Zur Sache, Schätzchen

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Zentraler Programmpunkt des Manifests war das Konzept des Autorenfilms, bei dem der Filmemacher zugleich Autor, Regisseur und auch noch Produzent ist. Der Film wird aus der Erfahrung eines Autors oder auch eines Autorenkollektivs heraus hergestellt. Den Begriff des Autorenfilms, den es eigentlich schon fast seit Bestehen des Films gibt, übernahmen die ‚Oberhausener’ vom ‚cinema des auteurs’ der französischen ‚Nouvelle Vague’. Der französische Autorenfilm bestand allerdings nicht so stark auf der Rolle des Autors als Produzent, was sicherlich auch mit den größeren cineastischen Vorlieben der ‚Nouvelle Vague’ für das Hollywood-Kino und den in Frankreich für Filmemacher besseren Produktionsbedingungen zusammenhing.

Nur drei der Unterzeichner des Manifests hatten vorher bereits einen abendfüllenden Spielfilm gedreht: Hansjürgen Pohland, Ferdinand Khittl und Herbert Vesely. Hansjürgen Pohlands 1961 uraufgeführter Film ‚Tobby’, die Geschichte eines Jazzmusikers, der ein lukratives Angebot einer Konzertagentur als Schlagersänger ablehnt und lieber Jazzmusiker bleibt, war formal eine Mischung zwischen Spiel- und Dokumentarfilm. Es gab weder professionelle Schauspieler, Kulissen, ein Studio oder ein Drehbuch. Der Film fand keinen Verleih für die Kinoauswertung und blieb so der damaligen Öffentlichkeit weitgehend unbekannt. Bei der Produktion von Ferdinand Khittls Experimental-Spielfilm ‚Parallelstraße’ (1962) waren gleich mehrere ‚Oberhausener’ beteiligt. Das Buch schrieb zum Beispiel Bodo Blüthner, Kameramann war Ronald Martini. Wie auch Pohlands ‚Tobby’ fand dieser Essayfilm über das Leben, das Sterben, die Welt und die Zeit keinen Verleih.

Lediglich die Heinrich Böll-Adaption ‚Das Brot der frühen Jahre’ (1962) von Herbert Vesely, an der auch vier ‚Oberhausener’ beteiligt waren, fand den Weg in die Kinos der Bundesrepublik Deutschland; zudem wurde die Herstellung des Films durch den Filmfond des Landes Nordrhein-Westfalen mit einer Prämie von 100.000 DM gefördert.17 Der Grund lag sicherlich darin, dass es sich um die Verfilmung einer Erzählung des damals, neben Günter Grass, bekanntesten deutschen Schriftstellers handelte. ‚Das Brot der frühen Jahre’ erhielt insgesamt fünf Bundesfilmpreise, ‚Filmbänder in Gold’ für: ‚Zweiter Preis für einen abendfüllenden Spielfilm’, ‚Beste Hauptdarstellerin’ (Vera Tschechowa), ‚Beste Kameraführung’ (Wolf Wirth), ‚Beste Filmmusik’ (Attila Zoller, Joachim E. Behrendt), ‚Bester Nachwuchsregisseur’ (Herbert Vesely).

Trotz dieser Preise und seiner Nominierung für die Filmfestspiele in Cannes als deutscher Festivalbeitrag konnte ‚Das Brot der frühen Jahre’ die damalige deutsche Kritik nicht überzeugen, zumal der Film weniger eine Adaption von Bölls Erzählung war, sondern mehr eine Meditation über sie, keine geradlinige Erzählung. Herbert Vesely schilderte vielmehr die Anatomie der Wandlung der Hauptfigur – mit einem polyperspektivischen Erzählverfahren, bei dem Motive fallengelassen, wieder aufgenommen und variiert wurden. Persönliche Reflexionen wurden von abrupten Einbrüchen der Außenwelt unterbrochen.18

Die Begrenzung auf neue stilistische Positionen war typisch für die ersten drei Spielfilme der ‚Oberhausener’ und auch für die Kurzfilme; die Neigung zum Dekorativen auffälligstes Moment der jungen Filmemacher. Noch einmal der Filmjournalist Wilfried Berghahn 1963:

Die spiegelnde Fassade eines Hochhauses oder einer Wohnmaschine blendet auf: viel Glas, matt schimmernde Metallrahmen der Fenster, helle Betonflächen. In den nächsten Bildern: Betonpfeiler schmal in den Himmel aufragend, auch langgestreckte, bildfüllende Raster aus Glas und Stein; Kuben, Flächen, ineinander geschachtelte Balkonwaben und wieder Glas. Unten ein einsamer Platz, leer, Betonplattenraster. Alles kühl, streng, kantig, aber auch schön, schön vor allem! 19

Mit dem ‚Oberhausener Manifest’ brach im deutschen Film ein Generationenkonflikt offen aus; es bildeten sich klare Fronten zwischen Alt- und Jungfilmern. Die jungen Filmemacher wollten keine ‚Vertreter’ von ‚Papas Kino’ mehr sein. Sie wollten ihre Sicht der gesellschaftlichen Situation jener Zeit schildern und besonders den verharmlosenden und züchtigen Jugenddarstellungen aus dem Kino der 1950er Jahre etwas entgegenstellen.

Die etablierten Filmemacher und die deutsche Filmwirtschaft reagierten auf das Manifest mit Ablehnung oder Spott, von ‚Bubis Kino’ war – im Gegenzug – die Rede! Die Forderungen wurden nicht ernst genommen, zumal auch noch keine konkreten Spielfilmprojekte der ‚Oberhausener’ vorlagen und nur wenige der Unterzeichner detaillierte inhaltliche und formale Vorstellungen von ihrem ersten Spielfilm hatten.

Die Kritiker ignorierten, dass die ‚Oberhausener’ mit ihrem Manifest zuerst eine theoretische Einsicht in die Notwendigkeit einer Erneuerung des deutschen Films schaffen wollten. Die Produktionsbedingungen sollten dahingehend geändert werden, dass in der Bundesrepublik Deutschland zukünftig auch andere Filme neben den üblichen Heimat- oder Schlagerfilmen, der Konfektionsware, den Serienfilmen produziert werden konnten. In der Filmzeitschrift ‚Film-Telegramm’, die journalistisch eher ‚Papas Kino’ verbunden war, konnte man damals über die ‚Oberhausener’ folgende Einschätzung lesen:

Sie nennen sich Produzenten, sind aber keine. Sie brauchen Männer, die sie als väterliche Partner unter die Fittiche nehmen. […] Wer behauptet, er könne eine ganze Serie von Filmen, denen er auch zutraut, dass sie in den Kinotheatern gewisse Chancen haben, für je fünfhunderttausend Mark herstellen, der ist entweder ein Mensch ohne jede kaufmännische oder praktische Erfahrung oder ein Schwindler.“ 20

Das Manifest erweckte allerdings auch bei vielen am deutschen Film künstlerisch Interessierten große Hoffnungen. Besonders die Redakteure der Filmzeitschrift ‚Filmkritik’, die ebenfalls größtenteils in München lebten und vom Alter her den jungen deutschen Filmemachern annähernd gleich waren, unterstützten von Anfang an die ‚Oberhausener’ in zahlreichen Artikeln vehement. Ihren kommenden Spielfilmprojekten sahen sie mit großem Interesse entgegen.

Noch im gleichen Jahr, im Oktober 1962, übernahmen drei Unterzeichner des Manifests, Alexander Kluge, Edgar Reitz und Detten Schleiermacher, die Leitung der neu gegründeten Filmabteilung der ‚Hochschule für Gestaltung’ in Ulm – eine erste Ausbildungsstätte für deutsche Filmemacher nach 1945.

Im Februar 1963 wurde die ‚Stiftung Deutsche Kinemathek’ in Berlin21 eröffnet, deren Hauptaufgabe die Archivierung des deutschen Films wurde. Im September 1966 folgte die Einrichtung der ‚Deutschen Film- und Fernsehakademie’ in Berlin, der ersten Filmakademie der Bundesrepublik Deutschland, und ab dem Wintersemester 1967/68 bot auch die bereits im Juli 1966 gegründete ‚Hochschule für Fernsehen und Film’ in München ihr Studienprogramm an. Beides sind bis heute renommierte Ausbildungsstätten für den deutschen Filmnachwuchs.

Das Manifest und die Forderungen der ‚Oberhausener’ zeigten Wirkung und auch die Realisierung ihrer Spielfilmprojekte rückte – drei Jahre nach Oberhausen – durch die Gründung des ‚Kuratoriums junger deutscher Film’ im Februar 1965 in greifbare Nähe – eine wichtige filmpolitische Entscheidung, der am 30. November 1964 eine entsprechende Verordnung des Bundesinnenministers vorausgegangen war. Über das ‚Kuratorium’ standen nun staatliche Gelder für die Finanzierung von Spielfilmprojekten zur Verfügung, z. B. dreieinhalb Millionen DM als Projektförderung für Erstlingsfilme.22 Diese staatliche Filmförderung durch das ‚Kuratorium’, das in den ersten zwei Jahren seines Bestehens 25 Filme förderte23, wurde ergänzt mit der Einführung der Drehbuch- und Spielfilmprämien des Bundes, wobei allerdings hier zunächst nur konventionelle Projekte wie Edgar Wallace-Filme und Karl May-Filme finanziell unterstützt wurden. Der Filmjournalist Joe Hembus, engagierter, aber auch kritischer Begleiter des ‚Jungen Deutschen Films’, im Januar 1966 – voller Vorfreude auf die kommenden Filme der ‚Oberhausener’:

Fünf von ihnen drehen nun ihre erste Spielfilme. Der Berliner Hansjürgen Pohland wird Katz und Maus von Grass verfilmen, Alexander Kluge aus seinen Lebensläufen die Geschichte einer Herumstreunerin Abschied von gestern. Das Team Strobel/Tichawsky beschäftigt sich mit Ehescheidung (späterer Filmtitel: ‚Eine Ehe’, d.V.). Haro Senft analysiert eine Karriere (späterer Filmtitel: ‚Der sanfte Lauf’, d.V.). Edgar Reitz forscht unter dem Titel Mahlzeiten ein Frauenleben aus. […] Der alte deutsche Film erkennt diese Bedrohung. Er fährt in dieser Saison des Aufbruchs sein schärfstes Geschütz auf: Papa Artur Brauner wird die meiste Zeit des Jahres damit zubringen, einen zweiteiligen Nibelungen-Film zu produzierenmit Winnetou-Filmer Harald Reinl als Regiekommandanten.24

Aufsehen in der öffentlichen Wahrnehmung – sowohl in der Bundesrepublik Deutschland als auch im europäischen Ausland – erregte aber bereits der 1965 uraufgeführte Film ‚Nicht versöhnt oder Es hilft nur Gewalt, wo Gewalt herrscht’, zeitlich noch ein ‚Vorläufer’ des ‚Jungen Deutschen Films’, der in einem Jahr in die Kinos kam, in dem der deutsche Film einen Negativrekord mit nur noch 56 hergestellten Filmen erreichte. Die Krise des deutschen Films war unübersehbar geworden!

‚Nicht versöhnt ...’ drehte der in München lebende französische Regisseur Jean-Marie Straub – nach der Heinrich Böll-Erzählung ‚Billard um halb zehn’. Der Film zeichnete sich zwar durch einen – für die damaligen Zuschauer – gewöhnungsbedürftigen formalen Rigorismus aus und hatte, auch aufgrund seiner Fragmentstruktur, seiner elliptischen Form, nur wenig gemein mit den üblichen Literaturverfilmungen, für die französische Filmzeitschrift ‚Cahiers du Cinema’ war ‚Nicht versöhnt ...’ aber der größte deutsche Film seit den deutschen Filmen der Regisseure Fritz Lang und F.W. Murnau.25

 

Die eigentliche Wende im deutschen Film wurde aber erst das Jahr 1966. „Man sprach vom ‚Jahr eins’ und verglich das Jahr 1966 mit einem Dammbruch für den jungen deutschen Film [...] In einem Jahr kamen mehr junge Regieaspiranten zum Zuge als in der ganzen vorausgegangen Zeit.“26 Eine weitere Besonderheit: Die Filmemacher behielten die absolute künstlerische und finanzielle Kontrolle über ihre Arbeiten.

Der erste Spielfilm des ‚Jungen Deutschen Films’, der eine breitere Öffentlichkeit erreichte und die ‚Deutsche Welle’ im Kino in Bewegung setzte, war Ulrich Schamonis am 17. März 1966 uraufgeführter Film ‚Es’. Der Film erfüllte den Wunsch des mittlerweile vorwiegend jungen Kino-Publikums nach Realismus und Zeitbezogenheit; er erhielt – wie erwartet – in der ‚Filmkritik’ durch den Filmjournalisten Peter M. Ladiges seine positive Besprechung:

Bruno Dietrich und Sabine Sinjen in ‚Es‘

Schamoni setzt seinen Film aus Beiläufigem zusammen. Nirgends massiert sich das Geschehen zur Dramaturgie einer regelrechten Handlung. Alles Wichtige wird nur am Rande mitgeteilt. Die einzelnen Szenen wirken wie zufällig mit der Kamera beobachtet. Dennoch verliert sich die Geschichte nicht in Impressionen, sondern baut sich sehr konsequent aus den verschiedenen Momentaufnahmen auf. Diese erscheinen durch die Selbstverständlichkeit, mit der die Akteure vor der Kamera agieren und mit der diese sich bewegt, in hohem Maße authentisch. Daran mag es vor allem liegen, dass diese Geschichte, die eben nicht am roten Faden einer Handlung abgespult wird, in der Konzentration allein auf das Thema keinen Augenblick langweilig ist. 27

Charakteristisch für ‚Es’ war der hohe Anteil an dokumentarischen Aufnahmen. Wirkliche Ärzte erörterten vor der Kamera das Problem der Abtreibung. Zugunsten der Reflexionsebene unterbrachen Zwischentitel den Fluss der Handlung.28

Auch Volker Schlöndorffs Film ‚Der junge Törless’, Alexander Kluges Spielfilmdebüt ‚Abschied von gestern’ und der Film ‚Schonzeit für Füchse’ von Peter Schamoni kamen im Jahr 1966 in die Kinos und erregten – in allerdings unterschiedlicher Ausprägung – die Aufmerksamkeit des Publikums und der Filmkritik. ‚Der junge Törless’ und ‚Abschied von gestern’ wurden jeweils mit einer Drehbuchprämie von 200.000 DM des ‚Bundesministeriums des Innern’ gefördert, ‚Abschied von gestern’ bekam zudem noch 100.000 DM vom ‚Kuratorium junger deutscher Film’.

Die bisherigen Filme der ‚Oberhausener’ fanden auch internationale Beachtung. Im Mai 1966 wurde die Bundesrepublik Deutschland beim Filmfestival in Cannes durch ‚Es’ und ‚Der junge Törless’ vertreten, gewann jedoch keinen der offiziellen Festivalpreise.

Erst Alexander Kluges Film ‚Abschied von gestern’ erhielt einen offiziellen Preis, im September 1966 den ‚Silbernen Löwen’, den Spezialpreis der Jury, auf den Filmfestspielen in Venedig; darüber hinaus bekam er in Venedig noch sieben weitere Auszeichnungen, so u. a. den Preis ‚Luis Buñuel’ der spanischen Kritiker. ‚Abschied von gestern’ lief allerdings nicht als offizieller Beitrag der Bundesrepublik Deutschland, sondern als von der Festspielleitung eingeladener Film.

Die internationale Anerkennung des ‚Jungen Deutschen Films’ zog die nationale Bestätigung nach sich. ‚Der junge Törless’ erhielt 1966 das ‚Filmband in Gold’ in der Kategorie ‚Abendfüllende Spielfilme’, ein weiteres ‚Filmband in Gold’ gab es für Volker Schlöndorff in der Kategorie ‚Bester Drehbuchautor’. ‚Es’ bekam in der Kategorie ‚Abendfüllende Spielfilme’ das ‚Filmband in Silber’, weitere Filmbänder gab es für: Sabine Sinjen (‚Beste Hauptdarstellerin’), Bruno Dietrich (‚Bester Nachwuchsschauspieler’), Gerard Vandenberg (‚Beste Kameraführung’). Auch ‚Schonzeit für Füchse’ wurde ausgezeichnet: Hans Posegga erhielt ein ‚Filmband in Gold’ in der Kategorie ‚Beste Filmmusik’, Edda Seipel ebenfalls ein ‚Filmband in Gold’ in der Kategorie ‚Beste weibliche Nebenrolle’. ‚Schonzeit für Füchse’ bekam zudem noch auf den Filmfestspielen in Berlin, der ‚Berlinale’, den ‚Silbernen Berliner Bär’, einen Sonderpreis der Jury.

Der ‚Junge Deutsche Film’ wurde zum Ausdruckmittel eines Individuums, seines Autors. Das Abwenden von der gängigen Kino-Illusionswelt und seine Realitäts- und Gegenwartsbezogenheit kennzeichneten fast alle Filme. War der deutsche Film vorher noch meistens ein Transportmittel für stereotype Inhalte gewesen, wurde er jetzt zum persönlichen Ausdruck ihrer Autoren, „als Selbstzeugnis, als Reflex von Empfindungen, als Assoziationsketten und als Gedankengebäude“.29

Für die Mehrzahl der jungen Filmemacher war eher ein gesellschaftskritischer als ein künstlerischer Ausgangspunkt für ihre Produktionen maßgebend. Sie wollten die Wirklichkeit abbilden und dadurch kritisieren. Die Themen stammten überwiegend aus dem Alltag und führten Durchschnittsmenschen vor.

Die Filme endeten in der Regel nicht mit einem Happy End oder einer Lösung des zuvor geschilderten Problems. Lieblingsthemen des ‚Jungen Deutschen Films’ waren vor allem die „... Anpassung an die Wohlstandsgesellschaft und die Folgen des Wirtschaftswunders, Konflikte zwischen einer jungen und einer älteren, noch von der NS-Zeit geprägten Generation, an Konsum gebundene Glücksvorstellungen, Eheprobleme und schließlich die Emanzipation der Frau.“30

Doch gerade das Konzept des Autorenfilms führte zu einer Vereinzelung der Regisseure und zu einer verstärkten Konkurrenz untereinander. Anders als in der französischen ‚Nouvelle Vague’ fehlte den ‚Oberhausenern’ eine gemeinsame cineastische Grundlage. Die Solidarität untereinander zerbrach rasch, nachdem die ersten Filme abgedreht waren – was auch schon von dem Filmjournalisten Joe Hembus 1967, also sehr frühzeitig, bemerkt wurde:

Was viele junge Filmemacher an der Fahne Junger Deutscher Film stört, ist just die Tatsache, dass sie sich unter ihr mit Kollegen treffen, mit denen sie um keinen Preis Tuchfühlung aufnehmen möchten. Der Reitz kann den Spieker nicht ausstehen, und der Schlöndorff kann an Es nichts finden, und der Straub distanziert sich überhaupt von allem, ausgenommen von Vlado Kristl, der seinerseits alle anderen als Kaputtmacher seiner großen Ideen schmäht. Es geht herrlich und wie in jeder funktionierenden Filmindustrie zu; auch in dieser Branche ist jeder eine Callas. 31

Nach den ersten euphorischen Stellungnahmen durch die – vorwiegend anspruchsvolle –Filmkritik und der ersten ‚Aufmerksamkeitswelle’ im Kino und auf Filmfestivals ging auch das Zuschauerinteresse an den Filmen der ‚Oberhausener’ schnell wieder zurück, wie insgesamt die Besucherzahlen in den Kinos immer mehr schwanden. Die Bilder, die der ‚Junge Deutsche Film’ seinen verbliebenen Zuschauern zeigte, waren diesen zu fad und oftmals zu unverständlich – die Filmemacher beschränkten die sinnliche, emotionale Erfahrung Kino auf die häufig zu offensichtlich didaktische Vermittlung von inhaltlichen Standpunkten, von Reflexionsvorschlägen und Sichtweisen. Bei der überwiegenden Masse des Kinopublikums wurde der ‚Junge Deutsche Film’ bald mit dem Etikett ‚Langweilig’ versehen.32

Auch die traditionellen Filmemacher und Produzenten reagierten nun – in der zweiten Hälfte der 1960er Jahre – auf die filmischen Versuche der so genannten Jungfilmer. Es entstanden einige Filme, die gezielt Komponenten der damaligen Jugendkultur aufgriffen. Doch Partei für die Jugend ergriffen die etablierten Regisseure nicht. In allen Genres tauchten jugendfeindliche Klischees auf; der filmische Blick auf Söhne und Töchter war fast immer belehrend und teilweise sogar angewidert – wie Florian Vollmers fast am Ende des letzten Jahrhunderts bei einer Betrachtung über die Sozialgeschichte des Films der 1960er Jahre konstatierte:

In vielen Komödien tauchen junge, liebeshungrige Schwedinnen auf, und auch in der Edgar-Wallace-Reihe sind junge Frauen meist triebgesteuert und naiv, wofür sie nicht selten mit ihrem Leben bezahlen müssen. In dem Wallace-Film ‚Der Mann mit dem Glasauge’ (Alfred Vohrer, 1968) muss sich Kommissar Horst Tappert mit einem dämlichen Jüngling als Assistenten rumschlagen. Mit Pilzkopf, krächzender Stimme und blödem Gekicher repräsentiert er eindeutig die Jugend der sechziger Jahre. Er sorgt für die alberne Komik des Films und wird an einer Stelle von Tappert prägnant charakterisiert: ‚Lange Haare, kurzer Verstand!’ 33

Filme wie ‚Siebzehn Jahr – blondes Haar’ (Franco Montemurro, 1966), eine Produktion des ‚Alt’-Produzenten Luggi Waldleitner, oder ‚Musik, Musik – Da wackelt die Penne’ (Franz Antel, 1970) zeigten die Jugend und ihre Ausdrucksformen aus einer distanzierten Perspektive; sie behandelten aber Tendenzen, die in den 1960er Jahren als eindeutig jugendlich galten. Das ‚Gammlertum’, ein Leben ohne gesicherte Verhältnisse, wurde in ‚Siebzehn Jahr – blondes Haar’ thematisiert, wo der jugendliche Hauptdarsteller in einen heftigen Konflikt mit seinem Vater, einem Industriellen, geriet. In ‚Musik, Musik – da wackelt die Penne’ versuchten einige ‚Pauker’ – letztendlich erfolglos – ihren Schülern‚ ‚Hippies’, die in einem Internat an der Aufführung eines Musicals arbeiten, Zucht und Ordnung beizubringen. Ende gut – alles gut: Das Musical wird aufgeführt und das neue, moderne Erziehungskonzept hieß nun: ‚Lernen mit Musik’.

Das immer geringer werdende Filmpublikum genoss im Kinosessel – sozusagen fernab von ‚Oberhausen’ – weiterhin vorwiegend die gängigen Genres des deutschen Films. ‚Papas Kino’ lebte – wenn auch künstlerisch eher auf der Intensivstation – unverdrossen weiter. Ein neuer Zuschauermagnet wurden zudem die so genannten Aufklärungsfilme, die eine ‚neue Welle’ in den Filmtheatern ins Rollen brachten – aufmerksam beobachtet von dem Filmjournalisten Joe Hembus:

Noch nie nämlich wurde so viel Frivoles auf das Publikum losgelassen. Von Bertelsmann bis Eckelkamp: geschlossen schicken die Verleiher und Produzenten ihre Regisseure auf die Straße, um mit viel nackten Frauen und wenig Handlung die Kunden in die Schau-Burgen zu locken. Mach dir ein paar schöne Stunden. Das Kino wird zum Freuden-Haus. Po- und Busenopern der hemmungslosesten Sorte. Gäbe es nicht die auch international anerkannten Jungfilmer, dann müsste man über Deutschlands Film verzweifeln. 34

Während 1965 der Anteil von ‚Schlüpfrigem’ am deutschen Filmschaffen nur vier Prozent betrug, repräsentierten die ‚hautnahen’ Filme im ersten Halbjahr 1967 bereits ungefähr 30 Prozent des deutschen Filmangebots – die weitere künstlerische Verflachung des deutschen Films schritt unaufhaltsam voran.35

1968 trat zwar das ‚Filmförderungsgesetz’ (FFG) der ‚Filmförderungsanstalt’ (FFA) in Kraft mit dem Ziel, die Qualität des deutschen Filmes auf breiter Grundlage zu steigern, das Gesetz wurde aber eher ein ‚Filmschundförderungsgesetz’36, da die Fördermittel nur für einen kommerziell erfolgreichen Film, einen so genannten Referenzfilm, ausgezahlt wurden, zweckgebunden für eine neue Produktion. Das hatte zur Folge, dass allenfalls Seriennachfolger gefördert wurden und 1969 nur sechs Jungfilm-Produktionen Fördergelder bekamen. „Fazit: Die FFA (Filmförderungsanstalt) hat nichts anderes bewirkt, als dass in der Filmwirtschaft munter und ohne Konzeption weitergewurstelt wird wie zu Papas Kino-Zeiten.“37

Dieser Praxis wurde erst ab 1971, nach einer Novellierung des FFG, mit einer so genannten ‚Minderqualitätsklausel’ allmählich Einhalt geboten.


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