Zur Sache, Schätzchen

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Die ‚Neue Münchner Gruppe’





In der Maiausgabe 1966 der Zeitschrift ‚Filmkritik’ prägte der Filmjournalist und damalige Redakteur der Zeitschrift Enno Patalas den Begriff ‚Neue Münchner Gruppe’. In dieser Ausgabe stellte er sechs Regisseure vor, die ihre Filme bereits im März des Jahres in gemeinsamen Nachtvorstellungen im Schwabinger Kino ‚Leopold’ vorgestellt hatten: Jean-Marie Straub, Peter Nestler, Eckhart Schmidt, Rudolf Thome, Max Zihlmann und Klaus Lemke.

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 Enno Patalas erweiterte einen Begriff des Filmjournalisten Wilfried Berghahn, der schon 1963 in einem Artikel in der ‚Filmkritik’ einige Regisseure als ‚Münchner Gruppe’ beziehungsweise ‚Münchner Schule’ bezeichnet hatte. Darunter waren jedoch größtenteils Unterzeichner des ‚Oberhausener Manifests’, zum Beispiel Edgar Reitz, Alexander Kluge und Herbert Vesely – bereits einer anderen Generation angehörend als die meisten der nun unter dem Begriff ‚Neue Münchner Gruppe’ subsumierten Filmemacher.



Die am 30. und 31. März 1966 in Nachtvorstellungen präsentierten kurzen Filme waren: ‚Aufsätze’ (1963) und ‚Rheinstrom’ (1965) von Peter Nestler, ‚Machorka-Muff’ (1963) von Jean-Marie Straub, ‚Die Flucht’ (1965) von Eckhart Schmidt, ‚Die Versöhnung’ (1964) von Rudolf Thome, ‚Frühstück in Rom’ (1965) von Max Zihlmann und zwei Filme von Klaus Lemke, ‚Kleine Front’ (1965) und ‚Flipper’ (1966), welcher jedoch noch unvertont gezeigt wurde. Die Reaktionen des wohl überwiegend studentischen Publikums waren unterschiedlich, sie reichten von Beifall bis Protest: „Beifall für den ersten Nestler-Film, für Straub und Lemke, Indifferenz bis Protest (in dieser Skala): gegenüber Schmidt, Zihlmann, Thome und dem zweiten Nestler-Film.“

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Bei der ‚Neue(n) Münchner Gruppe’ gab es kein theoretisches Manifest, die Zuordnung war eher zeitlicher und biografischer Art – und wurde auch so bereits 1966 von Enno Patalas vorgenommen:





Rudolf Thome (geboren 1939), Max Zihlmann (geboren 1936), Klaus Lemke (geboren 1940) und – einen Schritt abseits – Eckhart Schmidt (geboren 1938) bilden eine Gruppe in der Gruppe. Alle haben sie unter der Redaktion von Hans-Dieter Roos an dessen Zeitschrift ‚Film’ mitgearbeitet ; an ihren ersten Filmen haben alle vier, Thome, Zihlmann und Lemke auch an ihren weiteren gemeinsam gearbeitet, wobei die Funktion des Autors und Regisseurs reihum ging. So mag es Thomes Pech gewesen sein, dass er den ersten und schwächsten, Lemkes Glück, dass er den letzten und besten Film der Gruppe zeichnen durfte. Darstellerführung, Fotografie, Tonaufnahme und Schnitt sind von Film zu Film sicherer geworden.



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Im Juli 1967 wurden in einem Artikel der Zeitschrift ‚Film’ neue Namen bei der ‚Neue(n) Münchner Gruppe’ genannt: Maran Gosov, Martin Müller, Niklaus Schilling und May Spils. Nichts geändert hatte sich aber an der Arbeitsweise der Gruppe bei ihren Filmproduktionen. Klaus Lemke und Dieter Geissler wirkten in einem Film von Rudolf Thome, in ‚Galaxis’ mit, dessen Drehbuch Max Zihlmann geschrieben hatte, wie auch für den Klaus Lemke-Film ‚48 Stunden bis Acapulco’, wo man wieder Dieter Geissler – in einer Hauptrolle – sah, Regie-Assistenz: Martin Müller, der selber nach einem Buch von Maran Gosov ‚Die Kapitulation’ drehte, mit sich selbst als Darsteller sowie Klaus Lemke.

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Wie auch die Unterzeichner des ‚Oberhausener Manifestes’ wollten die Filmemacher und die Filmemacherin der ‚Neue(n) Münchner Gruppe’ dem konventionellen Kino, ‚Papas Kino’, etwas entgegensetzen. Inhaltlich und formal hatten sie andere Vorstellungen als die etablierte Filmbranche. Aber auch zu den ‚Oberhausenern’ stellten sie bereits eine Art Gegenbewegung dar, da sie den ‚Jungen Deutschen Film’, die Filme der so genannten Oberhausener, für zu kopflastig, zu unsinnlich hielten. Emotionales statt intellektuelles Kino war das Anliegen dieser ‚Mollywood-Schule’. Eckhart Schmidt schrieb 1968:





Mir machen Spaß: eine handfeste, gradlinige Story und Personen, die sich mehr durch das charakterisieren, was sie tun als durch das, was sie reden . Mir machen Spaß: attraktive und interessante Gesichter, Kostüme und Schaueffekte vor der Kamera und eine Kamera (Gernot Roll), die dem Geschehen dient und es nicht mit Mätzchen vergewaltigt. Ich filme lieber ein nacktes Mädchen als Problemgerede. Das klingt profan. Ich kann es nicht ändern: Ich finde, jeder sollte die Filme machen, die ihm Spaß machen.



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Die Filme der ‚Neue(n) Münchner Gruppe’ orientierten sich meist an der beobachteten Wirklichkeit, es waren Alltagsgeschichten aus dem Leben zumeist junger Leute. Selten wurde mit professionellen Darstellern gearbeitet, meist mit Laiendarstellern. Im Mittelpunkt der Filme von Peter Nestler, so überaus unterschiedlich sie auch waren, stand oft das alltägliche Leben der arbeitenden Bevölkerung. Sein zweiter Dokumentarfilm ‚Aufsätze’ (10 min.) zeigte Momentaufnahmen aus dem abgeschiedenen Leben der Bergbauernkinder des Dorfes Frutingen im Berner Oberland, ingeniös verknüpft mit dem Text von Schulaufsätzen, von den Kindern selbst gelesen.

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 Klaus Lemke präsentierte dem Kinopublikum meist Außenseitermilieus, in der Regel mit Laiendarstellern aus der jeweiligen Szene. In improvisierten Dialogen sollten diese ihre Erfahrungen einbringen und so den Film mitgestalten – eine künstlerische Methode, die eine damals neue, ungewöhnliche und oftmals witzige Form der Unterhaltung kreierte, eine offene, bewusst ‚unkünstlerische’ Dramaturgie, in die alltägliche Geschichten und Träume einfließen konnten.

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Seinem eigenen Selbstverständnis nach wollte Klaus Lemke Unterhaltungsfilme, antiintellektuelle Filme drehen. Seine Filme kamen meist ohne ausgearbeitetes Drehbuch aus und waren häufig eher beiläufig inszeniert, fehlende Perfektion wurde bewusst zum Stil erhoben. Filmische Vorbilder fand Klaus Lemke eher im amerikanischen Kino als im europäischen Autorenfilm. 1967 drehte er in Zusammenarbeit mit Max Zihlmann (Drehbuch) und Niklaus Schilling (Kamera) sowie Rudolf Thome als Darsteller, in einer allerdings kleinen Rolle‚ seinen ersten Spielfilm, ‚48 Stunden bis Acapulco’. Der Protagonist des Films adaptiert ein Gangsterdasein im Stil amerikanischer B-Movie-Helden. Seine Abenteuer führen ihn über Rom nach Acapulco und schließlich in den Tod am Strand des Karibischen Meeres. Der Filmjournalist Ulrich Gregor schrieb 1968 über den Film in der ‚Filmkritik’:










Klaus Lemke und Christiane Krüger bei den Dreharbeiten von ‚48 Stunden bis Acapulco‘





Nicht nur formale Strukturen aber hat Lemke vom amerikanischen Film übernommen, sondern auch eine Typologie. Besonders die Gangsterfilme sind bei ihm als Vorbild zu erkennen – etwa in den Porträts unheimlich-exzentrischer Ganoven, die sowohl in Acapulco wie in Negresco (einem weiteren Lemke-Spielfilm aus dem Jahr 1968, d.V.) auftauchen, auch im Klima der Fatalität, das die Filme durchzieht, in der Stimmungslage ständigen Gehetztseins.



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Auch Rudolf Thomes erster Spielfilm ‚Detektive’ aus dem Jahr 1969, Drehbuch Max Zihlmann, Kamera u. a. Niklaus Schilling, Regie-Assistenz Martin Müller, übernahm Motive und Verhaltensmuster aus dem amerikanischen Kino. Die beiden jungen Hauptfiguren, Andy und Sebastian, wollen schnell und bequem zu Geld kommen, ohne richtig arbeiten zu müssen. Arbeiten wollen sie zwar schon etwas, aber nur so, dass es auch Spaß macht, das Geld zu verdienen, das man braucht, um seinen Spaß zu haben. Die beiden machen eine Detektivagentur – das amerikanische Kino lässt grüßen – auf und in ihrem ersten Fall haben sie es mit einem schönen Mädchen namens Annabella zu tun: „Nun läuft die Geschichte, aber so, dass einer immer über die Füße des anderen fällt. Die Detektive stehen und rennen, wenn sie nicht gerade Auto fahren oder Liebe machen, viel in der Gegend herum, reden dummes Zeug und machen einen Fehler nach dem anderen.“

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Jean-Marie Straub stand mit seinen Filmen inhaltlich etwas abseits zu den anderen, daher wurde er auch vermutlich bei der Personalisierung der ‚Neue(n) Münchner Gruppe’ durch die Zeitschrift ‚Film’ 1967 nicht mehr mit erwähnt. Die Basis seiner Filme war die Literatur, so ist bereits sein Kurz-Spielfilm ‚Machorka-Muff’ aus dem Jahr 1963 die filmische Adaption einer Heinrich Böll-Satire. Der Schweizer Niklaus Schilling kam 1965 nach München. Die zu diesem Zeitpunkt in München existierende Filmszene bot ihm Arbeitsmöglichkeiten, da in der Schweiz eine vergleichbare Bewegung nicht existierte. Als Kameramann arbeitete Niklaus Schilling mit Mitgliedern der ‚Neue(n) Münchner Gruppe’ zusammen, mit Klaus Lemke, Rudolf Thome, Max Zihlmann, May Spils, aber auch mit Jean-Marie Straub. 1972 wurde sein erster eigener Spielfilm, ‚Nachtschatten’, uraufgeführt.



Diese ‚zweite Generation’ junger Filmemacher aus München, diese Generation nach den eigentlichen ‚Oberhausenern’, fand ihre Vorbilder und lernte ihr Handwerk im Kino. Sie orientierten sich an bekannten Hollywood-Regisseuren wie John Ford, Alfred Hitchcock oder auch Howard Hawks. Sie waren auch stark von der französischen ‚Nouvelle Vague’ und durch die französische Filmzeitschrift ‚Cahiers du Cinéma’ beeinflusst, die sich Anfang der 1960er Jahre von einer bürgerlich-liberalen zu einer bürgerlich-linken Publikation verwandelte.

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 Regisseure und Drehbuchautoren wie Rudolf Thome, Max Zihlmann, Klaus Lemke und Eckhart Schmidt hatten als Filmkritiker begonnen, „die alle Welt damit entsetzten, dass sie Filmen wie Otto Premingers THE CARDINAL (1963) vier Sterne = Höchstwertung gaben; …“

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 Klaus Lemke war von 1964 bis 1965 Mitarbeiter der Zeitschrift ‚Film’. Rudolf Thome schrieb ab 1962 Filmkritiken für den ‚Bonner Generalanzeiger’. Zwischen 1963 und 1964 schrieb er ebenfalls Kritiken für die Zeitschrift ‚Film’ und diverse Beiträge für die ‚Filmkritik’. Für die ‚Süddeutsche Zeitung’ verfasste er von 1962 bis 1968 Artikel. Max Zihlmann und Eckhart Schmidt hatten ebenfalls unter der Redaktion von Hans-Dieter Roos an der Zeitschrift ‚Film’ mitgearbeitet. Es war bei allen Vertretern der ‚Neue(n) Münchner Gruppe’ die Faszination für das Medium Film, die ihre ersten eigenen filmischen Arbeiten entstehen ließ; eine Tatsache, die sie mit einigen Regisseuren der ‚Nouvelle Vague’ verband, die auch zuerst als Filmkritiker gearbeitet hatten.

 



Kritik an der Gesellschaft artikulierten die Vertreter der ‚Neue(n) Münchner Gruppe’ in ihren Filmen, wenn überhaupt, nur sehr verhalten; eher könnte man ihre Filme als ein Lebensgefühl interpretieren, das sich in ihnen ausdrückt: das großstädtische Lebensgefühl der jungen Generation der 1960er Jahre. Lediglich Peter Nestler, der aber nicht zum inneren und repräsentativen Kern der Gruppe gezählt werden kann, unternahm den – allerdings mehr dokumentarischen – Versuch, sich in seinen Filmen konkret mit der Realität in der Bundesrepublik Deutschland zu beschäftigen.



Enno Patalas gab der ‚Neue(n) Münchner Gruppe’ keine Chancen in der kommerziellen Filmwelt – „sei es, weil einige ihrer Mitglieder das Amateurhafte, auch Epigonale, das ihren ersten Versuchen notwendigerweise anhaftet, nicht zu überwinden vermögen, sei es, weil der Apparat unserer Filmwirtschaft und der staatlichen Förderungsinstanzen sie nicht akzeptiert. Möglich, dass die ‚Neue Münchner Gruppe’ eine Schwabinger Episode bleibt.“

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 Gerade im letzten Punkt irrte Enno Patalals. Das deutsche Kino zumindest der 1970er Jahre wurde wesentlich von einigen Regisseuren der Gruppe wie Klaus Lemke, Rudolf Thome, Niklaus Schilling und auch May Spils mitbestimmt, die auch heute noch – mit Ausnahme von May Spils – gelegentlich von der Öffentlichkeit beachtete Filme drehen. Die Filme von Rudolf Thome werden zum Beispiel immer wieder auf Festivals wie der ‚Berlinale’ in Berlin gezeigt, so z. B. im Jahr 2000 der Film ‚Paradiso – sieben Tage mit sieben Frauen’, der zudem noch einen ‚Silbernen Bären’ verliehen bekam, für eine herausragende Leistung an das Darstellerensemble.



Neben den ‚Oberhausenern’, von denen sich letztendlich auch nur drei Namen im Gedächtnis der film- und kulturinteressierten Öffentlichkeit erhalten haben, Alexander Kluge, Edgar Reitz und Peter Schamoni, präsentieren also auch einige Vertreter der ‚Neue(n) Münchner Gruppe’ die Geschichte des deutschen Films seit den 1960er Jahren ganz wesentlich mit.










Das ‚Schätzchen-Team‘ – ohne seinen Hauptdarsteller







Zur Entstehungsgeschichte von ‚Zur Sache, Schätzchen’





Eine Filmemacherin unter lauter Filmemachern, das war Mitte der 1960er Jahre noch etwas Besonderes. Die Regisseurin May Spils, die wie ein Fotomodell aussah, „… überschlank, apartes, schmales Gesicht, ausdrucksvolle dunkle Augen und eine langmähnige Ponyfrisur“

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, hatte aber die Chuzpe und den Mumm, sich zu sagen, das, was die Männer können, das kann ich auch. Damit meinte sie die Regisseure der ‚Neue(n) Münchner Gruppe’, deren Arbeiten sie aus nächster Nähe mitverfolgte.












May Spils



May Spils wurde am 29. Juli 1941 in Twistringen bei Bremen als Maria-Elisabeth Meyer-Spils geboren. Nach dem Abitur besuchte sie die ‚Berlitz-Sprachschule’, an der sie Englisch lernte; danach hielt sie sich eine Zeitlang als Au-Pair-Mädchen in Paris auf, um Französisch zu lernen. Nach ihrer Rückkehr nach Deutschland arbeitete sie bei einer Werbefirma in Hamburg als Auslandskorrespondentin und nahm Schauspielunterricht in Bremen, wo sie auch eine Studio-Bühne gründete, die allerdings bereits nach zwei Aufführungen wieder einging. Sie versuchte sich auch im schriftstellerischen Bereich, verfasste einen Roman, ein Theaterstück und mehrere Kurzgeschichten, die jedoch nicht publiziert wurden.



1962 kam May Spils nach München und arbeitete hier zunächst als Mannequin und Fotomodell; außerdem spielte sie kleinere Rollen in Filmen, z. B. in ‚Holiday in St. Tropez’ (1964) und der internationalen Produktion ‚Dschingis Khan’ (1965).



1963 lernte sie durch ihre Arbeit beim Film ihren späteren Lebensgefährten Werner Enke und auch den Regisseur Klaus Lemke kennen. Ein Jahr später war sie mit beiden in München geschäftlich in einer Werbefirma verbunden, die aber keinen langen Bestand hatte.



1966 drehte May Spils ihren ersten Kurzfilm ‚Das Portrait’, den sie selbst produzierte, selber schrieb und in dem sie auch die Hauptrolle spielte, ein junges Mädchen, eine Künstlerin, die nach der Gebrauchsanweisung des Henri Matisse-Buches ‚Farbe und Gleichnis’ ein Kunstwerk zu schaffen versucht. Sie bringt aber nichts zustande, klebt zum Schluss ein Foto von sich auf die Leinwand und signiert das ‚Gemälde’. May Spils über ihren ersten Film:





Der Film soll sein eine versuchte Komposition von Farben, Geräuschen, Musik, Stille und Text, die rhythmisch angeordnet sind. Ein ernster Film sozusagen in bunter Bonbonverpackung.



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Der zehn Minuten lange Farbfilm, mit schnellen Schnitten und ungewöhnlichen Kameraeinstellungen, gefiel im selben Jahr auf der ‚Internationale(n) Filmwoche Mannheim’ der Jury und erhielt eine Auszeichnung. ‚Das Portrait’ fiel auf. Zunächst lief er als Vorfilm in den Kinos und dann im nächsten Jahr in allen deutschen Botschaften. Man war stolz, dass man endlich nach dem Krieg eine deutsche Frau vorzeigen konnte, die was Ungewöhnliches machte, dabei noch jung war und obendrein gut anzusehen.



Ebenfalls 1966 realisierte May Spils mit Werner Enke und sich selbst in den Hauptrollen den zehn Minuten langen Kurzfilm ‚Manöver’, den sie wiederum selbst produzierte und schrieb. Der Film zeigt ein junges Ehepaar, das an einem Montagmorgen im Urlaub ‚Frühaufstehen’ probt, sich akribisch auf einen anscheinend wichtigen Termin vorbereitet: Badewanne, Kosmetik, Maniküre, die Auswahl der richtigen Kleidung. Das Tempo des Films wird von der Uhr bestimmt. Beide verlassen zwar pünktlich um 8 Uhr die Wohnung, kehren aber zurück und kuscheln sich wieder gemeinsam ins Bett – Fazit: Manöver gelungen, ‚Ernstfall’ geprobt!



‚Manöver’ wurde 1967 ein Publikumserfolg bei den ‚XIII. Westdeutsche(n) Kurzfilmtage(n) Oberhausen’, wo er allerdings nicht im Wettbewerb des Festivals, sondern nur in der so genannten Informationsschau lief. May Spils erinnert sich:





Es war schon weit nach Mitternacht. Die ausgepumpten Journalisten hatten sich den ganzen Tag zig Kurzfilme hintereinander ansehen müssen. Sie waren total fertig, trotzdem saßen sie versammelt im Kinoraum und taten sich diesen ‚Zusatzfilm’ auch noch an. Ich glaube, einige waren schon am Einschlafen. Dann kam unser Film und explodierte wie eine Bombe. Es war das erste Mal, dass Enke und ich den Film mit Publikum sahen. Jede kleinste Pointe saß haargenau, die Stimmung im Saal stieg von Null auf Hundert, und als die Sache nach 10 Minuten zu Ende war, waren Enke und ich die glücklichsten Menschen der Welt. Wir hatten so eben gesehen, dass wir in der Lage waren, einen ganzen Kinosaal mit Filmkritikern positiv anzuzünden! In unserer kleinen Absteige in Duisburg feierten wir zwei in der Nacht noch mit etlichen Flaschen Bier und schworen uns: Jetzt haben wir diese Kurzfilme geschafft, jetzt schaffen wir auch einen Langfilm! Das war die Geburtsstunde von ‚Zur Sache, Schätzchen’! Später bei den Dreharbeiten von ‚Zur Sache, Schätzchen’, wenn manchmal alles drunter und drüber ging, wenn wir manchmal nicht weiter wußten oder von Selbstzweifeln geplagt wurden, haben wir immer wieder an diese Kinonacht in Oberhausen gedacht und haben daraus die Kraft zum Weitermachen getankt.



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Die Presse bescheinigte der Regisseurin „… Sinn für Tempo und komische Situationen …“

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, sah in dem Film „… ihr Talent für Komik, ihre vergnügte Selbstironie …“

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 bestätigt. In den Kinos lief ‚Manöver’ als Vorfilm wochenlang und machte May Spils und Werner Enke – nach ‚Das Portrait’ – noch bekannter und beliebter.



In diese Zeit fällt auch May Spils Bekanntschaft mit dem Produzenten und Regisseur Peter Schamoni. 1967, mit erst 26 Jahren, beschloss sie, eine Hypothek auf den vom Großvater geerbten Bauernhof in Twistringen aufzunehmen, um ihren ersten Spielfilm ‚Zur Sache, Schätzchen’ finanzieren zu können.










Werner Enke, May Spils und Peter Schamoni 1967



May Spils gehörte sicherlich nicht – wie auch die meisten Mitglieder der ‚Neue(n) Münchner Gruppe’ – zu den politisch motivierten Filmemachern des ‚Jungen Deutschen Films’; sie wollte stattdessen endlich die Langeweile aus den Kinos vertreiben, was die Regisseure des ‚Jungen Deutschen Films’ ihrer Meinung nach bisher nicht geschafft hatten.

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May Spils war allerdings auch nicht daran interessiert, das Kino der 1950er Jahre fortzusetzen bzw. wiederzubeleben. Ihr filmischer Ansatz war, die gesellschaftliche Realität als thematische Ausgangsbasis zu benutzen, da es sie reizte, die Beobachtungen, die sie in der sie unmittelbar umgebenden Realität machte, an Milieus, an Freunden, in filmische Sprache, in bewegte Bilder umzusetzen.

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 In der deutschen ‚Jungfilmer-Bewegung’, die sich ab Anfang der 1960er Jahre formierte, war May Spils die erste Regisseurin; sie war, wie man damals in der Tageszeitung ‚Die Welt’ lesen konnte, „die erste unübersehbare Regisseurin des deutschen Films seit Leni Riefenstahl, .“

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 Im europäischen Ausland machten in dieser Zeit die Französin Agnes Varda und die Schwedin Mai Zetterling auf sich aufmerksam.



Die Story für ‚Zur Sache, Schätzchen’ nannte May Spils selbst eine der Wirklichkeit entnommene Geschichte aus dem damaligen Schwabinger Milieu in München

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, das unter anderem aus Gammlern, Trinkern, miniberockten Mädchen, maxiverkorksten Revoluzzern und mehr kleinen als großen Genies bestand.

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In den 1960er Jahren entstand in München-Schwabing eine eigenständige – überregional beachtete – Kulturszene. Schwabing wurde auch ein beliebter Drehort des ‚Jungen Deutschen Films’ und es kam immer wieder vor, dass fast zeitgleich in den Straßen Schwabings Filmproduktionen realisiert wurden. Der ‚Englische Garten’ war ein beliebter Treffpunkt der Gammler und Hippies, die Schwabinger ‚Leopoldstraße’ entlang gab es zahlreiche Lokale, in denen sich Künstler, Schauspieler und Musiker trafen. Im damaligen Vergleich konnte sich München-Schwabing selbst mit Kulturmetropolen wie Paris, London oder Amsterdam messen. Gerade junge Filmemacher ließen sich von der Atmosphäre in Schwabing inspirieren und versuchten, das aufregende und zugleich entspannte Leben filmisch darzustellen. May Spils selbst beschrieb Schwabing – durchaus nicht unkritisch – als eine Welt





deren Charme so viele junge Leute erliegen, ohne recht zu begreifen, dass hinter der dünnen Oberfläche dieses Zaubers nichts oder allenfalls der große Spiegel steht, in dem man plötzlich nur sich selbst gegenübersteht. Schwabing ist keine Philosophie mehr, sondern nur noch eine ganz reizvolle Durchgangsstation für junge Leute zwischen 17 und 30 Jahren.



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Die Münchener ‚Leopoldstraße’ in den 1960er Jahren



Die Grundidee für ‚Zur Sache, Schätzchen’ lieferten ihr zwei Freunde, die späteren Darsteller Werner Enke und Henry van Lyck, die sie monatelang beobachtete, „junge Schauspieler, in ihren alltäglichen Gewohnheiten, stellte ihre spezifischen kleinen Eigenarten fest, achtete darauf, wie sie Mädchen nachsehen, sie ansprechen, sich ihnen gegenüber verhalten.“

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 Genauso wie die späteren Filmfiguren Martin und Henry lebten die beiden in den Tag hinein und hielten nicht viel vom Geldverdienen, doch



bewahren sie sich im Rahmen dieses ‚Allgemeinguts’ spezifische individuelle Eigenarten, hat der eine oft ein bisschen mehr Vernunft als der andere, so dass sie sich merkwürdigerweise ganz gut ergänzen


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so noch einmal May Spils.










May Spils führt Regie, mit Kameramann Klaus König, 1967



Trotz ihrer detaillierten Alltagsbeobachtungen hielt May Spils selbst den Film nicht für einen realistischen Film, da ihr die Situationen, in die sich die Hauptfigur Martin im Laufe der Filmhandlung begibt, viel zu absurd-grotesk erschienen; die Realität betrachtete sie nur als spielerische Ausgangsbasis für ihre sku