Tosh - La Famiglia

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Die lapidare Bemerkung fühlt sich an, als hätte mir Carlo einen seiner berüchtigten Magenschwinger verpasst.

Nein! Niemals! Niemals werde ich Minnie freigeben! Der Tod ist zu gut für sie. »Mal sehen, Boss«, sage ich mühsam beherrscht. »Jetzt kümmere ich mich erst mal um die Fotze dieser Anwältin.«

Er hat Minnies Tod nicht ausdrücklich befohlen. Also muss ich vorerst gar nichts. Und wenn Carlo darauf besteht, dass Minnie aus dem Weg geräumt wird – dann kann ich ihn immer noch darum bitten, es sich anders zu überlegen. Auch wenn eine Bitte an den Boss in der Regel unangenehme Nebenwirkungen hat, egal ob sie gewährt wird oder nicht. Aber Minnie leiden zu sehen, entschädigt mich für so vieles, darauf kann ich unmöglich verzichten.

Nachlässig stecke ich die Waffe weg, die Luca mir zurückgibt. Mehr Sorgfalt lasse ich beim Anstecken der Ringe walten. Denn nach Carlos letzter Bemerkung kann ich es kaum erwarten, mich irgendwo abzureagieren. Und immerhin wartet ja noch Hugo in meinem Büro auf mich, wenn auch sicher nicht besonders sehnsüchtig.

Denn meinen Leuten dürfte klar sein, dass ich keine zwei Fehler an einem Tag toleriere.

Kapitel 4


München, 27. Mai 2019, vormittags

Meine Chefin Christine war den Freitag über bei Gericht, aber ich habe eigentlich schon damit gerechnet, dass ich spätestens am Montag ein Feedback zu meiner Arbeit erhalte. Doch in meinem E-Mail-Postfach herrscht gähnende Leere.

Stattdessen ackere ich für Annabel, eine der Juniorpartnerinnen, einen ganzen Stapel Akten durch. Immer auf der Suche nach einem Hinweis, dass ihr Mandant sich nicht der Insolvenzverschleppung schuldig gemacht hat. Gegen Mittag komme ich langsam zur Erkenntnis, dass bei ihrem Klienten am besten eine dissoziative Störung in Form von multiplen Persönlichkeiten diagnostiziert werden sollte. Anders lässt sich kaum erklären, wie der Geschäftsmann übersehen konnte, dass seine Firma seit Jahren überschuldet war.

Ich bin beim vorletzten Ordner angekommen, als Milena, unsere Empfangsdame, mein schuhkartongroßes Büro betritt. Wie immer winden sich ihre Haare in mehreren komplizierten Flechten um ihren Kopf, ein Look, der jeden Brautfriseur neidisch machen würde, sieht sie doch aus wie die perfekte Sissi-Kopie. Ich bekomme allein bei dem Anblick Kopfschmerzen.

»Sie müssen sofort los, Mayra!«

»Ich muss vor allem diese Akten durcharbeiten, damit sich Annabel auf ihren Termin vorbereiten kann«, berichtige ich.

»Christine will sich in einer halben Stunde in einem Restaurant namens Blue Parrot mit Ihnen treffen.«

Ich zucke zusammen und spüre, wie sich mein Magen augenblicklich verkrampft. Mühsam hole ich Luft, doch Milena scheint nichts zu merken.

»Ich habe schon ein Taxi bestellt, sonst schaffen Sie das nicht. Das ist irgendwo in Giesing, das Lokal.«

Ja, ich weiß.

»Vielen Dank, Milena«, sage ich mühsam beherrscht, und sie verschwindet wieder.

Okay. Eine halbe Stunde, um mich so weit zu sammeln, damit ich dieses verflixte Restaurant ruhig und gelassen betreten kann, wie es sich für eine besonnene Anwältin gehört. Dabei hatte ich so gehofft, nie wieder einen Fuß in das Blue Parrot setzen zu müssen.

Ich atme einige Male tief durch und überprüfe den korrekten Sitz meines Kostüms, dann verlasse ich das Gebäude, vor dem bereits ein Taxi mit laufendem Motor steht. Um kein Gespräch mit einem geschwätzigen Taxifahrer zu riskieren, steige ich hinten ein. Das kann doch nicht wahr sein! Da habe ich sowieso schon damit zu kämpfen, dass ich ständig den anderen Anwältinnen in der Kanzlei zuarbeiten muss, und jetzt holt mich ausgerechnet diese alte Geschichte wieder ein.

Was will Christine überhaupt dort? Noch nie habe ich gehört, dass sie sich mit einer ihrer Angestellten zum Essen getroffen hat, und selbst wenn, wie hoch ist denn die Wahrscheinlichkeit, dass es bei all den Restaurants, die es in München gibt, just das Blue Parrot sein muss?

Dabei wäre mir ein alberner Zufall immer noch lieber als die Alternative: Meine Chefin weiß, dass dieses Lokal eine unrühmliche Rolle in meiner Vergangenheit gespielt hat. Könnte sie davon Wind bekommen haben? Will sie mich darauf ansprechen? Und wenn ja, wie zum Teufel soll ich damit umgehen?

Aber ich bin nicht Anwältin geworden, ohne zu ahnen, dass man in diesem Job in heiklen Situationen ruhig und überlegt handeln muss. Ich konzentriere mich also den Rest der Strecke ausschließlich auf meine Atmung. Was immer mich erwartet – ich schaffe das! Hoffe ich.

Das Taxi hält direkt vor dem Blue Parrot. Das feudale italienische Restaurant hat sich in den letzten Jahren kein bisschen verändert. Durch die verspiegelte Fensterfront kann man nicht hineinsehen, und der pompöse Eingang mitsamt rotem Teppich und zwei Türstehern, die den Blick eisern in die unendlichen Weiten des Universums gerichtet haben, vermittelt nicht nur den Eindruck von Exklusivität, sondern signalisiert auch eindeutig, dass man hier willens und in der Lage ist, jeden ungebetenen Besucher abzuweisen. Hoffentlich komme ich überhaupt rein. Oder sollte ich besser darauf hoffen, dass nicht?

Während die beiden Türsteher mich gekonnt weiter ignorieren, öffnet ein sehr junger Italiener die Eingangstür, kaum dass ich mich dieser nähere, und kommt mir über den roten Teppich entgegen. Er ist überkorrekt mit schwarzem Anzug und Fliege gekleidet und könnte durchaus als Modell für eine Statue von Michelangelo durchgehen, wäre da nicht diese leicht schiefe Nase mit einem dunklen Schatten an einer Seite.

»Signorina Jennings?«, überrascht er mich. »Sie werden erwartet.«

Ich folge ihm in das Innere des Restaurants, das aus einer Ansammlung lauschiger Nischen besteht, die durch luftige Vorhänge voneinander getrennt sind. Ich zweifle allerdings nicht daran, dass bei Bedarf rasch für mehr Privatsphäre gesorgt werden kann. Im Augenblick sind nur wenige Gäste im Lokal, und ich erwarte eigentlich, dass Christine an einem der runden Tische mit den schweren weißen Leinendecken sitzt. Doch dann entdecke ich meine Chefin mit ihrer auffälligen Löwenmähne und dem eng geschnittenen Kostüm an der Bar. Mir ist eiskalt.

»Mayra, na endlich! Herrn Silvers sollte man nicht warten lassen.«

Aha?

»Wenn die Damen bitte mitkommen wollen?«

Ehe ich mich versehe, haben wir den Gastraum durch eine unauffällige Tür wieder verlassen und folgen dem jungen Italiener durch ein Wirrwarr von breiten Gängen. Unsere Absätze klackern auf dem glänzenden Marmorboden, während unser Führer sich fast lautlos bewegt. Ich hätte ja die Küche des Blue Parrot hier hinten erwartet, stattdessen scheint es eine Unmenge weiterer Räumlichkeiten zu geben, die das reinste Labyrinth bilden. Je tiefer wir in die Eingeweide des Gebäudes vordringen, desto stärker wird das ungute Gefühl in meiner Magengegend. Ich schiele zu Christine hinüber, doch deren Gesicht verrät nichts. Bei mir hingegen verstärkt sich mit jedem Schritt die Befürchtung, zu meiner eigenen Hinrichtung geführt zu werden.

Wir biegen mehrmals ab, der junge Mann in dem dunklen Anzug öffnet etliche Türen für uns, bis wir schließlich zu einer breiten Treppe gelangen, an deren Ende uns eine dicke Glastür mit den eingravierten Buchstaben Alpha Salvage – Unternehmensberatung erwartet.

Das macht jetzt allerdings nicht den Eindruck, als hätte Christine vor, mich mit meinen Jugendsünden zu konfrontieren. Trotzdem fühle ich mich hier extrem unwohl. Wir werden in ein Vorzimmer geleitet, wo uns eine Sekretärin wie aus dem Bilderbuch erwartet. Mittleres Alter, die Föhnfrisur mit tonnenweise Haarspray fixiert, Perlenkette, dezentes Kostüm.

»Ich sage Herrn Silvers sofort Bescheid«, zwitschert sie, entschwindet durch eine Tür – und taucht nicht mehr auf.

Gerne würde ich Christine ja fragen, um was es hier geht, aber die wehrt jeden Versuch, ein Gespräch zu beginnen, mit einer unwirschen Handbewegung ab und verschickt eifrig Nachrichten von ihrem Smartphone. Ich habe nichts zu verschicken, also bleibt mir nichts übrig, als die spartanische Einrichtung zu mustern. Mann, wenn ich das gewusst hätte, hätte ich Annabels Akten mitgenommen!

Gerade als ich anfange zu glauben, dass man uns garantiert vergessen hat, taucht die Sekretärin wieder auf.

»Herr Silvers erwartet Sie.«

Keine Ahnung, was ich erwartet habe. Zunächst bin ich einfach nur froh, dass ich den Mann, der sich doch noch bequemt hat, uns zu empfangen, nie im Leben gesehen habe und ich mir endlich sicher sein kann, dass es hier definitiv nicht um mich geht. Zum Glück!

Herrn Silvers’ Büro ist ungefähr fünfmal so groß wie meine ganze Wohnung. Das muss allerdings so sein, denn nur so kommt der schwere Konferenztisch aus poliertem Holz richtig zur Geltung. Ob man das Gebäude um den imposanten Tisch herum errichten musste? Überhaupt ist alles hier riesig: der Schreibtisch im hinteren Teil des Raumes, das Ölgemälde einer italienischen Stadt dahinter, die lange Fensterfront – und der Mann, der uns an dem Besprechungstisch erwartet.

Er trägt einen perfekt sitzenden dunklen Anzug, der bei diesen breiten Schultern einfach maßgeschneidert sein muss. Das schwarze Hemd und eine ebensolche Krawatte komplettieren den finsteren Look, obwohl er seine dunkelblonden, glatten Haare um einiges länger trägt, als es normalerweise bei Geschäftsleuten üblich ist. Wirklich gruselig sind aber die breiten silbernen Ringe, die seine Hände schmücken und die eher an die Finger eines Rockers passen würden. Ebenso wie seine Manieren, denn Herr Silvers hält es nicht für nötig, aufzustehen oder uns gar entgegenzugehen, sodass ich alle Zeit der Welt habe, ihn zu mustern, während wir über das glänzende Parkett, das jedem Ballsaal alle Ehre machen würde, auf ihn zugehen.

 

»Nehmen Sie Platz.«

Seine Stimme ist befehlsgewohnt und hat einen dunklen Unterton, der mir unwillkürlich einen Schauer über den Rücken jagt. Obwohl der durchaus auch von meinem wachsenden Unmut herrühren könnte, denn ein freundlicher Handschlag ist ebenso wenig vorgesehen wie eine Entschuldigung für die lange Wartezeit. Ungehobelter, arroganter Blödmann!

Ich beiße die Zähne zusammen und nehme neben Christine auf einem der Stühle Platz, die auf der Längsseite des Tisches Herrn Silvers gegenüber bereitstehen. Dass diese reichen Typen glauben, sie könnten sich alles erlauben, weiß ich nur zu gut. Er wird schon entgegenkommender werden, wenn sich erst herausstellt, welcher Straftat er sich schuldig gemacht hat. Steuerhinterziehung, rate ich.

Es ist in München fast nicht möglich an Steuerhinterziehung zu denken, ohne dass einem dabei der ehemalige Manager des FC Bayern in den Sinn kommt. Selbst wenn dieser Typ hier nicht so prominent ist, wenn es um ähnlich viel Geld geht, wird sich dieser Fall verdammt gut in meiner Vita machen, auch wenn ich nur als Christines Assistentin fungiere. Ich zwinge mich zu einem Lächeln.

»Wie ich bereits am Telefon sagte, geht es um ein umfassendes Vertragswerk zur Regelung der geschäftlichen Beziehungen zwischen Alpha Salvage und Bio Gieseke …«

Gieseke? Das sind doch die Läden von diesem Koch. Der hatte mal eine erfolglose Show bei einem Privatsender, bis er die gesunde Ernährung für sich entdeckt hat, und unter den Augen von Tausenden Followern die Wandlung vom Grillmeister zum Vegetarier und schließlich zum Veganer vollzogen hat. Ich mag das nicht, dieses zur Schau gestellte Gutmenschentum, aber prominent ist der Gieseke auf jeden Fall. Wenn Herr Silvers Ärger mit dem hat, wirds echt interessant.

»Herr Gieseke plant, seine Geschäftsbeziehungen über Europa hinaus auszuweiten, sodass einige grenzüberschreitende Verträge vorbereitet werden müssen.«

Ich verstehe nicht ganz, was das mit uns zu tun hat. Das kann allerdings auch daran liegen, dass ich überhaupt zunehmend Schwierigkeiten habe, mich auf Herrn Silvers’ Ausführungen zu konzentrieren. Denn der unterhält sich zwar mit Christine, sieht dabei aber die ganze Zeit mich an. In seinen blaugrauen Augen scheint eine Herausforderung zu liegen, die ich nicht recht einordnen kann. Zu gerne würde ich wegsehen, aber ich denke gar nicht daran, wie ein nervöses Schulmädchen die Augen niederzuschlagen. Hoffentlich kommt er bald zu dem Punkt, an dem klar wird, wieso er eine Anwältin aus einer Kanzlei für Wirtschaftsstrafrecht benötigt, bevor nicht mehr zu übersehen ist, dass er mich nervös macht.

Ich versuche, mich mit der Frage abzulenken, weshalb ein Mann, der offenbar vermögend, erfolgreich und zudem mit seinem scharf geschnittenen Gesicht und der markanten Nase nicht wirklich schön, aber auf jeden Fall faszinierend zu nennen ist, so unhöflich sein muss. Nicht nur, dass er Christine kaum beachtet, er lässt sie nicht mal ausreden, wenn sie überhaupt zu Wort kommt. Gott sei Dank ist das nicht mein Mandant!

»Frau Jennings würde Ihnen gerne bei der Ausarbeitung der Verträge behilflich sein«, sagt meine Chefin in diesem Moment.

Wie bitte?! Nein, würde sie nicht!

»Zudem sollten die Verträge so ausgelegt sein, dass die Steuerlast der beteiligten Unternehmen minimiert wird«, fügt Herr Silvers noch hinzu.

»Sie wollen Steuern hinterziehen?«, frage ich kühl.

Da offenbar geplant ist, dass ich mich mit diesem Klienten herumärgere, wird es höchste Zeit, mal ein paar Dinge klarzustellen.

»Selbstverständlich nicht«, gibt er völlig gelassen zurück. »Dazu benötige ich ja eine Anwältin, damit ich mich nicht aus Versehen strafbar mache.«

»Wenn Sie Steuerspartricks brauchen, sollten Sie einen Steuerberater engagieren.«

»Sie können sich sicher sein, dass ich Ihre Kanzlei sehr sorgfältig ausgewählt habe.«

»Da ist Ihnen vielleicht entgangen, dass unser Schwerpunkt im Wirtschaftsstrafrecht liegt. Wir können Ihnen sicher einen geeigneten Kollegen empfehlen.«

Schließlich ist Herr Silvers nicht der Einzige, dem nicht so ganz klar ist, wo die Aufgabenschwerpunkte unserer Kanzlei liegen.

Er zieht eine Augenbraue hoch, da fährt Christine dazwischen: »Wenn Sie uns bitte einen Augenblick entschuldigen würden, Herr Silvers, ich müsste ganz kurz etwas mit meiner Kollegin besprechen.«

Was?

»Nur zu«, sagt er süffisant, und schon befinden wir uns wieder auf dem elend langen Weg aus dem Büro hinaus.

Christine zerrt mich förmlich auf den Flur, bevor sie mich wütend anzischt: »Sind Sie komplett wahnsinnig geworden, Mayra?«

»Aber das ist nicht unser Fachge…«

»Scheißegal!«, fährt sie mir über den Mund. »Wenn Carlo Cortones inoffizielle Nummer eins eine meiner Anwältinnen engagieren will, dann wird er die bekommen, oder diese Anwältin kann sich keine großen Hoffnungen auf eine erfolgreiche Zukunft in meiner Kanzlei machen, ist das angekommen?«

Äh, droht sie mir gerade?

»Ja …«, sage ich gedehnt, was bleibt mir auch anderes übrig?

»Gut«, zischt meine Chefin. »Sie haben zwei Minuten. Dann werden Sie sich bei Herrn Silvers entschuldigen, oder Sie können sich schon mal eine Umzugskiste mit ins Büro bringen.« Nach diesen Worten lässt sie mich einfach stehen.

Ich schlucke. Eindeutiger gehts nicht. Die Umzugskiste werde ich sicher nicht brauchen, um in ein höheres Stockwerk zu wechseln.

Mein Herz hämmert, während ich den Sekundenzeiger meiner Armbanduhr beobachte und mich aufs Atmen konzentriere. Ich schaffe das. Silvers ist nicht der erste Arsch in meinem Leben, und er wird sicher nicht der letzte sein. Meine Karriere lasse ich mir von so einem aber nicht versauen. Auch wenn ich große Lust hätte, ihn und Christine zum Teufel zu jagen.

Kapitel 5


München-Giesing, 27. Mai 2019, mittags

Ich habe mir Mayra als Emanze fortgeschrittenen Alters vorgestellt, die in wallendem Gewand über den Straßenstrich latscht und ihre Kärtchen verteilt. Oder vielleicht auch als vertrocknete, hässliche alte Jungfer. Nach Georgs Dossier in meinem Postfach musste ich das bereits revidieren. Sie ist verdammt jung. Dazu die Adresse der Kanzlei, für die sie arbeitet: Residenzstraße. Da schlappt man nicht in Birkenstocks durchs Büro, jedenfalls nicht in Mayra Jennings Alter, wenn man erst noch Karriere machen will. Leider hatte Georg nur eine Kopie des Personalausweisfotos mitgeschickt, darauf wirkte sie streng und unnahbar. Also dachte ich an eine spröde Karrierefrau im Jil-Sander-Kostüm, sehr geschäftsmäßig und stets bemüht, nur keinen Hinweis auf irgendwelche weiblichen Formen zu zeigen.

Nun betritt sie nach dem kleinen Eklat vorhin zum zweiten Mal mein Büro, und ich sollte mich wirklich bei Carlo bedanken. Die Kleine ist definitiv heiß. Nicht sehr groß, aber mit überaus interessanten Kurven an den richtigen Stellen. Das braune Haar hat sie am Hinterkopf zu einem dicken Knoten zusammengesteckt, und den Mann möchte ich sehen, den es nicht in den Fingern juckt, die Spange zu lösen, damit sich ihre Haare über ihren Rücken ergießen. Es wird Spaß machen, die Hände in dieser Pracht zu vergraben, während ich sie zum Stöhnen bringe. Ich habe definitiv schon hässlichere Mädels gefickt.

Dass ihre Chefin alleine zurückkam, hat mich kurz irritiert. Doch die wollte nur die Unerfahrenheit ihrer Mitarbeiterin betonen und sich für die Scherereien entschuldigen. Was nicht nötig gewesen wäre. Dass die Kleine nicht weiß, mit wem sie es zu tun hat, habe ich auch so gemerkt.

»Entschuldigen Sie bitte das Missverständnis, Herr Silvers. Ich würde mich sehr freuen, für Sie tätig werden zu können.« Mayras Gesicht bleibt dabei ohne jeden Ausdruck. Sie muss entweder stinksauer oder verängstigt sein, je nachdem, was ihre Chefin ihr gesagt hat. Dass ich nicht erkennen kann, was es ist, zeigt, wie gut sie sich im Griff hat. Ganz schön nervig, diese kontrollierte Fassade.

»Nicht der Rede wert. Setzen Sie sich wieder.«

Ich verberge meine Gefühle nicht. Ich weiß, dass ich bei ihren Worten aussehe wie ein Kater, der von der Sahne genascht hat, und ich weiß, dass sie es sieht. Ja, ich provoziere sie absichtlich, na und? Das hier ist mein Spiel, und wenn ich es schon spielen muss, weil sich die Kleine in meine Angelegenheiten eingemischt hat, dann kann ich dabei doch wohl auch meinen Spaß haben.

Ich schiebe ihr den unterschriebenen Mandantenvertrag zu. »Ich erwarte, dass Sie in den nächsten Tagen ausschließlich mir zu Verfügung stehen«, sage ich.

»Kein Problem«, beeilt sich ihre Chefin zu versichern.

Ich zaubere ein Handy hervor und lege es vor Mayra auf den Tisch, doch die hebt abwehrend die Hände.

»Ich habe bereits ein Mobiltelefon. Ich kann Ihnen gerne eine Karte mit der Nummer geben.«

»Meine Arbeitszeiten sind ein wenig speziell. Ich erwarte, dass Sie rund um die Uhr erreichbar sind. Wenn ich etwas brauche, will ich nicht warten, bis der Tratsch mit Ihrer besten Freundin zu Ende ist.«

»Wie Sie wünschen«, sagt sie kühl.

Sie steckt das Handy ein, und ich frage mich, was mehr Spaß machen wird: Sie zu vögeln oder diese Eisfassade zum Bröckeln zu bringen. Denn beides wird passieren, früher oder später. Auch wenn Mayra jetzt noch glaubt, dass sie alles unter Kontrolle hat. Aber die Tatsache, dass sie zurückgekommen ist, sagt mir bereits, was ich wissen muss: Was immer ihre Chefin ihr versprochen oder angedroht hat, es ist Mayra so wichtig, dass sie entgegen ihrer Überzeugung wieder in meinem Büro aufgetaucht ist, sich entschuldigt und einer Zusammenarbeit zugestimmt hat.

Wenn dieser erste Schritt einmal gemacht ist, ist es meiner Erfahrung nach ganz leicht, noch mehr Vorsätze über Bord zu werfen. Denn mit jedem weiteren kleinen Schritt geht es ja nicht mehr nur um das Ziel, das Mayra erreichen will, sondern auch darum, dass alles, was sie bisher getan oder erduldet hat, nicht umsonst gewesen sein soll. Ich freue mich schon darauf, ihr dabei zuzusehen, wie sie das lernt. »Ich erwarte Sie dann morgen Nachmittag um drei«, beende ich das Gespräch, da die Formalitäten nun erledigt sind. Alles Weitere wird sich ergeben, wenn ich mit Mayra alleine bin.

Erst als die beiden Anwältinnen verschwunden sind, fällt mir auf, dass ich es plötzlich gar nicht mehr so eilig habe, Minnie wiederzufinden. Wahrscheinlich hat Mayra sie in einem Frauenhaus oder in einer Entzugsklinik untergebracht, soll die Nutte sich doch meinetwegen eine Weile da erholen, während ich ein bisschen mit ihrer Anwältin spiele. Für die unverdienten Ferien kann Minnie ja bezahlen, wenn ich sie wiederhabe.

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