Das Paradies ist zu Ende

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Viele Männer, die aus dem Krieg zurückkamen wirkten älter, sie hatten für Führer, Volk und Vaterland gekämpft und den Weltkrieg verloren. Viele Soldaten waren Jahre in Gefangenschaft. Als sie zurückkehrten, freuten sie sich auf das junge Mädchen, das sie im Krieg geheiratet hatten. Sie erinnerten sich an ihre jungen Frauen und trafen zu Hause emanzipierte Frauen, die arbeiten, Geld verdienen, ihre Kinder und ihren Haushalt versorgen. Viele Männer hatten ihr Selbstbewusstsein eingebüßt und waren krankhaft eifersüchtig. Ich bekam als Kind etliche Geschichten aus unserem Dorftratsch mit. Eine Frau hatte ihren Mann für Tot erklären lassen und wieder geheiratet. Als ihr Mann aus der Gefangenschaft kam, wurde es zu einem Drama in mehreren Akten. Im Kindergarten erzählte Klara Altmeier, als fünfjähriges Mädchen: „Heute Nacht hat bei meiner Mutter im Bett ein Neger (damals, noch kein Schimpfwort) geschlafen, das Bett war morgens nicht schwarz.“ Als ihr Vater mit einem Bein und zwei Krücken aus der Gefangenschaft kam, erzählten es ihm seine sogenannte Freunde. Beim Kirchgang an Sonntagen träumte ich meine Geschichten. Zunächst weckte uns, meine Mutter durch lautes Singen. Sie sang in der Kirche und im Kirchenchor ebenfalls laut. Ich konnte in der Kirche meinen Kopf auf Mutters Schoß legen und träumen. Da mein Vater mir fehlte, versuchte ich, meine Mutter mit netten Männern zu verkuppeln. Ich hätte mich gefreut, wenn meine Mutter geheiratet hätte. Meine Schwester sagte: „Louis, Stiefväter sind schwierig und würden dich streng erziehen, du würdest deine Freiheit verlieren.“ Als ich einen Vikar fragte, der bei uns seinen Talar anzog, ob er meine Mutter heiraten würde, fragte er mich: „Würde dir das gefallen?“ Ich sagte: „Ich hätte, wie andere Kinder, gerne wieder einen Papa.“ Meine Mutter wurde verlegen und verbot mir, jemals einem Mann derartige Fragen zu stellen. Meine große Schwester und meinen großen Bruder liebte ich gleichermaßen. Ich freute mich, weil meine große Schwester sagte: „Louis, du bist zwei Tage vor meinem fünften Geburtstag zur Welt gekommen und warst mein größtes und schönstes Geburtstagsgeschenk.“ In der Kinderkirche war ich stolz auf meine Mutter, die uns biblische Geschichten erzählte. Meine Mutter war, wie ich fand, eine sehr gute Erzählerin.

An das Kriegsende habe ich wenige Erinnerungen. Ich erinnere mich noch an die NS-Propagandaplakate, die an einigen Stellen nach dem Krieg noch zu sehen waren und auf denen ein schwarzer Mann mit Hut prangte, sie trugen die Worte: „Pst, Feind hört mit.“ Als ich in der Nachkriegszeit meinen Großvater fragte, sagte er: Louis, in Hitlers Krieg wurden die Plakate 1943 als Nazipropaganda gedruckt. Heute sagen die Leute, es wäre der Kohlenklau. Ich erinnere mich an Ängste verunsicherter Erwachsenen, als es hieß Larenbuch könne verteidigt werden, weil es im eingeschnittenen Tal liegen würde. Bürgermeister und Pfarrer verhandelten mit dem Militär und baten, man möge doch den kleinen Ort nicht verteidigen. Ein General, der das Ritterkreuz hatte, wolle unbedingt noch das Ritterkreuz mit Eichenlaub und wollte das günstig gelegene Larenbuch gegen vorrückende Franzosen verteidigen. Glücklicherweise hatte er wenige Panzer. Meine Mutter hatte uns mit Kleidung und Schuhen ins Bett gelegt. In dieser Nacht schlief unsere Familie in einem Zimmer und hatte Koffer und Pakete mit wichtigen Unterlagen, um sie notfalls aus dem brennenden Haus zu retten. Morgens war das deutsche Militär abgezogen, die meisten Menschen waren erleichtert, sie hingen weiße Fahnen, oder weiße Betttücher aus den Fenstern. Wenige Nazis glaubten noch an Hitlers Wunderwaffe und den Endsieg. Französische Soldaten fuhren mit Panzern und Lastwagen von Schailberg aus in unser Dorf. Einige Frauen erzählten von Wehrwölfen, die es geben würde und hatten Angst davor. Die Angst mancher Frauen begleitete mich oft in meinen Träumen. Ich hatte Angst vor Wölfen, die nicht wie Tiere aussahen und vor denen sich Frauen fürchteten. Das französische Militär richtete sich in der Schule ein und exerzierte im Schulhof. Unsere Wohnung war nicht weit entfernt, deshalb war ich oft am Rande des Schulhofes und schaute zu. In unserem Dorf waren die Menschen froh, dass der schreckliche Krieg in Larenbuch, zu Ende war. Als ich vier Jahre alt war, wurde die bedingungslose Kapitulation unterschrieben. Endlich war der unselige und schreckliche Krieg zu Ende. Menschen kauften mit Lebensmittelmarken ein und standen in langen Schlangen in Läden. Da ich klein war, konnte ich manchmal Warteschlangen umgehen und mich vorsichtig dazwischen drängen. Warteschlangen sind für mich zeitlebens ein Trauma. Die Luft war, wie man sagte, zum Schneiden. Es gab kaum Seife und Menschen wuschen sich selten, ihre Kleidung wurde selten gelüftet und gewaschen. Männer rochen nach schlechtem Tabakrauch. Es gab damals weder Camelia, noch Tampons, oder Pampers, keine Deos oder Parfüm. Menschenschlangen waren erfüllt von Gerüchen unter denen ich als Kind gelitten habe. Meine Schwester sagte: „Louis atme halt durch den Mund.“ Wenn wir mit Marken an die Reihe kamen, gab es die Produkte auf den Marken oft nicht mehr. Viele Ladenbesitzer begannen, Lebensmittel zu horten und auf bessere Zeiten zu hoffen. Ich hörte als Kind, vom verbotenen „Schwarzmarkt“. Ein Ehepaar, das keine Kinder hatte, war mit meiner Mutter befreundet. Frau und Herr Weidel hatten keine Kinder, sie liebten meine Geschwister und mich. Frau Weidel sagte: „Louis, du hast mein Herz gestohlen.“ Wir Kinder mochten Bruno und Friedel. Als Naturfreunde wanderten sie oft mit uns. Als Kind hörte ich in einem Gespräch, besagter Bruno wäre impotent. Ich kannte die Bedeutung des Wortes nicht, hörte jedoch einem Gespräch zweier Lastwagenfahrer zu, einem gefiel Friedel, er fragte seinen Kollegen: „Isch die ledig?“ der antwortete: „Mehr wie ledig, sie isch a Früchtle.“ Ich war überrascht, denn sie war verheiratet. Bruno hatte häufig mit den schwarzen Märkten zu tun, seine Frau war deshalb oft ängstlich. Für meine Mutter waren Schwarzmärkte tabu, da Menschen, die erwischt wurden, von der Besatzungsmacht eingesperrt wurden. Deutschland wurde in Besatzungszonen aufgeteilt, für die man jeweils Passierscheine brauchte. Ich erinnere mich, als meine Mutter mit meiner Schwester in Baden hamstern wollte und nur einen abgelaufenen Passierschein hatte, verschmutzte Michael und Dörte ihn und änderten das Datum. Deshalb konnten meine Mutter mit meiner Schwester und dem gefälschten Passierschein im Badischen zum Hamstern.

An Sonntagen gingen wir nach der Kinderkirche zum Gerner-Bauer, es war keine reiche Bauernfamilie. Die Eltern und ihre vier Töchter waren herzlich und liebenswürdig. Herr Gerner hatte eine Kriegsverletzung, ihm fehlte ein Teil der unteren Gesichtshälfte, deshalb erschrak man über sein Aussehen. Weil er ein gütiger und lieber Bauer war, vergaß man rasch sein Aussehen. Die jüngste Tochter gefiel mir, sie war so alt wie ich und sagte zu mir: „Louis, i han di au gern.“ Der Gerner-Hof lag an der Grenze zu Baden und Württemberg. Die nette Bauernfamilie hieß anders, war aber in der Region unter dem Namen Gerner bekannt. Sie lud unsere Familie jeden Sonntag, nach der Kirche zum Mittagessen ein. Wenn unsere Familie sonntags kam, waren wir zehn Personen zum Essen. Es roch bei Gerners nach Landwirtschaft. Die vier Mädchen waren hübsch. Bei Bauern war der Misthaufen meist vor dem Haus, deshalb konnten sich Fliegen ungehindert vermehren. Die Toiletten hatten keine Wasserspülung und die Menschen schwitzten und rochen oft stark. Es gab den Spruch: „Warum hen mir keine Fliege im Zimmer? Ha es isch klar, wenn mei Frau kocht, sin d’ Fliege alle in der Küche.“ Beim Essen waren alle Fliegen wieder im Esszimmer. Unsere Abwehrkräfte hatten genügend zu tun, deshalb litten Menschen kaum unter Allergien. Nach dem Essen gingen wir von Gerners aus zur pietistischen Stunde, die jeden Sonntag bei einem andern Bauern war, nach meiner Erinnerung gab es einen Holzbauern, der nichts mit Holz zu tun hatte, sondern so hieß. Bei ihm gab es nach der pietistischen Stunde, die meist länger als eine Stunde dauerte, eine gute Vesper. Einer der Holzbrüder war mit einer hübschen jungen Frau verheiratet. Ich erinnere mich an die Trachtenanzüge der beiden Männer und an die schöne Schwarzwälder Tracht der hübschen Frau. Es wurde gemunkelt, die Frau ginge mit beiden Männern ins Bett. Ich überlegte, ob alle drei im Bett schlafen könnten, oder ob die Frau abwechseln würde. Als sie schwanger war, überlegte ich später, ob sie wohl wüsste von welchem Holzbauer ihr Kind wäre. Einer der wohlhabenden Bauern, der zu den größeren Bauern der Region gehörte, war der Deich-Bauer. Er und seine Frau waren groß und schlank, an Sonntagen hatten sie ebenfalls Schwarzwaldtracht an. Das Ehepaar hatte keine Kinder und freute sich sonntags über die vielen Kinder, die zu Besuch warfen. Es wurde erzählt, seine Frau bekäme keine Kinder. Ich freute mich auf seine Vesper, weil es einen paradiesischen Honig gab. Der Deich-Bauer hatte Bienen. Ich konnte mit Lindtraud seine Bienenstöcke, sogenannte Blätterstöcke, ansehen. Man konnte sie von hinten öffnen und Bienen zusehen, ohne sie zu stören, deshalb wurde man kaum gestochen. Mit Lindtraud schaute ich oft die Bienenstöcke an und sah, wie bei schönem Wetter tausende Bienen aus und ein flogen. Man konnte, wenn man die Bienenstöcke hinten öffnete, auch erkennen, wie die Flugbienen mit Pollenhöschen ankamen, Nektar und Blütenpollen ihren Schwestern weitergaben. Manchmal konnten wir sehen, wie die Königin Eier legte. -Ich hätte damals nicht gedacht, dass ich eines Tages eine Berufsimkerei mit 2000 Bienenvölkern in Tunesien leiten würde.- Ich aß beim Deich zur Vesper das köstliche, selbstgebackene Brot mit Butter und Honig. Schwarzwaldbauern hatten Milchvieh und ausgezeichnete Butter. Beim Senders-Bauer, einer der großen badischen Bauern, war es für mich am schönsten. Es gab einen alten und jungen Bauern. Der junge Bauer war zu uns kleineren Kindern immer sehr nett, er sagte oft, wir könnten spielen und mussten nicht an der „Schtund“ teilnehmen. Er gab auch meiner Mutter immer Nahrungsmittel mit. Bei einem anderen Bauern, dem Ehnder-Bauer fand ich die Stunde immer lustig, weil der alte Bauer, der das Gebet sprach, eine ulkige Stimme hatte. Ich bemerkte, dass auch Erwachsene und fromme Menschen unehrlich waren. Als der Ehnder-Bauer zur Vesper zwei Körbe mit Brot brachte, sagte er, es wäre sein letztes Brot, seine Frau würde erst morgen backen. Die Bauern gaben meiner Mutter, als einzige Nichtbäuerin, meist einen Laib Brot, Milch, Butter und manchmal Speck oder Eier mit. Dies konnte der geizige Ehnder-Bauer natürlich nicht, weil er mit den Stundenbrüdern und Schwestern sein letztes Brot geteilt hatte. Lindtraud kam aus der Küche des Ehnder-Bauers, und erzählte laut, dass unter einem Tuch am Fenster noch drei Brote lägen. Der Bauer wurde verlegen und schimpfte zum Schein mit seiner Frau. Sie wurde ebenfalls verlegen und meinte, die Magd hätte die Brote wohl versehentlich unter das Tuch gelegt. Alle wussten, dass der Bauer und seine Frau gelogen hatten, um unserer Familie kein Brot zu schenken. Der Senders-Bauer sagte zum Ehnder-Bauer: „Du köntesch jetzt dr Martha (meine Mutter hieß so) au no a Schtück Butter mitgebe. Ich sagte zu Lindtraud: „Du des mit dem Brot, des hasch toll gmacht, sonsch hätt der Ehnder-Bauer uns kein Brot g'schenkt.“ Lindtraud lachte und sagte: „Louis, des gschieht dem recht, wenn er so lügt, bloß weil er so geizig isch.“ Ich hörte, wie ein Bauer erzählte: „Geschtern han i ein Bombengeschäft gmacht. Für einen großen runden Laib Brot han i sechs silberne Kaffeelöffel bekomme.“ Ja meinten die anderen Bauern, es sind güldene Zeite für uns, da müsse mir Gott danke, da kann mer von dene Leut für ebes z’ Esse a Haufe Zeug kriege. I han kürzlich für a Brot un a weng Mehl un en weng Speck a Haufe Bettwäsch un a Tischtuch eingehandelt. Einer erzählte von einem Flüchtlingsweib, die einen Ehering für Brot, Mehl und Eier tauschte. Dafür dankten die Pietisten dem Herrgott und hofften, dass diese Zeiten lange anhalten. Die Christen in dieser bäurischen, badischen Region waren nicht so engstirnig, wie die Pietisten in Württemberg, über die Hermann Hesse schrieb. Badische Bauern waren trotz des pietistischen Glaubens, ein lustiges und lebensbejahendes Volk. So erzählte der Senders-Bauer, der oft die Bibel auslegte: „Ja liebe Brüder un Schweschtre, wenn mir uns im Himmel oder im Paradies treffet, no könnet mir alle in eim Jahr zwei Mal moschte un zwei Mal ernte, dann müsset mir nimmer den Schnaps schwarz brenne.“ Alle Bauern waren von dieser himmlischen Vorstellung begeistert. Mit Lindtraud verband mich damals eine innige Kinderfreundschaft, sie hielt bei jedem Streit den ich mit anderen Kindern hatte, zu mir. Natürlich half ich ihr ebenfalls, wenn einer der Buben sie an den blonden Zöpfen zog, oder mit ihr zu zankte. Ich prügelte mich auch für sie, wenn sie geärgert wurde. Wenn die „Stunde“ und auch das Vesper zu Ende war, ging unsere Familie noch ein Stück mit den Gerners und anderen Bauern, bis sich unsere Wege trennten, denn wir hatten den weitesten Weg nach Larenbach. Ich denke es waren meist acht bis zehn Kilometer, je nach Bauer, bei dem die Stunde stattfand. Da wir Kinder bei diesen Stunden oft Verstecken oder Fangen spielten, war ich auf dem langen Heimweg, am Ortsanfang von Larenbuch müde, Meine Mutter sagte: „Louis, wenn wir beim französischen Wachposten und Kasernen vorbeikommen, sollten die französischen Soldaten nicht sehen, wie müde und fertig du bist. Ich ging denn stramm und munter an den Soldaten vorbei, was ihnen sicher nicht auffiel. Als ich morgens wieder mal beim Exerzieren den Franzosen zusah, sprach mich ein französischer Soldat deutsch an und fragte wie ich heißen würde, ich sagte ihm meinen Namen. Er sagte: „Ich heiße Beschir und bin aus Tunesien.“ Ich konnte mit Tunesien nichts anfangen. Er sagte: „Es ist ein Land in Nordafrika.“ Ich fragte ihn: „Gibt es dort Löwen?“ Er lachte und meinte: „Keine Löwen aber Kamele.“ Er fragte: „Louis, können wir Freunde werden? Ich möchte deine Sprache lernen.“ Ich antwortete: „Sie sind ein großer Soldat und ich bin ein kleiner Junge, wir können kaum Freunde werden und sie können ja Deutsch.“ Er sagte: „In meiner Heimat können auch große Männer und kleine Jungs Freunde sein, wir versuchen es, weil ich gerne so gut Deutsch sprechen würde wie du und dich gern als Lehrer hätte.“ Er war groß, sah fremdländisch und nett aus, er hatte dunkelbraune Augen, schwarze, gelockte, kurze Haare und eine dunkelbraune Haut. Ich sagte: „Mein Vater ist im Krieg gefallen.“ Er erzählte: „Mein bester Freund und mein Bruder sind auch im Krieg gefallen. Ich freuen mich, dass ich einen neuen Freund habe.‘“ Mein neuer Freund sprach kein perfektes Deutsch, er machte Fehler über die ich lachte. Er war Feldwebel in der französischen Armee. Wenn er frei hatte gingen wir im Dorf spazieren und erzählten uns Geschichten. Beschir erzählte, in seiner Heimat würde arabisch gesprochen, er brachte mir einige arabische Worte bei. Die Dorfbewohner wunderten sich, dass ein französischer Farbiger mit einem kleinen Jungen durchs Dorf ging. Als ich meinen tunesischen Freund nach Hause mitbrachte, erschrak meine Mutter. Mein Freund war höflich und freundlich. Meiner fünf Jahre älteren Schwester gefiel er. Sie überlegte, ob sie ihn heiraten würde. Sie war zehn, machte ihm einen Heiratsantrag und fragte, ob er warten würde, bis sie älter wäre. Er meinte lachend: „Dörte, ich gerne warten bis du älter sein.“ Ich erklärte ihm den Satz in korrektem Deutsch. Solange die französische Armee in unserer Schule einquartiert war, fiel die Schule fast ein halbes Jahr aus. -Viel später, als mich mein Leben und mein Beruf nach Tunesien führten und Tunesien fast zu einer zweiten Heimat wurde, bemerkte ich, dass Tunesier Kinderfreundlich sind. Junge Tunesier unterhalten sich gern mit Kindern. Deshalb war unsere Freundschaft, für Beschir nicht außergewöhnlich.- Mein Freund brachte unserer Familie oft Lebensmittel mit. Er hatte noch zwei Freunde die manchmal bei uns waren. Eines Tages besuchte uns der französische Kommandant. Er wollte wohl sehen, in welcher Familie seine Soldaten verkehrten. Er war zufrieden, denn die Freundschaft zu Beschir blieb erhalten. Ich hatte in ihm einen tollen Beschützer gefunden. Für mich als Kind gab es keine Erbfeindschaft zwischen Deutschland und Frankreich. Mein verstorbener Vater und dessen Familie, gehörten zur passiven Widerstandsgruppe gegen Hitler. Mein Vater war Mitglied der „bekennende Kirche“ Bonnhoeffer und Niemöller waren führende Männer der Widerstandsgruppe und wurden von den Nazis als Staatsfeinde ins KZ überstellt. Bonnhoeffer starb 1945 Niemöller überlebte knapp die Naziherrschaft. Ich traf später eine Freundin der Schwester meines Vaters, die aktiven Widerstand leistete und deren Bruder im KZ zum Tod verurteilt wurde, sie konnte mir über meinem Vater Dinge erzählen, die meine Mutter nicht wusste, weil mein Vater sie nicht belasten wollte.

 

Unsere Sonntage verliefen meist geregelt. In meiner Erinnerung überwog an diesen Tagen meist schönes Wetter. In den pietistischen Stunden gab es auch ab und zu Besuche von berühmten „Stundenhältern“, dann dauerten diese Stunden oft einen ganzen Nachmittag. Für uns Kinder war es eine tolle Zeit zum Spielen. Wir konnten im Heuboden der Bauernhäuser von oben in Heuhaufen springen. Irgendwann bei einem dieser Spiele viel Lindtraud auf mich. Wir waren unter dem Heu vergraben. Lindtraud sah mich an und sagte: Louis, i han no nie ein Bub gseh, denn i han nur Schwestre. Ich sagte: „Wenn du gucksch wie i ausseh, möchte i au seh, wie du aussiehsch.“ Sie zog ihren Schlüpfer aus und ich meine Hose, wir betrachteten uns und fanden es interessant wie anders wir aussahen. Wir fassten uns gegenseitig an und fanden es lustig. Wir hatten gesehen wie Erwachsene sich auf den Mund küssten und versuchten es ebenfalls. Lindtraud sagte, die Erwachsene schteget sich manchmal Zung in Mund.“ Wir versuchten es und fanden es seltsam. Lindtraud sagte: „Vielleicht leget se sich en Zucker en Mund on schlotzet den mitnander, no däts besser schmecke.“ Dies würde mir einleuchten, denn Zucker war damals ein seltener Genuss. Leider hat uns Lindtrauds ältere Schwester, beobachtet. Sie sagte: „Ich verrate euch nicht, wenn ich dich auch anfassen darf. Ich zog mich erneut aus und sagte: „Gerda i möchte di au anfasse.“ Gerda war damals zwölf und hatte schon einen kleinen Busen. Lindtraud gefiel es nicht, dass ihre Schwester mitspielen wollte, sie konnte sich jedoch nicht dagegen wehren, weil Gerda drohte, uns zu verpetzten. Ich fand Gerda nicht so hübsch wie Lindtraud, da sie schon älter war, und ein bisschen wie eine Frau aussah und so roch, fand ich es schön, wenn wir zu dritt spielten. Lindtraud fragte: „Louis, gefällt dir Gerda?“ Ich antwortete: „Du gfällsch mir viel besser als dei Schweschter, aber mir müsset d’ Gerda mitschpiele lasse, sonsch verpfeift sie uns. Bei ihr gfällt mir, dass se scho en kleine Buse hat on a weng aussieht wie a Frau.“ Lindtraud sagte: „Du Louis, in zwei oder drei Jahr seh i genauso aus, do han au en Buse on au Hor an meim Kätzle, do musch bloß warte.“ Ich gab ihr einen Kinderkuss und sagte: „Du i mag die au so, wie du jetzt bisch on gfalle hasch du mir scho immer.“ Bei diesen pietistischen Stunden, zu denen Prediger kamen, die als Stundenhälter bezeichnet wurden, umarmten sich Erwachsene beim Begrüßen. Einer der berühmten Stundenhalter hatte die Angewohnheit, junge Mädchen lange im Arm zu halten. Er sagte: „Ich freue mich, dass Du au zu Gott gfunde hasch.“ Bei jungen Mädchen sagte er: „Ich freu mi sehr, dass au du e rechts Gotteskind wurdesch“. Lindtraud fiel auf, dass manche dieser Gotteskinder sich gegen die Umarmung stemmten. Sie sagte: „Schau, sie drückt ihn mit dem Arm und der Hand von sich weg“. Wir Kinder spielten in Pausen, wenn es regnete, in den vielen Räumen der Schwarzwaldhöfe, Verstecken. Manchmal auch in den sogenannten Liebdinghäusern, in denen Eltern des Jungbauern wohnten. Die meisten Bauern waren zu uns Kindern großzügig. Wir rannten oft, durchs Haus, die Mädchen grillten und kreischten laut. Als ich mich unter der Eckbank beim Kachelofen versteckt, hatte ich ein unauffindbares Versteck. Margret, ein Mädchen mit langen braunen Haaren und dunkelbraunen Augen, das schon zur Schule ging und vielleicht acht Jahre alt war, musste uns suchen. Sie war kurz in dem Zimmer, ich sah ihre schwarzen Schuhe und bewegte mich nicht, bis sie wieder rausging. Ein junger Mann und ein junges Mädchen kamen in das vermeintlich leere Zimmer und klappten die Tür leise zu. Franz drückte Lina gegen die geschlossene Türe. Sie konnten nicht ahnen, dass ich im Zimmer war. Franz schob Linas Rock hoch und streifte ihren Schlüpfer runter. Ich staunte, denn Lina hatte nicht nur auf dem Kopf blonde Haare, auch ihr Kätzchen hatte goldene Haare. Franz zog seine Hose aus. Ich sah von der Seite seinen großen Penis, den Lina anfasste und aus dunklen, borstigen Haaren, rauszog. Ich staunte wie der Penis in Linas Kätzchen verschwand. Franz atmete wie ein Pferd, Lina jammerte ein wenig, ich dachte es würde ihr weh tun, bis ich bemerkte, dass sie leise kicherte. Franz stöhnte und Lina stieß spitze Schreie aus. Der Boden knarzte, als sie sich bewegten. Franz hatte seine Hände unter Linas Po, dabei sah ich, dass auch aus Linas Po goldene Haare wuchsen. Lina schlang die Arme fest um den Hals von Franz. Beide zuckten einige Male, dann wurde es ganz still, sie zogen sich wieder an und küssten sich lange. Franz fragte: „Lina, war's denn schö?“ Lina strich ihren Glockenrock glatt, lachte und sagte: „Mir hats gfalle, i glaub dir au? Magsch me bald heirate?“ Ich dachte an mein Erlebnis und den Schlägen im Kindergarten. Ich überlegte, ob das was die Beiden getan hatten, vielleicht unkeusch wäre und etwas mit dem Teufel und der Erbsünde zu tun hatte, von der die Stundenbrüder und Schwestern sprachen. Ich hätte gerne jemanden gefragt, traute mich jedoch nicht, weil ich beide ungewollt belauscht und beobachtet hatte. Lina und Franz sahen sich um, ich war mäuschenstill und atmete kaum, dann verließen sie den Raum. Irgendwann ein Jahr später haben beide geheiratet. Wie ich von Lindtraud erfuhr, waren sie als Ehepaar glücklich und fröhlich. Ihr ältestes Kind war ein Mädchen, das ich Jahre später im Gasthof Auerhahn in Hornfleeg als Bedienung traf. Sie war ein hübsches Mädchen und ähnelte ihrer Mutter, deshalb erkannte ich sie. Ich hätte der jungen Dame erzählen können, dass ich als ungewollter Zeuge möglicherweise ihrer Zeugung gesehen hätte. In den pietistischen Stunden wurden natürlich auch viele Lieder gesungen. Der große pietistische Textdichter hieß Hiller, er hatte sich anscheinend geblendet um seinem Gott näher zu sein. Für diese Hiller-Lieder, die in einem dicken, gedruckten Buch waren, musste oft eine passende Melodie gefunden werden. Da nicht alle das dicke Buch mit den Hiller-Liedern hatten, wurde ein Sprecher bestimmt, der den Text sagte und passende Melodie aussuchte. Es hieß dann folgendermaßen: „Gotthilf sag du den Text und die Melodie.“ Bei Pietisten sprachen sich alle mit Vornamen und Du an. Man sagt zu den Männern beispielsweise, Bruder Gotthilf und zu den Frauen, Schwester Hanna. Der übliche Gruß: „Friede Bruder Gotthilf“ oder „Friede Schwester Hanna“. Ein schöner Gruß nach dem zweiten Weltkrieg und dem jahrelangen „Heil Hitler Gruß“. Als Bruder Gotthilf zum Textsprecher wurde, sagte er: „Liebe Brüder und Schwestern im Herrn“, denn natürlich wurden auch bei Pietisten, wie in allen Religionen die Männer zuerst angesprochen: „Mir singet heut aus am Hiller des Lied, nach der Melodie, es klappert die Mühle am rauschende Bach: „An Jesu zu glaube das ist eine Lust, ja Lust, ja Lust, ja Lust“. Lina und Franz sangen eifrig mit und dachten sicher an eine andere Lust, ja Lust, ja Lust! Ich erzählte Lindtraud von meinem Versteck und dem Erlebnis mit Lina und Franz und meiner Beobachtung. Sie überlegte und sagte: „Ach dann machen die das au so wie ein Bulle mit einer Kuh. Louis, des ka sei, dass die zwei a Kälble gmacht hen.“ Das Bauernmädchen war mir mit ihrem Wissen um Tiere, deren Geschlecht und den entsprechenden Techniken weit voraus. Sexualität von Erwachsenen interessierte mich damals nicht. Es war ein Luxus, wenn in Klos anwendungsgerechte und geschnittene Zeitungsblätter lagen. Da die meisten Wohnungen keine Duschen und keine Bäder hatten wuschen sich viele Menschen wöchentlich nur einmal gründlich. Das Zähne putzen war auch nicht überall verbreitet. In manchen Häusern gab es Waschküchen mit einer Zinkbadewanne. In dieser Badewanne durfte die Familie wöchentlich einmal baden. Da für ein solches Bad, ein Waschkessel geheizt wurde, konnte eine Familie meist nur zweimal das Wasser wechseln. In den 40iger bis zu den 60iger Jahren wurde Kleidung selten gewaschen, denn Waschen war mit großem Aufwand verbunden. Zunächst musste der Waschkessel in der Waschküche, mit einem Holzfeuer beheizt werden. Dann wurde Kernseife in das Wasser gerührt, bis eine Lauge entstand. Mit Hilfe eines Waschbrettes wurde Wäsche gewaschen, danach musste sie von Hand mehrmals gespült werden. Die armen Frauen waren nach so einem Waschtag sehr müde. Es gab keine edlen Handcremen. Um Hände einigermaßen vor dem heißen und dem kalten Wasser zu schützen gab es Melkfett. Viele Frauen litten unter rauen Händen. Nach dem Waschvorgang wurde Wäsche ausgewrungen und zum trocknen auf den sogenannten Bühnen, unter dem Dach aufgehängt. Bei schönem Wetter wurde die Wäsche im Garten, oder dem Wäscheplatz aufgehängt. Die Wäsche wurde danach gebügelt. Bei damaliger Bettwäsche aus Leine, oder Baumwolle ebenfalls eine endlose Plackerei, die Tischwäsche musste ebenfalls gewaschen und gebügelt werden.

 

Die Luft war im Winter besonders schlecht, weil im Schwarzwald mit Holz geheizt wurde, die Ernährung war einseitig, Bäche und Gewässer waren verschmutzt, denn Kläranlagen gab es damals noch nicht. Ich kannte weder Allergiker noch psychosomatische Kranke. Es gab kaum übergewichtige Menschen und die, die es gab fühlten sich wohl mit ihrem Wohlstandbauch. Im Winter quoll aus jedem Schornstein ein fürchterlicher Qualm, weil in allen Haushalten mit Holz, das nicht immer trocken war, geheizt wurde. Hinzu kam, dass fast alle Männer und Frauen rauchten. In vielen Gärten wurde Tabak angebaut und auf Speichern getrocknet, es gab Tabakschneidemaschinen und Maschinen mit denen die selbst hergestellten Zigaretten gerollt und gefertigt wurden. Weggeworfene Zigaretten wurden gesammelt und Tabakreste erneut zu einer Zigarette gedreht und geraucht. Heute undenkbar, es wäre unhygienisch und schädlich. Die Wohnungen und die Menschen vom Kind bis zum alten Menschen rochen nach einem Gemisch aus Essen-, Küchen-, Schweiß und andern Körpergerüchen. Fast alle Menschen rochen zusätzlich nach Zigaretten-, selbstgedrehten Stumpen- oder Pfeifenrauch. Ein Glück, dass Knoblauch erst in den 90er Jahren Eingang in deutsche Küchen fand, ich finde Knoblauchgeruch grauenhaft. Der Straßenverkehr hielt sich in Grenzen, und der Gestank von Diesel- und Benzinautos auch, es gab in unserem Schwarzwalddorf mit viertausend Einwohnern nur fünf Autos. Glücklicherweise waren Züge und Dampfloks weit von unserem Dorf entfernt. Dampfloks zogen mit einer gewaltigen Rauchfahne durch die Landschaft. Dampfloks wurden damals mit Holz und Kohlen befeuert. Wenn man im Nachkriegsdeutschland eine feine Nase hatte, konnte man viele Gerüche unterscheiden und wahrnehmen. Ich konnte fast immer erkennen, was Menschen gegessen hatten und wenn sie hungern mussten, hatten sie Mundgeruch.

Auch bei frommen Pietisten gab es Neid, Missgunst und Feindschaften, die oft Generationen überdauerten. Ein Soldat der als französischer Gefangener in offenen Lastwagen Richtung Frankreich transportiert wurde, sprang nachts in Nähe seiner Heimat vom Lastwagen und versteckte sich. Als er nach Hause kam, freute sich seine Familie und richtete ein Vesper für ihn. Er wollte unbedingt erst baden. Seine Braut vom Nachbarhof wurde benachrichtigt. Als sie kam, konnte er sie nicht umarmen, seine Heimkehr war hatte der verfeindete Nachbarbauer beobachtet. Der auf seinem Pferd zur französischen Kommandantur ritt und den Nachbarsohn verriet. Er wurde von den Franzosen verhaftet und war zwei Jahre in französischer Gefangenschaft. Die Feindschaft zwischen beiden Familien hat eine Generation überdauern. Diese und ähnliche Geschichten erfuhren wir Kinder, obwohl Erwachsene meinten, dass wir nichts davon verstünden. Viele Menschen litten Hunger, auch mein zwölfjähriger Bruder konnte sich oft nur bei der Bauernvesper am Sonntag satt essen. Die Zeit der abendlichen Stromsperren gefiel mir. Erwachsene konnten weder Strümpfe stopfen, noch nähen oder stricken. Da Kerzen knapp waren, trafen sich meist mehrere Familien, um bei Kerzenlicht Gesellschaftsspiele im Halbdunkel zu spielen, wie beispielsweise Hänschen piep einmal, oder Teekesselraten.

Die französische Besatzungsmacht gab bekannt, dass alle Gewehre, Kameras und Fotoapparate, egal welcher Art auf dem Rathaus abzugeben waren. Meine Mutter und ich gingen zum Rathaus und gaben das Kleinkalibergewehr und den Fotoapparat meines Vaters ab. Wir bekamen einen Brief mit Stempel dafür. Ich durfte das Gewehr zum Rathaus tragen und bedauerte sehr, dass wir es abgegeben mussten. Ich weiß nicht mehr, wann die Franzosen unser Schulhaus verließen. Sie blieben in Larenbuch wohl, nur wenige Monate. Im Jahre 1947 war das französische Militär aus Larenbuch abgezogen, wir waren zwar immer noch französische Besatzungszone, aber nicht mehr militärisch besetzt. Ich freute mich sehr auf die Schule, weil ich lesen und schreiben lernen wollte. Mein Bruder schrieb Erlebnisse in sein Tagebuch und las mir daraus vor. Ich fand es toll und hatte, obwohl ich weder lesen noch schreiben konnte, ein Tagebuch angefangen. Ich zeichnete meine Erlebnisse als Bildergeschichten. Wir waren 38 Kinder in unserer Klasse und hatten zunächst einen sehr netten, jungen Lehrer. Am ersten Schultag wurden die Kinder meist von ihren Müttern zur Schule gebracht. Frau Stauch, die Mutter eines Jungen, sagte dem jungen Lehrer, dass ihr Sohn, Erhard, leider am ersten Schultag krank geworden wäre und entschuldigte ihn. Deshalb waren wir am ersten Tag 37 Schüler. Herr Behring machte sich Notizen. Ich hatte mit Klaus, einem Jungen, den ich gut kannte, besprochen, dass wir zusammen sitzen. Als alle Kinder saßen, hatte Lindtraud keine Nebensitzerin. Die fröhliche Lindtraud, die von ihrer Schwester zur Schule gebracht wurde, weil ihre Mutter vom Bauernhof nicht weg konnte, saß traurig und alleine in ihrer Bank. Als Eltern und Angehörige gegangen waren, fragte Herr Behring, unser junger Lehrer, warum keines der Mädchen neben Lindtraud sitzen wolle. Die Mädels sagten, Lindtraud würde nach Kuhstall stinken. Lindtraud war das einzige Bauernmädchen in unserer Klasse. Als ich sah, wie traurig Lindtraud war und wie aus ihren blauen Augen tränen kullerten, fragte ich: „Herr Behring, darf ich mich neben Lindtraud setzen, wir kennen uns schon sehr lange?“ Unser Lehrer schaute mich an und sagte zu mir: „Du bist sehr nett und mutig, hoffentlich weißt du, dass dich Kinder vielleicht auslachen, weil du neben einem Mädchen sitzst. Wenn du es trotzdem möchtest, darfst du dich gerne neben Lindtraud setzen. Wenn jemand euch verspottet, sagt es mir, dann bestrafe ich ihn, merkt euch das alle.“ Ich sagte: „Klaus, es tut mir leid, aber ich kann nicht anders.“ Klaus sagte zu mir: „Du Louis, es macht nix, i setz mi zum Horscht, dem sein Nebesitzer möcht sich zum Erhard setzen, wenn der wieder gesund ist.“ Ich nahm meinen Schulranzen und hängte ihn an die Bank und setzte mich neben Lindtraud. Lindtraud sah mich an und sagte: „Louis, du musch des aber bloß, wenn du des wirklich willsch.“ Ich lachte und sagte zu ihr: „Du gfällsch mir viel besser, als dr Klaus, on wenn du a Nebensitzerin kät hätsch, no könnt i jetzt nit nebe dir sitze.“ Lindtraud sagte lachend: „Des werd i dir nie vergesse, on macht dir des au nix aus, dass i nach Kuh schtink?“ Ich antwortete: „I mag deine Kühe, aber trotzdem bisch du viel netter on kansch sogar schwätze, deine Kühe könnet bloß muh sage. On glaub mir du schtinksch nit wie deine Kühe, du riechsch echt nach Lindtraud, blos deine Kleider riechet a weng nach eurem Hof, on des gfällt mir, weil i am Sonntag immer gern bei euch bin.“ Mir gefiel mein Platz neben Lindtraud und ich freute mich jeden Tag auf die Schule. Lindtraud teilte täglich ihr schönes Bauernbrot mit mir. Ich sagte: „Mutter, ich brauche kein Vesper mehr, Lindtraud teilt immer ihre Vesper mit mir.“ Als wir die ersten Buchstaben schrieben, war ich glücklich, denn ich wollte unbedingt in ein Tagebuch meine Erlebnisse schreiben. Leider wurde unser netter Lehrer, Herr Behring, nach zwei Monaten in einen anderen Ort versetzt. Wir bekamen einen alten und blöden Lehrer, dem es nicht gefiel, dass ich neben einem Mädchen saß. Er wollte uns umsetzen und fragte, warum kein Mädchen neben Lindtraud sitzen möchte. Sie sagten Lindtraud würde nach Kuhstall stinken. Er fragte: „Louis macht dir das nichts aus?“ Erhard antworteten und sagte: „Dr Louis isch en Weiberschmecker.“ Da der alte Lehrer dem nichts entgegensetzte, und die Vorgeschichte nicht kannte, wurde ich mit diesem Namen oft bedacht. Ich eignete mir ein dickes Fell an. Es wurde dadurch für meine Klassenkameraden uninteressant, deshalb wurde ich nicht mehr verspottet. Oder wie man heute sagen würde, gemobbt. Lindtraud und ich saßen in der Mädchenreihe, was für mich lustiger war, als bei den Jungs, denn die Mädchen kicherten oft. Sie waren netter und sanfter als Jungs. Hinter uns saßen Reinhild und Rosanna, die ich schon aus meiner Kindergartenzeit kannte. Die Mädchen fanden es lustig, dass ich als Junge in ihren Reihen saß. Sie fragten in der Pause, ob ich nicht mit ihnen Himmel und Hölle spielen, oder Seilhüpfen würde. Beides waren Spiele die mich nicht interessierten. In der Pause war ich lieber bei den Jungs. Ich konnte weder Seilhüpfen noch andere Hüpfspiele. Die Jungs wollten mich auch in den Pausen oft zu den Mädchen schicken. Ich wehrte mich und musste mir öfters durch Raufen Respekt verschaffen. Ich kannte Tricks und wich keiner Schlägerei aus, dadurch respektierten mich die Jungs. Bei einer Schlägerei schauten die Mädchen zu und feuerten mich an. Wenn ich einer Prügelei nicht ausweichen konnte, begann ich sie, denn Angriff ist die beste Verteidigung. Da das Schuhwerk nach dem Krieg schlecht war, hatte man meist unter den Ledersohlen sogenannte „Stolpereisen“. Ich sagte zu unserem Schuster, ich bräuchte die Eisen vorne an der Sohle. Deshalb hatte ich an der Schuhspitze ein scharfkantiges Stolpereisen und trat meine Gegner mit dem linken Schuh gegen das Schienbein. Meist ging die Prügelei schnell zu Ende. Den älteren Lehrer, hatten wir ebenfalls nur kurz.