Vom Wind geküsst

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Z serii: Windkind-Dilogie #1
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4


Gerade setzte die Morgendämmerung ein, da weckte der Wind mich sanft, als er mal wieder versuchte, meine Haare auf dem Kissen zu drapieren. Er stellte seltsame Dinge damit an, wenn ich schlief. Meist waren sie einfach nur hoffnungslos verknotet, manchmal breitete er sie fein säuberlich aus. Einmal war ich auch mit einem gedrehten Zopf aufgewacht.

Guten Morgen, säuselte er, als ich blinzelte, und schmiegte sich an mich.

Ich lächelte. Deutlich spürte ich, wie sehr er mich mochte. Er liebte mich. Mich, die Letzte meines Volkes. Und ich liebte ihn.

Ich streckte die Finger unter der Decke hervor und fuhr damit durch den Wind, der warm meine Haut berührte.

Das Lächeln verging mir jedoch gleich wieder, als ich an Justus denken musste, und wich einem lautlosen Seufzen. Ihn liebte ich auch.

Innerlich fluchte ich alle Flüche, die ich je von Marc gehört hatte. Wie hatte mir so was nur passieren können?

Natürlich war mir schon länger klar gewesen, dass ich verliebt war. Und spätestens seit gestern Abend konnte ich es nicht mehr leugnen.

Hoffentlich hatte mich keiner gesehen und es wusste niemand außer mir. Wenn die anderen es erfuhren, würden sie sich die Mäuler darüber zerreißen. Oder mich beiseitenehmen und mir erklären, dass, egal was ich da empfand, niemand aus dem Feuervolk jemals mit jemandem zusammen sein konnte, der nicht wie sie war.

Bei allen Winden! Welch ein Schlamassel.

Ich zog die Hand unter die Decke zurück und vergrub das Gesicht hinter meinen Haaren.

Wie dumm ich doch war, mich zu verlieben. Ich musste damit aufhören und doch brauchte ich nur an gestern Abend zu denken und mein Magen verkrampfte sich.

Was war nur mit mir los? Es war doch nicht das erste Mal, dass Justus mit einem Mädchen geflirtet hatte. Das passierte eigentlich andauernd.

Trotzdem machte es mich diesmal so wütend!

Wie war ich denn damit in der Vergangenheit umgegangen? War es mir egal gewesen? Hatte ich nicht so genau hingeschaut? Ach, verflucht.

Es tröstete mich nur wenig, sicher zu sein, dass er nie eine von ihnen mit in seinen Wagen genommen hatte, wie Marc das gern tat.

Um vor Wut nicht laut aufzuschreien, drückte ich mein Gesicht fester ins Kissen und biss hinein.

Der Wind passte sich meiner Stimmung an und frischte auf, drehte sich um die Hängematte und wirbelte trotzig Laub durch die Gegend.

»Cate?«, fragte eine raue Stimme verschlafen.

Ich hielt die Luft an.

Justus! Er war hier. Mein Herzschlag setzte zur doppelten Geschwindigkeit an.

Natürlich! Dieser verdammte Mistkerl lag direkt unter mir.

Marc hatte den Wagen für sich besetzt und das hieß für Dante und Justus, dass sie woanders übernachten mussten.

Dante kam dann meist bei seinem kleinen Bruder Garan unter. Na ja, und Justus schlief draußen. Unter meiner Hängematte auf dem Boden.

Ich hatte ihm schon tausendmal gesagt, ich würde ihm auch eine Matte weben, wenn er das wollte. Doch er hatte jedes Mal abgelehnt. Die Erde sei sicherer, als in der Luft zu schlafen, hatte er erwidert. Und unter mir sowieso, denn das Regenrisiko war dort minimal.

»Ich weiß, dass du wach bist«, murmelte er und ich hörte das Lächeln in seiner Stimme. Er hatte wirklich die Dreistigkeit, so zu tun, als wäre nichts gewesen. Wie mich das ärgerte! Dieser blöde Haufen Kappadreck!

»Der Wind pustet wie ein kleiner Orkan. Du wälzt dich von einer Seite zur anderen und schnaubst wie ein Kappa.« Er lachte.

Erneut biss ich ins Kissen und kniff die Augen fest zu, um vor Wut nicht zu weinen.

Ich antwortete ihm nicht, versuchte meine Gefühle zusammen­zuhalten und spürte, wie die Sekunden verstrichen.

»Alles in Ordnung?«, fragte er sanft und plötzlich spürte ich seine Hand an meinem Rücken. Sie war so heiß, dass ihre Hitze durch die Hängematte drang.

Das war zu viel für mich. Zu viel für meine Wut, für meine gespannten Nerven und zu viel für mein Herz.

Wie ein Pfeil schnellte ich aus meiner Hängematte in die Luft und stürzte mich mit einem Kampfschrei auf Justus.

Erschrocken riss er die Augen auf, als ich auf ihm landete. Dann holte ich aus, war entschlossen, mit meiner Faust gegen seine Brust zu hämmern, um meiner Wut Ausdruck zu verleihen. Und um meine Gefühle zu vertreiben.

Doch Justus wich im letzten Augenblick aus, packte mich und drehte sich mit mir zur Seite. Der Schlag erwischte nur seine Schulter, aber meine Fingerknöchel knackten trotzdem schmerzhaft. Es tat höllisch weh.

Wir rollten weiter durchs Laub und ich biss ihm wutentbrannt in den Oberarm. Wie damals, als wir noch Kinder gewesen waren.

»Aua! Cate!«, rief Justus verwirrt und schockiert zugleich.

Mir war das ganz recht. Sollte er sich ruhig erschrecken.

Er drückte meine Schultern mit den Armen zu Boden und hielt mich mit dem Gewicht seines Körpers nach unten gepresst. Wütend versuchte ich, ihn zu treten, doch ich bekam die Beine nicht frei.

Aus seinem Gesicht wich der erste Schreck einem langsam aufsteigenden Ärger. »Was ist denn in dich gefahren? Bist du verrückt geworden?!«, blaffte er und sah mir in die Augen, als wäre dort eine Antwort zu finden. Blätter rieselten ihm aus dem Haar und in seinen schwarzbraunen Augen glomm der Funke der Wut.

Sein Bein lag zwischen meinen und er war so warm, dass mir schwindlig wurde. Mein Magen flatterte fürchterlich und ich verlor zunehmend die Konzentration.

Verzweifelt nahm ich mich zusammen. »Geh von mir runter!«, schrie ich ihn an und Justus zögerte nur kurz, bis er reagierte und mich losließ. Hastig setzte er sich auf und gab mich frei.

Ich zögerte nicht, schwang mich vom Boden in die Luft und auf die Füße. Der Wind blies mir die Haare aus dem Gesicht.

Justus sah mich halb wütend, halb irritiert an.

Ich musste hier weg. Mein Ärger verrauchte langsam und verwandelte sich wieder zu einem quälenden Gefühl in der Brust. In meiner Hand pulsierte der Schmerz, aber ich ignorierte ihn. Mit einem letzten Schnauben drehte ich mich um und marschierte in den Wald.

Der Wind folgte mir, wühlte weiter Blätter auf und rauschte durch die Bäume.

Hinter mir hörte ich, wie Justus sich aufrappelte und mir hinterherlief. Äste knackten, Laub raschelte.

»Lauf mir ja nicht nach!«, kreischte ich, obwohl ich mir langsam doch etwas albern vorkam, und stapfte umso entschlossener weiter. Der Boden fühlte sich unter meinen nackten Füßen feucht und kalt an.

Justus war stehen geblieben. »Habe ich was angestellt?«, rief er mir hinterher, aber ich antwortete nicht. Sollte er ruhig selbst herausfinden, was er getan hatte. Ich würde ihm dabei sicher nicht helfen.

»Hast du etwa deine Tage?«, fragte er dann und ich kam vor Überraschung ins Straucheln. Das hatte er jetzt nicht wirklich gefragt? Die Wut, die schon fast verraucht war, loderte wieder auf. Ich wirbelte herum, hob in der gleichen Bewegung die Hand und riss Justus mit einem gezielten Windstoß die Füße unterm Körper weg. Noch während er fiel, stapfte ich weiter.

Nur das dumpfe Geräusch des Aufschlags und sein erstauntes Aufkeuchen waren zu hören. Und das verschaffte mir einen kleinen Funken Genugtuung.

Erst als ich einen kleinen See erreicht hatte, blieb ich stehen. Die Sonne ging gerade über den Baumwipfeln auf und ließ die Wasser­oberfläche glitzern.

Ich schickte den Wind los, um nachzusehen, ob ich wirklich allein war. Es dauerte nur einen Augenblick, bis er zu mir zurückkehrte.

Er hatte zwei streitende Eichhörnchen entdeckt und einen Hirsch, der auf der anderen Seite des Sees Haselnüsse fraß. Ansonsten war keiner in der Nähe.

Nicht einmal Justus. Er hatte die Warnung offensichtlich verstanden und war zurück zu den Wagen gegangen.

Er hat deine Sachen mitgenommen, teilte mir der Wind mit, während ich die Schnürungen an meinem Kleid öffnete.

Ich schälte mich etwas umständlich aus dem groben Leinenstoff, wickelte das Brustband auf und entledigte mich auch meiner restlichen Unterwäsche.

Ein Bad würde mir guttun. In vielerlei Hinsicht.

Ich atmete tief durch, nahm Anlauf und sprang in einem weiten Bogen bis zur Mitte des Sees.

Es platschte laut, als ich die Oberfläche durchdrang. Eisiges Nass umfing mich. Alle Geräusche wurden gedämpft und für einen kleinen Moment war ich in einer anderen Welt. Eine Welt, in der ich allein war, weil mir nicht einmal der Wind hierher folgen konnte.

Doch langsam ging mir die Luft aus und ich bekam Kopfschmerzen von der Kälte des Wassers. Doch wenigstens hatte ich es geschafft, für ein paar Augenblicke einfach alles zu vergessen.

Ich brach durch die Wasseroberfläche und schüttelte mir das Haar aus dem Gesicht. Einige Strähnen blieben an Stirn und Wange kleben.

Es war herrlich. Viel zu kalt, aber wundervoll. Genau das, was ich jetzt brauchte, um wieder einen freien Kopf zu bekommen.

Zitternd und mit schnellen Zügen schwamm ich zurück ans Ufer und rieb mich im seichten Wasser mit kleinen Kieseln ab.

Mir klapperten die Zähne, aber ich schrubbte weiter, bis meine Haut kribbelte und von allein wieder warm wurde. Sorgfältig kämmte ich mir die Haare mit den Fingern durch, die im nassen Zustand dunkler aussahen, als sie eigentlich waren, und zog einige Blätter und Ästchen heraus, die vom Kampf mit Justus stammen mussten.

Ich zwang mich, alle Gedanken daran aus meinem Kopf zu verbannen, um später darüber nachzudenken. Diesen seltenen stillen Moment wollte ich nicht kaputtmachen.

 

Noch einmal tauchte ich im tieferen Wasser unter, um die Sandreste abzuwaschen, und stieg ans Ufer, um mir die Haare auszuwringen. Der Wind wirbelte um mich herum und pustete mich in der langsam wärmer werdenden Morgensonne trocken. Rasch schlüpfte ich wieder in meine Kleider und machte mich mit nassen Haaren auf den Weg zurück zu den Wagen.

Nicht mehr lange und wir würden weiterreisen. Zum nächsten Dorf.

Sicher rief Tanja gleich zum Essen und danach trieben wir die Kappa von ihrem Weideplatz unweit der Lichtung, um sie vor die Wagen zu spannen.

Tanzend zog der Wind seine Kreise über den Waldboden, rauschte nun sehr viel sanfter in die Baumkronen und ärgerte einige Vögel, die darin nisteten.

Ich lächelte. Meine Wut hatte ich im See abgewaschen, doch der harte Klumpen im Bauch war geblieben. Und auch der Schmerz in meinem Herzen.

Es würde wohl noch eine Weile an mir nagen und ich würde mich in Zukunft hüten, Justus beim Flirten zuzusehen. Vielleicht erleichterte mir das die ganze Sache. Oder auch nicht.

Ich seufzte und schüttelte die Haare auf, damit der Wind sie schneller trocknen konnte.

Justus dachte bestimmt, ich hätte den Verstand verloren. Schließlich hatte ich ihn ohne Vorwarnung angegriffen. Jetzt, da die Wut verraucht war, wunderte ich mich über meinen Mut und fragte mich, wie ich so etwas Peinliches hatte tun können. Schließlich hatte ich ihn angegriffen und versucht, ihn zu schlagen. Mein Herz hatte sich mal wieder über meinen Verstand erhoben und wir waren über den Boden gerollt, sodass er …

Meine Ohren wurden sofort feuerrot, als ich daran zurückdachte, wie er auf mir gelegen hatte.

Bei allen Winden. Und ich wusste genau, dass es mir gefallen hatte.

Frustriert bedeckte ich mein Gesicht mit den Händen.

Wie sollte das nur weitergehen?

5


Der Wagen ruckelte heftig, als wir vom weichen Waldboden auf den festen Weg ratterten.

Das Kappa, das vorgespannt war, muhte empört, da die Halterung an seinem Rücken zog.

Ich mochte diese riesenhaften, gutmütigen Tiere. Sie hatten so freundliche Augen und waren doch auch beeindruckend mit ihren breiten Hufen und den zwei in Spiralen gedrehten Hörnern.

Zwar reiste man mit ihnen nicht besonders schnell, aber dafür hatten sie Ausdauer und waren stark. Jedes von ihnen zog allein einen Wagen.

Da ich nicht zuständig war für die Kappa, beschäftigte ich mich wenig mit ihnen. Vor allem, weil der Wind sie besonders gern ärgerte und ich ihn dazu nicht auch noch anstiften wollte.

Heute früh saß ich bei Hanna auf dem Kutschbock und sah dabei zu, wie der Wind dem massigen Tier Wirbel in das bastartige Fell drehte.

Hanna hielt die Zügel, wobei es nicht viel zu tun gab, da das Kappa in gleichmäßigem Trott dem Gefährt vor uns folgte.

Sie sah müde aus, jedoch nicht so sehr wie Mei und Ayo, die sich hinter uns an die Wagenwand lehnten. Bei jedem Schlagloch hielten sie sich mit schmerzerfüllter Miene den Kopf, tranken abwechselnd aus einem Wasserschlauch und blinzelten in die strahlende Morgensonne.

»Wie wäre es mit ein paar Wolken, Cate?«, stöhnte Ayo und zog sich ihr dunkles, krauses Haar vor die Augen.

Mei äußerte sich nicht. Sie wusste, was ich davon hielt, wenn sie Wein trank. Würde sie jammern, bekäme sie eine Standpauke und darauf hatte sie wohl keine Lust.

Ich im Übrigen auch nicht. Gedankenverloren starrte ich in die Luft und war froh, mit niemandem reden zu müssen.

Hanna war glücklicherweise feinfühlig genug, um mich in Ruhe zu lassen.

Der Wind kitzelte das Kappa, streifte darüber hinweg, raschelte durch Blätter und tanzte mir durchs Haar. Die Zeit verging still. Der Wald zog an uns vorbei, wurde lichter und schlussendlich ließen wir ihn hinter uns.

Zu beiden Seiten der Straße erstreckten sich bald goldene Felder. Mais, der schon hoch stand, Weizen und Hafer, so weit das Auge reichte.

Zwischendurch hielten wir an einem Bauernhof, damit Tanja Eier kaufen konnte.

Bree kam von einem der hinteren Wagen zu uns und setzte sich zu Ayo und Mei, die ihr müßig Platz machten.

Auch Bree hatte schon mal besser ausgesehen. Da ihre Haut von Natur aus blass war, wirkte sie noch kränklicher als ihre Freundinnen.

»Meine Brüder nerven mich zu Tode«, jammerte sie und ich verdrehte die Augen. Ihre zwei jüngeren Brüder waren nicht immer einfach zu handhaben. Aber das lag wohl in der Familie.

Elia war zwölf und Cookie im letzten Monat acht geworden. Bei beiden würde es noch dauern, bis sich ihre Feuerkräfte entwickelten. Bree, die schon seit etwas mehr als zwei Jahren im Vollbesitz ihrer Kunst war, rieb ihnen diese Tatsache nur zu gern unter die Nase.

Zumal Jungen da sowieso später dran waren. So wie ich das bisher beobachtet hatte, erwachten die Feuerkräfte bei ihnen etwa im sechzehnten Lebensjahr. Das musste etwas mit der körperlichen Entwicklung zu tun haben. Mädchen waren da, wie bei so vielem, zwei Jahre früher dran.

Ayo legte wortlos die Arme um Bree, die ihr Gesicht in Ayos strubbligem Haar vergrub, als die Wagenkolonne sich wieder in Bewegung setzte.

»Mei«, murmelte Bree und schob ihren dicken roten Zopf zurück. »Was ist denn mit deinem Bruder los?« Sie streckte die Hand nach dem Wasserschlauch aus.

»Mit welchem?«, fragte Mei und reichte ihn ihr.

»Justus«, antwortete Bree und in mir machte sich sofort zittrige Aufregung breit, die mich hellhörig werden ließ, ob ich nun wollte oder nicht.

Vorhin war ich Justus aus dem Weg gegangen, nachdem ich das Lager wieder erreicht hatte. Die Kappa waren schon eingespannt gewesen und jeder hatte noch einmal nachgesehen, dass nichts vergessen wurde. Justus war beschäftigt und ich hatte mich eilig im grünen Wagen versteckt, bis wir losfuhren.

»Keine Ahnung, was ist denn mit ihm?«, stellte Mei die Gegenfrage und lehnte sich nach hinten. Bis das nächste Schlagloch kam. »Kappadreck!«, fluchte sie leise, als ihr Kopf gegen die Holzwand schlug, und legte anschließend die Stirn auf ihren angezogenen Knien ab.

»Er hat sich beim Frühstück Haferbrei geholt, aber keinen Löffel davon gegessen. Und dann hat er sein Kappa falsch herum eingespannt. Klar, die Dinger sind vorn so zottelig wie hinten. Aber die Hörner hätten ein Hinweis sein können«, sagte Bree in dem spottenden Ton, der so typisch für sie war, schraubte den Verschluss des Wasserschlauches auf und setzte zum Trinken an.

»Vielleicht hat er gestern ja zu viel Wein getrunken«, bemerkte Hanna spitz und es war das Erste, was ich heute von ihr zu hören bekam.

Sie war eine starke Verfechterin von Disziplin und Tugendhaftigkeit. Und sie wünschte sich, dass ihre Schwester Ayo und deren Freundinnen das ähnlich sehen würden.

Die Mädchen verstummten schlagartig. Die Kopfschmerzen und das schlechte Gewissen nagten sicher an ihnen.

Ich schwieg ebenfalls, war noch in Gedanken bei dem, was Bree gerade erzählt hatte.

Heute Morgen war ich Justus als Erste begegnet, direkt nach dem Aufwachen, und er hatte nicht gewirkt, als ob ihm der Wein von gestern zu Kopf gestiegen wäre.

Also blieben noch ich und mein verrücktes Verhalten, für das ich mich mittlerweile in Grund und Boden schämte. War es möglich, dass ich ihn so aus dem Konzept gebracht hatte, dass er bei einem Kappa hinten und vorn verwechselte? Oder war danach noch etwas vorgefallen?

Gedankenverloren drehte ich die Finger ineinander und starrte in den Himmel.

Ich könnte den Wind fragen, doch traute ich mich das? Missmutig seufzte ich in mich hinein, biss mir auf die Unterlippe und gab schlussendlich doch meiner Neugierde nach.

Wind!, rief ich und sofort war er bei mir, um fröhliche Kreise um mich zu drehen. Er mochte es, wenn wir unterwegs waren. Dann waren wir der Freiheit zum Greifen nah.

Was ist mit Justus? Was hat er heute gemacht?, erkundigte ich mich zögerlich.

Für gewöhnlich fragte ich den Wind solche Dinge nicht. Die Geheimnisse anderer sollten auch die anderer bleiben. Aber ich musste einfach sichergehen, dass nicht ich der Grund für Justus’ sonderbares Verhalten war.

Aufgeregt schwang der Wind hin und her.

Wie genau willst du es denn wissen?, gab er zurück und ich gebot ihm mit einer ungeduldigen Handbewegung, endlich anzufangen.

Er ist zu deinen Sachen gegangen und hat sie zusammengerollt, begann er und meine ungeteilte Aufmerksamkeit regte ihn dazu an, stärkere Böen durch die Felder zu schicken.

Dann ist er zum Lager zurück und hat sie in deinen Wagen gelegt. Er hat geseufzt und sich die Haare gerauft. Und er hat mit der Faust gegen den Türrahmen geschlagen. Bree hat ihm Haferbrei mit Honig gegeben, er hat ihn nicht gegessen und zu Marc gesagt, er habe keinen Hunger. Er hat den Brei an ein Kappa verfüttert.

Ich stoppte ihn und kaute wieder auf meiner Unterlippe herum. Ist irgendwas Besonderes vorgefallen?, versuchte ich die Sache zu präzisieren.

Irgendwas Besonderes vorgefallen, wiederholte er meine Worte als Zeichen seiner Verwirrung. Frustration schwang in den Kreisen, die er zog, da er mir nicht das geben konnte, was ich offensichtlich hören wollte.

Schon gut. Vergiss es, seufzte ich stumm und fuhr mit den Fingern durch ihn hindurch, um ihm zu zeigen, dass ich nicht unzufrieden mit ihm war. Der Wind war eben nur der Wind und sein Bewusstsein war anders als das von Menschen.

Nicht mehr so ausgelassen wie zuvor, kehrte er zu den Wiesen zurück, an denen wir gemächlich vorbeifuhren.

Ich starrte wieder in den Himmel.

»Manchmal bist du schon merkwürdig, Cate«, sprach mich Hanna unvermittelt an und schreckte mich damit auf.

»Wie bitte?« Irritiert blinzelte ich und brauchte einen Moment, um aus meinen Gedanken ins Hier und Jetzt zurückzufinden.

»Wenn du so in die Luft starrst, als wäre da etwas, und dann noch mit den Händen tanzt. Du siehst dann einfach ein bisschen verrückt aus«, meinte sie mit einem Lächeln im Mundwinkel und winzige Lachfältchen bildeten sich um ihre warmen braunen Augen. Sie sah inzwischen sehr viel wacher aus und die sanft gewellten blonden Haare umrahmten ihr schmales Gesicht, als sie mir einen kurzen Blick zuwarf.

Der Wagen ratterte durch ein Schlagloch und von hinten ertönte kollektives Aufstöhnen.

»Der Wind ist doch dort«, erklärte ich und er freute sich über meine Erwähnung.

»Ja, aber manchmal sieht es so aus, als würdest du mit ihm reden.« Sie sagte es, als hätte sie einen Witz gemacht. Meine Wangen färbten sich augenblicklich rot. Zum Glück sah sie nicht hin, sodass sie keine Rückschlüsse ziehen konnte.

Denn Hanna wusste es nicht. Keiner wusste es, da ich es niemandem gesagt hatte. Nicht einmal Justus.

Schon mehr als einmal hatte ich mir vorgenommen, es ihm zu verraten, und jedes Mal doch wieder aufgeschoben. Zu schwerwiegend war diese Information. Denn ich sprach ja nicht nur mit dem Wind; er antwortete.

Wir rasteten, als die Sonne gerade ihren Zenit überschritten hatte.

Tanja packte die Kochutensilien aus und ihr Mann Kai entfachte ein Kochfeuer. Hanna war, wie so typisch für sie, gleich hinüber­geeilt und hackte mit Garan zusammen Gemüse. In letzter Zeit schien sie etwas übereifrig. Und Garans Gesichtsausdruck nach zu urteilen, dachte er das auch. Ich verstand Hanna jedoch zu wenig, um den Grund zu erraten.

Ayo, Mei und Bree holten in unserem Wagen ein wenig Schlaf nach. Das würde ihnen guttun. Bree schlief meist mit Ayo in einem Bett, da sie ihres noch im Wagen ihrer Eltern hatte.

Obwohl sie bereits fast siebzehn war und ihre Kräfte sich entfaltet hatten, war ihr nicht das Privileg zuteilgeworden, bei den Frauen zu wohnen.

Das war keine böse Absicht, vielmehr waren sämtliche Betten bereits besetzt. Die gesellschaftliche Zurückstufung zu einem Kind, die sie dadurch empfand, machte ihr ziemlich zu schaffen.

Manchmal glaubte ich, sie gäbe mir die Schuld daran. Weil ich nicht zu ihnen gehörte und trotzdem ein Bett beanspruchte, in dem ich so gut wie nie schlief.

Wahrscheinlich war das auch der Grund, warum sie mich nicht leiden konnte.

 

Um ihrer Schmach zu entgehen, legte sie sich so oft es ging zu Ayo, die sich ihrerseits über die Anwesenheit ihrer besten Freundin freute.

Im Gegensatz zu ihnen wäre es mir recht gewesen, ihr das Bett zu überlassen und die Hängematte zu meinem festen Schlafplatz zu bestimmen.

Ich war nun mal anders. Warum es leugnen?

Justus, der bei Marc und Dante stand, sah zu mir herüber und versuchte meinen Blick aufzufangen. Ich wandte mich jedoch wie zufällig ab. Noch war mir mein Wutausbruch von heute Morgen viel zu peinlich und mein Herz schmerzte bei dem Gedanken an Justus.

Neben mir im Gras saßen die Kinder, die mit Würfeln spielten. Ich beugte mich zu ihnen, um einen guten Grund zu haben, meinen Blick gesenkt zu halten, und wurde von ihnen direkt ins Spiel miteinbezogen.

Benji schob mir einen roten Würfel zu und Vivien zeichnete gleich eine Spalte für meine Punkte mit einem Stock in den Boden. Juju, die noch gar nicht richtig zählen konnte, kletterte mir wie selbstverständlich auf den Schoß.

Das Spiel war einfach, aber ich musste den Wind mehrmals davon abhalten, den Würfel nicht zu meinen Gunsten zu beeinflussen.

Ich war gerade haushoch am Verlieren, als er nah an mein Ohr kam und über meine Wange strich, um meine Aufmerksamkeit auf sich zu ziehen.

Da kommen vier Männer zu euch, flüsterte er mit Nachdruck und ich wandte mich ihm sofort zu. Sie sind bewaffnet. Sie suchen ein Mädchen. Es hat sich in Marcs Wagen versteckt.

Ich blinzelte ein paar Mal und war wie erstarrt. Was sollte ich mit dieser Information anfangen? Ich konnte ja schlecht zu Justus rennen und ihm sagen, dass ein Trupp zu uns unterwegs war. Wie sollte ich denn bitte erklären, woher ich das wusste?

»Da kommen Reiter auf uns zu!«, schlug in diesem Augenblick Bree Alarm und lehnte ihren leicht schwankenden Körper an den Türrahmen. Ihre sonst so fein säuberlich geflochtenen Haare sahen vom Schlafen sehr zerzaust aus. Ihre Feuergabe hatte sie wohl direkt aus dem Schlaf gerissen.

Alle erstarrten in ihren Bewegungen. Selbst die kleine Juju wurde mucksmäuschenstill.

Ich seufzte, von meiner Bürde befreit, erleichtert auf.

»Sind sie nur in der Nähe oder kommen sie tatsächlich auf uns zu?«, fragte Kai und Bree strich sich mit säuerlicher Miene den Zopf nach hinten.

»Glaubst du, ich würde aufstehen, wenn sie nur in der Nähe wären? Sie reiten in gerader Linie über die Felder genau auf uns zu. Es sind vier. Und sie haben ein zusätzliches Pferd dabei.«

»Aus welcher Richtung kommen sie?«, verlangte Kai zu wissen und sah zu Justus.

Bree hob den Arm nach Westen.

»Danke, Bree«, hielt Justus sich knapp und straffte die Schultern. Er tauschte Blicke mit Marc und Van. Die beiden stellten sich zu ihm, an die Seite ihres Vaters.

Angu, Janko und Fin kamen hinzu und alles geschah, ohne dass jemand ein Wort sagte. Jedem war klar, was getan werden musste, wenn es die Familie zu verteidigen galt.

Dante wollte ebenfalls aufstehen, doch sein Vater hielt ihn davon ab. Seine Geschicklichkeit im Kampf war noch dürftig und keiner von uns wollte, dass Dante sich unnötigerweise in Gefahr brachte.

Seine Feuerkräfte waren zwar gewaltig, aber nicht hilfreich, wenn man sie um jeden Preis geheim halten musste.

Juju klammerte sich mit ihren kleinen Fingern an mein Kleid und ich legte ihr beruhigend die Hände auf den Rücken. Sie spürte wohl die Spannung, die unter uns herrschte.

Vorsichtig zog sie sich an mir hoch, den kleinen Mund nahe an mein Ohr.

»Was ist los?«, wisperte sie.

»Nichts Schlimmes«, versicherte ich ihr, obwohl ich das eigentlich nicht wusste.

Moment, nein. Ich wusste sehr wohl, was los war. Ich hatte mich so daran gewöhnt, alle unerwünschten Informationen, die der Wind mir aufdrückte, gleich zu verdrängen, dass ich es gar nicht realisiert hatte.

Wieso war da ein Mädchen im Wagen der Männer?

Zögerlich stand ich auf, gab mir Mühe, nicht aufzufallen, und hob Juju auf den Arm, da sie sich weiterhin an mir festklammerte.

Justus’ Kopf schnellte sofort zu mir herum, als er meine Bewegung bemerkte. Auch wenn ich mir nicht erklären konnte, wie ihm das hatte auffallen können.

Sein Blick war eine offene Frage. Und ich kannte ihn lange genug, um zu wissen, welche es war: Sind sie wegen dir hier?

Ich schüttelte leicht den Kopf, gerade so, dass er es verstehen würde, und versuchte mich an einem zuversichtlichen Gesichtsausdruck.

Er runzelte die Stirn und sah nicht überzeugt aus. Bist du sicher?, sollte das wohl heißen.

Ich schenkte ihm einen strengen Blick und gab Juju an ihre Mutter ab, die ihr sanft den Kopf streichelte und sich mit ihr und Sally in ihren Wagen zurückzog.

Justus schien noch immer nicht sonderlich überzeugt, aber er sah nicht weiter zu mir, sondern wandte sich in die von Bree angegebene Richtung.

Bree hatte inzwischen Gesellschaft von Ayo und Mei bekommen. Wenn etwas Spannendes passierte, konnten sogar Kopfschmerzen zur Nebensache werden.

Als die Reiter hinter einer kleinen Baumgruppe zum Vorschein kamen, wurden alle noch unruhiger.

Wir wurden während unserer Reisen selten behelligt. Wenn wir nicht gerade an einem Dorf haltmachten und Waren feilboten oder ein Feuerspektakel veranstalteten, interessierten sich die Menschen so gut wie gar nicht für uns.

Am Ende waren wir, so beeindruckend sie die Feuerspektakel auch fanden, nur ein Haufen Vagabundengesindel, das in bunten Holz­wagen durch die Lande zog.

Die Pferde näherten sich schnell. Die Reiter hatten ledernes Rüst­zeug an und der letzte von ihnen führte eine graue Stute mit sich.

Brees Feuerkunst war wirklich erstaunlich. Sie konnte Feuer und Wärme mit einem inneren Sinn erspüren und sogar grob bestimmen, in welcher Entfernung sie sich befanden. Daher diente Bree uns als Vorwarnung für solch ungebetene Besucher.

Die Männer und Fin bauten sich in einer Linie vor uns und den Wagen auf und zwangen die Reiter anzuhalten.

Der vorderste schwang sich geübt aus dem Sattel und landete mit den geputzten Stiefeln im Staub des Feldes. Ein schmales Langschwert hing an seinem Gürtel und seine Hand schwebte als stille Drohung über dem Griff. Er hob stolz das Kinn.

Auf seiner ledernen Brustplatte erkannte ich das Wappen, das ich schon über der Tür des Stadtrates gesehen hatte. Sie kamen also aus dem Ort, den wir heute früh verlassen hatten.

»Uns ist eine junge Frau abhandengekommen«, eröffnete er das Gespräch, ohne Atem an eine Begrüßung zu verschwenden.

»Beschreibt sie uns und wir werden nach ihr Ausschau halten«, entgegnete Kai, ungerührt von dem barschen Ton des Soldaten.

Der Truppenführer lachte humorlos auf und kam noch einen Schritt näher. »So einfach ist es nicht, Vagabund. Man sagt, sie wäre zuletzt bei euch gesehen worden.«

Kai schürzte die Lippen, sah nicht gerade überzeugt aus.

In meinem Kopf stauten sich die Gedanken, die ich nicht auszusprechen wagte. Der Wind hatte mir gesagt, dass da eine Frau in Justus’ Wagen war. Die Wahrscheinlichkeit war hoch, dass es sich um die gesuchte handelte. Doch wieso war sie dort? Was hatte sie da verloren?

»Wie ihr sicher wisst, gab es gestern ein Spektakel. Etliche junge Frauen waren dort. Warum sollten wir dafür verantwortlich sein, wenn eine von ihnen nicht nach Hause gekommen ist?«, hielt Kai dagegen. Er war nicht so kaltblütig, wie er dabei klang, das wussten wir alle. Doch natürlich würde er vor dem Soldaten keine Schwäche zeigen.

Dieser seufzte genervt und gab seinen Männern einen Wink. »Wir werden eure Wagen durchsuchen müssen«, kündigte er an, und es war nicht als Bitte gedacht. Seine Männer schickten sich an, von ihren Pferden zu steigen.

»Nein«, erwiderte Kai schlicht. Er und die anderen traten dem Trupp einen Schritt entgegen, zeigten ihre Entschlossenheit.

Der Anführer wich instinktiv zurück, die Hand lag sofort am Schwertgriff. Eines der Pferde scheute bei all der Spannung in der Luft, sodass der Reiter Mühe hatte, es zu besänftigen.

Die Feuerleute waren aber auch ziemlich Furcht einflößend, wenn sie das wollten; selbst wenn man nicht wusste, dass sie Funkenbälle nach einem werfen konnten. Sie überragten alle um einen Kopf, in ihnen brannte das Feuer eines Kriegers und keiner von ihnen war für sein ruhiges Gemüt bekannt.

Die Miene des Soldaten verfinsterte sich zunehmend. Er war es offenbar weder gewohnt, Widerworte zu bekommen, noch auf Gegenwehr zu stoßen.