Frühstück für Tiffany

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Die Webse hatte mich entzückend formlos eingeladen, indem sie mir vormittags eine Notiz auf den Bildschirm geschickt hatte, mit nichts weiter als der Skizze eines Tellers mit einer dampfenden Speise und den Worten „Hunger? 12.30 bei Veggie’s!“.

Ich hatte das ganz in Rattan und Jute gehaltene Lokal bis dahin nur von außen gekannt und mit vegetarischer Kost gerechnet, die ich sicher recht gut verkraftet hätte. Stattdessen erwartete mich ein veganes Menü, das sie mir anhand der Karte auch noch wortreich schmackhaft zu machen versuchte. Erst später, als man uns bereits die ersten der angeblichen Köstlichkeiten auf den Tisch gestellt hatte, wechselte sie unvermittelt das Thema.

„Die Machtgier der Männerseilschaften ist unersättlich“, ereiferte sie sich zwischen Braunalgensalat und Tofu-Gehacktem an Karottentunke. „Vor zwei Jahren mussten wir eigens die Leiterin unseres Frauenförderungsdezernats in Gleichstellungsbeauftragte umbenennen.“

„Is’ nich’ wahr!“, erwiderte ich vorsichtig empört, weil ich noch nicht recht sah, worauf das hinauslaufen würde.

„Doch! Nur weil so ein ewiggestriger Dumpfmacho gerichtlich feststellen lassen wollte, dass auch Männer Rechte haben. Männer Rechte! Wenn ich das schon höre! Die haben die Welt lange genug unterjocht! Jetzt sind endlich wir am Drücker. Ist es nicht so, Kindchen?“

Ich zuckte zusammen, aber weniger ihrer Wortwahl wegen, sondern weil ich auf etwas Festes in der Süßmolke gestoßen war, das nicht so ganz mein Fall war. Was ihr wohl nicht entgangen war. Tadelnd sagte sie:

„Ihre Geschmacksnerven sind vom industriell gefertigten Fressmüll anscheinend schon so verbildet, dass Sie gehaltvolle Nahrung von Wert gar nicht mehr zu schätzen wissen!“

Da mochte was dran sein. Ich wusste tatsächlich noch nicht so recht, was ich daran schätzen sollte.

Die meisten anderen Gäste freilich waren eher Fortgeschrittene. Sie zuckten nicht, ganz gleich, was sie auch zum Mund zu führen hatten. Andererseits genossen sie die Vorzüge der streng veganen Kost aber wohl noch nicht lange genug: Auf mich wirkten sie eher mitgenommen und verkniffen als urgesund und kraftstrotzend. Aber was verstand ich davon?

Für meine vom Fressmüll ruinierten Geschmacksnerven war ja selbst der nun servierte Dinkel-Seitan mit Sojakäse nicht wirklich der Bringer.

Webses lobende Worte, die sie für mich und mein Wirken fand, allerdings um so mehr. Vor allem die Art, wie sie mich als wichtige Verbündete in ihrem geheimen Netzwerk beschrieb, eröffnete mir einen ganz neuen Blick auf mich selbst und ließ mir die Zukunft rosarot erscheinen. Da war ich natürlich gerne bereit, den paar belanglosen Forderungen erst gar nicht zu widersprechen, die sie dafür mehr oder weniger zur Bedingung machte. Und die letztlich alle auf Ergebenheit ihr gegenüber hinausliefen.

Bald darauf waren wir bereits beim Espresso. Ganz in Gedanken an die rosige Zukunft versunken führte ich das Tässchen zum Mund. Und zuckte.

„Das ist Bio-Kaffee aus fairem Handel und ohne Zusatzstoffe“, sagte sie mahnend, weil ich wohl etwas zu auffällig das Gesicht verzogen hatte.

„So schmeckt er auch!“, hätte ich fast erwidert, besann mich aber rechtzeitig darauf, dass mir meine Karriere unter den aktuellen Umständen doch wichtiger war als irgendwelche Röstnuancen von Kaffeebohnen.

„Wenn Sie sich als loyal erweisen, können Sie hier sehr rasch vorankommen“, fuhr Webse fort. „Wissen Sie, was A14 bedeutet?“

„A14 gibt es doch nur für den höheren Dienst, dachte ich.“

„Oh, wir arbeiten gerade an einer Ausweitung für verdiente Frauen aller Dienstgruppen. Es ist nur eine Frage der Zeit, das durchzusetzen.“

„Für Männer nicht?“

„Männer werden sowieso maßlos überbewertet“, entgegnete sie mit einer wegwerfenden Handbewegung, „meinen Sie nicht auch?“

„Oh, doch, natürlich! Maßlos überbewertet.“

Ich dachte kurz an Arnold und befand, dass selbst er seinen wirklichen Wert erst noch unter Beweis stellen musste. Und zwar möglichst bald!

„Mein Motto war von jeher: eine für alle, alle für eine!“, verkündete Webse salbungsvoll. „Wird es schon bald auch das Ihre sein?“

Ich wusste gar nicht, was ich sagen sollte. Was bestimmt nicht typisch ist für mich. Es war wie eine Aufforderung zum feierlichen Treueschwur, und entsprechend ergriffen war ich. Schade, dass der Kellner in den feierlichen Akt hineinplatzte, weil sie ihn zum Bezahlen herangewunken hatte:

„Getrennt!“, wies sie ihn scharf an. Und ergänzte zu mir gewandt, mit schmallippigem, auffallend kontrolliertem Lächeln:

„Wir wollen doch hier keinen Vorwand für Vorwürfe der Begünstigung schaffen, oder?“

Natürlich nicht! Also zahlte ich etwas verdutzt für mich selbst und durfte feststellen, dass das Mittagsmenü vielleicht nicht das schmackhafteste, dafür aber mit Abstand das exquisiteste des Monats gewesen war. Jedenfalls am Preis gemessen. Naja, gesunde Ernährung muss man sich eben etwas kosten lassen. Und die Mitgliedschaft in elitären Zirkeln erst recht.

Außerdem waren 17,80 Euro kein wirklich hoher Preis dafür, dass ich nach allem, was Webse gesagt hatte, jetzt endlich dazugehörte.

Wozu auch immer.

*

„Zeit für eine Wohnungsbesichtigung?“, las ich zum soundsovielten Mal vom Display ab.

Fahrig strich ich mir mit der Hand durchs Haar, von vorne unterm Pony bis ganz nach hinten, wo ich mit langen Fingern meinen Hinterkopf umfassen konnte. Der Hinterkopf brauchte eine Massage. Eine Massage des Hinterkopfs fördert das Denkvermögen.

Kann es sein, dass der Mensch eine Nachricht, auf die er sehr, sehr lange mit zunehmender Verbissenheit gewartet hat, irgendwann nicht mehr wahrzuhaben vermag?

Tage, Wochen, Monate hatte ich eine Nachricht ungefähr dieses Wortlauts herbeigesehnt. Und jetzt, wo sie dastand, gut lesbar auf dem Display meines schicken kleinen Galaxy, fiel mir nichts anderes ein, als dass daran etwas nicht stimmen konnte.

Denn die Nachricht stammte von Arnold.

Arnold war kein Immobilienmakler. Ich hatte ihn auch nicht gebeten, etwas für mich zu suchen. Möglicherweise hatte ich mein Problem bei unserem ersten Date nebenbei erwähnt, als ich ihn unterm Sternenhimmel in 500 knappen Sätzen über mich, mein Leben, meine Herkunft, meine Arbeit, meine Figur, meine Vorlieben und meine 23 Lieblingsträume informiert hatte. Oder vielleicht doch bei einem der kleineren Treffen, zu denen wir seither an mehreren neutralen Orten zusammengekommen waren?

Hatte ich da eventuell auch das Problemchen mit dem Geld erwähnt?

Schätze, dass mein ohnehin leichtgängiges Mundwerk in romantischen Situationen noch ein bisschen unaufhaltsamer sprudelt als ohnehin schon. Ich hatte mich einfach immer so wohl gefühlt in diesem mächtigen männlichen Arm, wenn er ihn ebenso selbstverständlich wie entschlossen um mich gelegt hatte. Am liebsten hätte ich den Schutz dieses Arms zwischendurch gar nicht mehr verlassen wollen, wenn das irgendwie möglich gewesen wäre. Überhaupt nie mehr.

Naja, und wenn wir uns sowieso niemals mehr trennen würden, dann war ja wohl auch nichts dabei, wenn ich ganz am Rande erwähnt hatte, dass mein spitzenmäßig gebauter, liebeshungriger Körper in Kürze kein Dach mehr über dem süßen Köpfchen haben würde.

Und nun das!

Mir war auf einmal völlig egal, ob es grade eine günstige Zeit war, ihn anzurufen, und ehe ich noch die Hand wieder richtig aus den Haaren hatte, tutete es schon aus dem Handy.

„Was? Wann? Wo?“, platzte ich heraus, ohne ihn auch nur zu Wort kommen zu lassen.

„Hallo, Maxine. Wären Sie denn interessiert?“

„Interessiert? Ich platze vor Neugier!“

Das war nicht gelogen. Und es bezog sich sogar nur zum kleineren Teil auf die Wohnung. Viel wichtiger war, dass seine Nachricht ganz sicher ein Zeichen war. Ein Zeichen dafür, dass es mit uns was werden würde!

„Aber Sie wissen doch noch gar nichts.“

„Was muss ich schon wissen?“

„Naja – Lage, Quadratmeter, Anzahl der Zimmer … Wäre sowas nicht ganz interessant?“

„Schauen Sie: Ich suche jetzt so lange, dass ich schon sicher war, Wohnungen dürften neuerdings überhaupt nicht mehr vermietet werden.“

„Was denn sonst?“

„Ich dachte eben, sobald irgendwo jemand auszieht, wird das Haus gleich abgerissen.“

„Da wären aber eine Menge Speditionen arbeitslos.“

„Die werden auch abgerissen!“

Er lachte. Sein Lachen war ansteckend. Es steckte bei mir schon wieder einen Brand an, der gar nicht direkt mit Lachen zu tun hatte.

„Na schön“, fuhr er nach einer kleinen Pause fort, in der ich mir bereits ausmalte, wie gerade er diesen Brand löschen konnte, falls es mit der Wohnung etwas werden würde. „Dann sollte ich Ihnen vielleicht die Nummer des Maklers geben, oder?“

5

„Die Wohnung ist ja …“

Der dickliche, verschwitzt und unorganisiert wirkende Makler mit dem albern hochgezwirbelten Oberlippenbart blätterte unschlüssig in seinen Unterlagen und verzog unwillig das Gesicht.

„… ist ja wohl eigentlich noch für einige Wochen vermietet. Das geht jetzt aus meinen Daten hier nicht so eindeutig hervor. Aber wenn Sie sich mit dem Vormieter einigen, also auch wegen der Möbel und so, könnten Sie in der Zeit zumindest schon mal das eine oder andere nach ihren Vorstellungen ändern lassen.“

„Is’ nich’ wahr!“, antwortete ich, während ich mich mit krampfhaft unterdrückter Begeisterung weiter umsah.

Ich hatte nicht das geringste Interesse, etwas ändern zu lassen. Die Wohnung war ein Traum. Eine Etagenwohnung mit rund hundert Quadratmetern ‚dribb de Bach’, im nördlichen Sachsenhausen, die noch spärlich möbliert, vor allem aber zu haben war.

 

Zu bezahlen war sie nicht unbedingt, jedenfalls nicht von mir, denn 1400 Euro kalt lagen doch deutlich über dem, was ich von meinem kargen A13-Monatssalär erübrigen konnte. Für das Studentenapartment mit Nasszelle, in dem ich übergangsweise untergekommen war, zahlte ich nicht mal die Hälfte. Und selbst das war momentan noch viel zu viel.

Aber wer wollte bei so einem Traum an Geld denken?

Spitzenmäßiges Parkett in allen drei Zimmern, eine geräumige Küche und eine wirklich großzügig geschnittene Diele. Stuckdecken, polierte Messingknäufe an den Türen und ein himmlischer Eckerker, in den ich mich auf den ersten Blick verliebte. Neugierig probierte ich die Lichtschalter und stellte fest, dass sich der Erker sogar mit einem in die Decke eingelassenen Lüster beleuchten ließ. Märchenhaft!

Aber der eigentliche Knüller fand sich nebenan. Ein richtig geräumiges, nein, ein gigantomanisch riesiges Schlafzimmer!

Kurz gesagt: Ich musste diese Wohnung haben.

Eigentlich hatte ich bei meiner Suche etwas Einfacheres im Sinn gehabt, vielleicht doch kleiner und auch nicht ganz so luxuriös. Nicht weil mir das lieber gewesen wäre, sondern weil ich die Zeit überbrücken musste, bis ich wieder zu Geld gekommen sein würde. Das konnte zwar nicht mehr lange dauern, denn bisher hatte ich ja immer Geld in ausreichenden Mengen gehabt, aber solange die zu erwartenden Beträge nicht auf einem meiner Konten eingegangen waren, wollte ich mich lieber noch etwas zurückhalten.

Natürlich galt das nicht für die Wohnung, denn falls ich es noch nicht erwähnt habe: Ich musste diese Wohnung haben!

Wenn es mit Arnold etwas werden sollte – und da war ich mir mittlerweile sicher –, war die Lage ideal für uns beide. Ich würde zum Friseur, zu meinen Lieblingsschuhläden, zum Joggen und zu meinem Stammlokal – also zu allen überlebenswichtigen Punkten – viel kürzere Wege haben als zuvor. Und Arnold hatte erzählt, dass er seiner Studie wegen ständig pendeln musste, weil er sich so weit außerhalb der Stadt eingemietet hatte.

Tja, und da fiel mir doch spontan eine ausgezeichnete Möglichkeit ein, wie man den armen Mann von der nervigen Fahrerei erlösen konnte, wenn es sowieso nur ums Übernachten ging. Die Wohnung war das perfekte Ambiente für die heißesten Liebesnächte, und die konnten sich speziell am Wochenende meinetwegen auch gerne bis in den hellen Tag erstrecken.

Weil ich in dieser Hinsicht nichts dem Zufall überlassen wollte, war mir sofort aufgefallen, dass in der Wohnung trotz der spärlichen Möblierung nur eines fehlte: ein richtig großes, unbedingt robustes, ja am besten unverwüstliches Bett. Die Spielwiese für unsere bevorstehenden Liebesorgien.

„Die Kaution wäre allerdings sofort fällig“, brachte der immer noch etwas abwesend wirkende Makler schwer schnaufend und in leicht misstrauischem Tonfall vor. Erst auf meinen fragenden Blick hin fügte er hinzu: „Das ist – eine Sicherheitsleistung.“

„Ist eine Kaution doch immer, oder?“, erwiderte ich spitz, weil mir sein blasiertes Getue auf die Nerven zu gehen begann. Nur meinem Zukünftigen zuliebe nahm ich es vorerst noch hin. Meinem zukünftigen Zuhause.

Die Kaution betrug drei Monatsmieten, also um die fünftausend Euro. Das war okay, und ich hätte es ihm am liebsten sofort in die Hand gedrückt. Das Problem war nur, dass ich momentan ein bisschen klamm war.

Aber so eine Gelegenheit durfte ich mir nicht entgehen lassen!

„Könnten Sie den Betrag denn aufbringen?“, fragte er argwöhnisch.

„Natürlich! Gar kein Problem.“

Vergnügt verschränkte ich die Hände hinter dem Rücken und schwebte mit beschwingten Schritten über das blankgewienerte Parkett. Die Wände brauchten nicht einmal einen neuen Anstrich und die Fensterrahmen waren zwar offenbar vor nicht allzu langer Zeit erneuert worden, dabei aber sehr geschmackvoll der ehrwürdigen alten Bausubstanz angepasst.

„Wie konnten Sie überhaupt von dem Objekt wissen?“, fragte der Makler wenig später beim Hinausgehen. „Wir hatten es eben erst hereinbekommen und noch nicht einmal ein Exposé angefertigt.“

„Das können Sie sich jetzt wohl sparen“, erwiderte ich ausweichend.

„Ja, wenn Sie das Objekt zu den angebotenen Konditionen nehmen und der Vermieter einverstanden ist.“

„Ach wissen Sie“, sagte ich, einer plötzlichen Eingebung folgend. „Die Wohnung steht doch ohnehin leer. Warum überlassen Sie mir heute nicht erst mal noch den Schlüssel, damit ich sie meinem Verlobten zeigen kann?“

„Das geht eigentlich nicht. Ich müsste schon dabei sein.“

„Oooh! Mein Verlobter hat sehr ungewöhnliche Arbeitszeiten. Wahrscheinlich wird er die Wohnung nur mitten in der Nacht besichtigen können. Da ist es dunkel und … und … da regnet es vielleicht.“

Das war sicherlich nicht die beste Masche, um ihm den Schlüssel abzuquatschen. Denn die Nächte waren zwar nach vor dunkel, nennenswert geregnet hatte es aber seit Wochen nicht. Doch etwas anderes war mir auf die Schnelle nicht eingefallen. Er kam auch bereits ins Wanken:

„Ich weiß nicht recht …“

„Aber Herr Bommel! Wir wissen doch beide, dass so etwas in Ihrer Branche absolut üblich ist, wenn es sich terminlich nicht anders arrangieren lässt. Oder wollen Sie sich den sofortigen Abschluss entgehen lassen, nur weil Sie nicht an zwei Orten gleichzeitig sein können?“

Er sah mich verdutzt an, doch ich streckte so entschlossen die Hand aus und warf ihm so selbstsicher mein allerbestes Du-kannst-mich-kriegen-wenn-du-lieb-bist-Lächeln zu, dass er kapitulierte.

Fragenden Blickes fuhr er den Arm aus, wollte sichtlich noch etwas anmerken, doch irgendwie kriegte er die Worte nicht zusammen. Der Schlüssel entglitt seiner Hand, ich übernahm ihn entschlossen mit einer flinken Bewegung, und dann war es auch schon geschafft. Ich schenkte ihm noch mein schönstes Lächeln aus der Kategorie Jetzt-kriegst-du-mich-nicht-aber-vielleicht-später und wusste sofort, dass er nicht anders war als andere Männer: Auch wenn er vielleicht momentan enttäuscht war, so würde doch schon bald die Freude darüber überwiegen, bei einem Klasseweib wie mir Eindruck gemacht zu haben. Und den Rest zu seinem Glück würde er sich ganz von selbst eingeredet haben, bis er bei einer anderen wieder auf genau die gleiche Masche reinfallen würde.

*

Den Schlüssel hatte ich also. Aber woher sollte ich das Geld nehmen?

Geld war die meiste Zeit überhaupt kein Thema für mich gewesen, seit sich meine Eltern nicht lange nach meinem sechzehnten Geburtstag ins Outback abgesetzt hatten.

Ins Outback!

Überhaupt Australien war schon schlimm genug. Aber dann auch noch Insekten ohne Ende, kein fließend Wasser und nirgendwo auch nur die Spur von Empfang fürs Handy. Schlimm!

Nicht dass meine Eltern mich einfach so zurückgelassen hätten. Sie hatten bloß meine Entscheidung akzeptiert, dass das Outback für mich echt das letzte war, und waren selbst trotzdem ihrer Wege gegangen. Damit ich auf absehbare Zeit versorgt war, hatten sie ein paar formelle Vorkehrungen getroffen und vor allem einen Fonds eingerichtet, der bis zu meiner Volljährigkeit von einem Notar verwaltet wurde und mir danach sofort uneingeschränkt zur Verfügung stand.

Ohne anzugeben kann ich sagen, dass es wirklich eine Menge Geld war. Das traf sich gut, denn für Geld hatte ich schon immer ein Händchen gehabt. Was reinpasste in so ein Händchen, konnte ich spielend bei einer einzigen Shopping-Orgie verpulvern, und wenn ich ehrlich bin, muss ich zugeben, dass das noch untertrieben ist. Im schlimmsten Fall brachte ich es einmal fertig, für zwei Paar Schuhe, ein traumhaftes Kleid, das ich unbedingt haben musste, und ein paar unentbehrliche Accessoires auf einen Schlag mehr auszugeben, als ich für einen ganzen Monat zur Verfügung gehabt hatte. Und das war nicht wenig gewesen.

Ehrlich gesagt, konnte ich ausgeben wie eine nuttige Hotelerbin, und lange Zeit war das eben auch kein Problem gewesen. Auch wenn ich von meinen Eltern nicht ein einziges Hotel geerbt hatte, musste ich ihnen wahrlich nicht böse sein. Denn was mir da ersatzweise in den Schoß gefallen war, hatte mir über Jahre hinweg ein weitgehend sorgenfreies Leben ermöglicht, in dem ich kaum einen meiner Wünsche unerfüllt lassen musste.

Nicht dass ich im Luxus gelebt hätte, aber so an die vierzig Paar Schuhe hatte ich schon immer im Schrank stehen gehabt, und kein einziges Paar davon hatte jemals die Auslage eines gewöhnlichen Kaufhauses geziert.

Erst nach Jahren waren die Zahlen auf meinen drei Konten merklich kleiner geworden, hatten erst eine Stelle verloren, dann die nächste. Unfassbar, um wie viel kürzer die Zeit bis zum zweiten und dritten Stellenverlust war, verglichen mit dem ersten! Das ging am Ende rasend schnell. Sobald die erste bloß noch dreistellige Zahl im Saldo aufgetaucht war, dauerte es bis zur ersten Zahl mit einem Minus nur noch einen Wimpernschlag.

Die Umstellung auf die neue Situation war mir dann wohl auch etwas zu schwer gefallen. Connie hatte mir mal vorgehalten, ich machte überhaupt keine Anstalten, mich umzustellen. Das stimmte zwar nicht, aber naja, nennenswert einschränken wollte ich mich natürlich auch nicht. Irgendwie fand ich das unter meiner Menschenwürde.

Tja, und irgendwann hatte es eben das erste Gespräch mit dem Bankdirektor gegeben. Besser gesagt mit seinem Stellvertreter. Obwohl der Inhalt des Gesprächs wirklich grottig war und zu allerlei unerfreulichen Konsequenzen führte, hatte mich das sogar am meisten auf die Palme gebracht: dass ich mich nun sogar schon mit Stellvertretern abgeben musste.

Jetzt erst begriff ich, wie sehr ich all die Jahre hofiert worden war. Solange man Geld ohne Ende hat, werden einem immer und überall die Türen aufgehalten. Seit einiger Zeit wurden sie mir vor der Nase zugeschlagen.

*

„Sie können sofort einziehen? Sind Sie da sicher?“

Natürlich war ich sicher. Und ich mochte die Art nicht, wie Arnold Zweifel daran anklingen ließ, dass die Sache sogar schon wasserdicht war.

„Ich dachte, es sei eine sehr schicke Wohnung in bester Lage.“

„Ist es ja auch.“

„Da müsste es doch mehr Interessenten geben.“

„Ach, ich musste den Makler nur überzeugen.“

„Haben Sie ihn bestochen?“

„Er hatte eben den richtigen Blick für meine Vorzüge.“

„Sind das Vorzüge, die Sie mir auch mal vorführen würden?“

Uff!

Normalerweise war ich allergisch gegen plumpe Anspielungen dieser Art. Aber war das jetzt überhaupt noch plump? Oder war es schon gar keine Anspielung mehr?

Jedenfalls brachte es mich total aus dem Konzept, und ich wusste einen Moment lang gar nicht mehr, was mir grade noch so wichtig gewesen war.

„Die … die Decken müssten vielleicht mal wieder gestrichen werden“, versuchte ich daher erst mal abzulenken. „Sonst ist alles prima in Schuss.“

„Aber billig wird das nicht, oder?“

Vielleicht kam seine Stimme verzerrt übers Telefon. Vielleicht hatte ich mich in der Aufregung einfach nur verhört. Vielleicht war da aber auch wirklich ein Unterton, den ich gerade bei ihm auf keinen Fall hören wollte. So etwas wie: Ja, können Sie sich denn das eigentlich leisten?

Das konnte ich überhaupt nicht leiden. Es musste zwar nicht unbedingt jeder wissen, dass ich bei Tag und bei Nacht ausschließlich Markenkleidung trug. Aber es gefiel mir auch nicht, wenn jemand etwas anderes dachte. Und bei Arnold gefiel mir das am allerwenigsten. Ich wollte eben nicht, dass vielleicht nichts aus uns werden würde, nur weil er mich zu Unrecht für ein Mädchen aus dem Glasscherbenviertel hielt.

Also rückte ich die Dinge ein wenig zurecht.

Ich sparte nicht mit Bemerkungen über meine glänzenden finanziellen Verhältnisse, beschrieb aber wohl eher die paradiesischen Zustände vergangener Zeiten, als die Kontosalden noch alle Stellen gehabt hatten. Zum Ausgleich ließ ich die Verwerfungen der allerjüngsten Zeit lieber aus. So ein winziges bisschen ließ ich anklingen, dass ich momentan nicht hundertprozentig liquide war, betonte aber, dass das nur völlig vorübergehender Natur sein könne. Was kein Problem sei, weil mich zu erwartende Einnahmen schon bald wieder voll ins Spiel bringen würden. Kann sein, dass ich ein bisschen dick auftrug und die eine oder andere Einnahme schon als sicher verkaufte, die ich mir eher ein wenig aus den Fingern gesogen hatte.

Jedenfalls musste Arnold, als wir uns für den Abend verabredeten, der Überzeugung sein, dass es sich bei meiner leichten Knappheit nur um einen momentanen Engpass handelte, der schon in Kürze durch eine regelrechte Geldschwemme abgelöst werden würde, für die die Europäische Zentralbank eventuell sogar eigens die Druckerpresse würde anwerfen müssen.

 

*

Leider hatte die Europäische Zentralbank gerade völlig überraschend erfahren, dass ein paar traditionell kreditwürdige Staaten im Süden Europas vorübergehend ein bisschen klamm waren. Und weil die Europäische Zentralbank nun mal eine karitative Einrichtung ist, die gerne klammen Staaten aus der Patsche hilft, hatte sie sich sofort daran gemacht, für diese Staaten rasch einige kleinere Güterzüge voll Geldscheine drucken zu lassen, damit sie sich nicht mehr so klamm fühlen mussten. Leider sah sie sich dadurch vorübergehend außerstande, sich auch noch um die Miesen auf meinen Konten zu kümmern. Also musste wohl oder übel Connie einspringen.

*

„Wie heißt er?“, fragte Connie bloß, ehe sie die Zähne zusammenbiss und zu ihrem langgezogenen Endspurt ansetzte. Sie war furchtbar ehrgeizig in diesem Punkt. Auch wenn wir eine halbe Stunde brav nebeneinander hergetrabt waren, wollte sie unbedingt jedes Mal als erste durchs Ziel gehen. Und sie schlug mich eigentlich immer.

Auch an diesem Tag.

Als ich bei Connie angelangte, stützte sie sich schon vornübergebeugt auf ihre weit gespreizten Beine und keuchte. Ein friedlich herannahendes Spaziergängerpaar mittleren Alters, das eingehakt auf uns zukam, geriet darüber so in Streit, dass die Frau ihrem Begleiter so etwas wie eine angedeutete Ohrfeige versetzte, energisch sein Kinn fasste und ihm den Kopf erbost zur anderen Seite drehte, wo es kaum mehr als ein paar dümmlich gurrende Tauben zu bestaunen gab.

Er hatte aber auch mit allzu offensichtlicher Gier in Connies Ausschnitt gegafft, und das hatte seiner Begleiterin eben gar nicht gefallen. Dabei bot Connies Anblick allen Anlass, ein Auge zu riskieren. Sie trug zum Laufen immer einen ihrer schimmernden Stretch-Bodys in den Farben der Saison –meistens in allen gleichzeitig –, und diese Einteiler zeichneten wirklich jede Linie ihres properen Körpers naturgetreu nach. Wenn sie sich so unbekümmert vorbeugte wie jetzt, dann war oben und unten, vorne und hinten wirklich jede Partie dieses Körpers zur Schau gestellt, die einen gesunden Mann im zeugungsfähigen Alter interessieren konnte.

Ich wusste, dass sie es liebte, die Kerle an der Strecke mit ihrem Aufzug anzuheizen, solange sie nicht befürchten musste, von einem der heißgemachten Kerle in die Büsche gezerrt zu werden. Und in der Sonne des belebten Museumsufers gab es ja nicht mal anständige Büsche. Naja, jedenfalls hatte Connie ein gutes Gefühl dabei, und das allein zählte.

„Los, Eismokka!“, kommandierte sie jetzt grinsend, und das ließ ich mir nicht zweimal sagen.

Als wir längst auf der Terrasse des Cafés saßen und an unseren Strohhalmen nuckelten, hatte ich sie noch immer herumdrucksend und mich scheinheilig windend hinhalten können.

Ich hatte nichts verraten. Kein Sterbenswörtchen.

Dann muss es wohl die Art gewesen sein, wie ich in meinem Eismokka rührte. Jedenfalls sah ich dieses verschlagene Grinsen in Connies hübschem Gesicht, ihre kleine Stupsnase war leuchtend himmelwärts gerichtet, und ich ahnte, dass jedes weitere Leugnen zwecklos war. Ich wusste, dass ich ihr nichts vormachen konnte. Außerdem war es sowieso nicht in Ordnung, ihr etwas vorenthalten zu wollen, über das man hinter vorgehaltener Hand tuscheln konnte. Sie war schließlich meine beste Freundin, und sie hatte das Recht, jederzeit auf dem Laufenden zu bleiben, wenn es um Männer ging, an denen irgendetwas interessant war.

Also erzählte ich ihr endlich von Arnold. Aber nicht von seiner Krawatte. Und auch nicht, wie sehr mich die Krawatte verwirrt hatte. Eigentlich hätte ich auch das ganz gerne erwähnt, doch ich wusste nicht recht, wie Connie wohl darauf reagiert hätte.

Natürlich erzählte ich aber von der Wohnung und dass ich sie Arnold zu verdanken hatte.

„Ich brauche ein Nest“, sagte ich grimmig. „Ich will nicht auf die Parkbank. Schon gar nicht mit so einem Mann.“

Connie war hingerissen. Sie wollte alles wissen, und sie ruhte nicht eher, bis sie alles erfahren hatte. Bis auf das mit der Krawatte, versteht sich.

„Und wie heißt er nun, der Wunderknabe?“, fragte sie, als das Schlürfen des Strohhalms bereits das Ende des zweiten Eismokkas signalisierte.

„Arnold“, sagte ich überglücklich. „Ich nenne ihn einfach Arnold.“

*

„Das mit der Wohnung ist jetzt doch schwieriger als angenommen“, sagte ich bedächtig, während ich sachte meine Wange gegen Arnolds Arm schmiegte. Ich hatte ihn bewusst nicht angesehen dabei, doch jetzt brachte er ein wenig Distanz zwischen uns und blickte mich voll Verwunderung an.

„Stellt sich der Makler quer?“, fragte er stirnrunzelnd, während um uns herum die Leute klatschten, weil die Kapelle erfreulicherweise am Ende ihrer schauderhaft schnulzigen Version von „Ich tanze mit dir in den Morgen“ angekommen war. Ich meine, das Lied ist sowieso schon schnulzig ohne Ende, aber gerade deshalb hätte ich es niemals für möglich gehalten, dass sich das sogar noch steigern ließ. Jetzt wusste ich es besser.

Beim Joggen am Nachmittag hatte ich Connie nach langem Herumdrucksen schließlich doch noch gefragt, ob sie mir vielleicht nochmal aushelfen könne. Vielleicht sogar mit ein paar größeren Scheinchen.

Doch ich hatte die Frage kaum ausgesprochen gehabt, da hatte es mir auch schon unendlich leid getan. Denn ich hatte Connies Antwort an ihrem Gesicht ablesen können, das auf einmal blanker Schmerz gewesen war.

Im Grunde hatte ihre Miene eine ganze griechische Tragödie auf einmal widergespiegelt. Angefangen von dem großen unlösbaren Konflikt zwischen Helfen-wollen und Nicht-helfen-können über das schicksalhafte Ereignis meiner Frage bis hin zu ihrem Scheitern an dem Versuch, den tragischen Widerspruch trotz aller Unmöglichkeit aufzulösen.

Ich hatte ihr Mitgefühl mit meiner verfahrenen Finanzlage sehen können und auch ihre steten Mahnungen vergangener Tage, mich endlich von der angeblich überholten Vorstellung zu lösen, ich sei noch immer ein Luxusweibchen, das allein dazu auf der Welt sei, das Leben in vollen Zügen zu genießen. Die einzigen vollen Züge, mit denen ich jetzt noch zu tun hatte, waren die heruntergekommenen Waggons der S-Bahn Rhein-Main, und in denen gab es nun wahrlich nicht viel zu genießen.

Tja, das war’s dann wohl gewesen mit meinem Rettungsring Connie!

Ich hatte sofort beschwichtigt. Hatte das Problem heruntergespielt und so ziemlich alles an Durchhalteparolen aufgesagt, was ich irgendwann mal gehört oder gelesen hatte. All die schönen Worte von wegen positiv denken, irgendeine Lösung findet sich immer und sogar Geld allein macht auch nicht glücklich.

Welch ein unglaublicher Blödsinn!

Nun allerdings schwebte ich in Arnolds Armen über diese improvisierte Tanzfläche nicht weit vom Fluss, die eines der Cafés für den ‚Tanz in den Mai’ hatte errichten lassen. Die Stimmung rundum war gelöst, und es war der laueste Frühsommerabend, den man sich nur vorstellen kann. An den Querstreben der Tanzflächenumrandung, die aus rohen Holzbalken zusammengezimmert war und einen anheimelnd rustikalen Eindruck vermittelte, leuchteten Lampions in heiteren Farben.

Ich selbst konnte mich nicht recht zwischen heiter und wolkig entscheiden. Wollte ich nun heiter sein, weil Arnold und ich uns so nahe waren wie nie zuvor? Oder sollte ich besser Wolken von Trübsal blasen, weil das meinem Kontostand angemessener gewesen wäre?

Aber Trübsal blasen ist uncool.

Also entschied ich mich für die Heiterkeit.

Obwohl die Kapelle mittlerweile ihre nächste Nummer angestimmt hatte und die auch wieder so schnulzig war, dass ich mich vor Arnold beinahe genierte. Nicht einfach weil die Nummer so schnulzig war, sondern weil ich mich mit dem süßlichen Gesäusel derartig wohl fühlte, dass ich mich am liebsten immer enger und enger an diesen tollen Mann geschmiegt hätte, den ich möglicherweise schon bald einer eingehenderen Prüfung unterziehen konnte. Mal sehen, ob er wirklich so toll war oder vielleicht doch wie viele andere vor ihm nur so tat.

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