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DIE RÜCKKEHR DES »STRENGEN VATERS«



George Lakoff brachte es auf den Punkt, als er den Zulauf zur konservativen Politik als Hilferuf beschrieb. Diese »Conservative Message Machine« wird auch hierzulande seit Jahrzehnten kultiviert. Ziel ist es dabei, über ein rechtskonservatives Framing (Schubladendenken) das eigene Wertesystem an die Wähler zu bringen. Einer der wesentlichsten politischen Werte des konservativen Weltbilds ist das Modell des »strengen Vaters«. In der sogenannten »Strict-Father-Family« wird der Unterschied zwischen moralisch richtigem und falschem Verhalten durch Strafe gelehrt. Das konservative Menschenbild geht davon aus, dass Menschen nicht nur an sich ungleich sind, sondern auch mithilfe von Autoritäten zu ihrem Besten erzogen werden müssen. Nach dieser Logik heißt das: Wer es nicht zu Wohlstand und sozialer Anerkennung bringt, hat einfach zu wenig Disziplin gehabt, um sich in die Hierarchie zu fügen.



Die Rechnung ist demnach einfach: »Die da oben sind fleißig, gescheit und talentiert. Die da unten sind dumm, faul und unfähig.« So können die biedermännischen Profiteure diesen Verdienstadel hervorragend legitimieren. Ihre meritokratische Ideologie, nach der Status und berufliche Positionen nach Leistung und Qualifikationen vergeben werden, bestimmt eine Gesellschaft der Ungleichheit, in der es derartige Vermögens- und Einkommensunterschiede gibt. Auf diese Weise lässt sich nicht nur der Status quo argumentieren, sondern auch ein abgespeckter Vater Staat, der ausschließlich denen helfen soll, die sich seiner Hierarchie unterwerfen: Gott über Menschen, Einheimische über Ausländer, die christliche Religion über die anderen Religionen, Männer über Frauen.



Konservative Politik soll den »strengen Vater« als Familienerhalter unterstützen, indem sie ihn stärker macht – gegenüber fremden Kulturen oder auch gegenüber Feministinnen.



Dabei bauen die konservativen Brandstifter nicht nur Widerstand gegen die Emanzipation als solche auf, sondern brandmarken die Gleichstellung der Frau als männer- und familienfeindliche Ideologie, die das Wohl der Männer, Kinder und sogar das der gesamten Gemeinschaft bedroht. Nehmen wir nur die Frauenquoten für Spitzenpositionen als Beispiel. Angesichts der Tatsache, dass wir nach wie vor de facto eine bis zu 90-Prozent-Männerquote in Führungspositionen haben, wirkt diese »Bedrohung der Familienerhalter« geradezu paranoid.



Dennoch ist die konservative Message immer die gleiche: »Wenn du deine Autorität bedroht siehst, musst du etwas ändern. Also zum Beispiel das liberale Establishment abwählen.« Die Zahlen der letzten österreichischen Bundespräsidentenwahl beweisen, dass die konservative Offensive erfolgreich vorgearbeitet hat. Im Mai 2016 wählten in einem fortschrittlichen, modernen europäischen Land wie Österreich in der Stichwahl 46 Prozent einen Kandidaten des rechten Lagers. Auch wenn Norbert Hofer knapp unterlag, konnten die Brandstifter einen Erfolg feiern. Fast die halbe österreichische Bevölkerung hatte einen extrem rechten Kandidaten gewählt. Und diesmal waren auch richtig viele Frauen dabei. Damit aber nicht genug. Ein Jahr später, 2017, beantworteten in einer Umfrage des

SORA-Instituts

 nur 78 Prozent der österreichischen Befragten die Frage »Ist Demokratie die beste Regierungsform?« mit einem Ja. Zehn Jahre davor waren es noch 86 Prozent gewesen. Einige Zahlen, die belegen, dass die Demokratisierung der Gesellschaft, die so wesentlich für den Erfolg der Frauenbewegungen war, immer öfter infrage gestellt wird und damit auch die Idee der Freiheit in demokratischen Gesellschaften, die die uneingeschränkte Toleranz gegen rückschrittliche Bewegungen ausschließt. »Und gehören nicht alle Versuche und Doktrinen, Menschen und Gesellschaften wieder mehr voneinander zu trennen zu diesen Rückschritten?« Herbert Marcuse hat diese Fragen in seinem Essay »Repressive Toleranz«

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 behandelt und bejaht. Das Adjektiv »rückschrittlich« hat er treffend gewählt. Es verdeutlicht, dass Bewegungen, die anderes nicht tolerieren wollen, kein Interesse haben, Schritte auf einen Dialog hin zu machen. Sie wollen einen oder mehrere Schritte zurück, oft in eine fiktiv überhöhte Vergangenheit, in der die Herrschaftsverhältnisse noch sicher in Männerhand waren.



Diese Verunsicherung befeuert die Sehnsucht nach dem »Früher«, nach der alten Ordnung, nach einer Welt, die weniger komplex war und nach einfachen Regeln funktioniert hat. Und die Lage wird sich voraussichtlich verschärfen. Das Ausmaß an Druck, das durch die zunehmende Digitalisierung und Automatisierung auf unsere Geschlechterverhältnisse zukommt, ist kaum einzuschätzen. Schon der Philosoph und Historiker Walter Benjamin wusste, dass sich mit den neuen Medien auch die Gesellschaft ändert. Nichts ist mehr gewiss und so spüren wir, wie traditionelle und liberale Weltbilder, Geschlechterrollen und Klassenprivilegien (nicht nur digital) härter denn je aufeinanderprallen.





RENAISSANCE DER SEHNSUCHT NACH DEM STARKEN MANN?





So zeigte eine während der österreichischen Präsidentschaftswahl 2016 durchgeführte Studie des »Zentrum für Politische Bildung«, dass es nicht nur Abstiegsängste sind, die junge Männer in die Hände der Rechtspopulisten treibt.

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 Die Studienautoren Georg Lauß und Stefan Schmid-Heher wollten von 700 männlichen Wiener Lehrlingen wissen, wie sie das politische System erleben, was sie von Demokratie im Allgemeinen halten und wie sie ihre beruflichen Chancen bewerten. Befragt wurden angehende Köche, Kfz-Mechaniker, Tischler, Banckaufleute und Friseure. Wenn einer der Autoren schreibt, dass sich diese jungen Männer »anscheinend nach einem starken Mann sehnen, der für sie ihre Welt ordnet«, vermutet man hinter dem Wunsch zu Recht die Sehnsucht nach einer unhinterfragten männlichen Autorität, die sie zu den Wahlurnen und in die Arme der Rechtskonservativen treibt.



Rechtspopulistische Politik verteidigt die privilegierte Rolle des Mannes in einem liberalen System, das den Wendigen und Erfolgreichen Chancen, den weniger Flexiblen jedoch vor mehr Herausforderungen stellt. Beispielsweise eine Partnerin zu finden, die sich seinen Bedürfnissen unterordnet und seinen Anteil an der Reproduktionsarbeit (Haushalt, Kinder) übernimmt. Vielleicht war es von den Progressiven und Linken naiv zu glauben, dass jeder Mann seine Position bereitwillig an eine fachlich ebenso kompetente Frau abgibt und daheim freiwillig die Hausarbeit übernimmt. Ebenso zynisch war es, die Frauen in die Verantwortung zu nehmen, selbst nachzuforschen, ob sie schlechter bezahlt werden als ihre Kollegen. Viel eher hätten sie sich ein Beispiel an Island nehmen sollen, wo seit Januar 2018 per Gesetz gilt, dass es die Pflicht der Unternehmen ist, eine faire Bezahlung ihrer weiblichen und männlichen Angestellten zu dokumentieren. Während sich andere Länder wie Deutschland das kleine Island bereits zum Beispiel nehmen, unternimmt Österreichs Regierung vorerst keine weiteren Schritte dazu.





VON DER »NATÜRLICHEN ROLLENVERTEILUNG« UND IHREN FOLGEN



Ein weiterer Indikator für die fortschreitende konservative Offensive ist, dass die wachsende ökonomische und digitale Zersplitterung wieder mehr Menschen in die traditionellen Rollenbilder treibt. »Angesichts all dieser Umwälzungen und Unsicherheiten ist die Versuchung groß, sich auf die gute alte Mutter Natur zu berufen und die Ambitionen der vorangehenden Generation als Verirrung anzuprangern«,

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 wettert die französische Historikerin und Philosophin Elisabeth Badinter in ihrem Buch »Der Konflikt«, das eine breite internationale Debatte auslöste. Biedermänner stützen sich darauf, die Ursache der Geschichte in der Natur anzusetzen. Die natürliche Keimzelle alles Gesellschaftlichen ist demnach die Familie. Sie gilt im konservativen Wertekonzept als etwas Natürliches, allerdings nur in der traditionellen Form: Mutter – Vater – Kind. Ein Mann und eine Frau heiraten, bekommen Kinder und bleiben zusammen, bis dass der Tod sie scheidet. Das ist das konservative »Naturgesetz«, aus dem auch die männliche Identität abgeleitet wird. Zu dieser gehört das unbewusste Bedürfnis, das eigene Geschlecht aufzuwerten, indem Weiblichkeit abgewertet wird. »Sich als einzelner Mann von dieser Konstruktion abzugrenzen ist schwer. Die Ambivalenz gegenüber Frauen prägt sich dem kleinen Jungen ein – und erfährt immer wieder Nachprägungen,« erzählt der deutsche Soziologe Rolf Pohl über seine Erfahrungen. Nach wie vor gilt hier die Formel: Das Leben ist nicht gerecht, und für die meisten Männer ist das gut so. Was sie eint, sind nicht die Status- und Rangkämpfe untereinander, sondern die Abgrenzung zu »den Frauen«. Kein Mann würde eine Frau sein wollen, aber findet es praktisch, dass es Frauen gibt.



Dieser Logik folgend ist es den Konservativen allerorts ein Dorn im Auge, wenn das Konzept der Geschlechterrollen hinterfragt wird. Sie wissen, dass mit der Kritik an den Biologismen auch ihr Familienbild unter Beschuss gerät. Schließlich untersucht die wissenschaftliche Geschlechterforschung die soziale Abhängigkeit von Rollenbildern. Es geht darum, abzustecken, inwiefern und wie stark soziale Normen festlegen, was innerhalb einer Gesellschaft als männlich und weiblich gilt. Es ist also kein Zufall, sondern konservatives Programm, dass die ungarische Orbán-Regierung Fächer wie »Gender Studies« diffamiert. Diese Studienrichtungen würden die »Fundamente der christlichen Familie« untergraben. »Gender-Mainstreaming« bedeute, dass Ideologinnen die männliche Identität zerstören wollten. Im Sinne des Regierungserlasses von 2018 können bereits begonnene Lehrgänge in Gender Studies zu Ende geführt werden, allerdings dürfen keine neuen mehr begonnen werden. Damit propagiert die Partei nicht nur erfolgreich ihr rückwärtsgewandtes Familien- und Geschlechterrollenbild, sondern verstärkt auch die Wahrnehmung ihrer Anhänger, dass an den Geschlechterbeziehungen nun einmal nicht gerüttelt werden soll.

 



Dieser Backlash beziehungsweise die Rückkehr konservativer Wertvorstellungen sowie die Einflussgewinnung von dahingehend orientierten Kräften greift nicht nur in Ungarn um sich. Er macht Maßnahmen wie das Gender-Mainstreaming zunichte, die eigentlich als politische Interventionen gedacht waren, um die Ungleichheit zwischen den Geschlechtern abzubauen. Obwohl die wenigsten wissen, worum es dabei eigentlich geht, hat es den schlechten Ruf der Gendertheorie bekommen, von dem es lediglich die Erkenntnis übernommen hat, dass die Geschlechterrolle auch (!) eine sozial hergestellte ist. Gender-Mainstreaming hat die Funktion, die Politik darauf hinzuweisen, dass sie manchmal unterschiedliche Auswirkungen auf die Geschlechter hat. Mit einer solchen Maßnahme könnte man Geschlechterrollen erweitern oder verfestigen.



Das Ziel, die Gleichstellung von Mann und Frau unter Berücksichtigung der geschlechtsspezifischen Lebensbedingungen und Interessen zu verwirklichen, scheint in weite Ferne zu rücken.



Die Zeiten sind komplex, komplizierte Theorien zur Erklärung ihrer Phänomene unerwünscht. Statt auf Prävention zu setzen, um Diskriminierung zu vermeiden, ruft man lieber die gute alte Frauenpolitik auf den Plan, die die ärgsten Ungleichbehandlungen abfedern soll, aber keine strukturellen Änderungen durchsetzen muss. Das Prinzip des Gender-Mainstreamings löst dort, wo es eingesetzt wird, viele Diskussionen aus. Das muss aber für eine funktionierende Demokratie nicht schlecht sein. Wer ein aufrichtiges Interesse daran hat, Ungleichheit zu minimieren, kann ein Prinzip wie Gender-Mainstreaming, das diese Ungleichheiten zur Debatte stellt, nicht schlicht ad acta legen. Das rechte, konservative und rechtspopulistische Spektrum bemüht sich, es als »Genderisierung« zu brandmarken. Ex-FPÖ-Präsidentschaftskandidatin und Parade-Biederfrau Barbara Rosenkranz schrieb sogar ein ganzes Buch über den »Gender-Wahn«.

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 Wenn man bedenkt, dass Gender-Mainstreaming seit 1997/1999 ein erklärtes Ziel der Europäischen Union ist, kann man ob der zögerlichen Verbesserungen nur den Kopf schütteln.



Dass es auch anders geht, beweist das Beispiel des Leitfadens des schwedischen Außenministeriums vom August 2018. Geschlechtergleichheit wird hier als »essenziell zum Erreichen sämtlicher Ziele der Regierung wie Frieden und Sicherheit« gesehen. Außenministerin Margot Wallström verwies bei der Vorstellung des Handbuchs auf erste Erfolge der feministischen Außenpolitik: Im eigenen Ministerium waren 2016 vier von zehn schwedischen Botschaftern Frauen, vor zwei Jahrzehnten waren es nur zehn Prozent gewesen.



Frauenpolitik ist eben nicht gleich Frauenpolitik. Während die schwedische Außenministerin ein Handbuch für feministische Außenpolitik veröffentlicht hat, tanzt die österreichische Außenministerin mit dem russischen Präsidenten auf ihrer Hochzeit. So geschehen ebenfalls im August 2018, in der kleinen südsteirischen Gemeinde Gamlitz. Dass dieser »Arbeitshochzeitsbesuch des russischen Präsidenten« Irritationen im In- und Ausland hervorrufen würde, damit war wohl zu rechnen. Auch die Erklärung der Braut, dass dies eine rein private Hochzeitsfeierlichkeit gewesen sei, ist beim Anblick der Gästeliste wenig glaubwürdig. Normalerweise präsentieren sich auf einer »in erster Linie privaten Feier und des persönlichen Besuchs«

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 auch keine teils schwer bewaffneten Beamten. Dennoch war die außenpolitische Inszenierung nicht umsonst. Gewinner dieses Auftritts war in jedem Fall die russlandfreundliche FPÖ. Selbst Bundeskanzler Kurz störte sich nicht daran, mit dem Kreml-Chef das Auto zurück zum Flughafen zu teilen, ihm blieb »die Logik und die Absicht, ein so persönliches Fest auf diese Art und Weise politisch zu inszenieren und missbrauchbar zu machen«

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 im Gegensatz zu dem in die Bredouille geratenen ÖVP-Abgeordneten Othmar Karas nicht verschlossen.



Auch der Hinweis Putins, dass die Außenministerin besser spät als nie geheiratet hätte, unterstreicht, dass der russische Präsident weniger zur feministischen Speerspitze, sondern vielmehr zur konservativen Offensive gehört, die in Europa für eine Rückkehr zu »glorreicher« vergangener Größe wirbt.





RUSSLAND UND DIE FRAUEN





Zwar ist die Gleichheit der Geschlechter in der Verfassung der Russischen Föderation verankert, doch Unabhängigkeit erwarten die russischen Männer von ihren Partnerinnen nicht. Nur zwei Prozent schätzen diese Eigenschaft, ergab eine Umfrage vor einigen Jahren. Dabei galt Russland einst als Vorreiter der Frauenbewegung. Noch vor der Oktoberrevolution 1917 errangen die Russinnen mit einem großen Marsch durch Sankt Petersburg das Wahlrecht. Als weltweit Erste erreichten Russlands Frauen die Legalisierung der Abtreibung.



Unter der Terrorherrschaft von Josef Stalin lösten sich die liberalen Errungenschaften in Luft auf. Bis jetzt gibt es kein Gesetz, das Maßnahmen gegen die Diskriminierung von Frauen gewährleistet, und das, obwohl in keinem Land der Welt so viele Berufe für Frauen verboten sind wie in Russland. Nicht nur die Position eines Zugführers in der U-Bahn bleibt Frauen verschlossen, auch eine russische Außenministerin ist in nächster Zeit nicht zu erwarten. Das Frauenbild der Ehefrau und Mutter wird vom Staat befördert. Das gefällt auch anderen konservativen Kräften wie der russisch-orthodoxen Kirche.



Putin traut sich auch 2018 offen, Frauen über ihre »natürliche« Rolle als Mutter und Hausfrau zu bestimmen. Ein Vorgehen, das auch die hiesigen Konservativen billigen. Sei es, dass die FPÖ die Ehe als »natürliche« Verbindung zwischen Mann und Frau mit dem klaren Willen, Kinder zu zeugen, verstanden haben will und daher im Zusammenhang mit der Erkenntnis des Verfassungsgerichtshofes (VfGH) zur »Ehe für alle« die heterosexuelle Ehe inklusive Kindersegen sachlich privilegiert sehen will. In der klassischen antiemanzipatorischen Sicht einer Partei wie der FPÖ geht es in der Ehe nicht »um die Gewährleistung des individuellen Glücks von Mann und Frau, sondern darum, deren ökonomische und sexuelle Verbindung auf das kollektive Interesse hin zu transzendieren«.

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 Also im Klartext: Die Gesellschaft will etwas von der Verbindung von Mann und Frau haben, am besten Kinder. Dass die Ehe von Karin Kneissl schon aus Altersgründen mit dieser Definition in Widerspruch steht, schien die anwesenden politischen Repräsentanten im Übrigen nicht zu stören.



Die

New York Times

 titelte nach Kneissls Hochzeit: »The bride was a dream in a dirndl, but Putin stole the show«.

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 In diesem Sinne passte auch der tiefe Knicks der Außenministerin nach dem Tanz mit dem Ehrengast am »schönsten Tag ihres Lebens« perfekt zum Weltbild des erzkonservativen Kremlchefs Putin. Kontraproduktiv nannten es einige, dass die Braut nicht nur die »Gleichberechtigung nach österreichischem Standard«, sondern auch das »neutrale Österreich« während der Zeit seiner EU-Ratspräsidentschaft vorführte. FPÖ-Chef und Hochzeitsgast Heinz-Christian Strache fühlte sich folglich dazu berufen, Kritiker daran zu erinnern, dass der »höfliche Knicks von ihr nach dem Tanz« Teil des Faches »Erziehung und gutes Benehmen«

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 sei, mit dem »die 68er-Generation« offenbar auf Kriegsfuß stehe. Die Feministen, Liberalen und Andersdenkenden wüssten schlicht nicht, was sich gehöre. Oder an welchem Platz.














DAS UNGLEICHE GESCHLECHT












Die Menschen werden ungleich geboren. Der große Segen der Gesellschaft besteht darin, diese Ungleichheit so weit wie möglich durch die Beschaffung von Sicherheit, des erforderlichen Eigentums, der Ausbildung und des Beistands für einen jeden zu mindern.







JOSEPH JOUBERT










GLEICHHEIT HAT

 einen furchtbar schlechten Ruf. Der hat sich vor allem aus dem Missverständnis entwickelt, dass Gleichheit postuliert, dass es keine Unterschiede zwischen Menschen gibt. Gegner der Gleichheit, seien es Rassisten, Sexisten, religiöse Fundamentalisten, werden nicht müde zu betonen, dass es einfach nicht wahr sei, dass wir Menschen alle gleich sind. Auch unsere Biedermänner bedienen sich dieses Taschenspielertricks. Und ja, einige von uns haben einen höheren Fettanteil, andere weniger IQ-Punkte, manche mehr als zwei Häuser zu vererben, wieder andere Sommersprossen. Tatsächlich unterscheiden sich Menschen in so vielen Dingen voneinander, dass man auf der Suche nach einer Grundlage von faktischer Gleichheit verzweifeln mag. Als Individuen tun wir das sogar stärker als durch Religions-, Bildungs- oder Geschlechterzugehörigkeit. Eines jedoch haben wir trotz aller Unterschiede gemeinsam: nämlich Interessen, die wir berücksichtigt wissen wollen. Wohl oder übel ist die Tatsache, ein Mensch zu sein, unendlich viel wichtiger als alle Einzelheiten, die die Menschen voneinander unterscheiden.



Selbst die konservativsten unter den Biedermännern werden schwer dagegen argumentieren können, dass wir alle wesentliche Interessen teilen – »wie das Interesse, Schmerzen zu vermeiden, unsere Fähigkeiten zu entfalten, die Grundbedürfnisse nach Nahrung und Obdach zu befriedigen, liebevolle persönliche Beziehungen zu genießen, frei zu sein, um eigene Pläne ungestört zu verwirklichen und vieles andere«.

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 Was sie zu konservativen und wirtschaftsliberalen Brandstiftern macht, ist aber, dass sie bestreiten, dass die Interessen aller gleich viel wert sind. Es gelingt ihnen auf diesem Weg zum Beispiel, Mittel- und Unterschicht gegeneinander auszuspielen. Populisten betonen beispielsweise ständig, die Interessen der »Leistungsträger« müssten gegenüber den »Leistungsverweigerern« gewahrt werden. Und wer zu den selbigen zählt, entscheiden sie.



Leistungsträger wären nach dieser Logik also automatisch die im Allgemeinen besser verdienenden, weil für den Arbeitsmarkt besser verfügbaren Männer, die »Leistungsverweigerer« – die weniger verdienenden, generell kinderbetreuungspflichtigen und arbeitstechnisch nicht frei verfügbaren Frauen. Die türkis-blaue Regierung hat sich 2017 in ihr Programm geschrieben: »Die Verschiedenheit von Mann und Frau zu kennen und anzuerkennen, ist ein Bestandteil menschlichen Lebens und damit unantastbar mit der Würde des Menschen verbunden.«

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 Wenn wir eines aus der Philosophie lernen können, dann das, dass kein Weg vom Sein zum Sollen führt. Auf das aktuelle Beispiel übersetzt heißt das: Diese »Verschiedenheit von Mann und Frau« führt nicht zwingend dazu, dass wir die Interessen der einen (in dem Fall der Männer) den Interessen der anderen (Frauen) vorziehen dürften. Gleichheit ist ein moralisches Prinzip, nicht eine Tatsachenbehauptung.



Das Prinzip der Gleichheit bedeutet nicht, dass wir alle in allem gleich sein müssen, aber dass wir die Interessen aller gleichwertig abwägen müssen.



Was behaupte ich also berechtigterweise, wenn ich sage, dass Männer und Frauen »gleich« sind? Zunächst einmal ist zu sagen, dass bestimmte Unterschiede zwischen Männern und Frauen immer bestehen bleiben. »Ihre Beziehungen zum eigenen Körper, zum männlichen Körper, zum Kind werden nie identisch mit denen sein, die der Mann zu seinem Körper, zum weiblichen Körper, zum Kind unterhält.«

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 Wenn die Rede von der »Gleichheit in der Unterschiedlichkeit« ist, dann wäre es lächerlich zu behaupten, so Beauvoir, dass es »keine Ekstase, keine Leidenschaft mehr geben« würde, nur weil Mann und Frau einander konkret gleichgestellt würden, sondern es würde nur bedeuten, dass ihre Interessen im gleichen Maß berücksichtigt werden müssen. In dieser Argumentation ist nicht entscheidend, dass jeder das Gleiche ist oder hat, sondern dass jeder seinen Interessen gemäß genug hat. Wer allerdings beurteilen soll, wann jemand genug hat, bleibt offen und öffnet der Willkür Tür und Tor.



Diejenigen Frauen, die sich an der konservativen Politik beteiligen, werden zu Komplizinnen der Biedermänner, die die Interessen einiger (der Gutverdienenden) jenen der schlechter Verdienenden oder Arbeitslosen, die der Männer jenen der Frauen, die der Unternehmen jenen der Arbeitnehmer vorziehen – und damit auch gleich die Ungleichheit der Geschlechter zementieren. Diesen Biederfrauen entgeht, dass es keinen logisch zwingenden Grund gibt, behauptete oder faktische biologische und soziale Unterschiede in den Fähigkeiten zweier Menschen heranzuziehen, um die Bevorzugung der einen vor den anderen Interessen rechtfertigen zu können. Die Biologie reicht bei Weitem nicht aus, um eine Antwort auf die Frage zu geben, warum die Frauen seit jeher das »ungleiche Geschlecht« sind. Schließlich hängen die Möglichkeiten der einzelnen Frau wie bei jedem Menschen nicht nur von ihren Geschlechtsorganen, sondern von ihrer ökonomischen und

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