Mudlake - Willkommen in der Hölle

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JD’s Tavern



»Mädels, ich bin durch!« Cherryl warf die Reisetasche auf den Boden und ließ sich rücklings auf das monströse Bett fallen. Sie sank tief genug in die Polster, dass Hope befürchtete, die Matratze könnte ihre Freundin verschlingen. Das Bett hatte jedoch ein Einsehen, knarrte unter der Belastung und federte nach oben, um den schlanken Körper freizugeben.



Lissy rümpfte unterdessen die Nase. Sie fummelte an einer altmodischen Stehlampe herum, bis sie den Schalter fand und das Licht hinter dem stoffbezogenen Lampenschirm aufflammte. »Hier stinkt’s!« Sie beäugte dabei misstrauisch die antiquarischen Holzmöbel im Raum. »Honeymoon Suite, dass ich nicht lache … das Zeug stammt doch noch aus der Steinzeit.«



»Benimmst dich echt wie ’ne Großstadttussi«, blaffte Hope sichtlich genervt vom zickigen Verhalten ihrer Freundin. Sie war froh über das Zimmer, das größer war als die anderen und zudem einen Zugang zum Balkon hatte, der zur Straße hinausführte. Das Badezimmer lag auf dem Flur genau gegenüber. Was wollte man mehr? »Du hast die anderen Zimmer gesehen, wir hätten es wesentlich schlechter treffen können … Oder hättest du lieber in dem mit dem Engelgemälde geschlafen, das aussieht, als würden die direkt aus der Wand kriechen, umgeben von dieser komischen schwarzen Farbe, die an Teer erinnert?«



»Hast ja recht, das ist echt gruselig«, lenkte Lissy ein.



Cherryl setzte sich auf und prüfte den Sitz ihrer Brüste. »Ich muss jedenfalls hier raus, bin durch das Gerüttel im Bus geil wie sonst was.«



Hope verdrehte die Augen und legte ihre Tasche aufs Bett. »Was haltet ihr davon, wenn wir uns mit ’n paar Bier auf die Veranda pflanzen?«



»Als wenn das der alte Drache zulassen würde«, witzelte Cherryl und verdrehte die Augen, wie es Schwester O’Haras Art war.



»Geh’n wir doch in eine der Kneipen, von denen die schwarze Witwe gesprochen hat«, warf Lissy ein.



Hope zog sich gerade frische Sachen aus der Reisetasche. »Schwarze Witwe?«



»Na, diese Eiferson, nein, Iversson, der diese Bruchbude gehört.« Lissy kicherte. »Jedenfalls wird uns dort Schwester Wachhund garantiert nicht suchen.«



»Wird sie nicht, hat’s uns ja nicht verboten! Werfen wir uns in Schale und machen die Hillbillys heiß!« Cherryl wühlte bereits in ihren Klamotten, lief zur Hochform auf.



»Verdammt, Cherryl, du bringst uns noch in Teufels Küche!«, brummte Hope grinsend. Nach all dem Mist, der an diesem Tag passiert war, hatte sie wie die anderen Mädchen Bock auf Party. Und was konnten ein paar Bier schon schaden?





Nicht wesentlich später …





Cherryl stand auf der Straße und schürzte die Lippen. Sie hatte sich in Rekordzeit umgezogen, hatte das Kleid gegen schwarze Hotpants und eine weiße, über dem Bauchnabel geknotete Bluse eingetauscht. Jetzt scharrte sie mit ihren Turnschuhen unschlüssig auf dem Boden. »Na, was meint ihr, das Hawkeye auf dieser oder das JD’s auf der anderen Straßenseite?«



»Das JD’s ist ’ne abgefuckte Bretterbude«, sagte Hope. Sie hatte lediglich die Bluse gegen ein schwarzes Shirt mit regenbogenfarbenem Peace-Zeichen eingetauscht, weil sie fand, dass es gut zu dem Jeansmini und den Cowboystiefeln passte.



Lissy schnalzte mit der Zunge und streckte sich, dass sich das maisgelbe Top über ihren Brüsten spannte. »Und das Hawkeye sieht aus wie ’ne Psychobude voller Hillbilly-Massenmörder.«



Hope lächelte. In ihren engen beigefarbenen Schlagjeans sah Lissy aus wie eine schwarzhaarige Maisstaude mit Brüsten. »Stimmen wir ab. Ich sage JD!«



Cherryl sah zwischen den schäbigen Eingängen mit den blinkenden Leuchtreklamen hin und her. Im Licht der Straßenlaternen sahen beide Gebäude gleich schäbig aus. »Das Fucking JD’s!«



»Scheiß drauf!« Lissy lief zum Eingang des

JD’s Tavern

. Vor der roh gezimmerten Eingangstür blieb sie stehen, drehte sich zu ihren Freundinnen um und reckte in einer fragenden Geste die Arme zur Seite. »Na, was ist, Mädels? Keinen Bock aufs Feiern? Die Nacht ist noch jung!«



Sie betraten die düstere Bar, die keine Fenster hatte, und die Gespräche verstummten. Wie in einem Western drehten die Gäste ihnen die Köpfe zu und starrten sie an. Das Wort

Fremde

 stand unausgesprochen im Raum.



Hope fühlte sich auf unangenehme Weise an die Fernsehserie

Drei Engel für Charlie

 erinnert. Drei rattenscharfe Girls, die in jeder Folge in neue, gefährliche Situationen schlitterten. Sie versuchte, sich an die Namen der drei Detektivinnen zu erinnern, aber ihr fiel nur der des brünetten Engels ein. Sabrina Duncan, gespielt von Kate Jackson. Warum ihr das ausgerechnet jetzt in den Sinn kam, wusste sie nicht.



Das JD’s nahm sie mit seiner schwülwarmen Atmosphäre in sich auf. Atmete sie mit einem Atem ein, der dick war wie zäher, rauchgeschwängerter Teig. Ein fettleibiger Barkeeper wischte in kreisenden Bewegungen die Bar mit einem Lappen, den schon Generationen vor ihm benutzt hatten. Am Billardtisch zwei Kerle in schmutzigen Jeans. Ein bulliger Typ mit schwarzem Harley-Davidson-Shirt und ein gut gebauter Kerl in kariertem Hemd, dessen Ärmel in Hinterwäldlermanier abgeschnitten waren. Beiden stand der Mund offen.



Dem Barkeeper saß ein fliegenumschwirrter Kerl mit Baseballmütze gegenüber, der gerade eben aus dem Schweinestall gekommen sein musste.



Die Jukebox spielte

Crossfire

 von den

Bellamy Brothers

, ein Mädchen mit Schulmädchenzöpfen und Cowboyhut wiegte dazu ihre trägen, schmalen Hüften.



Lissy übernahm wie meistens die Initiative, ging zur Bar und schwang sich auf einen der Hocker. »Bier. Drei Stück, Mister. Und zwar pronto!« Sie knallte ein paar Scheine auf das klebrige Holz und lächelte dem fetten Thekenpolierer keck zu. »Wir haben höllischen Durst, Süßer.«



Der Kerl grunzte und hob die Hand mit dem Lappen, um auf ein rostiges Schild hinzuweisen, ohne sie dabei anzusehen. »Kein Alkohol an Minderjährige …« Er fuhr damit fort, das Thekenholz an der Stelle zu polieren, an der er es die ganze Zeit über getan hatte.



Cherryl schob sich an Lissy vorbei und versuchte es auf ihre Art. »Lass das mal die Profis machen.« Sie beugte sich weit nach vorne und präsentierte dem Dicken, was sie hatte. »Fass dir ’n Herz, Baby«, flötete Cherryl zuckersüß. »Wir kommen um vor Durst …«



Sein Blick blieb für einen Moment an ihren Brüsten haften. Der Schweinebauer hatte den Kopf gedreht und starrte Cherryl ebenfalls in die Bluse. Der Barkeeper schüttelte dennoch den Kopf. »Könnt ’ne Coke haben …«



Hope blies die Backen auf und sah ihre Freundinnen an. »Und jetzt?«



Die Partystimmung war bereits am Abklingen, als Cherryl erschrocken quiekte. Ein kräftiger Arm legte sich völlig unerwartet um ihre Schultern. »Hey, Fatso … mach mir mal drei Bier, wollt mit den Girls hier anstoßen.« Es war der Kerl mit den abgeschnittenen Hillbilly-Hemdsärmeln vom Billardtisch. Und der sah nicht mal übel aus. »Also, Ladys … wenn’s okay ist für euch?«



Cherryl schenkte ihm einen tiefen Blick und machte keinerlei Anstalten, sich aus seiner Umarmung zu lösen, sondern schmiegte sich an ihn. »Du rettest meinen Abend, Honey. Hast du ’nen Namen?«



Breit grinsend fasste er Cherryl unverfroren an den Hintern. »Klar hab ich den. Conor … Conor Carlin. Mir gehört die Autowerkstatt am Ende der Straße. Und was ist mit dir, Babygirl?«



»Kannst mich Cherryl nennen.«



»Großer Gott!«, flüsterte Hope und sah Lissy Hilfe suchend an. »Jetzt geht das wieder los … Ich brauch echt ’n Bier.«



Als Fatso mit den überschäumenden Gläsern ankam, griffen sie alle gerne zu. Conor schien seine Finger selbst beim Trinken nicht von Cherryl lösen zu können, vor allem nicht die an ihrem Hintern. Mit der anderen Hand drückte er ihr ein Glas Bier in die Hand. »Komm mit rüber, Baby, möchte dir meinen Freund vorstellen.«



Cherryl verhielt sich in Situationen wie dieser wie ein paralysiertes Reh. Sie kicherte albern, trank schnell und viel und hatte überhaupt kein Problem damit, sich begrapschen zu lassen.



»Bin gleich wieder da!« Dann war sie unterwegs zum Billardtisch, wo Conors Freund auf sie wartete. Conor schlug ihr auf den Hintern, dass es laut klatschte. Schamlos präsentierte er dem anderen Kerl seine neueste Eroberung. Cherryl machte einen Satz nach vorn, hielt sich am Billardtisch fest, beugte sich nach vorne und nahm sich eine der Kugeln. Sie streckte ihm dabei auf äußerst aufreizende Weise den Hintern entgegen. Conor lachte kehlig, packte sie bei den Hüften, um sie umzudrehen und auf den Billardtisch zu setzen. Sie tranken aus ihren Gläsern, bis Conor sich nach vorne beugte und Cherryl seine Zunge in den Hals steckte, die begierig die Lippen öffnete und die Augen schloss.



Hope und Lissy hatten derweil auf den Barhockern Platz genommen. »Cherryl ist ’ne gottverdammte Bitch«, lästerte Lissy und nahm einen Schluck aus dem Bierglas.



Hope lachte, trank ebenfalls und wischte sich den Mund ab. »Lass sie doch. Ist eben ihre Art, Spaß zu haben …«



Lissy war da vollkommen anderer Meinung. »Wenn Spaß daraus besteht, sich von jedem dahergelaufenen Penner durchziehen zu lassen, verzichte ich dankend.« Sie trank einen schnellen Schluck und nickte in Cherryls Richtung. »Und das werden die beiden, wirst es schon sehen …« Hope zuckte nur mit den Schultern. Sie hatte den Eindruck, dass Lissy auf Cherryl eifersüchtig war, weil die sich selbst nicht gehen lassen konnte.

 



Doch was war Hope im Moment egal. Sie hatte genug eigene Probleme und nicht die geringste Lust, sich um die der anderen zu kümmern. Um sich abzulenken, ließ sie ihren Blick durch die Bar schweifen. An den holzverkleideten Wänden hingen eine Menge Geweihe, dazwischen gerahmte Bilder mit Männern, die Gewehre hielten. Eine Ecke schien den Vietnamveteranen gewidmet zu sein. Unter einem staubigen Sternenbanner hingen Orden, von denen sich Spinnfäden zu diversen Urkunden und weiteren Fotografien mit bewaffneten Männern zogen.



»Hey, Girls!« Eine feuchte Hand legte sich auf Hopes Schulter. Sie fuhr herum und wollte sie mit einer entsprechenden Bemerkung zur Seite schlagen. Im letzten Moment erkannte sie, dass es das lasziv tanzende Mädchen war. »Hi! Ich bin Tiffany … oder wie man hier sagt, Tiff.«



Hope wechselte einen Blick mit Lissy, die ein Kichern nur mit Mühe unterdrücken konnte.



»Hope.«



»Lissy.«



»Nichts für ungut, wollt nur sagen, dass wir hier nicht oft welche aus der Stadt sehen, und von dort kommt ihr doch, oder?«, brabbelte die Kleine weiter. »Sieht man hier nicht alle Tage.«



Mit zehn Kilo mehr auf den Rippen wäre sie bestimmt ein hübsches Ding, doch so war sie einfach nur zum Abgewöhnen. Ihr Atem roch nach Fusel und Zigaretten. Und etwas, das schwer zu definieren war. Spareribs womöglich. Medium Rare.



»Wen interessiert’s?«, schnippte Lissy und nahm einen langen Schluck.



Tiffany drängte sich verschwörerisch zwischen Hope und Lissy. Ihr Haar roch intensiv nach Pferdestall. Eine echte Blume vom Land. »Heute Nacht geht’s ab, sag ich euch!«



Die ist doch total besoffen

, dachte Hope und wollte sie freundlich, aber bestimmt wegschieben, um sich ungestört mit ihrer Freundin unterhalten zu können.



»Da wird Blut fließen, ’ne Menge sogar«, lallte Tiffany redefreudig weiter.



Hope hielt inne. »Sorry, aber du redest gequirlte Scheiße, Mädchen!«



»Yeah, Ma’am, das behaupten viele von mir«, antwortete Tiffany. »Aber ich sag’s dir. ’n Bus voll Frischfleisch ist angerollt und Bob McCall wetzt bereits seine verdammten Messer!« Sie fuhr sich mit dem Finger über die Kehle. »Wobei«, sie schielte zum Billardtisch, »mir nicht viel mehr als Fickfleisch dazu einfällt!« Irre lachend schlug sie sich wegen des eigenen Witzes auf die Schenkel.



Hope schluckte. Die Luft in der Bar wurde schlagartig dicker und legte sich wie zäher Rotz auf ihre Atemwege. Die Partylaune platzte wie eine Seifenblase. »Jetzt mal sachte, Tiff, so redest du nicht über unsere …«



»Lass Tiffany in Frieden!«, knurrte der Schweinebauer, der bis dahin seelenruhig sein Bier getrunken und und sich selbst im Spiegel angestarrt hatte. Er tippte sich mit seinem dicken Zeigefinger an die Schläfe. »Die ist nicht mehr ganz dicht in der Birne. Kann nix dafür, wie sie redet. Aber sie is’ von hier, also lasst sie in Ruhe.«



»Mister, die hat gerade unsere Freundin beleidigt«, mischte sich Lissy ein. Hope hatte nicht bemerkt, wie Lissy vom Barhocker geglitten war. Jetzt packte sie Tiffany am Oberarm, dass die erschrocken aufschrie. »Ey, nimm deine dreckigen Latinofinger von mir!«



Das war zu viel. Lissys Faust kam hoch und hämmerte Tiffany hart auf den Mund, dass der Betrunkenen die Lippe aufplatzte und ihr Kopf nach hinten flog. Sie hob die Hand zum nächsten Schlag.



Hope packte ihren Arm und hielt sie davon ab, noch mehr Schaden anzurichten. »Nicht, lass gut sein, Lissy!« Sie wusste, wie ihre Freundin sein konnte, wenn sie wütend war. Wenn der rote Vorhang fiel und sie nicht mehr wusste, was sie tat.



Fatso bewegte sich flink wie ein Wiesel, zog einen Baseballschläger unter der Theke hervor und schlug ihn zwischen den Mädchen aufs Brett, dass die Gläser einen wilden Tanz aufführten. »Aufhören sag ich, sofort!«



Hope sprang erschrocken zurück, wurde aber von dem Schweinebauern zur Seite gestoßen. Der hämmerte seine riesige Faust in Lissys verblüfftes Gesicht. Sie ließ von Tiffany ab, prallte hart gegen die Bar und rutschte zu Boden, wobei sie zwei Barhocker mitriss.



Bevor Hope begriff, was geschah, krallten sich die Finger des nach Schweinescheiße stinkenden Kerls in ihr Haar und knallten sie mit der Stirn gegen das schmierige Tresenbrett. Weißes Licht explodierte hinter ihren Augen. Ihre Beine gaben nach, sie brach zusammen und fand sich auf dem dreckigen Boden wieder. Der Raum drehte sich vor ihren Augen. Der Schweinebauer stand mit geballten Fäusten und hasserfülltem Blick über ihr, zog sich in die Länge, verwischte sich wie in einem Zerrspiegel zu farbigen Kreisen.



Hope wimmerte schmerzerfüllt auf, weil sich ihr Gehirn auszudehnen und von innen gegen ihren Schädel zu drücken schien. Mit Mühe brachte sie ihre Arme nach oben, um sich vor weiteren Schlägen zu schützen. »Bitte …«



Tiffany tauchte über ihr auf und lachte schrill. Ihr Gesicht verzerrte sich zu einer Fratze. »Du bist tot, du bist so was von tot!«



Die Tritte pressten ihr die Luft aus der Lunge. Hustend krümmte sich Hope in eine fötale Haltung zusammen und bekam kaum mit, dass sich Tiffany die Bierkrüge griff und sie Lissy und ihr überschüttete. Irgendjemand, der keine Frau war, lachte meckernd.



Ironischerweise machte sich Hope am meisten um Cherryl Sorgen. Sie hoffte, dass ihre Freundin schlau genug gewesen war, um wegzulaufen und Schwester O’Hara zu holen. Sie kroch zur Bar, zog sich ächzend daran nach oben. Wie in Trance sah sie, wie der Schweinebauer Lissy an den Haaren packte und sie hinter sich her in die Mitte des Raumes zog. Ihr Gesicht war blutverschmiert. Rot war es auf ihr gelbes Shirt getropft, zeichnete ein surreales Muster. Tiffany versetzte ihr Tritte in Bauch und Unterleib. »Schlachte die Bitch gleich hier, mitten im JD’s!«, schrie Tiffany wie von Sinnen, denn das war sie. Durchgeknallt, total wahnsinnig.



Hope hielt sich am Tresen fest. Ihre Hand fand ein Glas, kippte es um, dass es auf dem Boden zersprang. Sie bekam ein weiteres zu fassen, schloss die Finger um den Henkel, stieß sich ab. Während sie vorwärtstaumelte, streifte ihr Blick den Billardtisch. Cherryl und dieser Conor waren verschwunden. Nur der bullige Harley-Davidson-Kerl war noch da und bewegte sich böse grinsend auf Lissy zu.





Bitte, Lissy, steh auf, wehr dich!





Taumelnd stolperte sie gegen die Füße von Lissy, die kraftlos zur Seite rutschten. Tiffany drehte sich zu Hope um und wollte sie schlagen, doch Hope war schneller. Der Bierkrug knallte Tiffany mitten ins blutige Gesicht, brach ihr die Nase und ein paar Zähne aus dem Kiefer, bevor das Glas zersplitterte. Dann stürzte sie rücklings über Lissys ausgestreckte Beine.



Hope konnte dem Billardstock nicht mehr ausweichen, der hart gegen ihre malträtierte Stirn knallte. Es gab ein hölzernes Geräusch, sie sackte kraftlos zusammen und kam neben ihrer Freundin zu liegen. Lissys Körper ruckte, weil sich der Schweinebauer an ihr zu schaffen machte und grunzend die Schnallen seiner stinkenden Latzhose löste. Hope konnte von hämmernden Schmerzen gepeinigt den muffigen Geruch wahrnehmen, der daraus entströmte.



Der Harley-Mann kniete sich auf Lissys Oberkörper, um sie unten zu halten, zückte ein riesiges Messer mit leicht gekrümmter Klinge und schnitt ihr das blutbesudelte Shirt vom Leib. Dass er dabei ihre Haut verletzte, schien ihn nicht zu stören.



Ihre tränenverschleierten Blicke trafen sich. Lissys war stumpf, ihrer weinend. »Bitte, Gott, lass es schnell vorbei sein …«, hauchte Hope ein tonloses Flehen zum Himmel.



Tiffany riss Hopes Kopf an den Haaren zu sich herum, dass sich ein dickes Büschel aus der Kopfhaut löste. »Du wirrscht so wasch von laid’n!« Tiffanys Gesicht glich einem blutüberströmten Trümmerfeld. Die Nase stand in seltsamen Winkel ab, ihre Lippen waren gleich an mehreren Stellen aufgeplatzt und zwei Schneidezähne fehlten. Ihr rechtes Auge begann zuzuschwellen. Der pure Hass schien sie anzutreiben, trotz allem weiterzumachen. Blutiger Speichel spritzte in Hopes Gesicht. »Kommt, Männer, bringen wir die Säue zum Schlachter!«














The Gem Varieté Theater



James überquerte die Main Street auf einem der provisorischen Stege, der aus in den Matsch geworfenen Brettern bestand, die in den Fahrspuren der Wagen jedoch beträchtliche Lücken aufwiesen. Den Kopf voll von den wirren Gedanken des Hinterzimmergesprächs, schlug er sich den Kragen des Mantels nach oben und machte sich auf den rutschigen Weg.



»Pass doch auf, du Idiot!«, schnauzte ihn ein Kutscher an und zwang ihn dazu, vom Brett in den Schlamm zu springen. James warf dem Mann einen zornigen Blick hinterher, sagte aber nichts. Mit saugendem Schmatzen löste er die Stiefel aus dem Morast, stieg auf die Bretter zurück und erreichte die andere Straßenseite, wo das Gem Varieté Theater lag.



James stieg auf die Veranda und schob sich durch das Gedränge aus Trinkern, Rauchern und Nutten, die alles anmachten, was halbwegs nach Mann aussah. Sein Ziel war der einladend geöffnete Eingang. Der bestand aus zwei Türen mit gravierten Glaseinsätzen, die Can-Can-Tänzerinnen mit Federbüscheln auf dem Kopf zeigten. Eine aufwendige und teure Arbeit. Auf den wenigen Metern wurde er mehrere Male darauf angesprochen, die Vorzüge des Gem Varieté Theaters zu genießen und einzutreten, was er ohnehin vorhatte. Mit einem jeweils freundlichen Nicken stimmte er den Aufforderungen zu.



Zu beiden Seiten des Eingangs standen Bewaffnete, die ihn mit ihren Blicken sezierten. Er tippte sich an den Hut, nickte knapp und betrat das größte Gebäude in den verdammten Black Hills. Im beeindruckend weitläufigen Saloon setzte sich das Gedränge von draußen fort. Anstelle eines Klavierspielers erzeugte eine moderne Dampforgel Musik. Auf einer winzigen Bühne tanzten leicht beschürzte Mädchen einen für James nicht erkennbaren Tanz, der allzu offensichtlich dazu diente, die ausgehungerten Männer nach oben in die Zimmer zu locken. Röcke und Federbüschel wippten im Takt ihrer freiliegenden Brüste zur Musik und James fragte sich, wer denn nun eigentlich den Rhythmus vorgab.



Das Zischen der Orgel, das Trampeln und Schreien der Mädchen, das Gegröle und Gedränge der nach käsigem Schweiß und Ausscheidungen stinkenden Männer waren James einen Tick zu infernalisch, weswegen er anfing, sich unwohl zu fühlen. Ihm fehlte das warme Gefühl, das ihn im Nuttall & Man’s ergriffen hatte. Das Zuhause-Gefühl. Unter Umständen war es die vorherrschende Düsternis im Gem, die lange Schatten warf und die tatsächliche Tiefe des Raumes im Unklaren ließ. James schob sich durch die Menge zur Bar, an der es leidig freie Plätze gab. Ihm fiel auf, dass sich die Huren auf den Brüstungen und Treppen platziert hatten und sich von dort wie kreisende Geier die Freier aussuchten. Fanden sie einen, riefen sie ihn unter Beschreibung seines Aussehens an. Zum Beispiel mit Sätzen wie: »Du da mit dem komischen Hut!«, oder: »Hey, Holzbrillenmann, bist’n guter Stecher?« Dass dabei eine Menge Chaos entstand, war reines Kalkül, denn auf diese Weise erwischten sie weit mehr Männer als unten im Gewühl. Der daraus resultierende Lärm war nahezu unerträglich. Nach den stillen Tagen im Sattel in der endlosen Weite der Plains fühlte sich James damit überfordert.



Seine Rettung war die Theke und die war ein wahres Monstrum aus poliertem, dunklem Holz. Sie wurde nur von der Unzahl an Spiegeln übertrumpft, die dahinter an der Wand hingen. Gleich drei Bartender waren mit dem Versorgen der Gäste beschäftigt. James fand seinen Platz zwischen einem mürrischen, alten Säufer, der erbarmungswürdig nach Urin stank, und einem jungen Kerl mit Bowler und zwei modernen Colts am Gürtel, die Papierhülsenpatronen verschossen. Ein besonders heißblütiger Kerl, auf den man aufpassen musste. Einer, der sich zu beweisen hatte.



Er nickte beiden zu und winkte den Bartender zu sich, einen bulligen Kerl mit eng stehenden Augen und einer tiefen, wie eingeschnitzten Falte dazwischen. Seine fleischige, schräg stehende Nase und die eingerissen-vernarbten Ohrläppchen zeugten davon, dass er ein Schläger war. »Whiskey … aber ’nen guten.« Zur Unterstreichung seiner Worte schob er ein paar Dollarmünzen über das klebrig feuchte Holz. Ihm entging dabei der Blick des Jungen mit den zwei Colts nicht, der begierig auf die Münzen schielte.



Ein typischer Abgreifer, wie es sie in jeder Stadt gibt. Mittelmäßiger bis schlechter Schütze. Großmaul … hat wahrscheinlich ein, zwei Helfer, die auf sein Zeichen lauern

.

 



Der Bartender strich die Münzen ein, grunzte und stellte ihm ein halb volles Glas vor die Nase und die Flasche gleich daneben. »Wenn d’ nachschenk’n wills’ …«



Der Tanz begann, noch bevor James das Glas an den Lippen hatte. Er sah im Spiegel, wie sich der Jungspund zu ihm umdrehte und dabei mit einer bewusst lässig auffälligen Geste die elfenbeinfarbenen Griffe seiner Colts unter der Jacke entblößte.



»Würd auch mal gern so’n Gentleman-Zeug probier’n, Mister.«



James trank einen winzigen Schluck und stellte das Glas, ohne sich zu dem Jungspund hinzudrehen, ab. »Steht jedem frei, sich ’nen ordentlichen Whiskey zu bestellen …«



Der Kerl rückte nah genug, dass James den faulen Zahn in dessen Mund riechen konnte, ohne ihn zu sehen.



»Bist wohl ’n ganz Schlauer, häh?« Seine Rechte sank übertrieben lässig auf den Griff der Waffe.



Jetzt drehte sich James doch zu dem Kerl um, der sich an ihm festgebissen hatte wie ein kleiner, nerviger Kläffer aus einem vornehmen New Yorker Hotel. Beiläufig streifte er dabei seinen Mantel hinter einen der langläufigen Colt Army 1860, die er stets mit den Griffen nach vorne schräg an seinem Gürtel trug. In den Augen des Heißsporns sicher altmodische Vorderlader, aber absolut zuverlässig, wenn es darum ging, ein Ende zu setzen. »Hör mal, Jungchen, warum gehst du nicht raus und gehst jemand anderem auf die Nerven, hm? Ich möchte hier in Ruhe meinen Whiskey trinken!«



Eine dicke Ader pulsierte am Hals des Jungspunds, seine Augen weiteten sich im Angesicht des unerwarteten Konters. Vermutlich war er es nicht gewohnt, dass einer sich ihm gegenüberstellte. Seine Finger schlossen sich fester um das helle Elfenbein.



»Mister … Sie begeh’n ’nen verdammten Fehler, wiss’n wohl nicht, wer ich bin, häh?« Seine Stimme hatte einen helleren, nervigeren Ton angenommen. Nervosität schwang in den letzten Silben mit.



»Schätze, bist ’n Scharfschütze, mit dem man sich besser nicht anlegt.«



»Right, Mister«, blaffte der Jungspund gereizt, die Augen zu schmalen Schlitzen verengt. »Da sollte sich so’n …«



Der Totschläger klatschte dem Jungspund ohne Vorwarnung gegen den Hinterkopf und schickte ihn mitten im Satz auf die mit Spucke und Dreck lackierten Bretter. Der Mann hinter ihm, mit der Gestalt und dem Gesicht einer Bulldogge, steckte das Schlagwerkzeug weg und trat vor einem schlanken, hochgewachsenen Gentleman zur Seite, damit dieser den Platz an der Theke einnehmen konnte, den der Jungspund zuvor besetzt hatte.



Der Gentleman trug einen sorgfältig gestutzten Spitzbart, der sein Gesicht dreieckig erscheinen ließ. Sein schwarzes Haar wirkte ölig, aber gekämmt. Den dunklen Anzug bedeckten einige Fussel, aber er wies weder Fleck noch Flicken auf, ebenso wenig wie die polierten Lederstiefel, die sicher noch nie Schlamm gesehen hatten. Sein Gesicht mochte einen Hauch zu eingefallen und blass wirken, doch das war mühelos dem diffusen Licht im Gem zuzuschreiben. James entging die Waffe nicht, die er an einem speziell angefertigten Holster unter der Achsel trug.





Ein Holster, wie Spieler sie gerne bevorzugen …





James’ Blick folgte dem Schläger, der den bewusstlos geschlagenen Jungspund an den Füßen voran nach draußen zog.



Der Gentleman zog die Lippen in seinem dreieckigen Gesicht nach oben und entblößte makellose Zähne, die etwas zu lang wirkten. »Ich muss mich für den Kerl entschuldigen. Natürlich hat er Sie nicht erkannt, Mister James Butler, oder soll ich sagen Wild Bill Hickock?« Er streckte ihm eine feingliedrige, lange Hand entgegen. Die Fingernägel waren sauber und geschnitten. »Ich habe all die Berichte über Sie gelesen. Vor allem die Wild-West-Show in New York fand ich überaus faszinierend.«



James ergriff die angebotene Hand. Die Haut fühlte sich wächsern und klamm an wie ein dünner und kalter Lederhandschuh, doch den trug er nicht. »Und Sie sind?«



Der Mann setzte ein gewinnendes, selbstsicheres Grinsen auf. »Al Swearengen, meines Zeichens und mit Stolz Besitzer des besten Etablissements am Platz!«



James entließ die nasskalte, an einen toten Fisch erinnernde Hand aus seinem Griff und rang sich ein anerkennendes Lächeln ab. »Es ist mir eine Ehre, Sir.« Er sah sich um, registrierte die mit Gewehren bewaffneten Männer, die in unmittelbarer Nähe scheinbar zufällig herumzulungern schienen, aber alle unter ihren Hüten in ihre Richtung sahen.





Als würden sie auf etwas Bestimmtes warten …





»Und es ist in der Tat beeindruckend, was Sie hier aufgebaut haben, wenn ich das sagen darf.« James nickte. »Darf ich fragen, seit wann Sie hier sind, Mr. Swearengen? Ihre Aussprache, Sie wissen …?«



Der Bartender stellte ein randvolles Glas Whiskey vor Swearengen ab. Er nahm das Glas und hob es James entgegen. »Sie haben mich erwischt, Mister Butler. Zum Wohl!«



James stieß mit ihm an und trank. Er fragte sich, was aus dem Jungspund geworden war, und hoffte, dass es der Schläger bei einer ordentlichen Tracht Prügel belassen hatte. War womöglich am Ende doch ein anständiger Kerl, wenn man ihn zu nehmen wusste.





’ne ordentliche Abreibung und ausgenommen, das hätte der Mistkerl verdient. Den Tod? Nein, den nicht!





Sie stellten die Gläser ab. »Sie werden’s nicht glauben, aber ich bin in Oskaloosa, Iowa geboren, hab allerdings einige Jahre in Kansas verbracht, daher der breite Slang.« Er zwinkerte verschwörerisch.



James sah ihn an, ohne mit der Wimper zu zucken. »Kansas, ja? So zwischen ’63 und ’65?«



Al Swearengens Augen verengten sich. James sah, wie sich der Körper seines Gegenübers straffte. Etwas an seinem Auftreten verunsicherte ihn. Der Mann war aalglatt und zu geschmeidig. Mit den Partisanen, die er im und nach dem Krieg kennengelernt hatte, verband ihn nichts. Das waren ausgebrannte Wracks mit toten Augen, deren Hände zitterten. Der Mann ihm gegenüber sah unverbraucht aus, viel zu frisch.



»Ich verstehe Ihre Anspielung nicht, Mister Butler.«



Und wie du sie verstehst, du Bastard

, dachte James. »Sie ritten mit den Bushwhackers unter Leutnant William T. Anderson, nicht wahr?«



Swearengens Stimme wurde eisig. Auch konnte man meinen, dass seine finstere Gestalt einen Hauch düsterer geworden war. Dass er das Licht der Umgebung schluckte, in sich einsog, wie ein Licht verschlingender Vampir. »Und wenn’s so wäre?«



James zuckte mit den Schultern, griff nach seinem Glas und trank. »Der Krieg ist lange vorbei, Mister. Ich frag mich nur manchmal, was aus dem berühmten Bloody Bill geworden ist, aus seinem brutalen, boshaften Mördergeist.« Er stellte das Glas zurück. »Immerhin war er eine Legende!« Im Spiegel sah er die Gewehrträger an ihren ursprünglichen Positionen stehen. »Ich sage, der Schweinehund lebt!«



»Was für ’ne Art von Gespräch soll’n das werden, Mister?«, wollte Swearengen gefährlich leise wissen.



James sah ihm in die tief liegenden Augen, die das Licht der Lampen im Gem’s reflektierten.



Als würden sie von innen heraus glühen

.



Es fröstelte ihn und er wusste nicht, warum. Womöglich, weil es im Gem’s düsterer wurde, sich die Stimmen ein wenig greller erhoben, dass sie wie Kreischen wirkten. Weil er durch den Dunst, er im Saal stand, kaum die Nutten auf den Brüstungen erkennen konnte. Vor allem aber, weil sich eine dunkle, nicht greifbare Bedrohung um sie herum ausbreitete, die alles in ihre Finsternis sog, abgesehen von einem kleinen helleren Kreis, in dem er und Al Swearengen standen.





Ich sollte weniger trinken …





»Na ja, in Deadwood verschwinden ’ne Menge Leute und da frag ich mich …«



»Ich weiß, dass du im Nuttall & Man’s warst, Mann«, raunte Swearengen warnend. »Und ich weiß auch, dass Jane Cannary dir ’n Telegramm geschickt hat, weil sie was gegen mich vorhat, denn ich erfahre alles, was in Deadwood vorgeht.«



Der brachiale Lärm der trötenden Dampforgel, die vielen Stimmen drängten James in die Ecke. Wo er auch hinsah, alle starrten ihn aus kalten, leblosen Augen an. Selbst die Kartenspieler hinten am Tisch. Sie hatten ihre Köpfe zu ihm umgedreht, s

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