Monas braune Augen

Tekst
0
Recenzje
Przeczytaj fragment
Oznacz jako przeczytane
Czcionka:Mniejsze АаWiększe Aa

Eine entwürdigende Erfahrung

Beide stiegen ins Auto und fuhren ins Hotel. Mike war froh, im Auto zu sitzen. Auf der Fahrt sagte er kein Wort, Tränen schimmerten auf beiden Wangen. Er wusste, er hatte soeben seine Familie verloren. Mit vielem hatte er gerechnet, aber nicht damit. Wie würde Mona sich weiter verhalten? Seine Mutter hatte sie zutiefst verletzt. Und ihn auch.

Als sie im Hotel ankamen, gingen sie zuerst auf ihr Zimmer. Mike hatte sich immer noch nicht beruhigt. Mona legte ihren Arm um seine Schulter.

„Mike, lass es gut sein. Damit konnte niemand rechnen. Außerdem geht das alles gegen mich. Das war auch nicht das erste Mal für mich. Nur gab es diesmal einen riesigen Unterschied, mein weißer Freund hat zu mir gehalten! Als deine Mutter dich vor die Entscheidung stellte, dachte ich: Aus, vorbei. Wie schon einmal, nur wesentlich schlimmer.“ Mike bekam große Augen. „Du hast das schon mal erlebt?“

„Ja, Mike. Das ist auch der Grund, warum ich weiße Jungs bisher immer abgelehnt habe. Ich hatte schon einmal einen weißen Freund. Er hielt unsere Beziehung gegenüber seinen Eltern immer geheim. Sein Vater war ein enger Freund und Geschäftspartner von meinem Vater. Nachdem wir es publik gemacht hatten, stellten sich seine Eltern voll gegen mich. Er hat sich für seine Eltern entschieden und einen Satz gesagt, den ich bis heute nicht vergessen habe.“

„Jetzt verstehe ich auch deine Reaktion nach unserer ersten Nacht. Was hat er denn zu dir gesagt?“

„Es gibt auch noch andere Mütter mit schöneren … und weißen Töchtern.“

„Das hat er so gesagt? Was für ein Kotzbrocken! Sei froh, dass nichts aus euch geworden ist. Lang hätte die Beziehung nicht gehalten. Außerdem wären wir dann auch nicht zusammen.“

Mona atmete tief durch, „und wie ich nun festgestellt habe, gibt es noch andere auch weiße Söhne, die zuverlässig sind. Meine Mutter hat mich noch genau vor dieser Situation gewarnt. Gott sei Dank! Sie hatte in einer Beziehung Unrecht.“

„Oh, wie meinst du das?“ Er stockte, „du, mich treibt aber was ganz anderes um. Was wirst du jetzt tun? Wirst du weiterhin zu mir halten oder mich auch verlassen, nach allem was man dir an den Kopf geworfen hat.“

Mona nahm Mikes Hände in die ihren, legte ihren Kopf leicht auf die Seite, lächelte und sagte leise, „ich bin bei dir an deiner Seite, ich lass dich nicht im Stich, jetzt nicht und später auch nicht! Ich liebe dich viel zu sehr. Die Worte deiner Mutter konnten mich nicht verletzen, weil du mit ungeheurer Stärke dazwischen gegangen bist und mich geschützt hast. Und genau da sind die Befürchtungen meiner Mutter nicht eingetroffen. Ich war mir in Berlin schon sicher, dass du mich schützen wirst. Ich habe mich nicht getäuscht, dafür bin ich dir sehr, sehr dankbar!“ Mona blickte Mike liebevoll an und drückte ihn fest an sich.

Mike hatte Tränen in den Augen und sagte kaum hörbar. „Bitte bleib bei mir. … Und danke, dass du mitgekommen bist. Ich muss dir auch noch was gestehen. Als ich bei Angelika war, hat sie mich angefleht, bei ihr zu bleiben. Mir sind tatsächlich Zweifel gekommen, ob ich das Richtige mache.“

„Oh, und dann?“

„Dann ist mir bewusst geworden, wie sehr ich dich liebe. Dein Bild erschien vor meinem Augen mit einer unglaublichen Präsenz. Von da an wusste ich, wohin ich gehöre. Bitte verzeih mir meine Schwäche, aber das war echt hart.“ Mona lächelte ihn an. „Es ist alles in Ordnung. Ich weiß, dass das sehr schwer für dich war. Ich bin dir auch unendlich dankbar für deine Standhaftigkeit. Komm, lass uns ins Restaurant gehen und was essen.“

„Ich hab aber keinen Hunger.“

„Bitte, mir zuliebe, hm?“

„Okay, hast ja Recht. Ein gutes Viertele Trollinger wird mir jetzt nicht schaden.“ Das Restaurant lag im kleinen, aber berühmten Ort Hohenstaufen unterhalb des gleichnamigen Berges, der heute noch Mauerreste der Stammburg der berühmten Stauferkaiser trägt.

Es war bereits dunkel geworden und so konnte man vom herrlichen Panorama leider nichts sehen, nur ein paar Lichter zeigten den Standort von Gehöften oder Häusern. Bei Tageslicht hatte man einen weiten Blick über das Land auf die beiden Kaiserberge Hohenrechberg und Stuifen.

Sie saßen bereits einige Zeit im Restaurant und hatten schon gegessen. Mike hatte schon sein zweites Viertele bekommen, da wechselte Mona die Tischseite und setzte sich neben ihn. „Wie fühlst du Dich?“

„Das ging wesentlich schlimmer aus, als ich dachte. Es gibt aber einen großen Lichtblick für mich, du bist bei mir und das macht mich sehr glücklich.“ Mona sagte kein Wort, schaute ihn nur an.

Mike bestellte die Rechnung, dann gingen sie gemeinsam in ihr Zimmer. In dieser Nacht war nur Kuscheln angesagt. Nach den Erlebnissen der letzten vierundzwanzig Stunden wussten beide nun sicher, dass sie sich ineinander verliebt hatten. Mike war innerlich zerrissen, einerseits war er unendlich glücklich, dass Mona seine Liebe erwiderte, zum anderen wütend, aber noch mehr traurig, wie seine Eltern reagiert hatten.

Insbesondere seine Mutter war ihm ein Rätsel. Christiane war eine Frau, die mit beiden Beinen mitten im Leben stand. Er kannte sie nur als rücksichtsvoll, tolerant und hilfsbereit. Wer auf der Karriereleiter aber so steigt, musste hart gegen sich selbst und auch gegen seine Umwelt sein, das wurde ihm jetzt erst bewusst. Diese Härte, aber auch eine große Portion nicht gekannter Vorurteile, bekam er jetzt zu spüren. Niemals hätte er seiner Mutter eine solche Einstellung zugetraut.

So lag er die Nacht lange wach, drehte sich zu Mona hin, die friedlich schlief. Als er sie so eine Zeitlang im Dunkeln ansah, öffnete sie plötzlich die Augen. „Kannst du nicht schlafen?“

„Nein, ich hab immer noch Tohuwabohu im Kopf.“ Mona schlüpfte zu Mike, kuschelte sich dich an ihn und flüsterte: „Habe Mut. Wir schaffen das, gemeinsam.“

Auftritt eines Rassisten

Am nächsten Tag ging es zurück nach Berlin. Mona fuhr die gesamte Strecke alleine, dies tat sie sehr gerne. Mike hatte noch versucht mit seinen Eltern zu telefonieren, was aber gründlich misslang. Mikes Vater lehnte jegliche Kontaktaufnahme ab, seine Mutter ging erst gar nicht ans Telefon. Da er sich immer noch nicht ganz von der Prügelei mit Angelikas Vater erholt hatte, blieb Mona am Abend und über Nacht bei ihm.

Mona war am darauffolgenden Abend wieder in ihr Elternhaus gefahren. Anwesend war jetzt auch Martin, ihr Vater. 55 Jahre alt, schlank und recht groß mit silbergrauen Haaren. Immer war er gekleidet mit Anzug und Krawatte. Die Begrüßung war herzlich.

Voller Begeisterung erzählte sie beim Abendessen von ihrem Ausflug nach Süddeutschland, der Standhaftigkeit von Mike. Da ertönte laut ihr Handy. Sie kramte es aus der Tasche und blickte auf das Display, brach ihren Redefluss abrupt ab.

„Entschuldigt bitte. Es ist Mike. Hallo Mike! … Langsam, du klingst schlecht … Hm, ja ich höre dir zu … ja … oh … ist das nicht ein bisschen schnell? Warte, ich geh mal kurz raus. Hier hören mir gerade alle zu neugierig hin. … Ich will aber nicht … ja, Mike, natürlich will ich. Wir reden morgen darüber. … Nein, du kannst dich auf mich verlassen. Ich lasse dich nicht hängen. … Ich komme morgen Abend.“ Mona ging wieder zurück in das Esszimmer. Alle schauten sie erwartungsvoll an.

Sie setzte sich und holte tief Luft. „Mami, Papa, ich werde morgen bei Mike einziehen. Ihm geht es sehr schlecht. Er braucht mich dringend, er ist total am Boden.“

„Ist das nicht etwas überstürzt? Wie lange kennt ihr euch jetzt? Eine Woche? Er ist doch kein Kind mehr. Was ist denn das für ein Mann“, warf Martin ein. In Monas Stimme schwang ein bisschen Zorn über die unsensible Äußerung ihres Vaters, obwohl er doch vorher die ganze Geschichte, wenn auch nicht im Detail, gehört hatte.

„Papa, den letzten Satz kannst du dir sparen, das ist Machogehabe. Was ihm dort widerfahren ist, ist schon mehr als heftig. Zuerst wird er fast erschlagen und dann von seiner Familie verstoßen. Dass er sich mit seiner Familie angelegt hat, ist wegen mir. Versteht ihr das?“ Sie blickte dabei in die ganze Runde. „Die haben mich angegriffen und er wurde vor die Entscheidung gestellt. Entweder seine Familie oder ich. Ohne zu zögern, hat er sich für mich entschieden. Da ist es wohl klar, dass ich ihm jetzt beistehe. Oder ist hier jemand anderer Meinung?“

Denise bewunderte ihre Schwester, so hatte sie Mona noch nicht erlebt, auch ihr Vater zuckte zusammen. Ihre Mutter reagierte mäßigend und beruhigte dadurch die Situation. „Nun lasst Mona mal machen, sie ist keine fünfzehn Jahre mehr alt, sondern fast fünfundzwanzig und kann jederzeit selbst entscheiden, wohin sie geht. Akzeptiert das bitte. Außerdem, mein lieber Martin, hat sich der junge Mann vorbehaltlos zu unserer Tochter bekannt. Du kennst da auch ein anderes Beispiel, oder?“ Thelma liebte ihre Tochter über alles. Beide waren sich sehr ähnlich, hatten einen starken Willen und wussten sich zu behaupten.

„Hast ja Recht“, pflichtete Martin bei. „Entschuldige bitte, Mona. Ich nehme meine Sätze zurück. Geh zu deinem Mike und hilf ihm. Wenn ihr irgendetwas braucht, wie Geld oder was anderes, melde dich bitte.“

Die Familienidylle wurde jäh unterbrochen. „Das kann es wohl nicht sein, der schmeißt du dein Geld förmlich hinterher und wenn ich mal was brauche, willst du genau wissen, für was ich jeden Cent ausgebe!“ Es war Kai, der dem Gespräch gelauscht hatte. Kai ging an den Tisch und stellte sich an die abgewandte Seite von Thelma und Mona. Er lehnte es grundsätzlich ab, mit seiner schwarzen Verwandtschaft an einem Tisch zu sitzen.

 

Kai klatschte Beifall. „Gut finde ich, dass du endlich ausziehst. Kann dich ja dein Neuer durchfüttern!“

„Oh, Kai, das sagt der richtige, du bist, erinnere ich mich richtig, fünf Jahre älter, hast keine Ausbildung, keinen Beruf, geschweige denn eine Arbeit, fährst ein dickes Auto und wirfst dein Geld für Frauen und Partys aus dem Fenster!“ Mona wurde sehr energisch.

„Wer hat denn das bezahlt? Du? Nein, wenn dein Vater nicht wäre, könntest du unter der Brücke schlafen!“

„Schluss ihr zwei.“ Martin versuchte, den aufkommenden Streit zu unterbinden, hatte aber keinerlei Erfolg damit.

„Mona, ich mache drei Kreuze, wenn du endlich weg bist, du solltest zurück nach Afrika in so eine Blechhütte, da gehörst du nämlich hin. Da fällst du zwischen dem dunklen Dreck mit deiner schwarzen Haut überhaupt nicht auf.“ Kai lachte dabei noch hämisch. „Nimm am besten deinen Neuen mit, da gehört ihr Schwarzen doch alle hin.“ Kai schaute Mona mit vernichtenden Blicken an.

„He! Kai, Mike ist weiß und Deutscher, ich glaube sogar Schwabe! Was ich bisher mitbekommen habe, hat der mit Afrika nichts am Hut. Und rhetorisch hast du gegen den keine Chance.“ Kevin kannte zwar Mike nicht, stellte aber diese Behauptung auf, um Kai zu ärgern. Er lachte dabei lauthals, als ob er einen besonders guten Scherz gemacht hätte.

Denise lachte nicht, sie bemerkte nur ganz kurz: „Kai, du bist so ein rassistisches Arschloch, nur krank im Kopf. Du solltest von hier verschwinden und zwar auf Nimmerwiedersehen! Am besten dorthin, wo du hergekommen bist.“

Thelma war aufgesprungen. „Ich will solche Schimpfworte hier nicht hören. Denise beherrsch dich bitte und du Kai geh, sofort! Ich habe deine Provokationen satt. Wenn es dir hier nicht gefällt, dann zieh endlich die notwendigen Konsequenzen und geh!“

Kai hatte einen hochroten Kopf bekommen. Ehe Martin eingreifen konnte, war Mona aufgestanden und ging langsam auf Kai zu. „Mami, lass mich das machen. Denn das war der berühmte Tropfen!“ Sie hatte ihre Stirn in Falten gelegt, ihre Stimme bebte vor Zorn.

„Du kannst froh sein, dass dein Vater hier sitzt, sonst würde die schwarze dreckige Schlampe dem weißen arroganten, nichtsnutzigen, rassistischen Kotzbrocken mal ordentlich Manieren beibringen. Das fängt mit einer körperlichen Züchtigung an. … Oh, Entschuldigung, das war ja viel zu edel ausgedrückt, das verstehst du ja gar nicht. Um in deinem Jargon zu bleiben“, und mit einem Seitenblick zu Thelma, „Mami, bitte verzeih mir die Ausdrucksweise, … werde ich dir jetzt deine Fresse polieren!“

Kai war einen Schritt zurückgewichen, er wusste über Monas Kampfsport Bescheid, den Capoeira. Dieser Kampfstil stammt im Ursprung von den brasilianischen Sklaven ab, ist hochakrobatisch und etwas tänzerisch. Selbst tödliche Schläge sind enthalten. Das Besondere dabei ist, dass der Angreifer lange Zeit im Ungewissen bleibt, wer ihm gegenübersteht.

„Vater, halt sie auf!“ Martin schüttelte den Kopf. „Nein, das hast du dir selbst zuzuschreiben.“ Alle verfolgten gebannt das Geschehen. „Ach ja, ich muss dich ja warnen, bevor ich tätlich werde. … Hiermit weise ich dich Kai, darauf hin, dass du schwer verletzt werden kannst!“

Mona bewegte sich weiter auf Kai zu. Sie hatte Ähnlichkeit mit einer Großkatze, die in jedem Moment ihre Beute erlegen wollte. Kai war immer weiter zurückgewichen und stand schließlich mit dem Rücken zur Wand, und das im wahrsten Sinne des Wortes. Er hatte Angst, Schweiß stand auf seiner Stirn.

„Mona, halt ein, ich nehme alles zurück.“

„Du feige Kakerlake, kommst aus der Deckung, wenn du dich sicher fühlst und wenn’s brenzlig wird, verziehst du dich.“ Mona zischte wie eine Schlange.

„Geh mir aus den Augen, hau ab. Wenn du mir noch einmal näher als zehn Meter kommst, mach ich Hackfleisch aus dir, kapiert?“

„Ihr werdet alle schon noch sehen!“ Kai heulte fast, machte kehrt und rannte hinaus aus dem Speisesaal.

Mona drehte sich um und ging zurück zu den anderen. „Fast hätte ich mich vergessen. Jetzt versteht ihr auch, warum ich für weiße Männer null Verständnis habe.“

„Ah ja, und was ist mit Mike?“ Als Thelma den Namen Mike erwähnte, entspannte sich Mona sichtlich.

„Stimmt, an den habe ich gar nicht mehr gedacht. Der ist das totale Gegenteil von Kai und ich mag ihn.“

„Du magst ihn?“

„Ach, Mami, du weißt schon, wie ich das meine, hm?“

„Was ist jetzt mit Kai. Papa, was wirst du tun? Das ging eindeutig zu weit. Ich möchte mal wissen, woher er diese Einstellung hat. Der hat bei uns nichts zu suchen.“ Denise konnte sich kaum beruhigen. „Er ist, ich muss es leider sagen, immer noch mein Sohn“, stellte Martin fest.

„Das ist richtig. Ich habe ihn gerade sehr genau beobachtet. Er wird sich an dir, Mona und auch an mir rächen wollen. Denn ausgerechnet wir beide haben ihn hinausgeworfen. Seine Augen haben es mir gesagt.“ Alle schauten sie überrascht und besorgt an.

„Wie meinst du das?“, fragte Martin. „Wir müssen abwarten, ich weiß es nicht! Aber eins weiß ich. Es fängt erst an. Martin, wir müssen reden. Ich habe Angst um Mona.“ Mona wehrte sich.

„Mami, ich kann ganz gut auf mich selbst aufpassen. Und mit Kai werde ich noch allemal fertig.“ Martin pflichtete ihr bei. Thelma schüttelte den Kopf. „Nein, ich spüre die Gefahr hier drinnen.“ Sie zeigte dabei auf ihr Herz.

„Ihr versteht mich nicht. Das könnt ihr auch nicht. Ich bin jetzt müde, mir geht es auch nicht gut. Ich muss mich hinlegen.“ Sie stand auf verabschiedete sich von ihrer ganzen Familie. Als sie in der Tür stand, drehte sie sich nochmals um. „Eines Tages werdet ihr mich verstehen, noch ist die Zeit nicht reif.“ Mit diesen Worten verließ sie den Raum.

Was wollte Thelma damit sagen? Alle waren betroffen und einer nach dem anderen stand auf und verließ mit mehr oder minder guten Ausreden ebenfalls den Raum. Übrig blieb Martin, der sich fragte, was hier gerade passiert sei. Ihm kam alles plötzlich sehr fremd vor. Seine Familie war zerrissen. Es war ihm heute klar geworden, dass sein ältester Sohn sich niemals mit dem Rest der Familie arrangieren würde. Zu weiteren Überlegungen kam er jedoch nicht. Kai kam wieder zurück und stürzte zur Tür herein. Er sah seinen Vater allein im Raum sitzen.

Diese Gelegenheit nutzend setzte er sich zu ihm. „Vater, ich bin dein Sohn! Stehst du noch zu mir?“

„Dein Auftritt war nicht gerade eine Empfehlung. Natürlich bist du mein Sohn. Aber so geht das nicht weiter.“

„Wieso nur ich? Und Mona, die kann tun und lassen, was sie will? Wenn ihr nicht alle im Raum gewesen wärt, würde ich jetzt im Krankenhaus liegen, oder schlimmer!“

„Kai, was du ihr an den Kopf geworfen hast, war menschenverachtend, sie hat sich nur gewehrt.“

„Gewehrt, ich fass es nicht, ich habe sie nicht angerührt!“

„Auch Worte können verletzend sein und das weißt du!“

„Vater, es gibt eine andere Lösung: sag dich endlich von denen los. Mona ist noch nicht einmal deine Tochter. Merkst du nicht, dass meine sogenannte Stiefmutter sie ständig bevorzugt? Mona tanzt dir auf der Nase herum, dein Angebot hat sie ebenfalls ausgeschlagen. Mich hast du nicht einmal gefragt.“

Martin blickte seinen Sohn durchdringend an. „Du weißt auch sehr wohl warum. Sie hat vor drei Jahren eine so negative Erfahrung mit ihrem Freund und seiner Familie gemacht. Erinnerst du dich? Der Vater war ein persönlicher Freund von mir. Sie haben aber meine dunkelhäutige Tochter nicht anerkannt und ihr Freund ist dann umgefallen wie ein Strohhalm im Wind. Das scheint mir bei diesem Mike wohl nicht der Fall zu sein. Sie wollte mit solchen Leuten nie mehr etwas zu tun haben. Liebend gerne hätte ich sie bei mir in die Firma aufgenommen.“

„Ich wäre gerne in deine Firma gekommen, aber mich hast du ja nicht mal gefragt.“ Das klang schon sehr vorwurfsvoll.

Martin war erbost. „Auch das weißt du, wir haben schon oft genug darüber gesprochen. Bring erst mal was zu Ende und zeig mir deinen Willen. Dann bin ich durchaus bereit.“ Martin war gleichzeitig traurig über dieses Gespräch, das er so oder so ähnlich schon zigmal geführt hatte. Beide saßen sich gegenüber und fixierten sich.

„Meine Mutter würde dich gerne wiedersehen!“

„Was redest du da, sie hat mich damals verlassen, übrigens mit dir, ohne ein Wort zu sagen. Ich will sie nicht wiedersehen. Thelma ist meine Frau.“

„Was soll das? Okay, du hast Thelma gerettet, aber die passt doch überhaupt nicht zu dir. Du kannst doch wieder zu Mutter zurück!“

„Aha, und wie stellst du dir das mit Denise und Kevin vor, sie sind meine Kinder, und noch mal, Thelma ist meine Frau, nicht Gabriele. Wir sind geschieden.“

„Vergiss diese Bastarde, sie sind Kinder von dieser schwarzen Frau. Ich bin dein Sohn!“

Martins Blick verfinsterte sich. Wut stieg in ihm hoch. „Pass mal auf, mein Freund! Ich denke, es reicht, du hast mich lange genug ausgenutzt. Heute ist das Fass endgültig übergelaufen. Ich gebe dir zwei Wochen Zeit, dann ziehst du aus. Haben wir uns verstanden. Das ist endgültig, ich habe dir lange genug Zeit gegeben, auch ich habe die Nase voll! Du ziehst deine Geschwister und deine Stiefmutter nicht länger durch den Schmutz!“ Er stand auf und ging ebenfalls. „Mein lieber Vater, hier ist das letzte Wort noch nicht gesprochen.“ Leise sprach Kai zu sich selbst.

Letzte Hoffnung

Drei vollgepackte Koffer mit Kleidung und zwei Kartons mit persönlichen Dingen waren der ganze Umzug. Am Abend konnte Mike endlich seine geliebte Mona in die Arme schließen. Er war erleichtert, dass er mit ihr zusammen war und dass sie fest zu ihm stand. Sie waren jetzt seit knapp drei Wochen ein Paar.

Am Samstag hätte die Hochzeit mit Angelika sein sollen. Zu seinen Eltern hatte er bis jetzt keinen Kontakt mehr, nur mit Melanie telefonierte er regelmäßig. An diesem Samstagvormittag klingelte das Telefon, am anderen Ende war seine Mutter. Mike schöpfte Hoffnung, freute sich sehr über den Anruf. Der Tag jedoch irritierte ihn, es wäre der Tag der Hochzeit gewesen.

„Hallo Mama, das ist mal eine tolle Überraschung.“

„Hallo Mike, freust du dich über meinen Anruf?“

„Ja ich freue mich sehr über deinen Anruf“. Mona kam mit hinzu. Mit Hilfe von Gestik wies er auf seine Mutter hin. Mona schaltete den Lautsprecher ein, um mitzuhören.

„Wie geht es dir?“

„Nicht so besonders nach der Trennung. Kannst du dir sicherlich vorstellen. Aber ich bin so enttäuscht. Ich hätte nie gedacht, dass du eine solche Rassistin bist. Wie war es euch überhaupt möglich, mich vor diesem Hintergrund zur Toleranz zu erziehen.“ Mike redete sich schon wieder leicht in Rage.

„Mike, hör mir bitte zu. Du weißt ganz genau, dass ich keine Rassistin bin. Aber deine … deine neue Freundin hat mich dermaßen provoziert und du gleich mit, das ich einfach ausgerastet bin. Dein Verhalten, alles einfach wegzuschmeißen nach nur ein paar Tagen hat mich dermaßen aufgeregt, ich bin bis heute noch nicht darüber hinweggekommen. Es geht mir nicht um deine neue Freundin, die Beziehung ist eh viel zu frisch. Da muss man noch sehen, wo das hingeht. Aber was anderes, ich habe mit Angelika ein langes Gespräch gehabt. Übrigens, hast du ihren Vater angezeigt?“

„Nein, haben wir nicht. Das hatte ich aber schon an dem Abend gesagt. Sag mal, du hast mit Angelika gesprochen, bevor du mit mir redest? Ich fass es nicht!“

„Mike, nun mach mal einen Punkt, ja. Ich habe mit ihr gesprochen, weil ich wissen wollte, wie schwer du sie vor den Kopf gestoßen hast.“

„Mama, das weiß ich selbst. Ich habe sie schlimm verletzt. Sie kann für meine Liebe zu Mona gar nichts, hat absolut nichts zum Scheitern beigetragen. Das war ich alleine.“

„Genau so hat sie mir es auch erzählt. Sie ist getroffen, sehr tief. Aber, hör genau zu! Sie gibt dir noch mal eine Chance. Auch zu uns kannst du zurückkommen, schließlich bist du mein Junge.“ Mike musste tief Luft holen. Mona blickte ängstlich zu Mike. „Wie bitte? Was, bitteschön, war bei meiner Entscheidung für Mona nicht zu verstehen? Was soll ich denn noch sagen. Es gibt für mich keinen Weg zurück zu Angelika, kapiert?“ Mike wurde laut.

Mona besänftigte ihn leise. „Ist da jemand bei dir? Etwa deine neue Freundin? Hat sie alles mitgehört?“

 

„Ja. Warum? Schlechtes Gewissen?“

„Nein, mit Sicherheit nicht, es macht es nur nicht gerade leichter. Ist sie immer bei dir?“

„Du willst wissen, ob sie bei mir wohnt? Ja, sie ist seit fast zwei Wochen bei mir eingezogen. Mama, du hast gesagt, ich kann zu euch zurückkommen? Das würde ich gerne …“

„Ihr wohnt schon zusammen. Hast du dir das auch gut überlegt? Es geht doch nicht nur um dich, denk auch zur Abwechslung mal an die anderen.“

„Doch Mama, das habe ich mir sehr gut überlegt und ich bin wahnsinnig glücklich, dass sie hier ist.“ Am anderen Ende war zuerst Schweigen. „Dein letztes Wort? Ich habe mit allen gesprochen, mit Papa, Angelika und sogar ihren Eltern. Du kannst das alles noch retten, nur wollen musst du!“

„Und Melanie, wie steht sie dazu?“

„Melanie, nein, mit der habe ich nicht gesprochen, die ist zu weit weg. Außerdem ist sie bezüglich deiner Person nie objektiv.“

„Ach ja, auf gut Deutsch steht ihr kein Urteil zu. Ich werde sie selber fragen. Mal angenommen, ich geh auf deinen Vorschlag ein, wo bleibt dabei Mona? … Keine Antwort ist auch eine Antwort. Mama, noch mal. Ich verlass Mona nicht.“

Wieder kurzes Schweigen. „Dann haben wir uns nichts mehr zu sagen. Denn beides geht nicht. Entweder oder! Du hast dich entschieden. Ich verstehe. Leb wohl.“ Mike hörte nur noch ein Knacken in der Leitung. Seine Mutter hatte, ohne die Antwort abzuwarten, aufgelegt.

Mona war nachdenklich. „Ich verstehe deine Mutter nicht. Ich denke, sie hat nichts gegen mich als Schwarze, zumindest nicht viel. Sie muss ja wahnsinnig an dieser Angelika hängen.“ Mike nickte. „Die beiden waren ein Herz und eine Seele, du kannst dir das nicht vorstellen. Na ja, das war’s dann wohl mit meinen Eltern. Wenigstens tickt Melanie anders. Meine Mutter hätte sie mit keinem Wort erwähnt.“

„Es ist schon traurig, wie sie deine Schwester abgebürstet hat. Damit weißt du aber, dass sie zu dir steht. Gib deiner Mutter Zeit, es wird sich schon noch einrenken.“

„Ich hoffe, Mona. Stell dir nur einfach vor, es wäre deine Familie.“

„Bei meiner Familie stimmt auch einiges nicht.“ Mona erzählte Mike von dem Vorfall mit Kai und der Reaktion von ihrer Mutter.