Deutsches Sagenbuch - 999 Deutsche Sagen

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Lorsch, hütete ein Hirtenbub seines Vaters Kühe,

stand müßig und dachte an gar nichts. Da fühlte er auf

einmal einen sanften Backenstreich auf seiner Wange

von einer weichen Hand, und wie er erschrocken sich

umdrehte, so stand eine wunderschöne Jungfrau vor

ihm da, schloßschleierweiß, und tat den Mund auf,

ihn anzureden. Aber der Bub tat vor Schreck einen

Brüll, als wenn er am Spieße stäke, und rannte davon,

nach Auerbach zu und hinein. Nach einiger Zeit hütete

der Bube abermals auf jener Wiese und stand träumend

in der heißen Mittagsstunde am Waldesrain. Da

raschelte es am sonnigen Rain, als schlüpfe ein Eidechs

ins Dorngebüsch, der Knabe blickte hin, da sah

er eine kleine Schlange, die trug in ihrem Mund eine

blaue Blume und sprach: Guter, erlöse mich! erlöse

mich! Mit dieser Blume öffnest du droben im alten

Schloß Auerbach die verfallenen Keller und die Fässer

voll Gold, und alles ist dein! Nimm die Blume,

nimm die Blume! – Aber dem Buben wurde es ganz

unheimlich und graulich, er hatte all sein Lebetage

noch keine Schlange sprechen hören – und lief von

dannen, als wenn der wilde Jäger hinter ihm drein

wäre. Als der Spätherbst kam, hütete derselbe Bube

zufällig wieder an derselben Stelle, und da empfing er

wieder einen sanften Backenstreich und sah im Umdrehen

wieder die weiße Jungfrau, welche ihn flehend

ansprach: Erlöse mich! erlöse mich! Ich will dich

reich und glücklich machen. Du allein kannst es, nur

du allein. Ich bin verwünscht, zu harren und zu wandeln,

und kann nicht eher zur Seligkeit eingehen, bis

aus einem Kirschkern, den ein Vöglein auf diese

Wiese fallen läßt, ein Kirschbaum groß und stark gewachsen

ist, der Baum abgehauen und aus ihm eine

Wiege gemacht wird. Nur das erste Kind, das in solcher

Wiege geschaukelt wird, kann dadurch mich erlösen,

daß es mit der blauen Blume, die ich hier halte,

hinauf zur Burg geht und dort die unterirdischen

Schätze hebt. Du bist das Kind, das in solcher Wiege

gewiegt worden. – Als der Bube diese Rede hörte, zitterte

er, und es lief ihm eiskalt über den Nacken, denn

er hatte kein Herz, und wenn der Mensch kein Herz

hat, ist er ein Tropf. Und kreuzigte und segnete sich

und schüttelte mit dem Kopfe. – Wehe mir! Wehe!

rief da die Jungfrau. So muß ich wieder hundert Jahre

harren und wandeln, wehe dir, daß du kein Herz hast,

so sollst du auch keins finden! – Und tat einen lauten

Schmerzensschrei und verschwand.

Der Bube aber ging von diesem Tage an still und

bleich umher und hat nicht lange gelebt.

Eine ähnliche Sage von dem Kirschkern, Baum und

Wiege, an die sich Hoffnung auf Erlösung knüpft,

geht von den Trümmern der Burgruine Raueneck in

Österreich. Dort bei Auerbach aber ist's auch sonst

nicht geheuer. Über das Flüßchen, die Auerbach, geht

ein Brückchen. Als einstens jemand darüberschritt,

hörte er es im Wasser niesen, und zwar dreimal, und

dreimal sprach er: Gott helf! Da stieg die Gestalt

eines Knaben aus dem Wasser und rief: Gott danke

dir, du hast mich erlöst! Darauf hab' ich dreißig Jahre

gewartet. Ein anderer hatte oberhalb der Brücke auch

dreimal niesen hören; zweimal hatte er Gott helf! gerufen,

weil aber niemand einen Dank zurückrief, so

schreit er beim dritten Male: Hole dich der Teufel! –

Da hat es im Wasser einen Wall getan, als wenn sich

jemand in demselben heftig umwälze, und darauf ist

alles stille gewesen.

59. Das versunkene Kloster

Ohnweit des Fleckens Neuenkirchen im Odenwalde

liegt ein stilles einsames Wiesental mit einem kleinen

Weiher ohne Zufluß und ohne Abfluß. Dort hat vorzeiten

ein Nonnenkloster gestanden, und darinnen war

eine junge Novize, die hatte das Gelübde noch nicht

abgelegt. Sie war zum Kloster gezwungen worden

und liebte einen Ritter von einer der nahen Burgen,

der oft zur Nachtzeit, wenn alles ruhte, heimlich in

den Klostergarten kam und die Geliebte sah und

sprach. Eines Abends kam ein müder greiser Pilger an

die Klosterpforte und begehrte Einlaß und Obdach

über Nacht, allein die Priorin und der ganze Konvent

wiesen ihn ab. Nur die Novize bat, des alten Mannes

Bitte doch zu gewähren, allein da sie noch nicht

Nonne war, stand ihr nicht einmal zu, einen Rat zu

geben, und die Pforte des Klösterleins blieb dem Pilger

verschlossen. Da murmelte derselbe einen Fluch,

schwang seinen Stab, schlug dreimal damit an die

Pfortenmauer, und da versank das Kloster mit Kirche

und Konventhaus lautlos in die Tiefe, und wo es gestanden,

breitete eine stille Wasserfläche geheimnisvoll

sich aus. Der Pilger aber schwand hinweg, an

seine Stelle trat der liebende junge Ritter – und traute

gar nicht seinen Sinnen, als er nichts mehr vom Klo-

ster sah. Laut rief er den Namen der Geliebten durch

die öde Stille, die ihn umschauerte, da scholl es aus

der Tiefe herauf: Morgen zu dieser Stunde kehre wieder

zu dieser Stätte! Einen roten Faden, der auf dem

Wasser schwimmen wird, erfasse dann!

Der Ritter tat in der folgenden Nacht, wie ihm geboten

war, er faßte den Faden und zog an ihm, und da

stand sein liebes Lieb vor ihm und küßte ihn und

sprach zu ihm: Unschuldig muß ich mit den andern

büßen, doch ist mir vergönnt, dich zu dieser Nachtstunde

zu sehen, nur darf ich nicht über ihren letzten

Schlag verweilen. Der rote Faden, an dem du mich

emporziehst, ist mein Lebensfaden, darum halte mich

nicht über die Zeit. – Lange sahen sich so die Liebenden

fast in jeder Nacht, bis sie einmal allzu lange

Herz am Herzen ruhten – da hatte der Ritter sein Lieb

zum letzten Male in seinen Armen gehabt. Als er in

folgender Nacht wiederkam und den Faden faßte, da

war er nicht mehr rot – er war durchschnitten – wohl

aber war rot der ganze See, vom Blute der Geliebten

gefärbt. Andere sagen, der Nonnen Mißgunst habe ihn

durchschnitten. Der Liebende blickte traurig in den

See und versenkte sich selbst hinab in die Tiefe. In

Mondnächten rauschen die versunkenen Nonnen bisweilen

herauf und tanzen als Nixen mit Skapulier und

Stola lustigen Ringelreigen am grünen Ufer, und Irrlichter

mischen sich in ihren Reigen.

Der Sagen von Jungfrauen, die aus Weihern emporsteigen

und im Arm der Liebe oder der Freude des

Tanzes die bestimmte Stunde vergessen, worauf von

ihrem Blute die Seen und Weiher gerötet erblickt werden,

gibt es in Deutschland wohl an die tausend.

60. Der Lindwurm auf Frankenstein

Überm Dorfe Eberstadt, zwei Stunden von Darmstadt,

liegen die umfangreichen Trümmer der Burg Frankenstein.

Darauf saß ein Ritter, der hieß Hans, nach andern

aber Georg, drunten im Dorfe aber floß ein

Brunnen, aus dem die Bauern ihr Wasser schöpften,

und auch auf die Burg hinauf wurde solches Wasser

geholt. Neben dem Brunnen wohnte ein greulicher

Lindwurm, der ließ niemand zum Brunnen, es mußte

ihm zuvor ein nicht zu kleines Tier geopfert werden,

ein Schaf, ein Hund, ein Kalb, ein Schwein – er fraß

alles und viel, und solange er fraß, konnte jedermann

zum Brunnen – wenn er aber nichts hatte, so fraß er

die Leute, die zum Brunnen kamen. Da entschloß sich

der Ritter von Frankenstein, das Dorf und die Gegend

von dem schädlichen Ungetüm zu befreien, wappnete

sich und stritt mit dem Lindwurm, der wehrte sich gar

wacker, spie so viel Feuer, als ihm möglich war, aber

der Ritter schlug dem Wurm endlich den Kopf glatt

ab, aber der spitze Pfeilschweif des Drachen kringelte

sich um den Ritter und stach ihn hinterwärts, wo die

Rüstung nicht deckte, in die Kniekehle, und da der

ganze Wurm über und über, außen und innen giftig

war, so mußte der wackere Ritter von Frankenstein

am Drachengifte sterben. Danach ist er begraben wor-

den zu seinen Vätern in die Kirche zu Niederbeerbach

(andere sagen Oberbeerbach), wo die Frankensteiner

schöne Grabmäler haben, und hat auch ein stattlich

Monument erhalten im Harnisch mit Schwert und

Streithammer, lebensgroß. Auf den Lindwurm, der

seinen Schweif nach der Kniekehle richtet, tritt er,

und Engel krönen ihn, ein echtes Bild des christlichen

Märtyrers und Heiligen Ritter St. Georg.

61. Das Frankensteiner Eselslehen

Zu Darmstadt hat es vorzeiten gar böse Weiber gegeben,

wollen hoffen, daß jetzt bessere darinnen sind.

Diese damaligen Weiber prügelten ihre Männer, wie

die Sage geht, nach Noten und so arg, daß die Männer

sich ihrer Weiber und der Schläge nicht anders erwehren

konnten, als daß sie Hülfe bei denen von Frankenstein

über Bessungen suchten. Denen gaben die

Darmstädter alljährlich zwölf Malter Korn, zwei Gulden

und zwei Hessen-Albus Geld, dafür hielten die

Frankensteiner einen Esel, den sandten sie jedesmal

mit gutem handfesten Geleit, wenn er zur Stadt begehrt

wurde, und auf sotanem Esel mußte das Weiblein

reiten, das seinen Mann geschlagen, und zwar

durch die ganze Stadt. Hatte die Frau den Mann geschlagen

unversehens oder war dieser krank und seiner

Kräfte nicht mächtig, so führte der Geleitsmann

den Esel, hatte es aber zwischen Mann und Frau einen

offenen und ehrlichen Kampf gesetzt und er von ihr

 

das Beste abbekommen, so mußte der Mann zu seinem

großen Schimpf den Esel selbst führen. Zu dieser

Zeit ward das Recht und die Sitte gar streng gehandhabt

zu Darmstadt, denn es war allda ein Bürgerausschuß,

der übte die Polizei und war sehr gefürchtet

von allem losen Gesindlein, das nannte ihn, weil er

aus hundert Beisassen bestand, das böse Hundert. Da

geschah es, daß einmal eine ganze Gesellschaft – ein

Kränzchen würde man es heutiges Tages nennen –

böser Weiber sich zusammentat, die Männer weidlich

schlug, und da haben die Männer des bösen Hunderts

an die Frankensteiner geschrieben, daß sie ihnen eilend

nach dem Recht und Gesetz des Burglehens mit

dem Esel möchten zu Hülfe kommen mit seinem Geleitsmann,

und sie wollten beiden, dem Mann und

dem Esel, ihren Stadtboten entgegenschicken, daß der

beide herein nach Darmstadt geleite, sollten genugsam

Mahl und Futter haben, und wenn sie den Esel

gebraucht in ihren Nöten, so sollten beide wieder kostenfrei

zurückgeleitet werden, damit daß die übermütige,

stolze und böse Weibesgewalt möge unterdrückt

werden und nicht weiter einreißen.

Und auch hernachmals ist solche Strafe noch öfter

zu vollziehen nötig gewesen, und andere Orte der

Nachbarschaft haben den Esel auch nötig gehabt, wie

Pfungstadt, Niederramstadt, Crumstadt, Goddlau

usw., und Bessungen allein ist denen Rittern von

Frankenstein hundert Malter Korn vom Eselslehen

schuldig geblieben, daher liehen sie ihnen auch den

Esel fürder nicht mehr, mochten ihre Weiber die Bessunger

noch so sehr schlagen.

62. Das goldne Mainz

Mainz, die uralte Römerstadt nahe dem Zusammenströmen

des Rhein und Main, von welch letzterm sie

den Namen hat, wurde auch, gleich der aurea Roma,

golden genannt, und eine angebaute Berghöhe über

der Stadt empfing den Namen die goldne Luft. Viele

haltlose Fabeln sind aufgebracht worden, wovon der

Name der Stadt herzuleiten, während doch nichts

näher lag als der Nachbarstrom. Die Römer gründeten

dort Werke, deren Trümmer noch sichtbar sind, deren

Name noch forthallt. Ein noch dauerbareres Werk,

das Christentum, in Mainz eingeführt und befestigt,

führte die Stadt zu hoher Blüte. Winfried Bonifazius

wurde der erste Erzbischof zu Mainz, durch ihn und

seinen mächtigen Einfluß ward der Grund gelegt, daß

der Erzbischofsstuhl in dieser Stadt der bedeutendste

in Deutschland wurde, und daß der Erzbischof von

Mainz später zugleich des Reiches Kurfürst, der erste

Mann nach dem Kaiser war. Doch soll Winfried nicht

allezeit die Pracht und Macht gutgeheißen haben, die

in der Kirche immer höher stieg, sondern vielmehr gesagt

und geklagt haben: Vordessen waren die Priester

golden und bedienten sich hölzerner Kelche, in unsern

Zeiten aber bedienen sich hölzerne Priester goldner

Kelche – und Spruch wie Sache vererbten sich so fort

durch alle kommenden Zeiten, nicht nur im goldnen

Mainz.

63. Hatto, Heriger und Willigis

Drei Namen der ältesten Erzbischöfe von Mainz hat

die Sage des Volkes insonderheit von Mund zu Mund

bis auf die späte Nachwelt getragen.

Hatto war gar ein strenger Herr, zornigen, treulosen

Gemütes, ohne Furcht vor Gott und ohne Liebe zu

den Menschen. Er war es, der durch schändlichen

Verrat den edlen Grafen Adalbert von Babenberg in

das Lager König Ludwigs IV. lockte, welcher denselben

enthaupten ließ. Wenn Bischof Hatto eine Rede

bekräftigen wollte, so soll er immerdar das Wort im

Munde geführt haben: Sollen mich die Mäuse fressen,

wenn's nicht wahr ist. Nun trug sich's zu, daß unter

Hattos Regierung eine große Not und Teurung entstand,

daß die Leute Hunde und Katzen aßen und

viele Hungers starben. Und da war des Bettelns und

Gabenheischens in dem Bischofhof zu Mainz kein

Ende, und meinte Hatto, es sei am besten, das arme

Volk käme eilend von der Welt, so hungere es nicht

mehr, und er bliebe ungeplagt. Ließ daher alle Armen

der Stadt in eine Scheune draußen vor dem Tore entbieten,

als wolle er ihnen eine Mahlzeit zurichten lassen,

und als alle darinnen waren, ließ er das Scheunentor

verschließen und die Scheune an allen vier

Ecken anzünden. Da nun die Eingesperrten gar ein

jämmerliches Geschrei erhoben, so sagte der grausame

Bischof: Hört ihr, wie meine Kornmäuse pfeifen?

Nun wird der Bettel wohl ein Ende haben, sollen mich

die Mäuse fressen, wenn's nicht wahr ist! – Und

siehe, da sprang eine Schar Mäuse aus dem Brand der

Scheune hervor und an den Bischof hinan, die bissen

ihn, und ihm graute. Als er nach Hause kam und sich

zur Tafel setzte, liefen Mäuse auf der Tafel herum,

fraßen von seinen Speisen, fielen in seinen Becher

und bissen ihn in die Hände. Über seiner Lagerstatt

und unter ihr und in ihr waren Mäuse und quälten ihn

mit wütenden Bissen – da erkannte Hatto schaudernd

das Gericht Gottes. Nun stand bei Bingen im Rheinstrom

eine Wasserburg, dahin enteilte der Bischof,

dort sicher zu sein, denn über das Wasser, meinte er,

würden die Mäuse nicht kommen. Aber ehe er noch in

das Schiff trat, waren schon die Mäuse drin, und da

half kein Totschlagen, denn sie verkrochen sich, und

ganze Scharen Wassermäuse kamen, die schwammen

mit dem Schiff in die Wette nach der Turminsel bei

Bingen. Auf einem großen Rheinfloß waren nicht so

viele Menschen als Mäuse in und um Bischof Hattos

Schiff. Und als er in dem Turme war, da fielen sie ihn

an und bissen ihn und fraßen ihn bei lebendigem

Leibe, und er litt brennende Höllenschmerzen von den

zahllosen Bissen und verfluchte seine Seele zu allen

Teufeln. Und die Teufel ließen nicht allzu lange auf

sich warten, sie kamen dahergefahren im lichterlohen

Brande und nahmen seine Seele und, was vom Leib

die Mäuse übriggelassen hatten, und warfen es in den

Schlund des Ätna. Und wo an einer Wand oder auf

einer Tafel der Name des Bischofs Hatto zu lesen

war, den nagten die Mäuse ab, selbst sein Gedächtnis

zu vertilgen. Seitdem heißt der Rest von Hattos Wasserburg

im Rhein bei Bingen der Mäuseturm. – Eine

ähnliche Sage von einem Mäuseturm geht auch in der

Provinz Posen, der steht im Goplosee.

Ein frommerer Mann war Erzbischof Heriger, auch

streng, aber gerecht. Einst kam gen Mainz ein

Mensch, der rühmte sich großer Dinge. Himmel und

Hölle habe er durchwandert, und im Paradiese habe er

gesessen. Da nun Heriger nach der Hölle Gelegenheit

fragte, so antwortete der falsche Prophet, die Hölle

liege rings von dichten undurchdringlichen Wäldern

umgeben, des lachte Heriger und sprach: In diesen

Wäldern mag wohl gute Saumast gefunden werden.

Aber sage an, was du im Himmel gesehen? – Im Himmel,

antwortete der Sohn des Vaters der Lügen, da

habe ich Christus sitzen sehen an großer Tafel, Sankt

Johannes war sein Mundschenk – und Christus bewirtete

alle Heiligen mit köstlichem Wein, und Sankt Petrus

nahm sich des Kochens an und des Bratens, da

gab es Essen in Fülle. Darauf sagte Bischof Heriger:

Bessern Schenken als Sankt Johannes konnte sich

Christus nicht erkiesen, denn dieser Gottesjünger

trank nie Wein, während unsere Schenken viel trinken,

aber Petrus kann doch nicht Koch im Himmel

sein, da er des Himmels Pförtner ist. Doch sage an,

welche Ehren dir im Himmel zuteil wurden? Welche

Speise, welchen Trank ließ der Herr des Himmels dir

reichen? An welchem Ort hast du gesessen? – Ich vermaß

mich nicht, mich unter die seligen Himmelsgäste

zu setzen, erwiderte der Lügner, sondern ich hielt

mich heimlich in einem Winkel der Küche und nahm

ein Leberlein oder Stückchen Lunge, das aß ich ungesehen.

So hast du gestohlen in dem Himmel und

konntest an dem heiligen Ort von deiner Art nicht lassen!

rief der Bischof, und der Himmel sendet dich

uns, daß wir dich dafür strafen. Ließ alsobald den

Lügner an den Schandpfahl binden und mit Ruten

stäupen, dann aber gehen, wohin er wollte.

Erzbischof Willigis war ein gelehrter und frommer

Mann und von Herzen demütig. Er war von niederer

und geringer Herkunft, sein Vater war ein armer Rademacher.

Das machte ihm Neid bei den adeligen

Domherren, die ihre Ahnenproben ablegen mußten

und beschwören, die malten ihm heimlich Räder an

die Türen und Wände seines Bischofhofes, zu

Schmach und Schimpf, und spotteten: Das ist unsers

Bischofs Ahnenwappen. Willigis aber, der fromme

Mann, nahm sich das mitnichten als eines Spottes an,

er ließ über seiner Bettstätte ein hölzernes Pflugrad

aufhängen und in seine Gemächer weiße Räder in rote

Wappenfelder malen und dazu einen Reim setzen, der

lautete: Willigis, Willigis, denk, woher du kommen

sis. Und nachher haben dem frommen Willigis zum

Gedächtnis alle nach ihm kommenden Erzbischöfe

dieses Rad als Wappenzeichen beibehalten, und Stadt

und Bistum Mainz haben es angenommen und beibehalten

bis auf den heutigen Tag.

64. Die heiligen Kreuze zu Mainz

Zu Mainz hat eine schöne Kirche in der frühern Zeit

den Namen Zu Unsrer Lieben Frauen im Felde geführt,

das Volk aber nennt sie Heiligkreuz. Ein Schiff

kam gefahren mit Männern und Frauen, die sahen in

der Luft ein schimmerndes Kreuz schweben, das

ihrem Schiffe nachzog und an seinen Mast sich heftete.

Nahe der alten Schiffbrücke beim Holztor legte

das Schiff an, und siehe, da war das schimmernde

Kreuz kein Luftgebilde, sondern ein ehernes kunstvolles

Kruzifix von wundersamer Meisterarbeit. Um nun

dessen Bestimmung zu erkunden, wurde es zwei ungejochten

und ungeschirrten Ochsen auf den Rücken

gelegt, und diese ließ man ohne Leitung und Führung

gehen, und da trugen sie das Kreuz auf den

Hechtsheimer Berg, dort ward eine Kirche erbaut und

das Wundergebilde darinnen zur Verehrung aufgestellt.

Viele Kranke sind genesen, die vor dem Kreuze

in Andacht knieten, bis die Kirche mit mehreren anderen

in Flammen aufging, als Markgraf Albrecht von

Brandenburg 1552 die Stadt Mainz einnahm. Zwischen

dem Holz- und Bockstor aber ward noch lange

Zeit ein Gemälde gesehen, davon noch heute Spuren

zu entdecken sind, darstellend ein Kreuz, hangend an

den Segeln eines stromaufwärts fahrenden Schiffes.

Zwischen der Kirche zum Heiligen Kreuz und St.

Alban stand vorzeiten eine offene Kapelle, darinnen

war ein hölzern Kruzifix, darunter Maria und Johannes,

zur Verehrung der Gläubigen aufgestellt. Nun

lebte zu Mainz ein Bürger, des Name war Schelkropf,

ein Spieler und Trunkenbold, der wenig aus dem

Wirtshaus zur Blume kam, das in der ehemaligen

Vorstadt Vilzbach stand. Eines Tages hatte er alles,

was er besaß, verspielt und vertrunken und verwünschte

in seinem wilden Rausche sich, Gott und

alle Heiligen und schwur, mit seinem Schwerte das

erste beste heilige Bild, auf das er stoße, mitten voneinander

zu hauen. So taumelte er durchs Feld, und

kam an die offene Kapelle, und rannte auf die hölzernen

Bilder an, und stach und hieb. Und siehe, da

sprangen ihm aus den leblosen Bildern, zumal aus

dem Kruzifix, Ströme Blutes entgegen. Entsetzt stand

er und sinnverwirrt, das Schwert entfiel seiner Hand,

und so ward er gefunden und gefangen. Fromme

Hände fingen in Schalen das rinnende Blut auf. Schelkropf

wurde für seinen unerhörten Frevel lebendig

verbrannt, das wundertätige Christusbild aber und das

heilige Blut brachte man in die nahe Kirche. Als diese

in Flammen aufging, blieb dieses heilige Kreuzbild

verschont und ward gerettet, und noch heute wird es

den Gläubigen in der St. Christophskirche zu Mainz

gezeigt.

65. Heinrich Frauenlobs Begängnis

Es war in deutschen Lande ein Minnesänger, der sang

viel süße Weisen zum Lobe der Frauen, vor allen zum

Preise von aller Frauen Krone, deshalb gewann er

auch den Namen Frauenlob, denn sein rechter Name

 

war Meister Heinrich von Meißen. Viele Reisen

machte der Sänger von einem deutschen Hofe zum andern,

er sang irdische und sang Gottesminne. Zu Rostock

war Markgraf Waldemar von Brandenburg gesessen,

der hatte einen Rosengarten, und ließ ein Festsingen

halten, da war Meister Heinrich der erste Singer.

Einstmals lauerten Feinde ihm auf und umringten

ihn mit Dräuen, sie wollten ihn töten. Da bat er, sie

sollten ihm noch einen Sang zum letzten vergönnen,

und als sie das taten, sang er so rührend zum Preise

der himmlischen Frauen, daß jede gehobene Waffe

sich senkte und die Feinde ihn ungehemmt und ungeschädigt

von dannen ziehen ließen. Auf seinen Sangesfahrten

kam Meister Heinrich auch nach Mainz

und verstarb allda und wurde begraben im Umgang

des Domes, neben der Schule, mit großen Ehren. Von

seiner Herberge bis zur Grabstätte trugen ihn Frauen

und erhoben um ihn großes Weinen und Wehklagen,

des großen Lobes willen, welches der Sänger dem

ganzen weiblichen Geschlecht zeit seines Lebens er-

teilt hatte. Und mit den Tränen, die sie vergossen, zugleich

gossen sie eine Fülle edlen Weins auf Meister

Heinrichs Grab, daß der Wein durch den ganzen Umgang

der Kirche umherfloß. Und wäre manchem

Dichter, der auch die Frauen minnt und preist, lieber,

sie gäben ihm solchen Wein beim Leben. Mehr als

ein Denkmal ist Heinrich Frauenlob errichtet worden

im Dom zu Mainz, und seine Sänge sind noch unvergessen.

66. Die heilige Bilhilde

Zu Hochheim am Main saß ein Geschlecht edler Franken,

und noch gewahrte man in neuern Zeiten beim

Ziehbrunnen allda Reste ihres Burgsitzes. Das war zu

den Zeiten Chlodowigs, des Frankenkönigs. Dieses

Geschlechtes einer hieß Iberich, dem ward ein Töchterlein

geboren, das wurde Bilhilde geheißen, aber es

empfing nicht die heilige Taufe, weil durch Feindesverheerung

alle Priester gemordet oder entwichen

waren. Doch sendeten die Eltern das junge Töchterlein

in seinem dritten Jahre gen Würzburg zu Kunegunde,

einer Verwandten, und dort empfing es Lehre

und wurde unter die Zahl junger Katechumenen von

den Priestern aufgenommen. Zur Taufe gelangte das

Kind aber dennoch nicht, denn man hielt es für getauft,

und es selbst wußte nicht, daß es noch nicht der

Taufe Sakrament empfangen. Das Mägdlein wuchs

und blühte heran in Tugend und Gottesfurcht. Bilhilde

blieb frei von Heidengreueln, die dazumal noch

neben dem Christentum im Frankenlande heimisch

waren, und der Ruf ihrer Schönheit, Frömmigkeit und

Sitte drang weit umher in alle Gauen. Davon vernahm

auch Hetan, des Thüringer Herzogs Ratulf Sohn, der

war schon einmal vermählt gewesen und hatte zwei

Söhne, und warb um die junge Bilhilde; Hetan aber

war noch ein Heide, und Bilhilde nahm ihn nur auf

den dringenden Wunsch ihrer Eltern zum Gemahl,

und in der Hoffnung, es werde ihr gelingen, ihn zum

milden Christentum samt den Seinen zu bewegen.

Solches gelang ihr aber mitnichten, zu ihrer großen

Kümmernis, daher lebte sie sehr still und schmucklos,

in den Übungen strenger Kasteiung und Buße. Hetan

fand den Tod in der Schlacht, und seine Witwe empfand

ein Sehnen nach ihrer Mutter, auch ward ihr von

dem Thüringervolke mit Undank gelohnt, daß sie die

Christuslehre unter ihm auszubreiten bemüht gewesen,

sie wurde verfolgt und zur Flucht genötigt und

stieg mit ihren Jungfrauen zur Nacht in ein Schiff

ohne Steuer und Fährmann. Aber Engel erschienen,

die lenkten das Schifflein an allen Untiefen und an

allen Klippen glücklich vorüber auf der langen weiten

Stromfahrt, von der fränkischen Saale in den Main

und vom Main an Hochheim vorüber, und landete in

Mainz an, wo Siegbert, Bilhildens Ohm, Bischof geworden

war, der empfing die fromme Jungfrau gar liebevoll,

gab ihr Wohnung und half ihr zum Besitz

ihres Erbes in Hochheim, denn ihre Eltern waren

indes verstorben. Darauf stiftete die fromme Bilhilde

ein Kloster, Altenmünster zu Mainz, von ihrem Erbgut,

lebte gottergeben, züchtig, mildtätig, bis ihr Lebensziel

fast erreicht war. Da träumte dreien Nonnen

im selben Kloster, dem Bilhilde als Äbtissin vor-

stand, daß ihre Mutter und Oberin noch gar nicht getauft

sei, und offenbarten es ihr, aber sie wollte und

konnte das gar nicht glauben, bis es durch ein anderweites

Gesicht oder durch die Stimme eines Engels

auch ihrem Ohm offenbart wurde, der dann die fromme

Christin in den Christenbund aufnahm. Nachher

hat Bilhilde sich dem Weltleben völlig abgetan, und

als sie verstarb, erschien ein Lichtglanz um ihre irdische

Hülle, und Wohlgeruch erfüllte ihre Zelle. Kranke

genasen in ihrer Nähe, Blinde wurden sehend, und

Tote wandelten. Bilhilde wurde die erste Heilige des

Frankenlandes.

Viele sagten, Bilhilde sei noch beim Leben ihres

Gemahls Hetan auf so wunderbar geleitetem Schifflein

nach Mainz gekommen. Auch liegt eine Meile

unterhalb Würzburg am Mainstrom ein Ort, heißt

Veitshöchheim, der hat sich auch, gleich Hochheim,

Bilhildens Herkunft, und daß sie ihm entstamme, angenommen,

hat ihr einen eigenen Festtag gestiftet und

bewahrt und verehrt von ihr Reliquien.

67. Der Franken Furt

Die Sage geht, daß die freie deutsche Stadt Frankfurt

ihren Ursprung in solcher Weise erhalten habe. Unter

Kaiser Karl dem Großen kriegten die Sachsen gegen

die Franken und ihren mächtigen König, und waren

erstere siegreich und trieben die Feinde bis hinab zum

Ende des Mainstroms. Wie nun die Franken flüchtig

an diesen Strom und an die Stelle kamen, wo jetzt

Frankfurt liegt, und des Stromes Breite und Tiefe sie

erschreckte, da sie weder Brücke noch Schiffe hatten,

über den Main zu gelangen, siehe, da zeigte ihnen

eine Hirschkuh gleichsam nach dem Ratschluß göttlicher

Barmherzigkeit den Weg, indem sie ohne Gefahr

durch den Strom schritt und also eine Furt anzeigte,

wo die flüchtigen Franken nun ohne Gefahr über den

Strom setzen konnten und setzten. Da nun später die

nachfolgenden Feinde kamen und jene Furt nicht

kannten und fanden, so mußten sie die Franken ferner

unverfolgt lassen, und Karl der Große soll gesprochen

haben: Besser, daß die Völker sagen, ich sei mit meinen

Franken vor den Sachsen dieses Mal geflohen, als

daß sie sagen, ich sei hier gefallen, denn weil ich lebe,

kann und will ich meine Ehre retten. Dort nun siedelten

Franken sich an, denn es war ein lieblich und

fruchtreich gelegener Gau, und nannten den Ort die

Furt der Franken, Frankfurt. Manche sagen, gleich damals

haben die Sachsen den Ort Sachsenhausen,

Frankfurt gegenüber dicht am Mainstrom, begründet,

andere aber behaupten, dessen Gründung sei erst dann

geschehen, als Karl der Große überwundene Sachsen

aus ihrem Heimatlande hinweg und zur Ansiedelung

im Frankenlande genötigt habe, von welcher bis auf

den heutigen Tag noch viele Ortsnamen zeugen. Später

erbaute Kaiser Karl selbst eine kleine Pfalz zur

Frankenfurt und hielt sich Jagens halber gern dort auf,

feierte Ostern da und hielt Reichskonvente. Auch

Karls des Großen Sohn, König Ludwig, wohnte da,

recht in seines weiten Reiches Mitte, und sein Sohn

Karl, hernachmals Karl der Kahle genannt, ward allda

geboren. Noch immer wird die seichte Stelle im Main

gezeigt, wo der Franken Furt war und Frankfurts erster

Anbau und Name sich begründete, und Kaiser

Karls Pfalz stand da, wo jetzt die St. Leonhardskirche

steht, und die neue Pfalz, welche Ludwig der Fromme

erbaute und der Saal hieß, lag neben dem Fahrtor,

davon hat noch bis heute die Saalgasse ihren Namen.

Im Saalhof starben Ludwig der Deutsche, des frommen

Ludwig jüngster Sohn, wie auch Hemma, dessen

Gemahlin. Dieser König war es, der Frankfurt zu des

ostfränkischen Reiches weltlicher Hauptstadt erhob,

während Mainz die geistliche war.

68. Des Königs Weihnacht

Wo jetzt der Dom zu Frankfurt steht, stand schon zu

König Ludwig des Deutschen Zeiten eine Kapelle, die

hieß der Rudtlint, wie auch später zu St. Salvator, und

war der heiligen Jungfrau Maria und Karl dem Großen

geweiht. Ludwig der Deutsche feierte das Weihnachtfest

in seiner Pfalz zu Frankfurt am Main und

berief dorthin eine Reichsversammlung. Da geschah

es, daß der Teufel in Gestalt eines Priesters und guten

Geistes zu Ludwigs Sohne, Karl, trat und zu ihm

sagte: Siehe, du bist der Jüngste unter deinen Brüdern,

und dein Vater will das Reich deinem Bruder

Karlmann geben, das doch dir von Gott bestimmt ist,

und will dich verderben, solches will Gott nicht leiden.

Karl aber entsetzte sich vor der Versuchung und

eilte in die Kapelle, indem er rief: Hebe dich weg,

Versucher! Du bist kein Bote von oben! Der Teufel

aber folgte ihm in die Kirche nach und sprach: Wäre

ich nicht ein Bote von oben, wie dürft' ich mit dir eintreten

in dieses Gotteshaus? Wie dürft' ich das Sakrament

des Altars, das heilige Meßopfer, vollziehen? –

Und so betörte er Karls Sinn mit dem Trug der Hölle,

und las die Messe, und reichte ihm die gebenedeite

Hostie, und mit der Hostie fuhr er in ihn und besaß

ihn.

Da nun die Reichsversammlung war, redete Karl

unsinnig in ihr, riß sich das Wehrgehenk von der

Seite, schleuderte es samt dem Schwerte mitten in den

Saal, riß den Gürtel sich ab und die Gewande vom

Leibe und ward heftig hin und her gerüttelt, so daß

alle Anwesenden sich entsetzten. Die Bischöfe aber

ergriffen den vom bösen Feind Besessenen und führten

ihn in die Kapelle, und der Erzbischof begann die

Messe über ihn zu singen. Da begann Karl laut zu

klagen und Weh über Weh zu schreien in einem fort,

bis die Messe zu Ende war, aber die Priester ließen

nicht ab mit Gebet, bis der Feind wieder von dem Königssohne

wich und Karl durch Gottes Barmherzigkeit

geheilt ward. Hielt also König Ludwig gar eine

trübe Weihnacht zu Frankfurt. Aber was des Teufels

Bosheit des Königs Sohn eingeflüstert, erfüllte sich

später dennoch, denn Karlmann und Ludwig starben

beide vor ihm, und Karl erhielt des Deutschen Reiches

Krone, wenn auch nur auf kurze Zeit, denn er fiel

in Schwermut und gab sich ganz in die Hände der

Pfaffen. Da entsetzten ihn die Fürsten des Reiches

und gaben das an Arnulf, einen natürlichen Sohn seines