KHAOS

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»Ja, tu das.« Ich sah zu den beiden Männern rüber, die sich immer noch keinen Millimeter bewegt hatten. Doch ihre Seelen waren wach, schwappten unregelmäßig und waren voll und ganz auf unsere Unterhaltung fixiert.

Zumindest fast ganz. Bei Ares schwang noch etwas anderes mit. Etwas, das ich mit ein wenig Konzentration auch bei Khaos sehen konnte, auch wenn dieser besser in der Lage war, es zu unterdrücken.

Ich schalt mich selbst, nicht daran gedacht zu haben, und würde diesen Umstand gleich berichtigen. »Cobal!«, rief ich ihn zurück, als er sich schon zur Tür wandte. »Kannst du etwas zu essen besorgen? Für mich und für die Männer. Sie werden hungrig sein, wenn sie erwachen«, bat ich und konnte ein Gefühl der wohligen Genugtuung in meinem Rücken spüren. Ares war mehr als erfreut, dass ich ihm eine Mahlzeit beschaffen würde, und das freute auch mich. So war ich wenigstens nicht völlig unnütz.

Cobal ging und Khaos richtete sich sofort wieder auf, als das Zischen der sich schließenden Tür verklungen war.

Auch Ares öffnete die Augen und legte sich die Hände auf den Magen. »Scheiße, bin ich hungrig! Ich hoffe, es gibt was mit Fleisch!«, verkündete er.

Ich stellte das Glas mit den beiden Sumpfsaugern auf meinem Tisch ab. Khaos beäugte sie und rümpfte die Nase, was ihn bedrohlich wirken ließ. Und doch konnte ich in diesem Moment keine Angst vor ihm haben, da sein Widerwille vor diesen kleinen schmierigen Tieren beinahe kindlich war und es mich belustigte, dass ein erwachsener Mann sich vor Gewürm ekelte.

Ich streifte mir ein paar Gummihandschuhe über und öffnete den Deckel des Glases. Es war schwierig, die vorbereitete Spritze mit dem dicken Gummi über den Fingern richtig zu halten, doch ich gab mir Mühe und erwischte den ersten schleimigen Körper direkt in der Mitte. Langsam drückte ich den Kolben runter und zog die Nadel wieder aus dem schlabbrigen Körper. Dann war das zweite unglückliche Tier an der Reihe.

Es dauerte nicht lange, bis das Sekret wirkte und die beiden glimmenden Seelenpunkte, zu klein und einfach, um zu Emotionen irgendeiner Art fähig zu sein, erloschen.

Eilig nahm ich das Glas und ging zu den Männern. Widerwillig griff ich in das Gefäß und nahm das erste Tier zwischen zwei Finger. Obwohl ich die Handschuhe trug, schauderte es mich. Ich spürte den glitschigen Körper des Egels, der so klein war und doch so viel Schaden anrichten konnte.

»Kopf drehen!«, gab ich Ares die Anweisung und er sah mich bestürzt an.

»Was hast du damit vor?«, wollte er entrüstet wissen, den Blick angeekelt auf das Tier gerichtet.

»Ich klebe es dir in den Nacken. Die Saugnäpfe an der Unterseite funktionieren, auch wenn das Vieh tot ist.«

»Ist das dein Ernst? Das klebst du mir auf die Haut?« Ares war nicht überzeugt.

Stell dich nicht so an!, hätte ich ihm am liebsten ins Gesicht gesagt, aber natürlich war ich erstens zu nett für so etwas und zweitens, und das war wohl eher der entscheidende Grund für meine Zurückhaltung, war ich einfach zu feige, mich so schlagfertig zu geben.

»Es ist tot. Und Boz wird dir ohne das Tier nicht trauen«, meinte ich stattdessen kleinlaut und sah dabei zu, wie ein Tropfen Sumpfschleim von dem Tier zurück ins Glas glitt.

»Kannst du nicht sagen, du hättest es irgendwie anders gelöst?«, erwiderte Ares und Khaos stöhnte laut auf.

»Ares!«, zischte er. Dieser schnaubte daraufhin ergeben und drehte den Kopf so, dass ich guten Zugang zu seinem Nacken hatte.

Ich ließ mich nicht zweimal bitten und drückte ihm das glibberige Tier knapp unter seinen Haaransatz. Es gab ein schlürfendes Geräusch von sich und ich ließ los.

»Igitt!«, ächzte Ares und schüttelte sich wie ein zotteliger Gulgur. Der Sumpfsauger blieb an ihm haften. »Wieso genau können wir die Kerle nicht einfach umhauen und dann den ganzen Scheiß auf eigene Faust machen?«, wollte er wissen und Khaos verdrehte genervt die Augen.

»Sei kein Mädchen und tu, was dein Captain dir befiehlt!«, gab er zurück und sah dann mich an, während ich schon wieder dastand und ihn betrachtete wie einen der Gegenstände, die in meinem Loch an der Decke baumelten und die ich einfach nicht zuordnen konnte. Verlegen senkte ich den Blick auf das Glas und trat einen Schritt näher.

In der Ferne registrierte ich Freudenwallungen von Boz’ Seele, dem Cobal wohl gerade mitgeteilt hatte, dass seine neuen Soldaten schon bald zu seiner Verfügung standen.

Doch es entzog sich schnell meiner Aufmerksamkeit, als Khaos sich drehte, den Kopf neigte und mir seinen ungeschützten Nacken darbot. Die Haut war blass und glatt. Eine Schande, dass ich so ein widerliches Tierchen dort platzieren musste.

Doch ich musste, und zu zögern würde nur meine Gedanken verraten, in denen ich mit den Fingern über seinen Nacken strich, um anschließend die seidig dunklen Haare zu berühren.

Ich griff also wieder ins Glas, bekam den zweiten Sauger im Schleim kaum zu fassen und platzierte ihn anschließend.

Gerade drückte ich das Tier noch einmal fest, da drehte Khaos plötzlich den Kopf zurück zu mir. Unsere Gesichter waren nur wenige Zentimeter voneinander entfernt.

Automatisch hielt ich die Luft an und war für einen Moment viel zu erschrocken, um mich zu bewegen. Seine schmalen türkisfarbenen Augen bohrten sich in meinen Blick und mein Kopf war voller Gedanken und Gefühle, die ausnahmsweise einmal nur mir allein gehörten.

»Wie alt bist du, Daya?«, fragte seine dunkle Stimme leise und mir wurde ganz komisch in der Brust. Mein Herz raste, meine Lunge wusste nicht mehr, wie man atmete und mein Verstand konnte sich einfach nicht darauf konzentrieren, was er mit dieser Frage gemeint haben könnte, weil er von meinen eigenen Gefühlen überfordert war.

Khaos hatte zum ersten Mal meinen Namen gesagt.

»Wieso ist das wichtig?«, brachte ich heraus, weil es meine Standardantwort auf die meisten Fragen war, die mich direkt betrafen. In meinem Bauch flatterte es, das Blut rauschte mir in den Ohren. Zum Glück wirkten meine Medikamente noch, sonst hätte ich sicher gleich mit einem Anfall rechnen müssen.

»Weil du mich verwirrst«, antwortete er mir und mein Herz kam ins Stolpern. »Du siehst aus wie ein Kind, gibst dich wie ein Kind. Aber deine Blicke sind die einer Frau.«

Ich hatte nicht die geringste Ahnung, was er damit meinte. Dass ich mich wie ein Kind gab, war Absicht, das war schließlich meine Masche. Sie war schon so natürlich für mich, dass ich mir kaum die Mühe machte, mich von ihr zu lösen.

Doch was waren denn die Blicke einer Frau?

»Ich bin etwa achtzehn. Je nach Zeitrechnung«, gab ich zu und wusste selbst nicht warum. Ich hatte bisher noch niemandem, absolut niemandem, mein Alter offenbart. Nie und zu keinem Zeitpunkt in meinem Leben hatte ich zugegeben, älter als zehn Jahre alt zu sein und hatte auch jede Andeutung in diese Richtung im Keim erstickt.

Nur Krung hatte sich bisher die Mühe gemacht, es nachzurechnen, und das war meine eigene Schuld gewesen.

Doch vor Khaos schien ich keine Geheimnisse bewahren zu können. Nicht, wenn er sie mir auf diese Weise entlockte. Das machte mir Angst vor mir selbst.

»Also eine Frau«, stellte er fest und wandte dann den Kopf wieder ab, als sei es nur eine allgemeine Frage gewesen, die nicht im Geringsten etwas bedeutet hatte.

Und vielleicht war es ja auch so und nur ich hatte die Spannung gefühlt, das Herzklopfen ausgehalten, die Kontrolle über mich selbst verloren. Ich hätte in seiner Seele nachsehen können, doch mir fehlte immer noch die Konzentration dafür.

Verwirrt und ein bisschen vor den Kopf gestoßen trat ich einmal auf der Stelle und lief dann planlos, wie ich war, in irgendeine Richtung, bis ich beim Waschbecken landete. Geistesabwesend ließ ich das schmutzige Glasbehältnis hineingleiten und öffnete den Hahn, um es auszuwaschen.

Mein Herz schlug mir immer noch bis zum Hals und ich ahnte, dass, wenn diese Sache beendet war, ich an meiner eigenen zerbrochenen Seele zugrunde gehen würde.

10


Herzschlag

Ich versuchte so schnell wie möglich zu gehen, ohne dabei außer Atem zu geraten.

Über mir spürte ich die Seelen. Boz, der sich früher auf den Weg gemacht hatte, weil er es einfach nicht mehr aushielt, und Khaos und Ares, die dem Ganzen seltsamerweise mit Ruhe begegneten. Nicht mit Angst und Befürchtungen, so wie ich.

Als ich die ersten Treppenstufen erklommen hatte, setzte bereits ein heißer Schmerz in meinem Hinterkopf ein. Ich würde es in nächster Zeit ruhiger angehen lassen müssen.

Ich war bei Erikson gewesen, hatte seinen Verband gewechselt und seine Schmerzmitteldosis erhöht. Es ging ihm den Umständen entsprechend ganz gut. Er war ein zäher Kerl und er würde es auf jeden Fall überleben. Seine Seele war schummrig und umnebelt gewesen, im Rausch der schmerzlindernden Drogen, die Nefrot ihm brav nach Anweisung verabreicht hatte.

Nefrot schien eine besondere Art der Beziehung zu Erikson zu pflegen, die mir vorher gar nicht aufgefallen war. Er sah zu ihm auf, bewunderte ihn und Erikson kümmerte sich im Gegenzug immer mal wieder um Nefrot, sah in ihm so etwas wie einen Schüler. Die Bindung war nicht stark und auch nicht von tiefen Gefühlen begleitet, aber doch genug, dass Nefrot sich weiter um Erikson kümmerte, solange er es nicht selbst konnte. Er hatte sogar das Gefühl, es ihm schuldig zu sein.

 

Was mir nur recht sein konnte. Ich brauchte meine Konzentration zurzeit für andere Dinge. Zwei völlig verrückte Supersoldaten zum Beispiel, die nicht davor zurückscheuen würden, es zu zweit mit Boz und seiner ganzen Bande aufzunehmen. Und Cobal hatte recht mit seinem Gefühl. Es würde etwas schiefgehen, ich spürte es genau wie er.

Mein Herz schlug immer schneller, je näher ich der Krankenstation kam, obwohl ich beinahe die Treppen hochgeschlichen war. Doch die Angst drückte mir auf die Lunge und mein Puls machte immer noch, was er wollte, vor allem dann, wenn ich meine Aufmerksamkeit auf Khaos richtete.

Nur seine Seele von Weitem zu spüren, pumpte mir Adrenalin in den Körper und ließ meinen Magen flattern. Und ich ahnte langsam, was das alles zu bedeuten hatte.

Meine Mutter hatte sich immer sehr reserviert gehalten, was Umschreibungen betraf, besonders beim Thema Liebe.

Natürlich war ich aufgeklärt, was die menschliche Natur und den körperlichen Akt der Zuneigung anging, mit dem auf diesem Planeten so viel Schande getrieben wurde, und der, laut meiner Mutter, zu etwas Besonderem, etwas Magischem gehören sollte. Etwas, das Menschen aus Liebe taten.

Doch von der Liebe zwischen Mann und Frau selbst hatte sie wenig preisgegeben.

Vielleicht damit ich es mir nicht vorstellen konnte und es so nicht ersehnte. Und auch in den Seelen anderer hatte ich aufflackernde Gefühle, die in diese Richtung gingen, nur selten und auch nur wenig ausgeprägt gesehen.

Aber all die Gefühle, die mich in letzter Zeit überrannten, chemische Reaktionen meines Gehirns, die sich nicht von innen heraus erklären ließen, weil sie alle ihren Ursprung in der Begegnung mit diesem einen Mann hatten, ließen mich darauf schließen, dass ich wohl verliebt war.

Jetzt, wo es passiert war, verstand ich auch, was meine Mutter gemeint hatte, als sie behauptete, es würde mir auf diesem Planeten nicht passieren. Sie hatte recht gehabt. Bei den Männern, die hier herumliefen, wäre mir das tatsächlich niemals passiert. Nicht mal, wenn ich gewusst hätte, wie es war und es mir herbeigewünscht hätte.

Der Ekel, den ich empfand, wenn ich auch nur daran dachte, einer von ihnen könnte mich irgendwie, in irgendeiner Art anfassen, schüttelte mich am ganzen Körper und verdrehte meinen Magen zu einem sauren Knoten.

Doch wenn ich an den Mann dachte, den ich durch die Scheibe betrachtet hatte, dessen Körper ich aus dem Eis geholt und dem ich in die Seele geschaut hatte, ohne zurückzuschrecken, dann wurde mir ganz warm.

Die Erinnerung an seine Augen machte mich kribbelig. Seine Haut unter meinen Fingern, und ich bekam Wünsche, von denen ich niemals gedacht hatte, sie jemals in meinen Gedanken zu finden. Dieser Mann machte alles anders und ich wusste noch nicht, wie ich damit umgehen sollte.

Schließlich war ich nur ich. Ich war keine starke, schöne Frau, wie meine Mutter es gewesen war. Ich war nicht übermäßig schlau, nicht besonders willensstark und wahrscheinlich auch nicht hübsch genug.

Kopfschüttelnd vertrieb ich all diese Überlegungen, die mich dazu brachten, mich klein und armselig zu fühlen. Früher hatte ich mir schließlich auch keine Gedanken darüber gemacht und war gut zurechtgekommen.

Ich drückte meine Hand an die Fläche in der Wand und schlüpfte durch die Tür, noch bevor die Automatik sie ganz geöffnet hatte.

»Lil’Pid«, sagte Boz und stellte damit nur fest, dass ich da war. Sein Geist war mit anderem beschäftigt. Hinter ihm standen Vento und Jet.

Drüben am Tisch beobachtete Cobal die ganze Situation mit schmalen Echsenaugen. Er war hiergeblieben und hatte die beiden Soldaten überwacht, solange sie aßen und ich nach Erikson gesehen hatte.

Ares und Khaos standen gerade da, den Kopf hoch erhoben, zu ihrer vollen Größe aufgerichtet, bedrohlich wie die Soldaten, die sie waren, und auch in ihrem Innern waren sie zu allem bereit.

Boz beäugte sie, lief vor ihnen auf und ab, umrundete sie sogar, und obwohl ich sah, dass er eine gewisse Genugtuung verspürte, konnte ich doch auch eine Spur Misstrauen in ihm entdecken. Er wusste, dass hier irgendwas nicht stimmte, konnte aber nicht identifizieren, was ihn an der ganzen Sache so sehr störte.

Ich wusste sofort, was es war, und hatte leider keinen Einfluss darauf. Es waren die Augen. Die Blicke der beiden Übermenschen waren zu wach, zu klar. Und auch wenn sich beide bemühten, niemanden anzusehen, war es doch für jemanden, der wusste, dass das hier alles nur eine Finte war, offensichtlich, dass sie bei Bewusstsein und im Vollbesitz ihrer Entscheidungsfreiheit waren.

Boz schnaubte und blieb direkt vor Khaos stehen. »Bist du dir sicher, dass das mit den Sumpfsaugern funktioniert hat?«, fragte er mich, ohne Khaos aus den Augen zu lassen.

Ich wusste, dass er mich dafür verantwortlich machen würde, wenn etwas schiefgehen sollte. Selbst wenn es doch eigentlich seine Idee gewesen war, die Menschen aufzuwecken und ihnen Sumpfsauger anzuhaften, um sie gefügig zu machen.

Doch Boz suchte die Schuld immer bei anderen. Es musste jemand anderes den Kopf hinhalten, wenn seine Ideen sich nicht so umsetzen ließen, wie er es gerne hätte. Damit würde ich wohl leben müssen.

»Ich nehme es an«, antworte ich leise, weil ich nicht wusste, wie fest meine Stimme bei einer Lüge sein würde. Und es war nicht mal besonders auffällig, denn ich redete meistens sehr leise, damit die Leute mich für unwichtiger hielten.

»Du nimmst es an?«, fuhr Boz mich schroff an und ich zuckte vor seiner Wut zurück, die mit kalten Fingern nach mir griff. Boz war ein sehr aufbrausender Mann, man wusste nie genau, wie er auf etwas reagieren würde. Entweder wurde er wütend, es war ihm egal oder er lobte einen noch dafür.

»Das ist bei jeder Spezies verschieden. Jeder reagiert unterschiedlich stark auf die Tiere«, versuchte ich mich zu retten und Boz schnaubte laut, sodass sich seine Nasenflügel blähten.

Doch dann wandte er sich ganz plötzlich von mir ab und seine Wut wurde durch boshafte Freude überdeckt. Ich trat einen Schritt zurück, die Augen erschrocken geweitet. Was hatte er vor?

»Schon gut. Ich werd’s ausprobieren«, kündigte Boz an und hatte sogar einen beschwichtigenden Ton in der Stimme, dem ich keine Sekunde Glauben schenkte.

Gleich würde etwas passieren, das mir vermutlich nicht gefiel, und ich hatte leider keine andere Wahl, als hier stehen zu bleiben und darauf zu hoffen, dass Boz es sich in seiner wankelmütigen Art doch noch anders überlegen würde. Oder seine Kreativität nicht ausreichte, sich etwas Geeignetes auszudenken.

»Du!«, sprach er Khaos an und stach ihm mit dem Zeigefinger in die muskulöse Brust. »Schlag ihr ins Gesicht«, fügte er trocken hinzu und Khaos schien keinen Moment zu zögern. Wie ferngesteuert kam er die wenigen Schritte auf mich zu, holte aus und schlug mir mit dem Handrücken ins Gesicht.

Ich hatte keine Zeit, irgendwie zu reagieren. Mein Kopf wurde durch die Wucht des Schlages zur Seite gerissen und ich stürzte zu Boden. Mir klingelten die Ohren, meine Wange war erst taub und begann dann, wie mit Säure beträufelt zu brennen. Mein Kopf dröhnte, mein Nacken tat mir weh und auch meine Hüfte und meine Schulter gesellten sich dazu. Sie würden in ein paar Stunden ausgeprägte blaue Flecken aufweisen, die beim Sturz entstanden waren.

Doch vor allem tat mir das Herz weh. Nicht, weil ich einen Krampf hatte. Zumindest keinen auf die sonstige Art. Nein, es schmerzte, weil es seine Hand gewesen war, die mich getroffen hatte.

Natürlich hatte er es tun müssen, wenn er nicht sofort hatte auffliegen wollen. Aber auch wenn ich die Gründe kannte und verstand, schaffte ich es nicht, so leicht darüber hinwegzusehen und meinem Innern begreiflich zu machen, dass es ein notwendiges Übel gewesen war.

Auch die Tränen, die sich in meinen Augen sammelten, ließen sich nicht aufhalten. Dabei weinte ich selten, und wenn man es ein wenig drehte, dann konnte man sagen, dass ich körperlichen Schmerz sogar gewohnt war. Doch diese neue Komponente meiner Gefühle, die mich erst vor ein paar Tagen so heftig erwischt hatte, machte mich dünnhäutig und sensibel.

Khaos stand vor mir, sah auf mich herab und zeigte keine einzige Regung in seinem Gesicht. Hätte ich nicht in seine Seele blicken können, ich hätte in diesem Moment meinen Glauben an das Gute in ihm verloren.

Doch ich konnte in seine Seele sehen, in diese wundersame Tiefe seines Wesens, das schon so oft Zeuge von Brutalität und Hass geworden war und sogar selbst derlei Grausamkeiten ausgeführt hatte. Die Tiefen, in denen er mit sich selbst rang, die immer wieder neue Aspekte an die Oberfläche treiben ließen und in der er mir die Wahrheit über sich offenbarte.

Alles, was er hier tat, tat er aus Liebe. Liebe zu seiner Crew, zu seiner Familie, die den eisigen Schlaf schlief und die seines Schutzes und seiner Rettung bedurften. Er hatte mich geschlagen, um nicht aufzufliegen, weil er seine Familie beschützen musste.

Und nicht zuletzt auch mich. Hätte er es nicht getan, Boz hätte es übernommen. Und er hätte es wahrscheinlich nicht bei einem Schlag belassen.

Boz begann in die Hände zu klatschen, erst langsam und dann schneller, wie ein einsamer Applaus, der insgeheim ihm selbst galt. »Unglaublich! Kraft und Skrupellosigkeit. Hast du gesehen, er hat nicht mal mit der Wimper gezuckt, als ob es ihm gar nichts ausmachen würde, ein Mädchen zu schlagen! Ha!«, rief er entzückt und sprach dabei Vento und Jet an, die mit vor der Brust verschränkten Armen dastanden und nickten, als Boz ihnen spielerisch in die Seite boxte. »Wir werden ihnen den Arsch aufreißen, diesen Wüsten-Bastarden!«, verkündete er weiter und sah sich noch einmal Ares an.

Ich wischte mir vorsichtig mit dem Ärmel meiner Strickjacke die Tränen aus den Augenwinkeln, damit sie nicht überliefen, und richtete mich dann auf wackeligen Beinen auf.

Khaos sah mich immer noch an. Seine Augen waren nicht mehr so starr wie gerade eben noch, als Boz ihm seine Aufmerksamkeit gewidmet hatte. Sie zeigten Bedauern und seine Seele bestätigte das um ein Vielfaches. Er hatte mich nicht schlagen wollen und ich glaubte ihm. Er wartete auf eine Reaktion von mir, eine Gefühlsregung, die ihm verraten würde, ob ich verstanden hatte, was seine Augen mir sagen wollten. Ich nickte ihm leicht zu und Khaos’ innere Unruhe legte sich binnen eines Wimpernschlags.

Ich senkte den Kopf und wollte an ihm vorbeigehen, um nicht länger hier herumzustehen und das Opfer zu mimen. Schließlich hatte Boz jetzt, was er wollte und schenkte auch mir keinerlei Beachtung mehr. In seinen Augen war ich sowieso nur ein nützliches Objekt, das, wenn er es brauchte, funktionierte und das er ansonsten so behandeln konnte, wie es ihm beliebte.

Manchmal störte es mich, dass er nichts von mir hielt und meine Arbeit nur selten schätzte. Doch andererseits sollte ich froh darüber sein, nicht dauerhaft in seinen Gedanken Platz zu haben. Das würde mir nur noch mehr Ärger bereiten.

Kaum merklich hob Khaos die Hand, als ich mich zwischen ihm und einer der Behandlungsliegen hindurchschob, und berührte mit seinem Handrücken den meinen. Ich war sofort wie elektrisiert. Die Endorphine, die durch meine Blutbahnen schossen, machten mich schwummrig, linderten den Schmerz in meinem Gesicht und ließen mich ein paar Sekunden am Glauben festhalten, dass es Absicht gewesen war. Doch das war natürlich absurd. Oder?

Gerne hätte ich mich zu ihm umgedreht, denn in meinem Innern war alles zu wirr, um einen Blick auf seine Seele zu werfen. Ich stolperte über meine eigenen Füße und klammerte mich an die Liege, um nicht hinzufallen.

Verstohlen sah ich mich nach den anderen um und versuchte herauszufinden, ob das außer mir noch jemand bemerkt hatte. Boz erläuterte Vento und Jet gerade seinen Plan und Cobal war zu beschäftigt damit, Ares weiterhin misstrauisch zu mustern. Niemand hatte es gesehen.

»Eins und zwei. Ihr folgt mir!«, befahl Boz, reckte triumphierend die Hand in die Luft und stolzierte wie ein Gaq’krl-Gockel auf die Tür zu.

Ares und Khaos marschierten ihm hinterher. Ihre Schritte wirkten zwar auf mich zu aufgesetzt, aber niemandem sonst schien das aufzufallen und auch Vento und Jet gingen.

Ich sah ihnen hinterher, beobachtete Khaos’ Seele so lange, bis es für meinen schmerzenden Kopf zu anstrengend wurde und riss mich dann zusammen. Khaos war nicht aufgeregt oder ängstlich gewesen, im Gegenteil, es machte ihn schon beinahe euphorisch, sich in so ein Abenteuer zu stürzen. Es gefiel ihm, mit der Gefahr Auge in Auge zu stehen und sich ihr doch überlegen zu fühlen.

 

Ich machte mir einfach nur Sorgen. Es wäre nicht das erste Mal, dass Boz nach einem Überfall auf die Wüstenclans mit weniger Männern zurückkam, als er aufgebrochen war.

Khaos und Ares schienen davon überzeugt zu sein, dass sie wussten, was sie taten. Doch mein Herz schlug mir bis zum Hals und auch wenn wir uns noch nicht besonders lang kannten, wusste ich nicht, wie ich mich aufrecht halten sollte, wenn Khaos nicht wieder zurückkehrte. Er hatte mein Inneres total auf den Kopf gestellt und ich war noch nicht bereit, das so einfach wieder aufzugeben.

Cobals gelbe Augen musterten mich eingehend, als ich mich am Rand der Liege hochzog und mich auf die Fläche legte, auf der gerade noch Khaos gelegen hatte. Auch wenn sie längst ausgekühlt war, bildete ich mir ein, so etwas wie eine Verbindung zu spüren und schloss für einen Moment die Augen.

»Bist du okay?«, erkundigte sich Cobal. »Der Schlag war ganz schön heftig.«

»Ich werde es überleben«, wisperte ich, drehte mich mühsam auf die Seite, weg von Cobal.

Seine Seele war anders als die humanoider Spezies. Sie hatte eine andere Beschaffenheit, machte andere Bewegungen und zeigte Gefühle auf eine sehr andersartige Weise. Es war für mich schwerer, ihn zu durchschauen, da ich die Gefühle nicht so wahrnehmen konnte, als wenn es meine eigenen wären.

Doch ich kannte ihn schon eine ganze Weile und ich wusste, dass etwas an ihm nagte. Er traute dem Frieden nicht und sein Misstrauen war viel hartnäckiger als das von Boz.

»Ich gehe und behalte die beiden im Auge«, raunte er mir zum Abschied zu und verschwand.

Die Ruhe, die er zurückließ, drückte mir auf meinen geschundenen Kopf. Ich starrte so lange die gezackten Risse in der Decke an, die seit dem letzten Erdbeben besorgniserregend tief geworden waren, bis ich den Druck nicht mehr aushielt.

Mühsam richtete ich mich wieder auf und holte mir einen Becher voll Wasser. In dem gebrochenen Spiegel über dem Waschbecken betrachtete ich meinen feuerroten Wangenknochen, der sich bereits zu verfärben begann. Das würde ein fieser Bluterguss werden. Doch wenn ich ehrlich zu mir selbst war, dann hatte ich schon schlimmere gehabt.

Wenigstens war dies ein sichtbarer Beweis, dass es Khaos wirklich gab und ich ihn mir nicht nur eingebildet hatte.

Ich betrachtete mich noch eine Weile selbst, holte mir dann eine kühle Kompresse aus der winzigen Kühlkammer neben dem Arzneimittelschrank und suchte mir das Gel gegen Schwellungen aus den unteren Regalen.

Danach zog ich mich in mein Loch in der Wand zurück.

Obwohl mein Körper völlig fertig und übermüdet war, konnte ich meine Gedanken schon wieder nicht abstellen. Immer schob sich Khaos’ Gesicht vor mein inneres Auge. Mein Herz schlug schneller, mein Magen kribbelte. Mein Gesicht schmerzte noch mehr, seit es unter Kälteeinwirkung stand.

Ich schloss die Augen, erinnerte mich an seine Hand, die ganz leicht meine gestreift hatte, und gestand mir schlussendlich ein, dass ich mir wünschte, er wäre schon wieder zurück und ich nicht mehr so einsam.