Film- und Fernsehanalyse

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2.2 Narration und Dramaturgie

Die zweite Ebene, auf der Filme und Fernsehsendungen analysiert werden können, ist zwar eng mit der ersten verknüpft, aber nicht mit ihr identisch. Geht es auf dieser Ebene doch um die Art und Weise der Repräsentation von sozialen Welten, sowohl von Aspekten der gesellschaftlichen Wirklichkeit als auch von möglichen Welten, die der Imagination entsprungen sind. Was aber ist unter Narration und Dramaturgie in Bezug auf Filme und Fernsehsendungen zu verstehen?

Auf eine knappe Formel gebracht kann man sagen: Die Narration oder Erzählung besteht in der kausalen Verknüpfung von Situationen, Akteuren und Handlungen zu einer Geschichte; die Dramaturgie ist die Art und Weise, wie diese Geschichte dem Medium entsprechend aufgebaut ist, um sie im Kopf und im Bauch der Zuschauer entstehen zu lassen. Genauer kann Erzählung zunächst als eine Form der kommunikativen Mitteilung verstanden werden, die sich von anderen Formen unterscheidet, z.B. von der Beschreibung oder der Argumentation (vgl. Chatman 1990, S. 6 ff.). Sie ist das Resultat einer kommunikativen Handlung: des Erzählens. Diese Tätigkeit wird von einem Akteur ausgeübt, dem Erzähler, der seine Erzählung an einen Adressaten, das Publikum, richtet. Eine Erzählung entsteht so immer durch die Positionierung und Perspektive des Erzählers und seinen Blick auf das Erzählte bzw. auf die Geschichte vor dem Hintergrund der Publikumsadressierung. Grundsätzlich kann das Erzählen als eine »alltägliche kommunikative Handlung« (Schülein/Stückrath 1997, S. 55; Ehlich 1980) begriffen werden. Der Erzähler kann sich beim Erzählen verschiedener medialer Formen bedienen, z.B. der Sprache, der Schrift, des Films, des Fernsehens oder des Hypertextes. Dabei benutzt er verschiedene Strategien des Erzählens, die den Zuschauer einbeziehen:

»Narration ist folglich nicht substantiell, sondern prozessural zu verstehen, als kommunikativer Akt, in dem eine Geschichte entfaltet wird, deren Erschließung Aufgabe eines interpretierenden Zuschauers ist. Narration ist damit zugleich eine Aktivität, die das Wissen des Rezipienten und seine Eingeweihtheit in das Geschehen reguliert« (Hartmann/Wulff 1997, S. 81; vgl. auch Bordwell 1990, S. XI).

Erzählungen haben einen Anfang und ein Ende, dazwischen entfaltet sich die Geschichte für die Dauer des Films oder der Fernsehsendung (vgl. auch Bordwell 2008, S. 95). Der prozessurale Charakter der Erzählung verweist bereits auf ihre zeitliche Dimension, die doppelt konstituiert ist: einerseits über die Dauer der Präsentation des Films oder der Fernsehsendung und andererseits über die Dauer des Erzählten, genauer ausgedrückt, der erzählten Zeit der Geschichte (vgl. dazu Chatman 1990, S. 9). In diesem Sinn wird zwischen der Erzählzeit, z.B. den 100 Minuten eines Spielfilms, und der erzählten Zeit, z.B. den fünf Tagen, in denen sich die Geschichte dieses Films ereignet, unterschieden. Zugleich muss differenziert werden zwischen dem, was der Film oder die Fernsehsendung zeigt (Plot oder Sujet) und der erzählten Geschichte (Story oder Fabel), die erst im Kopf der Zuschauer entsteht (vgl. dazu Kapitel II-1.1 und II-2.1). Durch die Erzählung entsteht eine diegetische Welt, die als eine in sich konsistente mögliche Welt erscheint. Sie wird in der erzählten Geschichte geschaffen, sowohl mit dem Inhalt, den man nach Wulff (1999, S. 26 ff.) auch als stoffliche Bindung begreifen kann, als auch mit der Repräsentation, die in einem Verhältnis zur sozialen Welt außerhalb des Films und des Fernsehens steht.

Film- und Fernsehtexte sind in der Regel Erzählungen. Das trifft nicht nur auf fiktionale Texte zu, sondern auch auf dokumentarische wie Nachrichtensendungen und für das Fernsehen inszenierte Ereignisse wie Shows. Die meisten Formen der Unterhaltung sind um Erzählungen herum strukturiert. Sie sind eine der »grundlegenden Quellen des Vergnügens« in den Medien (Casey u.a. 2002, S. 138). Allen Erzählungen ist gemeinsam, dass sie Geschichten erzählen. Eine Erzählung kann als »Verkettung von Situationen, in der sich Ereignisse realisieren und in der Personen in spezifischen Umgebungen handeln«, bezeichnet werden (Casetti/di Chio 1994, S. 165; vgl. auch Berger 1997, S. 4 f.; Eder 1999, S. 5). In der Analyse sind die Situationen und Ereignisse herauszuarbeiten, die miteinander verknüpft werden, sowie die Personen und die Umgebungen, in denen diese Personen handeln. Erzählungen bedienen sich bestimmter Erzählstrategien, um das Publikum in die Geschichte einzubeziehen. Erzählstrategien sind daher immer mit Aktivitäten der Zuschauer verknüpft, die im Verlauf ihrer Mediensozialisation auch ein narratives Wissen erworben haben. Dieses narrative Wissen umfasst typische Handlungsstrukturen und -episoden, typische Protagonistenrollen, typische Erzählkonventionen und typische Plots (vgl. Ohler 1994, S. 34 f.). Peter Wuss hat drei Formen filmischer Strukturen herausgearbeitet, die einerseits mit Wahrnehmungsformen (Wuss 1999, S. 52 ff.) und andererseits mit sogenannten Basisformen filmischen Erzählens (ebd., S. 97 ff.) korrespondieren. Bei diesem »PKS-Modell« handelt es sich um perzeptionsgeleitete Strukturen, die auf Topikreihen in offenen Erzählformen basieren, um konzeptgeleitete Strukturen, die auf Kausalketten in geschlossenen Erzählformen beruhen, und um stereotypengeleitete Strukturen, die auf Story-Schemata und Erzählkonventionen basieren. Erzählformen und -strategien machen deutlich, dass Erzählungen nicht einfach eine Ereignis- und Handlungsabfolge chronologisch darbieten, sondern dass sie dramaturgisch gestaltet sind: »Dramaturgie ist eine strukturelle Eigenschaft von Erzählungen« (Eder 1999, S. 10), sie liegt dem »Aufbau des Werkes« zugrunde (Eick 2006, S. 37).

Film und Fernsehen haben eigene Strukturen des Erzählens und der Dramaturgie ausgebildet, die sich teilweise von literarischen und theatralen Strukturen des Erzählens unterscheiden. Grundsätzlich geht Dramaturgie auf die dramatische Gestaltung einer Erzählung zurück. Als grundlegendes Prinzip der Filmdramaturgie nennt Peter Rabenalt (1999, S. 17) die »sichtbare Erzählung in zeitlichem Verlauf, bildliche Narration«. Dramaturgie steht so zunächst offensichtlich in Beziehung zu dem, was ein Film auf der Leinwand oder eine Fernsehsendung auf dem Bildschirm zeigt. Doch tatsächlich steckt mehr dahinter. Sie ist nicht nur »das System des Handlungsaufbaus einer Erzählung«, dessen Elemente Ereignisse der erzählten Geschichte sind, wie Jens Eder (1999, S. 12) meint, sondern Dramaturgie hat eine grundlegende Aufgabe, »die Strukturierung der Ereignisabläufe, das heißt der Handlungen und Begebenheiten in der Fabel oder Story zu dem Zweck, beim Zuschauer ein Interesse auf den Ausgang und das Ergebnis der Handlungen zu erregen« (Rabenalt 1999, S. 25). Im Zentrum der Dramaturgie stehen Konflikte, die Figuren aktiv werden lassen und die Handlung vorantreiben.

Dramaturgie hat also die Aufgabe, die Kette von Ereignissen, in denen Personen handeln, so zu gestalten, dass bestimmte kognitive und emotionale Aktivitäten bei den Zuschauern angeregt werden. Es wird Wissen aufgebaut, und es werden Gefühle hervorgerufen. Die dramaturgische Gestaltung einer Erzählung macht diese z.B. spannend, komisch oder bedrohlich. Die Film- und Fernsehanalyse muss daher herausarbeiten, wie die Ereignisabläufe der Erzählung strukturiert sind. Denn nur so kann gezeigt werden, wie die Film- und Fernsehtexte die Rezeptionsaktivitäten der Zuschauer vorstrukturieren und die Geschichten in deren Köpfen entstehen lassen. Die dramaturgische Strukturierung der Erzählung legt fest, auf welche Art und Weise Informationen das Publikum erreichen und wie diese Informationen kognitiv und emotional verarbeitet werden (vgl. Elsaesser/Buckland 2002, S. 37). In Kapitel 2 in Teil II wird näher auf die theoretischen Aspekte eingegangen, sofern sie für die Analyse von Bedeutung sind.

Die Analyse von Narration und Dramaturgie ist wichtig, weil sie die Grundlage für die Geschichten in den Köpfen der Zuschauer bilden und deren kognitives und emotionales Verhältnis zur Leinwand oder dem Bildschirm regeln. Das Erkenntnisinteresse in der Analyse kann sich dann z.B. darauf richten, wie Spannung in einem Thriller erzeugt wird, wie das empathische Feld in einem Melodram aufgebaut wird, wie die Komik in einer Sitcom (situation comedy) entsteht oder wie der Konflikt zwischen Protagonisten und Antagonisten in einer Krankenhausserie aufgebaut und gelöst wird. Wenn Dramaturgie die Handlungs- und Ereignisabläufe einer Erzählung strukturiert und Erzählung als Verkettung von Situationen gesehen werden kann, in der Personen agieren, dann wird deutlich, wie eng Narration und Dramaturgie von Film- und Fernsehtexten mit Figuren und Akteuren verbunden sind.

2.3 Figuren und Akteure

Personen spielen in Filmen und Fernsehsendungen eine im wahrsten Sinn des Wortes wichtige Rolle. Nur in Natur- und Tierfilmen werden sie zu Randerscheinungen, wenn sie denn überhaupt vorkommen. In Spielfilmen und Fernsehserien haben sie eine wesentliche Funktion als Handlungsträger. Game- und Rateshows sind ohne Showmaster und Kandidaten nicht denkbar. Nachrichten und Magazine werden von Moderatoren präsentiert, und in den Beiträgen geht es häufig um menschliche Schicksale. Vor allem Talkshows wären ohne die Moderatoren und die auftretenden Gäste nicht denkbar. Personen, die in Film und Fernsehen auftreten, stellen etwas dar. Ihrer Darstellung liegt eine Inszenierung zu Grunde (vgl. Eder 2008, S. 325 ff.). Sie werden von Schauspielern oder realen Personen verkörpert.

Die Analyse der Personen, Charaktere und Figuren in den audiovisuellen Medienprodukten ist aus zwei Gründen besonders bedeutsam: Zum einen sind die auftretenden Personen als Handlungs- und Funktionsträger für die Dramaturgie und die narrative Struktur der Film- und Fernsehtexte wichtig, denn die zu erzählende Geschichte wird oft aus der Perspektive einer der Figuren dargestellt, und es sind gerade die Interaktionsstrukturen und Rollenzuweisungen, die im Zentrum von Game- und Talkshows stehen. Zum anderen hängt die Wahrnehmung der auftretenden Personen durch die Zuschauer von den in der Gesellschaft und der Lebenswelt der Zuschauer kursierenden Bedeutungen und Konzepten von Selbst, Person und Identität ab. Mit und durch die Film- und Fernsehfiguren verständigt sich die Gesellschaft u.a. über ihre Identitäts- und Rollenkonzepte. In diesem Sinn haben die Figuren und Akteure eine wesentliche Funktion im Rahmen der Repräsentation für die Subjektpositionierung und Identitätsbildung der Zuschauer.

 

Grundsätzlich muss unterschieden werden zwischen Figuren und Charakteren, die in fiktionalen Film- und Fernsehtexten auftreten, und Akteuren, die vor allem im Fernsehen spezifische mediale Funktionsrollen wie Moderator oder Showmaster übernehmen oder in dokumentarischen Film- und Fernsehformen vorkommen. Die Inszenierung von Figuren und Akteuren ist grundsätzlich zu dem Wissen und den Emotionen, der kommunikativen Aneignung und dem praktischen Sinn der Zuschauer hin geöffnet. Die kulturellen, lebensweltlichen Konzepte, die in der Wahrnehmung von menschlichen Wesen als Personen eine Rolle spielen, sind auch für die Wahrnehmung von Figuren und Akteuren in Film- und Fernsehtexten bedeutsam. Anhand welcher Kriterien und Merkmale werden menschliche Lebewesen als Personen wahrgenommen? Bereits in dieser Formulierung ist ein Kriterium enthalten: Es handelt sich bei Personen offenbar um menschliche Lebewesen. Doch allein das genügt nicht, denn auch künstliche Menschen, Außerirdische, Cyborgs und Roboter, die in Filmen oder Fernsehsendungen auftreten, werden als Personen wahrgenommen und identifiziert.

Um ein Wesen als Mensch wahrzunehmen, muss es einen individuellen, menschlichen Körper haben, der durch Zeit und Raum einheitlich bleibt – es sei denn, er verändert sich durch biologische, chemische oder technische Prozesse, die auch im Film erklärt werden. Es muss ferner ein wahrnehmendes Wesen sein, das Gefühle und intentionale Zustände wie Überzeugungen oder Wünsche hat und zur Selbstwahrnehmung fähig ist. Außerdem muss es eine natürliche Sprache benutzen und verstehen können und die Fähigkeit zu eigenen Handlungen und zur Selbstinterpretation haben. Schließlich muss es ein Potenzial an Charaktereigenschaften und unveränderbaren Merkmalen besitzen (vgl. Eder 2008, S. 61 ff.; Smith 1995, S. 21). Um diesen Menschen als eine Person wahrzunehmen, bedarf es weiterer Kriterien: Er oder sie muss einen Namen haben, ein Geschlecht und ein Alter, eine Herkunft und eine Nationalität. All dies macht ihn oder sie von anderen unterscheidbar und identifizierbar, eben in der Differenz zu anderen. Diese Differenz macht sich auch in einigen der allgemeinen Kriterien für menschliche Wesen bemerkbar, z.B. in unterschiedlichen Charaktereigenschaften, Gefühlen und Wünschen und nicht zuletzt in unterschiedlichen Körpern.

Lebensweltliches Wissen über soziale Typen, Persönlichkeitsprofile, Lebensstile usw. stellt die Muster bereit, die zur Interpretation der Figuren und Akteure sowie ihrer Einordnung in lebensweltliche Verweisungszusammenhänge beitragen. Wenn beispielsweise davon die Rede ist, dass Fernsehzuschauer das ständige Personal von Familienserien und Daily Soaps als Nachbarn oder »gute Freunde« (Gleich 1996, S. 128 ff.) betrachten, muss vorausgesetzt werden, dass die Zuschauer genau wissen, was gute Freunde oder Nachbarn auszeichnet, und dass sich in dem Verhältnis zu den Serienfiguren offenbar ähnliche Merkmale wiederfinden. Es gibt ein lebensweltliches Wissen darüber, was die soziale Rolle »Nachbar« bzw. »guter Freund« in einem bestimmten kulturellen Kontext ausmacht. Dieses Wissen wird sowohl von Zuschauern, die Serienfiguren als Nachbarn oder gute Freunde bezeichnen, angewendet als auch von Kritikern und Wissenschaftlern, die das Verhältnis von Zuschauern zu den Fernsehfiguren mit diesen Begriffen kennzeichnen. David Bordwell (1992, S. 13 f.) hat Personen- und Rollenschemata, die auf Handlungsträger im Film bezogen werden, als ein wesentliches Element von Kognition und Verstehen herausgearbeitet. Das Personal in Film- und Fernsehtexten steht immer in Bezug zu den jeweiligen Vorstellungen von Selbst und Identität sowie zu dem Wissen über Personen- und Rollentypisierungen, das im Rahmen spezifischer kultureller Kontexte in den lebensweltlichen Zusammenhängen zirkuliert.

Wenn von einem Verständnis von Film und Fernsehen als Kommunikationsmedien ausgegangen wird, dann ist für die Film- und Fernsehanalyse ein entscheidendes Moment, dass die Inszenierung von Figuren und Akteuren nicht nur für Kognition und Verstehen von Bedeutung ist, sondern gerade auch für die emotionalen Prozesse in der Rezeption und Aneignung. Die für die Analyse wichtigen Ansätze werden in Kapitel 3 in Teil II ausführlicher dargestellt. Vor allem über die Figuren und Akteure wird das Verhältnis von Nähe und Distanz der Zuschauer zum Geschehen auf der Leinwand oder dem Bildschirm bestimmt. In der Analyse muss daher herausgearbeitet werden, über welche Beziehungsangebote die Film- und Fernsehtexte dieses Verhältnis zwischen Figuren bzw. Akteuren und Zuschauern vorstrukturieren. Denn die Beziehungen, die Zuschauer zu Filmfiguren und Fernsehakteuren aufbauen, spielen nicht nur bei der Identitätsbildung eine wesentliche Rolle, sondern sind auch für das Fanverhalten und die sozial-kommunikative Konstruktion von Filmstars und Fernsehpersönlichkeiten bedeutsam.

2.4 Ästhetik und Gestaltung

Die Faszination von Filmen und Fernsehsendungen gründet vor allem auch darin, dass es sich um Medien des bewegten Bildes handelt. Einzelbilder werden auf spezifische Weise gestaltet und zu einem Bilderstrom zusammengefügt. Die Geschichten, die in den Köpfen der Zuschauer entstehen, basieren mit auf dem Wissen um filmische und televisionäre Darstellungsmittel und Gestaltungsweisen (vgl. Ohler 1994, S. 36 f.), das wiederum eng mit dem narrativen Wissen verknüpft ist. Es ist also nicht nur wichtig, was dargestellt wird, sondern auch wie es dargestellt wird. In der Filmwissenschaft wird in diesem Zusammenhang vom Diskurs des Films (vgl. Chatman 1993, S. 146 ff.; Tolson 1996, S. 41 f.), von der Filmform (vgl. Rowe 1996), vom Stil (vgl. Belton 1994, S. 41 ff.; Bordwell 2001; Bordwell/ Thompson 2013, S. 112 ff.) oder – im Zusammenhang mit dem Fernsehen – auch von Rhetorik (vgl. Mikos 1994, S. 134 ff. und 2001a, S. 186 ff.; Silverstone 1988) gesprochen. Die spezifischen filmischen und televisionären Darstellungsmittel binden die Zuschauer während der Rezeption eines Films oder einer Fernsehsendung an das Geschehen auf der Leinwand oder dem Bildschirm. Über sie werden die Zuschauer vor allem emotional durch die Erzählung geführt, sie werden in bestimmte Stimmungen versetzt, ihre Aufmerksamkeit wird auf einzelne Aspekte im Film- oder Fernsehbild gelenkt, ohne dass ihnen dies immer bewusst ist. Auf diese Weise werden sie in die Perspektiven der Erzählung und der Repräsentation eingebunden. Im Rahmen einer Analyse gilt es nun, gerade diese Aspekte herauszuarbeiten und sie in Beziehung zum Wissen der Zuschauer über filmische Darstellungsweisen zu setzen, um zur Bewusstmachung dieses Prozesses beizutragen. Die Gestaltungsmittel können auch für die Analyse von Inhalt und Repräsentation, Narration und Dramaturgie sowie der Figuren und Akteure zentral werden. Denn die formalen und stilistischen Gestaltungsmittel bewegter Bilder positionieren die Zuschauer zum Geschehen und machen die Erlebnisqualität von Filmen und Fernsehsendungen aus.

Die Gestaltungsweisen beruhen auf Konventionen der Darstellung. Das bedeutet, dass sie gelernt werden können und das Wissen um sie zur Routine, zum Teil des praktischen Sinns werden kann. Die Prozesse, die bei der Film- und Fernsehrezeption in Bezug auf die Darstellungsweisen ablaufen, können vorbewusst und teilweise unbewusst sein. Eine Analyse kann diese Prozesse bewusst machen, doch wird dies nicht dazu führen, dass sie auch in der konkreten Rezeptionssituation bewusst werden. Wer sich mit seinem Wissen auf einen Film oder eine Fernsehsendung einlässt, wird sich weiterhin emotional durch das Geschehen leiten lassen, im Nachhinein jedoch genauer sagen können, warum der Film eine gewisse Faszination ausgeübt hat.

Filmische Darstellungs- und Gestaltungsweisen dienen vor allem dazu, die Zuschauer in bestimmte Stimmungen zu versetzen. So spielen beispielsweise Komödien in hellen, großzügigen Räumen, während sich die Figuren in Psychothrillern in engen, dunklen Räumen bewegen müssen. Zugleich werden mit den Gestaltungsmitteln bei den Zuschauern Erwartungen hinsichtlich des weiteren Geschehens geweckt. Konventionen der Darstellung und Gestaltung beruhen auf ihrem häufigen Einsatz in Filmen und Fernsehsendungen und den damit verbundenen Lernerfahrungen der Zuschauer. Wenn z.B. Der Entscheidungswalk in der Castingshow »Germany’s Next Topmodel« stattfindet, sitzt die Jury auf einer kleinen Bühne und hat den Laufsteg im Blick. Die Kamera zeigt anschließend den Anfang des Laufstegs, und die Zuschauer erwarten nun, dass eine der Kandidatinnen dort auftaucht, um mit ihrem »Walk« zu beginnen. Oder es ist z.B. in einer Filmszene eine Frau zu sehen, die eine Straße entlangläuft, sie schaut sich manchmal um und macht einen gehetzten Eindruck, sie wird offenbar verfolgt. Die Kamera zeigt sie zunächst schräg von hinten, dann von der Seite; sie schaut zurück, und die Kamera folgt ihrem Blick. Schließlich übernimmt die Kamera ihren Blick nach vorn, und der Zuschauer sieht aus ihrer Sicht, wie sie auf eine Hausecke zuläuft. Nun erwartet er, dass hinter der Hausecke jemand erscheint, den sie dort nicht erwartet. Ist die Frau vorher als Identifikationsfigur aufgebaut worden, wird der Zuschauer in diesem Moment Angst empfinden, da er mit ihr mitfühlt oder Angst um sie hat. Mit dieser durch die Darstellungsweise erzeugten gespannten Erwartung werden die Zuschauer in psycho-physiologische Erregung versetzt, der Film zieht sie in seinen Bann. Ein »guter« Film lässt die Zuschauer kognitiv und emotional aktiv werden. Er gönnt ihnen zwar auch mal Ruhepausen, doch am Ende gibt er ihnen das Gefühl, zum Filmerlebnis ihren Teil beigetragen zu haben. Dabei kann die Gestaltungsweise des Films auch zu Überbeanspruchung und damit verbundenen Erschöpfungszuständen führen. Als Beispiele mögen hier »Batman Forever«, die »Herr der Ringe«- und die »Hobbit«-Trilogie oder »Natural Born Killers« dienen, ein Film, der mit grellen Farben, schnellen Schnitten, zahlreichen Spezialeffekten und lauter Musik arbeitet und damit an die Grenzen der gewohnten Wahrnehmungsweisen geht (vgl. Mikos 2002b).

Die Feststellung, dass Filme und Fernsehsendungen aus bewegten Bildern bestehen, ist nicht ganz richtig, denn tatsächlich setzen sie sich aus unbeweglichen Einzelbildern zusammen, die von den Zuschauern als bewegte Bilder wahrgenommen werden. Jedes einzelne Film- oder Fernsehbild bildet nicht nur etwas ab und stellt etwas dar, sondern ist in einer ganz spezifischen Art und Weise gestaltet. Das trifft nicht nur auf erfundene, fiktionale Geschichten zu, sondern auch auf abgebildete Realität. Jede Wiedergabe von Realität stellt nur einen Ausschnitt dar und ist durch die Technik und die spezifischen Darstellungsmöglichkeiten der Medien geformt. Auf diese Weise wird nicht nur »gesamtgesellschaftliche Komplexität […] auf das durch die Medien vermittelbare Maß reduziert« (Eurich 1980, S. 136), in einzelnen Film- und Fernsehbildern wird auch die Komplexität des Dargestellten auf das Darstellbare reduziert, es bleibt ein Rest – das Unsichtbare, das jedem Bild anhaftet. Dieses Unsichtbare kann aber wiederum durch spezifische Gestaltungsweisen wahrnehmbar gemacht werden. Darauf zielten bereits der Bühnenaufbau beim Theater und auch die Inszenierung von Filmen oder Fernsehsendungen ab. Seit der Erfindung des Tonfilms können den Bildern Töne, Geräusche, Sprache, Musik hinzugefügt werden. Die Kamera kann durch verschiedene Einstellungsgrößen und Bewegungen das Ihre zur Inszenierung beitragen. Für den Gesamteindruck eines Films ist wichtig, wie die einzelnen Filmbilder montiert sind, und für eine Fernsehsendung ist es nicht unerheblich, wie die Bildregie die einzelnen Kamerabilder zusammenfügt. Doch auch wenn die Medien die Komplexität der wirklichen Welt reduzieren, sind Film- und Fernsehbilder an sich ausgesprochen komplex.

 

Aufgrund dieser Komplexität sind die Zuschauer in der Rezeption genötigt, das Bild auf die wichtigen Informationen für ihre Aktivitäten abzutasten. Dabei geht es allerdings nicht darum, einzelne Bildinformationen gewissermaßen herauszupicken und als relevant anzusehen, sondern die Aktivität des Zuschauers liegt darin, die verschiedenen Aspekte des Bildes zueinander in Beziehung zu setzen (vgl. Ellis 1992, S. 54). Dabei kommt den einzelnen gestalterischen Mitteln besondere Bedeutung zu, denn sie lenken die Aufmerksamkeit der Zuschauer. Außerdem haben sie eine narrative Funktion, indem sie den Plot unterstützen. Sie dienen als Hinweise, die zum Verständnis der Filmerzählung beitragen und Erwartungen auf den Fortgang hervorrufen können (vgl. Ohler 1994, S. 36). Daher sind die gestalterischen Mittel für die Geschichte im Kopf der Zuschauer unentbehrlich.

Für eine Analyse der formalen, stilistischen Mittel müssen diese sowohl einzeln betrachtet als auch in ihrem Zusammenwirken untersucht werden. Letzteres wird bereits dann deutlich, wenn die Einzelelemente in ihrer narrativen Funktion herausgearbeitet werden. In den Mittelpunkt der Analyse rücken dabei folgende Aspekte eines Films oder einer Fernsehsendung: die Kamera, die Ausstattung, das Licht, der Ton, die Musik, die Spezialeffekte, die Montage bzw. der Schnitt. Abgesehen vom Schnitt gehören alle Elemente zu dem, was in der Filmwissenschaft auch als »Mise-en-Scène« bezeichnet wird. Knut Hickethier (2012, S. 50 f.) spricht in diesem Zusammenhang von »Bildkomposition«. Manche Wissenschaftler rechnen die Kamera nicht dazu (vgl. dazu auch Rowe 1996, S. 93 f.). Generell umfasst Mise-en-Scène alle Elemente, die in die Szene gebracht werden. Wichtig ist dabei ihre Beziehung zueinander (vgl. Belton 1994, S. 43 f.; Bordwell/Thompson 2013, S. 112 ff.) sowie zu Inhalt und Repräsentation, Narration und Dramaturgie, Figuren und Akteuren. Das Zusammenspiel der gestalterischen Mittel regt die Aktivitäten der Zuschauer an und bindet sie in den Prozess des Verstehens und Erlebens von Film und Fernsehen ein. Welche Rolle die einzelnen Gestaltungsmittel spielen, wird in Kapitel 4 in Teil II ausführlich dargestellt.

Die konventionellen Darstellungs- und Gestaltungsmittel, auch filmische oder televisuelle Codes genannt, lenken die Aufmerksamkeit der Zuschauer und haben einen wesentlichen Anteil an der Produktion von Bedeutung. In diesem Sinn können sie als die ästhetischen Mittel von Film und Fernsehen begriffen werden, die in der sinnlichen Wahrnehmung der Film- und Fernsehtexte durch die Zuschauer konkretisiert werden. Daher kann ein Erkenntnisinteresse, das sich auf diese formalästhetischen Mittel richtet, sehr fruchtbar sein. So ist es beispielsweise möglich, in der Analyse die Rolle der Kamera beim Aufbau der emotionalen Beziehung zwischen einer Filmfigur und dem Zuschauer herauszuarbeiten oder die Bedeutung der Montage für den Aufbau dramaturgischer Spannung zu untersuchen.