Frühstück für Tiffany

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Madeleine Abides

Frühstück für Tiffany

Erotischer Roman

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Inhaltsverzeichnis

Titel

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Impressum neobooks

1

„Welch ein prächtiges Euter!“, rief eine männliche Stimme höchstens drei oder vier Meter hinter mir.

Schlagartig war ich im Angriffsmodus. Bereit zum Augen auskratzen. Langsam, qualvoll und erbarmungslos. Denn wenn es eines gab, was ich unter Garantie nicht abkonnte, dann war es, wenn so ein dahergelaufener Saftsack meine fabelhaften Brüste ‚Euter’ nannte.

Ich biss die Zähne zusammen, schloss für einen Moment die Augen und mahnte mich eindringlich, Ruhe zu bewahren. Zwecklos.

Die Muskeln meines perfekt austrainierten Bodys spannten sich an, er wirbelte herum, und schon in der Drehung holte ich weit aus, um dem herannahenden Blödmann die Ohrfeige seines Lebens zu verpassen.

Jäh und jämmerlich brach der Angriff in sich zusammen.

Die eben noch imponierende Spannung meines ganzen femininen Körpers erschlaffte im Bruchteil einer Sekunde, mein eben noch energisch ausholender Arm sank kraftlos zu Boden, und meiner Kehle entrang sich ein lachhaft klägliches „aargh“.

Alles nur, weil meine Augen sahen, was sie sahen. Und das war viel zu schön, um geschlagen zu werden.

Ein Mann wie aus dem Malbuch, schon fertig ausgemalt und so lebensecht und kraftstrotzend, wie ein Mann des 21. Jahrhunderts nur sein kann. Er musste leicht einsneunzig messen, denn er überragte mich mindestens um einen halben Kopf. Seine Augen waren braun, wundervoll braun, und der dunkelbraune Haarschopf stand über dem Wirbel widerspenstig empor.

Ich war auf der Stelle hin und weg.

Er leider nicht.

Er war nur weg.

Nicht sehr weit, dafür aber sofort. Schneller, als er gekommen war.

Statt mich wenigstens eines lechzenden Blickes zu würdigen, war er mit großen Schritten schnurstracks an mir vorbeigegangen und lehnte sich nun mit beiden Händen auf die Umfriedung, die das Gehege vor uns vom Besucherweg trennte.

„Was“, stammelte ich, während ich mühsam um meine Fassung kämpfte, „was haben Sie da eben gesagt?“

Er reagierte nicht.

Aber so billig sollte er mir nicht davonkommen.

„Was haben Sie gesagt?“

„Was, ich?“, erwiderte er in verwundertem Ton, indem er sich andeutungsweise umwandte. Wobei er aber das Gehege nicht aus dem Auge ließ.

„Ja, Sie!“

„Wie, gesagt?“

„Von meinem Eut… ich meine, von … von einem Euter!“

„Oh, ja! Ein wunderbares Exemplar, finden Sie nicht auch?“

„Was geht Sie mein Eu … meine Brü… Wa-wa-was geht Sie das überhaupt an?“

„Ich bin jetzt dafür zuständig“, gab er mit leicht pikiertem Unterton zurück. „Ich muss mich in der nächsten Zeit jeden Tag darum kümmern.“

„Um meine Brust?“

„Um eine Brust. Ganz richtig!“

„Wieso um meine?“

„Weil es nur eine ist. Ein Euter eben. Ich würde mich aber auch sehr gerne um mehrere kümmern.“

Der Kerl war die Höhe. Er täuschte seine Arglosigkeit wirklich täuschend echt vor. Aber nicht mit mir!

„Schluss jetzt!“, bellte ich ihn an. „Sie sagen mir jetzt sofort, wovon Sie überhaupt reden!“

„Ich verstehe nicht …“

Wütend stampfte ich auf:

„Wie kommen Sie dazu, einfach mir nichts, dir nichts in meinen Zoo zu trampeln, mich von hinten anzuquatschen und irgendwas Vollbescheuertes von einem Euter zu faseln? Als ob es keinen anderen Namen dafür gäbe!“

„Aber es heißt nun mal Euter. Mit zwei Zitzen.“

„Sie unverschämter …! Ich weiß selbst, wie viele Zitzen ich habe!“

Jetzt war ich doch wieder nahe dran, ihm eine zu schallern. Aber er strahlte mich so goldig an und sah auf einmal so herzallerliebst drein, als ob einer seiner Vorfahren höchstpersönlich die Unschuld erfunden hätte. Ich konnte mir einfach nicht vorstellen, dass solche Augen lügen sollten. Nicht bei einem Mann. Also, jedenfalls nicht bei sooooo einem Mann.

„Manchmal sind es auch vier“, sagte er jetzt mit leichtem Achselzucken, ehe er sich seelenruhig wieder dem Gehege zuwandte.

„Vier was?“

„Vier Zitzen. Das ist von Art zu Art verschieden. Manchmal sogar innerhalb ein und derselben Art.“

„U-u-und von welcher Art reden wir grade?“

„Von Paarhufern. Wovon sonst?“

„Paar…“

„Paarhufern – genau!“

„Und was heißt das jetzt?“

„Hippotragus niger niger!“

„Sie Rüpel! Unterlassen Sie auf der Stelle diese schmutzige Anmache!“

„Verstehen Sie denn nicht? Die Rappenantilope hat gekalbt, und es ist gleich doppelter Nachwuchs geworden. In freier Natur würde sie wahrscheinlich eines davon verstoßen, weil sie mit ihrer Milch nur eines durchbringen kann. Aber bei dem Euter …“

„Is’ nich’ wahr!“, sagte ich mechanisch, und mehr brachten meine süßen kleinen Lippen erst einmal nicht zustande.

Viel zu sehr lenkte mich ein reißerisch geschnittener Videoclip ab, der plötzlich vor meinem inneren Auge ablief und in dem die demütigendsten Blamagen meines jungen Lebens aneinandergereiht waren. Grauenhafte, erschütternde Blamagen, die ich mir in der Vergangenheit allesamt durch meine unkontrollierbare Forschheit eingehandelt hatte.

Mein vorlautes Mundwerk, wie Papa trocken eingeworfen hätte.

Als der Clip in der allerjüngsten Vergangenheit angelangt war, schaltete der Player auf Zeitlupe, und ich sah quälend langsam einmal und nochmal und nochmal mein ganzes hilfloses Gestammel, all meine grundlosen Vorhaltungen, die ich diesem armen, ahnungslosen, unschuldigen und leider auch noch unheimlich gutaussehenden Mann soeben entgegengeschleudert hatte. Ich fühlte deutlich, dass mein Gesicht die Farbe eines Dreierpacks spanischer Paprika annahm. Abwechselnd. Rot-gelb-grün.

Hilflos rang ich nach Luft. Er aber redete unbekümmert weiter:

„Ich leite ein Forschungsprojekt über Säugetiere in Gefangenschaft.“

„Is’ nich’ wahr!“, stieß ich krampfhaft hervor und wurde das Gefühl nicht los, dass ich das schon erwähnt hatte.

„Doch, doch. Na, Sie wissen schon: Welche Bedingungen müssen herrschen, damit eine spätere Auswilderung möglichst große Aussicht auf Erfolg hat und all so’n Zeug eben … Aber ich will Sie nicht langweilen.“

Ratlos sah ich leeren Blickes an ihm vorbei.

Die Rappenantilope war ein bildschönes Tier. Stolz erhobenen Hauptes verharrte sie, mit imponierend aufragenden schwarzen Hörnern. Allerdings war sie sonst nicht ganz so schwarz, wie ich mir ein Rappentier vorgestellt hätte. Außer den Hörnern glänzten nur die Mähne und ein breiter Streifen auf der langen Nase in herrlichem Pechschwarz. Aber das zarte Hellbraun ihres Fells stand ihr ohnehin viel besser. Und das Weiß in der Backengegend kontrastierte effektvoll mit den schwarzen Partien, verlieh ihr in Verbindung mit der auffallend spitzen Nase sogar etwas ausgesprochen Edles. Klasse Outfit, absolut gut gemacht, also wirklich!

Und die beiden Kälbchen erst, die übermütig um die junge Mutter herumtollten! Sie waren einfach nur süß. Jetzt, wo sie ab und zu mit den Nasen danach stupsten, sah ich auch das Euter. Es war tatsächlich von beachtlicher Größe, und trotzdem war es mir vorher nicht aufgefallen. Ob ich dafür diesen typisch männlichen Blick gebraucht hätte, der weibliche Brüste immer und überall als Sehenswürdigkeiten ersten Ranges erspäht?

 

*

Die Sonnenstrahlen spielten vergnügt zwischen den Zweigen der jungen Linden in ihrem Frühlingskleid, als wir dann den geteerten Weg Richtung Serengeti-Saal entlangschlenderten. Ich hatte mich etwas von meiner Blamage erholt, auch weil er mit keinem Wort mehr darauf eingegangen war. Es war fast, als hätte er gar nichts davon bemerkt, und wenn ich mir das lange genug einredete, konnte ich es irgendwann vielleicht sogar glauben.

Ich schätzte ihn auf Mitte dreißig und er trug keinen Ring. Schwul war er nicht, das hätte ich sofort gewittert. Also was war dann mit ihm faul?

Es war leicht, mit ihm zu reden. Er plauderte geistreich und unbekümmert, fast so, als müsste er in meiner Gegenwart keinerlei Hemmungen haben. Dabei war ich sicher, dass er mich bemerkt hatte – ich meine: mit allem Drum und Dran bemerkt hatte –, aber gerade, wenn es so war, ließ es ihn eindeutig um einiges zu kalt. Ob er vielleicht kurzsichtig war?

„Tragen Sie sonst eine Brille?“, fragte ich unvermittelt. Erst als die Worte schon meinen Mund verlassen hatten, nahm ich wahr, dass ich damit offenbar mitten in einen spannenden Vortrag hineingeplatzt war.

„Nein, sollte ich?“, gab er verdutzt zurück.

„Würde Ihnen vielleicht ganz gut stehen“, erwiderte ich kess, und seinem Lächeln nach war mein Angriff diesmal wohl direkt genug gewesen. Jetzt glitt sein Blick endlich an meiner Figur abwärts und dann langsam wieder ein Stück nach oben. Er schien nicht abgeneigt.

„Für Sie könnte ich ja eine Ausnahme machen“, sagte er tatsächlich mit leicht anzüglichem Unterton, und wir lachten beide belustigt auf.

„Mittwochs“, erläuterte er dann mit einer fast entschuldigenden Geste, „drehe ich zur Zeit immer meine Runde im Zoo.“

Ich auch. Kaum zu glauben, dass ich ihn trotzdem noch nie gesehen hatte. Dabei hätte ich schwören können, dass ich einen Mann wie ihn auch unter tausend minderwertigen Exemplaren nicht übersehen konnte.

Mittwoch war deswegen in den Sommermonaten mein Zootag, weil ich da am leichtesten freinehmen konnte: An diesem Tag war nachmittags im Amt generell kein Publikumsverkehr zugelassen. Was sehr vernünftig war, weil man sonst bei den unzähligen skrupellosen Störern kaum einmal zur Ruhe kam. Manchmal tauchten vier oder fünf von denen an einem einzigen Nachmittag auf und erwarteten selbstverständlich alle, dass man uneingeschränkt für sie da war. Und wenn es nur für eine einzige Frage war.

Sofern ich es geschickt einrichtete – und das tat ich immer –, konnte ich schon am späten Vormittag Schluss machen und kurz darauf am Zooeingang meine Karte vorzeigen. Vom Amt in der Mörfeldener Landstraße waren es über den Main grade mal zwei Kilometer zum Zoo, und schon war ich in meiner grünen Oase der Ruhe, die ich erst so richtig schätzen gelernt hatte, seit das mit der Arbeit zu einer unerfreulich regelmäßigen Einrichtung geworden war. Um so mehr, seit die Lage sich zugespitzt hatte.

Die Laute, die all die exotischen Tiere in Häusern und Gehegen von sich gaben, hatten etwas so urwüchsig Kraftvolles, dass ich mich auch nach den grauesten und greulichsten Bürostunden binnen kurzer Zeit wieder spannkräftig und energiegeladen fühlte. Im Herzen war ich eben ein Kind des Urwalds. Oder der Savanne. Je nachdem, in welchem Tierhaus oder vor welchem Gehege ich mich grade aufhielt. Jedenfalls war etwas unbezähmbar Wildes in mir, das in der öden Stadt mit ihren tausend freudlosen Regeln, Zwängen und Vorschriften so gut wie gar nicht zur Entfaltung kam.

„Ich bin auch manchmal hier“, sagte ich und tat dabei so unbeteiligt wie möglich. „Warum habe ich Sie noch nie gesehen?“

„Ich versuche immer, einen bestimmten Rhythmus einzuhalten. Ihrer ist vielleicht anders. Heute Nachmittag fange ich zum Beispiel Punkt ein Uhr mit den Hippopotamii an.“

„Was denn, bei Tieren gibt’s auch Hypochonder?“

„Nein, Hippopotamii. Ähm, wie sagt man bloß? Ah ja: Nilpferde, wenn Sie so wollen.“

„Ach so, ja, natürlich! Das wusste ich gleich.“

Er lächelte mich hintergründig an. Sagte aber nichts.

Ich mag es nicht besonders, wenn ein Mann mich hintergründig anlächelt. Gierig ist okay. Lechzend noch besser. Aber nicht hintergründig. Da komme ich zu leicht auf die Idee, dass er sich mir überlegen fühlen könnte.

Für ihn galt das genauso. Und doch wieder nicht.

Dieser Mann konnte aber auch lächeln. Männer mit dem richtigen Humor haben mich schon immer schwach gemacht.

Obwohl wir nur schlendernd Schritt vor Schritt setzten, hörte ich schon nach kurzer Zeit mein Herz klopfen.

Oh, oh!

Dieser Bursche hatte etwas Animalisches. So, als hätte jemand Tarzans jugendlichen Cousin in ein elegantes Casual-Sakko gesteckt und nach ausgiebiger Schulung auf den unterversorgten Teil der Weiblichkeit in dieser Stadt losgelassen. Und beim Stichwort Unterversorgung musste früher oder später die Rede zwangsläufig auf Maxine Sawitzki kommen. Also auf mich.

Nicht dass ich sexbesessen gewesen wäre oder sowas. Aber ein paarmal in der Woche richtig gut das Bettlaken zerwühlen, fand ich schon erstrebenswert. Ich war blutjung und kerngesund, also womit hätte ich einen romantischen Abend besser krönen können als mit einem schönen, tief unter die Haut gehenden Orgasmus, der sich meinethalben gerne durch die halbe Nacht ziehen konnte.

Womit ich auch schon wieder beim Stichwort Unterversorgung wäre. In Wirklichkeit nämlich erlebte ich wilde Bettlakenzerwühlabenteuer momentan nur in meiner Phantasie. Zwar hatte ich gerade in dieser Hinsicht von jeher eine wahrhaft blühende Phantasie, doch ein echter Ersatz kann auch die aufregendste Phantasie für eine Frau mit echtem Feuer natürlich nicht sein. Speziell wenn sie erst 24 ist und noch so einiges vorhat.

Und ausgerechnet jetzt lief mir so ein Mann über den Weg. Ich will nicht behaupten, dass ich mir übermäßig viel Zeit lasse, ehe ich einen Kerl ausprobiere. Aber am ersten Abend habe ich bis jetzt noch keinen rangelassen. Am zweiten und dritten auch nicht. Erst danach verliert sich die Spur im Nebel diskreten Schweigens.

Weil ich jetzt das unbestimmte Gefühl hatte, allmählich die Kontrolle über die Situation zu verlieren, sah ich eher ungewollt auf meine Uhr, so dass ich meinen Blick wenigstens für ein paar Momente von diesem markanten Kinnwinkel lassen konnte, der mich an irgendjemanden erinnerte.

Dummerweise tat er es mir gleich. Er sah auf die Uhr, runzelte spontan die Stirn und mutierte unversehens zum zerstreuten Professor:

„Wo ist bloß die Zeit geblieben?“, murmelte er vor sich hin.

Noch ehe ich antworten konnte, wandte er sich mir zu und hob entschuldigend die Hände:

„Ich muss – leider!“, sagte er achselzuckend.

Als ich ihm halbherzig die Hand entgegenstreckte, drückte er sie flüchtig, war aber in Gedanken unübersehbar schon beim nächsten Euter oder bei einem anderen Körperteil oder – ach, woher sollte ich das wissen?

„War nett mit Ihnen“, sagte er so höflich, dass es wehtat.

Nett?

War dieser Mann bescheuert? Hatte er trotz all seines Charmes und trotz all seiner geistreichen Bemerkungen möglicherweise gehörig einen an der Waffel? War es das, was an ihm faul war?

Eine Ansichtskarte vom Wolfgangsee war nett. Ein Gratispröbchen des aktuellen Glitzer-Nagellacks in Betty Blue war nett. Die neue Frisur der Cornelia aus meiner Lieblings-Soap war nett.

Aber ich doch nicht!

Ich war epochal, umwerfend, betörend, spektakulär, unwiderstehlich, begehrenswert, männermordend, unvergesslich – aber niemals nett!

Und genau das musste ich diesem attraktiven Mann unbedingt noch mitteilen, ehe wir gleich für immer voneinander Abschied nehmen würden!

„Ja, ebenfalls“, hörte ich mich statt dessen tonlos sagen, während ich im Geiste noch all meine hinreißenden Eigenschaften durchging und mich verzweifelt fragte, was mit mir an diesem Tag nicht stimmen mochte.

Das konnte doch nicht sein!

Der konnte doch jetzt nicht einfach so abhauen!

Aber genau das tat er.

Einfach so.

*

Es war nicht fair. Nicht nach allem, was zwischen uns geschehen war. Na gut: was zwischen uns noch nicht geschehen war.

Sobald er außer Sicht war, fühlte ich mich verlassen. Allein. Zwar war ich vorher auch schon allein im Zoo gewesen. Aber jetzt fühlte ich mich alleiner als allein. Und fand, dass das nicht richtig war. Aber das Schlimmste war: Ich brachte es nicht einmal fertig, ihm deshalb böse zu sein.

Auf einmal war ich seltsam sauer, und je mehr ich in mich hineinhorchte, desto klarer wurde mir, dass ich sauer auf mich selbst war. Es war eindeutig keine Glanzleistung, wenn ein Typ, der mich soeben kennengelernt hatte, sich so leichten Herzens gleich wieder aus dem Staub gemacht hatte.

Dabei hätte ich ihm jederzeit einen Platz auf der Warteliste eingeräumt, wenn er sich nur eifrig genug darum bemüht hätte.

Aber das hatte er ja gar nicht. Dabei hatte er mich angesehen, und was er gesehen hatte, hatte ihn nicht kalt gelassen. Oder etwa doch?

Um meine sonnige Laune war es geschehen. Meine Gedanken drehten sich im Kreis, und ich kam nicht darüber hinweg, dass der Typ nicht mal nach meiner Handynummer gefragt hatte. War ich dermaßen außer Form?

War vielleicht irgendwas mit meinen Haaren?

War mein Kleid zu unauffällig?

Oder hätte ich doch andere Schuhe anziehen sollen?

Ohne zu wissen, wie ich dorthin gekommen war, fand ich mich irgendwann am Streichelzoo wieder. Dann an der Eulentaiga. Schließlich vor dem Wasserfall im Borgori-Wald, wo Gorillas und Orang-Utans faulenzend und einander gemächlich entlausend die kraftvolle Mittagssonne genossen.

Das war vollkommen anders als bei uns im Amt. In diesem Urwald hier gab es viel mehr lebhaftes Geschrei.

Natürlich hätte auch ich mich irgendwo am Wegesrand ins Gras legen und die Sonne genießen können. Doch diese Schmach ließ mir keine Ruhe. Es kam sowieso nicht oft vor, dass ich einen Kerl interessant fand.

Gab es denn nicht irgendein Gesetz oder wenigstens ein paar unveröffentlichte Ausführungsbestimmungen zu einer Landesverordnung, denen zufolge ein so gutaussehender Mann sich wenigstens vorgestellt haben musste, ehe er aus heiterem Himmel die Flucht vor mir ergreifen durfte?

Doch wie es aussah, hatten sich unsere Wege schon für immer getrennt.

Und das wäre möglicherweise besser für mich gewesen.

*

Lange musste ich nicht warten in meinem Versteck. Zehn vor eins war ich da gewesen und hatte mir gleich eine schlecht einsehbare Ecke gesucht. Was in dem kleinen Bau leichter gesagt als getan war. Aber er sollte auf keinen Fall denken, dass ich etwa auf ihn gewartet hätte.

Ich doch nicht!

Die Nilpferde residierten im Nashornhaus, was ich ziemlich verwirrend fand. Zumal sie gar keine Nilpferde waren. Sondern Flusspferde. Jedenfalls stand das da, und der Unterschied wurde offenbar sehr wichtig genommen. Ich hätte geschworen, dass ich sie immer nur als Nilpferde gekannt hatte. Naja, Hauptsache keines der Tiere musste sich diskriminiert fühlen, wenn es vielleicht tatsächlich nicht vom Nil stammte.

Allerdings würde ich mich wohl schon bald ein weiteres Mal umstellen müssen. Denn irgendwann würden die nimmermüden Sprachinquisitoren ja doch herausbekommen, dass weder Nilpferde noch Flusspferde auch nur entfernt mit den Pferden verwandt sind.

Aber das sollte nicht mein Problem sein. Mein Problem ging auf zwei Beinen und zeichnete sich vor allem durch einen widerspenstigen braunen Haarwuschel aus, den ich zu gerne auf der Stelle gebändigt hätte.

Also auf in den Kampf!

Vorsichtig verließ ich mein Versteck und trat wortlos neben ihn, den Blick fest auf die Hippos gerichtet. Er sollte ruhig wissen, dass es Interessanteres zu sehen gab als ihn.

„Sie schon wieder“, sagte ich so vorwurfsvoll wie möglich, ohne ihn eines Blickes zu würdigen. „Und? Mal wieder auf der Suche nach Brüsten?“

„Ah, Sie! Was für ein Zufall!“

Einen Moment lang war ich verunsichert. Hatte ich etwa aus seiner Stimme so etwas wie Ironie herausgehört?

Ich ließ ihm ein paar Augenblicke Zeit, in denen er mich im Profil mustern konnte, und achtete dabei sehr bewusst auf eine gerade Haltung. Dann wandte ich mich ihm langsam zu, warf keck den Kopf in den Nacken und strich mit einer Hand langsam und ausgiebig durch mein seidenweich fallendes Haar. Der arme Kerl konnte gar nicht anders, als eingehend meine perfekt zur Schau gestellte Büste zu mustern:

 

„Euter!“, sagte er denn auch ein wenig nervös. „Bei höheren Säugetieren nennt man es Euter!“

„Ach richtig“, erwiderte ich amüsiert und schenkte ihm mein strahlendstes Lächeln, „das sagten Sie ja schon.“

Am liebsten hätte ich ihm zwar noch sauber eins reingewürgt, weil er mich vorher einfach so abgehängt hatte, doch aus taktischen Gründen verschob ich das erst mal auf später. Erst einmal musste ich ihn am Haken haben, ehe ich dazu übergehen konnte, ihn nach meinen Vorstellungen zurechtzubürsten. Also plapperte ich erstmal munter drauflos:

„Und? Projekt abgeschlossen?“

„Was? Oh, das! Nein, das ist eine Langzeitstudie. Die wird vielleicht nie vollendet.“

„Ach. Und worum geht es da?“

„Grundlagenforschung, wenn Sie so wollen. Jedes höhere Tier braucht das richtige Maß an Freiheit und an Unfreiheit. Sonst verkümmert es.“

„Unsinn! Freiheit ist doch das einzige.“

„Nicht bei domestizierten Tieren.“

“Wieso das denn?“

„Freiheit ist Unsicherheit.“

„Kris Kristofferson?“

„Chris was?“

„Me and Bobby McGee!“

„Mia wie?“

„Freedom’s just another word for nothing left to lose!“

„Sie singen es.“

„Aber was hat das eine mit dem anderen zu tun?“

„Tiere lassen sich domestizieren, weil sie sich Sicherheit versprechen.“

„Alle?“

„Viele. Das Leben kann angenehm sein in Gefangenschaft.“

„Quatsch!“

„Keine Sorgen. Kein Gedanke ans Morgen. Keine Fehlschläge bei der Nahrungssuche.“

„Nur den Tag genießen?“

„Nur den Tag genießen.“

„Und wo bleibt das elementare Selbstverwirklichungsrecht im pluralistischen Kulturstaat?“

„Das was?“

Autsch! Dummerweise wusste ich plötzlich nicht einmal mehr, wo ich den imposanten Begriff gelesen hatte. Noch viel weniger hätte ich erklären können, was er denn eigentlich bedeuten sollte. Ich hatte den Kerl doch einfach nur mit irgendeinem klugen Spruch beeindrucken wollen. Also sagte ich nun frisch heraus und sehr darum bemüht, mir nicht die Spur Unsicherheit anmerken zu lassen:

„Jeder Mensch will doch frei sein!“

„Sind Sie das?“

„Klar doch! Ist doch jeder.“

„Ach ja? Was arbeiten Sie?“

„Ich bin im öffentlichen Dienst.“

„Aus Begeisterung?“

„Wie, aus Begeisterung?“

„Tun Sie das gerne? Würden Sie es auch tun, wenn Sie kein Geld dafür bekämen?“

„Was ist denn das für eine Frage? Man arbeitet doch immer nur für Geld.“

„Sehen Sie! Wie frei sind Sie dann wirklich?“

So hatte ich das noch nie gesehen. Und natürlich war das Unsinn. Aber für den Moment wusste ich nicht so recht, womit ich noch dagegenhalten sollte. Einfach recht geben wollte ich ihm aber auf keinen Fall. Ich würde schon noch draufkommen, wo sein Denkfehler war.

Doch so lange konnte ich jetzt nicht warten.

„Sie reden Quatsch!“, schleuderte ich ihm daher angriffslustig entgegen, und ich gab mir wieder alle Mühe, so überzeugt wie möglich zu klingen. Obwohl ich ja keinen blassen Schimmer hatte. Der Kerl sollte erst gar nicht merken, dass ich nichts weiter zu bieten hatte als die nackte Behauptung.

Anderen recht zu geben, war noch nie meine Stärke zu gewesen. Und einem Mann am allerwenigsten.

Schon gar nicht, wenn er in die engere Wahl kam.

Dieser hier war selbst in der engeren Wahl noch engere Wahl. So eng, dass er praktisch bereits auf Tuchfühlung mit mir war. Bildlich gesprochen, versteht sich.

Freilich hätte ich nichts dagegen gehabt, wenn er es für einen Moment auch mal wörtlich genommen hätte. Nur so zum Ausprobieren.

Weil mir aber trotz fieberhaften Überlegens keinerlei echtes Argument einfallen wollte, tat ich, was ich in solchen Fällen schon immer getan habe: Ich ging mit allem, was ich hatte, zum Angriff über:

„So einen Quatsch habe ich noch nie gehört! Jedes Lebewesen hat seine ureigene Persönlichkeit. Das hat nichts mit frei oder unfrei zu tun!“

„Doch!“

So ein fieser Typ! Ich redete mir den Mund fusselig, weil ich eigentlich gar nichts zu sagen hatte, und er konterte mit einer Silbe. Gab mir nicht mal einen halben Satz lang Zeit, mir meine Strategie für die nächste Angriffswelle zu überlegen. Und dieser selbstgefällige Tonfall erst. Wie bei jemandem, der im Gegensatz zu mir ganz genau wusste, wovon er sprach!

„Pah! Ich würde kein bisschen anders reagieren, egal ob nun frei oder nicht.“

Wenigstens das hatte ich jetzt im Brustton der Überzeugung hinausgeschmettert. Es hätte ein Volltreffer sein müssen. Doch der Kerl schien völlig unbeeindruckt.

„Sie wissen nicht, wovon Sie reden, Kindchen!“

Das war zu viel. Natürlich wusste ich sehr genau, wovon ich redete! Und wenn mich jemand ‚Kindchen’ nannte, war das für den Betreffenden sowieso nichts anderes als der Fahrschein in die Hölle. One way ticket to hell, Rückfahrt nicht inbegriffen!

„Oh, doch!“, keilte ich denn auch vehement zurück. „Das weiß ich sehr wohl!“

Mittlerweile wusste ich in Wirklichkeit nicht einmal mehr genau, worüber wir eigentlich stritten. Das passiert mir öfter, wenn ich in Rage komme. Und in Rage komme ich eigentlich jedes Mal, wenn ich den Eindruck habe, dass mich jemand nicht ernst nimmt. Irgendwie ist mir dann immer, als ob für eine Weile die Sauerstoffzufuhr zu meinem Gehirn abgeschnitten wäre, weil schlagartig alles Blut zum Pochen meines heißen Herzens gebraucht würde. Es ist kein wirklich angenehmes Gefühl, wenn ich in diesen Zustand hineinschlittere, vor allem seit ich weiß, dass es nur selten gut ausgeht. Trotzdem habe ich noch kein wirksames Mittel dagegen gefunden. Vielleicht auch, weil ich gar keines gesucht habe.

„Schauen Sie Kleines“, sagte er jetzt in väterlich beruhigendem Ton. „Sie reden da über etwas, wovon Sie wirklich nichts verstehen!“

Damit war er endgültig gegen die Wand gedonnert. ‚Kindchen’ war schon schlimm gewesen, aber mit ‚Kleines’ hatte er jetzt den letzten Sargnagel gesetzt. Argumentativ, meine ich.

Damit durfte ich ihn nicht durchkommen lassen!

Wütend stemmte ich die Fäuste in die Hüften und sah ihn mit leicht vorgeneigtem Haupt zornerfüllt an:

„Nein, Sie tun das!“, keifte ich ihn an. „Sie wissen gar nichts von mir, und Sie können von Glück reden, dass es keine Möglichkeit gibt, Ihnen zu beweisen, dass ich recht habe.“

„Ach“, sagte er lässig und sah achselzuckend zur Seite. „Das wäre kein Problem. Aber das will ich Ihnen lieber ersparen.“

Oh, dieser arrogante Heini!

Seine Worte kamen derartig begütigend, als habe er soeben huldvoll einem dummen kleinen Schulmädchen dafür die Absolution erteilt, dass es im Aufsatzschreiben nur zu einer Fünf gereicht hatte.

Das war einfach zu viel!

Während ich noch nachsann, worüber genau wir uns denn nun stritten, bewegte sich mein Mund unaufhaltsam weiter, und ich vernahm Worte daraus, die selbst mich selbst überraschten:

„Ha! Und wie sollte das gehen? Hopp, hopp – raus mit der Sprache!“

Er winkte ab.

„Nein, nein“, versuchte er mit gönnerhafter Geste abzuwiegeln, „so habe ich das doch nicht gemeint.“

Jawohl! Schon hatte ich ihn in der Ecke, den selbstherrlichen Angeber. Das war genau der Moment, wo ich nachsetzen musste, jetzt, wo er Schwäche zeigte und leicht zu packen war!

„Na los“, fauchte ich und machte einen kleinen Schritt auf ihn zu, „nun sagen Sie’s schon!“

„Nein, wirklich …“

Kleinlaut breitete er die Arme aus, die Handflächen offen nach oben gerichtet, und versuchte krampfhaft, eine Art Lächeln in seine Mundwinkel zu zaubern. Was natürlich granatenmäßig danebenging!

„Kommen Sie!“, setzte ich ein weiteres Mal nach. „Eben waren Sie sich Ihrer Sache doch noch so sicher!“

Er wich zurück, doch ich zog auch jetzt sofort nach. Noch einmal wich er zurück, aber ich auch diesmal sofort hinterher. Auf seinem Gesicht spiegelte sich pure Verzweiflung. Er sah fast schon wieder süß aus in seiner plötzlichen Hilflosigkeit.

Aber jetzt bloß kein Mitleid!

Rasch noch den Gnadenstoß, dann seine Kapitulation, und anschließend konnten wir uns ja meinetwegen wieder vertragen. Aber dann zu meinen Bedingungen!

„Was ist nun?“, fragte ich herausfordernd. „Geben Sie endlich zu, dass ich von Anfang an recht hatte, oder brauchen Sie erst eine weiße Fahne?“

„Das nicht“, erwiderte er verhalten, indem er sachte den Kopf hin und her wiegte. „Es ist nur …“

„Was nur?“

„Naja – ich schätze, das werden Sie sich nicht trauen.“

„Was trauen? Und wieso ich? Was soll ich mich nicht trauen?“

Er runzelte unschlüssig die Stirn, und ich konnte schon sehen, dass er schwächelte. Erst bewegte er noch ein paarmal tonlos den Mund auf und zu, dann endlich rückte er mit der Sprache heraus:

„Wir könnten einen Test machen.“

„Einen Test? Wann? Wo? Wie?“

Ich war verwirrt. Was für eine seltsame Kapitulation war das denn?

„Jetzt sofort“, entgegnete er, „hier an Ort und Stelle.“

„Und wie sollte das aussehen?“, fragte ich fast mechanisch, weil das beunruhigende Gefühl in mir keimte, dass etwas enorm schieflief.

„Das Zoorestaurant hat eine neue Leitung. War lange eine Zumutung, aber jetzt ist es ein echter Geheimtipp. Fast schon exklusiv. Ich spendiere ein schickes Mittagessen.“

„Und das soll ein Test sein?“

„Nein, das nicht. Aber auf dem Weg dorthin werden wir nur mal Ihre Hände der Freiheit berauben. Und Sie berichten dann bei der Vorspeise, ob und was Sie anders empfunden haben als sonst.“

Ich sah ihn kurz an, weil ich nicht glauben konnte, dass er das ernst meinte. Doch kein Zweifel: Das tat er!

Es war nicht das erste Mal, dass mein loses Mundwerk mich in die Bredouille brachte.

„Erst denken, dann reden!“, hatte mein Vater oft gesagt. Aber so richtig war der Satz nie bei mir angekommen.

Wäre er vielleicht besser.

Ich muss ziemlich bedröppelt dreingeguckt haben, denn er blickte mich plötzlich fast ein wenig besorgt an:

„Habe ich Sie erschreckt?“, fragte er teilnahmsvoll.