Stein mit Hörnern

Tekst
0
Recenzje
Przeczytaj fragment
Oznacz jako przeczytane
Czcionka:Mniejsze АаWiększe Aa

Als die Stunde vergangen und alles gesagt war, was nicht ausgesprochen zu werden brauchte, begannen sie, in ihrer Stammessprache miteinander zu sprechen, die hier niemand außer ihnen selbst verstand. Sie konnten nicht belauscht werden, sie blieben noch immer ganz unter sich.

»Es sind alle gesund, Inya-he-yukan. Wakiya und Hanska, Kte Ohitaka und Wable-luta-win, Mary und ihr Sohn. Robert ist auch gesund.«

»Und was ist sonst noch mit ihm?«

Tashina liebte ihren Mann, wenn er schwieg, aber sie liebte auch seine Stimme, die dunkel und fest war.

»Robert war neun Tage in unserem Stammesgefängnis und muss noch einmal fünf Tage dorthin, weil er zu Sidney Bighorn, als dieser unsere Ranch besichtigen wollte, sehr unfreundliche Worte gesagt hat.«

Das Lächeln auf dem Gesicht des Mannes erlosch.

»Als was kam Sidney?«

»Als Angestellter der Distriktverwaltung.«

»Du warst nicht da?«

»Ich war nicht da, auch Mary war nicht da.«

»Was wollte er denn von mir? Weißt du es?«

»Von dir?«

»Er ist hier gewesen.«

In Queenies Wangen schoss die Zornröte. »Hier?«

»Ja. – Du weißt also nicht, was er wollte. Versuche es zu ergründen. Ich habe ihn nicht angehört. Vielleicht wollte er auskundschaften, ob ich wieder gesund werde oder nicht.«

»Er ist ein böser Geist, und er ist gefährlich. Robert hat sich zu schnell hinreißen lassen. Nun, das ist geschehen, und Robert wird künftig beherrschter sein. Wenn ich zurückkomme, sitzt er seine letzten fünf Tage ab. Er hat jetzt Hafturlaub.«

Inya-he-yukan lächelte wieder ein wenig. »Wambeli-wakan ist weise.«

»Nun hat Mary noch eine Frage an dich, Inya-he-yukan. Der Büffelstier, sagt sie, wird zu bösartig. Mary meint, er müsse erschossen werden, noch ehe Robert wieder in das Stammesgefängnis geht. Meint sie.«

Inya-he-yukan überlegte nur kurz.

»Er muss also erschossen werden. Holt euch Frank Morning Star. Er ist ein guter Schütze, nach mir der beste. Er kann den Büffel erschießen. Ein Häuptling den anderen!«

»Es ist mir weh ums Herz, Inya-he-yukan, wenn das Tier stirbt. Aber wenn du es sagst, soll es so sein. Ich hole Frank Morning Star.«

»Hau. Wie wollt ihr Haut und Fleisch verwenden? Hat Mary mit dir darüber gesprochen?«

»Ja. Sie sagt, sie will den ganzen Büffel an Elisha Field verkaufen, an Field, den Wirt in New City, der jetzt die Kneipe O’Connor betreibt. Er sei ein ordentlicher Mann, sagt sie, und er schmuggle keinen Brandy auf die Reservation. Sie meint, er könne ein regelmäßiger Kunde für die Ranch werden.«

»Und was denkst du?«

»Ich möchte das Fell und die Hörner haben. Wir können sie kunstvoll bemalen und verarbeiten, und dann erhalten wir das Vielfache von dem, was ein Wirt dafür geben kann.«

»Wofür brauchst du das Geld?«

»Mary will einen jungen Stier kaufen. Sie hat einen gesehen auf der Büffelranch, von der du auch den alten geholt hast.«

»Muss sie sofort zugreifen?«

»Es scheint so.«

»Dann gib ihr von unseren Ersparnissen, damit sie den jungen Stier damit kaufen kann. Ich halte es für richtig, dass ihr die Haut und die Hörner des alten kunstvoll bearbeitet.«

Queenie hatte nicht das Herz, ihrem Mann zu gestehen, dass es keine Ersparnisse mehr gab. Die Klinik war teuer.

»Ich werde Mary deine Worte wiederholen, Inya-he-yukan.«

»Gut. Mit Elisha Field mag ich nichts zu tun haben. Lass du dich auch nicht mit ihm ein. Wenn Mary das Büffelfleisch an ihn verkaufen will, muss sie in ihrem eigenen Namen handeln und dir nur das Geld geben oder es in unsere Ranch stecken.«

»Ich verstehe.«

Queenie war erleichtert. Alles, was mit New City und einer ehemaligen Schmugglerkneipe zusammenhing, roch für sie übel. Sie fürchtete sich davor wie vor unheimlichen Geistern.

»Was gibt es sonst Neues?« erkundigte sich Joe.

»Yvonne hat Charles Morning Star, den jüngeren Bruder von Frank Morning Star, geheiratet. Ihre Mutter denkt schon an die nächsten Wahlen und arbeitet für Frank Morning Star gegen die Trinkerpartei.«

»Das kannst du auch tun.«

»Yvonnes Bruder Louis lernt tüchtig auf dem College.«

»Ich fange auch bald wieder an zu lernen. Ich darf schon ein Buch umblättern.«

»Du fühlst dich besser!«

»Sobald es möglich ist, gehe ich heim.«

»In das Hospital auf unserer Reservation?«

»Nein. Zu Roger Sligh gehe ich nicht. Ich gehe heim, zu uns heim, ins Blockhaus. Verhindere mit allen Mitteln, dass sie mich in das Reservationshospital bringen. Verstehst du?«

»Hat Sligh dich nicht gut operiert?«

»Er hat ein wahres Wunder getan, nach den Röntgenbildern zu urteilen. Eivie hätte das nicht vermocht. Eivie ist mit dem Herzen gut, Sligh ist es mit dem Messer. Aber Mr Sligh, M. D., muss auch gewusst haben, warum er mich dann hierher bringen ließ. Verstehst du?«

»Ich verstehe.«

»Die Klinik Dr. Miller ist teuer. Ich habe es erfahren. Fünfzig Dollar den Tag, das ist sogar noch ein Vorzugspreis, weil ich ein interessanter Fall bin. Dazu kommen die Arztrechnungen. Wie hast du es bis jetzt gemacht?«

»Ich habe das Bild von Rotadlermädchen verkauft. Der Gesundheitsdienst gibt einen Zuschuss.«

Inya-he-yukan sah seine Frau forschend an.

»Nun gut. Ich möchte wieder gesund werden. Ein Krüppel ist eine Last und zu nichts nütze. Es wird also noch ein halbes Jahr vergehen – hier. Schaffst du das, Tashina?«

»Ich schaffe es, Inya-he-yukan.«

»Wann fährst du zurück?«

»Ich habe Zeit.«

»Daheim brauchen sie dich.«

Es fiel Tashina schwer, sich zu verabschieden, obgleich sie wusste, dass sie ihren Mann nachmittags und auch am folgenden Morgen noch einmal besuchen durfte. Die erste und beste Stunde war vorüber.

Queenie King fuhr mit ihrem schnellen Wagen zu dem Motel zurück, säugte und versorgte das Kind und fragte sich, was Dr. Miller ihr wohl zu sagen habe. Ehe sie die Klinik verließ, hatte die Stationsschwester ihr mitgeteilt, dass der Chefarzt sie nachmittags um drei Uhr zu sprechen wünsche.

Queenie entschloss sich, das Kind im Motel zu lassen.

Punkt drei Uhr saß sie Dr. Miller am großen Schreibtisch gegenüber. Sie versuchte zu ergründen, was er für ein Mensch sei, aber sie fand nicht mehr als einen Arzt und Klinikdirektor von imposanter Statur, mit der Form der Brille die vorhandene Intelligenz markierend, selbstbewusst, wie die vollen Lippen verrieten.

Die Röntgenbilder lagen alle bereit, die Aufnahme aus Kanada, eine Aufnahme vor der Operation, zwei Aufnahmen nach der Operation, eine nach der Überführung in die Klinik Miller und zwei Bilder während der klinischen Behandlung. Miller erklärte, und Queenie erkannte alle Rückschläge und Fortschritte im Bild.

»Ihr Mann ist ein dankbarer Patient, Mrs King – eiserne Energie, keinerlei ungeduldige Dummheiten. So, wie die Sache jetzt aussieht, möchte ich eine vollständige Heilung – mit wieder eintretender voller Beweglichkeit – fast garantieren. Die stationäre Behandlung darf allerdings nicht unterbrochen werden. Ich rechne, dass wir Ihnen in etwa einem Jahr einen gesunden, leistungsfähigen Menschen wiedergeben –«

»Mein Mann rechnet mit einem halben Jahr.«

»Man wird sehen. – Übrigens, eine Information für Sie, Mrs King: Ein Beauftragter des Gesundheitsdienstes war hier und hat nach Einsichtnahme in die Röntgenbilder erklärt, dass die stationäre Behandlung im Indian Hospital vollständig genüge, auch von Anfang an genügt hätte. Der Gesundheitsdienst werde keine Zuschüsse geben. Eine solche Möglichkeit sei im Etat überhaupt nicht vorgesehen.«

Queenie wechselte die Farbe.

»Das bedeutet natürlich nicht, dass irgendjemand an eine zwangsweise Rücküberführung denkt. Keinesfalls.«

Dr. Miller machte eine Kunstpause. Queenie schaute angstvoll auf ihn; sie wollte seine Augen fassen, aber es spiegelten ihr nur die großen Brillengläser entgegen. Ein Mensch saß hinter Glas; sie hatte plötzlich die verrückte Vorstellung, einen Fisch im Aquarium zu sehen.

Vielleicht würde sie das malen.

»Keinesfalls eine zwangsweise Rückführung, sagte ich. Aber wir werden hier vom Gesundheitsdienst keine Zuschüsse erhalten. Alle Kosten sind rein privat von Ihnen aufzubringen.«

Dr. Miller zog ein Karteiblatt hervor, das bisher von anderen Papieren verdeckt gewesen war. »Ihr Konto – Mrs King. Ich bespreche das mit Ihnen persönlich, ehe Sie ins Büro gehen. Sie sind mit den Zahlungen zwei Monate im Rückstand – dazu kommen die Arztkosten. Also 3 000 Dollar plus 900 Dollar – 3 900 Dollar. Wieviel wollen Sie davon jetzt begleichen – in welchen Raten wollen Sie abzahlen, und wie wollen Sie das mit den neu anfallenden Kosten halten? Sie können es sich überlegen. Wir kommen Ihnen entgegen. Sagen Sie noch vor Ihrer Abreise bitte im Büro Bescheid.«

Die Worte waren Wellen, die rings um Queenie schaukelten, um sie zu ertränken.

»Ja – danke.« Queenie stand auf und ging.

3 900 Dollar – im Rückstand.

Sie hatte einen Scheck bei sich, den Scheck, den sie für das verkaufte Porträt von Rotadlermädchen erhalten hatte. Sie hatte das tote Rotadlermädchen verkauft. So fühlte sie es. 1 300 Dollar. Sie gab den Scheck im Büro ab und vereinbarte, dass sie 2 600 Dollar innerhalb von zwei Monaten in vier Raten abzahlen würde, zusätzlich zu den laufenden Kosten von 50 Dollar pro Tag und den künftig anfallenden Arztrechnungen. Jede zweite Woche waren etwa 3 200 Dollar einzuzahlen.

Wenn sie noch einmal im Rückstand blieb, würde Joe sofort in das Indianerhospital der Reservation zurückverwiesen.

 

Oder in die benachbarte öffentliche Klinik der Stadt? Nein, das wäre sinnlos, da dort auch keine besseren Heilmittel zur Verfügung standen als im Indian Hospital.

Queenie sagte noch einmal: »Ja – danke. Ich danke für die Auskunft.«

Dann ging sie zu ihrem Mann.

Seit dem Morgen waren Jahre verflossen. Alles hatte sich geändert. Eine Lüge, klein und erleichternd, war groß geworden. Wer sie sah, hatte Angst. Queenie allein aber sah sie. Kein anderer wusste davon.

Es gab keine Ersparnisse mehr. Es gab Schulden. Der Gesundheitsdienst bezahlte nicht.

Queenie saß bei ihrem Mann.

Joe sagte nichts. Er nahm das Bild seiner Frau in sich auf, er atmete ihren natürlichen Duft, er wartete, ob er ihre Stimme wieder hören würde.

Queenie schwieg. Auch sie nahm ein Bild in sich auf, Joes Hände, das Gesicht, das Ende der Schiene am Hals. Unter der Decke zeichneten sich die Füße ab. Sie wartete darauf, seine Stimme zu hören.

Es verging eine Zeit, und da Joe nichts fand, was wichtig war und was er sagen durfte, und da Queenie nichts wusste, was wichtig war und was sie aussprechen konnte, so hörten sie ihre Stimmen nicht mehr, bis Queenie endlich ging. Dabei sagte sie: »Morgen früh komme ich noch einmal.«

Sie dachte aber daran, dass ihr Mann jetzt gebettet wurde von jener Schwester in Uniform, die viele Kranke bettete, und dass er dann die ganze Nacht hindurch ohne Bewegung lag. Viele Tage und viele Nächte lag er schon so, und noch viele Nächte würde er so liegen, und er sollte nichts davon wissen, dass es keine Ersparnisse mehr gab. Er sollte nicht wissen, dass seine Frau Angst hatte.

Joe Inya-he-yukan King sah Tashina an, sie fühlte sich von ihm erkannt und sie schwieg doch.

Die Lügenfäden schwangen um sie in der Luft, legten sich um ihre Zunge und ihre Hände, trübten mit feinen Schleiern ihre Augen und schienen leicht und zart, während Tashina schon wusste, dass sie tödlich sein konnten.

Als sie ihr Kind wieder im Arm hatte, weinte sie. Sie war eine verweinte Frau im weißen Kleid, dessen Glitzern vom Staub geblendet wurde. Den Mantel legte sie auch am Steuer nicht um. Das Weiße sollte trübe werden, und sie wollte dieses Kleid nicht wieder tragen, ehe Joe gesund war.

Als sie nach Hause kam, begann sie das Bild eines Fisches, der durch eine Glaswand glotzt. Es war aber ein Mensch. Elisha Field erfuhr eines Tages davon und freute sich im Stillen, dass eine Malerin sein Aquarium malte. Er wunderte sich endlich, woher sie es kennen konnte.

Es war ihm unheimlich, dass sie kennen sollte, was selbst seine Stammgäste nie zu Gesicht bekamen, und er begann, sich vor der Indianerin zu scheuen, die sein geordnetes Dasein störte, ohne ihm je begegnet zu sein.

Büffel

Mrs Carson hatte Queenie bestätigt, dass der Antrag auf einen Zuschuss zu den Klinik- und Arztkosten für ihren Mann in der Privatklinik außerhalb der Reservation abgelehnt war.

Queenie war zumute, als ob sie ausgezogen würde. Es gab niemanden mehr, der nicht wusste, dass Queenie King um Geld verlegen war und um Geld kämpfte. Es gab niemanden mehr, der nicht glaubte zu wissen, dass Joe King ebensowohl im Indian Hospital auf der Reservation hätte gesunden können, dass es aber sein Spleen war, in einer teuren Privatklinik außerhalb seines Heimatgebietes betreut zu werden.

Roger Sligh zuckte die Achseln. Er hatte den Zuschuss beantragt. Der Gesundheitsdienst hatte abgelehnt. Die Angelegenheit war für ihn abgeschlossen. Mr Nick Shaw zuckte nicht nur die Achseln. Er empfahl Mrs King, die Verlegung sofort in die Wege zu leiten.

Mr Brown, Ökonomie, deutete an, dass es nicht infrage komme, eine blühende Ranch zu ruinieren und Vieh und Pferde zu verkaufen, nur weil ein Joe King ungewöhnliche Privatansprüche stellte. Er erwog, ob er gestatten könne, dass der Büffelstier abgeschossen werde. Er müsse das überprüfen. Er konnte dem Antrag nicht von einem Tag auf den andern nachgehen. Es war notwendig, diese Frage sachverständig zu behandeln. Miss Mary Booth wusste in dergleichen Dingen zwar Bescheid, aber vielleicht gab sie auch nur dem Drängen der jungen Mrs King nach, die Geld brauchte. Mrs King war zweiundzwanzig Jahre. Es schien entschuldbar, wenn sie alles für die Ansprüche ihres Mannes opfern wollte. Mr Brown, ein sehr verantwortungsbewusster Dezernent, konnte eine solche Schwäche verzeihen, aber er durfte ihr nicht nachgeben.

Mrs King war zart, liebenswürdig, klug, bestechend.

Doch ein verantwortungsbewusster Dezernent gab in einem solchen Falle nicht nach.

Mrs King wartete von einem Mal zum andern länger, wenn sie die zuständigen Personen auf der Superintendentur zu sprechen wünschte. Die Büffel waren von privat verdientem Geld angekauft worden. Mrs King beanspruchte Handlungsfreiheit für den Verkauf. Über den Anspruch musste entschieden werden. Der Vorgang wurde der Distriktverwaltung zugeleitet.

Queenie King wurde schmaler und nervöser. Sie hatte nicht mehr genug Milch und musste ihr Kind zweimal am Tage Mary Booth mit an die Brust geben. Es fiel ihr nicht leicht. Mrs King war noch zart, aber ihr Ernst war nicht mehr liebenswürdig und ihre Art zu drängen für Amtspersonen nicht mehr bestechend. Wenn Queenie sich vor den Menschen verstecken konnte, die ihre Wünsche abtasteten und Gedanken aus ihr herauszogen wie Fäden aus einem Gewebe, dessen gute Qualität sie bestreiten wollten, so saß sie an ihrer Staffelei und malte den Fisch. Er glotzte.

Sie bot das Bild da und dort schon zum Verkauf an, noch ehe es fertig war.

An einem Vormittag erhielt Mr Brown den Bescheid der Distriktverwaltung, dass der Büffelstier abgeschossen und die Verwendung von Fell und Fleisch Mrs King anheim gegeben werden könne, der Erlös aber auf alle Fälle zu zwei Dritteln in der Ranch investiert werden müsse. Das Schreiben der Distriktverwaltung war von S. Bighorn unterzeichnet. Mr Brown leistete eine halbe Stunde später die Unterschrift unter einen entsprechenden Brief an Mrs Joe King. Einen Zustelldienst auf die King-Ranch gab es nicht. Den Brief würde Mrs King erhalten, sobald sie auf dem Postamt der Agentursiedlung ihre postlagernden Sendungen abholte.

Eben vorher aber geschah es. Mary Booth wollte sich zu Pferd aufmachen. Sie wollte zu Bob und Melitta reiten, den jungen Ranchern, denen sie das Geld für die ersten Anschaffungen zur Verfügung gestellt hatte. Bei diesem Ritt die Büffelweide zu vermeiden hätte einen großen Umweg bedeutet. Den Ritt auszunutzen, um sich bei der Herde umzusehen, schien zweckmäßig. Auch die zweite Kuh hatte inzwischen gekalbt. Es hatte dabei Schwierigkeiten gegeben, und es war nicht leicht gewesen, den Stier fernzuhalten. Die Büffelkuh und ihr Kalb waren wieder bei der Herde. Mary wollte sich darum kümmern. Robert war für die letzten fünf Tage seiner Haft im Stammesgefängnis. Bald würde er wiederkommen. Aber Mary konnte den Weg zu Bob und Melitta doch benutzen, um sich wieder einmal bei den weidenden Büffeln umzusehen.

Sie hatte das Lasso und den elektrisch geladenen Treibstock dabei, und sie nahm ein Jagdgewehr mit, was nicht üblich war. Mary hatte Angst. Sie wollte sich das nicht eingestehen, denn Angst war ein ihr ungewohntes, sie verwirrendes Gefühl. Angst war nicht Mary Booth. Angst war ein Fremdkörper in ihr. Sie hatte sich aber zärtlicher als sonst von ihrem Kind verabschiedet, das bei Queenie in guter Hut blieb, und sie hatte, ehe sie sich aufs Pferd schwang, ins Tal ringsum geschaut, hinüber zu der King-Ranch, wo Queenie in uneingestandenen Ängsten lebte, hinüber zu der Schulranch, wo die Lehrlinge auf Mary Booth warteten und ohne sie nicht genug taten, auch hinauf zu den weißen Felsen, dem Grabmal eines großen Häuptlings, dessen Grab die weißen Männer nicht kannten. Sie hatte den Friedhof nicht vergessen, den Friedhof nahe der King-Ranch, wo Marys schlechter und lügenhafter Bruder Harold seine letzte Ruhestatt gefunden hatte, nachdem er von Queenie erschossen worden war.

Mit Erinnerungen und schweren Gedanken machte sich Mary auf den Weg.

Sie hatte ein junges, schnelles Pferd gewählt.

Das Bild des Tages, an dem Joe die Büffel ins Tal gebracht hatte, schwebte ihr vor Augen. Es war ein Fest der Reservationsbewohner gewesen. Neu erstand das Leben des Indianers. Die Büffel waren wiedergekommen! Der ungeheure Stier hatte sich auch damals den Männern zum Kampf gestellt. Mit Mühe hatten ihn Joe Inya-he-yukan King und sein Wahlvater Harry Inya-he-yukan Okute gebändigt und zur Weide, zur Herde gebracht. Es war eine Stierjagd gewesen, machtvoller und gefährlicher als ein Rodeo, mit allen Künsten des Cowboys und des Indianers.

Während Mary ihr junges Tier zum Galopp trieb, dachte sie an jenen Kampf- und Festtag, und sie kam von diesen Gedanken nicht los. Sie konnte den Tag nicht vergessen, und sie konnte Joe nicht vergessen, den Nachbarssohn, den Vater ihres Kindes, den sie schon geliebt hatte, ehe sie wusste, dass sie ein Weib wurde. Eine einzige Nacht hatte sie ihn besessen, und er würde nie mehr zu ihr kommen. Aber noch immer war er der Nachbar, und an Mary kettete ihn die Arbeit. In ihrem Kind schaute er sie an. Es war Joes Kind.

Mary stieß einen schrillen Ruf aus, um ihr Pferd, das in Schritt gefallen war, wieder anzutreiben.

Es trabte leicht und heiter über die kurzgrasigen Wiesen, die das Element des Pferdes waren. Mary ritt über die Prärie, die ihre Augen kannten, seit sie sich zum Leben geöffnet hatten. Anderes kannte sie nicht.

Joe aber würde nie mehr zu ihr kommen. Er hatte sie nicht geliebt. Er hatte mit ihr ein Kind gezeugt, weil sie zu einsam war. Joe liebte Queenie.

Mary liebte das Kind, das Joes Kind war.

Es war ihr schwer ums Herz, weil der Büffelstier abgeschossen werden musste, Joes Büffel. Sie machte darüber zu niemandem Worte, auch nicht zu Queenie. Aber es lag ihr ein würgender Reif um die Brust.

Ehe sie diesen Ritt antrat, der sie jetzt zu dem elektrisch geladenen Zaun und an der geeigneten Stelle durch den Zaun hindurch auf die Büffelweide führte, hatte sie Queenie stillschweigend die Hälfte ihrer Ersparnisse gegeben, damit Queenie einen Monat hindurch keine Sorgen mehr hatte und für Joe bezahlen konnte.

In der Ferne graste die Büffelherde. Mary spähte. Sie zählte die Tiere. Eines fehlte. Sie konnte noch nicht genau sagen, welches. Sie ritt in dem welligen Gelände auf eine Anhöhe und hielt von dort weiter Ausschau. Ein Tier fehlte. Es konnte sein, dass es in der Nähe der Herde, aber noch verdeckt für Mary, sein Gras suchte.

Es war der Stier, der fehlte.

Mary ritt umher, vorsichtig lugend. Sie wollte dem Stier nicht unversehens begegnen. Sie wollte ihren eigenen Weg danach richten, wo sich der gehörnte König dieser Weiden aufhielt. Sie hätte auch einen Umweg um die Weiden machen können. Aber nun war sie hier, und nun musste sie feststellen, wo der Stier sich herumtrieb.

Es war nicht wahrscheinlich, dass ihn jemand abgeschossen und gestohlen hatte. Auf der Reservation wurde nur selten gestohlen; es waren dort keine Reichtümer zu finden, um die sich Mühe und Gefahr lohnten, und die Indianer untereinander stahlen nicht. Sie schlugen sich, manchmal schlugen sie sich tot, aber sie bestahlen einander nicht.

Der Stier pflegte sonst immer bei der Herde zu sein.

Mary ritt im Trab weiter, immer in Sichtweite der Herde. Sie lud ihr Gewehr durch. Sie lächelte dabei über sich selbst. Mary Booth wollte wohl gar einen Büffelstier erlegen. Sie tat alle Männerarbeit, aber diese wäre ihr doch ungewohnt gewesen. Sie hatte seit Jahren keinen Gewehrschuss mehr abgegeben. Und sie hatte nie zielen können wie Joe, der einen Büffel mit einem einzigen Blattschuss erlegen würde.

Die Herde wurde auf irgendetwas aufmerksam. Mary konnte es kaum sein, die die Tiere störte, denn die Büffelkühe kannten dieses Cowgirl. Die Kühe hörten aber auf zu grasen und hoben den Kopf. Zwei Kälber spielten. Sie spreizten die Stelzbeine, senkten den Kopf und drückten die breite, gewölbte, noch hornlose Stirn gegeneinander, sich nach dem Maß ihrer Kraft vor- und rückwärts schiebend. Mary freute sich. Aus diesen Kälbern konnten kräftige Kühe werden. Ein Stierkalb stand daneben und schaute zu. Es war das jüngste, vor wenigen Tagen geboren. Mary wollte vorschlagen, es bald zu schlachten oder lebend zu verkaufen und den jungen herangewachsenen Stier von der Büffelranch außerhalb der Reservation anzukaufen. Im Herbst mussten die Kühe wieder gedeckt werden.

Es schien auch für die Rentabilität der Ranch bedauerlich, dass der alte Stier schon weggebracht werden musste und nicht wenigstens bis zum Herbst gehalten werden konnte.

 

Aber er hatte zweimal angegriffen. Er konnte nicht mehr auf der Weide bleiben. Stallvieh gab es auf der Ranch nicht.

Mary horchte auf.

Hinter sich oder von der Seite her – sie vermochte es noch nicht genau zu unterscheiden – hörte sie ein Geräusch, das sie seiner Natur nach von Kind auf kannte. Ein schweres Stück Vieh galoppierte über den Wiesenboden. Dumpf klang der Schlag der Hornhufe.

Mary trieb ihr Pferd mit einem Ruck an und zwang es, den Hang der nächsten Anhöhe hinaufzugaloppieren. Sie wollte die Übersicht zurückgewinnen. In ihrem Innern grollte die Furcht auf wie das erste Grollen vor einem Gewitter.

Sie ließ die Zügel fahren und nahm das Gewehr so zur Hand, dass sie sofort anlegen konnte.

Der dunkelmähnige Feind war schon da.

Das Pferd, von keinem Zügel mehr gelenkt, brach zur Seite aus und flüchtete samt seiner Reiterin.

Mary gab einen ersten Schuss ab.

Sie wusste nicht, was oder wie sie getroffen hatte, aber sie wusste, dass der Bison mit Wut zum Angriff ansetzte.

Der Bison war schneller als Marys schnelles Pferd.

Er war ein schlauer, zäher Bursche, auf alle Finten gefasst, mager und sehnig, und von sinnloser Wut besessen.

Marys Pferd stürzte.

Sie schoss noch einmal, aber sie hatte dabei schon kein Ziel mehr. Das Gewehr entfiel ihren Händen.

Sie lag auf dem gestürzten Pferd, das sich wand und nicht mehr aufkam, denn der Bison schlitzte es mit den Hörnern auf. Mary lag im Blut des Pferdes, sie hatte die Waffe verloren, ihre Hand konnte den Treibstock nicht fassen.

Über ihr war das Haupt des Stiers, schwarzmähnig, ungeheuer, die Augen fast verschwindend, die Hörner krumm und spitz, und dahinter der Nacken mit seiner übermenschlichen Kraft.

In Mary war nur noch Furcht vor dem Tierischen und dem Tode. Sie dachte nichts mehr.

Wenn sie noch hätte denken können, so hätte sie denken müssen, dass Mary Booth nie glücklich gewesen war, ein Leben hindurch nie glücklich. Ihre Mutter hatte den Sohn Harold mehr geliebt als die Tochter Mary. Mary war fleißig gewesen, aufrichtig, hilfsbereit. Die Menschen vertrauten ihr, aber niemand liebte Mary Booth.

Mary liebte ihr Kind.

Sie wollte nicht sterben.

Sie schrie, das war das letzte ihres Lebens. Sie schrie: »Joe!«

Aber kein Ohr hörte Mary Booth, als sie sterben musste.

Sie starb unter furchtbaren Schmerzen.

Der Stier zerschlitzte und zertrampelte das Pferd und den Menschen. Als er seine Wut gesättigt hatte und kein Leben mehr da war, zog er ab.

Die Herde begrüßte ihn.

Mary kehrte des Abends nicht zurück, doch hatte niemand Anlass, sich darum Sorgen zu machen. Jedermann wusste, dass Mary das junge Ehepaar Bob und Melitta besuchen und die Nacht über dort bleiben wollte. Es konnte sein, dass Mary zwei oder drei Tage auf der Ranch der jungen Leute verweilte.

Telefon von Ranch zu Ranch gab es nicht.

Queenie sorgte für Marys Kind und für ihre eigenen Kinder. Da die Muttermilch nicht reichte, fütterte sie Kindernahrung dazu, die sie in dem Selbstbedienungsladen der Agentursiedlung erhielt. Die Kassiererin quittierte freundlich. Mrs King bestätigte sich als eine fortschrittlich denkende Indianermutter.

Von Tag zu Tag erholte sich Queenie und konnte die beiden Kinder wieder ausreichend stillen. Sie hatte mit Hilfe von Marys Ersparnissen zwei Raten der Schuldentilgung und die Kosten des laufenden Monats bezahlt. Sie hatte Nachricht erhalten, dass Interessenten für das Bild »Leben hinter Glas« vorhanden seien. Der Druck war von ihr abgefallen, alle ihre Nerven arbeiteten frischer. Robert Yellow Cloud kam auf die Ranch zurück. Er war misslaunig und konnte nicht damit zurechtkommen, dass er nun als ein Vorbestrafter galt. Auch dass er sich in dieser Hinsicht mit Joe in guter Gesellschaft befand, beruhigte ihn nicht. Er war ungerecht verurteilt worden. Der kleine Polizist war ein Dickhornschaf, und ein Sidney Bighorn hatte nicht auf der King-Ranch herumzuschnüffeln. Warum kamen Leute ins Gefängnis, die Schlangen verjagten? Warum verurteilten Indianer Indianer?

Queenie fühlte die aufsässige Stimmung Roberts wohl. Sie sagte nicht viel. Sie hoffte, dass er bei der Arbeit auf der Ranch in seinen täglichen Pflichten bald wieder vernünftig werden würde.

Was Queenie vernünftig nannte, unterschied sich von dem, was Robert vernünftig schien. Solche Unterscheidungen kannte Queenie. Schließlich hatte sie einen Joe King geheiratet. Sie hielt ihr Zutrauen zu Robert aufrecht. Er war ihre einzige Hilfe auf der Ranch.

Der Bursche hatte bei den Schweinen, den Rindern und als ehrenamtlicher Helfer auch auf der Schulranch viel zu tun. Doch drängte es ihn zu den Büffeln, und als Mary am vierten Tage nicht zurückgekommen war, beschloss er, auf die Büffelweide zu reiten und von dort zu Bob und Melitta, um Mary zu treffen. Frank Morning Star hatte sich bereiterklärt, den Stier zu erschießen. Frank wollte Bescheid haben, wann er kommen könne. Mary Booth musste sprechen.

Robert war es, der die blutigen Reste von Mary und ihrem Pferd fand. Das Blut und das Fleisch stanken schon, und Schwärme von Fliegen saßen daran.

Robert hielt an und stieg ab.

Er stand da, allein, und es graute ihm vor dem, was er sah. Aber er kam nicht davon los.

Es dauerte lange, bis er das Jagdgewehr, das Mary entfallen war, an sich nahm. Er untersuchte es. Zwei Schuss waren abgegeben. Sie hatte sich wehren wollen.

Robert schloss die Augen, nahm die Hand vor den Mund und betete zu Wakantanka, dem Gott der Indianer.

Er war zwanzig Jahre alt. Er hatte die Mutter sterben sehen, und er hatte seine drei Geschwister sterben sehen. Viele Indianerkinder starben früh. Der Vater war im Krieg gefallen. Robert kannte den Schmerz, der die Eingeweide des Menschen in seine Faust nimmt und sie zusammendrückt, dass der Atem vergeht. Der Hass stand zum ersten Mal in ihm auf.

Was hier geschehen war, das war Mord. Die Mörder waren die, die Robert eingekerkert hatten und die auf ihren Stühlen an den Tischen saßen und Briefe schrieben, ehe ein Büffelstier erschossen werden durfte.

Robert beschloss, Mary Booth zu rächen.

Noch brauchte niemand zu wissen, was Robert sich geschworen hatte. Ein Indianer hatte Zeit. Aber ein Indianer vergaß nie.

Sidney Bighorn musste eines Tages sterben.

Der Entschluss machte Robert ruhig.

Er schnallte die Decke ab, die ihm ohne Steigbügel als Sattel gedient hatte, und deckte die Tote zu. Er nahm ihr Gewehr mit, ihren Treibstock und ihr Lasso. So machte er sich auf den Rückweg zu der King-Ranch. Er hatte gesehen, dass die Büffel in der Ferne friedlich weideten. Am nächsten Tag konnte Frank Morning Star kommen und den Stier abschießen.

Zu der Beerdigung von Miss Mary Booth, Mitglied des Stammesrats, Rancherin, Lehrkraft der Schulranch, kamen viele Leute. Der zerschundene Körper lag in einem Sarg, der die Menschen vor dem Entsetzen abschirmte.

Vater, Mutter und Geschwister Marys, die außerhalb der Reservation auf freien Ranches lebten, kamen. Sie hörten die Grabrede und den Segen, die der alte Pfarrer der Agenturkirche sprach, und interessierten sich für die Hinterlassenschaft. Queenie war da mit ihren beiden Pflegesöhnen und den Zwillingen. Die Kleinsten hütete Robert in der Blockhütte. Als er gehört hatte, dass auch ein Vertreter der Agenturverwaltung erwartet werde, hatte er sich geweigert, mit an das Grab zu kommen. Vater und Mutter Halkett, die Eltern Queenies, und ihre Geschwister hatten den weiten Weg gemacht. Mr und Mrs Whirlwind fehlten nicht, Frank Morning Star, der stellvertretende Häuptling mit den übrigen Ausschussmitgliedern des Stammesrats, die Lehrlinge, Yvonne, die die Schwägerin Frank Morning Stars geworden war, gehörten zu dem Freundeskreis; auch die ehemaligen Lehrlinge der Schulranch kamen. Mrs Carson hatte den Auftrag erhalten, die Verwaltung zu vertreten, und sie hatte Mr Sligh überredet, sich mit ihr eine indianische Beerdigung anzusehen. Als sich die Nachricht hiervon verbreitet hatte, machten sich auch Barn und Walker auf. Sie begrüßten unter den Trauergästen Margot Crazy Eagle und ihren blinden Mann.