andere im Toiletten- und Kaffeeautomatenbereich und den Gängen dorthin einen Kristallisationskern für intelligente Inspiration in einem Unternehmen sahen. Bei der Polizei war man noch nicht so weit. Es gab hier auch keine Ecke für Raucher. Raucher wurden

diskriminiert. Sie mussten in den Innenhof. Helen war das recht.

Gerade hatte sie es sich wieder mit einer weiteren Tasse Kaffee auf ihrem

Schreibtischstuhl bequem gemacht und ging die restlichen Dokumente der ungarischen Polizei durch, als Borhagen anrief:

„Guten Morgen, Helen, ich hoffe ich habe Ihnen nicht den Wochenplan versaut.

„Doch, durchaus, Chef“, sagte Helen.

„Hilft alles nichts, Helen, Sie müssen sich heute Nachmittag eine Stunde Zeit nehmen und sich bei mir dieses eine Video anschauen, bevor wir entscheiden, wie wir weiter vorgehen werden. Ich habe mir Gedanken gemacht, die etwas vom Üblichen abgehen und auch anders sind, als ich es Ihnen geschrieben habe. Wir ermitteln zunächst im kleinsten Kreise.“

Aha, wusste ich doch, dachte Helen und war nicht überrascht.

„Das heißt, die Arbeitsgruppe besteht zunächst aus Ihnen und mir. Genau wie im laufenden Programm. Eventuell nehmen Sie sich noch einen Helfer Ihrer Wahl dazu. Sie müssen ihn mir aber vorstellen, damit ich weiß, ob wir ihm trauen können. Mein Vorschlag wäre Stefan. Der ist neu und noch nicht richtig integriert, glaube ich. Sie führen die Recherchen alleinverantwortlich. Ich werde Ihnen meine Gründe noch näher erläutern. Es bleibt alles erst einmal nur unter uns beiden. Auch Moneypenny sollte weitgehend von Einzelheiten ausgeklammert werden. Nach der Video-Sitzung werde ich Ihnen einen Cognac servieren müssen. Ich mir auch. Den haben wir danach mit Sicherheit nötig. Ich erwarte Sie gegen 16 Uhr in meinem Büro.“

„Gegen“ hieß in diesem Zusammenhang für BH immer pünktlich, auch wenn er selbst meistens dann nicht parat war. Dieses Büro lag auf der anderen Seite vom Schreibzimmer ihrer gemeinsamen Sekretärin Miss Moneypenny. Wenn sie und Borhagen ihre Türen geöffnet hatten, konnten sie sich gegenseitig am Schreibtisch beobachten, was so gut wie nie vorkam.

Borhagen wartete ihre Reaktion nicht ab, sondern legte sofort auf.

Na ja, dachte Helen, wer so drängt, hat Gründe. Borhagen hat sicher noch etwas in petto. Er hält sicher noch Informationen zurück. Ein angeblich alter Fall und doch so viel Aktivität. Hat er Sorge, dass wir einen Maulwurf haben? Sieht ganz so aus. Diesen Stefan kenne ich noch nicht wirklich. Habe ihn erst zweimal kurz gesehen. Etwas blass. Hat aber ein hübsches Gesicht und breite Schultern. Ein muskulöser Bursche mit schmalen Hüften. Eigentlich ein Typ, den man sich mal genauer vornehmen sollte.

Sie hatte sich vorgestellt, dass er sie sehr fest halten könnte. Sie würde sehen, was sich da entwickeln würde.

Helen machte sich einfach weiter an die Lektüre. Bis jetzt hatte sie nur die „harten Fakten“ durchgesehen und versucht, sich das Wichtigste zu merken.

Helen war bei ihren Kollegen bekannt als Schnell- und Vielleserin, aber auch als Genau-Leserin. Ihre sprachlichen Vorlieben waren neben Deutsch auch Englisch und Französisch. Dazu war sie ein Freund von James Joyce, den sie am liebsten am Ende eines längeren Single Malt genoss. Whisky war nur in Form eines Islay ihre Leidenschaft, also weder „blended“ noch „irish“. JJ kann man eben nur mit dem nötigen Spiegel Alkohol verkraften bzw. verstehen, wie Raul immer zu sagen pflegte.

 

Sie fand sich auch durchaus in der französischen Literatur zurecht, die sie im Originaltext lesen konnte. Hier gab es diverse Autoren wie Sartre, Camus und

De Saint-Exupery neben De Sade und Francois Villon. An de Sade liebte sie die Beschreibungen der sexuellen Ausschweifungen, die eine Sprache fanden, von der die Franzosen sagen, dass man über alles schreiben kann, wenn man es nur auch entsprechend ausdrücken kann. Es musste eben lesbar sein. In besonderer Erinnerung war ihr Justine und der Wüstling de Bandol mit seiner beeindruckenden Anatomie, die Annegret kurz auf die Formel des Glücks brachte: LSD, lang-standfest-dick, oder lang und dick, der Frauen Glück. Freunde waren immer aufs Neue fasziniert von der Fülle erotischer Literatur in ihrer Bücherwand, in der nahezu zu jedem Thema etwas zu finden war.

Das Telefon klingelte. Es war erneut Borhagen:

„Habe eben noch mit Budapest telefoniert. Habe noch ein paar Details erfahren, die nicht aus den Unterlagen hervorgehen:

Biometrische Daten des Gesichtes der Leiche des Maric Hödeny konnten nicht mit dem Passbild verglichen werden, da durch den Unfall der Gesichtsschädel bis zu den Ohren vollständig fehlte. Selbst von den Ohren war nur ein Ohrläppchen teilweise erkennbar. Man hatte sich auch nicht die Mühe gemacht, die fehlenden Teile des Gesichtes am Unfallort zu suchen.“

Na, dachte Helen, da hätte man auch sie fragen können. Das war doch klar, dass man aus dem Gesicht nicht mehr viel machen konnte. Nur aus dem Ohr.

„Die Ungarn versteifen sich auf von Eynim. Sie sehen ihn als Drahtzieher im Hintergrund. Ich kann das nicht ganz nachvollziehen, muss den Verdacht der Ungarn jedoch ernst nehmen und sehe in Doktor von Eynim den ersten Anker für die beginnenden Recherchen.“

Helen sah das auch eher skeptisch.

„Dann gab es von dem Kollegen noch den Hinweis“, sagte Borhagen, „dass bei der Polizei in Ungarn Korruption mit eindeutigen Beziehungen nach Deutschland vorliege. Hier sei die Abteilung organisiertes Verbrechen mit Schwerpunkt

Frauenhandel und Drogenhandel betroffen.“

Aha, dachte Helen, daher weht der Wind. In dem Bereich wurde auch das meiste Geld verdient. Das erschwerte die Arbeit natürlich erheblich.

„Wissen wir Genaueres?“, fragte Helen nach.

„Nein, leider nicht. Daher meine plötzliche Vorsicht.“

Helen wollte ihre Recherche mit Uschi Steinmüller beginnen, die dem Doktor den Wagen überlassen hatte.

Borhagen meinte, er habe nichts dagegen. Aber warum?

„Ein teures Geschenk. Das müsste Hintergründe haben. War es eine Gegenleistung? Und wenn, für was?“

Borhagen war einverstanden, dass Helen eine andere Reihenfolge vorzog.

Borhagen erzählte dann, dass die Schneiderpuppen erst in einer zweiten Durchsuchung der Schneiderwerkstatt gefunden worden waren.

„Das muss eine sehr beeindruckende Aktion gewesen sein. Ein riesiges Team der Semmelweiss Universität war zur Spurensicherung angereist.

Wir wissen ja schon einiges aus der sehr umfangreichen Übersetzung des Protokolls über die Durchsuchung und die Funde in der Schneiderwerkstatt bei Szeged, aber nicht diese Details.

Istvan Marek heißt der Kollege, fast wie der Dr. Maric Hödeny, schreibt sich mit e und k und spricht sehr gut Deutsch. Moneypenny wird Ihnen noch die Telefonnummer geben, vielleicht brauchen Sie noch Informationen. Schadet jedenfalls nichts, wenn Sie ihn anrufen müssen. Er ist sehr hilfsbereit. Er war sehr interessiert, als er hörte, dass eine Frau bei uns die Recherche leitet.

Also dieser Marek, der selber mit dabei war, sagte folgendes:

Spannend ist die geographische Lage der Schneiderwerkstatt. Vielleicht wird das noch wichtig. Dieses Dorf liegt direkt an der Grenze zu Rumänien und der Gebäudekomplex der Schneiderwerkstatt liegt direkt auf der Grenze mit einem weiteren Ausgang nach Rumänien. Oder Eingang von Rumänien, wenn man so will.

Es war ein zweiter Besuch der Ermittlungsbeamten in der Schneiderwerkstatt notwendig, ausgelöst durch eine Überprüfung des Einsatzes, bei dem schlichtweg, aus welchen Gründen auch immer, ein ganzer Gebäudeteil übersehen worden war, der direkt auf der Grenze zu Rumänien lag. Vielleicht hatte da schon ein Maulwurf seine Finger im Spiel. Eine aufmerksame Beamtin hatte den Einsatzfehler entdeckt. Alles wurde nochmals auf den Kopf gestellt. In einem abgetrennten Gebäudeteil, der - Achtung! - eben auch den erwähnten, direkten Zugang von rumänischer Seite hatte, wurden diverse Schneider-Puppen gefunden, wie man sie zum Zuschneiden von Anzugsjacken, Blazern und Mänteln braucht. Es sah zunächst wie die Ausstellung einer neuen Kollektion aus. Sie standen alle nebeneinander in einem separaten, abgedunkelten und nicht einsehbaren Raum, der wie ein Museum wirkte. Alle mit zum Teil unfertigen, überlangen Damenanzugsjacken dekoriert, sodass man nur den Halsansatz und ein Stück vom Dekolletee sehen konnte. Einige hatten Blusen darunter. Etwas fiel auf, als die Jacken heruntergenommen wurden, sie waren alle aus Leder, weiblich, alle mit unterschiedlich großen Brüsten und rosa eingefärbten Brustwarzen. Das war schon sehr ungewöhnlich, wirkte sehr lebendig.

Auf die Frage, wer diese Puppen benutzt, war die Antwort der befragten Mitarbeiterinnen: Keiner. Niemand hatte sie je vorher gesehen, geschweige denn mit ihnen gearbeitet. Niemand hatte diese Räume je betreten. Jetzt wurden sie genauer untersucht.

Ich wiederhole das so ausführlich, weil der Kollege Marek mir das sehr emotional eben am Telefon geschildert hat. Die waren alle ziemlich mit den Nerven fertig. Er hat mir zu seinem Bericht auch einige Fotos über WhatsApp geschickt. Details von den Puppen. Zeige ich ihnen, wenn wir uns den Film anschauen. Ober besser leite ich sie Ihnen gleich weiter. Es sind beeindruckende Details. Die Puppen hatten neben den typischen Brustwarzen, die bei jeder Puppe anders aussahen, auch Beinansätze bis Mitte Oberschenkel und, wie festgestellt wurde, alle mit weiblichen Genitalien. Alle waren in der Mitte der Vorderseite mit einer Naht vom Halsansatz bis zur noch vorhandenen Klitoris zusammengenäht. Von da aus teilte sich die Naht und lief beidseits zum Ende an der Vorderseite der Oberschenkel. Dahinter die Schamlippen und der angedeutete Introitus. Der Anus war auch noch vorhanden. Eine weitere Naht lief vom Halsansatz seitlich bis über die Schultern und weiter bis zum Ende des Oberarmes beidseits. Die Armansätze reichten bei allen bis zur Mitte des Oberarmes. Alle Puppen trugen Piercingringe in den Mamillen und in der Klitoris. Manche auch am Bauchnabel und am Steißbein. Einige der „Leichenhaut“-Puppen waren darüber hinaus irgendwo tätowiert. Die Tätowierungen waren teilweise farbig, rot, grün, blau, schwarz. Alle Häute bis auf eine waren hellgrau wie Elefantenhaut gegerbt. Die Brüste waren sehr individuell, unterschiedlich groß, wie auch die Brustwarzen, die zart rosa eingefärbt schienen und eine gänsehauterzeugende Wirkung auf die Betrachter hatten. Die Präparationen waren so lebensnah, dass es die Untersucher erschütterte. Der grausige Verdacht erfasste alle Beamten. Die Individualität jeder einzelnen Puppe war so überzeugend, dass jeder der beteiligten Beamten sofort den gleichen Gedanken entwickelte und an menschliche Haut dachte. Diese Vorstellung wurde so unerträglich, dass zur Spurensicherung weitere professionelle Verstärkung angefordert wurde. Eine Abteilung der Zollfahndung, die Erfahrung mit menschlichen Häuten hat, die als Lampenschirme verarbeitet aus China kamen, wurde eingeschaltet. Der Verdacht bestätigte sich schnell. Es war weibliche, menschliche Haut. Das Gerichtsmedizinische Institut der Semmelweiss Universität bestätigte in ihrem Gutachten das Ergebnis der Zollfahndung.“

Ganz schön gruselig“, meinte Borhagen, „nichts für schwache Gemüter.“

Helen konnte sich in die Situation der Ermittlungsbeamten versetzen.

Borhagen berichtete weiter:

„Sie, die Puppen, die Häute oder die Frauen oder die Leichen, wie soll ich sagen, standen, eine jede, auf einer Stange mit großem, hölzernem Fuß. Die tragende hölzerne Stange steckte zwischen den weit geöffneten und sorgfältig präparierten Schamlippen, die sie quasi umschlossen, als ob hier ein Phallus symbolisiert werden sollte oder eine – oder die „Pfählung“. Man fand sechs Puppen und eine, die wohl noch neu war und erst angezogen werden sollte. Die letzte hatte eine helle, fast weiße Haut. Die entsprechenden Kleider lagen daneben auf einem Stuhl. Die Recherchen ergaben, dass wohl nur Maric Zugang zu diesem Raum hatte. Er wurde versiegelt, die Puppen fotographisch erfasst, dokumentiert und ins gerichtsmedizinische Institut geliefert.

Marek hat sich dann genauer über die Tätowierung ausgelassen. Die „neue“ Puppe, die eine ganz normale, fast weiße Haut hatte, nicht so hellgrau gegerbt war, fiel weiter durch besondere Tätowierungen auf: Ein Skorpion, dessen gestachelter Schwanz sich rund um den Anus schlang, der Körper zur Vagina gerichtet und die geöffneten Zangen rechts und links der Schamlippen. Weiterhin eine Schlange eng um den Hof der linken Brustwarze geschlungen, wobei der Kopf mit züngelndem Maul nach oben und rechts gerichtet war, das Schwanzende mit Klapper nach links außen drohte. Die rechte Mamille war von einer Klapperschlange eng umschlungen, die sich nach mexikanischer Art in die Klapper biss. Ein großer, verchromter Piercingring war durch jede Mamille gezogen. Ein weiterer Ring gleicher Machart war unter der Klitoris hindurchgezogen. Die Schamlippen waren, wie die Brustwarzen, rot eingefärbt. Ein weiterer Ring war in der Mitte der Raute über dem Steißbein. Wie hieß diese Raute nochmal. Marek hatte es gesagt. Ich hab`s vergessen.“

„Michaelis`sche Raute“, sagte Helen

„Richtig, das war der Name. Man recherchierte, wer die Präparationen hergestellt hatte. Es gibt in Ungarn eine Menge guter Präparatoren. Keiner kam in Frage. Wer war der Lieferant, wer der direkte Auftraggeber, wer hatte die Häute dorthin gebracht, wer sie gegerbt, im Wissen um die Herkunft? Kaum vorstellbar, dass jemand nicht erkannte, was er präparierte. Aber in Afrika ist alles möglich. Oder? Was meinst Du, Helen?“

„Keine Ahnung. War noch nicht in Afrika. Habe nur gehört, dass dort so manches möglich ist. Gegen Geld geht sicher viel.“

BH fuhr fort mit dem, was Marek erzählt hatte. „Die Arbeiter und Arbeiterinnen konnten nur sagen, Lieferungen in Empfang genommen zu haben, die in großen Kisten ankamen, geliefert durch ein Subunternehmen der ungarischen Post. Die Lieferung war sicher mit Maric abgesprochen, denn er war zum Zeitpunkt der Lieferung immer anwesend, nahm sie in Empfang und brachte sie in diesen Raum.

Dann meinte eine der Arbeiterinnen, einmal, vor Monaten, mitbekommen zu haben, dass die Kisten aus Afrika, aus Sambia kämen. Sie dachte an Jagdtrophäen, da Maric Jäger gewesen sei. Er habe ja auch ein Jagdgebiet bei Stuhlweißenburg, Szegedfehervar. Das wisse sie sicher. Er habe auch häufig ausländische Jagdgäste.

Auf Grund dieses Hinweises wurde auch dort recherchiert. Diesen Bericht wollte der Kollege Marek noch faxen.“

„Da bin ich gespannt.“

„Ich auch. Soweit der Bericht von Istvan Marek“, sagte Borhagen.

„Das war ja ein langer Bericht.“

„Ja und sehr emotional. Ich dachte ich erzähle es Ihnen gleich weiter, dann ist noch alles ganz präsent.“

„Ich habe noch einige Fragen zu Dr. von Eynim“, meinte Helen.

„Schreibe es auf, ich sehe dich ja nachher.“

Borhagen legte auf.

So war er, ihr Chef, häufig kurz angebunden und oft schwankend zwischen dem Du und dem Sie.

Zehn Minuten später rief „Moneypenny“ an und fragte ob sie stören dürfe.

„Ja, natürlich“, sagte Helen etwas gereizt.

Sie kam in Helens Zimmer und brachte einen Becher Kaffee und ein Fax, das Borhagen gerade eben von der ungarischen Polizei erhalten habe, mit der er heute schon und am Wochenende telefoniert hatte. Es gebe dort einen Beamten, der gut Deutsch spreche, erklärte Moneypenny.

„Ja, ja, ich weiß und du sollst mir seine Telefonnummer geben, er ist ganz scharf darauf mit mir zu telefonieren, hat mir der Chef eben lang und breit erklärt. Ich glaube BH will nur seine Ruhe haben.“

Moneypenny antwortete: „Das muss ein relativ junger Polizist sein, mit einer ganz sexy Stimme. Ich habe ganz weiche Knie bekommen. Der spricht richtig gut Deutsch. Nicht so das harte Balkan-Deutsch.“

 

„Jetzt übertreibst du aber“, sagte Helen, „oder willst du, dass ich ihn sofort anrufe um zu prüfen, ob ich auch weiche Knie bekomme?“

„Nee, ich glaube, wenn du ihn anrufst, kriegt der Bursche weiche Knie.“

„Aha“, meinte Helen, „so soll das laufen. Ich halte nichts von Fernbeziehungen und von weich auch überhaupt nichts.“

Moneypenny grinste schräg, wollte etwas sagen, klopfte sich auf den Mund und gab Helen das Bündel Faxe. Es waren mehrere Seiten mit Fotos.

„Sie haben eben nochmals telefoniert“, sagte Moneypenny.

„Danke für den Kaffee. Das Friedensangebot wäre nicht nötig gewesen, wir hatten keinen Krieg.“

„Ich dachte du brauchst das. Ich verstehe, dass du angefressen bist. Aber du musst jetzt nicht zum Schießtraining bei Deo.“

„Ja, Scheiße, dann versucht er wieder einen Termin mit mir alleine zu organisieren. Diese Faxen habe ich so satt. Wenn der mich nochmal anbaggert, trete ich ihm in die Eier.“

„Tja“, sagte Moneypenny, „manche fordern das heraus. Vielleicht will er gerade das. Aber ich habe da noch was. Genaues erzähle ich dir später. BH ist jetzt definitiv wieder solo. Krall ihn dir. Ich weiß doch, dass du auf ihn stehst.“

„Was soll das heißen? Ich schätze seine Qualitäten als Chef der Abteilung.“

„Und ich sehe, wie du ihn anschaust und er dich!“

„Und was hat das mit Deo zu tun?“

„Der schaut dich genauso lechzend an. Deo erwartet, dass du weich wirst. Bei BH ist das etwas neuer.“

Helen sagte dazu nichts, wusste aber auch, dass Deo genau in diese Richtung arbeitete. Dass BH sie derart interessiert anschaute, hatte sie in der Tat noch nicht mitbekommen. Sie nahm den Kaffee und las das Fax und dachte, passt doch ins gesamte Szenario. Sie fasste zusammen:

Auch Marics Jagdrevier wurde ein erkennungsdienstlicher Besuch mit der Spurensicherung abgestattet. Im dortigen Jagdhaus wurden diverse DNA-Spuren und Fingerabdrücke sichergestellt.

Neben noch unbekannten DNA-Spuren fand sich das ganze Muster der bisher am Tatort, in der Schneiderwerkstat und im Bordell-Container nachgewiesenen DNA-Muster. Spannend war das ganze Arsenal von BDSM-Spielzeug. Oder waren es eher Folterwerkzeuge?

Dann dachte sie: Ich sehe nicht richtig. Nach den Brustpiercingringen jetzt das. Eine Zange, wie sie im Video mit Samy benutzt wurde, um ihre Brustwarzen für das Piercing zu fassen, platt zu drücken und zu durchstechen. Weiter gab es jede Menge gynäkologischer Spekula und Uterusfasszangen, Analhaken, Spreizstangen, Ketten, Haken, Seile, Bondage Gestelle, Andreaskreuze, Böcke, Gangbang- Drehteller, Analplugs der großen Größen und überdimensionierte Dildos. Ein sehr merkwürdiges, faustgroßes Drahtgestell konnte sie sich nicht erklären. Sie rief BH an, der gleich am Apparat war, und fragte, ob er wüsste, was das für ein Instrument sei. BH meinte, er habe so etwas in einem Museum des Mittelalters gesehen. Vielleicht sogar im Germanischen Nationalmuseum oder in Rothenburg. Es müsse ein Folterwerkzeug zum Fassen der Zunge sein. Auch damit man sie anschließend abschneiden könne.

„Ihhh“, sagte Helen, „sehr unschön, sieht ansonsten alles so aus, als ob hier nur Frauen in Position gebracht werden sollten. Ich vermisse die klassische Eierfaßzange.“

„Gibt es so was?“, wollte BH wissen. „Kennst du dich da aus?“

„Wenn Frauen foltern dürften, gäbe es so was sicher. Ich kann mir das schon fast bildlich vorstellen.“

„Ernsthaft? Muss ja schmerzen.“

„In diesem Kontext soll es das eventuell sogar.“

„Gibt es da Bilder? Eventuell im Germanischen Nationalmuseum?“

„Weiß ich nicht. Ich kann ja mal so etwas entwerfen.“

„Ich ahne, wem Sie diese Zange anklemmen würden.“

„Bingo! Wem?“

„Ich verkneife es mir, Helen.“

„Sollte aber auch nur fast ein Scherz sein, Chef. Aber wozu braucht man für erotische Spiele Uterusfasszangen?“

„Keine Ahnung, kann mir auch überhaupt nichts Perverses damit vorstellen. Vielleicht finden wir einen Hinweis in den Texten.“

„Klar! Ich hab’s. Die Geschichte der O! Da war was mit einem Ring.“

„Stimmt, ich habe an irgendeiner Stelle einen Zettel angeheftet und gefragt, ob ich das lesen muss. Du wirst das finden, Helen, und es mir erklären.“

„Hinweise auf einen Operationsraum gab es wohl nicht. Jedenfalls waren nur Fotos anbei, die wie aus einem Katalog für BDSM-Artikel bei Amazon, Orion oder einem Fetisch-Versand aussahen.“

„Ja“, meinte BH, „Spielzeug für BDSM-Liebhaber mit überwiegender oder sogar alleiniger Frauenbeteiligung. Du wirst da noch mehr in dieser Richtung finden. Es wird ein Keller unter dem Jagdhaus beschrieben, in dem weitere diverse Gestelle herumstanden, um Frauen für „sexuelle Behandlungen“ zu positionieren. Auch eine Fickmaschine stand da.“

Helen kämpfte sich durch den Bericht. Hier fand man auch reichliche Spermareste, auch Blutspuren. Dieses genetische Material wurde katalogisiert aufgeführt. Ohne große Phantasie konnte sich Helen vorstellen, was da abging. Freiwillig oder gezwungen, hierzu war bisher keine Antwort parat. Die Hütte hatte einen Hausmeister, der von großen Jagdgesellschaften berichtete. Der Hausmeister war auch für die Versorgung von Hunden in einem großen Zwinger am Jagdhaus zuständig. Er erzählte wohl nur das Nötigste um nicht mit seinem Arbeitgeber und auch nicht mit der Polizei in Konflikt zu geraten. Immerhin gab er an, dass Dr. Maric Hödeny meist in Deutschland sei. Er erhielt sein Gehalt immer per Post aus Deutschland. Er gab an, eben erst sein letztes Gehalt erhalten zu haben. Auf dem Postwege. Den Tod von Dr. Maric Hödeny hatte ihm die Polizei verschwiegen. Und

er ließ auch nicht erkennen, dass er davon schon gehört hätte.

Helen kam das alles sehr merkwürdig vor, denn zum Zeitpunkt dieser Durchsuchung war Dr. Maric Hödeny schon mehr als vier Wochen tot. Da war etwas faul oder schlecht recherchiert. Oder schlecht übersetzt. Oder eben wirklich etwas faul.

Bezüglich des Doktor von Eynim ergaben sich für Helen weiter keine neuen Erkenntnisse, es sei denn, er hätte an den diversen Orten in Ungarn genetische Spuren hinterlassen. Um das zu überprüfen, müsste sie an DNA - Material herankommen, dachte Helen, und hatte eine perverse Idee, die sie lieber nicht weiter erörtern wollte. Sie grinste vor sich hin. Ein Frauenheld schien der Doktor auf alle Fälle zu sein. Sie würde ihn ja bald kennen lernen. Dazu musste sie sich noch etwas einfallen lassen, um sicher an seine DNA zu kommen.

Für Helen stellte sich nach den bisherigen Unterlagen ein Fragenkonglomerat dar. Nichts war wirklich klar.

War Dr. von Eynim als Inhaber des Unfallwagens involviert in die Verbrechen? Und wenn ja, wie weit? Mit jeder weiteren Frage wurde der Komplex immer ausgedehnter.

Hatte er die Unfallfahrt veranlasst? Oder warum hatte er Dr. Maric Hödeny den Wagen überlassen?

Wusste er vom Tode Mandys, mit der er ja mal befreundet gewesen war, und von ihrer Ausschlachtung? Ausschlachtung wozu? Wo fand die Ausschlachtung statt? War hier eine Organmafia beteiligt?

Wie waren die Verknüpfungen des Dr. v. Eynim zu dieser postulierten Organmafia?

Wer waren die weiteren Beteiligten?

Wer war der Taxidermist in Sambia?

Wer hatte die Häute der Frauen dorthin geliefert? War es Zufall, dass Dr. von Eynim beim gleichen Taxidermisten in Sambia seine Trophäen präparieren ließ?

Maric und v. Eynim waren Jäger, v. Eynim überließ seinen Wagen Maric.

Von Eynim jagte vielleicht bei Maric. Kannte er das Jagdhaus bei Vesprem? Und wenn, wusste er, was sich da abspielte? War er dabei, wenn dort Frauen gequält und gevögelt wurden? Hatte er Spaß dabei? Maric transportierte die Leiche einer Frau, die seine, von Eynims, Freundin war. In welcher Beziehung stand sie zuletzt zu ihm?