Weiße Wölfe am Salmon River

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Ein riesiger Kochtopf

Frühzeitig waren sie auf dem Wasser. Marc hielt sein Versprechen, er saß mit Shonessi und Ahmik im großen Aerius, wobei sie zum Nichtstun verurteilt war, was ihr überhaupt nicht behagte.

„Ahmik, wir erreichen bald 'Hells Gate', die schwerste Stelle im unteren Bereich des Nahanni. Der Wasserstand ist immer noch ziemlich hoch. Konzentrier dich auf Gerry, er wird den richtigen Weg finden.“

„Lakota, ich will auch paddeln.“ Sie schmollte.

„Shonessi, wir wechseln heute Nachmittag, dann kannst du paddeln. Einverstanden?“

„Ja…ah.“ Den Blick, den sie ihm dabei im Umdrehen zuwarf, brachte ihn fast aus dem Konzept. Von weiter Ferne konnten sie schon die Engstelle erkennen. Bedrohlich rückten die hohen senkrechten Felswände zueinander. Der Fluss hatte sich hier wie mit einer Säge durchgefressen. Direkt in der Durchfahrt schien eine riesige Felsnadel zu stehen. Das Wasser wurde unruhiger, begann zu brodeln. Glucksend und zischend schien es an den dünnen und empfindlichen Häuten der Faltboote zu saugen. Marc war auf das äußerste konzentriert. Erst vor einiger Zeit waren hier zwei Kanus gekentert und die Kanuten beider Boote ertrunken. Doch es war keine Stromschnelle, der Begriff 'Kochtopf' wäre passender gewesen. In dem runden, von bis zu 460m hohen senkrechten Felswänden umschlossenen Kessel brodelte, kreiste und strudelte das Wasser, schwappte laut klatschend gegen die Felswände, brandete zurück. Shonessi drehte sich mit ängstlichen Blicken zu Marc.

„Lakota, ich habe Angst.“ Hilflos schaute sie ihn an.

„Musst du nicht haben, alles ganz harmlos. Ich lass dich nicht allein. Wir schaffen das!“

Die Hauptströmung beschrieb eine riesige Acht. Baumstämme und Treibholz kreisten auch hier im wieder schlammigen Wasser, tauchten unter, schossen wieder an die Oberfläche, drehten sich, stießen gegen Felswände.

Marc war sofort klar, wer hier kentert, hat nicht nur ein Problem, er ist verloren. Zwei riesige Kehrwasser, Strudel und Wasserpilze vor Prallwänden verhinderten jedes Anlanden. Und wieder blickte Shonessi zu ihm, diesmal umspielte ein Lächeln seinen Mund. Gerhard hatte den richtigen Weg gefunden, gut fahrbar und ohne viel Risiko, direkt in der Strömung. Sicher gelangten sie durch die nur 30m breite Engstelle. Jetzt konnte auch Shonessi wieder lächeln. Hier begann nun der über 60km lange dritte Canyon.

Sie kamen zügig voran, am Ende des Tages schlugen sie ihr Camp am Ausgang des Canyons auf. Dieses Mal kümmerte sich Marc um das Holz und das Feuer, Ahmik ging fischen, Shonessi und Gerhard bereiteten das Essen vor.

„Sag, Gerry, hat Lakota wirklich keine Freundin?“

Gerhard schüttelte den Kopf. „Nein, hat er nicht. Er hat harte Zeiten hinter sich. Du tust ihm mehr als gut, er liebt dich. Ich kenne ihn schon seit Jahren. Er ist ein ganz treuer. Du kannst ihm vertrauen. Er wird dich niemals im Stich lassen.“

„Und du?“

„Ich, oh ich bin verheiratet, habe zwei süße Kinder. Junge und Mädchen. Und ich vermisse meine Frau. Ich wünschte, sie wäre bei mir. Gerade jetzt, wo das mit Hartmut passiert ist. … Ich verstehe ihn einfach nicht. Gut, ein bisschen vielleicht. Marc hat ihm damals seine Freundin ausgespannt. Er wusste aber nichts davon, sie ist, wie du weißt, tödlich verunglückt. Ich versteh nur nicht, was das mit dir zu tun hat. Schon am Anfang, als er dich zum ersten Mal in Watson Lake gesehen hat, war er so komisch. Ich habe dem nur keine Bedeutung beigemessen.“

„Danke, dass es dich gibt und bleib bitte ein guter Freund von Lakota.“

„Da brauchst du dir keine Sorgen zu machen.“

Es knackte im Unterholz, Shonessi schreckte auf. Marc kam mit einem Arm voll Holz zum Lagerplatz. Er hatte sehr wohl bemerkt, wie sehr sich Shonessi erschrocken hatte. Nachdem Ahmik auch mit den Fischen kam, war der Abend gerettet.

Auf dem Lagerplatz am Bach. Hartmut hatte sich befreit, war aber nicht weitergefahren. Er wartete ab, schmiedete den ganzen Tag Rachepläne. Früher Abend, Motorengeräusch. Erst war nur ein leises Brummen wahrnehmbar, je näher es kam, desto lauter wurde der Lärm. Hartmut ging zum Fluss und blickte aufmerksam flussaufwärts. Erst sah er nur einen kleinen Punkt, der schnell größer wurde. Es war ein Hubschrauber, kein Flugzeug.

Viel besser. Meine Rache kann beginnen.

Das dachte er, als der Hubschrauber direkt vor ihm in fünf bis sechs Metern Höhe stand.

„Hey, das ist doch der Typ, den wir im Hotel überrascht haben. Ist der allein?“

Hartmut hatte am Waldrand Schutz gesucht, sich gleichzeitig aber lautstark bemerkbar gemacht.

„Ich sehe das Kanu, aber sonst nichts. Soll ich…“

„Nein“, es war Fowler, der die Anweisung gab, „wir landen. Ich denke, er will uns etwas mitteilen.“

Kurz darauf stand Fowler mit Hartmut und einem weiteren Mann zusammen. Er kam sofort auf den Punkt.

„Wie heißen Sie?“

„Hartmut von Halden, ich bin Deutscher. Darf ich Ihnen etwas Wichtiges mitteilen. Vielleicht können Sie mich ja von hier aus mitnehmen.“

„Was haben Sie uns zu sagen.“

„Ich war mit Shonessi und dem Mann zusammen, der sie vor euch in Sicherheit gebracht hat.“

„Wie heißt der Mann?“

„Marc Mezger.“

„Wissen Sie wo sie jetzt sind?“

„Ich denke ja…“

„Sie denken es oder wissen es.“ Fowlers Stimme nahm einen bedrohlichen Ton an.

„Ich weiß es. Zwischen sechzig und achtzig Kilometer weiter flussabwärts. Sie sind mit zwei Faltbooten unterwegs. Sobald ihr auf die schießt, saufen die ab wie Steine.“

„Okay, sichert den Hubschrauber, wir holen sie uns Morgen!“

Hartmut war überrascht, es ging ihm zu langsam.

„Warum nicht heute?“

„Weil es schon zu spät ist. Sie sind mit Sicherheit inzwischen an Land gegangen. Sie können in die Wälder fliehen. Bei den Rothäuten weiß man nie, ob sie es nicht doch irgendwie schaffen, aus der Wildnis heraus zu kommen. Und wenn es stimmt, was du sagst, dann haben sie auf dem Wasser keine Chance. Wenn es nicht stimmt, dann …“

Die Blicke von Frederic Fowler sagten alles.

Wehrlos

Früh am Morgen waren sie auf dem Wasser, Shonessi paddelte heute von Beginn an. Sie passierten gerade ein kurzes Zwischenstück, bevor sie den 15 Kilomter langen zweiten Canyon erreichten. Alle hörten es gleichzeitig, Motorengeräusch.

„Shonessi, zieh an. Wir müssen sofort an Land.“

Auch Gerhard lenkte sein Boot auf das rechte Ufer zu. Zu spät, sie waren zu langsam. Im Tiefflug ging der Hubschrauber über sie hinweg, wendete. Die ersten Schüsse fielen, Gerhard wurde getroffen. Er sackte in sich zusammen und kippte samt Boot um. Marc reagierte blitzschnell, drehte das Kajak, so dass alle ins Wasser fielen. Die nächsten Salven verfehlten ihr Ziel. Nur hatte Marc keinen Überblick mehr, wo sich Shonessi und Ahmik befanden. Salven aus den Maschinenpistolen, er musste immer wieder tauchen. Das Faltboot war inzwischen durchlöchert wie ein Sieb. Marc kämpfte sich Richtung Ufer durch, ging unter einem überhängenden Busch in Deckung. Der Hubschrauber flog noch einige Runden, drehte dann ab und verschwand flussaufwärts.

Marc krabbelte an Land. Er war allein, so sehr er sich auch bemühte, er konnte niemanden sehen. Plötzlich entdeckte er im Wasser etwas, das wie ein schwimmender Körper aussah. Mit einem Hechtsprung war er im Fluss, konnte die Überreste seines T65 greifen und hatte Gerhard gepackt, schleppte beides mühselig an Land. Zelt, Schlafsack und Kleidersack hatten das Kajak schwimmfähig gehalten, trotz der zahlreichen Löcher.

Gerhard hatte einen Schulterdurchschuss, aber er lebte. Er versorgte ihn, so gut er konnte, legte ihm einen Verband aus der Bordapotheke an, auch sie war trocken geblieben. Danach lief er am Ufer flussaufwärts, wieder und wieder nach Shonessi rufend. Nichts, keine Antwort, kein Laut. Entmutigt setzte er sich auf einen kleinen Felsklotz, stützte seinen Kopf.

Was mach ich bloß falsch. Habe ich schon wieder meine Liebe verloren?

Obwohl nicht besonders gläubig schickte er in seiner Not ein Gebet gen Himmel.

Herr, hilf mir. Gib sie mir zurück.

Hoffnungslosigkeit machte sich breit. Minutenlang saß er regungslos auf dem Felsen. Da hörte er es, ein leises „Lakota“, sein Herz machte einen Freudensprung.

Sie lebt!

Nochmals lauschte er, um die Richtung zu bestimmen, dann rannte er los, weiter flussabwärts, immer wieder ihren Namen rufend.

Mit aller Kraft versuchte sie, das große Kajak an Land zu ziehen. Sie rief auch nicht mehr seinen Namen, hatte aufgegeben. Endlich konnte er sie sehen.

„Shonessi, ich komme. Shonessi!“

Ihr Kopf fuhr herum.

„Lakota, oh Lakota. Du lebst!“

Sie lagen sich in den Armen. Er hielt sie fest, drückte sie an sich, flüsterte ihr zu.

„Ich hatte schon jegliche Hoffnung verloren, es tat so weh. Ich liebe dich.“ Er blickte zum Himmel und sagte: „Danke. Danke für die Rettung.“

„Du bedankst dich?“

Er nickte: „Ja, ich habe Gott um Hilfe angerufen und da er mich wohl erhört hat, habe ich mich bedankt.“

Shonessi schaute ihn lange an, sagte kein Wort. Zur Antwort erhielt er einen langen Kuss. Sie sprach leise, kaum hörbar.

„Auch ich habe um Hilfe gerufen. Die weiße Wölfin und der weiße Wolf! Ich will mit dir leben, dich lieben und Kinder haben.“ Sie lachte wieder. „Uns kann keiner trennen.“

Marc umarmte sie wiederholt, entdeckte beim Blick über ihre Schulter die Reste des Aerius.

 

„Du hast den Aerius gerettet, dann sind wir gerettet.“

„Wie denn, die Boote sind doch hinüber.“

„Das schon, wir werden den Aerius reparieren, ich habe den T65 geborgen. Das geht, du wirst sehen. Wir flicken den Aerius zusammen … Was ist mit Ahmik? Wo ist er?“

„Ich habe keine Ahnung, ich hab ihn, seitdem ich ins Wasser gefallen bin, nicht mehr gesehen.“

„Gerry ist schwer verletzt, er lebt. Wir brauchen den Aerius, um ihn nach Fort Liard zu bringen.“

Sie trugen den Aerius samt Gepäck zum Standort von Gerhard. Der war inzwischen zu sich gekommen. Shonessi versorgte, so gut es ging die Wunde.

Mit Messern zerschnitten sie die Haut des T65 in feine Streifen und klebten diese über die durchlöcherten Bereiche des Aerius. Der vorhandene Klebstoff wurde vollständig aufgebraucht. Passieren durfte jetzt nichts mehr. Weder ein zweiter Angriff noch eine Beschädigung bei der Fahrt.

Das Boot war wieder einsatzbereit. Sie trennten sich von überschüssigem Gepäck, behielten nur noch das große Zelt. Der Aerius schluckte alles. Gerhard legten sie vorsichtig in das Boot. Jetzt hieß es: überleben.

Marc beschäftigte nur noch ein Gedanke:

Hoffentlich suchen sie nicht mehr nach uns. Sollte noch einmal jemand auf uns schießen …

Er wagte nicht zu Ende zu denken. Gerhard musste husten, sein Gesundheitszustand hatte sich verschlechtert. Sie mussten sich beeilen, eine Übernachtung sollte ausreichend sein.

Shonessi war inzwischen sehr sicher geworden, der Aerius selbst lief auch nach der Flickerei hervorragend. Die Persenning selbst war nicht beschädigt, ebenso wenig das Gestell aus Holz.

Shonessi war schweigsam, sprach kein Wort.

„Shonessi, es ist nicht gesagt, dass dein Bruder tot ist. Vielleicht konnte er sich an Land retten.“

Sie drehte sich zu Marc um, ein Lächeln umspielte ihren Mund.

„Vielleicht hast du Recht. Er ist ein hervorragender Schwimmer …“

„Dort, wo wir gekentert sind, gab es keine Stromschnellen oder Strudel.“

Marc machte sich mit dieser Aussage selbst Mut. Am Ende des zweiten Canyons folgte eine weitere Engstelle. Als sie sich näherten, stockte Marc der Atem und Shonessi hörte auf zu paddeln. Auf der linken Seite ragte eine senkrechte Felswand in den Himmel, noch höher als bei der letzten Engstelle. Der Fluss schien einfach aufzuhören. Eine dunkle Mauer versperrte den Weg.

„Lakota, wo geht es weiter? Ich kann nichts erkennen.“

„Ein Fluss verschwindet nicht einfach, du wirst sehen, das löst sich alles auf.“ Seine Stimme hatte eine andere Klangfarbe, die Shonessi wohl bemerkte, jedoch gab sie keinen Ton mehr von sich. Marc konzentrierte sich voll auf den Fluss, als plötzlich wieder Motorengeräusch hörbar wurde. Ein Hubschrauber näherte sich und flog tief über sie hinweg, verschwand in einer Rechtskurve und kam nach einigen Minuten wieder zurück. Sehr tief flog er über das Kajak hinweg.

Shonessi war unsicher. „Ich habe Hartmut erkannt, er sitzt im Hubschrauber. … Ist das nun ein gutes oder ein schlechtes Zeichen?“

„Ein schlechtes. Wie sollte Hartmut so schnell zu einem Hubschrauber kommen. Außer unseren Verfolgern werden wir von niemandem gesucht… Shonessi, wir müssen uns auf den Fluss konzentrieren. Wir fahren auf die rechte Seite zu der Geröllhalde.“

Marc erkannte die Kehrwasser. Sicher fuhren sie in eines hinein. Jetzt konnte er auch den schmalen Felsspalt sehen, durch den der gesamte Fluss musste.

„Schnell, wir fahren aus. In der Engstelle werden sie nicht angreifen…“

Der Rest des Satzes wurde durch lautes Motorengeräusch übertönt. Das Kajak bewegte sich schnell auf die Engstelle zu. Gerade mal zwanzig Meter war der Fluss hier noch breit. Kreiselnd und strudelnd quetschte sich das Wasser durch den Spalt. Die Maschine musste abdrehen, sie waren der Felswand zu nahe. Marc blickte dem Hubschrauber hinterher, der plötzlich in einen Sinkflug überging und am Hang in den borealen Wald krachte.

„Was ist passiert?“

Shonessi hatte nichts gesehen, nur den Aufschlag gehört.

„Der Hubschrauber ist … abgestürzt, einfach so. Ich versteh das nicht. Egal, konzentriere dich auf den Fluss.“

Einmal in dem engen Schlund mit seinen senkrechten Felswänden, ging alles ganz leicht. Das Wasser knuffte und puffte mit sich selbst herum, kreiste, wirbelte nach links und nach rechts, sabberte an der Haut des Kajaks, gluckste und zischte.

„Was für ein Wahnsinn. Lakota. Wir haben es geschafft und die im Hubschrauber sind wir auch los.“ Lachend fuhr sie herum, „du kannst dich auf heute Abend schon mal freuen.“

„Shonessi, freu dich nicht zu früh, wir haben noch eine Stromschnelle vor uns, George´s Riffle. Ich denke aber, das wird dir eher Spaß machen.“

Dann kam sie: George’s Riffle. Über die gesamte Breite des Flusses Wellen, weit über einem Meter hoch, manche vielleicht sogar zwei Meter. Marcs geübtem Blick sprang sie sofort ins Auge, die Durchfahrt mit einigen Wellen, die Shonessi jubeln ließen. Jetzt begann der letzte Canyon, der erste Canyon, mit seinen hunderte Meter hohen Steilwänden und dreißig Kilometern Länge der schönste. Hinter dem Canyon dann endlich, es war bereits später Abend ‚Kraus Hotsprings‘, ihr Übernachtungsplatz.

Sie legten das Boot auf die Kiesbank, bauten das Zelt auf und versorgten Gerhard. Seine Wunde sah nicht gut aus. Die Haut hatte sich dunkel eingefärbt.

„Wir fahren morgen in aller Frühe los, dann schaffen wir es vielleicht bis zum Abend zum 'Blackstone Territorial Park'. Dort treffen wir dann auch wieder Menschen an.“

„Und was machen wir heute?“, verschmitzt lachte sie ihn an.

„Baden!“

„Baden? Wo?“

„Hier sind 35 Grad heiße schwefelhaltige Quellen, das wird uns guttun.“

Shonessi war sofort begeistert. Beide lagen in den Quellen, Freude wollte sich nicht einstellen, auch ihre Küsse waren nicht so wie sonst.

„Vielleicht sollten wir Gerry hier reinholen. Geht das auch bei seiner Wunde?“

„Früher haben sie die Leute sogar mit schwefelhaltigem Wasser geheilt, also kann es nicht gar so schädlich sein. Wir müssen eben aufpassen. Los, wir holen ihn.“

Gerhard lag dösend im Zelt, seine Schmerzen wurden immer schlimmer.

„Na endlich. Holt ihr mich zu den Quellen? Das wird mir helfen. Es wird immer schlimmer, ich glaube fast, ich habe Wundbrand.“

Marc und Shonessi waren beide nackt, als sie Gerhard entkleideten.

„Shonessi, du bist wirklich wunderschön! Deine Figur ist traumhaft.“ Gerhard stellte das bewundernd und mit Respekt fest.

„Danke, Gerry. Ich hoffe, du verhältst dich jetzt nicht so wie Hartmut.“

„Nein, bestimmt nicht. Ich liebe meine Frau und ich vermisse sie unendlich. Hoffentlich sehe ich sie noch lebend wieder.“

Marc und Shonessi sahen sich nur schweigend an.

Stützend brachten sie Gerhard zum Pool und halfen ihm beim Einstieg.

„Oh Mann, ist das toll. Herrlich heißes Wasser.“

Schon tauchte er unter, hoffte dabei, dass das Wasser heilende Wirkungen zeigte. Seine Lebensgeister erwachten.

„Shonessi, du musst wissen, als wir vor einigen Monaten die Reise geplant haben, war ich von diesem Ort sofort begeistert. Ich habe meiner Frau davon vorgeschwärmt, wie schön es sein muss, unter freiem Himmel hier in der Wildnis zu sitzen. Und heute ist das eingetreten. Wahnsinn. Das ich heute mit einer Shonessi und einem Lakota im Pool sitze, hätte ich mir allerdings nicht träumen lassen.“

Nach dem Bad spürten alle eine wohlige Müdigkeit und legten sich schlafen. Shonessi hatte sich dicht an Marc gekuschelt. Er rückte ihre Haare zur Seite und flüsterte ihr ins Ohr.

„Worauf sollte ich mich denn freuen?“

„Lakota, du bist ganz schön frech. Das geht doch nicht, hier.“

„Was geht nicht?“

Sie drehte sich zu ihm.

„Das weißt du doch ganz genau!“

„Nein, du hast heute Nachmittag so eine besondere Betonung gehabt. Ich habe es so verstanden, das mich heute Abend etwas nie dagewesenes erwartet.“

„So, meinst du? … Das ist allein deine Interpretation. Du musst Geduld haben. Warte, hier ist der Anfang…“

Sie blickten sich beide tief in die Augen, bevor sie ihn küsste.

Am nächsten Morgen wurde schnell gefrühstückt. Gerhard ging es wesentlich besser, auch sah seine Wunde gut aus. Das Wasser hatte wohl doch geholfen.

Sie hatten einen sehr langen Tag vor sich, normalerweise brauchte man zwei Tage bis zum 'Blackstone Territorial Park', sie wollten das Ziel an einem Tag erreichen. Hier im Unterlauf, der Stromzug war nur noch mäßig, war der Fluss in zahllose Arme aufgeteilt. Sicher nahmen sie die Hauptströmung. Das Driftholz von dem erst vor wenigen Tagen noch vorhandenem Hochwasser war teilweise turmhoch auf den Kiesstränden aufgeschichtet. Diese Kiesbänke waren blendendweiß und leuchteten in der Sonne. Zum ersten Mal sahen sie auch Tiere. Ein Schwarzbär begleitete sie im Laufschritt am Ufer, sie sahen Karibus und einen Otter, der direkt unter ihrem Boot wegtauchte.

Am späten Abend, die Dämmerung hatte bereits eingesetzt, erreichten sie ihr Ziel. Gerhard ging es schlecht. Er war inzwischen ohnmächtig geworden. Marc rannte zum Headquarter und verständigte die Ranger.

KAPITEL 2 – GEWONNEN UND VERLOREN
Littlefoot

„Er muss sofort ins Krankenhaus.“

Fieberanfälle schüttelten Gerhard durch, er bekam davon nichts mit, war bewusstlos.

„Wir haben ihn in den Schwefelquellen von ´Kraus Hot Springs´ baden lassen. Ist das der Grund für seine Fieberattacken.“

Shonessi hatte ein denkbar schlechtes Gewissen. Der Ranger nahm ihr jedoch diese Bedenken.

„Nein, wahrscheinlich hatte er dadurch sogar einen kurzen Aufschub. Der bakterielle Befall ist allerdings sehr stark. Wir müssen ihn nach Yellowknife fliegen, nur dort ist eine Versorgung möglich.“

Das Flugzeug wartete bereits in Fort Liard. Shonessi und Marc konnten ebenfalls mitfliegen, da sie bei den dortigen Dienststellen ihre Aussagen machen sollten. Im Headquarter hatten sie erfahren, dass der Parkaufseher von Rabbitkeetle Hot Springs ermordet worden war und seit einer Woche eine Befahrung des Flusses nicht mehr stattfand, da mit einer gezielten Falschinformation die Flüge in das gesamte Gebiet unterbrochen waren. Suchtrupps waren unterwegs zu dem abgestürzten Hubschrauber.

Die zweimotorige Maschine startete durch, Gerhards Zustand hatte sich weiter verschlechtert. Shonessi war sehr schweigsam, hatte am Abend zuvor mit ihrem Vater telefoniert. Verändert hatte sie sich nach diesem Telefonat, sprach seitdem mit Marc fast kein Wort mehr. Marc selbst hatte noch von Fort Liard aus mit Gerhards Frau in Ulm gesprochen. Sie hatte ihn kaum ausreden lassen und wollte auf dem schnellsten Weg ebenfalls nach Yellowknife kommen.

So saßen beide schweigsam im Flugzeug nebeneinander und hingen ihren Gedanken nach. Unter ihnen breiteten sich endlose Wälder, durchsetzt von Wasserflächen aus. Flüsse mäanderten durch diese boreale Landschaft. Hin und wieder erkannten sie den Highway. Marc wurde unruhig, je länger sie im Flugzeug saßen. Vorsichtig fasste er Shonessis linke Hand, drückte sie sanft.

„Shonessi, was ist mit dir? Du sprichst nicht mehr mit mir. Ich mache mir langsam Sorgen.“

Sie wendete sich ihm zu, bedrückt antwortete sie, „ich darf dich nicht mehr sehen, mein Vater lehnt dich ab! Er will sich bedanken für deine Unterstützung, mehr nicht“, sie zögerte, Tränen liefen ihr über die Wangen, „Lakota, was soll ich tun, ich liebe dich…“, dann fing sie an zu weinen. Marc wollte sie in den Arm nehmen, was aber fast unmöglich war, da sie beide angeschnallt waren. Sie blickten sich lange an.

„Ich habe es dir versprochen, ich werde dich niemals aufgeben.“

„Aber ich weiß nicht, ob ich das auch kann.“

Kaum wahrnehmbar trafen ihre Worte mitten in sein Herz. Er dachte an ihren Schwur an den Quellen.

„Shonessi, du hast zu mir gesagt, wir bleiben zusammen. … Du hast gesungen für mich. Ich versteh dich nicht. Ein Anruf deines Vaters … und das soll es gewesen sein?“

Sie war sich so sicher, hatte es Marc geschworen, ihn Lakota genannt. Ihr Vater wollte nichts davon wissen, hatte ihr gedroht. Ahmik, ihren Bruder, konnte sie nicht mehr fragen. Diese Hilflosigkeit stand in ihrem Gesicht, in ihren Augen.

„Du kennst meinen Vater nicht …“

Sie brach ab, schwieg. Marc hilflos, wusste nicht wie antworten. Sie schwebten in Yellowknife ein. Unter ihnen breitete sich die Stadt am Ufer des großen Sklavensees aus. Dieser See besitzt fast die fünfzigfache Größe des Bodensees. Yellowknife, direkt am See gelegen ist die größte Stadt im Nordwesten Kanadas mit knapp zwanzigtausend Einwohnern. Hochhäuser mit bis zu sechzig Metern Höhe prägen die Innenstadt.

 

Als das Flugzeug aufsetzte, stand die Ambulanz schon bereit. Gerhard wurde sofort in das 'Stanton Territorial Hospital gefahren'. Auch Shonessi wurde bereits erwartet. Ihr Vater Tyrone Sand, genannt 'Littlefoot', holte sie mit einem jüngeren Begleiter direkt vom Flughafen ab. Marc hatte kaum Zeit sich zu verabschieden. Mit Tränen in den Augen musste er sie ziehen lassen. Ihr Vater bedankte sich bei ihm mit einem kurzen Händedruck und einem einzigen Satz. In diesem Satz lag ein hohes Maß an Geringschätzung. Marc reagierte nicht, nahm es einfach hin. Vielleicht, wenn Ahmik dabei gewesen wäre … Nur, hätte er sich auf Ahmik verlassen können?

Unschlüssig, wie es weitergehen sollte, verharrte er am Haupteingang zum Flughafen. Nahm sich dann kurz entschlossen ein Taxi und fuhr in die Klinik. Dann telefonierte er mit Gerhards Frau Susanne, die bereits am Abend einen Flug nach Yellowknife buchte.

Abend, 18.30 Uhr. Gebannt blickte Marc auf die elektronische Anzeige. Pünktlich landete die Maschine der Air Canada in Yellowknife. Dreißig Minuten später konnte er Susanne in seine Arme schließen. Sie weinte ununterbrochen, fand keine Worte. Ihre Sorge um Gerhard lenkte ihn ab. Alle Energie setzte er daran, sie aufzubauen. Mit einem Mal wurde ihm bewusst, was Liebe bedeutet.

Susanne hat Gerhard einen Traum ermöglicht, blieb bei ihren Kindern zuhause. Auch er hatte es immer wieder zum Ausdruck gebracht, wie sehr er sie vermisst. In Susannes Augen sah er Todesängste, versuchte sie abzulenken, sie aufzubauen. Noch war nichts entschieden.

Mit dem Mietwagen fuhren sie direkt zum Stanton Hospital, das Klinikpersonal war bereits informiert und nahm beide in Empfang. Marcs Anwesenheit dabei war erforderlich, da Susannes Englischkenntnisse nicht ausreichten. Es gelang dem Stationsarzt nur unzureichend, sie zu beruhigen. „Ihm geht es den Umständen entsprechend gut, er ist aber noch nicht ansprechbar. Die kritische Phase gestern Nacht konnten wir in den Griff bekommen. Ihr Mann hatte großes Glück. Er wird bald wieder gesund.“ Nachdem Marc diesen Satz für sie wortwörtlich übersetzt hatte, kehrten die Lebensgeister zurück. Susanne wirkte wie ausgewechselt.

„Gott sei Dank! Wann kann ich zu ihm?“

Sie sprang auf, konnte es kaum fassen. Was für Ängste hatte sie ausgestanden und nun doch ein glückliches Ende. Sie durfte mit in Gerhards Zimmer. Marc kam am frühen Morgen wieder ins Krankenhaus. Gerhard war inzwischen wach. Er klopfte, betrat vorsichtig das Zimmer.

„Da ist er, mein Retter. Lakota, endlich bist du da. Wo ist Shonessi?“

Schmerzlich wurde Marc bewusst, dass er sie seit ihrer Ankunft in Yellowknife nicht mehr gesehen hatte.

„Lakota? Sho… was? Von wem redest du?“

Susanne verstand kein Wort.

„Entschuldige bitte, Susi. Hier in Kanada nennen wir Marc nur Lakota. Und Shonessi ist seine Freundin. Beide haben mein Leben gerettet.“

Susanne bedankte sich nochmals herzlich bei Marc.

„Gerd hat mir von Hartmut erzählt, ich kann es nicht glauben. Er war doch immer dein bester Freund. Was ist denn nun genau passiert. Gerd konnte oder wollte mir es leider nicht sagen.“

Marc senkte die Augen. „Das ist eine lange Geschichte. Ich weiß selber nicht, was passiert ist, verstehe es zumindest nicht. Wir wurden auf dem Fluss zweimal aus der Luft angegriffen. Als wir den ersten mit dem Hubschrauber überstanden haben, und den Aerius wieder zusammen geflickt hatten, wurden wir kurz vor der Engstelle am ´The Gate´ zum zweiten Mal von dem Hubschrauber überrascht. Ich meine auch, Hartmut hinter einem Fenster erkannt zu haben, bin mir aber nicht sicher. Beim zweiten Anflug ist der Vogel dann einfach abgestürzt. … Ich habe keine Ahnung, warum.“

In diesem Augenblick betraten zwei Männer das Krankenzimmer und wiesen sich als 'Detectivs' aus. Marc erzählte dann seine Geschichte von Anbeginn bis zum Absturz des Flugzeuges. Als die beiden den Raum verlassen wollten, konnte Marc nicht mehr an sich halten.

„Können Sie mir bitte helfen? Wo finde ich Tyrone Sand mit seiner Tochter?“

Der eine schüttelte den Kopf, der zweite jedoch reagierte anders.

„Sie meinen Littlefoot. Ich denke, ich kann Ihnen helfen.“ Mit einem Seitenblick auf seinen Kollegen meinte er nur kurz. „Ich nehme das auf meine Verantwortung. Fahren Sie nach Dettah, nicht weit von hier, auch am See gelegen. Am besten gehen Sie zum Regierungsgebäude der 'Dene', der First Nation hier. Dort finden Sie wahrscheinlich beide.“

Marc hielt es nicht mehr im Krankenhaus, verabschiedete sich von Susanne und Gerhard, rannte zu seinem Mietwagen und erreichte nach dreißig Minuten Dettah. Doch weder Littlefoot noch Shonessi traf er an.

Er besuchte die nächsten Tage regelmäßig Gerhard im Hospital. Bald war dieser soweit hergestellt, das er heimreisen konnte. Marc hatte sich entschlossen, mit beiden ebenfalls nach Deutschland zu fliegen.

Susanne packte alle Kleidung und Gegenstände zusammen, als Gerhard zu Marc trat.

„Lakota, oder soll ich wieder Marc sagen?“

„Wird wohl besser sein. Es ist vorbei, endgültig.“

Gerhard fasste Marc an die Schulter, schüttelte mit ernstem Blick den Kopf. „Nein, du bist Lakota. Weißt du nicht mehr, was der Name bedeutet?“

Susanne hielt mit dem Packen inne und horchte aufmerksam zu.

„Sicher weiß ich das noch?“

„So? Warum hältst du dich dann nicht dran? Der Name ist eine Ehre: 'Freund, der zu mir steht!' Shonessi braucht dich. Geh zu ihr. Bleib hier. Du liebst sie doch? Oder sollte ich mich täuschen?“

Marc wusste nicht mehr, was er denken sollte. Gerhards Worte ließen seine Gefühle Achterbahn fahren.

„Meinst du? Ich sollte …“

„Ja, das meine ich nicht nur, das weiß ich.“

Sie verabschiedeten sich, Marc sah dem Flugzeug noch hinterher.

Grüß mir die Heimat. Wir sehen uns wieder, versprochen.

Marc verbrachte eine weitere Nacht in Yellowknife, wollte am nächsten Tag noch mal einen Versuch in Dettah wagen. Er stellte das Auto direkt vor dem Regierungsgebäude der 'Dettah Yellowknives Dene First Nation' ab. Das sehr ansehnliche, moderne Regierungsgebäude mit behindertengerechter Rampe und dem lindgrünen Anstrich beeindruckte ihn.

Ich muss sie wieder sehen, muss mit ihr reden!

Diese Gedanken trieben ihn um. Langsam öffnete er die Autotür, ging zum Eingang, blieb auf der hölzernen Treppe nochmals kurz stehen. Er wollte auf keinen Fall Littlefoot in die Arme laufen. Hinter dem Eingang befand sich ein großes Foyer mit zahlreichen Fotos und Informationen zu den Protestaktionen der ‚Dene‘, der hier siedelnden First Nation.

Gar nicht so verkehrt, vielleicht kann ich ja so das Vertrauen der Menschen hier gewinnen.

Marc trat an die Tafeln heran und begann diese zu lesen. Nach etwa einer halben Stunde gesellte sich ein Mitglied der ‚Dene‘ hinzu.

„Kann ich helfen? Sie interessieren sich für unsere Proteste?“

„Ja, sehr. Können Sie mir mehr zu den Hintergründen sagen? Ich bin hier neu, würde mich gerne engagieren, brauche dafür aber mehr Informationen.“

Mit einem freundlichen Lachen wurden seine Fragen beantwortet. Sie setzten sich an einen Tisch. Zeitungsausschnitte, weitere Bilder und Stellungnahmen von befreundeten First Nations wurden Marc vorgelegt. Auch mit dabei ein Schreiben von ‚Bluerescue‘, der berühmten Umweltorganisation aus Kanada. Zum ersten Mal hörte Marc die Namen 'Glenconan AG', Tom Baxter und Frédéric Fowler. Gleichzeitig bekam er eine Fotografie von letzterem zusehen. Marc erkannte in ihm sofort den jüngeren der beiden aus dem Flugzeug.

Also doch. Es geht mal wieder nur ums Geld. Ich werde mich engagieren, will helfen!

Wut stieg in ihm auf. Die Helfershelfer der Glenconan AG gingen über Leichen. Ihm wurde bewusst, wie sehr er diesem Frederic Fowler Knüppel zwischen die Beine geworfen hatte.

In diesem Moment kam ein junger Mann mit schulterlangen Haaren an den Tisch und flüsterte dem Älteren Informationen zu. Dessen Gesicht nahm einen glücklichen Ausdruck an.

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