Frühstück für Tiffany

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Das kleine Abenteuer, in das ich tags zuvor hineingeraten war, war am Ende regelrecht versandet. Wir hatten uns weder für ein nächstes Mal verabredet, noch hatten wir auch nur Handynummern ausgetauscht. Vielleicht hatte er gehofft, dass ich etwas vorschlug, während ich umgekehrt erwartet hatte, dass er darauf drängte. Jedenfalls hatten wir uns sang- und klanglos voneinander verabschiedet, und so wusste ich nicht viel mehr als seinen Namen und dass er mittwochs wie ich oft im Zoo anzutreffen war.

Gut, das würde sicher reichen, um ihn irgendwann mal wieder zu sehen. Nur wann?

Ich konnte natürlich ein paar Datenbanken bei uns im Amt anzapfen, um mehr über ihn zu erfahren. Aber seit immer mehr vollkommen unbedeutende Leute sich immer panischer dagegen wehren, dass wir in den Ämtern freien Zugriff auf ihre Daten haben, konnte das auch mal Ärger geben. Man konnte als treusorgende Staatsdienerin nie ganz sicher sein, dass nicht später irgend so ein wildgewordener Datenschützer dümmliche Fragen stellen würde, was zwar nie irgendwelche Konsequenzen hatte, aber eben einfach furchtbar lästig war. Deswegen hatte ich mich bereits entschieden, mit dem Anzapfen lieber noch ein wenig zu warten. Was meine Laune allerdings auch nicht grade verbessert hatte.

Gegen schlechte Laune jedoch – das wusste ich mittlerweile aus Erfahrung – half kaum etwas so rasch und so zuverlässig wie ein Auftritt in Uniform. Es ist ein überwältigendes Erlebnis, dieses unvergleichliche Gefühl der Macht zu spüren, wenn die niedriggeborenen Bürgerlichen vor der Uniform kuschen. Sie würden gerne aufbegehren, das sieht man ihren langen Gesichtern an. Aber sie wagen es nicht, weil die Uniform ihnen sagt, dass sie es mit einer Amtsperson zu tun haben. Und einer Amtsperson ist der Sterbliche nun mal auf Gedeih und Verderb ausgeliefert.

Ja, das wäre jetzt genau das Richtige gewesen, ein paar von denen ein wenig quälen zu können! Nichts Schlimmes natürlich. Nur so viel, dass ihnen der Schweiß auf der Stirn stand und der Widerschein der Ohnmacht in den Augen. Macht über andere zu haben, war einfach wundervoll. Und dass ich dieses Gefühl ausgerechnet jetzt, in diesem Zustand missmutiger Unzufriedenheit mit mir, der Welt und allem übrigen, nicht genießen konnte, machte meine Laune gleich noch ein ganzes Stück schlechter.

Schon die Nacht über hatte ich unruhig geschlafen, am Morgen war ich nur widerwillig aus den Federn geschlüpft, und dann war ich auch im Amt kaum zur Ruhe gekommen. Die Dienststunden hatten sich so entsetzlich gezogen, dass ich es nur mit eisernem Willen geschafft hatte, bis zum Dienstschluss durchzuhalten. Und selbst das nur, weil ich den Dienstschluss dank eines Hinweises aus der Bevölkerung vorverlegen konnte.

Zu meinem Aufgabengebiet gehörte nämlich auch die Überwachung von Parks und Grünanlagen, und wenn es einen Hinweis aus der Bevölkerung gab, dass da etwas im Argen lag, musste ich dem natürlich nachgehen. Um so mehr, wenn es ausgerechnet um einen Park ging, in dem ich mit Connie oft eine Extraschleife drehte, und wenn der Hinweis auch noch besonders zuverlässig war, weil ich ihn mir strenggenommen selbst gegeben hatte. Natürlich erwähnte ich solche unwichtigen Details im Amt nicht extra, und ein Mitglied der Bevölkerung bin ich ja wohl ohne Zweifel.

Schon auf dem Trottoir vor dem Amtsgebäude entschied ich dann, dass die Parkinspektion warten konnte. Wenigstens bis Connie Zeit hatte. Es ist nie gut, wichtige Amtshandlungen ganz allein vornehmen zu wollen.

Zuhause angekommen warf ich mich erschöpft mit dem Handy aufs Bett, um mich mit ihr zum Joggen zu verabreden. Ich brauchte dringend etwas Bewegung, sowohl körperlich als auch geistig. Mir ging einfach zu viel durch den Kopf. Na ja, so viel eigentlich auch wieder nicht, eher immer dasselbe. Derselbe, genauer gesagt.

Es gibt kaum eine Beschäftigung, bei der ich meine Gedanken so frei fließen lassen kann wie beim Laufen. Connie geht es ähnlich, und so treffen wir uns zwei-, dreimal die Woche und laufen eine halbe Stunde vor uns hin, reden ein bisschen dabei und anschließend findet sich immer ein Lokal, in dem wir den Flüssigkeitsverlust umgehend wieder ausgleichen können.

Als ich Connie aus den zuletzt gewählten Nummern herauspicken wollte, fiel mein Blick auf eine Nummer, die mir unbekannt vorkam. Ich wähle prinzipiell keine mir unbekannten Nummern, und wenn ich es doch tue, dann erkenne ich sie hinterher wenigstens wieder. Diese hier nicht.

Erst mit Verzögerung, dann aber schlagartig, wurde mir klar, weshalb: Das war die Nummer, die Arnold gewählt hatte, diese linke Bazille, als er sich ohne Erlaubnis meines Handys bemächtigt hatte.

Wen er da wohl angerufen hatte?

Es interessierte mich zwar überhaupt nicht, und weshalb hätte es das auch tun sollen? Aber immerhin hatte er unerlaubt mein Handy benutzt, da war es doch nur angebracht, wenn ich einer verdächtigen Spur erst einmal nachging. Was ich sonst natürlich niemals getan hätte.

Also wer war es?

Wer konnte es sein?

Garantiert so eine doofe Tussi, mit der er was hatte oder vielleicht gerade was anfangen wollte! Er hatte diese gemein zufriedene Miene aufgesetzt gehabt, als er zu mir zurückgekommen war. Die haben Männer nur dann auf, wenn sie gerade bei einer Frau gepunktet haben. Aber dann immer.

Also wer?

Die Wiederwahltaste hatte ich schon gedrückt, als ich noch gar nicht mit dem Durchdenken fertig gewesen war. So überraschte es mich doch ziemlich, als jetzt aus dem Handy eine samtene Stimme zu hören war, die unversehens einen dicken Kloß in meinem schmalen Hals versenkte:

„Ja, Arnold Kreutzer, mit wem habe ich das Vergnügen?“

Es wäre ein Klacks gewesen, die Verbindung zu trennen und nicht nur den Anruf, sondern auch diesen hinterhältigen Kerl auf der Stelle zu vergessen. Aber sag das mal einer jungen Frau, die gerade von genau der dunklen, samtig warmen Stimme umgarnt wird, die ihr sowieso den ganzen Tag nicht aus dem Kopf gegangen ist. Und die Nacht über noch viel weniger.

„Ich …“, begann ich zögernd, und das klang so beschämend hilflos, dass die kleine Denkfabrik zwischen meinen Ohren schlagartig in Alarmbereitschaft versetzt und glücklicherweise sofort auf hundertzwanzig Prozent Leistung hochgefahren wurde. „Ich habe mich grade gefragt, wie weit Sie wohl inzwischen mit Ihren Brüsten sind.“

„Ach Sie sind’s, Maxine“, erwiderte er mit einem Lachen.

Seltsamerweise fand ich den Umstand, dass er sich nach beinahe sechsunddreißig Stunden noch an meinen Namen erinnerte, eine tolle Leistung. Für einen Mann, meine ich.

„Ich denke an gar nichts anderes mehr“, antwortete ich bemüht flapsig. Eigentlich war es als ironische Anspielung auf sein Forschungsprojekt gemünzt. Erst als es schon hinaus war, fiel mir auf, dass er meine hingehauchten Worte ohne weiteres auch als Aufforderung zu einem unmoralischen Angebot verstehen konnte. Was zwar auch nicht direkt falsch gewesen wäre, aber das musste ich ihm ja nicht unbedingt auf die Nase binden.

Ich gebe zu, dass ich in der Nacht zuvor ein wenig nachgeholfen hatte. Ich hatte natürlich an ihn gedacht und an all die aufregenden Sachen, die wir zusammen angestellt hatten. Nein, die er mit mir angestellt hatte. Ich hatte viel in mich hineingeschmunzelt, weil es sehr angenehme Erinnerungen waren, zumindest wenn ich an die Empfindungen dachte, die er in mir ausgelöst hatte. Ein paar Details waren nicht ganz so schön gewesen, eher ein bisschen blamabel, aber was spielte das jetzt noch für eine Rolle?

In mich hineinsummend hatte ich mir nächtens ausgemalt, wie schön es mit uns beiden noch werden konnte. Oder wie schön es hätte werden können? Ob es überhaupt noch so etwas wie ein Wir geben würde?

Ach was!

Ich hatte mir alles weiter ausgemalt, in den schönsten Farben, und die meisten dieser Farben waren irgendeine Schattierung von Rosarot. Naja, und soll ein Mädchen dann vielleicht gleichgültig bleiben, wenn es sich vorstellt, wie der Geliebte es in den Arm nimmt, und noch enger in den Arm nimmt und ihm zärtliche Worte ins Ohr flüstert und, und, und, und?

Es war mir auf einmal alles wieder in den Sinn gekommen, als ich nun diese Stimme wieder gehört hatte. Wie es schien, hatte das keinen vorteilhaften Einfluss auf meine Fähigkeit, mich unnahbar zu geben.

„War ganz nett gestern“, sagte ich irgendwann hilflos, weil mir einfach kein noch lockererer Spruch einfallen wollte.

Wenigstens wusste er damit schon mal, dass er auf meiner Bewerberskala nicht über ein mageres ‚ganz nett’ hinausgekommen war.

„Oh, ich fand es sogar sehr nett!“, entgegnete er zu meiner Verblüffung. Und dann auch noch in einem Tonfall, der oben am Treffpunkt meiner Schenkel ein Buschfeuer auslöste.

Ein paar Sekunden lang musste ich die Hand auf das Handy legen, damit er mein Keuchen nicht hören konnte.

„Sind Sie noch da?“, hörte ich ihn schließlich fragen.

„Ja, ja!“, entgegnete ich noch immer atemlos, nachdem ich hastig die Hand dort weggenommen hatte, wo sie nicht hingehörte.

„Ich habe von Ihnen geträumt“, erwiderte er ruhig. „Ich hoffe, das stört Sie nicht.“

„Nein, nein“, sagte ich rasch, ehe mir am Ende wirklich noch die Luft wegblieb. „Warum denn auch?“

„Oh, weil es ein reichlich anzüglicher Traum war.“

„Was denn? Sind Sie etwa zudringlich geworden?“

„Könnte man sagen.“

„Hoffentlich haben Sie mir erst rote Rosen gebracht, um sich für Ihr unmögliches Benehmen zu entschuldigen.“

„Nein.“

„Orchideen?“

„Was dann?“

„Ich hatte Sie in Ketten gelegt.“

Jetzt war es so weit. Jetzt blieb mir endgültig der Atem weg. Und was das Schlimmste war: Mir fehlten die Worte.

 

Wer mich kennt, weiß, wie ungeheuerlich das ist. Ich kann mich nicht erinnern, wann mich davor zuletzt ein Mann sprachlos gemacht hatte. Seit ich das erste Mal einen Büstenhalter umgelegt habe, jedenfalls keiner. Auf den Mund gefallen war ich schon als Kind nicht gewesen, aber seit ich jeden Morgen zwei hinreißende Wonnedinger in die Auslage packen konnte, wusste ich, dass die Welt mir gehörte.

Und jetzt auf einmal war ich sprachlos.

„Maxine?“

Seine Stimme klang echt ein wenig besorgt. Rührend!

„… j-jjahh…“

Es war eher ein klägliches Krächzen, das ich da mit letzter Willenskraft zustandebrachte.

„Sind sie okay? Sie klingen so – abwesend?“

„Oh, ich muss bloß nebenbei … gerade … etwas Wichtiges erledigen.“

Erst als ich das gesagt hatte, wurde mir bewusst, dass die Finger meiner freien Hand tatsächlich gerade etwas zu erledigen versuchten. Jetzt war die Hand wirklich an einer Stelle, an die sie nicht hingehörte.

Oder vielleicht doch?

Ich musste schlucken und hatte Angst, er könne etwas davon mitbekommen. Auch keuchte ich jetzt noch mehr als vorher, so dass ich mich schließlich zwang, die Zähne aufeinanderzupressen und die Lippen ebenso. Geatmet wurde nur noch durch die Nase. Zudem wollte ich mich zwingen, die Hand von dieser hochempfindlichen, ja explosiven Stelle fortzunehmen. Doch das misslang auf ganzer Linie.

Das Streicheln war wunderschön. Ich wusste doch genau, wie ich es am liebsten hatte, und während diese unerhört warme, männliche, hocherotische Stimme unaufhaltsam ins Zentrum meiner Ohrmuschel kroch und ungehindert bis tief in mein Inneres vordrang, befiel mich unwillkürlich die Vorstellung, dass noch etwas völlig anderes unaufhaltsam in mich drang. Etwas unerhört Warmes, Männliches, Hocherotisches. Etwas, das eine Frau mit Herz außergewöhnlich glücklich machen konnte.

„Ist Ihnen das peinlich?“, fragte er jetzt in besorgtem Tonfall.

„Was? Was soll mir peinlich sein?“

„Denken Sie sich nichts“, beschwichtigte er sanft.

„Es … war ja nur ein Traum, nicht wahr!“

Der Satz kam fast von selbst über meine Lippen. Ich vermute, es war eine Art natürliche Schutzreaktion, sowas wie ein Notprogramm meines überforderten Gehirns, das nach vorübergehendem Totalausfall gerade nur von einer Art Notstromaggregat gespeist wurde.

„Auch wenn Sie nackt waren. Das ist doch etwas ganz Natürliches.“

„Ich – war – nackt?“, stieß ich entsetzt hervor.

„Ja, sicher. Und in Ketten. Sagte ich das nicht?“

„Vielleicht schon. Ich frage mich nur …“

Wieder musste ich schlucken, weil meine unverfrorenen Fingerchen sich nicht zu schade waren, das Schlüpfrige der Situation schamlos auszunutzen. Was natürlich nicht unbedingt dazu führte, meine Beiträge zum Gespräch intellektuell über die Maßen aufzuladen.

„Ich frage mich nur, ob Sie immer so … wilde Träume haben.“

„Oh, ich erkläre mir das so, dass die Ketten wohl den Wunsch nach einer besonders festen Bindung symbolisieren. Zwischen Ihnen und mir.“

„Ja, das … das leuchtet mir ein“, säuselte ich halbherzig, weil sich um mich herum gerade erste rosa Schlieren zeigten. Meine Knie wurden weich, ein unerhörtes Glücksgefühl durchflutete meinen Leib und meinem Mund fiel es immer schwerer, noch wohlartikulierte Laute zu formen.

„Die Nacktheit wäre dann nur eine belanglose Randnotiz. Sie symbolisiert im Prinzip Ihre völlige Offenheit mir gegenüber“, fuhr er nachdenklich klingend fort. „Aber sie hat auch eine praktische Bedeutung.“

„We-welche denn?“

Mir war fast, als verschluckte ich meine Zunge, doch er sprach ungerührt in einförmig dozierendem Tonfall weiter, als wäre ihm noch nichts an mir aufgefallen. Was ich mir allerdings immer weniger vorstellen konnte.

„Sie haben ein entzückendes Hinterteil!“

Jetzt verschluckte ich meine Zunge. Naja, fast.

„Ich habe was?“, stieß ich hervor.

„Oh, es war gar nicht zu übersehen, so aufreizend schamhaft, wie Sie sich in Ihren Ketten gewunden haben“, entgegnete er entschuldigend.

„In … Ihrem … Traum!“

„Ein formidables Hinterteil! Prall und knackig. Allerbestes Erbgut! Sie können wirklich stolz darauf sein.“

Das war ich auch, jedenfalls ein paar Augenblicke lang, bis allmählich doch das Gefühl überwog, dass unsere Unterhaltung die schmale Grenze zum Bizarren bereits weit überschritten hatte:

„Ich dachte“, stieß ich kurz atmend hervor, „Sie interessieren sich mehr für … ähm … Euter!“

„Ach wissen Sie! In der Anatomie der höheren Säugetiere gibt es immer wieder gewisse Parallelen.“

„Parallelen …“

„Ja. Nehmen Sie nur die Proportionen. Ein wohlgeformtes Hinterteil beispielsweise lässt mit hoher Sicherheit auf ebenmäßige Gesichtszüge schließen und vice versa.“

„Vice versa …“

„Genau!“

„Sie meinen, bei Rappenantilopen.“

„Da auch.“

Diese Stimme machte mich kirre. Vielleicht hatte ich zu lange keine Männerstimme mehr am Ohr gehabt, vielleicht hatte aber auch sein Timbre von Natur aus einen so hohen Schlafzimmeranteil, dass ich es trotz allen Bemühens nicht mehr fertigbrachte, unter der Beschallung durch so viel schmeichelnden Wohlklang den Kopf noch einmal klar zu bekommen.

Auf einmal packte mich wieder dieselbe Empfindung, der ich schon machtlos erlegen war, als er mir im Zoo die Hände gefesselt hatte. Es war eine schrecklich verwirrende Mischung aus heftigem Widerstreben und einer nachgerade selbstverleugnenden Bereitschaft zur Hingabe, die all meine Sinne restlos benebelte.

Völlig aus dem Gleichgewicht geriet ich aber, als ich gewahr wurde, dass die Mitte meines Leibes von dem heftigen Verlangen erfasst wurde, dieser tolle Mann möge mich auf der Stelle wieder in Fesseln legen, möge mich entschlossen in den Arm nehmen, mich leidenschaftlich küssen und dann wild und unerbittlich absolut alles mit meinem wehrlosen Leib anstellen, wonach ihm gerade der Sinn stand. Und bitte keine Gnade!

Wie ich die Männer kannte, würde er sowieso nicht allzu lange überlegen müssen, womit er denn anfangen sollte.

Je mehr er jetzt noch redete und je weniger ich noch von seinen Worten erfasste, desto sicherer wurde ich, dass ich ihn – genau ihn! – jetzt auf der Stelle zu meiner Verfügung haben wollte. Oder wollte ich doch eher selbst bedingungslos zu seiner Verfügung stehen? Oder vielleicht beides zugleich? Atemlos lauschte ich noch meinen wildgewordenen Empfindungen, da fühlte ich die ersten Vorzeichen dafür, dass es mit mir durchging.

Zu dem Telefongespräch trug ich mittlerweile so gut wie überhaupt nichts mehr bei, außer vielleicht das weitgehend sinnfreie Echo seiner jeweils letzten Worte und ein immer schlimmer werdendes Keuchen, das dem Topzustand meiner Lunge und meines spitzenmäßig trainierten Sportlerherzens Hohn sprach.

„Hören Sie“, fiel ich ihm schließlich abrupt ins Wort, als er gerade über die entwicklungsgeschichtliche Bedeutung wohlproportionierter Beine bei höheren Säugetieren dozierte, „ich muss jetzt wirklich … etwas sehr Wichtiges … ich … muss … ich … muss …“

Panisch drückte ich mit letzter Kraft den roten Knopf.

Die Verbindung war getrennt.

Es war eine Verzweiflungstat, die meine Lage auf lange Sicht höchstens noch komplizierte, doch für den Augenblick war sie meine letzte Rettung gewesen. Wenigstens was mein ohnehin schon arg ramponiertes Ansehen bei Arnold Kreutzer betraf.

Der Buschbrand jedoch hatte während des kurzen Gesprächs Ausmaße angenommen, die jeden weitergehenden Versuch der Rettung sinnlos machten. Niemand kann retten, was nicht mehr zu retten ist.

Wie aus weiter Ferne nahm ich wahr, wie meine gepflegten Finger mit größter Geschicklichkeit und wunderbarem Einfühlungsvermögen einen kleinen, aber um so wichtigeren Punkt meines Körpers stimulierten, bis ich mich plötzlich maunzen und wimmern und stöhnen hörte, wie ich es nicht mehr erlebt hatte, seit ich als Teenager auf die Möglichkeit gestoßen war, durch Ausdauer und einfühlsame Zärtlichkeit den Mann im Haus von eigener Hand zu ersetzen.

Was danach geschah, vermag ich im Einzelnen nicht mehr zu berichten. Ich weiß nur, dass es wundervoll war und dass ich fast nicht glauben konnte, wie gut ich mich gerade in den Momenten höchsten Glückes über die Abwesenheit jenes Mannes hinwegzutrösten mochte, nach dem sich mein Herz zugleich so unbeschreiblich verzehrte.

4

Meine Mutter hatte mir früh beigebracht, dass kein Mann jemals die Kuh kaufen wird, deren Milch er auch so bekommt. Manchmal dachte ich sogar, dass meine Brüste vielleicht auch deswegen so wunderbar üppig herangewachsen waren, weil ich diesen Sinnspruch mit der Zeit verinnerlicht hatte. Jedenfalls hatte ich mich stets danach gerichtet und meinen Marktwert nach Kräften gesteigert, indem ich an den richtigen Stellen ‚nein!’ gesagt hatte. Natürlich nicht, ohne ein vielsagendes Lächeln hinterherzuschicken, das den jeweiligen Anwärter ermunterte, sich nicht gleich entmutigen zu lassen, sondern lieber sein Angebot kräftig zu verbessern. Das Lächeln gab es natürlich nur, wenn ich tatsächlich Interesse hatte.

Diesmal hatte ich Interesse. Großes sogar.

Arnold war bei aller Kultiviertheit so urwüchsig, dass er mit seinem wuscheligen braunen Haarschopf leicht als kraftstrotzender Steinzeitliebhaber durchgegangen wäre. Ich hätte nur noch das passende Fell finden müssen.

Überhaupt, dass mir Mutters Worte wieder in den Sinn gekommen waren! Auch wenn ich mich stets daran gehalten hatte, so hatte ich doch ihre Wortwahl oft harsch kritisiert. Schließlich war ich keine Milchkuh, also war auch ihr Vergleich mit der Milch, um deren Preis es ging, absolut daneben.

Arnolds unbeabsichtigte Anspielung auf das Euter hatte doch nicht etwa Spuren hinterlassen?

Vielleicht doch. Denn als er sich jetzt formvollendet verabschiedete und ich plötzlich die Aussicht hatte, ihn nach diesem traumhaften halben Tag vielleicht niemals wieder zu sehen, hatte ich plötzlich große Lust, zum ersten Mal überhaupt ein erstes Date nicht an der Haustür zu verabschieden. Sondern unter einem möglichst billigen Vorwand mit reinzunehmen.

Zum Glück für meine momentane Unbescholtenheit siegte meine antrainierte Selbstdisziplin.

Doch sobald er fort und die Haustür ins Schloss gefallen war, warf ich mich im dunklen Hausflur mit dem Rücken an die Wand, trommelte mit den Fäusten dagegen und legte den Kopf weit in den Nacken:

„Duuuuu – völlig verblödete – Halbidiotin“, beschimpfte ich mich selbst, „worauf willst du eigentlich noch warten?“

*

Die Nacht wurde ein einziges unzufriedenes Herumwälzen. Ich wälzte mich von der einen Seite auf die andere, von der anderen auf die eine, und die ganze Zeit über hieß ich mich selbst schonungslos alles mögliche Unfeine, weil ich in so einer Nacht allein war, statt mich schön langsam nach und nach von ihm freilegen zu lassen und dann wohlwollend aber kritisch auszutesten, was der attraktive Herr einer Frau mit Ansprüchen wohl so alles zu bieten hatte.

Der Abend hatte ziemlich genau dem klassischen Schnittmuster eines romantischen Abends entsprochen. Arnold hatte mich mit dem Wagen abgeholt und zu einem exklusiven Restaurant im Taunus chauffiert, das Menü hatte sich auf den überdimensionalen Platten zwar übersichtlich präsentiert, aber doch ganz passabel geschmeckt und beim anschließenden Spaziergang durch die laue Nacht hatte er mir sogar noch zwei oder drei Sternbilder am alles überwölbenden Sternenhimmel erklärt.

Der Spaziergang muss fast schon unglaubliche zwei Stunden gedauert haben, und danach hatte ich ihm fast alles über mich erzählt, was ich selbst wusste. Über ihn erfuhr ich nicht ganz so viel, aber das war nicht wichtig, denn er war ja bei mir. Dass ich kaum herauskam aus dem Erzählen über mich selbst, lag an einer Eigenschaft, die ihn vor den meisten anderen Männern auszeichnete: Er konnte zuhören!

Mehr als jeder Mann vor ihm gab er mir das Gefühl, dass er jedes Wort interessant fand, das über meine Lippen kam. So ganz stimmte das vermutlich nicht, aber vielleicht galt sein Interesse ja auch weniger meinen Worten, als den zart geschwungenen Lippen, die sie formten.

Und wenn?

Allerdings hatte ich mir vorgenommen gehabt, es an diesem Abend zu nicht mehr als ein paar harmlosen Küssen kommen zu lassen. Wenigstens zu den Küssen war es auch gekommen, nicht zuletzt weil ich mich an passender Stelle an einen Satz erinnert hatte, der sich mir – wie es schien – auf ewig ins Gedächtnis gebrannt hatte:

 

„Möchten Sie mich küssen, Herr Kreutzer?“

Er hatte gewollt – natürlich! –, und ich hatte an seiner ebenso natürlich wie unwiderstehlich wirkenden Technik rasch Gefallen gefunden.

Bei ihm war das Küssen kein Versuch, den Schlund des anderen mit der Zunge zu erkunden. Eher war es ein Vorwand, eine Frau wirkungsvoll zum Schweigen zu bringen und dann ihren Körper von außen mit der ganzen akribischen Sorgfalt abzutasten, die man wohl in wissenschaftlichen Seminaren und Forschungslaboren erlernt. Zwar hatte ich den Eindruck, dass immer mindestens eine Hand zärtlich mein Haupt unter Kontrolle hielt und dafür sorgte, dass mein Mund seinen leidenschaftlich fordernden Lippen nicht entrinnen konnte. Doch die jeweils andere Hand begab sich um so ungenierter auf Wanderschaft und erkundete Berge und Täler meines Körperbaus, so als müsse er noch in dieser Nacht ein maßstabsgetreues Modell meiner makellosen Figur anfertigen.

Ich hatte bei allem brav stillgehalten, oder besser: gerade nicht stillgehalten, sondern engagiert und hungrig nach mehr mitgemacht bei den kleinen Neckereien und Kosereien, mit denen er meinen nach Berührung lechzenden Körper verwöhnte. Schade nur, dass seine Hände sich auffallend oft ausgerechnet dann zurückzogen, wenn die gerade bearbeitete Partie meines Körpers so weit gewesen wäre, dass sie sich sehr gerne für weiteres und noch zudringlicheres Begrapschen zur Verfügung gestellt hätte. Das war eigentlich das einzige, was ich Arnold an diesem Abend vorwerfen konnte: Wenn ein Mann solch goldene Hände hat, dann kann er die höfliche Zurückhaltung in einer romantischen Situation wirklich auch übertreiben.

Nach keinem Mann aus meiner dunklen Vergangenheit hatte sich mein Körper so innig und so schrankenlos gesehnt wie nach diesem, der sich gar nicht alles nahm, was er unter dem Einfluss des Sternenzelts hätte kriegen können. Was ich empfand, erinnerte mich sehr an die überbordenden, mitreißenden Empfindungen, die ich als Teenager erlebt hatte, als ich Schritt für Schritt meine ersten Erfahrungen mit den interessanteren Begleiterscheinungen des Erwachsenwerdens gemacht hatte.

Das hier war nicht bloß ein weiterer Mann, der vielleicht irgendwann ein bisschen Spaß im Bett bringen konnte – das war eine Herausforderung. Vielleicht sogar meine Bestimmung.

Je länger der Abend gedauert hatte – und er hatte ziemlich lange gedauert –, desto weniger cool hatte ich es von mir gefunden, es nicht zu mehr kommen lassen zu wollen. Das war nicht cool, sondern etwas ganz anderes.

Es war echt blöd!

Vermutlich hätte ich alle guten Vorsätze schon dann sausen lassen, als wir mit ziemlich teurem Champagner auf die vielversprechende Verbindung zwischen angewandter Grundlagenforschung und fortschreitender Anwendung der Grünanlagenverordnung angestoßen hatten. Doch ich hatte nicht vergessen, dass mein Start in diese Sache etwas holprig gewesen war und es gewiss nichts schaden konnte, wenn ich den netten Herrn mir gegenüber noch eine Weile im eigenen Saft köcheln ließ.

Was ich normalerweise spielend drauf hatte.

So ganz zufrieden konnte ich aber diesmal damit nicht sein. Denn gemessen an der unbekümmerten Art, in der er sich für den netten Abend bedankt und sich zwar höflich, aber kein bisschen zudringlich verabschiedet hatte, war ich durch meine Zurückhaltung offenbar mehr gestraft als er.

Das war um so bedenklicher, als bereits ein Telefonat mit diesem Mann gereicht hatte, mich außer Kontrolle zu bringen. Immerhin führte ich jede Woche ein paar Dutzend Telefongespräche, nicht wenige davon mit Männern. Aber normalerweise brachte mich keines davon auch nur in Versuchung, selbst Hand an mich zu legen.

Bei Arnold war das anders.

Es war diese Wildheit, die ich in ihm spürte. Er mochte die geschliffensten Umgangsformen haben, die man sich nur denken kann, für mich hatte er unter dieser Schale etwas Animalisches. Und das wiederum hatte etwas ebenso Animalisches in mir geweckt.

Schön, ich musste zugeben, dass ich vielleicht einen gewissen Nachholbedarf hatte. Es war eine Weile her, dass ich mich von Norbert getrennt hatte, mit dem ich eigentlich nie richtig zusammen gewesen war. Trotzdem war die kurze Zeit mit ihm die letzte Phase, in der ich so etwas wie regelmäßigen Sex gehabt hatte. Seither war Ebbe.

Und das bekam mir nicht. Kein bisschen.

Ich hätte mich selbst bestimmt nicht als leichtlebig bezeichnet, aber an Sex hatte ich schon immer viel Spaß gehabt. Je wilder, desto besser.

Sibylle, eine ältere Freundin, die eigentlich eine Freundin meiner Mutter war, hatte mich mal als ‚lebensfrohes Kind’ bezeichnet. Das hatte sich zu einem Zeitpunkt zugetragen, als ich längst volljährig gewesen war. Je öfter ich darüber nachgedacht hatte, desto klarer war mir geworden, dass die gute Sibylle ihre Bemerkung durchaus auch auf mein lebhaftes Interesse an Männern und an sexueller Betätigung bezogen hatte.

Ich hatte einfach gern Sex.

So war es nicht verwunderlich, wenn ich gewisse Entzugserscheinungen verspürte. Die wichtigste bestand darin, dass ich mich sehr danach sehnte, wenigstens einmal probeweise Arnolds heißen, nackten Körper an meinem zu spüren. Das ging so weit, dass ich in der Sache mit ihm anders als sonst noch nicht die Kontrolle übernommen hatte. Weder über die Situation, noch über ihn selbst.

Der Bursche war aber auch schwer zu kontrollieren!

Wenn ich in seine Augen sah, wusste ich, dass er die größte Lust hatte, über mich herzufallen. Aber warum tat er es dann nicht? Ich meine: Warum versuchte er es nicht? Denn ich hätte ihn natürlich trotz allem erst einmal eingebremst, wie so viele vor ihm.

Nicht dass ich ihn am Ende nicht rangelassen hätte. Natürlich hätte ich. Ich war ja selbst so gespannt darauf, wie er sich wohl machen würde, dass ich es kaum noch erwarten konnte.

Aber für jedes kleine Zugeständnis, für jedes bisschen nackte Haut würde er sich ein bisschen mehr auf meine Regeln einlassen müssen. Und wenn ich ihn erst einmal so weit hatte – nun, dann würden wir schon sehen.

*

Meine guten Vorsätze hielten nicht lange vor. Schon am nächsten Tag wusste ich, dass ich den Blödsinn nicht wiederholen würde. Ich würde mich ihm wohl nicht direkt an den Hals werfen, aber das Einnorden auf meine Regeln musste vorerst warten. Erst einmal musste ich rauskriegen, ob er im Bett auch nur halb so gut war, wie ich es mir mittlerweile ausmalte.

Es ärgerte mich, dass ich es ausgerechnet in diesem Fall, der mir so am Herzen lag, noch nicht geschafft hatte, mir die gewohnt komfortable Ausgangsposition zu verschaffen. Die sich dadurch auszeichnete, dass ich dem Burschen für meine Einwilligung in ein bisschen Sex genau vorschreiben konnte, wie die Sache mit uns zu laufen hatte.

Es kostete mich keinerlei Überwindung, für einen Kerl das Röckchen zu lüften, sofern es der richtige war. Im Gegenteil! Aber so genau musste der das doch nicht wissen. Weshalb hätte ich wohl meine Position schwächen sollen, wenn ich mir so billig einen dauerhaften Vorteil verschaffen konnte?

Die Kerls sind nun mal schärfer auf uns Mädchen als wir umgekehrt auf sie. Jedenfalls denken sie das. Weil wir so viel besser aussehen.

Zu blöd aber auch, dass meine ganze schöne Theorie ausgerechnet in Arnolds Fall irgendwie nicht recht passen wollte!

Na schön, dann musste ich eben dafür sorgen, dass ich erst mal anständig auf meine Kosten kam. Später, wenn ich wieder ausgeglichener war, konnte ich immer noch mein Standardprogramm abziehen, an dessen Ende er es sich immer als großen Erfolg seiner Verführungskünste anrechnen würde, wenn ich ihn mal wieder nach Herzenslust ranließ.

*

Für den Donnerstagmittag dieser Woche war ich mit Webse verabredet. So nannten die meisten Kollegen unsere Amtsvorsteherin Melina Weber-Schnuckenreuth. Aus manchem Mund klang der Kurzname zwar ein bisschen geringschätzig, doch ich fand ihn wegen ihrer umtriebigen, eben ausgeprägt wepsigen Art trotzdem ziemlich passend.