Frühstück für Tiffany

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2

Connie war ein Schatz. Zwar hatte ich in der Aufregung total vergessen, sie anzurufen, dafür fand ich aber am nächsten Morgen gleich eine SMS auf dem Handy vor, in der sie vorschlug, dass wir uns am Nachmittag an unserer Stammstrecke am Museumsufer treffen sollten. Was wir auch taten.

Liebend gerne hätte ich ihr sofort von Arnold erzählt. Doch da sie die Sache mit ihrem Chef noch nicht verkraftet hatte, wollte ich lieber kein Salz in offene Wunden streuen. Jedenfalls nicht gleich. Stattdessen fragte ich sie erst mal, ob sich wegen meiner neuen Bleibe schon was ergeben hatte.

In den Wochen davor hatte ich alles Mögliche unternommen, um eine Wohnung zu finden, die meinen Ansprüchen genügte. Hatte aber keine gefunden. Jedenfalls keine, die der Ebbe auf meinen Konten gerecht geworden wäre. Es war schon enttäuschend, dass die Vermieter nicht Schlange standen, um mir ihre Wohnungen anzudienen. Und wie habgierig sie waren, wenn es um die Vermietung selbst der kleinsten Bruchbude ging!

Deshalb ruhten meine Hoffnungen nun auf meiner besten Freundin. Connie kannte nicht nur meine Ansprüche, sie war auch die einzige, die mit der bedenklichen Entwicklung meiner Finanzen vertraut war. Manchmal kam es mir so vor, als ob sie die Lage besser erfasst hätte als ich selbst.

Connie kennt mehr Leute in mehr wichtigen Positionen, als ich mir auch nur merken könnte. Sie hat früher bei der Frankfurter Rundschau gearbeitet und hatte sich irgendwann gerade zur stellvertretenden Stellvertreterin des kommissarischen Ressortleiters hochgedient, als ihr aufgegangen war, dass Journalismus auf Dauer doch nicht so ihr Ding ist. Zu viel leeres Getue, zu wenig Chancen, auch mal die Wahrheit drucken zu lassen.

Naja, jedenfalls hatte sie sich erinnert, dass sie auf ihrem Tablet die Profile einiger Makler gespeichert hatte, von denen einer mal in zwielichtige Geschäfte verwickelt gewesen war. Connie hatte ihn am Ende verschont, weil er ihr eine Kommunalpolitikerin und einen Bauunternehmer quasi ans Messer geliefert hatte. Das hatte zwar nichts genützt, da die Story nie gedruckt worden war – jedenfalls nicht so, wie Connie sie geschrieben hatte –, aber das ließ ihn gefühlt nun sogar noch tiefer in ihrer Schuld stehen.

„Hast du ihn gefragt?“, erkundigte ich mich gespannt.

„Der hat jetzt ’ne neue Adresse“, antwortete Connie schulterzuckend.

„Is’ nich’ wahr! Aber du kannst sie doch rauskriegen!“

„Ich hab sie ja.“

„Dann nichts wie hin zu dem Kerl!“

„Geht nicht.“

„Warum denn nicht?“

„Weil nur Verwandte Besuchserlaubnis kriegen.“

„Ist er krank?“

„Nö.“

„Sondern?“

„Er sitzt.“

Wir waren fast am Filmmuseum, als ich Connie endlich aus der Nase kitzeln konnte, dass der Typ vom Schreibtisch weg verhaftet worden war. Es waren Fotos aufgetaucht, die wohl in einer leerstehenden Wohnung aufgenommen waren, welche er vor einiger Zeit im Kundenauftrag angeboten hatte. Darauf war ein Schulmädchen abgebildet, das in sehr verfänglichen Posen und mit sehr, sehr hochgerutschtem Rocksaum in die Kamera gelinst und mit feuchtem Finger noch viel schlimmere Sachen angestellt hatte.

Der Makler behauptete nun, dass er von Fotos nie etwas gewusst habe. Er habe einfach den Schlüssel für die Wohnung einer Interessentin zur Verfügung gestellt, die sie mit ihm zusammen bereits besichtigt hatte und nun angeblich noch ihrem Verlobten zeigen wollte. Sowas sei in seiner Branche durchaus üblich, wenn jemand ernsthaftes Interesse an einem leerstehenden Objekt zeige und es terminlich momentan nicht anders zu arrangieren sei. Kein Makler wolle sich einen zeitnahen Abschluss entgehen lassen, bloß weil er nicht an zwei Orten gleichzeitig sein konnte.

Natürlich hatten die ermittelnden Beamten sofort durchschaut, dass das alles fadenscheinige Schutzbehauptungen waren. Und hatten ihn nach allen Regeln der Verhörkunst unter Druck gesetzt. Schon erstaunlich, was sich beispielsweise allein mit der Drohung bewirken lässt, zum nächsten hochnotpeinlichen Verhör nur mal so die Ehefrau des Verbrechers vorzuladen.

Wie sich dann allerdings eher zufällig herausgestellt hatte, war die Interessentin selbst das Mädchen auf den Fotos. Und sie war 22. Sie hatte nur ihren Freund in einer ungewöhnlichen Umgebung mal so richtig scharf machen wollen und sich dafür selbst auf Schulmädchen getrimmt, mit allem Drum und Dran, von neckischen Zöpfen bis zum superkurzen karierten Uniformröckchen. Die Maskerade war ihr wohl ganz gut gelungen, denn bis sie sich nach einiger Bedenkzeit widerstrebend selbst zu erkennen gegeben hatte, waren alle mit dem Fall Befassten der Version vom ruchlos verführten unwissenden Schulmädchen aufgesessen. Offenbar gibt es heutzutage wohl ziemlich viele hilflose Schulmädchen, die in Bezug auf Sex nicht die blasseste Ahnung haben, wo’s langgeht.

So richtig war der Fall allerdings jetzt gar keine Unzucht mit Minderjährigen mehr. Aber das hatte der Makler ja nicht wissen können. Also konnte er es auch nicht zu seiner Entlastung anführen. Und wen unsere Polizei erst mal wegen so einer richtig schlimmen Sache am Wickel hat, den lässt sie so bald nicht mehr laufen. Außerdem waren mittlerweile auch Kinderschutzbünde und Verbrechensopferringe in den Fall einbezogen, die dafür bekannt waren, auch in aussichtslosen Fällen nicht so schnell locker zu lassen.

Unterstützt wurden sie vom Hersteller einer landesweit verbreiteten Verpackung für stinkenden alten Fisch, die mit ein paar Bildern nackter Mädchen und vielen sinn- und skrupellos kombinierten Wörtern so lustig bedruckt ist, dass viele Käufer sich Tag für Tag einen Spaß daraus machen, die Fischverpackung wie eine Zeitung zu lesen.

Doch bei solch kapitalen Verbrechen wie dem Betrachten von Fotos minderjährig aussehender Mädchen konnten die Behörden in der Wahl ihrer Verbündeten nicht kleinlich sein. Wichtig war nur, dass die Missetäter auf jeden Fall hinter Schloss und Riegel blieben, egal ob ihnen zufällig schon etwas nachgewiesen werden konnte oder nicht.

Wie gut, dass sich wenigstens viele Richter allein von der Schwere des zur Last gelegten Verbrechens leiten ließen und gerade bei derart schlimmen Vorwürfen hinsichtlich der Frage nach stichhaltigen Beweisen nicht allzu kleinlich waren! Dadurch liefen die Winkeladvokaten der Missetäter ganz von selbst ins Leere, auch wenn sie penetrant mit ihrem öden Gefasel von wegen Unschuldsvermutung zu punkten versuchten.

Und deshalb saß der Ganove noch immer. Auf unbestimmte Zeit. Irgendein Vorwand für die Verlängerung der U-Haft findet sich immer. Und wenn es bloß ist, dass ein Täter auch nach dem zwanzigsten harten Verhör noch immer nicht gestehen will. Weil das ja nur beweist, dass er schon eine Menge solche Schurkereien auf dem Kerbholz haben muss, weil er bei derart schlimmen Vorwürfen sonst niemals so abgebrüht leugnen könnte.

Gerade dieses hartnäckige Leugnen fand ich allerdings total rücksichtslos von dem Kerl. Da hatte ich mal die Chance, dass mir so eine connection um drei Ecken herum weiterhelfen konnte, auch wenn es so ein schlimmer Krimineller war, und dann musste der ausgerechnet in der Zeit, in der er mal dringend gebraucht wurde, in den Bau wandern. Echt doof!

So war ich noch immer ratlos, als wir auf dem Rückweg den Holbeinsteg passierten. Das möblierte Zimmer, in dem ich übergangsweise untergekommen war, musste ich räumen, da Sylvia von ihrem Auslandssemester zurückkam und dieses bessere Wohnklo für zwei denn doch zu klein war.

Ich hatte nur noch ein paar Tage.

*

Was die Sache mit Arnold anging, half mir das sogar. Denn dass mir ein Mann so hartnäckig nicht aus dem Kopf gehen wollte, war äußerst bedenklich. Dagegen musste ich etwas unternehmen, und das Problem mit der Wohnung war etwas, worum ich mich zumindest hätte kümmern müssen, auch wenn ich es nicht tat. Oder nicht mit hinreichendem Nachdruck tat.

Andererseits war ich aber auch sauer. Da hatte ich endlich mal wieder eine Männergeschichte, aus der mehr werden konnte als ein kurzer Testlauf, und dann wusste ich nicht mal, wie lange ich für den Fall der Fälle noch ein Bett bereitstehen hatte. Auf einer Parkbank wollte ich mich ja nun nicht gerade flachlegen lassen. Also, jedenfalls nicht grade beim ersten Mal.

Ich habe zwar Freundinnen, die gerne mal betonen, Sex allein sei gar nicht so wichtig. Aber ich glaube ihnen kein Wort. Wenn es im Bett nicht stimmt, kann ich mir den Rest doch sparen. Und ob es da stimmt, kriegt man nicht durch den Online-Fragebogen einer Partnervermittlung raus.

Und deshalb stand Arnold auf der Liste.

Er wusste vielleicht noch nichts davon, aber es war so gut wie sicher, dass ich ihn testen würde. Dieser Mann reizte mich einfach, und er reizte mich auf eine Weise, die mich in Unruhe versetzte.

Das mit den gefesselten Händen ging mir nicht aus dem Sinn. Mein Herz klopfte aufgeregt, wenn ich daran dachte, wie sehr ich ihm ausgeliefert gewesen war und welchen Aufruhr das in mir ausgelöst hatte.

Wenn alles wie sonst gelaufen wäre, hätte ich noch warten müssen. Doch in Bezug auf Arnold Kreutzer lief nichts wie mit anderen Männern.

Also musste ich etwas unternehmen.

*

„Bist du sicher, dass du es noch im Griff hast?“, fragte Connie verhalten, als sie mir nach dem Zahlen im Café elegant die fünfhundert rüberschob, für die wir den Schlenker über den Geldautomaten gemacht hatten.

Klar hatte ich es noch im Griff. Ich war einfach im Moment ein bisschen klamm, und sobald wieder Geld in den gewohnten Mengen auf meine Konten fließen würde, würde das alles kein Problem mehr sein.

Bis dahin halfen diese Plastikkärtchen. Auch wenn meinen Exemplaren nicht mehr zu trauen war, so musste doch nur Connie das ihre in so einen Schlitz einführen, und schon war ich wieder für Tage und Wochen sorglos. Deshalb gefiel es mir auch weniger, was ich Connie sagen hörte, während ich das kleine Bündel in meinem Brustbeutel verstaute:

 

„Momentan gehen die fünfhundert schon klar. Wäre aber gut, wenn ich sie bald wiederkriegen würde. Mein Konto ist jetzt so ziemlich geplündert.“

Connie war aber auch ein Original. Sie musste sich doch wegen der paar Scheine keine Sorgen machen. Bei mir doch nicht!

*

„Mäxchen, Mäxchen!“, sagte ich versonnen zu meinem Spiegelbild, nachdem ich mit dem abendlichen Zahnseidenritual durch war.

Ich nenne mich nämlich gar nicht Maxine, wenn ich mit mir allein bin. Ich finde, Mäxchen klingt zärtlicher, vertrauter, einfach weniger förmlich. ‚Maxine Sawitzki’ oder gar ‚meine liebe Maxine’ nenne ich mich nur, wenn ich wirklich ein ernstes Wörtchen mit mir zu reden habe. Dann weiß ich aber auch gleich, dass ich mich besser warm anziehen sollte.

Ganz so weit war es diesmal noch nicht.

„Ich kenne diesen Blick!“, sagte ich jedoch streng. „Schlag dir den Kerl bloß aus dem Kopf! Wenigstens erst mal für ein paar Tage.“

Ich kannte den Typen doch kaum. Kein Grund also, seinetwegen schon unruhig zu schlafen. Seine letzten Vorgänger hatten sich nach genauerer Prüfung leider alle als ziemliche Luschen entpuppt, und ich war schon am Zweifeln, ob ich vielleicht an meinen inneren Parabolantennen was nachjustieren lassen sollte, mit denen mein weibliches Ortungssystem die Umgebung laufend auf die Annäherung eines oder mehrerer checkenswerter Kerls abtastete. Naja, mehrere auf einmal waren es in Wirklichkeit noch nie gewesen. Aber einzelne erwähnenswerte Exemplare hie und da schon.

Zuletzt aber nicht mal mehr das. Ehrlich gesagt, war die Trefferquote schon seit einiger Zeit total im Keller. Wenn es so weiterging, musste ich die nach oben offene Skala unten dringend ins Unendliche erweitern.

Schauderhaft!

Mein Spiegelbild sah ein bisschen missmutig drein. Unzufrieden.

Kein Wunder! Ich war auch unzufrieden!

Nicht mit dem, was der Spiegel mir zeigte. Zwar gehöre ich bestimmt nicht zu den Frauen, die an keinem Spiegel vorbeigehen können, ohne sich zu vergewissern, wer denn die Schönste ist im ganzen Land. Aber die fidele junge Frau im Spiegel hatte ich trotzdem schon immer gut leiden können. Schön, die Lippen waren vielleicht ein bisschen zu voll, um perfekt zu sein. Als Glamour-Schönheit mit Handtuchsilhouette und Kindermund wäre ich wohl nicht grade durchgegangen. Doch um den Jungs auf der Straße nach Belieben den Kopf zu verdrehen, dazu reichte es gerade noch.

Noch?

Wieso noch?

Ich drehte den Kopf ein wenig und inspizierte mein rechtes Auge. War das etwa ein Fältchen, da an der Seite? Nein, nur ein Schatten. Puh!

„Alles im Lack!“, sagte ich aufmunternd zu der kleinen Hübschen im Spiegel. „Garantiert 1a Frischfleisch – musst dir keine Gedanken machen!“

Keine Gedanken machen?

Auf diese Worte hatte ich von jeher mit Alarm reagiert. Wenn dir jemand sagt, du sollst dir keine Gedanken machen, solltest du dir so gut wie sicher mal ganz rasch allergründlichst Gedanken machen.

Gab es vielleicht etwas, das ich nicht wahrhaben wollte?

Waren da vielleicht doch irgendwo verborgene Runzeln zu finden?

Binnen weniger Atemzüge sah ich meinen knackigen Körper der Vergänglichkeit anheimfallen. Gesicht, Hals und Brüste welkten in Sekundenschnelle, das herrliche dunkelblonde Haar mit dem royalen Rostton wurde matt und grau. Die grade noch verlockenden Lippen waren bald ein Schatten ihrer selbst und die sonst vor Unternehmungslust sprühenden Augen waren nun dunkle kleine Punkte ohne Hoffnung und ohne jede Zukunft.

Der Schock packte meinen ganzen Körper, und im Nu ging mein Atem stoßweise und flach. In einer Vision, wie ich sie gar nicht leiden kann, sah ich mich krächzend beim zahnlosen Lutschen meines Gnadenbrots in einem tristen Altersheim, wo ich mich mühsam am Stock vorwärtsschleppte und beharrlich versuchte, die apathisch herumlungernden gleichaltrigen Herren von den kläglichen Resten meiner einstigen Reize zu überzeugen.

Ein Alptraum!

Ich drehte mein Gesicht vor dem Spiegel mal zur einen, dann zur anderen Seite, tastete mit langen Fingern darüber und versuchte panisch herauszufinden, was Wahn und was Wirklichkeit war. Ich sah sie deutlich, all die Falten, die Runzeln, die hässlichen Krähenfüße, und doch war ich nicht sicher, ob sie nun da waren oder nicht.

Sicher war ich nur, dass ich nicht das übelste aller Schicksale erleiden wollte. Ich wollte nicht das kokette Luder von Bau 13 im Sankt-Antonius-Stift werden, bloß weil ich meine Chancen nicht genutzt hatte, solange ich noch aus dem Vollen hatte schöpfen können. Und das war genau jetzt.

Jetzt war ich in der Form meines Lebens. Jetzt konnte ich jeden halbwegs knackigen Kerl haben, der mir über den Weg lief. Was die Angelegenheit freilich auch schon wieder kompliziert machte.

Denn ich wollte ja gar nicht jeden. Ich wollte einen ganz bestimmten.

Ausgerechnet jetzt kam ich zu der Überzeugung, dass sich dieser ganz bestimmte Kerl, dieser herzlose Knilch nicht einmal melden würde. Natürlich wusste ich, dass ich schon halb verloren hatte, wenn ich ihn anrief. Nein, ich musste umgekehrt ihn dazu kriegen, dass er es bei mir versuchte!

Ich wusste doch, dass er anfällig war. Ich hatte seine Blicke im Zoorestaurant gesehen, als mich die gefesselten Hände gezwungen hatten, meine Frontpartie so prall und herausfordernd darzubieten, wie sie mir eben gewachsen war. Und ich wusste nur eines: Der wollte damit spielen!

Ich hatte gespürt, wie sich seine Blicke dieser prachtvollen Ausbuchtungen bemächtigt hatten, und wie er sich verlangend ausgemalt hatte, die beiden Dinger mit seinen schönen, kräftigen, großen Händen zu umspannen. Wenn ich daran zurückdachte, war es bei aller Bloßstellung gar nicht so schlimm gewesen. Es hatte schon auch ein wohliges Kribbeln verursacht zu sehen, dass ihn meine unübersehbaren Vorzüge keineswegs gleichgültig gelassen hatten. Was ja wohl auch noch schöner gewesen wäre!

Also musste ich ihm nur noch Gelegenheit geben, seiner Wollust zu erliegen. Sobald er mich einmal von meinen zahlreichen besten Seiten erlebt hatte, würde er dafür reif sein. Aber wie sollte ich das anstellen?

3

Von Amts wegen waren wir nicht gehalten, bei Ortsterminen Uniform zu tragen. Eine wirkliche Uniform hatten wir Schreibtischtäter ja gar nicht. Dennoch hatte ich wie meist eines meiner dunkelblauen Kostüme angelegt, die einer Uniform nicht nur wegen der Applikationen an den Ärmeln zum Verwechseln ähnelten. Die hatte ich selbst anbringen lassen, um genau das zu bewirken, weil ich es satt gehabt hatte, im Außendienst nicht für voll genommen zu werden, nur weil ich eine Frau war. Und eine junge dazu.

Dazu hatte ich Pumps mit mittelhohen Absätzen gewählt, weil die beim Gehen und Stehen die Figur wunderbar strafften, was sich gerade im Gespräch mit aufsässigen Untertanen sehr bewährt hatte. Den richtigen Eindruck zu machen, ist manchmal einfach alles.

Dann noch die Haare mit zwei silbernen Spangen hochgesteckt und fertig war die unnahbare Bürokratenärschin, die ich darstellen wollte, damit ich nicht jede idiotische Kleinigkeit ausdiskutieren musste. Wer sich kompromisslos und ekelhaft gibt, wird von allen mit Samthandschuhen angefasst, auch wenn das etwa so sinnvoll ist wie ein wasserdichtes Nudelsieb. Jedenfalls wurde ich als Amtsperson von all diesen kleinmütigen sterblich Geborenen durch meine kleine Maskerade viel weniger belästigt als vorher.

In meiner Anfangszeit war ich noch naiv gewesen. Hatte mich umgänglich und verständnisvoll gegeben, stets bemüht, die Dinge wie unter normalen Menschen zu regeln. Doch das hatte dazu geführt, dass bei jedem meiner Termine dreimal so viel diskutiert wurde wie bei Kollegen, dass ich fünfmal so viele Einwände wegen nichts erhalten hatte und dass ich mich später zwölfmal so vielen fristgerechten Widersprüchen gegenübersah wie der nächstschlechteste Kollege. Und selbst der wurde im Amt schon wie ein armer Irrer behandelt, weil er einfach nicht begreifen wollte, wie er mit den nimmersatten Nörglern da draußen umzuspringen hatte.

Irgendwann hat man genug davon, immer nur die Dumme zu sein. Ich auch. Und seitdem trug ich Kostüm.

Maiki, mein vorvorletzter Ex hatte dem auch sein Gutes abgewonnen:

„Du siehst echt scharf aus in dem Dress!“, hatte er mir von der Couch aus zugerufen, als ich beim ersten Mal damit nach Hause gekommen war. Morgens hatte er mich nicht darin gesehen, weil er sich immer noch eine Stunde im Bett wälzen konnte, wenn ich längst aus dem Haus sein musste.

Trotzdem hätte er sich seine Bemerkung sparen können. Denn wenn er diesen glasigen Blick bekam, waren Worte überflüssig. Und er sollte mich nicht enttäuschen an diesem Tag. Jedenfalls nicht mehr als sonst auch.

An sich dachte ich ganz gern daran zurück. Nicht, weil ich voll auf meine Kosten gekommen wäre. Aber es war endlich mal wieder was anderes.

Die Uniform schien Maikis Gehirn anzuregen, denn grade er, der bei keinem Casting für phantasievolle Liebhaber über die Vorrunde hinausgekommen wäre, ließ sich plötzlich allerhand einfallen, damit ich die Uniform so schnell nicht auszog. Ich wiederum hatte Spaß daran, ihn damit zu gängeln, sobald ich das spitzgekriegt hatte. Endlich mal nicht dieses selbstherrliche Drüberlegen, Einführen, Absamen, das ich sonst von ihm kannte.

Es hätte ein hübscher Vorgeschmack auf mehr sein können, aber dann war die Uniform mit mir mittendrin wohl doch eine Spur zu scharf für den guten Maiki. Nachdem ich ihn mit allerlei Tricks und vielen geschmeidigen Ausweichbewegungen lange hingehalten hatte, war er halt doch wieder viel zu früh beim guten alten Einführen. Und sobald er den Nagel einmal angesetzt hatte, ließ er auch nicht mehr locker. Ich hätte ihn bestimmt abwerfen können, wenn ich unbedingt gewollt hätte, aber warum sollte ich ihm seinen Spaß nicht gönnen, solange ich selbst nicht vollkommen leer ausging? Also ließ ich ihn eben machen, stöhnte rechtzeitig ein bisschen mit, und dann war er tatsächlich sehr schön hart und sehr schön kraftvoll in mir. Er wütete ein bisschen, und das war schon nicht schlecht, aber als er dann kam, hätte ich auf dem Weg nach ganz oben noch eine schöne lange Strecke vor mir gehabt, die ich zu gerne ausgekostet hätte.

Natürlich merkte er es nicht einmal, sondern er war mit sich und der Welt restlos zufrieden, als er sich schließlich zurückzog.

„Du bist so unglaublich scharf in dieser Uniform“, stieß er keuchend hervor, und das sollte ich wohl als allerhöchstes Kompliment verstehen.

Naja, ich wollte die Stimmung nicht versauen und entschädigte mich selbst ein bisschen, indem ich den Oberkörper aufrichtete, kurz meine Haare fasste und ihn mit möglichst vorwurfsvollem Blick ansah:

„Das war sehr unartig!“, tadelte ich ihn im Tonfall der erzürnten Oberlehrerin. „Dafür werde ich dich streng bestrafen müssen!“

Damit erwischte ich ihn kalt, und ich hätte ums Haar laut hinausprusten müssen, weil er gar so verdattert dreinschaute. Der Kerl wusste doch tatsächlich nicht, ob ich das nun ernst gemeint hatte oder nicht.

Um wenigstens seine Unsicherheit noch ein wenig auszukosten, hob ich in einer Anwandlung von Hochmut das Kinn, kräuselte drohend die Augenbrauen und ließ meine immer noch bestens verpackten Brüste genau vor seiner Nase tanzen. Sein Gesicht war ein Bild für Götter!

Ich war sicher, dass er von diesem strengen Spezialservice zu gerne mehr gehabt hätte, doch irgendwie kam es nicht dazu. Kann sein, dass es an der Tür geläutet hat, oder vielleicht ging das Ganze auch rasch in eine zweite Nummer über, die dann doch nicht so unvergesslich wurde, dass ich mich noch daran erinnert hätte. Jedenfalls hat es später mit der Uniform nie mehr so gepasst, und das mit Maiki war ja dann auch bald zu Ende. Wir trennten uns freundschaftlich, und er tröstete sich bald mit dem Blondchen aus der Videothek, für das er schon immer eine Schwäche gehabt hatte. Mir war es sogar recht, denn das mit ihm und mir hätte sowieso keine Zukunft gehabt. Den Versuch war er wert, und wir hatten ein paar Monate echt eine gute Zeit miteinander, aber das war’s dann eben auch schon gewesen.

Aber interessiert hätte es mich schon, wie viel in der Geschichte mit der Uniform drin gewesen wäre. Es war zu offensichtlich gewesen, wie prompt er darauf angesprungen war, als ich diesen vorwurfsvollen Ton angeschlagen hatte. Ich kann es sehen, wenn ein Kerl Hunger auf mehr in den Augen hat, und Maiki hatte da solchen Heißhunger, dass er auch gegen strengste Erziehungsmaßnahmen keinen echten Widerstand geleistet hätte.

 

Ich hätte ihn dreimal um den Finger wickeln können, er hätte garantiert noch geschnurrt dabei. Und alles nur wegen einiger Flecken blauen Tuchs, die enganliegend über meine vorzeigbaren Rundungen drapiert waren.

Eigentlich ist diese Geschichte sogar meine beste Erinnerung an Maiki, und ich muss zugeben, dass ich schon ein paarmal versucht war, sowas bei einem seiner Nachfolger auszuprobieren. Leider ist es nie dazu gekommen, aber das hat mit der Zeit meine Lust darauf nur gesteigert, mal einen der Kerls hart ranzunehmen. Ich meine so richtig hart, vielleicht sogar mit Handschellen und ordentlich was mit dem Stöckchen hinten drauf.

Falls Maiki ein Maßstab ist, müsste das zu sehr langen, sehr heißen und sehr standfesten Ergebnissen führen. Wenn ich mir vorstelle, dass ich mich dann ganz nach Lust und Laune draufsetze und der arme Kerl wegen der Handschellen nichts bestimmen kann, keinen Rhythmus, kein Tempo, keine Tiefe des Eindringens, dann werde ich jedes Mal unglaublich feucht.

Naja, irgendwo läuft der arme Kerl, den es damit erwischen wird, jetzt vermutlich schon herum und hat noch keine blasse Ahnung, was ihm blüht!

*

Oberamtsrätin mit vierundzwanzig, das ging normalerweise gar nicht.

Wenn ich dennoch so jung Karriere gemacht hatte, lag das an meinen extraordinären, unerreichten, galaktischen Fähigkeiten. Gut, ein bisschen vielleicht auch an dem Programm „Women on Top“, das die Stadt lobenswerterweise zur rigorosen Durchsetzung der Frauenquote aufgelegt hatte.

Ein Mann hätte schon von jeher um die zehn Jahre länger warten müssen, um so weit nach oben befördert zu werden wie ich, aber dafür konnte ich ja nichts. Wenn gerade jetzt zahllose Frauen in Führungspositionen gebraucht wurden, musste auf dem Dienstweg eben auch mal eine Abkürzung eingerichtet werden. Denn wie hieß es so schön auf einem der Flyer: Am weiblichen Wesen soll die Welt genesen. Haargenau!

Von Petitessen durfte man sich da selbstverständlich nicht stören lassen. Wie etwa davon, dass halbwegs brauchbare Männer jetzt noch sehr viel später befördert wurden als sowieso schon. Oder davon, dass all die dummerweise momentan in Führungspositionen untergebrachten Männer schließlich noch umweltfreundlich entsorgt werden mussten.

Na, egal! Ich war jedenfalls bereit.

Und ich war dem Schicksal sogar ausgesprochen dankbar. Denn als ich damals eher zufällig auf „Women on Top“ gestoßen war, hatte ich mich gerade in einer ebenso unangemessenen wie beunruhigenden Zwickmühle befunden. Verkürzt ließe sie sich als die Wahl zwischen Pest und Cholera, in meinem Fall zwischen arbeiten und pleitegehen zusammenfassen. So war die Stellenausschreibung, mit der alles angefangen hatte, gerade zur rechten Zeit gekommen. Aus Dankbarkeit und zur ewigen Erinnerung hatte ich mir das Ding gerahmt und an die Wand gehängt, weil es schließlich sowas wie mein Freifahrschein für die höheren Besoldungsgruppen gewesen war.

Mit meiner flugs zusammengeschusterten Bewerbung überhaupt in die engere Wahl für eine von nur zwei ausgeschriebenen Stellen gekommen zu sein, hatte ich wohl hauptsächlich dem Umstand zu verdanken, dass das protzig aufgemachte bizonyítvány, das ich Jahre zuvor aus Debrecen mitgebracht hatte, überraschend als Zeugnis eines abgeschlossenen Auslandsstudiums anerkannt worden war. Ehrlich gesagt, hatte ich da zwar bloß ein paar Wochen Sommeruni der Budapester Sprachschule absolviert und selbst die hatten vor allem aus Sonnenbaden und Abhängen mit ein paar besonders ansehnlichen Kommilitonen aus aller Herren Länder bestanden.

Aber irgendwer im Personal- und Organisationsamt hatte wohl seine Ungarisch-Kenntnisse massiv überschätzt oder Bewerbungen von Frauen wurden sogar noch mit wesentlich mehr Begeisterung aufgenommen, als schon der Stellenausschreibung zu entnehmen gewesen war:

Die Stadt Frankfurt am Main strebt an, den Anteil von Frauen in diesem Bereich zu erhöhen. Bewerbungen von Frauen werden daher besonders begrüßt.

Schwerbehinderte Menschen werden bei gleicher Eignung bevorzugt eingestellt.

Bei Nichterfüllen der beamtenrechtlichen Voraussetzungen ist die Beschäftigung im Arbeitsverhältnis nach EGr. 12 TVöD möglich.“

Ich versuchte mir vorzustellen, wie das in der Praxis aussehen sollte: Da stand dann also so eine Art Pförtner mit ulkigem Käppi am Posteingang der Behörde und sagte mit einer steifen Verbeugung irgendwas wie:

„Guten Tag, verehrte Bewerbung. Du stammst von einer Frau, daher möchte ich dich an dieser Stelle im Namen der Stadt Frankfurt am Main ganz besonders begrüßen.“

Nein, so einen Unsinn konnte ich mir nicht mal bei einer vom Steuerzahler durchgefütterten Behörde vorstellen. Was keineswegs heißen musste, dass es nicht so sein konnte. Aber in diesem Fall handelte es sich wohl eher um eine geheime Botschaft, die man vorsichtshalber verschlüsselt hatte. Obwohl es doch in Artikel 3 des Grundgesetzes klipp und klar heißt:

Alle Menschen sind vor dem Gesetz gleich.

Männer und Frauen sind gleichberechtigt.

Bei gleicher oder irgendwie ungefähr ähnlicher Eignung sind Frauen bevorzugt zu behandeln.

Vielleicht hatten meine namenlosen Gönner einfach befürchtet, dass die Durchsetzung des dritten Absatzes von irgendeinem kleinlichen Richter gekippt worden wäre, wenn sie die Botschaft nicht verklausuliert hätten. Also sagten sie es mir lieber durch die Blume. Tatsächlich meinten sie:

„Nee, nee, Mädchen. Mach dir mal keine Gedanken! Ist alles kuschelig für dich vorbereitet, wirst schon sehen!“

Na schön, von mir aus! Mit Schwerbehinderten auf eine Stufe gestellt zu werden, fand ich zwar irgendwie nicht so prickelnd. Doch wenigstens musste ich mir wegen der gleichen Eignung gar keine Gedanken machen.

Schon nach fünf Minuten Vorstellungsgespräch war alles klar. Der ganze Tisch der Entscheider – allen voran die Amtsvorsteherin Melina Weber-Schnuckenreuth – war einhellig der Meinung, ich sei nach Abschluss einer längeren Anlernzeit mit Sicherheit gleich geeignet, die mir zugedachte Aufgabe zu übernehmen. Damit war die gleiche Eignung schon mal festgestellt.

Alle übriggebliebenen Bewerber außer mir waren männlich und Jahre älter als ich. Hatten daher auch viel mehr Berufserfahrung. Da aber einer von ihnen im Rollstuhl angereist und somit automatisch einzustellen war, kam für die einzig verbliebene Stelle praktisch nur noch ich in Frage.

Tja, Pech gehabt!

Selber schuld, wenn sie unbedingt Männer sein mussten und gesunde noch dazu. Wären sie wirklich so clever gewesen, wie sie glaubten, hätten sie doch wissen können, dass ein Mann zu sein ein grober Fehler war.

Da ich so toll für meine neue Aufgabe geeignet war, gestaltete sich mein Übergang in die Erwerbswelt fließend. Das Wichtigste dessen, was ich für die eigentliche Arbeit brauchte, wurde mir im Zuge eines speziell eingerichteten fünfzehnmonatigen Traineeprogramms vermittelt, das sehr abwechslungsreich verlief, gut bezahlt wurde und nicht unbedingt anstrengend war. Und für alles, was nicht gleich klappen wollte, hatte ich danach ja meine Leute, die sich mit all dem lästigen Kleinkram schon länger herumschlugen.

*

Ausgerechnet seit der aufregenden Freiheitsberaubung im Zoo hatte es allerdings nicht die kleinste Chance auf einen Auftritt in Uniform gegeben. Dabei hätte ich ihn gerade in meinem Zustand so gut gebrauchen können. Ich fühlte mich furchtbar unausgeglichen, fast gereizt, und es war überhaupt nicht schwer zu erraten, weshalb.