KHAOS

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Ich zuckte zusammen und klammerte mich mit der Hand an das Gestell der Liege, bis die Fingerknöchel weiß hervortraten. Boz war kein Mann von leeren Worten. Er hatte bisher alles, was er angedroht hatte, auch wahr gemacht.

Doch ich konnte nicht verstehen, wieso ihn die Aussicht, diese genetisch hochgezüchteten Männer nicht als seine Soldaten einzusetzen, so rasend machte, dass er mir mit dem Tod drohte. Das hatte er früher nicht getan. Er musste sich Großes davon versprechen, diese Kampfmaschinen auf seiner Seite zu haben.

Zittrig atmete ich ein, als sich hinter Boz und Vento die Tür schloss, und strich mir angespannt eine Locke aus der Stirn.

»Du hast ihn angelogen«, kam es von neben mir und ich zuckte zusammen. Ruckartig zog ich die Hand vom Gestell der Liege weg, drehte mich dem Mann hinter mir halb zu und biss mir auf die Unterlippe. Er lag noch immer, sah mich durch halb geschlossene Augen an, der Blick kritisch, abschätzig. »Warum?«, verlangte er zu wissen und ich wusste schon jetzt, dass ich seinen Augen wahrscheinlich niemals etwas abschlagen könnte.

»Damit er euch nicht umbringt«, antwortete ich ihm also wahrheitsgetreu und wandte mich verlegen ab.

Ich sah die Kiste mit dem Verbandszeug und anderen Dingen, die ich immer noch nicht wieder in Ordnung gebracht hatte, und trat an den Tisch neben der Liege, um mich ans Aufräumen zu machen. Die Gegenwart dieses Mannes machte mich fahrig und ich musste meine Finger beschäftigen, damit ich nicht dumm in der Gegend herumstand und nervös meine Hände knetete, während mein Herz zu hüpfen begann.

»Es klang eher, als wollte er uns für seine Zwecke einsetzen.« Obwohl seine Stimme weiterhin neutral klang, hatten seine Gefühle sich verändert. Wut und Hass strömten an die Oberfläche und richteten sich auf eine Erinnerung, die ich nicht sehen konnte, weil ich nur an der Oberfläche kratzte und mich im Moment nicht tiefer hineinwagte.

»Ja. Er will euch Hirnsaft saugende Egel in den Nacken setzen. Sie schwächen den freien Willen und machen einen für Befehle zugänglich. Und dann vergiften sie dich, machen dich wahnsinnig und führen zum Tod«, erklärte ich und versuchte, dies gelassen zu tun. Doch meine eigenen Erinnerungen machten mir einen Strich durch die Rechnung, sodass meine Stimme zum Ende hin immer dünner wurde.

Er nahm die Erklärung einfach hin und lenkte seine Fragen auf einen anderen Punkt. »Warum zwei Tage?«

Mir begann die Hitze den Rücken hochzusteigen. Es machte mich völlig verrückt, dass er mich die ganze Zeit zu beobachten schien. Jede meiner Bewegungen verfolgte er mit den Augen, jede kleinste Mimik wurde von seiner Seele aufgefangen und bewertet.

»Es ist kurz genug, dass Boz nicht die Geduld verliert und hoffentlich trotzdem so lange, dass mir was Gutes einfällt, um euch das nicht antun zu müssen«, gab ich zu und steckte steril verpackte Braunülen in eine schmale Metallbox.

Ein tiefes Lachen erklang und ich hob erschrocken den Kopf. Der Mann mit dem dunklen Haar und den raubtierhaften Augen richtete sich auf der Liege auf, sodass sich seine Bauchmuskeln unter dem schwarzen Oberteil wölbten. Dabei lachte er so laut, dass ich fürchtete, es könnte jemand außerhalb dieses Raumes hören.

Ganz automatisch streckte ich meinen Sinn in alle Richtungen aus und vergewisserte mich, dass wir in näherer Umgebung allein waren.

Mir fiel jedoch schreckartig auf, dass die Seele des blonden Hünen viel zu gleichmäßige Wellen schlug. Alarmiert lief ich um den Tisch herum und sah nach ihm. Doch es schien, als ob er bloß eingeschlafen wäre. Wunderlich, fand ich, aber gut. Jeder brauchte seinen Schlaf, vor allem dann, wenn man dehydriert viel zu früh aus einem Koma erwachte.

»Er ist nur eingeschlafen«, sagte der Dunkelhaarige und beruhigte sich langsam wieder. »Das ist bei Ares so. Der schläft, wo er sitzt und steht.«

Ich sah ihn verstohlen an. »Ares«, murmelte ich und schob die Hände in die Taschen meiner übergroßen Strickjacke. Jetzt wusste ich wenigstens einen von zwei Namen, auch wenn mir der andere lieber gewesen wäre. Doch er schien es in dem Blick zu sehen, den ich ihm zuwarf, denn er reagierte sofort.

»Mein Name ist Khaos«, stellte er sich vor und meine Lippen lächelten verlegen, obwohl ich es zu verhindern versuchte. Aber ich konnte nicht. Seinen Namen zu wissen, machte mich unglaublich kribbelig, als würde eine Art Euphorie in mir überkochen.

»Es war ein Fehler, uns aufzuwecken«, fügte er plötzlich hinzu und sein Gesicht wurde schlagartig ernst. »Und wahrscheinlich auch, mir zu sagen, was dieser Boz mit uns vorhat.«

»Weil ihr wach seid und uns alle töten werdet, bevor wir euch so was antun können?«, stellte ich die Frage und meinte es eigentlich als Aussage. Ich konnte es in ihm spüren. Er war stark und er wusste, wie er den Hass in sich einsetzen musste, um zu überleben. Er würde sich niemals einfach so ergeben, schon gar nicht, wenn er das Leben seiner Familie gefährdet wusste.

»Du weißt das und trotzdem hast du dich dazu entschieden, uns zu wecken und mich in den Plan einzuweihen?« Das war eine Frage, doch ich wusste keine Antwort darauf und zuckte nur mit den Schultern.

»Wie hast du dir das vorgestellt? Zwei Tage, um uns alle ins Leben zurückzuholen, wir fliehen und dein Boz bringt dich um, wenn wir es nicht vorher tun?«, zählte er mir die logischen Schritte auf, die jetzt wohl unweigerlich folgen würden.

Natürlich wünschte ich mir nicht, dass es so lief. Doch wenn ich es nicht ändern konnte, dann war das wohl der Weg, den ich mit meinem Gewissen hatte vereinbaren können.

Freudlos schnaubend zog ich die Hände wieder aus den Taschen, die Handflächen nach vorn gerichtet. »Ich bin eine schwache, kranke Frau in einer Höhle voller Ungeheuer. Ich lebe auch so nicht mehr lange. Wieso sollte mein Leben mehr wert sein als das von dreiundzwanzig Menschen?«, eröffnete ich ihm die traurige Wahrheit und wusste selbst nicht, warum ich den Drang verspürte, vor diesem Mann absolut nichts zu verheimlichen.

8


Pläne

Khaos sah mich an, sein Blick gar nicht mehr so abschätzig und misstrauisch wie gerade eben noch. Seine Seele zeigte gemischte Gefühle, von Erstaunen bis Unglauben. Ich hatte ihn beeindruckt und das überraschte mich.

»Ich kann mir nicht vorstellen, dass dir dein Leben so wenig wert ist«, sagte er und der tiefe Bass seiner Stimme erzeugte eine warme Gänsehaut auf meinen Schultern, die sich über den ganzen Rücken nach unten zog. Ich unterdrückte den Impuls, mich zu schütteln, und sah ihn weiter unverwandt an.

»Mein Leben ist mir sehr viel wert«, versuchte ich mich zu erklären, damit er nichts Falsches über mich dachte. »Doch ich kann es nicht mehr lang festhalten. Also muss ich versuchen, dem Leben anderer zu helfen, solange ich kann.« Jetzt schaffte ich es nicht mehr länger, dem Blick aus seinen Augen standzuhalten, und starrte auf meine Hände.

Khaos blieb still, beobachtete mich, und ich schloss für einen Moment die Augen, um mich seiner Seele zu nähern. In ihm kämpften zwei Gedanken, die um den vorrangigen Platz in seinem Kopf zankten. Rettung und Krieg. Liebe und Hass.

Liebe zu seiner Familie, Menschen, die immer noch eingefroren waren, um die er sich sorgte und die er in Sicherheit wissen wollte.

Und Hass gegen die ganze Welt, gegen jeden, der ihm und seiner Familie im Weg stand. Die ihnen die Freiheit, die Einigkeit oder das Leben nehmen wollten. Der Drang, aktiv gegen diese in den Krieg zu ziehen und sie zu vernichten, um seiner Familie so zum Frieden zu verhelfen.

Es war ein Moment, in dem man etwas Großem gegenüberstand und sich selbst plötzlich über die Maßen klein fühlte. Wie wenn ich mich nachts zu einer Luke im oberen Teil des Wärtertraktes schlich, den Riegel aufdrehte, um die Sterne zu beobachten, und von der Unendlichkeit des Universums überwältigt wurde.

Nur dass es diesmal nicht die Sterne waren, die mich so in ihren Bann zogen, sondern nur eine einzelne Seele, an der ich so festhing, dass ich fürchtete, mich selbst früher oder später an sie zu verlieren.

Doch ich machte mir viel zu viele Gedanken über mich selbst.

Ich blinzelte und hob den Blick. Es gab so viel Wichtigeres zu tun.

Khaos wurde von meiner Bewegung ebenfalls aus seinen Gedanken gerissen und schnaubte. »Zwei Tage also?«, meinte er und ich nickte. »Dann würde ich vorschlagen, du sagst mir, wo wir hier sind, und ich sage dir, wie der Plan aussieht.«

Er war so sehr davon überzeugt einen Plan entwickeln zu können, der funktionieren würde, dass ich beinahe gewillt war ihm bedenkenlos zu glauben. Aber meine Erfahrung sagte mir, dass es wahrscheinlich schwieriger werden würde, als er dachte.

Ich seufzte, schob die Kiste mit dem Verbandszeug beiseite und stützte meine Handflächen auf die Platte des Arbeitstisches. An meinen Händen war die Haut trocken und rissig, und ich zog unauffällig die Ärmel meiner Strickjacke darüber. »Dieser Planet heißt Veko Beta VI«, begann ich und lehnte mein Gewicht mehr auf die Arme, um meinen Rücken zu entlasten. Gerne wollte ich mich setzen, doch ich hatte keinen Stuhl mehr und der Eimer stand so weit weg, dass es mir peinlich war, ihn von dort zu holen. »Es ist ein Gefängnisplanet, der vor etwa fünfzehn zentralen Standardjahren von den Insassen übernommen wurde. Seitdem ist kein einziges Schiff mehr hier gelandet.«

 

Äußerlich reagierte er auf meine Informationen überhaupt nicht. Innerlich begann allerdings alles aufzuwallen und ein Gedanke jagte den anderen. Es war so faszinierend zu sehen, wie schnell er zu denken fähig war, dass ich beinahe vergaß weiterzusprechen.

Verhalten räusperte ich mich. »Dieser Raum ist die ehemalige Kranken­station. Zu ihren guten Zeiten sah sie auch nicht wesentlich besser aus«, erklärte ich und fügte leise hinzu: »Sagte man mir zumindest.«

Meine Mutter war damals, nach dem Mord an einem Patienten, verurteilt worden. Ihr Opfer war der Schänder und Mörder ihrer Schwester gewesen, ein boshafter Mann, der sein Schicksal vielleicht sogar verdient hatte.

Doch für meine Mutter war es ein zu hartes Los gewesen, hierhergebracht zu werden.

Doch natürlich mangelte es den vereinigten Systemen auf solchen Gefängnisplaneten immer an Personal. Welcher ordentliche Arzt erklärte sich auch dazu bereit, sein Leben in einem trostlosen Gefängniskomplex zu verbringen, wenn er nicht gezwungen wurde, dort zu bleiben?

Meine Mutter hatte den Posten bekommen und sich so ihr Überleben in diesem Loch gesichert. Für einige Zeit jedenfalls. Denn dann hatte eine Verletzung am Rücken sie dahingerafft.

Ich hatte nichts tun können, um sie zu retten. Die schlimmsten Tage meines Lebens.

»Die Männer und Frauen, die hier leben, sind fast alle als Verbrecher hierhergekommen, oder hier zu welchen geworden. Nach dem Fall der Station haben sich die meisten von uns auf Boz’ Seite geschlagen. Die, die ihn nicht als Anführer akzeptiert haben, wurden weggejagt und leben in mehreren Clans draußen in der Wüste.«

Ich war mir unsicher, ob ich erwähnen sollte, dass Boz glaubte, sie hätten ein nicht funktionstüchtiges Schiff. Oder zumindest Teile davon. Doch ich glaubte nicht daran und ich wollte keine Hoffnung schüren, wo eigentlich keine war.

»Ich kann es sehen, wenn du mir etwas verheimlichst«, sagte Khaos plötzlich und ich zuckte erschrocken zusammen. Ich fühlte mich ertappt und war gleichzeitig verwirrt. »Dein Gesicht verrät dich. Du bist nicht sehr gut darin, Emotionen zu verstecken«, behauptete er.

Ich verdrehte die Augen. Wenn er wüsste, was ich noch so alles versteckte, dann würde er das nicht sagen.

»Manche schon, andere nicht«, antwortete ich also, um weiterhin uneindeutig zu bleiben, und fuhr mit meinem Bericht fort. Diesmal ohne irgendwelche Details auszulassen, ob nun wichtig oder nicht. »Es heißt, die Wüstenclans hätten Teile eines Raumschiffes, die man zu einem zusammensetzen könnte, wenn man wüsste wie«, eröffnete ich mit unsicherer Stimme und Khaos hob die Augenbrauen.

»Aber du glaubst das nicht«, stellte er fest und ich nickte. Ich glaubte es nicht.

Khaos’ Blick schweifte ab, ging an den Wänden entlang, begutachtete den Raum, bis er die Kapseln entdeckte, die an der Wand standen. »Wenn es keinen anderen Anhaltspunkt gibt, werde ich mich erst einmal versichern müssen, wer von euch beiden recht hat. Boz oder du.« Er wollte also da raus und sehen, was die anderen Clans hatten. Genau wie Boz es wollte.

Es bereitete mir Unbehagen, dass die beiden scheinbar in die gleiche Richtung strebten, doch es war die einzige Möglichkeit, Gewissheit darüber zu erlangen.

»Doch bis dahin müssen wir die anderen finden!«, sagte Khaos mit Bestimmtheit und ich sah ihn irritiert an.

»Welche anderen?«, erkundigte ich mich vorsichtig und blinzelte ein paarmal. Meine Augen wurden trocken, ein sicheres Zeichen, dass meine Medikamente angefangen hatten zu wirken. Bald würde es mir besser gehen.

Die Muskeln in meinen Beinen schmerzten immer noch und ich zog mich mühsam auf den Tisch, um mich zu setzen. Jetzt war es mir auch egal, was Khaos in diesem Moment darüber dachte, denn seine Seele war mit ganz anderen Sachen beschäftigt als mit mir.

»Dreiundzwanzig, sagtest du«, wiederholte er meine Worte und ich drehte mich halb zu ihm, um ihm nicht nur meinen Rücken zu zeigen. »Wir waren aber zweiundvierzig!«

Zweiundvierzig. Ich rieb mir die Augen und verbarg so die Bestürzung, die mich befiel, als ich die Zahl hörte. Neunzehn gefrorene Personen, die er vermisste.

Doch ich war mir sicher, dass ich dort unten nicht noch mehr gesehen hatte. Ich hatte dreiundzwanzig gezählt, Boz hatte dreiundzwanzig gebracht.

»Es waren nicht mehr da«, versuchte ich ihm beizubringen und prallte sogleich gegen eine Flutwelle aus Hass und Verzweiflung, die aus Khaos’ Innerem hochkochte, als würde sie dort schon lange brodeln. Ich schrak davor zurück, sodass ich beinahe von der Tischkante gefallen wäre.

Sein Gesicht hatte sich keinen Millimeter geregt, keine Emotion drang nach außen. Es wäre wohl untertrieben zu sagen, dass ich davon fasziniert war, denn einen so krassen Unterschied zwischen einem inneren und einem äußeren Menschen hatte ich noch nicht zu Gesicht bekommen. Seine Beherrschung war meisterhaft und dagegen kam ich mir wie eine schlechte Amateurin vor. Kein Wunder, dass er mich gleich durchschaut hatte. Sein Blick war schärfer als der der Männer, die hier lebten, und seine eigenen Fähigkeiten um ein Vielfaches besser als meine.

»Es müssen mehr da sein«, sagte er unglaublich ruhig und seine Stimme sank noch ein paar Töne hinab, sodass ich mich mit den Fingern an die harte Kante des Tisches klammerte, um nicht schon wieder zu erschaudern.

Ich hatte beinahe Angst, ihm zu widersprechen, weil ich nicht wusste, wie weit ich gehen konnte, bevor er explodierte und die wilde Flut an Gefühlen aus ihm herausbrach.

Doch ich musste. »Sie sind nicht hier«, wiederholte ich und nun zogen sich seine Augen doch zu gefährlichen Schlitzen zusammen.

»Wie, nicht hier?«, blaffte er mich an. »Nicht in diesem Raum? Nicht auf dieser Station? Nicht auf diesem Planeten?«

»Ich …«, begann ich und brach ab. Ich hatte nur den unteren Teil der Station gemeint. Mein Wissensstand reichte nicht aus, um zu garantieren, dass sie nicht auf einem anderen Teil des Planeten waren, auch wenn ich es für unwahrscheinlich hielt.

»Ich weiß es nicht«, gab ich also kleinlaut zu und schob mir verlegen eine Locke aus den Augen. »Dafür müsste ich …« Ich stockte. Beinahe hätte ich nachsehen gesagt.

»Müsstest du was?«, hakte Khaos natürlich sofort nach und plötzlich war seine ganze Aufmerksamkeit wieder auf mich gerichtet. In meinem Bauch begann es zu flattern, auch wenn die Situation alles andere als geeignet war, um von völlig irrationalen Gefühlen überfallen zu werden.

»Müsste ich mich erkundigen.« Ich sah ihn nicht an, doch ich wusste schon jetzt, dass er mir nicht glaubte. Vielleicht gerade weil ich ihn nicht angesehen hatte.

»Du verheimlichst mir schon wieder etwas!«, stellte er hart fest und ich stöhnte auf. Jetzt wusste ich, wie es war, ständig durchschaut zu werden. Schließlich war sonst ich diejenige, die andere durchschaute.

»Ich darf so viel verheimlichen wie ich will. Manche Gedanken sind schließlich meine Sache«, sagte ich patziger, als ich gewollt hatte, und obwohl ich erwartete, dass es ihn wütend machte, konnte ich nichts von dieser Wut spüren.

Im Gegenteil, der Sturm in seinem Inneren legte sich ein wenig bei meinen Worten und sein Mund verzog sich zu der Andeutung eines Grinsens.

»Kein Respekt vor dem Alter«, schnaubte er fast schon belustigt und ich fühlte mich unwohl, weil ich nicht wusste, was er an mir plötzlich so witzig fand.

»Gut«, meinte er dann und rollte mit den Schultern. »Wie lange muss ich noch an diesem Schlauch hängen, bevor ich mich hier umsehen kann, um mir mein eigenes Bild zu machen?«

»Wie bitte?«, fragte ich wenig schlau, weil ich nicht fassen konnte, dass er das alles hier auf die leichte Schulter nahm. Es schien, als sehe er Boz und seine Männer überhaupt nicht als reale Bedrohung. Als wären sie nur ein bisschen Ungeziefer, das er verscheuchen musste, um zu bekommen, was er wollte.

Doch ich würde ihn nicht umstimmen können. Schließlich hatte ich auch nicht die geringste Ahnung, wie stark dieser Mann wirklich war.

Boz hatte von einem Übermenschen geredet, von einer Kampfmaschine. Doch auch er war davon überzeugt gewesen, diese kontrollieren zu können.

Das hieß im Klartext, ich hatte hier einen Haufen Kerle, die sich selbst alle für die Besten hielten, und erst am Ende würde sich rausstellen, welcher von ihnen recht behielt.

»Sosehr ich deine Bereitwilligkeit, mir Informationen zukommen zu lassen, auch schätze, muss ich mir erst einmal selbst alles ansehen, bevor ich einen Plan machen kann, meine Crew und mich von diesem Planeten zu befördern«, teilte er mir mit und ich ließ die Schultern sinken.

Es war mir nicht möglich, daran zu glauben, dass es überhaupt einen Weg gab, diesen Planeten zu verlassen, aber meine Meinung zählte wahrscheinlich nicht.

»Noch ein paar Stunden, dann nehme ich die Infusion ab«, gab ich also zurück und fügte mich seinem Willen. Ich würde ihn nicht aufhalten können. Es sei denn, ich hatte eine bessere Idee.

9


Täuschungen

Es war schon wieder das schlürfende Geräusch eines sich leerenden Infusionsbeutels, das mich aus dem Schlaf riss. Der Schreck ließ mich hochfahren und alles drehte sich vor meinen Augen. Ich war wie in Trance, meine Sinne waren nicht synchron und doch schoss mir Adrenalin durch die Adern.

»Ach scheiße«, murmelte ich und griff mir an den Kopf. Meine Haare waren auf einer Seite platt gedrückt, meine Augen ein wenig geschwollen und ich hatte einen nassen Fleck auf meinem Ärmel, der zum Glück in der Farbe des grau melierten Stricks unterging.

»Tut mir leid. Ich … Oh Mann, wie lang habe ich geschlafen?«, stammelte ich verlegen und sah über meinen Tisch zu dem Mann mit den dunklen Haaren, der auf meiner Krankenliege saß und mir einen amüsierten Blick zuwarf.

Ihn zu sehen, ließ in mir das Gefühl aufsteigen, alles hier sei nur ein Traum, und die Verwirrung in meinem Kopf entfremdete mich von der Realität. Ich war einfach noch nicht richtig wach. Eindrücke stürzten auf mich ein und ich musste die meisten davon ignorieren, da mein Gehirn noch nicht fähig war, sie alle gleichzeitig zu verarbeiten.

»Ein paar Stunden«, antwortete mir der tiefe Bass seiner Stimme und schon wieder bekam ich diese schreckliche Gänsehaut am ganzen Körper, gegen die ich mich einfach nicht wehren konnte und die ein Kribbeln in mir zurückließ.

»Ich … ich hab letzte Nacht nicht … ähm, geschlafen«, brachte ich stockend hervor, schüttelte meinen Kopf, klatschte mir schließlich selbst mit den Händen gegen die Wangen, um endlich wieder zu vollem Bewusstsein zu kommen. Als ich mich von meinem Eimer erhob, fühlte sich mein Rücken ungewohnt leicht und meine Knie beinahe schmerzfrei an. Die Tabletten taten ihren Dienst.

Doch ich durfte mich nicht davon täuschen lassen. In Wirklichkeit war ich genauso angeschlagen wie noch vor ein paar Stunden.

»Dieser Boz. Was ist er?«, kam es plötzlich von Khaos und ich runzelte die Stirn. Der Beutel an Ares’ Liege begann zu fiepen.

»Welche Spezies er ist?«, erkundigte ich mich, damit ich ihn auch richtig verstand. Ich lief langsam um den Tisch herum und nahm dabei den Beutel mit der Kochsalzlösung von der Tischkante, den ich dort schon vorbereitet hatte.

Khaos sagte nichts, doch als ich zu ihm aufsah, zog sich eine steile Falte über seine erhabene Stirn und sein Blick, der auf mir lag, verlangte eine Antwort.

Ich räusperte mich nervös. »Er ist ein Mensch.«

»Ein gewöhnlicher Erdenmensch?«, wurde ich von der anderen Seite gefragt und ich zuckte instinktiv zusammen. Ares hatte die Augen geöffnet und sah mich prüfend an.

Ich musste zugeben, ich hatte nicht mehr auf ihn geachtet, seit ich bemerkt hatte, dass er schlief. Genau genommen hatte ich sogar vergessen, dass er noch hier im Raum war, so sehr hatte mich Khaos’ Gegenwart vereinnahmt.

»Nein, einer aus dem Asteroidengürtel von Kr’wçze.«

Ich fand es seltsam, dass Ares den Begriff Erdenmensch benutzte. Ein antiquarischer Begriff. Man sagte dazu eigentlich ZentralMensch.

»Mensch ist Mensch«, brummte Ares und zuckte wenig beeindruckt mit den Schultern.

 

»Na ja, er ist schon ein bisschen stärker«, fühlte ich mich gezwungen zu erwähnen, weil ich nicht wollte, dass er Boz zu sehr unterschätzte. Unter einem gewöhnlichen Menschen stellte ich mir etwas anderes vor als einen brutalen, blutrünstigen Schlächter, der anderen wehtat, nur um sich selbst zu beweisen, wie überlegen er doch war.

Ares schnaubte und grinste dabei sogar selbstsicher, während ich den Schlauch schloss, den Beutel wechselte und mir dann seinen Arm zeigen ließ. Der Einstich in seiner Haut war leicht gerötet, aber sonst schien alles im normalen Bereich zu sein.

»Gut, dann machen wir es so«, verkündete Khaos und nickte Ares zu, dessen Grinsen sich verbreiterte.

Moment, waren da gerade Pläne geschmiedet worden, von denen ich nichts wusste? Mein Blick schoss zu Khaos, der sich wieder auf der Liege aufgerichtet hatte und zu allem entschlossen wirkte. Seine Seele zeigte Aufbruchsstimmung, Ungeduld, endlich zur Tat zu schreiten.

Ich konnte nichts tun, als weiter meiner Arbeit nachzugehen. Um nachzufragen, war ich einfach zu feige. Schon allein, weil ich mich wie ein Nichts fühlte, im großen Schatten eines Mannes mit perfekt geformten Wangenknochen und Augen, die Autorität und Erhabenheit ausstrahlten.

Oder vielleicht war mein Blick auf ihn auch einfach nur getrübt und die Gefühle, die nicht mehr von mir ablassen wollten, begannen ihn zu idealisieren. Ich wusste selbst nicht mehr, was ich glauben konnte. Nur eines war sicher: Irgendetwas stimmte nicht mit mir!

Ich öffnete gerade den Schlauch an Khaos’ Infusion, da hielt er mir auch schon seinen Arm hin. Ich unterdrückte ein wohliges Seufzten, als meine Finger nach seiner glatten Haut griffen, und schämte mich für meine eigenen Reaktionen, die so irrational waren, dass ich sie am liebsten einem Trauma zugeschrieben hätte.

Vielleicht war es passiert, als ich beinahe gestorben war und Cobal mir die Spritze verpasst hatte? Oder eben auch nicht und es lag einzig und allein an diesem Mann, der mir den Kopf völlig verdrehte, umso länger ich in seiner Gegenwart verbrachte und je mehr Facetten seiner Seele sich mir öffneten.

Sowohl der Hass als auch die Liebe faszinierten mich ungemein, und die krassen Gegensätze seines Inneren zogen mich immer wieder in ihren Bann. Schon allein dadurch, dass nicht viel davon nach außen drang, es sei denn, er wollte es so. Leidenschaftlich, impulsiv und doch wie eine kontrollierte Explosion. Ich hätte ihn einfach stundenlang nur ansehen können.

»Wie verhalten sich Menschen, die mit einem Sumpfsauger infiziert sind?«, fragte er mich und ich zog ruckartig meine Hände von seinem Arm, die dort schon viel zu lange verweilt hatten. Jetzt starrte ich ihn erschrocken an und konnte mir nicht vorstellen, was er mit dieser Frage bezweckte. Er wollte doch wohl kaum, dass ihm einer seine widerlichen Stacheln in den Nacken rammte!

Khaos’ Mund verzog sich zu einem angedeuteten Lächeln, als er meinen verschreckten Gesichtsausdruck sah, und er schüttelte den Kopf im Angesicht meiner Leichtgläubigkeit. »Ich will vorgeben, dass so ein Tier mich kontrolliert, damit Boz uns raus in die Wüste schickt und wir uns seine Unterstützung zunutze machen können«, erklärte er und sein Lächeln entblößte eine Reihe weißer Zähne, die gefährlich auf mich wirkten. Als würde er mich gleich fressen. Sein Lächeln war mir nicht geheuer, auch wenn seine Seele sich köstlich über mein verschrecktes Verhalten amüsierte.

Und ich konnte nur den Kopf über mich selbst schütteln. Natürlich war es nur eine Finte. Warum war ich auch eine so dumme Nuss, die sich vor allem fürchtete?

»Man wird apathisch, spricht kaum und folgt willenlos Befehlen. Meistens zumindest«, flüsterte ich. Der Schrecken einer Erinnerung überzog meinen Körper mit einem unangenehmen Schauer. Ich dachte nicht gerne daran zurück, fühlte mich immer beklemmt und die Schreie der Seelen klangen in mir nach, so wie damals, als ich mit ansehen musste, wie sie litten. »Es ist ein ständiger Kampf um seinen Willen, den man nicht gewinnen kann, und doch sieht man die Menschen innerlich kämpfen. Vor allem, wenn sie Dinge tun müssen, die sie nicht tun wollen.« Am liebsten hätte ich die Augen geschlossen, die schrecklichen Bilder aus meinem Kopf ausgesperrt, aber ich wusste, dass die Dunkelheit hinter meinen Lidern es nur noch schlimmer machen würde.

Da waren Männer, die einander totschlugen, Frauen, die sich unter Qualen und doch scheinbar willig hingaben, Leute, die ihre Freunde und Liebsten verrieten, sie somit in den Tod schickten und noch schlimmere Grausamkeiten.

Doch von allen die Schlimmste war das furchtbare Gefühl, wenn die Kopfschmerzen schlimmer wurden, der Kampf einen in den Wahnsinn trieb und die Seele in mehrere Teile zerriss.

Mein Herz raste, mein Kopf begann zu dröhnen und mir wurde speiübel. Taumelnd hielt ich das Gestell der Liege umklammert und versuchte, die Gedanken aus meinem Kopf zu verscheuchen.

»Hey«, sagte eine tiefe Stimme leise und eine Hand hob mein Kinn an. Türkisfarbene Augen nahmen mich gefangen und gaben mir den nötigen Halt, um mich von meinen Erinnerungen zu lösen.

»Alles klar?«

Ich trat einen hastigen Schritt zurück, um außer Reichweite seiner Hand zu kommen, die mich so unerwartet berührt hatte und ein seltsames Gefühl auf meiner Haut hinterließ.

»Nur … kein schöner Anblick«, versuchte ich es abzutun und wandte mich ab. »Wann wollt ihr beginnen?«, fragte ich, um von dem eigenartigen Moment abzulenken. »Wann soll ich Boz Bescheid geben, dass ihr aufgewacht seid? Oder wollt ihr die zwei Tage warten?«

»Nein. Sag es ihm so bald wie möglich«, wies Khaos mich an und ich nickte ergeben.

Also gab es nur noch wenige Vorbereitungen zu treffen.

Cobal kam mit einem Glas herein, das er so weit wie möglich von seinem Körper weghielt, auch wenn die schmierigen Egel es wohl kaum sprengen konnten. Zusätzlich war Cobal als Echsoide nicht humanoid und zusätzlich noch durch einen Schuppenpanzer geschützt. Das Risiko einer Infizierung war gleich null.

Als er mir das Glas reichte, bedankte ich mich bei ihm und konnte dabei zusehen, wie die beiden daumengroßen Kriechtiere vor meinen Fingern auf die andere Seite des Einmachglases flüchteten. Tiere hatten schon immer einen gewissen Abstand zu mir gehalten und hier war es nicht anders.

Ich betrachtete sie kurz und verzog angeekelt das Gesicht. Sie sahen widerwärtig aus. Fleischige, matschig-graue Körper mit langen, wurm­artigen Fortsätzen am Kopf, die sie in die Haut anderer rammten, um sie langsam auszusaugen.

Cobal begutachtete die beiden Männer, die scheinbar leblos auf ihren Liegen schliefen und dabei trotzdem eine gewisse Kraft ausstrahlten, die man kaum übersehen konnte.

»Das war eine verdammt miese Idee von Boz, die Kerle aufzuwecken«, behauptete er hart und ohne zu blinzeln. »Sie werden uns Ärger machen, ich weiß es. Und du weißt das auch!«, wandte er sich plötzlich an mich. Sein schuppiges Gesicht verzog sich zu einer Grimasse, während seine Seele ernsthafte Dringlichkeit und sogar so etwas wie Sorge um mich zeigte, was mich rührte. »Du hältst dich von denen fern, wenn die hier rumlaufen, klar? Sumpf-Viech hin oder her, Boz macht einen Fehler und ich will nicht, dass du dafür büßen musst!«, setzte er noch nach.

Ein ehrliches Lächeln schlich sich auf meine Lippen. Es fühlte sich ungewohnt an, aber zu wissen, dass man einer anderen Person nicht egal war, tat unglaublich gut. Selbst wenn derjenige eine Eidechse war und seine Art zu fühlen der meinen nicht im Geringsten nahe kam.

»Ich werde das Richtige tun, Cobal. Das weißt du doch«, gab ich zurück, weil ich ihm nicht direkt ins Gesicht lügen wollte, da ich nicht vorhatte, auf Abstand zu gehen, sondern ihnen sogar half.

Und auch Cobal schien aufgefallen zu sein, dass meine Aussage nicht so lupenrein war, wie sie im ersten Moment geklungen hatte.

»Ja, das befürchte ich«, grummelte er nur und blinzelte endlich. »Soll ich Boz sagen, dass sie bald aufwachen?« Sein Blick war erdolchend, auch wenn das vermutlich nicht seine Absicht war.