Der siebenstufige Berg

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Am Feuer begrüßte Hugh Joes junge Frau Queenie Tashina, die er auf dem Weg vom hellgelben Haus zur Blockhütte zum ersten Mal gesehen hatte. Die zweite Frau war Irene Oiseda, und auch an sie erinnerte er sich. Die beiden Burschen, Brüder Tishunka-wasit-wins, ließen sich von Tashina und Oiseda Messer und Schaber geben und begannen, den Büffel aufzuschneiden, auszunehmen und abzuhäuten. Das war Arbeit für kräftige Kerle.

Die Hunde fielen über das Gedärm her.

Sobald Tashina Herz, Leber und Hirn des Büffels sorgfältig ausgelöst hatte, gab es eine Mahlzeit am Feuer. Die Feuerlichter und die Schatten huschten über Gesichter und Hände. Mahan beobachtete die junge Kunsthandwerksmeisterin, ohne sie das merken zu lassen. Irene Oiseda trug ihr Haar kurzgeschnitten und ungepflegt, wie es einst trauernde Frauen taten. Ihre junge Gestalt und ihre Gesichtszüge wirkten karg und kühl wie lebendiges Wasser, das vereist. Nur ihre Lippen waren noch weich. Wenn das Feuer den Spiegel ihrer Augen fand, ließ es verstummte Fragen neu aufscheinen. Oiseda trug einen Witwenring.

Man hatte gegessen und erhob sich vom Feuer. Die Arbeit wurde fortgesetzt. Am frühen Morgen war sie endlich getan. Fleischpakete und das abgelöste Fell wurden auf die Packpferde geladen. Queenie Tashina verteilte dabei sogleich. Die Hälfte des Fleisches erhielten die Brüder Tishunka-wasit-wins für sich, ihre sechs Geschwister und die Eltern. Es war Sitte – auch Mahan wusste das –, die Angehörigen Verstorbener zu beschenken. Ein Viertel des Fleisches sollte Oiseda zusammen mit den Lehrlingen verzehren, die mit ihr in dem hellblauen Haus wohnten. Das letzte Viertel blieb für Queenie Tashina, ihre zwei Pflegekinder und ihre vier eigenen – und für Joe, wenn er zurückkehrte.

Zu Hause angekommen, spannten Tashina und Oiseda die Büffelhaut zum Trocknen und zum Abschaben auch der kleinsten Fleischreste im Freien neben der alten Blockhütte auf. Es blieb Zeit, den verlorenen Schlaf der Nacht nachzuholen.

Wakiya bat Hugh, mit ihm in die Blockhütte zu kommen. Mahan tat es gern.

Die alte, kleine Blockhütte, die einen einzigen Raum umschloss, war heimatliche Erinnerung für ihn. Solche Hütten hatten sich alle Großväter gebaut, als sie besiegt und unterworfen waren und nicht mehr mit ihren Zelten wandern konnten. In der Mitte des Hüttenraumes befand sich ein eiserner Ofen, der auch als Herd benutzt werden konnte; das Ofenrohr führte durch das Dach. Die einzigen Möbel waren ein fester Tisch und zwei Holzgestelle, über Eck angebracht, mit Decken belegt, Sitz- und Schlafgelegenheit. In der einen Ecke standen drei Jagdgewehre. Byron Wakiya erklärte, woher sie stammten; das eine von Joes Vater, dem alten King, das zweite von Wakiyas verstorbenem Vater, das dritte war neu und gehörte Bob, auf dessen Rückkehr es hier warten sollte. Am Kleiderhaken an der Wand hing neben den Reservelassos Joes Achselhalfter mit Pistolen. In der Ecke standen zwei verschlossene Kästen.

Durch das kleine Fenster fiel Sonnenlicht in die Hütte. Der Herbstwind pfiff und sang leise; der Tag war hell und mild. Hugh und Byron warfen sich auf die Bettgestelle, grüßten sich noch einmal mit den Augen und erwarteten den Schlaf. Die Geräusche von draußen, das Lachen der Kinder, das Stampfen der Pferde in der Koppel, störten sie nicht. Von fern her erklang ein Brüllen, aber das war kein Büffelbrüllen, es waren die schwarzen Kühe und ihr Herdenstier.

Mahan schlief tief und traumlos. Als er erwachte, ging es schon auf Mittag zu. Hugh wusste nicht, ob Byron Wakiya auch Ruhe gefunden hatte. Der Junge lag mit offenen Augen, die Arme hinter dem Nacken gekreuzt, auf der Lagerstatt und schaute zu Mahan herüber. Seine Haut wirkte durchbluteter, frischer als am Tag vorher, aber der merkwürdig entfernte, unwirklich friedvolle Ausdruck der Züge war geblieben.

Hugh erhob sich und benutzte sein Lager als Sitz. Er dachte nach. Wenn es zu Auseinandersetzungen kam, musste er über Menschen und Verhältnisse auf den beiden Ranches und in der Kunsthandwerksschule Bescheid wissen. Einiges hatte er schon verstanden, aber noch nicht genug.

Wakiya schien seine Gedanken erraten oder ähnliche Gedanken verfolgt zu haben. Er begann auf einmal zu sprechen, fließend, sachlich, wie es schien, ohne Gefühl.

»Es gibt viele Geheimnisse hier, Wasescha. Einige musst du schon heute erfahren. Auf meine Pflegemutter Tashina und auf Oiseda kannst du dich in jedem Streit verlassen. Auf uns King-Kinder und auf die Lehrlinge Oisedas und auf die Bighorn-Kinder auch. Aber ich muss dir sagen, was für ein Mann Patrick Bighorn ist. Er trinkt, und er träumt noch immer von dem Kriege, in dem er ein Bein verloren hat. Er hat Joes Vater getötet; die beiden hatten zusammen getrunken und miteinander gestritten. Es ging ein Schuss los; Patrick wollte es nicht, aber der alte King war tot. So war das. Patricks Sohn Sidney war ein schlechter Mensch; er hat das College besucht wie du, aber dann ist er stellvertretender Superintendent geworden und hat gegen unseren Stamm regiert. Er hat vieles falsch gemacht; Robert hat Sidney verfolgt, bis diese Schlange nicht mehr war. Für Tishunka-wasit-win und mich ist es schwer gewesen. Aber mein Pflegevater Inya-he-yukan hat Patrick bei unserer Gebetsnacht im weißen Zelt überwunden. Vater Patrick hat von da an geschwiegen und Patricia nicht mehr deswegen bedroht, weil sie mich liebte. Ich bin ein Bighorn, das weißt du, Hanska auch. Aber wir sind nicht von Patricks Familie. Unsere Eltern sind tot. Deine Mutter lebt noch.«

»Ja.« Wasescha hatte sich von Byrons letzten Worten getroffen gefühlt wie von einem unerwarteten Schlag. Er fürchtete, dass Wakiya weiterfragen würde, und er wollte diesen Jungen nicht belügen. Aber Wakiya fragte nichts mehr.

»Was wissen die Bighorns von dem, was geschieht?« erkundigte sich Mahan nur, ebenso sachlich, wie Wakiya gesprochen hatte.

»Nichts weiter, als dass Joe einen Vertrag mit Chuck Kingsley geschlossen hat und die Büffel dorthin treibt.«

»Gut.«

Mahan und Byron machten sich auf, ordneten die Decken, gingen hinauf zum Brunnen und wuschen sich dort. Mahan hatte noch Schwierigkeiten mit seinem verwundeten Arm.

Zu Mittag wurde im hellgelben Haus Büffelfleischbrühe mit Büffelfleischbrocken darin gegessen. Es war eine große Tafelrunde: Queenie Tashina mit sechs Kindern und Pflegekindern, Oiseda mit zehn Lehrlingen und Mahan, der einzige erwachsene Mann, da Bob, Robert und Joe fehlten. Man saß auf Bank, Stuhl, Fensterbrett, auf dem Boden, auf dem Tisch. Man saß eng beieinander und fühlte sich zusammengehörig. Es wurde nicht gesprochen. Gemeinsam Fleisch zu essen war wie ein Gelöbnis, es war eine alte Festsitte.

An der Wand hing ein Behang, den Queenie Tashina geknüpft hatte. Mahan suchte die Sprache der Linien und Farben zu verstehen. Das Tiefe war rot, das Hohe war blau; im Roten hatte die Pflanze ihre Wurzeln, ihre Blüten trug sie ins Blau. Die Pflanze hatte hundert ineinander geschichtete Schalen, die sich im Wachsen lockerten. Im Innersten war sie gelb, lebendig und heilig.

Am Fenster stand ein Krug, den Irene Oiseda geformt hatte. Das Muster des Stufenberges lief in zwei Reihen um seine dicke Wölbung, einmal nach oben, einmal nach unten gerichtet. In der ersten Reihe führten je drei Stufen von rechts und von links auf den Berg hinauf, in der zweiten Reihe führten sie in die Tiefe hinunter. Die vierte Stufe war in der Höhe der Gipfel des Berges, in der Tiefe bildete sie die Talsohle. In jeder Reihe waren es im Ganzen sieben Stufen: sieben Weltzeitalter. Jetzt lebten die weißen Männer Amerikas im vierten der Zeitalter und mussten den Abstieg beginnen. Die roten Männer hatten die Talsohle in der Tiefe erreicht und konnten wieder hinaufsteigen. Es war ein sehr altes Zeichen, die Bergpyramide. In dem langen gemeinsamen Schweigen sammelten und festigten sich alle ihre Gedanken, nicht die alltäglichen, sondern die weitgreifenden. Die Zwillinge suchten sich ihren schützenden Platz bei Hugh Mahan; ein Winkel war für sie an seiner Seite noch frei. Tashina und Oiseda saßen Seite an Seite mit den drei kleinsten der Kinder auf einer wollgewebten Decke am Boden. Mahan hatte sich in die Ecke der Wandbank gesetzt; er konnte durch zwei Fenster hinausschauen und die Tür beobachten. Der Herbstnachmittag schien friedlich, von sanfter Sonne durchdrungen, von mildem Luftzug durchschaukelt, in seinen Farben schon matt und vom ersten Nebel allem Zugriff entzogen.

Aber Mahan traute dem Frieden nicht.

Eine Büffelherde, Nacht und Tag unterwegs, konnte viele Watschitschun aufschrecken, die unfriedlich dachten und vielleicht früher als geplant unfriedlich zu handeln begannen.

Hugh stand auf, trat an das Schiebefenster, öffnete es und fasste ein einzelnes Auto, das aus der Richtung der Schule auf der Talstraße entlangfuhr, näher ins Auge. Es war ein zweitüriger Wagen, rot, mit blauen Blumen und gelber Schrift bemalt. An der Abzweigung angekommen, wendete es und fuhr den furchenreichen Wiesenweg vorsichtig herauf. Hugh begriff bereits, wer am Steuer saß. Wer anders als Chester Carrs Sohn Clyde konnte eine so helle Haut, solch strohige, lange Haare und derart massive Hände am Steuer haben.

Hughs linker Mundwinkel zog sich herunter, ein Zeichen, dass er nicht sorglos, auch nicht ängstlich, eher wachsam und zynisch gestimmt war. Es wurde ihm dabei plötzlich bewusst, dass Tashina, die neben ihn an das Fenster herangetreten war, seine Miene von der Seite studierte; er konnte aber nicht wissen, was sie sich dabei dachte. Vielleicht ahnte er es doch, da er selbst schon Joe Kings Zynikerfalte beobachtet hatte. Er löschte den Zug aus, da er es nicht liebte, sich zu verraten oder in dem Verdacht zu stehen, dass er einen andern kopiere.

Als der rote Wagen auf dem Gelände vor dem Haus anlangte, setzte Hugh seinen ledernen Cowboyhut auf, verließ das Haus und ging zu dem Wagen, der eben zum Halten kam.

 

»Hey!« rief Clyde, öffnete die Wagentür und richtete den Blick auf die frisch ausgespannte Büffelhaut. »Kommen wir noch rechtzeitig zur Mahlzeit? Wir sind drei wahrhaft Hungrige!«

Mahan bückte sich, um in den Wagen hineinsehen zu können, nickte und bedeutete mit einer Handbewegung, dass die unerwarteten Gäste etwas Geduld haben möchten. Er hatte die beiden Personen auf dem Rücksitz erkannt. Es waren zwei magere, schlanke Burschen. Der eine hatte den Cowboyhut tief in die Stirn gezogen, aber Mahan erinnerte sich an einen großen Teerflecken auf den blauen Jeans und an den ausgefransten Jackenärmel, in dem ein Revolver gesteckt hatte und auch jetzt zu stecken schien. Das war Doug Coles. Der Fahrgast neben ihm war unverkennbar ein Mulatte. Sein rechtes Augenlid war zerfetzt. Er trug keinen Hut, keine Jacke, nur ein verwaschenes, buntes Hemd zu den Cordjeans. Seine Haut war braunschwarz, die Nasenflügel breit, die Augen dunkel, das Haar leicht gekraust.

Als Mahan zum Haus zurückging, war das Schiebefenster noch offen, aber Tashina stand nicht mehr dort; sie war in den Raum zurückgetreten. Hugh bemerkte, ohne sich umzuschauen, nur durch Stimmen und Gehör, dass die drei aus dem Blumenauto ausstiegen und dass einer von ihnen hinter ihm herkam, doch nur ein paar Schritte. Bei Kings grauem Sportwagen, der vor dem Haus geparkt war, blieb er stehen. Der Sportwagen war abgeschlossen, der Tank leer und ein Reifen abmontiert. Er war nicht so leicht, den Wagen mitzunehmen.

Mahan begab sich in das Haus. Er erklärte mit wenigen Worten den Frauen, Lehrlingen und Kindern die Lage und fragte, ob sie diesen Fremden etwas zu essen geben wollten. Clyde müsse zwar satt sein, denn er sei als Ron Warriors Gast gut verpflegt worden. Die beiden anderen sähen dürr aus wie das Vieh nach einem harten Winter. Sie seien zum Tode verurteilt und seit langem flüchtig.

»Wen haben Sie getötet?« fragte Byron Wakiya.

»Einen Gefängnisaufseher.«

»Warum?«

»Das müssen wir sie fragen.«

»Willst du ihnen zu essen geben, Wasescha?«

Mahan schaute auf Tashina. Sie nickte.

Er wartete, bis eine große Schüssel mit dem Rest von Brühe und Braten gefüllt war, ließ sich drei Löffel geben und brachte alles hinaus auf die Wiese, wo sich die Gäste in der Nähe des Sportwagens niedergelassen hatten.

»Für einen Satten und zwei Hungrige«, sagte Mahan.

Clyde verzog die Lippen halbmondförmig und nahm nur wenige Löffel voll zu sich.

Die beiden anderen aßen heißhungrig und Doug schleckte noch die Schüssel aus. Wakiya kam herbei, um das leere Geschirr zu holen.

»Warum habt ihr ihn getötet?« fragte er dabei.

Doug und der Mulatte schauten den Jungen verständnislos an.

»Den Aufseher, meine ich.«

Das Verstehen leuchtete in den Gesichtern auf. »Er war ein Schwein«, sagte der Mulatte. »Er hat einen Freund von uns totgemacht. Er hat die anderen Gefangenen auf ihn gehetzt und zugesehen, wie sie ihn totgemacht haben. Er war schuld, aber die großen Schweine haben ihn nicht bestraft.«

»Solche Aufseher gibt es. Ich weiß es von Joe Inya-he-yukan. Ihr habt den Mörder aus Blutrache getötet.«

Doug und der Mulatte wollten freundlich lächeln, in ihren eingefallenen Gesichtern wirkte das Lächeln wie das Grinsen von Totenköpfen.

»Ja, ja, Blutrache sagt ihr Indianer. Ganz recht.«

»Aber Rache steht gegen Rache. Jetzt müssen die Schweine euch töten, wenn sie euch greifen können.«

»Du redest ganz vernünftig, Indianboy.« Doug hatte das Wort. »Ist Joe King dein Vater?«

»Mein Pflegevater.«

»Da bist du in einer guten Schule. Habe nie einen gesehen, der sich schneller bewegte und besser schoss. Vier gegen einen in der Nacht damals und er ist uns entkommen. Und Sie …«, der Sprecher wandte sich an Mahan, »Sie sind der Doppelgänger. So was könnte ich brauchen. Joe ist ein schlauer Fuchs.«

Während des Gesprächs hatte Clyde Carr forschend von einem zum andern gesehen. Mahan beobachtete ihn dabei. Er schätzte Clyde auf Anfang zwanzig. Aber seine Züge waren schon schlaff wie zu stark ausgezogener Gummi durch heftige Bewegung, durch viel Erregung, zu viele Grimassen; vermutlich war er auch schon mit Rauschgift bekannt; seine Augen glänzten unnatürlich. Vater und Sohn Carr – zwei Welten – Sturheit wider Illusionen – und die Illusionen unterlagen?

Die drei Gäste saßen im Gras; Mahan und Wakiya blieben bei ihnen stehen.

Clyde sprach Hugh überraschend an.

»Sie sind auf einem College gewesen, Mahan? Drei Jahre?«

»Ja.«

»Das haben Sie ausgehalten?«

»Ja.«

»Revolutionäre als Freunde gehabt?«

»Nein.«

»Warum nicht?«

»Gab keine.«

»Und Sie haben das College nicht gewechselt?«

»Nein.«

»Warum nicht?«

Hugh zog nun doch wieder den linken Mundwinkel herunter. Es war schon eine Reflexbewegung bei ihm geworden.

»Carr, ein Indianboy kann nicht da studieren, wo die zahlungskräftigen Kinder reicher Leute gegen ihre Väter demonstrieren. Ein Indianboy wird von seinen Vormunden an ein diszipliniertes stupides College geschickt und hat sich laufend den Tests der weißen Männer zu unterziehen. Ich habe keine Freunde gehabt außer beim Sport.«

»Wieso Sport? Das ist geistlos und für den Menschen unerheblich.«

»Clyde, Sie verstehen gar nichts. Sport war die einzige Chance für mich, etwas zu leisten, ohne zu lügen. Im Sport musste ich gut sein, sonst hätte ich unter den Figuren an meinem College die Hölle gehabt. Ich war immer in der Auswahlmannschaft für Basketball und immer sicher im Sportschießen.«

»Haben Sie das meinem Vater Chester erzählt?«

»Nein.«

»Ein Glück, sonst würde er Sie schätzen, und das wäre eine Schande für Sie.«

»Ihr Volk ist ein primitives Volk, Clyde.«

»Rechnen Sie mich dazu?«

»Sie und einige andere nicht. Aber Sie sind nur ein kleiner Haufen.«

»Sie denken jetzt revolutionär?«

»Was meinen Sie damit?«

»Wir müssen miteinander sprechen, Mahan. Setzen Sie sich doch her zu uns!«

Hugh und Wakiya ließen sich bei ihren Gästen nieder.

»Ron Warrior hat mir von Ihnen erzählt«, fuhr Clyde fort. »Ich habe mich aber von Ron Warrior getrennt. Genau gesagt, er hat mich hinausgeworfen, als die beiden armen Teufel Doug und Mackie bei mir auftauchten. Nun, wenn ich die Wahl habe zwischen einem Erzieher des Establishments und zwei von unserer Gesellschaft geächteten Tramps, so fällt es mir nicht schwer, mich zu entscheiden.«

»Bleiben Sie auf dem Teppich, Clyde. Sie können nicht zwei für die Hinrichtung Gesuchte in einer Lehrerwohnung einquartieren.«

»So? Warum denn nicht? Gegen Snider und Carr hat alles zusammenzuhalten. Sie, Mahan, geben uns wenigstens Büffelbrühe.«

»Was ist Ihr Ziel?«

»Die totale Umkehrung unseres verblödeten und vergewaltigten Lebens. Ahnen Sie, warum ich hier bin?«

»Um Ihren Vater zu ärgern!«

»Um bei den Indianern zu leben und zu sehen, ob sie anders leben als wir.«

»Anders leben dürfen, meinen Sie.«

»Mahan, gewöhnen Sie sich das Wort ›dürfen‹ ab, das Sie auf Ihrem College gelernt haben. Wollen! Wollen!«

»Warum suchen Sie die Indianer bei Ihrem Vater? Es gibt sie auch anderswo.«

»Das zu fragen, haben Sie ein Recht, Mahan. Der Alte ist immer noch meine Schwäche; er ist eine Leimrute, ich klebe daran wie eine Fliege – Flügel schon zerstört, die Beine zappeln noch. Ich muss ihn ärgern, und koste es mein Leben.«

»Bei einem solchen Vater Sohn sein und auch noch denken wollen – ich kann Sie schon verstehen, Clyde. Aber solange Sie so denken, wie Sie es jetzt tun, werden Sie kein Indianer. Sie sind zu unruhig.«

Clyde Carr fühlte sich erkannt, zuckte aber nur die Achseln und schaute die beiden Typen an. Doug rauchte schon, Mackie drehte sich eben die erste Zigarette.

»Ihr sagt gar nichts«, störte Clyde die beiden auf.

»Was soll das Geschwätz, Clyde«, antwortete Doug. »Du lebst doch bestens. Deine Gesellschaft tut dir nichts. Du hast Schule gehabt, du hast einen Wagen, du hast Marihuana, du kommst nicht ins Gefängnis. Was willst du denn?«

»Was hat unsere Gesellschaft euch getan, Doug und Mackie? So sprecht euch doch aus und schaut euch nicht nur immerzu nach einem Sportwagen um, der nicht fahrfertig ist.«

»Schade um den Jaguar«, meinte Doug. »Den hat Joe wohl dabei, und ich besitze nur noch einen Schlüssel dazu. Ich hätte diesen Untersatz nie wieder hergeben sollen.«

»Es gibt etwas, das ich nicht verstehe«, sagte Wakiya zu den beiden Mageren, nachdem er Mahan gebeten hatte, sich in das Gespräch einmischen zu dürfen.

»Was geht denn nicht in deinen Kopf, Junge?« Der Mulatte fragte. Ihm schien Wakiya zu gefallen.

»Ihr seid, wegen Mordes verurteilt, ausgebrochen. Also beste Verbindungen. Jetzt irrt ihr umher wie zwei verlorene Teufel. Das passt nicht zusammen.«

Doug und Mackie lachten. Sie grienten nicht, sie lachten. »Du hast nachdenken gelernt, Junge. Joes Pflegesohn! Also, das war so … Das war der beste Witz unseres Lebens!«

Mackie erzählte. »Das Syndikat hatte alles vorbereitet, um zwei ihrer besten Killer zu befreien. Aber wir sollten dann einen Tag früher in die Gaskammer als angesetzt – irgendeiner hatte das durcheinander gebracht – und so haben sie aus Versehen uns herausgeholt.«

»Das hattet ihr zu bezahlen.«

»Ja!« Mackie schlug sich auf den Schenkel. »Du verstehst das. Die Bullen waren hinter uns her, und das Syndikat hätte uns auch am liebsten umgelegt, nur aus Wut, weil wir die Falschen waren, und die Richtigen gingen einen Tag später in die Kammer. Wir haben zahlen müssen, dreckig arbeiten. Endlich haben die Bosse uns doch weggeworfen, weil wir den Bullen und Schweinen zu bekannt waren. Joe hatte Doug ein ›besonderes Kennzeichen‹ an die Schläfe geschossen. So was nannte er dann einen Warnschuss.«

»Und nun?« fragte Hugh.

Die Gesichter wurden finster. Doug nahm das Wort. »Der Anfang vom Ende ist da, Herr Lehrer. Wir sind schon zu nervös. Aus allen Löchern kriechen sie und sind hinter uns her. Mackie und ich sollten uns trennen. Weißt du, was das für uns heißt? Als wir fünf oder sechs oder sieben Jahre alt waren, haben wir uns getroffen. Mackie kam aus dem Süden, ich aus den New Yorker Slums. Gefunden haben wir uns in Washington. Vatername unbekannt. Mutter verloren. Seitdem ziehen wir zusammen durch die Gegend. Wir sind keine Gangster und keine Killer. Tramps sind wir. Schule haben wir nur von außen gesehen. Gestohlen und geraubt haben wir nur, was wir brauchten für uns und für ein bisschen Kraut, das teuer ist. Leo Lee wollte uns mal zu Killern machen; Joe hat ihn ins Gras gelegt, das war gut. Wir haben nicht gegen Joe ausgesagt, obgleich wir ihn hätten in die Gaskammer bringen können als Dank für seinen ›Warnschuss‹. Wir haben aber nicht gegen ihn ausgesagt! Er ist ein famoser Bursche, es wäre schade um ihn gewesen.«

»Ihr habt also nicht gegen ihn gelogen«, formulierte Mahan.

»Was heißt gelogen! Solche Verhöre sind etwas hart, davon ahnen Sie nichts, Herr Lehrer.«

»Vielleicht nicht, vielleicht doch. Ein Indianerkind unter Weißen – davon ahnen Sie nichts, Mr Coles.«

»Weiß nicht. Für die Schweine bist du ein Farbiger, also ein Dreck wie wir, soviel versteh ich doch. Halt zu uns und nicht zu den Schweinen. Mach uns den Wagen da fertig. Wir wollen ohne Clyde weiter. Joe kann uns etwas dafür geben, dass wir ihn nicht reingelegt haben. Die Karre da mindestens. Der Jaguar wär besser gewesen.«

»Ich gebe euch nicht, was mir nicht gehört.«

Doug riss blitzschnell den Revolver heraus und legte an. Wakiya versuchte, ob ihm noch eine Bewegung erlaubt sein würde. Der Mulatte Mackie, der nicht gezogen hatte, machte eine Kopfbewegung. Wakiya solle verschwinden. Wakiya erhob sich daraufhin und lief in das gelbe Haus.

Die Mündung von Dougs Revolver war auf Mahan gerichtet. »Also, den Wagen fertig machen. Vorwärts, Mahan. Ich steh immer hinter dir. Und versuch keine Dummheiten. Ich bin noch immer schnell.«

Clyde, der nicht bedroht war, sprang auf, nahm die Arme hoch und brüllte.

»Nicht schießen! Seid ihr verrückt geworden! Nehmt meinen Wagen! Ich schenke ihn euch!«

»Halt die Schnauze, Blumensohn. Du und deine langsame Friedenskutsche sind nicht gemeint. Mackie, montier den Reservereifen an den Sportwagen. Der Bursche Mahan wird dich nicht daran hindern und dir auch einen Reservekanister geben. Das garantier ich dir.«

 

Mackie stand auf, tat aber nicht sofort, was Doug verlangte, sondern lief zum Haus und schaute durch das offene Fenster in den Raum, in dem sich Frauen, Lehrlinge und Kinder befanden.

»So viele Geiseln auf einmal«, sagte er und holte seine Waffe heraus. »So viele für einen einzigen Wagen von dreien, die Joe besitzt! Sei nicht knickrig, Herr Lehrer.«

»Schieß auf mich, Doug«, rief Mahan. Er hatte die Hände noch nicht hochgenommen.

»Dich killen? Als ob dir das egal wäre! Schneid nicht so auf, Mr College-Student. Hände hoch!«

Mahan riss den rechten verwundeten Arm hoch, zog die linke Hand mit dem Colt schnell aus der Tasche und richtete die Waffe auf Doug.

»Schuss gegen Schuss, Mr Coles.«

Doug legte den Kopf schief und grinste.

»Du bist ein Kerl – beinahe wie Joe King. Linkshänder auch noch. Den Colt in der Tasche hab ich dir nicht zugetraut. Das war mein Fehler.«

Doug und Mahan hatten die Finger am Abzug. Jedes missverstandene Blinzeln, jedes missverstandene Aufleuchten in den Augen konnte die Finger in Bewegung setzen.

Mackie machte eine halbe Wendung, um Mahan auch von hinten mit dem Revolver zu bedrohen. »Wirf deinen Colt weg, Mahan. Der Spaß ist aus. Du gibst uns den Wagen.«

Aus dem Fenster des alten Blockhauses schob sich die Mündung eines Gewehrlaufs. Er war auf Doug gerichtet.

Mahan hatte Feuerschutz.

»Ihr könnt schießen«, sagte er zu Doug, »aber wir schießen zur gleichen Zeit. Ist es notwendig?«

»Nehmt doch endlich meinen Wagen, verrücktes Volk«, schrie Clyde noch einmal. »Und hier habt ihr zwanzig Dollar Zehrgeld!«

Mackie äugte noch einmal seitlich durch das Fenster in das gelbe Haus und fasste dann einen plötzlichen Entschluss. Er stürzte herbei und riss Clyde den Schein aus der Hand. »Doug, komm mit mir, ich kann dich nicht krepieren sehen. Nicht so. Komm mit nach New City – die Schweine noch ein bisschen jagen!«

Er steckte seinen Revolver ein, sprang in das Blumenauto, gab Gas, wendete und trieb den Wagen mit großem Geschick den Furchenweg hinunter.

Doug blieben Mund und Augen eine Sekunde offen stehen, dann rannte er, den Revolver noch in der Hand, hinterher, riss die Wagentür auf und schlüpfte während der Fahrt auf den Sitz neben Mackie.

Mahan war aufgesprungen; er und Clyde beobachteten das rote Auto, wie es die Talstraße erreichte und die Richtung der Schule zu einschlug. Hinter der nächsten Kurve entschwand es den Blicken.

Aus dem Blockhaus kam Irene Oiseda langsam herbei; sie hatte das Jagdgewehr des alten King noch in der Hand.

»Wie denn das?« fragte Mahan.

Oiseda lächelte entspannt und verlegen. »Ich bin aus dem Rückfenster ausgestiegen und zum Blockhaus hinübergehuscht. Wakiya hatte mir das geraten. Er hat auch Tashina Joes beide Pistolen gebracht. Die Geiseln waren schon bewaffnet.«

Lehrlinge, Frauen und Kinder kamen aus dem gelben Haus. Sie brachten Decken mit, und man ließ sich im Rund auf der Wiese nieder.

Clyde steckte sich eine Pfeife an. Die Erregung schwang noch nach. Mahan war der erste, der etwas sagte, auf sehr trockene Art.

»Was gibt es Neues, Clyde? Haben Sie bei der Schule etwas gehört?«

»Ach so, ja. Sicher!« Clyde holte Luft. »Eure Büffel machen Aufsehen. Sie trampeln so, dass es Lärm gibt. Es sind schon Boten zu Mr Chester Carr geeilt, und die Telefondrähte surren. Macht euch hier auf weitere Besuche gefasst. Wenn mein Vater merkt, dass etwas nicht nach seinem Kopf geht, ist er wie ein Bulle, der rot sieht. Blindwütig. Die Schweine werden kommen.«

»Das werden sie.«

Clyde sog an seiner Pfeife. Mahan beobachtete, wie er nach den schweigsamen beiden Frauen, nach den schweigsamen Lehrlingen, nach den schweigsamen Kindern schaute. Sogar die Jüngsten saßen still bei den anderen, fragten nicht, spielten nicht. Der fremde, strohblonde junge Carr war für sie Mittelpunkt, aber ein Mittelpunkt völlig stummer Aufmerksamkeit. Keiner sah Clyde geradewegs an. Die dunklen Augen ringsum schauten in Fragen an den Sohn des Superintendenten hinein, aber sie belästigten nicht einen Menschen. Vielleicht dachte Clyde anders. Vielleicht wünschte er sich angreifende Blicke und lebhaftes Forschen. Aber es kamen keine Vorwürfe und kein Lob zu ihm. Es wurde nicht weiter über das geredet, was er getan und gesagt hatte. Schließlich hatte er diesen Leuten zwei gefährliche Kerle aufgehalst und hatte dann seinen Wagen verschenkt, um sie zu retten. Nun saßen sie da und waren stumm wie braunes Gras. Auch Mahan war in dem allgemeinen Schweigen untergetaucht.

Clyde musste sich plötzlich einsam fühlen, ferngehalten von denen, die er zu suchen glaubte wie ein anderes Leben.

Clyde Carr begann endlich zu lächeln. »Ich weiß nicht, ob ihr anders seid als wir oder ob ihr nur so tut. Ich muss das noch erforschen. Zum Beispiel wüsste ich gern, wofür ihr hier drei Wagen braucht. Seid ihr auch schon Besitzbürger geworden?«

Die fragenden Blicke, wer nun antworten sollte oder wollte, liefen ringsum, von dem einen zum andern. Schließlich war Byron Wakiya stillschweigend beauftragt, dem Mann mit den langen, blonden Haaren die Antwort zu geben.

»Weißer Mann mit Namen Clyde! Zu den Zeiten unserer Großväter und Urahnen haben in der Prärie die Feinde ihren Feinden die Pferde gestohlen. Ein Mann ohne Pferd war wie ein Mann ohne Beine. Heute brauchen wir Pferde, und wir brauchen eure Wagen; ein Wagen ist gleich einer Herde Mustangs, er hat große Kraft und Schnelligkeit. Joe Inya-he-yukan braucht solche Kraft, um schnell zu sein. Wir sind immer im Kampf, und er muss für uns Kinder und für unseren ganzen Stamm mit einstehen. Er ist nicht allein wie du, er handelt nicht nur für sich selbst. Und die Wagen, die er besitzt, konnte er sich nicht alle mit seinem Geld kaufen. Wir sind nur eine kleine Ranch, einunddreißig Büffel, neunzig schwarze Kühe, zwei Dutzend Pferde. Die Ranches der weißen Männer haben zweitausend oder viertausend oder noch mehr Kühe. Unser Land ist dürr, wir sind arm. Darum konnte sich Joe Inya-he-yukan nur einen einzigen Sportwagen kaufen, das ist der, den du hier siehst. Es war ein Unfallwagen, darum sehr billig. Den Jaguar hat er von seinem Ahnen Inya-he-yukan dem Alten als Erbe übernommen, übernommen! Der Ferrari aber ist ein geheimnisvolles Geschenk eines weißen Mannes, der ein Doktor war und Roger Sligh hieß; er hat seinem Leben ein Ende gemacht, weil er nicht mehr die Kraft fand, Inya-he-yukans Rat zu befolgen. Der Ferrari war ein Dank für den Rat, der nicht mehr hatte wirken können. So ist das. Aber Joe Inya-he-yukan könnte sich jetzt keinen guten neuen Wagen kaufen, wenn ihm einer weggenommen wird. Du musst erst unser Leben kennenlernen und dann musst du anfangen zu fragen, Clyde Carr.«

»Das heißt aber, ich müsste bei euch bleiben, Wakiya!«

Der Herbsttag wurde blass unter den aufziehenden Nebelschleiern. Die Talstraße verschwamm im Grau. Die Felsen leuchteten nicht mehr; ihr Weiß wirkte tot. Feuchtigkeit drang mit dem Atem in die Menschen ein und setzte sich ihnen in den Nacken. Tashina und Oiseda standen auf. Darauf erhoben sich auch die Kinder und die Lehrlinge; sie legten die Decken zusammen und trugen sie wieder ins Haus. Clyde stand noch herum.

»Dürfen wir Sie zu Ron Warrior zurückbringen?« fragte Mahan.

»Wenn es durchaus sein muss.«

»Ich will Sie nicht fortschicken.«

Man sammelte sich zu einer bescheidenen Abendmahlzeit im gelben Haus. Tashina und Oiseda verarbeiteten Büffelnieren, Büffelmilz und Büffelmagen, für jeden zwei Löffel. Es schmeckte, aber die Gedanken, die durch den halbdunklen Raum schwirrten, waren ernst; sie verwoben sich ineinander und reichten weit über den Raum bis hin zu der fernen Ranch, bei der jetzt vielleicht – vielleicht! – einunddreißig Büffel und vier erschöpfte Hirten anlangten. Joe aber musste dann sogleich den Wagen starten, um Robert und Joan mit einer Geschwindigkeit von über hundert Meilen die Stunde nach Kanada zu bringen.

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