MärchenLust

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»Was ist mit dir?«, hörte sie Edward fragen und wandte sich ihm rasch zu.

»Nichts«, presste sie hervor und versuchte den Kloß im Hals hinunterzuwürgen, doch er saß fest und trieb ihr Tränen in die Augen.

»Aber du weinst ja beinahe.«

»Es ist nichts«, beschwichtigte sie ihn und versuchte ein neues Lächeln. »Ich war in Gedanken.«

Edward sah nicht aus, als glaubte er ihr, doch er fragte nicht weiter nach. Seine Brust hob und senkte sich unter einem stillen Seufzer, während er eine ihrer Hände für die Öffnung ihrer Formation freigab. Von unpassend leichtherzigen Melodien begleitet, schritten sie an Gabriel und der Rothaarigen vorbei. Rosa hielt den Blick geradeaus gerichtet und sah im Augenwinkel, dass Gabriel es nicht anders tat. Zumindest war er so taktvoll, in diesem Moment nicht herumzualbern, als habe er den Spaß seines Lebens.

Auf diesen Paartanz wurde die Melodie zu einem Gruppentanz angestimmt, bei dem die Tanzpartner wechselten. Edward tanzte Rosa an einen älteren Herzog ab, der ihre Hand nach ein paar gemeinsamen Schritten an Gabriel übergab.

Zwar hatte Rosa damit gerechnet, dass dies geschehen würde, doch bei seiner Berührung fuhr ein unerwartet heftiger Stich durch ihr Herz. So gut tat es, ihm nahe zu sein und ihn nur ein bisschen zu spüren, aber es rief den Verlust auch deutlich in Erinnerung.

»Wie geht es dir?«, fragte er leise.

Und erst seine Stimme … die einst so wunderbare Dinge gesagt, geflüstert, geraunt hatte. Ihr Blick wanderte von seinen Augen, die jetzt logen, zu seinem Mund, der jetzt nicht mehr lächelte. Sie wollte ihm nicht antworten. Was sollte sie ihm auch sagen? Die Wahrheit verdiente er nicht mehr und schwindeln wollte sie nicht.

Um die Erwiderung kam Rosa herum, weil ein neuer Wechsel anstand. Gabriel übergab sie an Edward und tanzte mit der Rothaarigen weiter. Noch immer lachte er nicht.

Als das Musikstück endete, gab Edward dem König ein Zeichen, woraufhin der sich zu seiner Gemahlin beugte, ein paar Worte mit ihr wechselte und die Musiker dann aufforderte, die Instrumente schweigen zu lassen.

Rosa ahnte, was folgte. Ausgerechnet jetzt.

Als Edward ihre Hände nahm und vor ihr auf die Knie ging, bildeten die Gäste einen Kreis um sie.

Alles in ihr sträubte sich gegen das scheinbar Unvermeidliche, doch sie konnte das nicht tun! Edward die Blamage ersparen wollend, versuchte sie, ihm ihre Hände zu entziehen, doch er hielt sie fest. Auch ihr beschwörendes Flüstern deutete er falsch und begann zu sprechen: »Meine liebe Rosa, treue Freundin in all den Jahren meines Lebens. Ich bitte dich heute, meine Gefährtin auch für den Rest unserer Zeit zu sein und mein Königreich an meiner Seite zu regieren. Erweise mir die Ehre, meine Gemahlin zu werden.«

Rosa begann zu weinen, und was alle für Tränen der Rührung hielten, war in Wirklichkeit das Zeichen tiefster Verzweiflung. Mucksmäuschenstill war es im Saal. Ihr Ja wollte man hören. Stattdessen hörte man ihr Schluchzen, woraufhin sich die ersten zu wundern begannen, ob die Rührung so groß sein konnte.

Noch immer kniend sah Edward zu ihr auf. Ein feines Lächeln umspielte seinen Mund, und in seinen Augen stand nicht der leiseste Zweifel. Liebte er sie auch nicht, wie ein Mann eine Frau lieben sollte, so war er dennoch bereit, diesen Schritt zu gehen. Doch Rosa war das nicht. Sie schluchzte noch einmal und löste eine Hand aus seiner, um sie an ihre Brust zu legen und ihr Herz zu beruhigen. Dann schüttelte sie den Kopf. »Es tut mir leid, Edward, aber ich kann nicht.«

Überraschung flackerte in seinen Augen, doch dann verdunkelten sie sich vor Enttäuschung. Er stand auf, fragte nicht nach dem Grund für ihre Entscheidung, sondern suchte ihn noch einen Moment in ihrem Blick. Ob er ihn erkannte oder nicht blieb ungewiss, denn ohne ein weiteres Wort gab er ihre andere Hand frei, wandte sich ab und verließ den Saal.

Rosas Vater erhob sich vom Thron. »Ich erkläre diesen Ball für beendet«, dröhnte seine Stimme über das anschwellende Raunen hinweg. »Rosa, dich möchte ich sofort sprechen.«

Sie sah zu ihm hin, doch sein Zorn war ihr gleich. Auch das leidvolle Gesicht ihrer Mutter rührte sie nicht. Sie wollte niemanden sprechen und niemanden sehen. Sie wollte allein sein, ganz allein. Also raffte sie ihren nachtblauen Rock und wollte aus dem Saal stürmen, stieß auf ihrem Weg hinaus jedoch mit Gabriel zusammen.

Er fasste sie bei den Armen, hielt sie fest und wollte etwas sagen, doch sie riss sich von ihm los, hob beschwörend die Hände.

»Verkünde es vom Schlossturm!«, presste sie hervor. »Schreib es in den Himmel! Sag allen, dass ich glücklich war, dass mein Herz gebrochen und meine Wunde unheilbar ist.« Mit Mühe hielt sie ein Schluchzen zurück. »Sag ihnen, dass alles, was wir uns erträumt haben, ein Traum bleiben wird!«

Damit wandte sie sich um und rannte davon. Tränen verklärten ihre Sicht, als sie durch die Flure des Schlosses hastete, durch den Wintergarten und in den vom Mondlicht in ein Silber getunkten Garten. Der Brunnen war ihr Ziel gewesen, doch dort angelangt, lief sie weiter – plötzlich angetrieben von einem Gefühl, für das sie keinen Namen fand. Die sonst immer verschlossene Tür in der Schlossmauer stand offen, was sie zwar wunderte, aber nicht stoppte.

Als der Turm in Sicht kam gesellte sich Angst zu ihrer Verzweiflung. Eine Ahnung drängte sie, anzuhalten und umzukehren, doch sie kam nicht an gegen das, was die Führung über ihren Geist übernommen zu haben schien. Vor dem Turm gelang ihr der Stopp. Er war so abrupt, dass sie stolperte und beinahe fiel, doch sie fing sich und betrachtete, um Atem ringend, was sie da vor sich hatte: Der Turm war von Rosen eingeschlossen, deren Blüten und Blätter in der Dunkelheit schwarz glänzten. Der Wind ließ sie wispern, und in manchem Augenblick war es ihr, als sprachen sie mit ihr, als riefen sie sie herbei. Rosa wollte zurückweichen, konnte sich aber nicht von der Stelle rühren. Eine Gänsehaut kroch von ihrem Nacken bis zu ihren Fersen, weil sich die Pflanzen teilten und eine Tür freigaben, die mit einem Knarren aufschwang.

Wieder war da dieser Drang, weiterzugehen. Sie wollte nicht, wollte nur noch in ihr Zimmer, sich die Bettdecke über den Kopf ziehen und diesen schlimmen Abend vergessen, dennoch ging sie durch die Tür, hinter der düsteres Licht flackerte. Erzeugt wurde es von beinahe vollständig heruntergebrannten Kerzen, die auf jede zweite Stufe einer schmalen Steintreppe gestellt worden waren. Höher und höher wand sich die Treppe in den immer schmaler werdenden Turm und mündete in einem runden Zimmer, das nur ein einziges Fenster besaß und vollkommen leer war.

Rosa erschrak, als aus einer dunklen Ecke eine Gestalt trat. Eine Frau war es, die ihrer Mutter wie aus dem Gesicht geschnitten gewesen wäre, hätte in ihren Augen nicht ein so kalter Ausdruck geschimmert. Hilfesuchend blickte Rosa über die Schulter zurück, wohl wissend, dass niemand in der Nähe war, der ihr zu Hilfe eilen konnte. Hilfe, die sie dringend benötigte, denn dies hier – da war sie sich sicher – würde kein gutes Ende finden. Wieder tat sie einen unfreiwilligen Schritt nach vorn, gefolgt von noch einem und einem weiteren.

Die Frau lächelte und hob den Arm. Was sie in der Hand hielt, brachte Rosas Puls zum Rasen. Eine Rose.

»Nein«, flüsterte sie. »Ich will sie nicht.«

Nur noch ein Schritt trennte sie von der Frau, und sie tat ihn, streckte die Hand aus.

»Ich will sie nicht!«, sagte sie abermals, diesmal in flehendem Ton, allerdings hatte sie die Kontrolle über ihre Handlung gänzlich verloren.

Vor Furcht zitternd nahm sie die Rose, umschloss ihren Stil mit Daumen, Zeige- und Mittelfinger und keuchte, als sich ein Dorn in die Haut ihres Daumens bohrte. Sie ließ die Blume los, sah sie fallen – was unendlich langsam zu geschehen schien, als flösse die Zeit mit einem Mal zäher. Ohne jeden Laut prallte die Rose auf den Dielen auf und verlor ein paar Blütenblätter.

Rosa wurde schwindelig. Sie legte eine Hand an die Stirn, die seltsam kühl war, dann schwand die Kraft aus ihren Beinen und ihr Körper klappte zusammen. Ihre Lider wurden schwer. Das Atmen kostete sie Mühe. Schwärze zog um sie auf.

Das letzte, was sie hörte, war die Stimme der Frau.

»Schlaf gut, Dornröschen!«, höhnte sie. »Ewig wirst du warten auf den Kuss der wahren Liebe.«

Ein neuer Mond stand längst am Himmel, da drang die merkwürdige Kunde in alle Länder. Von einem Schloss war die Rede, das von einer dichten Rosenhecke umgeben war, die niemand zu durchdringen vermochte. Zahlreiche Bauern und Händler, die den Hof überlicherweise mit ihren Gütern belieferten, hatten es versucht und dabei ihr Leben gelassen. Sie waren von den Dornen der Pflanzen gefangen genommen und nicht mehr freigegeben worden.

Als Prinz Edward davon erfuhr, wusste er sogleich, dass sich die Prophezeiung erfüllt hatte. Rosa hatte sich an einer Rose gestochen und schlief nun. Dass die Hecke den Versuch sie aufzuwecken verhindern sollte, war weiter anzunehmen, doch er würde sich gewiss nicht von einer Pflanze aufhalten lassen. Hatte sie ihn auch zurückgewiesen, so stand es doch in seiner Pflicht, sie zu befreien. Ein Kuss war hierzu erforderlich, den sie von ihm natürlich bekommen würde. War sie erst wieder wach, konnte sie tun und lassen, was sie wollte – vielleicht dachte sie dann noch einmal darüber nach, seine Gemahlin zu werden. Befreit von der Befürchtung, dass er ihr bloß einen Gefallen tun wollte. Er hatte sie nämlich wirklich sehr gern. Wie konnte er auch nicht, wo er sie doch so lange schon kannte?

Edward ließ seinen Hengst satteln, sich etwas Proviant für die halbtägige Reise zusammenstellen und verabschiedete sich von seinen Eltern, die ihm viel Glück wünschten und ihn zur Vorsicht mahnten. Gutes Gelingen wünschte ihm auch jeder andere, der ihm bis zur Landesgrenze begegnete, und nicht wenige hatten ein paar Ratschläge parat, von denen sich manche auf die Rosenhecke, andere auf den Kuss bezogen. In Rosas Land angelangt, setzten sich diese Ratschläge fort, waren die Bewohner auch recht niedergeschlagen und besorgt. Nicht allein um die Prinzessin, sondern ebenso sehr um ihren König und die Königin, von denen es seit dem Abend des Balls kein Lebenszeichen gegeben hatte.

 

Schon von Weiten wurde Edward der monströsen Hecke gewahr, welche die Schlossmauer umgab. Blutrot waren die Knospen und trügerisch schön im Licht der sinkenden Sonne.

Er ritt zu der Stelle, hinter der das westliche Tor lag, zog sein Schwert und versetzte den Pflanzen einen ersten Hieb. Zu seiner Überraschung streckten sie sich nach ihm aus. Gerade rechtzeitig wich er einen Schritt zurück, sprang aber sofort wieder vor und schlug mehrmals kurz hintereinander auf die Rosen ein, die sich weiterhin zu wehren versuchten. Tatsächlich gelang es ihm, eine Lücke in die Hecke zu schlagen, die sich binnen kurzem allerdings wieder schloss. Schon holte er zum nächsten Hieb aus, da vernahm er ein Geräusch, ließ das Schwert sinken und lauschte. Es klang, als habe jemand dieselbe Absicht wie er.

Edward nahm die Zügel seines Pferdes und führte es die Hecke entlang, bis er zum Südtor kam, wo Prinz Gabriel wie ein Besessener auf die Rosen eindrosch. Er hatte den Mantel ausgezogen, um sich besser bewegen zu können. Sein unangemessen kurzes, dunkles Haar war schweißnass, einzelne Strähnen klebten in seiner Stirn und auch sein Hemd war durchgeschwitzt. Seine Miene war grimmig, woran die von einer wüsten Kindheit zeugenden, wenig majestätischen Narben nicht unschuldig waren. Als er Edward bemerkte, hielt er inne und fluchte dann, weil sich die Hecke schloss.

»Was tut Ihr da?«, fragte Edward und kam näher.

Gabriel runzelte die Stirn. »Wonach sieht es denn aus? Meint Ihr vielleicht, ich jäte Unkraut zum Zeitvertreib? Natürlich versuche ich einen Durchgang in dieses Monstrum zu schlagen.«

»Das dachte ich mir wohl.« Edward straffte die Schultern und hob das Kinn, um den kleinen Vorsprung an Körpergröße, den Gabriel vor ihm hatte, gutzumachen. »Aber warum versucht Ihr das?« Wenn es einer versuchen sollte, dann ja wohl er!

»Sagt nur, Ihr habt nichts von dieser seltsamen Sache gehört, die sich nach dem Ball angeblich zugetragen hat?«

Sich jetzt von dem Mann eine Geschichte erzählen zu lassen, die er seit einem Jahrzehnt kannte, würde seinen Stolz doch erheblich kratzen. Edward wollte Gabriel den Wind aus den Segeln nehmen und gab ihm eine Zusammenfassung: »Prinzessin Rosa wurde von einer Schwester der Königin verflucht, als sie gerade geboren war. Sie sollte sich am Dorn einer Rose stechen und sterben. Der Fluch wurde von einer anderen Schwester vom Tod in einen Schlaf abgemildert!« Eine Hand in die Hüfte stützend, sah er an der Hecke hoch. »Offenbar schläft sie jetzt.«

»Ja, eine ganz tolle Familie hat sie da!« Prinz Gabriel holte erneut aus und hieb ein paar Mal auf die Hecke ein.

Edward beobachtete ihn mit zunehmendem Argwohn. »Ihr habt mir noch nicht gesagt, warum Ihr ins Schloss zu kommen versucht.«

Gabriel fuhr herum und wirkte verärgert. »Um Rosa zu wecken natürlich. Haltet deshalb endlich den Mund und lasst mich arbeiten!«

Edward traute seinen Ohren nicht! Er hatte Prinz Gabriel ja noch nie leiden können, nein, sie hatten sich noch nie sonderlich gut verstanden, aber dass der Kerl davon ausging, seine Rosa befreien zu können, das war geradezu lächerlich. Und dreist. Er würde ihm zeigen, wie man eine verzauberte Hecke besiegte!

Edward zog seinen Mantel ebenfalls aus, warf ihn ins Gras, zückte sein Schwert und versetzte dem wehrhaften Grün ein paar Hiebe. Gabriel warf ihm einen Seitenblick zu und steigerte sein Tempo, also wurde auch Edward schneller. Bald ächzten beide vor Anstrengung und waren triefnass, doch die zügiger aufeinander folgenden Schläge ließen das Loch in der Hecke immer größer werden. Nicht lange und das Tor sowie ein Teil des Schlosshofes waren zu erkennen.

Edward schlug ein weiteres Mal zu, sammelte dann seinen Mut und sprang durch die Öffnung. Dornen kratzen über seine Haut, zerrissen sein Hemd und versuchten, ihn zu fassen, aber sein Versuch gelang. Er stolperte durch das Südtor und wollte verschnaufen, da bemerkte er, dass Gabriel es ebenfalls geschafft hatte.

Edward knirschte mit den Zähnen und spurtete los. Gabriel holte ihn ein, lief sogar an ihm vorbei, doch stoppte jäh, als sie auf den Haupthof gelangten. Ein paar Knechte, die Pferde zu den Stallungen führten, waren im Stehen eingeschlafen. Auch die Pferde schliefen. Hunde und Katzen lagen zusammengerollt, und sogar die Tauben auf dem Dach hatten die Köpfe unter die Flügel gesteckt.

Die Prinzen eilten weiter, erreichten das Schloss und schlitterten in ihrem Wettlauf über den Marmor leergefegter Korridore. In der Nähe des Thronsaals entdeckten sie drei Mägde, die im Streit miteinander eingeschlafen waren, und den Koch, der den Küchenjungen am Ohr in die Küche zerren wollte. Wenn auch wenig entspannt, so dösten sie doch. Gabriel erreichte den Thronsaal zuerst und lief vor Edward hinein. Der König und die Königin schliefen auf ihrem Thron. Der Narr war im Handstand eingenickt und der Zeremonienmeister schnarchte auf seinen Stab gestützt.

Prinzessin Rosa war nirgends zu finden. Nicht in diesem Saal und in keinem Zimmer des Schlosses. Eins nach dem anderen hatten die Prinzen immer atemloser gestürmt, stets in der Befürchtung, sie nicht zuerst zu finden. Nun waren sie ratlos.

Gabriels Blick fiel aus den hohen Fenstern auf den Garten. Einem Gedanken folgend, lief er los, und dass Edward ihm folgte, kratzte allmählich an seiner Geduld. Er verstand nicht, warum sich dieser Prinz überhaupt um Rosa bemühte, schließlich hatte sie seinen Antrag abgelehnt. Er persönlich wollte keinen Wettstreit gewinnen, sondern die Prinzessin endlich finden – und um Verzeihung bitten.

Dicht gefolgt von Edward rannte er, nach Rosa Ausschau haltend, durch den Garten. Auf keiner Bank und in keinem Pavillon war sie, auch nicht an jenem Brunnen, von dem sie ihm erzählt hatte. Von dort aus führte jedoch ein Pfad zu einer Tür in der Schlossmauer, hinter der ein Wald lag. Gabriel folgte dem Pfad und stand nicht viel später vor einem alten Turm, der fast gänzlich von Rosen eingeschlossen war. Lediglich der Eingang war frei. Er zögerte nicht, stürmte hinein und stieg die schmale, steinerne Wendeltreppe empor, da flatterte wie aus dem Nichts kommend ein Schwarm Fledermäuse herbei. Die Tiere griffen ihn an, und während er damit beschäftigt war, sie abzuwehren, zog Edward an ihm vorüber.

Wütend schlug Gabriel die letzte, besonders hartnäckige Fledermaus beiseite und eilte weiter. Er musste sich ein Grinsen verkneifen, da Edward mit dem Fuß in einer Wurzel hängen geblieben war, die plötzlich aus einer Stufe gewuchert war, und schimpfend versuchte sich zu befreien. Zwar gewann er einen Vorsprung, doch war dies wiederum nur von kurzer Dauer, denn aus dem Dunkel löste sich eine Gestalt, rauschte auf ihn zu, packte ihn bei den Schultern und gab ihm einen so kräftigen Stoß, dass er das Gleichgewicht verlor und Edward im Fall mitriss.

Fluchend purzelten sie die Treppe hinunter. Ihre Knochen knackten, ihre Schwerter klirrten über den Stein, und Gabriel hoffte, dass der andere seine Waffe insoweit im Griff hatte, dass er ihn nicht versehentlich erstach.

Nachdem sie zum Liegen gekommen waren, rappelten sich die Prinzen auf, warfen sich böse Blicke zu und begannen den Anstieg erneut. Edward war nun vorn und derjenige, den die Gestalt zuerst attackierte. Als er schrie und fiel, trat Gabriel ein Stück zur Seite, zog sein Schwert und ließ den anderen vorbeikullern. Zwei Stufen auf einmal nehmend, war er bei der Gestalt, zog ihr die Kapuze vom Kopf und blickte ins kalte Antlitz einer Frau. Er ahnte, dass er es mit Rosas freundlicher Verwandtschaft zu tun hatte und auch, dass sie nicht mehr halb so menschlich war, wie sie aussah. Von seiner Nähe bedrängt zischte sie, wobei sich ihr Gesicht zu einer Grimasse verzerrte. In einer Geschwindigkeit, die für Gabriels Auge kaum erfassbar war, schnellte ihre Hand vor und schloss sich um seine Kehle. Ihr Griff war so hart, dass ihm die Luft wegblieb und es ihn schwindelte. Er blinzelte, um bei Bewusstsein zu bleiben und machte sich klar, dass er sofort handeln musste oder es nie mehr würde tun können, fasste sein Schwert fester und stieß zu. Lautlos fuhr die Klinge zwischen die Rippen der Frau und direkt in ihr Herz. Für einen Moment stand Erstaunen in ihrem Blick, dann erlosch das Leben darin und ihr Körper sackte zusammen. Bevor er allerdings auf den Stufen aufschlagen konnte, löste er sich auf und ließ eine schwarze Rauchwolke zurück, die Gabriel umwaberte und ihm die Sicht raubte. Edward, der eben heraufkam und das Verschwinden der Hexe mit angesehen hatte, wollte die Gunst des Moments nutzen und sich am Kontrahenten vorbeidrängen, doch der schob sein Schwert schnell in die Scheide und lief weiter, höher und höher, bis die Treppe in einem winzigen Zimmer mündete. Schulter an Schulter platzten Gabriel und Edward hinein und blieben wie vom Donner gerührt stehen, da sie Rosa auf dem Boden liegen sahen, eine verwelkte Rose neben sich.

Noch immer trug sie das nachtblaue Kleid aus jener unseligen Ballnacht, und ihr blondes Haar lag wie Sonnenstrahlen um ihren Kopf. Ihre Brust hob und senkte sich unter gleichmäßigen Atemzügen.

Edward ging neben ihr auf die Knie und beugte sich zu ihr.

»Was zum Teufel tust du da?«, knurrte Gabriel.

Der andere schickte ihm einen tadelnden Blick. »Ich wecke sie jetzt auf, indem ich ihr einen Kuss gebe.«

Gabriel verschränkte die Arme vor der Brust, um den Kerl nicht zu packen und von seiner Geliebten fortzuzerren. »Es heißt aber, es muss der Kuss der wahren Liebe sein.«

»Ich liebe sie ja auch«, erklärte Edward. »Wie eine Schwester liebe ich sie.«

Nun war Gabriel gewiss nicht gefühlsduselig, doch er war sicher, dass das nicht die Sorte Liebe war, die gemeint war.

Als Edwards Mund den von Rosa berührte, verkniff er die Lippen, ballte die Fäuste und verengte die Augen zu Schlitzen. Er wollte das nicht sehen. Als nichts geschah, atmete er heimlich auf.

Edward küsste Rosa noch einmal. Weil es auf dem Mund nicht klappte, presste er seine Lippen auf ihre Wangen, ihre Schläfen, ihre Stirn – und wirkte dabei zunehmend verzweifelt. Rosa aber schlief weiter.

Da er gar nicht mehr aufhören wollte, brachte sich Gabriel durch ein Räuspern in Erinnerung. »Es funktioniert nicht!«

Edward setzte sich auf. »Aber es muss doch klappen …«

Gabriel kniete sich an Rosas andere Seite, schob einen Arm behutsam unter ihren Oberkörper und zog sie an sich, streichelte ihre Wange.

»Was soll das?«, hörte er Edward fragen, doch der Mann schien weit weg. Nur noch Augen für Rosa hatte Gabriel jetzt. »Wollt Ihr sie etwa küssen?«

»Ja«, murmelte er und senkte den Kopf, steckte die Nase in ihr Haar, um dessen Duft einzuatmen.

»Dazu müsstet Ihr sie aber lieben.«

»Das tue ich.« Mit der Fingerspitze strich er über ihre weichen, vollen Lippen. So perfekt für einen Kuss. »Und zwar nicht, wie ein Bruder seine Schwester liebt!«

Edwards Stimme klang gereizt. »Sie müsste Euch auch lieben.«

Den Blick auf Rosa geheftet, lächelte Gabriel. »Das tut sie.«

Endlich schwieg Edward, war es auch ein konsterniertes Schweigen. Fassungslos beobachtete er, wie Gabriel den anderen Arm um Rosa schlang und sie küsste. Ihr nächster Atemzug war tiefer als alle vorigen, und mit ihm stockte ihre Atmung für einen Moment. Sie schlug die Augen nicht auf, doch ihre Hände zuckten. Als sie den Kuss erwiderte, die Hände hob und sie in Gabriels Nacken legte, stand Edward auf, ging ein paar Schritte rückwärts, drehte sich dann um und stieg die Treppen hinab, um den Turm zu verlassen.

Als Gabriel ihren Mund freigab, öffnete Rosa die Augen, die wunderschönen blauen. Er wollte sie betrachten, die Frau, die so sehr die Seine war. Nie würde eine andere ihren Platz einnehmen können. Keine war wie sie. War er bei ihr, dann fühlte er sich angekommen und verstanden, ganz so, als sei sie schon immer in seinem Leben gewesen.

»Du Schuft«, sagte sie und grinste. »Hat es das gebraucht?«

Gabriel stimmte in ihr Grinsen ein. Hundertmal eher würde sie ihn als Schuft bezeichnen, statt an seine Brust zu sinken und in ein treuseliges Schluchzen auszubrechen. Er hatte es ja gesagt: So sehr die Seine war sie!

 

»Ich habe einfach noch ein wenig Zeit benötigt«, versuchte er sich zu verteidigen. »Wärst du nicht eingeschlafen …«

»Natürlich, wäre ich nicht eingeschlafen …« Sie strich durch sein kurzes Haar. »Gib es zu, du brauchtest deinen dramatischen Auftritt, um meinen Vater zu überzeugen!«

»Damit habe ich noch nicht mal begonnen. Ich wollte ja vorsprechen, allerdings saß er schnarchend auf seinem Thron. Auch deine Mutter war im Traumland.« Um nicht in Lachen auszubrechen, biss Gabriel sich auf die Lippe. »Wahrscheinlich wird er mich hängen lassen, wenn er erfährt …«

»Ich sag’s ja: Drama, Drama!« Rosa zog ihn auf ihren Mund hinab und murmelte an seine Lippen. »Ich verzeihe dir ja schon und gehängt wirst du auch nicht, also schweig jetzt und küss mich weiter!«

Rosa fand keinen Schlaf. Dass er sich nicht einstellen wollte, amüsierte sie sogar ein wenig, denn so mancher würde die Ursache darin sehen wollen, dass sie gewiss genug geschlafen hatte. Der Grund für ihre Schlaflosigkeit war allerdings ein anderer: Aufregung. Sie war so nervös, dass ihr ganzer Körper zu kribbeln begann, wenn sie sich um Ruhe bemühte.

Sie rollte sich auf den Rücken und strampelte die Bettdecke weg. Dies war ihre letzte Nacht im Schloss. Ab dem morgigen Tag hatte sie ein neues Zuhause. Und Gabriel zum Gemahl. Ihr Grinsen wurde breiter. Bei seinen Verhandlungen hatte ihr Vater die Option einer Hochzeit nicht in Erwägung gezogen und sich wahrscheinlich immer noch nicht so recht an den Gedanken gewöhnt, dass seine Tochter mit dem Feind angebandelt hatte.

Ach, wäre es doch schon morgen!, dachte Rosa ständig, weil sie es nicht mehr aushielt und die Zeit so gar nicht vergehen wollte. Sie wusste, dass Gabriel, seine Eltern sowie weitere Mitglieder seiner Familie und des Hofes bereits eingetroffen und im Westtrakt des Schlosses untergebracht waren. Irgendeine Gepflogenheit untersagte es leider, dass Braut und Bräutigam einander am Tag vor der Hochzeit sahen. Rosa hielt diese und andere Gepflogenheiten für überholungswürdig, und Gabriel tat es auch, doch sie fügten sich und hofften, dass der Tag kam, damit sie endlich wieder tun konnten, wonach ihnen der Sinn stand.

Als es klopfte, setzte sie sich im Bett auf. Wer störte denn mitten in der Nacht? Ihr Herz klopfte schneller. War er es vielleicht? Hatte er sich hierhergeschlichen. Oh, das wäre ja … Nein, er konnte es nicht sein, denn er hätte nicht geklopft, sondern die Tür eingerannt.

Rosa breitete die Bettdecke wieder über sich und bat den Störenfried einzutreten. Es war ihre Zofe. Feixend kam sie näher, beugte sich zu ihr. »Ich habe eine Nachricht für Euch, Prinzessin.«

Kaum hatte die Zofe zu Ende gesprochen, da sprang Rosa aus dem Bett und lief, wie sie war, in ihrem Nachtgewand und barfuß, aus dem Zimmer, über den Gang und zur Treppe. Wenig später überquerte sie den Hof, eilte durch das östliche Tor und über eine Wiese, an die sich ein Wäldchen anschloss. Von der Sonne gedörrte Halme und aus der Erde ragende Steine piekten in ihre Fußsohlen, aber nichts davon störte sie. Auch das Wäldchen durchquerte sie wie der Wind und ohne sich um Zweige zu kümmern, die in den Weg hingen und über ihre Arme peitschten, sich in ihrem Haar verfingen und darin ziepten. Das hinter dem Wald wachsende hohe Gras schnitt ihr in die Haut, doch sogar das war egal. Atemlos bahnte sie sich eine Gasse, wie sie es in vier Jahreszeiten unzählige Male getan hatte.

Der Weiher schimmerte im Mondlicht und gab zusammen mit dem am Ufer stehenden Pavillon ein so geliebt-vertrautes Bild ab. Ihr geheimer Platz war es, und offenbar würde er es bleiben.

Gabriel sah sie und lief ihr entgegen. Sie flog in seine Arme, er presste sie an sich und küsste sie, ungestüm und wild.

»Ich habe nicht mehr bis morgen warten wollen«, murmelte er zwischen zwei Küssen.

»Gut, dass du es nicht getan hast«, gab Rosa zurück. »Ich wäre verrückt geworden.«

Ineinander verschlungen, sich küssend und fühlend, stolperten sie

über ihre Füße und fielen ins Gras, wo Gabriel ihren Körper gänzlich in Besitz nahm. Dabei drehte er sich andersherum, legte seine Stirn an ihren Bauch, umarmte sie fest und ließ seine Hände über sie gleiten, als wolle er sie überall zur gleichen Zeit berühren. Sein Gesicht in den Stoff ihres Nachtkleides pressend, zog er es nach oben und liebkoste jeden Fleck entblößter Haut. Dass er nicht in gleicher, sondern in entgegengesetzter Richtung zu ihr lag, nutzte Rosa aus, indem sie die Beule in seiner Hose, die da unmittelbar vor ihren Augen lockte, massierte, fühlte und beobachtete, wie sie größer wurde. Mehr von ihm spüren und seinen Duft einatmen wollend, zog sie sein Hemd aus der Hose und schmiegte ihr Gesicht an seinen Bauch, packte dann seinen Po, um ihn noch näher bei sich zu haben. Wie eine Droge schienen sie füreinander zu sein und zugleich auch die Süchtigen.

Noch immer nach mehr, nach viel mehr verlangend, löste sie die Schnüre seiner Hose und seufzte, als er ihren Unterleib freilegte und ihre Beine öffnete. Frische Nachtluft prallte auf die Hitze ihrer Scham, doch vermochte sie ihre Begierde nicht zu mindern. Im Gegenteil, sehnsüchtig erwartete sie Gabriels Finger, die sie streichelten und sie hinter die Grenze ihres Bewusstseins trieben, doch stattdessen bekam sie seinen Mund, der gerade Letzteres noch viel schneller zu erledigen verstand. Heiß und gierig presste er sich auf ihre Spalte, sodass sie ihre Beine weiter öffnete, eines aufstellte und ihn so ein stückweit zu dem Punkt dirigierte, an dem sie ihn gerade am dringendsten spüren wollte. Während er sich alle Zeit ließ und sie ein wenig neckte, indem er ihr nicht sofort gab, was sie wollte, konnten ihre Finger gar nicht schnell genug an den Schnüren zupfen, sie endlich lösen und den Hosenbund aufklappen.

Beim Anblick seiner harten Männlichkeit flog ein neues Seufzen über ihre Lippen. Sie schloss eine Hand um den Schaft, streichelte ihn erst sanft und rieb ihn bald fester, woraufhin er einen drängenden Laut gegen ihre Spalte sandte und sie mit der Zunge teilte, um mehr von ihr zu kosten. Dass er seine Hüfte nach vorn schob, verstand Rosa als Aufforderung, doch sie mochte ihm auch noch nicht alles geben, was er wollte. Also leckte sie den auf der Eichel sitzenden Lusttropfen ab, spielte mit der Zungenspitze in der Öffnung und schloss ihre Lippen erst mit einiger Verzögerung um das pralle, rote Fleisch. Dass sie es endlich tat, belohnte er und widmete sich ihrem absoluten Lustpunkt, Wieder und wieder leckte er darüber, sog ihn zwischen die Lippen und schob schließlich einen Finger in sie.

Um das grandiose Gefühl ganz auszukosten, gab Rosa seinen Schaft kurz frei und legte den Kopf im Gras ab. Angenehm kühl streichelten die Halme ihre Wangen. »Ich liebe es, wenn du das tust«, stöhnte sie und massierte ihn mit der Hand weiter. »Warum fühlt sich das nur so gut an?«

Seine Antwort machte seine Handlung perfekt. »Weil es mein Herz ist, das mich lenkt«, sagte er und sandte seine Zunge in Kreisen um ihre Perle.

Mit einem heiser klingenden Knurren drehte er sich auf den Rücken und zog sie dabei mit sich auf seinen Bauch. Darauf packte er ihren Po, knetete ihn und zog sie fester auf seinen Mund. Allein der Gedanke, mit weit gespreizten Beinen rittlings auf dem Gesicht eines Mannes zu hocken, hätte sie früher wohl vor Scham vergehen lassen, doch mit Gabriel war da nichts, wofür es sich zu schämen galt. Er hatte sich ihr Vertrauen verdient und schenkte ihr seines im Gegenzug. Außerdem hatte er sie gelehrt, zu genießen und ihren Geist fliegen zu lassen, um diesen Genuss auszukosten.