Liebe Familie

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Noch blieb er in der Spur, meinte Leona. Sie und Tom versuchten es weiterhin mit viel Geduld. Da Jasons bester Freund, Ruben, noch immer krank war seit einem Unfall auf dem Eis im Februar mit anschließendem neunwöchigem Krankenhaus-Aufenthalt und deshalb bisher nicht wieder zur Schule ging, hatte es auch Jason nicht leicht. Er litt sehr unter der Krankheit des Freundes.

Inzwischen stand es fest: Ruben musste die Klasse wiederholen. Auch das brachte Jason maßlos auf. Die Trennung voneinander spätestens nach den Sommerferien quälte beide Jungen schon seit einiger Zeit.

3 000 Teile waren zu viel – Tessa mit ihren fünf Jahren verlor relativ schnell die Lust. Sie holte sich ein kleineres Puzzle mit nur wenigen Teilen, und Leona half ihr bereitwillig. Tom blieb bei Jason auf dem Fußboden.

„Ich habe kürzlich deinen Fechtlehrer getroffen“, bemerkte er eher beiläufig. Jason reagierte nicht. Tom drückte ein passendes Teilchen ein und begutachtete weitere in ähnlicher Farbgebung. „Er sagte, du seist in den vergangenen Wochen selten da gewesen. Du kämst seit Ostern schon eher unregelmäßig.“

Damit brachte er zumindest Leona zum Aufschauen. Bisher hatte er das nicht erwähnt. Verwundert erkundigte sie sich danach: „Wann hast du denn Herrn Baltruweit getroffen?“ „Während du deine Blutuntersuchung hattest, bin ich zum Bäcker gegangen und habe mit ihm wegen der Hotelbelieferung gesprochen – da auf dem Weg … Da wir beide nur über das Hotel sprachen, hatte ich das vergessen. – Jace?“

Die direkte Anrede erreichte immerhin eine Antwort: „Ich war dann bei Ruben.“ „Hast du keine Lust mehr zum Fechten?“ „Nicht ohne Ruben“, erwiderte der Junge aggressiv. „Kind, Ruben kann vermutlich noch einige Monate lang nicht an eurem Fechtunterricht teilnehmen“, Leona schüttelte den Kopf.

Jason starrte sie finster an. Tom zuckte mit den Schultern: „Na, dann hörst du eben auf im Sportverein.“ „Nein“, brüllte der Junge ihn an.

Zu aller Überraschung sprang Jason unvermutet auf, trat die Puzzle-Schachtel aus dem Weg, so dass die Teile quer durchs Wohnzimmer flogen, und lief heulend hinaus.

„Dieser Wutnickel.“ Tom atmete tief durch und wollte ebenfalls aufstehen, um sich den Sohn vorzuknöpfen, doch Leona bremste ihn: „Nein, bitte, Tom, warte.“ „Warte? Worauf denn?“ „Er schämt sich seines Ausbruchs sicher … Oh, ich weiß noch gut, wie ätzend durchgeknallt Felix in dem Alter war. Hab‘ doch etwas Geduld.“

Irgendwie brachte sein Ärger sie trotz allem zum Lächeln. Toms Ruhe fehlte diesmal völlig. Doch als er sie lächeln sah, nickte er seufzend.

„Sorry, Ma’am. Ich bin noch nicht daran gewöhnt, Jason so … rebellisch zu erleben.“ „Ich weiß. Aber er hat schon länger Angst wegen Ruben. Wenn du fürchten müsstest, einer deiner Freunde würde nie wieder gesund … und sie sind Freunde, seit Ruben hierher gezogen ist mit seiner Familie. Überleg mal – seit 2000 oder 2001. Sein erster richtig guter Freund. Wir müssen das jetzt mal aushalten.“ „Nicht, wenn er uns anschreit.“ „Das weiß er längst. Bitte, Tom, ja?“

Eigentlich wollte er ihr vorhalten, sie habe nicht ihren Maßstab in der Erziehung zu verändern. Doch sie war sehr blass. Und an diesem Morgen war ihr selbst der Weg zur Mülltonne vor der Einfahrt fast schon zu weit gewesen. Im Moment ertrug seine Frau keinen Streit, nicht mal eine Diskussion … er nickte also nur wieder und verschob die Auseinandersetzung. Erst als die Haustür ins Schloss knallte, fuhr er mit empörtem Gesicht auf.

„Ich mach‘ das“, Leona keuchte etwas im Aufspringen, rannte aber auf ihren zitternden Beinen los. Diesmal musste sie dringend einen Krach zwischen Vater und Sohn verhindern. Beide waren emotional viel zu sehr mittendrin.

Jason zerrte gerade sein Fahrrad aus der Garage. Er wollte an der Mutter vorbei. Sie sah sein verweintes Gesicht und mäßigte sich noch mehr. Ihre Erkundigung klang viel liebevoller, als es der kleine Rebell verdient hatte nach seinem schlechten Benehmen.

„Wohin willst du, Jace?“ „Zu Ruben. Ihr hasst mich ja.“ „Keiner hasst dich. Fahr vorsichtig, Schatz – und sei bitte zum Abendessen zurück. Und wenn du dir dann noch eine kleine Entschuldigung für deinen Vater abringen könntest …“

Leona fühlte sich elend und lehnte sich an die Wand. Ihr war viel zu schlecht, als dass sie sich Jason richtig vornehmen könnte. Er murmelte denn auch nur nach einem Blick auf ihre bleichen Züge etwas Unfreundliches und fuhr los.

Für einen Moment stützt sich Leona noch an der Wand ab. Sie bebte am ganzen Körper. Jason radelte derweil im Höchsttempo vom Grundstück. Es war offensichtlich – er wollte weg von ihr und der Familie, so schnell wie möglich. Seufzend kehrte sie um ins Haus, wo Tom gerade die Puzzleteile zurück in die Schachtel warf.

„Ach wie schade – ihr hattet den Rand ja fast schon fertig“, stellte seine Frau bitter fest. Tom schaute mit einem Blick hoch, der Zorn verriet.

Sie brach in leises Lachen aus: „Als Strafe?“ „Er hat sich schließlich daneben benommen, Leo. Was stellt er jetzt wieder an?“ „Er hat seinen Schulrucksack auf dem Rücken und besucht Ruben. Zum Abendessen ist er wieder da.“

„Du belohnst ihn auch noch?“ Auch auf diesen Vorwurf reagierte sie gelassen. „Nein. Ich schaffe ihn dir eher kurzzeitig aus dem Weg. Ihr seid beide zu erregt für eine normale Diskussion und vernünftige Argumente.“

Ihr Mann schwieg. Also fuhr sie leise und freundlich fort: „Schau mal, wenn ihr euch etwas abgekühlt habt … Und jetzt guck nicht mich so wütend an, das bringt auch nichts. Außerdem hätte er schlimmere Dinge tun können, als Ruben ein paar Schulaufgaben erklären, oder? Rauchen. Trinken. Neo-Nazi-Freunde … Prügeleien. Drogen“, sie zählte an den Fingern, und Tom begann – unfreiwillig – zu lachen. „Okay, okay, du bist leider mal wieder im Recht, Honey. Ich gebe schon auf.“

Jason bevorzugte in den folgenden Tagen etwas Abstand. Leona ging es viel zu schlecht, als dass sie hätte Energie investieren mögen, um an diesem Zustand etwas zu ändern. Sie verzichtete darauf, denn ihre Arbeitstage im Hotel strengten sie mehr als genug an.

Oft ging sie direkt nach dem Abendessen ins Bett, blass und überfordert. Da blieb ihr keine Chance, einen Teenager am Anfang der Pubertät nachhaltig zu beeinflussen.

Selbst die Restaurantchefin Sylvia Hauke schlug ihr irgendwann vor, sie möge doch noch einige Tage daheim und im Bett bleiben. Leona sprach sich sofort dagegen aus: „Wir fahren direkt nach Renas Geburtstag in Urlaub. Ich kann nicht dauernd krankfeiern und dann auch noch in die Ferien verschwinden!“

„Heute ist Freitag – ach, es ist nicht übermäßig viel los – geh doch einfach.“ „Wer von uns beiden ist hier der Boss?“ „Das Bleichgesicht mir gegenüber“, antwortete Sylvia heiter. Damit entlockte sie Leona immerhin ein schwaches Lächeln. „Okay, ich geh‘ bald“, gab sie nach.

Natürlich saß Tom am Flügel. Er sang ein Lied, das sie nicht erkannte. Tessa blätterte in einem Bilderbuch und erzählte Zini davon, die sich die Geschichte mit breitem Grinsen anhörte, da sie auch Toms Lied folgte. Dem fiel das auf.

„Na, ist es witzig?“ „Ja. Aber eher deine zweideutigen Texte … Klingt irgendwie zärtlich, deine … Summernights. Aber ich höre natürlich den Unterton. Kochende Leidenschaft.“ „Was du so hörst“, schmunzelte Tom.

„Sing es noch mal. Ich will es auch hören“, bat Leona. „Mami“, Tessa pfefferte das Buch in die Sofaecke und lief ihr strahlend entgegen. Leona fing sie lachend auf und schwenkte sie im ersten Moment herum, setzte sie dann aber schnell wieder im nächsten Sessel ab. Das Gewicht und das Drehen – beides nahm ihr den Atem. „Komm, Schatz, hören wir Papa zu.“

Perfekt war ihr Englisch nicht, doch Leona hörte die eindeutigen Zweideutigkeiten ebenso heraus wie Zini. Sie errötete, als Tom ihr einen belustigten Blick zu warf – ja, die kochende Leidenschaft war durchaus hörbar.

„Diesen Text kannst du in den USA bestimmt nicht singen – die verbieten das Lied“, sagte Zini schließlich, als er endete. Tom lachte.

„Außerdem – wenn’s um heiße Sommernächte mit deiner Frau geht, sagt dir Mama bestimmt gleich, dass sie es auch nicht will. Auf einer Bühne. Ich meine … sie verhängt … ähm … eherne Schweigegebote“, ergänzte Zini dann, und Tom lachte noch mehr. Leona dagegen zog eine Grimasse. Ihr langwieriges Kränkeln derzeit erlaubte keine heiße Sommernacht, geschweige denn mehrere.

Tom fochten solche Gedankengänge offensichtlich nicht an. Er hob Tessa vom Sessel, schwang sie sich auf die Schultern und tanzte mit der Kleinen durch die Stube, fröhlich den Refrain wiederholend. Tessa jubelte lauthals.

„Du findest es immer noch lustig“, erkundigte sich Leona vorsichtig. „Klar, mein Engel. Wir haben Himmelfahrt überlebt. Wenn du jetzt noch Pfingsten durchstehst, sind wir schon weg. Bis zum 9. Juni sind es nur noch zwei Wochen.“

„Tom, mal ehrlich, wir haben Wandertouren geplant, und ich glaube kaum, auch nur einen längeren Spaziergang hinzukriegen. Jedenfalls kann ich nicht mit dir kraxeln.“ „Macht nichts. Entspannen wir uns eben auf einer Bank. Genießen Frieden und Ruhe – wir zwei im Bayernwald“, er freute sich auf die Urlaubstage.

Mit einem erleichterten Aufatmen sah sie ihn an. Tom wirkte so glücklich – seine Lebensfreude zwang die ganze Familie zum Mitfreuen, obwohl ihre Kinder zur Schule mussten, während die Eltern unterwegs waren. Doch ihn jetzt deutlicher ansprechen und sich erkundigen, wie echt das alles war oder ob er das nur vortäuschte, wagte sie nicht. Damit wartete sie bis zum Abend.

Mit dem, was ihr sehr auf der Seele lag, fing sie dann allerdings schon beim ersten Schritt ins Schlafzimmer an: „Von wegen, was du so singst – haben wir nämlich gerade nicht: heiße Sommernächte und Leidenschaft.“

 

Etwas überrascht schaute Tom sie an. Er musste kurz überlegen, was sie meinte. Dann winkte er lässig ab: „Leo, mach nicht so viel aus diesem Lied. Eigentlich habe ich mehr oder weniger Zini damit aufgezogen.“ „Ich meine“, sie wies mit einer schnellen Handbewegung zum Bett.

„Süße, so krank wie du bist? So bleich und schwach, kommst kaum die Treppe hoch, isst wie ein Vögelchen, hältst die Gabel mit zitternden Fingern … Eine Spur Rücksicht ist da eher angemessen.“ „So lange ich still sitze, ist alles gut. Da fühle ich mich nicht krank.“

Tom nahm sie in die Arme: „Das weiß ich. Aber du bist nicht gesund. Lass es bitte ruhig angehen.“ „Reicht dir das?“ „Klar. Ich bin doch nicht total hormongesteuert, und 20 auch nicht mehr. Komm schon, spring in die Federn, wir wispern uns ein paar nette Liebesworte zu“, raunte er ihr ins Ohr. Leona kicherte: „Wie aufregend.“ „Ja, können wir aufregend machen“, flüsterte er und genoss ihr Ankuscheln: „Wenn du nicht besser versuchst, ein bisschen Schlaf nachzuholen.“ „Nein, nein, auf Liebesgeflüster verzichten – kommt nicht in Frage.“

Dann überlegte sie sich das noch einmal gründlich: „Meinst du es so, wie du es sagst, Tom?“ „Wie ich was sage?“ „Na – nur mit Worten. Eigentlich … sollten es mehr als nur Worte sein.“ „Aha.“ „Und es waren nun schon wochenlang nur Worte.“ „Ich bin im richtigen Alter dafür, Honey. Oder hältst du das für falsch?“

Es war glasklar zu erkennen, wie sehr sie ihn mit ihrer Sorge amüsierte. Sie hatte nicht damit gerechnet, ihn so gelassen zu sehen, und ihre Erleichterung war groß.

„Mit dem Alter hat es nichts zu tun“, fing sie erneut an. „Und ich sollte dich nicht aufziehen, Leo … Wenn du deine Augen sehen könntest, so verschreckt. Denkst du wirklich, ich könnte dich verlassen, nur, weil du mal zwischendurch krank bist?“ „Nein. Ach, Tom, es nervt einfach.“ „Krankheit nervt? Mädchen, nimmt es nicht so tragisch. Nächste Woche sieht dein Blutbild garantiert besser aus.“

Ihre Blutuntersuchung wies tatsächlich eine gewisse Besserung auf, doch richtig gut ging es ihr nicht. Inzwischen hatte sie sich auch noch einen Virus eingefangen und hustete ebenso wie Zini. Auch Tessa krächzte erkältet, und Jason jammerte über Halsschmerzen. Tom – frisch und munter wie immer – teilte Medikamente aus, kochte für jeden eine andere Sorte Tee auf Wunsch und pflegte seine Familie. Sicher waren dies nicht die Pfingsten, die sie sich alle gewünscht hatten.

Immerhin hörten sie von Mats, wie es mit ihm nach und nach wider Erwarten nun doch bergauf ging. Inzwischen wagte er sich mit Gehhilfen schon aus seinem Zimmer. Das waren gute Neuigkeiten, die viel Freude auslösten.

Renas Geburtstag am 8. Juni fiel diesmal auf einen Donnerstag. Als sie erwachte, zeigte sich der Himmel blau, und sie war allein im Schlafzimmer. Gerade mal 6.14 Uhr stellte sie mit einem Blick zum Wecker fest. Unten lachte ihr Bruder und erzählte etwas. Da er normalerweise freiwillig vor 8 oder 9 kaum aus dem Bett fand, hielt Rena das für erstaunlich.

Neugierig schlich sie zur Tür und lauschte nach unten. Da allerdings war es schon wieder still.

Ein bisschen beleidigt, weil Fred nicht auf sie gewartet hatte für einen Glückwunsch, lehnte sie sich an den Türrahmen. Dann dachte sie daran, wie egal Fred solche Dinge waren – er kannte keine familiären Feiern. Sie musste ihm das Versäumnis nachsehen.

Im Hausflur ertönte das typische Geräusch eines Klettverschlusses, der gerade gerichtet wurde. Dann gingen ihre Jungs anscheinend auf eine Laufrunde miteinander. Felix und Fred – das war recht neu … und ausgerechnet an diesem Tag. Sie seufzte.

Dachte keiner der beiden daran, dass sie heute 20 Jahre alt wurde? Verärgert wollte sie hinunter rennen und den beiden die Meinung sagen. Doch noch auf den ersten Stufen verlangsamte sie ihren raschen Schritt. Fred erinnerte sich nicht gerade mit Vergnügen an den Altersunterschied zwischen ihnen. Vielleicht tat es der Stimmung gut, wenn auch sie ihren Geburtstag einfach ignorierte.

Ihr Liebster vergaß solche Nebensächlichkeiten eben, wenn er andererseits auch in nahezu allem sehr auf sie einging und vieles, das sie in seinen Haushalt einbrachte, mit einem Lächeln akzeptierte.

Das Leben in diesem Haus – auch mit ihrem Bruder – verlief geradezu unglaublich harmonisch. Wenn Felix störte und es ernst wurde, dann konnte sie sich darauf verlassen, dass Fred ihr beistand und sie beschützte. Falls die Geschwister sich nur gegenseitig veralberten, hörte er ihnen belustigt zu und mischte sich in ihre Auseinandersetzungen nicht ein.

Sie gluckste leise in der Erinnerung an den letzten Zusammenstoß mit ihrem Bruder – natürlich hatten sie sich am Ende alle ausgeschüttet vor Lachen. Längst wieder vergnügt lief sie nach unten und ging in die Küche, weil sie die beiden Männer dort reden hörte. Überrascht blieb sie an der Tür stehen.

Auf dem Küchentisch lag eine Papierdecke mit lustigen Zeichnungen, mitten darauf stand eine Vase mit einem bunten Blumenstrauß. Darum verteilt hatten die beiden das Frühstück, sogar selbst gebackene Muffins mit ungelenk geschriebenen Buchstaben „Glückwunsch, Rena!“ lagen auf einem Teller.

Etliche Luftballons schaukelten an einem Band vom Fenster zu einem der Schrankgriffe, kleine Päckchen lagen neben dem Kuchenteller, und eine große Kiste stand auf einem Stuhl. Auch eine Kerze hatten sie schon angezündet.

Fred betrachtete ihr verblüfftes Gesicht und meldete sich als erster zu Wort: „Gratuliere. Ich hätte allerdings eine Kerze mit einer 20 kaufen sollen“, sagte er ruhig. Rena fiel sofort sein 30. Geburtstag im Vorjahr ein. Sie verzog das Gesicht und hoffte, er könnte ihr diesen Fauxpas nachsehen – es schien wirklich nur Neckerei zu sein, stellte sie erleichtert fest, als er heiter schmunzelte.

„Alles Quatsch. Ich wollte. Er war dagegen“, Felix knuddelte die Schwester lachend: „Gratuliere dir ebenfalls, Kleine.“ Rena war dermaßen aus der Fassung, dass ihr kein Wort einfiel. Sie hatte nicht mit einem Geburtstagstisch wie in ihrem Elternhaus gerechnet.

„Menschenskind, singen müssen wir ja auch“, Felix fing sofort mit „happy birthday“ an – laut und falsch. Fred stimmte ein, sah jedoch die ganze Zeit die junge Frau an und genoss ihre sichtliche Freude hemmungslos.

„Gott, ihr lieben, süßen Jungs – das ist so … überwältigend“, tränenfeucht küsste Rena ihren Bruder. Sein falsches Trällern machte ihr nichts aus, es zählte nur, wie lieb er ihr diesen Tisch mit Fred gerichtet hatte. Sie war überglücklich.

„Du sollst dich freuen, nicht heulen, dumme Nuss“, befahl Felix und schob sie weiter: „Und jetzt geh zu Fred und hol dir deinen Geburtstagskuss ab. Und dann schnell den Kram da auspacken, damit wir frühstücken können.“

Rena lachte unter Tränen, versicherte ihm aber, sie sei nur froh und dankbar wegen der Überraschung. Sie ließ sich gern weiterschieben, und Fred lächelte über den burschikosen Ton des Freundes. Er küsste Rena trotz des Zuschauers nicht nur flüchtig.

Felix sah dem Paar vergnügt zu: „War eine gute Idee, Fred. Ich kapier’s nun auch. Entschuldige, dass ich dich wegen dieser Ballonpuste-Aktion um halb sechs einen Volldeppen genannt habe.“

„Deine Idee?“ Rena presste sich an ihren Liebsten. „Ich habe das ja bei euch zu Hause erlebt. Und du sollst das auch bei mir haben“, fing der Mann an, schüttelte leicht verlegen den Kopf und bat sie, doch lieber gleich ihre Geschenke auszupacken – worauf Felix seit Tagen lauerte, wie er behauptete.

„Fang mit Oma Allys Kiste an“, schlug Felix vor. „Das Care-Paket aus Kalifornien. Ich verstehe. Dein Kaugummi – damit du bis zum Frühstück überlebst. Meinetwegen“, Rena setzte sich und nahm das große Paket auf die Knie.

Sie wussten alle, was Ally neben dem Geschenk grundsätzlich auch noch für alle anderen einkaufte – typisch Amerikanisches. Renas Geschenk entpuppte sich als eine höchst elegante Handtasche, die die beiden Männer pflichtschuldig bewunderten.

Rena machte sich ein bisschen über ihre Lobesworte für „Weiberkram“ lustig. Sie meinte, einzig ehrlich wäre wohl Zini, aber die bekäme wohl dann im August eine ähnliche Tasche. Ihre anderen Geschenke kamen sogar aus der Nachbarschaft: Das Ehepaar Tannert hatte ein „Kochbuch für zwei“ abgegeben. Lachend reichte sie es an Fred weiter: „Dann such dir gleich mal aus, was wir heute anrühren.“

Ein winziges Päckchen kam von Mats – die Briefkarte daran war wesentlich größer als die kleine Schachtel. Rena las den Text laut vor, bevor sie sich ans Auspacken machte.

„Mats kennt einen Juwelier außerhalb der Stadt? In Seelze?“ Felix schaute über ihre Schulter und musterte fragend die Aufschrift auf der weißen Schachtel, die unter dem bunten Papier zum Vorschein kam.

„Keine Ahnung. Wie er das wohl wieder organisiert hat … Himmel, ich hab‘ echt Angst, was da wohl drin ist“, stöhnte die junge Frau. „Ich habe es organisiert für ihn, und der Juwelier ist einer meiner … Kunden“, erklärte Fred gelassen.

„Aha. Mats hat also Heimlichkeiten mit dir. Interessant“, neckte Felix: „Du arbeitest wohl für ihn?“ „Nein. Er war nur der Meinung, der Freund seiner Beinahe-Nichte könnte ihm einen Gefallen tun …“

Renas Aufschrei stoppte ihren fröhlichen Schlagabtausch abrupt. In der Schachtel lagen kleine Ohrringe in Notenschlüssel-Form, jeder mit einem kleinen glitzernden Stein besetzt. Das gefiel der Musikstudentin.

„Nippes ist das nicht. Unglaublich. Wie ich Mats kenne, ist das ein echter Brilli … Wahnsinn! Ich muss die gleich einstecken. Und ihn sofort anrufen“, quietschte sie und hüpfte von ihren Platz.

„Warte noch eine Stunde mit dem Anruf“, warnte Fred sie und wies mit dem Kopf zur Uhr. Rena nickte und flitzte auf den Flur vor den Spiegel.

Felix kicherte. „Manchmal ist sie ein … eine richtige Frau. Meine Noten können sich mit diesem Geschenk kaum messen. Was hast du eigentlich für sie?“ „Warte es ab. Sie ist gleich wieder da“, Fred lehnte sich geduldig zurück. „Mit den Ohrringen kannst du kaum mithalten“, grinste Felix: „Oder hast du einen Ring?“ „Nein.“

Nach einer kurzen Pause nickte der Student: „Geht mich nichts an. Ich weiß.“ „Sie ist deine Schwester. Insofern geht es dich durchaus etwas an. Aber es ist kein Ring.“ Diese Antwort lud nicht zu weiteren Fragen ein. Folglich hielt Felix wohlweislich den Mund.

Er hätte seiner Schwester eine Verlobung gegönnt. Er sah ja jeden einzelnen Tag, wie gut sie zueinander passten. Allerdings verbrachten sie gerade erst Monate miteinander, und Fred hatte garantiert keine einzige gute Erinnerung an seine erste Ehe. Soviel hatte selbst Felix begriffen, obwohl er nicht viel darüber wusste. Ob seine Schwester informiert war? Sie zeigte das nie.

„Wunderschön – guckt mal!“ Rena sprang geradezu in die Küche und wandte den Kopf, strahlend vor Freude. „Ja, passt zum Nachthemd“, neckte Felix. Rena verdrehte die Augen und streckte ihm dann die Zunge heraus.

Sie setzte sich wieder und kicherte übermütig: „Ich merk’s schon. Ich komme dir vor wie Dudley Dursley. Ist das hier mein Päckchen Nummer 37?“ „Keiner von uns fährt in die Stadt und kauft noch mehr“, Fred hatte sich inzwischen längst durch Renas Harry-Potter-Sammlung gelesen und amüsierte sich köstlich. Auch Felix lachte laut und fröhlich über die Anspielung auf die berühmten Bücher: „Dann mach den Rest mit Zauberei auf.“

Das wehrte Rena ab: „Ich habe meinen Zauberstab gerade nicht greifbar, sonst würde ich es echt mit Alohomora versuchen“, zwinkerte sie und riss das Papier vom nächsten Päckchen. „Oh, Fix, von dir? Die Noten für meinen Geigenunterricht … und den Violin-Wettbewerb … cool! Mann, super!“

Fred sah ihnen zu und schmunzelte wieder. Für Rena spielte es überhaupt keine Rolle, was ein Geschenk kostete. Ihr war viel wichtiger, wie genau ihr Bruder aufgepasst hatte bei einer ihrer Erzählungen. Das allein zählte für sie – der Gedanke, der innige Wunsch ihres Bruders, ihr etwas zu schenken, das sie freute und auch brauchen konnte.

Inzwischen machte selbst ihm die frühe Aktion jede Menge Spaß, sogar das Chaos auf seinem Frühstückstisch. Er legte das Kochbuch wieder auf den Tisch.

Das Geburtstagskind schenkte ihm keine Beachtung, sondern blätterte in den neuen Noten und strahlte: „Fantastisch, Fix. Ach, du bist so lieb.“ „Ja, ja, ist ja gut. Jetzt trink deinen Tee, bevor er kalt ist – he, wo ist Freds Geschenk? Sag bloß, von ihm hast du nix dabei?“ „Nö, macht aber gar nichts – dieser Tisch und die Ballons und alles und ihr beide, so lieb … ich habe viel mehr bekommen als erwartet“, ihre blaugrauen Augen leuchteten.

„Du hast es nur noch nicht gefunden, weil es unter dem ganzen Papier versteckt liegt“, Fred zog ein flaches Schächtelchen hervor.

 

Für einen Augenblick, als sie ihn mit ihren strahlenden Augen anschaute, hatte er eine Art Vision: Dieses liebevolle Mädchen – und Kinder mit Augen, die so schimmerten wie ihre, in reiner Freude über einen schönen Morgen, voller Liebe.

„Das ist zu viel Fred. Du musst nicht dein Geld für mich ausgeben. Für irgendein völlig überflüssiges … Ge … Ge …“, sie zog das Papier von der Schachtel und geriet ins Stottern, als sie den Namen des Juweliers erkannte. Von der weißen Schachtel sah sie verdattert hoch. Sie konnte kaum glauben, was sie hier in den Händen hielt. „Geht sie nicht auf?“ „Nein … äh … doch … ähm …“

Mit einem erschrockenen Keuchen schaute sie die goldene Kette an – der Anhänger … ein etwas größerer Notenschlüssel, ebenfalls mit einem funkelnden Stein besetzt, passend zu ihren neuen Ohrringen von Mats.

„Du … hast … Fred, das ist zu viel. Total irre.“ Im nächsten Augenblick umarmte sie ihn heftig und küsste ihn.

Mit einigem Humor sah Felix auf das Paar: „Davon war ich schon immer überzeugt. Schenk ihr ein Schmuckstück, und sie dreht durch“, lachte er.

Fred warf ihm einen ernsten Blick zu, kommentierte den Satz aber nicht. Ihm war klar, wie wenig Felix diese Situation einschätzen konnte. Rena gelang das viel leichter und besser. Ihre Reaktion, diese überschäumende Gefühlsaufwallung, bewies ihm das.

„Hilfst du mir mal? Ich will die Kette gleich um machen, aber meinen Finger zittern so“, bat sie und drehte sich in seinen Armen um.

Während des Frühstücks tastete sie mitunter zum Hals, wo der Notenschlüssel baumelte. Da Felix gleich nach dem Essen noch mal eine Stunde ins Bett wollte, waren sie bald allein, und sie wandte sich sofort an Fred: „Das ist viel zu kostbar!“ „Ja, aber du wirst ja nur einmal 20 im Leben. Und runde Geburtstage, so hast du es mich gelehrt, sind etwas Besonderes.“

„Du wendest doch sonst jeden Cent dreifach, bevor du … Es ist wunderschön, ein richtiger Traum, aber … unvernünftig. Bei Mats mag es nicht aufs Geld ankommen, aber … Ich kriege ein schlechtes Gewissen“, beteuerte sie fast beschämt.

Ein Weilchen sah er ihr zweifelnd in die Augen, dann musste er lachen. „Wir verhungern schon nicht, Serena. Außerdem ist der Juwelier ein Kunde, ich konnte also handeln, als Mats auf die Idee mit den Notenschlüssel kam. Hat mir sofort gefallen …“

„Mats auf die Idee …“, wiederholte Rena entgeistert: „Das wird ja immer besser. Ihr habt das für mich anfertigen lassen? Mats hat haufenweise Geld, aber wir doch nicht!“ „So viel hat es nun auch wieder nicht gekostet. Willst du die Rechnung sehen?“ neckte Fred sie.

„Also, ehrlich, ich glaube, du warst noch nie so leichtsinnig wie hiermit“, Rena blieb ernst. „Nein, nein, das war nicht leichtsinnig. Ich weiß schon, was ich tue. Und warum sollte ich meiner Liebsten kein Geschenk machen? Es ist dein erster Geburtstag hier bei mir. Ich möchte, dass du dich daran immer mit Freude erinnerst. Man weiß ja nie, was so passiert …“, er zog sie vom Stuhl und umfasste sie zärtlich.

„Ich will doch nur schöne Erinnerungen für dich schaffen. Außerdem – kein Geschenk der Welt könnte aufwiegen, was du mir gibst – seit Monaten. Ich … war noch nie so glücklich … wie jetzt, Serena.“

„Aber wir sind uns auch nicht immer einig“, widersprach das Mädchen nach kurzem Zögern. „Das ist auch nicht nötig.“ „Ja, vielleicht nicht. Ich liebe dich so sehr, Fred.“ „Ja, und da bist du die erste und einzige, die das tut“, für einen Moment klang Bitterkeit mit, dann blitzte es wieder vor Lachen in den Gletscheraugen: „Ich fühle mich wie ein Schuljunge, weißt du? Ich möchte dir die ganze Welt schenken. Mit diesen Gefühlen kann ich nicht gerade gut umgehen. Ab und zu …“

Er küsste sie, um den Gedanken so schnell wie möglich wieder zu vergessen.

Ab und zu machten ihm diese Gefühle Angst. Ein Mädchen von gerade eben 20 hatte die Macht, sein Leben zu bestimmen. Ihren Launen gab er nach. Zum Glück war sie gutmütig, lieb, gütig und weich, meistens freundlich und immer sanft. Er schüttelte über sich selbst den Kopf.

Natürlich lag sie richtig. Dieses Geschenk mochte überflüssiger Luxus sein, reine Verschwendung, viel zu kostspielig für seine Verhältnisse, aber er wollte sie reich beschenken – und wäre er seinen Gefühlen gefolgt, statt die Vernunft weiter einzuschalten, dann wäre es jetzt schon ein Ring gewesen. Doch Serena sollte sich weiterhin frei fühlen, das hatte er ihrer Mutter zugesichert. Also galt es, den richtigen Zeitpunkt geduldig abzuwarten.

Am Nachmittag fuhren sie zu Renas Familie und feierten mit allen bis zum Abend. Danach fingen Leo und Tom mit dem Kofferpacken an. Leona reiste selten, sie musste sich genau überlegen, was sie mitzunehmen hatte. Diesmal hatten sie eine Ferienwohnung am Berg bei Freiung im Bayerischen Wald gemietet.

„Mülltüten!“ rief sie und beugte sich über das Treppengeländer: „Zini, Mülltüten, wirf die bitte noch auf meinen Korb.“ „Sonnencreme?“ fragte Tom. „Hab‘ ich schon. Aber du kannst dein australisches Insekten-Vertreibungsmittel mitnehmen.“ „Okay. Und deinen komischen kleinen Hut.“ „Den hätte ich fast vergessen …“

Während der Fahrt zu ihrem Ziel besuchten sie diverse Porzellan- und Glasfabriken. Natürlich riefen sie am Abend an und erkundigten sich, wie Serena und Cynthia als „Ersatzmütter“ mit Jason und Tessa auskamen. Fred hatte einen Auftrag, würde sich aber bald den anderen anschließen und für die letzten paar Tage den Chef des Hauses spielen, die Leo und Tom noch in Bayern verbrachten.

In ihren abendlichen Telefonaten erzählen sie von ihren Erlebnissen – einer 3-Flüsse-Schiffstour bei Passau, wo sich Donau, Inn und Ilz trafen. Sie berichteten fröhlich von einem Abstecher nach Österreich und dem Blick auf den Moldau-Stausee in Tschechien. Auch an einer Rundfahrt durch Freiung und einer Tagestour nach Prag nahmen sie teil. Alles in allem genossen die Eltern ihre paar Tage der Freiheit.

Einmal allein miteinander unterwegs zu sein, fand Tom ebenso vorteilhaft wie Leona, auch wenn sie es kaum sich selbst eingestehen mochten. Ohne die Verantwortung für ihre Kinder fühlen sie sich sehr frei, zumal sie genau wussten, wie schön Rena und Zini es den beiden Jüngsten einrichten würden. Mit Problemen rechnete keiner.

Dann wurde Rena urplötzlich an einem Vormittag zur Schule einbestellt. Der Schuldirektor wollte mit ihr über Jasons letzte Englischarbeit sprechen. Da Ruben noch immer krank war, konnte sie bei dessen Eltern kaum rückfragen, um sich auf diesen Besuch in der Schule vorzubereiten. Selbst Zini hatte keine Ahnung, worum es ging.

Beim Direktor wartete Jason bereits mit seinem Englischlehrer. Rena begrüßte alle und lächelte auch ihrem Bruder zu, der mit trotziger Miene ausharrte. Ewald Sorglich gab ihr die Englischarbeit: „Sehen Sie sich das bitte mal genau an, Frau Falkow.“

Zuerst glitt Renas Blick zur Note: Eine glatte 6. Das traf sie wie ein Blitzschlag: Englisch? 6? In seinen Briefen an Oma Ally machte Jason selten mal einen Schreibfehler, und die schrieb er immer auf Englisch, ebenso wie bei Kärtchen an Tanten und Onkel in Kalifornien.

An der Stelle, wo die Eltern unterschreiben sollten, stand „S. Falkow“. Rena starrte die gekritzelte Unterschrift an – ihre Schrift war es nicht. Es gab nur eine logische Schlussfolgerung: Jason hatte zur Fälschung gegriffen bei der verhauenen Arbeit.

Wie sollte sie darauf reagieren? Jedenfalls nicht als die Lehrerin, die sie werden wollte, nur als große Schwester, die zum kleinen Bruder hielt – unter allen Umständen. Ihre Gedanken rasten.

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