KHAOS

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Ich stieß mich von der Kapsel ab, ohne noch einmal einen Blick darauf zu werfen, aber ich hatte das Gefühl, dass sich dreiundzwanzig Funken in meinen Hinterkopf bohrten.

An der gegenüberliegenden Wand beginnend, ging ich all meine Geräte durch, die Hitze erzeugen konnten. Ich besaß ein Wundschweißgerät, für Spezies mit dicker Haut oder Panzerplatten. Eine Rotlichtkammer, zum langsamen Aufheizen von Kaltblütern oder sonstigen Unterkühlten. Und einen Sterilisator, der mit Mikrowellen funktionierte.

Das Wundschweißgerät schloss ich sofort aus. Zu starke, punktuelle Hitze. Allerdings war die Rotlichtkammer auch nicht das Richtige, selbst wenn sie auf den ersten Blick recht nützlich wirkte. Sie erzeugte zu sanfte Wärme, die die Körpertemperatur um nur wenige Grad pro Minute hob.

Wenn ich es nicht schaffte, die Körper innerhalb von dreißig Sekunden von unter null auf etwa fünfunddreißig Grad Celsius zu erhitzen, dann würde ich das Herz nicht zum Schlagen bewegen und das Blut würde anfangen zu gerinnen.

Es war zum Haareraufen. Ich konnte ihnen ja schlecht mit Mikrowellen das Gehirn braten.

Obwohl …

Ich blinzelte und ließ mir den Gedanken noch mal durch den Kopf gehen. Ich taxierte den Sterilisator. Groß genug wäre er, um einem Menschen darin Platz zu bieten.

Es war mir ein Rätsel, was das Gefängnis vorgehabt hatte, darin keimfrei zu strahlen. Es gab nur eine Handvoll OP-Besteck und die Verbände. Dafür brauchte ich nur etwa ein Zehntel des Platzes und auch nur, wenn ich alles gleichzeitig hineinlegte.

Aber das kam mir gerade nur zugute. Wenn ich das Gerät richtig einstellte, dann konnte ich durch die Bewegung der Partikel jede Stelle gleichmäßig erhitzen und so gewährleisten, dass ein Körper innen nicht noch halb gefroren war.

Nur leider könnte es sein, dass ich das Gehirn dabei wie ein Bula-Ei brutzelte und schließlich zum Platzen brachte.

Ich presste die Lippen aufeinander und setzte mich langsam auf meine Behandlungsliege.

Zusätzlich würde das schnelle Erhitzen im Sterilisator eine Menge Wasser verdampfen. Selbst wenn ich es schaffte, sie nicht zu grillen, wusste ich nicht, ob sie die Dehydrierung überleben würden.

Meine Gedanken wogten noch ein wenig hin und her, während ich mich auf den Rücken legte.

Es waren keine Geräte vorhanden, um die Leute zu überwachen, solange sie sich im Sterilisator befanden. Doch ich hätte meine Gabe. Vielleicht würde das reichen, um zu sehen, wann die Seele begann, Schaden zu nehmen.

Aber wenn nicht? Konnte ich damit leben, einem anderen den Schädel zum Explodieren gebracht zu haben? Wahrscheinlich nicht.

Da drehten sich meine Gedanken im Kreis. Denn wenn ich es nicht wenigstens versuchte, würde man mir den Garaus machen. Wenn ich es versuchte, bestand wenigstens die Möglichkeit, dass alles gut ging.

Und wenn ich es tun wollte, bevor Boz merkte, dass ich ihm nicht Bescheid gegeben hatte, dann musste ich sehr bald damit anfangen.

6


Gefühle

Ich wartete auf die Nacht, dann schlich ich mich raus und holte mir einen Krebstrolley. Es war ein einfaches Gestell auf Rädern, mit großen Zangen vorne, das es mir ermöglichen würde, die Kapseln allein zu transportieren.

Zuerst nahm ich mir den Mann vor, um den Boz explizit gebeten hatte. Ein Soldat mit starkem Kinn und grimmigen Zügen. Er war so gut wie jede andere Testperson und ich konnte nur hoffen, dass es funktionierte.

Natürlich musste ich mir eingestehen, dass meine Wahl anders ausgefallen wäre, hätte ich eine Hitzedruckkammer gehabt. Sicher hätte ich erst Ihn zurückgeholt. Schon allein um zu sehen, was seine Seele noch alles versteckt hielt.

Doch wenn die Möglichkeit bestand, dass ich hier jemandem das Gehirn briet, dann sicher nicht Ihm.

In meinem Bauch bildete sich trotzdem ein fieser, Übelkeit erregender Knoten, wenn ich daran dachte, was ich hier vorhatte.

Ich rollte die Kapsel mithilfe des Krebstrolleys zum Sterilisator, legte sie auf die große Ablage davor und brauchte eine Weile, den Sicherheitsverschluss zu knacken. Es zischte, als ich das Schloss zum Splittern brachte und der Deckel sich hob. Kalte Luft quoll sichtbar in den Raum und verschaffte mir eine Gänsehaut.

Vor mir lag ein Mann, bekleidet in einem hautengen schwarzen Anzug, der am Halsansatz begann und nur die Hände frei ließ. Seine Füße steckten in schweren Stiefeln.

Doch ich hatte keine Zeit zu starren. Eilig wendete ich den Krebs­trolley, nahm den Mann vorsichtig auf und legte ihn in den Sterilisator. Die Luke schloss sich und meine Hände zitterten, als ich sie seitlich an das Bedienelement legte.

Ich konnte nur flehen, dass ich es schaffte und dass die Zeit reichen würde, die Körpertemperatur genug zu erhöhen, bevor das Gehirn Schaden nahm.

Mein Magen rumorte noch heftiger und mir wurde ganz elend.

Zu lange konnte ich nicht tatenlos hier stehen. »Tu es!«, sagte ich mir selbst und verharrte noch einen Moment über dem Startknopf.

Wie oft hatte ich ihn schon so achtlos gedrückt, um alles Mögliche keimfrei zu blitzen. Ich wusste, wie er sich anfühlte, wie schwer er zu drücken war und wie sich das Gerät anhörte, wenn es lief.

Warum war ich also jetzt so feige, wo ich wusste, dass ich es ja doch tun müsste? Der Mann war aus der Kapsel heraus. Hinein würde ich ihn nicht wieder legen können, da ich den Verschluss beschädigt hatte. Also musste ich es tun oder er starb so oder so.

Ich schloss die Augen, konzentrierte mich auf die eine Seele vor mir und drückte den Knopf. Ein Summen ertönte, Licht zuckte rot hinter meinen geschlossenen Augenlidern und die Seele kam in Bewegung, genauso wie alle Partikel, die von der Mikrowellenstrahlung erfasst wurden. Sie tanzte erst langsam wie ein Sternenschauer, dann schneller und plötzlich wurde sie an einer Stelle bedenklich dünn.

Sofort drückte ich den Abbruchknopf, das Licht erstarb und die Schutzklappe hob sich. Ich blinzelte, griff nach dem Thermometer neben mir und drückte es dem Mann an die Stirn.

34,6°C standen dort die ersehnten Ziffern und ein Lächeln stahl sich auf meine Lippen. Meine Güte, ich hatte es geschafft!

Ich schwang den Defibrillator-Gurt über die Brust des blonden Hünen und startete den Automatikmodus für einen menschlichen Sinusrhythmus. Ungeduldig wartete ich, bis das Herz wieder schlug, und sah dabei zu, wie der Mann vor mir seinen ersten Atemzug tat. Sein Brustkorb hob und senkte sich auf beruhigende Weise, es kam mir wie ein Wunder vor.

Eilig nahm ich meine weiteren Utensilien zur Hand und legte einen Zugang in den linken Unterarm. Ein Beutel mit Kochsalzlösung baumelte bereits an seinem Gestell und ich öffnete den Hahn, nachdem ich den Schlauch am Zugang befestigt hatte.

Erleichtert atmete ich auf. Ich hatte es tatsächlich geschafft und das auch noch viel leichter, als ich für möglich gehalten hatte.

Seine Seele bewegte sich, wie es jede tat, wenn sie im Schlaf dahintrieb. Jetzt musste ich nur noch abwarten, bis er erwachte. Was meinen Berechnungen nach eine ganze Weile dauern könnte. Ich erwartete es in frühestens zwölf Stunden.

Mein Herz schlug bedenklich schnell und trotzdem konnte ich nicht anders, als mich über meinen Erfolg zu freuen. Eine große Last fiel von meinen Schultern, machte mich übermütig und weckte in mir den Wunsch, es gleich noch einmal zu versuchen.

Der Krebstrolley half mir dabei, den Soldaten mit dem weißblonden Haar von der Fläche des Sterilisators auf eine meiner Liegen zu hieven. Ich schob die Liege neben meinen Tisch mit der bösen Delle und drückte die Bremsen der Rollen mit der Ferse runter.

Dann lief ich zu den anderen eisigen Kisten. Zielstrebig hielt ich auf die eine zu. Die einzige Kryokapsel, die für mich wirklich von Belang war. Fast bedächtig strich ich mit den Fingern über das Glas und betrachtete noch einmal den schlafenden Mann darin.

Gleich würde ich ihn zurückholen und spürte neben der Nervosität auch eine Spur von Angst in mir. Was war er wohl für ein Mann? Und war ich wirklich mutig genug, das herausfinden zu wollen?

Doch mein Hochgefühl trieb mich weiter an, ließ sogar das Ziehen in meinen Schultern unwichtig erscheinen, das ich jedes Mal spürte, wenn ich an den unhandlichen Griffen des Trolleys zog.

Ich war bereit, mich einem weiteren Risiko zu stellen, und atmete tief durch, ehe ich mich an dem Sicherheitsverschluss zu schaffen machte. Diesmal überwand ich ihn schneller als beim ersten Mal und das Zischen des Deckels ließ mich die Luft anhalten.

Denn nun lag er vor mir. Tiefgefroren und doch unglaublich erhaben. Die Muskeln an seinen Armen zeichneten sich perfekt durch das hautenge schwarze Oberteil ab und auch der Rest schien gut definiert zu sein. Obwohl seine Gestalt, im Gegensatz zu dem blonden Hünen auf meiner Liege, eher schmal war, wirkte er nicht schwach, sondern gefährlich wie ein Raubtier. Er hatte auch nichts von der Grobschlächtigkeit der Männer, die hier mit mir ihr Leben fristeten. Seine Beine steckten in einer einfachen schwarzen Hose. Seine Füße ebenfalls in schweren Kampfstiefeln.

Und dann sein Gesicht; kalkweiß wie das Eis selbst und so nah, dass ich es hätte berühren können. Die Versuchung war groß, die Finger nach ihm auszustrecken, so frech zu sein, ihn anzufassen.

Doch ich erinnerte mich selbst daran, dass ich nicht alle Zeit der Welt hatte. Schnell nahm ich den Trolley und bugsierte den gefrorenen Körper in das Gerät. Diesmal fiel es mir schon sehr viel leichter, den Knopf zu drücken, und ich richtete meine Aufmerksamkeit auf die Seele vor mir.

 

Mit Mühe musste ich mich regelrecht zurückhalten, nicht sofort tiefer in die schimmernden Funken einzudringen, deren leichte Bewegungen auf mich so anziehend wirkten. Doch ich durfte auf keinen Fall den Zeitpunkt verpassen, an dem es kritisch wurde.

Fast ein wenig zu früh drückte ich den Knopf erneut und die Klappe hob sich.

Wieder schnappte ich mir zuerst das Thermometer, ließ mir selbst keine Zeit, um wieder mit meinen Gedanken abzuschweifen.

33,2° C stand auf der Anzeige und ich fluchte innerlich. Das war fast noch zu kalt. Doch das Herz würde ich auch so in Gang bekommen. Der Gurt war schnell über die Brust gelegt und tat seine Arbeit, während ich auf die andere Seite des Raumes lief und die Rotlichtkammer einschaltete.

Ich musste mich ranhalten, die Aufregung machte mich ganz kribbelig. Eigentlich zu kribbelig für meinen Körper. Aber ich würde mich erst um mich selbst kümmern, wenn ich hier alles unter Kontrolle gebracht hatte.

Als der Gurt ein Signal gab, kam ich zurück und sah, wie der erste Atemzug seinen Brustkorb hob. Er lebte. Mein Herz schlug so schnell, dass es mir einen gefährlichen Stich versetzte.

Andächtig berührte ich seinen Arm, die Haut, die sich zwar kühl, aber lebendig anfühlte, und stach viel vorsichtiger als bei dem anderen Mann die Nadel in die Haut. Der Schlauch wurde angesteckt und ich fixierte den Zugang mit einem Pflaster, dessen Ränder ich gründlicher feststrich, als nötig gewesen wäre.

Ich konnte es kaum erklären, aber ich verspürte in mir den Drang, diesen Mann zu berühren. Auch wenn es nur sein Arm war, begann mein Bauch zu kribbeln und ich bekam schwitzige Hände.

Behände hob ich ihn mit dem Trolley aus dem Sterilisator und schob ihn rüber in die Rotlichtkammer, um die fehlende Temperatur auszugleichen.

Seine Seele war aus der Reglosigkeit in einen tiefen Traum aufgestiegen und ich beobachtete eine Weile die wellenförmigen Bewegungen, die typisch für die Tiefschlafphase und andere komatöse Zustände waren.

Doch seine Seele war stark und pulsierte im Schlag seines Herzens. Ich sah sie mir gerne an und das konnte ich von nicht vielen Seelen behaupten. Liebe und Hass tanzten in jeder einzelnen Faser umeinander und füllten seine Seele mit Leben und wundersamen Gefühlsmustern.

Auch wenn er schlief, konnte ich diese beiden Gefühle schon besser einschätzen als noch vor ein paar Minuten. Die Liebe war eine feste, beständige Liebe, die ich gut einordnen konnte. Ich hatte sie bei meiner Mutter gesehen und sie bedeutete eine starke familiäre Bindung.

Der Hass wiederum war ein wenig schwieriger. Hass konnte so vieles sein. Doch es war weder ein Hass aus Unzufriedenheit heraus noch einer, der aus Liebe entstanden war.

Die Anzeige piepste und ich schreckte aus meinen Gedanken hoch. Das Gerät hatte den Körper auf 37°C erhitzt und ich schaltete es ab.

Mühsam beförderte ich den Mann auf meine zweite Behandlungsliege und setzte mich erst einmal erschöpft hin.

Es war unvorstellbar, dass ich wirklich zwei Personen aus dem Kryoschlaf geholt hatte, obwohl es mir vor ein paar Stunden noch völlig unmöglich erschienen war. Die Seelen der beiden Männer zeigten mir, dass ich alles richtig gemacht hatte und keiner zu Schaden gekommen war. Jetzt blieb mir nur noch das Warten.

Ächzend erhob ich mich wieder und zog meinen Eimer näher zu dem Mann, der mich schon von Anfang an fasziniert hatte. Ich ließ mich nieder, stützte meine Unterarme an der Seite der Liege ab und betrachtete ihn zum wiederholten Male.

Mein Puls ging immer noch viel zu schnell und ich hob schüchtern die Hand, um ihm eine dunkle Haarsträhne aus der Stirn zu schieben. Meine Finger strichen leicht über seine Haut, zeichneten vorsichtig seine Nase nach, doch als ich seine Lippen berühren wollte, verließ mich schlussendlich der Mut. Mein Magen flirrte, meine Hände zitterten und meine seltsamen Gedanken waren mir selbst fremd. Noch nie hatte ich dergleichen empfunden und ich konnte mich auch nicht sonderlich gut mit dem Gedanken anfreunden, dass ein schlafender Mann solche Empfindungen in mir hervorrufen konnte.

Es war einfach kindisch. Ich kannte ihn doch gar nicht. Weder wusste ich seinen Namen noch wie seine Stimme klang oder womit sich seine Gedanken beschäftigten. Sein Charakter war mir weitestgehend unbekannt, wie auch seine moralischen Standpunkte. Und doch schlug mir das Herz bis zum Hals.

Ich hatte den ganzen Tag nichts gegessen, trotzdem fehlte mir der Appetit. Meine Gedanken kehrten immer wieder zu ihm zurück, mein zusätzlicher Sinn richtete sich ständig auf seine Seele und ich wurde nicht müde, sein Gesicht anzusehen.

Mein Leben lang hatte ich Männer gefürchtet, mich vor ihnen versteckt und so viel Abstand wie möglich zu ihnen gehalten.

Was war nur mit mir geschehen, dass ich anfangen musste, an meinem Verstand zu zweifeln?

7


Erwachen

Ich erwachte von dem leisen Fiepen, das der Beutel mit der Kochsalzlösung von sich gab, als er beinahe geleert war. Schwer hob ich den Kopf und blinzelte ins weiße Licht der Deckenbeleuchtung. Mein Nacken knackte und ich wischte mir eine Sabberspur von der Wange. Stöhnend richtete ich meinen Rücken auf und schnappte nach Luft, als ein scharfer Schmerz in meine Brustwirbel fuhr.

Ich war doch tatsächlich mit dem Kopf auf der Liege eingeschlafen. Mein Mund war wie ausgedörrt und mein Hals schmerzte. Langsam erhob ich mich, ging mit kleinen Schritten zum Waschbecken und spritzte mir erst einmal lauwarmes Wasser ins Gesicht.

Kaltes gab es hier kaum. Die Hitze der Wüste hielt die Rohre warm verpackt und leitete die Wärme ins Wasser.

Ich trank ein paar Schluck direkt aus der Leitung und ging dann zu meinem Loch, um mich abzutrocknen und mir meine tägliche Tablettendosis einzuverleiben. Ein Blick in die Spiegelscherbe, die an meiner Wand hing, zeigte mir ein ziemlich zerzaustes Mädchen mit schlimmen Augenringen und einem harten Zug um den Mund, der wohl von meinen Schmerzen herrührte. Mit den Fingern fuhr ich mir durch die Locken, löste ein paar Knoten und versuchte es nicht noch schlimmer zu machen.

Das wiederholte Fiepen erinnerte mich daran, dass ich zu tun hatte. Ein Blick auf die Anzeige über der Tür verriet mir, dass ich lediglich drei Stunden geschlafen hatte. Ich fühlte mich noch immer zerschlagen, aber die Nacht neigte sich bereits dem Ende zu.

Ich ging zurück zu den beiden Pritschen. Meine Knie taten bei jedem Schritt weh und die Muskulatur in meinem Hintern war ziemlich in Mitleidenschaft gezogen worden. Warum hatte ich auch im Sitzen geschlafen? Gähnend rieb ich mir den Nacken und knete den Übergang von Hals zu Schulter zwischen zwei Fingern.

Am besten wechselte ich die Beutel und zog mich noch mal eine Weile in mein Loch zurück. Vielleicht würden dann auch die Kopfschmerzen besser werden, die ich schon seit zwei Tagen hatte.

Ich schloss die Zufuhr am Schlauch, wechselte den Beutel am Bett des blonden Hünen und griff nach seinem Arm, um zu kontrollieren, ob die Haut um die Einstichstelle herum auch nicht zu sehr gerötet war.

Meine Finger legten sich auf die Haut des Mannes und ein Ruck ging durch ihn hindurch. Was folgte, dauerte nur einen Wimpernschlag. Der Arm wurde mir entrissen, eine riesige Pranke schloss sich um meinen Hals und drückte mir die Luft ab.

Es war viel zu schnell gegangen, als dass ich in irgendeiner Art hätte reagieren können. Kein Ton kam über meine Lippen und meine Lunge krampfte sich sofort zusammen.

»Was tust du da, du Schlange!«, grollte der Blonde und durchbohrte mich mit seinem scharfen Blick. Ich konnte ihn nur mit großen Augen anstarren und sein Handgelenk mit meinen kleinen Fingern umschließen, während meine Lunge nach Sauerstoff schrie. Auch mein Herz krampfte sich durch den Schreck zusammen, während ich zu verstehen versuchte, was gerade geschah.

Dieser Mann hätte frühestens in acht bis zehn Stunden aufwachen dürfen. Es fehlte ihm noch eine Menge Flüssigkeit und sein Kreislauf konnte unmöglich stabil genug sein, um sich plötzlich aufzurichten und mich zu erwürgen.

Mir dagegen wurde bereits schwindelig, schwarze Punkte tanzten vor meinen Augen und ich zog mit so wenig verbliebender Kraft an seiner Hand, dass ich fürchtete, er würde es nicht mal spüren.

»Lass sie los!«, sagte eine tiefe Stimme und die grau verwaschenen Augen richteten sich auf jemanden hinter mir. Sofort öffnete der blonde Riese die Hand und ich fiel wie ein Sack voll Sand zu Boden.

Japsend holte ich Luft, hustete, rollte mich auf dem Boden zusammen und wartete darauf, dass mein Brustkorb aufhörte zu brennen.

»Wer ist sie?«, hörte ich den Blonden fragen und drückte mir die Fäuste gegen das stechende Herz.

»Ich weiß es nicht. Aber es ist möglich, dass sie diejenige ist, die uns aufgeweckt hat. Also wäre es vielleicht ratsam, sie nicht gleich umzubringen!«, antwortete ihm die andere Stimme scharf und dann quietsche das Untergestell der Krankenliege hinter mir. Er war es.

Ich wusste es, noch bevor er in mein Blickfeld trat, über mir aufragte wie ein Krieger, gefährlich und doch der Traum meiner schlaflosen Nächte. Er reichte mir die Hand zum Aufstehen. Mir war immer noch schwindelig und der Blick in seine türkisgrünen Augen machte es nicht besser.

Dennoch ergriff ich zögerlich seine Finger, die sich fest um meinen Handrücken schlossen. Warm und voller Kraft. Schwankend kam ich auf die Füße und er legte mir die Hand an die Seite, damit ich nicht wieder umfiel.

Ich zuckte vor der Berührung zurück und entzog ihm meine Finger. Mein Herz schaffte es nicht, den Schreck zu überwinden und langsamer zu werden. Es stürzte sich einfach in die nächste Aufregung und das war mit dem kürzlichen Sauerstoffmangel keine gute Kombination.

»Alles in Ordnung?«, erkundigte sich der Mann vor mir ruhig und hob eine Augenbraue.

Ich blinzelte verwirrt. »Ich muss mich kurz setzen«, flüsterte ich und machte die wenigen Schritte zu meinem Eimer, auf dem ich mich vorsichtig niederließ und mich mit dem Rücken gegen die Liege lehnte.

Die zwei Männer sahen mir dabei zu und ich schloss die Augen, um einen schnellen Blick in ihre Seelen zu werfen. Hätte ich das mal vorher schon gemacht, wäre mir der Überraschungsangriff vielleicht erspart geblieben.

Der Blonde hatte eine gelassene innere Haltung, die sich auf die Anwesenheit des zweiten Mannes stützte. Es war Vertrauen, Anerkennung und sogar Zuneigung auf familiärer Basis. Wie bei Brüdern. Nur dass sie sich nicht im Geringsten ähnlich sahen.

Er, der Mann, der mein Herz bewegte, hielt seinen Arm ausgestreckt, damit der Schlauch darin nicht den Beutel mit der Kochsalzlösung vom Haken holte. Seine Seele war unruhig, stürmisch, seine Gefühle angehaucht von Misstrauen und sein Geist voller ungefasster Meinungen. Er traute mir nicht, weil er mich nicht kannte, und doch hatte er mich davor bewahrt, von seinem Bruder erwürgt zu werden.

Vielleicht sah er in mir ja eine Art von Nutzen. Vielleicht war ich es aber auch einfach nicht wert, von einem wie ihm nicht wie eine Küchenschabe angesehen zu werden.

»Welches Jahr haben wir?«, wollte er von mir wissen und ich öffnete die Augen.

Ich dachte kurz nach. Wusste ich das überhaupt?

»Ich hab keine Ahnung«, gab ich also zurück. »In welcher Zeitrechnung denn?«

Das war etwas, um das ich mich nie gekümmert hatte. Die Zeit war hier relativ bedeutungslos. Selbst ZentralStunden waren nur eine Maßeinheit, die niemandem half. Schließlich würde ich sowieso nie von diesem trostlosen Wüstenplaneten wegkommen.

Also noch etwas, bei dem ich ihm nicht nützlich war. Doch ich konnte wenigstens das machen, wofür ich da war. »Könntest du dich wieder auf die Liege legen?«, fragte ich vorsichtig und erhob mich von meinem Eimer. Meinem Kreislauf ging es wieder besser. Meine Tabletten würden hoffentlich auch gleich anfangen zu wirken und mir den stechenden Schmerz in den Beinen und im Rücken nehmen.

 

Der Mann kniff die Augen zu schmalen Schlitzen zusammen, was sie noch katzenhafter wirken ließ als ohnehin schon. Sein Blick war intensiv, was durch die Farbe seiner Iris nur verstärkt wurde.

Mir lief ein Schauer den Rücken hinunter, der nicht so unangenehm war wie sonst, wenn ich die Gefahr vor mir spürte. Dieser Mann machte einfach alles anders in mir.

»Was ist in den Beuteln?«, stellte er mir eine Gegenfrage, ohne auf meine Aufforderung einzugehen.

Berechtigte Frage, dachte ich mir. Ich hatte keine Ahnung, wann und wo diese Menschen eingefroren worden waren, doch wenn ich irgendwo in einem fremden Raum mit einem Schlauch im Arm erwachen würde, wäre das wohl auch eine meiner Fragen.

»Kochsalzlösung«, gab ich also bereitwillig Auskunft. »Ihr habt beim Aufwachen viel Wasser verloren.« Ich wünschte, ich hätte eine stärkere Stimme, doch ich war einfach noch zu atemlos. Vorsichtig wagte ich es, einen Schritt nach vorne zu machen, um ihn dazu aufzufordern, sich ebenfalls in Bewegung zu setzen. Doch er stand starr wie ein Felsen.

»Hast du uns aufgeweckt?« Er sah auf mich herunter und ich fühlte mich unangenehm berührt, weil ich plötzlich so dicht vor ihm stand. Zumindest näher, als ich einem Mann sonst kam.

Verhalten nickte ich und wies wieder auf die Liege. »Bitte. Ich muss den Beutel ersetzen«, gab ich ihm zu verstehen und endlich bewegte er sich.

Seine Augenbrauen hoben sich in einer Art Überraschung und er trat zurück an die Liege, auf die er sich setzte. Er war so groß, dass er sich einfach nur niederlassen musste. Sein Körper machte so geschmeidige Bewegungen, und das obwohl er gerade total dehydriert aus einem Kryokoma erwacht war.

Ich versuchte die Blicke zu ignorieren, die jeden meiner Handgriffe verfolgten, als ich den Schlauch schloss und den Wasserbeutel erneuerte.

»Darf ich?«, erkundigte ich mich schüchtern bei ihm und zeigte auf seinen Arm.

Er hielt ihn mir hin und ich griff zögerlich danach. Meine Finger berührten seine Haut und mir wurde ganz heiß im Bauch. Meine Hände zitterten, als ich die Rötung begutachten wollte, die nicht vorhanden war. Wie seltsam.

»Ich heiße Daya«, sagte ich ganz unvermittelt und wusste selbst nicht, warum ich so plötzlich den Drang verspürte, ihm meinen Namen mitzuteilen.

Ich hob den Blick und sah in die Augen, die mich die ganze Zeit über beobachteten.

Fragend hob ich eine Augenbraue und wartete, ob er mir seinen Namen ebenfalls verraten würde. Er sagte jedoch nichts und ich fühlte mich auf einmal dumm, ihn so bedrängt zu haben.

Schnell senkte ich den Blick wieder und fragte mich, was ich eigentlich hatte bezwecken wollen. Gerade hatte ich doch schon festgestellt, dass ich es nicht wert war, von ihm beachtet zu werden.

Ich sah nach, ob der Zugang des Schlauches frei war und musste mich dann regelrecht überwinden, seinen Arm wieder loszulassen. Seine Haut war warm und glatt, Muskeln und Sehnen traten deutlich hervor und verführten dazu, ihnen mit den Fingerspitzen zu folgen.

Ich blinzelte die völlig irrationalen Gedanken beiseite und öffnete den Schlauch wieder.

Möglichst routiniert wirkend, drehte ich mich zu dem Blonden um und kontrollierte seinen Zugang vorsichtshalber auch noch mal. Er sah mich ebenfalls dabei an, warf aber immer wieder seinem Gegenüber Blicke zu. Ihren Seelen konnte ich entnehmen, dass sie froh waren, einander wiederzusehen, so als wenn sie sich nicht sicher gewesen waren, dass dieser Tag jemals kommen würde. Es fühlte ich richtig familiär an, wie Brüder, die füreinander durchs Feuer gingen oder auch schon gegangen waren.

Eine Träne stahl sich aus meinem Auge und ich blinzelte sie schnell weg. Ich hatte solche Gefühle schon so lange nicht mehr gespürt. Jetzt fehlte mir meine Mutter mehr denn je und auch die Geborgenheit einer Familie. Doch ich würde auch in Zukunft wenig Aussicht darauf haben.

Es gab Situationen, da konnte ich das akzeptieren, damit abschließen, dass mein Leben bald und lieblos enden würde.

Aber Momente wie dieser brachten mich dazu, meinen so logisch gefassten Entschluss anzuzweifeln und die Sehnsucht in mir zum Vorschein zu bringen.

Ich war nicht gerne allein. Aber ich zog die Einsamkeit der Gesellschaft von solchen Männern vor, wie es sie hier auf diesem Planeten gab.

Apropos.

Ich spürte Seelen näher kommen und schreckte zusammen, als ich erkannte, dass es sich um Boz und Vento handelte.

»Oh scheiße!«, entfuhr es mir leise, während ich mich hektisch umsah. Wieso hatte ich nur damit gerechnet, dass er sich nach seiner Ankündigung auch erst in drei Tagen blicken lassen würde? Und was wollte er denn so früh am Morgen von mir?

Ich wandte mich an die beiden Soldaten. »Äm, okay. Legt euch hin, schließt die Augen und tut so, als wärt ihr nicht bei Bewusstsein«, wies ich sie an und sah noch einmal zur Tür, die sich in den nächsten paar Sekunden öffnen würde. Ich hatte nicht einmal mehr Zeit für Erklärungen, doch als ich mich zurückdrehte und zu den Männern sah, lagen sie entspannt auf ihren Liegen, die Augen geschlossen und sogar ihre Atmung war flach und gleichmäßig.

Einen Moment war ich sogar unsicher, ob sie wirklich bereits erwacht waren oder ich mir das nur eingebildet hatte.

Dann schob jemand mit Wucht die Tür auf und ich schreckte herum.

»Boz«, brachte ich kleinlaut zustande und senkte sofort den Blick. »Was machst du so früh …«

»Du hast es geschafft!«, unterbrach er mich mit einem triumphierenden Grinsen, als er die Männer auf den Liegen entdeckte, und trat zu ihnen heran, um sie zu betrachten. »Vento, hol ein paar Männer aus den Betten! Wir brauchen Freiwillige, die uns ein paar fette Sumpfsauger aus den Höhlen holen, um ihrer Brut ein neues Zuhause zu geben«, wandte er sich an den Mann in der Tür und dieser wollte schon loseilen, als ich dazwischenging.

»Nein!«, rief ich, lauter als ich es gewöhnlich tat, und zuckte vor der Kraft meiner eigenen Stimme zusammen.

Vento hielt inne und starrte mich an. Boz’ Blicke durchlöcherten mich mit Ärger und einer Spur zu viel Misstrauen.

In Ordnung, jetzt musste ich meine Ausrede nur gut rüberbringen. »Es ist noch zu früh«, versuchte ich es in einem beschwichtigenden Ton. »Die Männer sind noch nicht wiederhergestellt«, erklärte ich weiter und trat näher an die Liegen. Meine Finger griffen nach dem Schlauch, über den die Kochsalzlösung in die Adern des Mannes floss, dessen Erscheinung mich völlig aus dem Konzept brachte. Auch jetzt spürte ich seine Seele so präsent neben mir, als würde seine Aufmerksamkeit nur mir gelten.

»Wenn wir ihnen die Sauger jetzt schon ansetzen, wird das einen so großen Schaden anrichten, dass sie niemals aus dem Koma erwachen werden.« Ich hoffte inständig, dass ich glaubwürdig rüberkam. Meine Stimme hatte bei all den Lügen leicht gezittert. Aber ich hatte noch nie den robustesten Eindruck gemacht. Vielleicht würden sie es einfach als Schlafmangel, kindliche Schüchternheit oder großen Respekt abtun.

Boz war nicht zufrieden. Sein Grinsen hatte sich gänzlich aufgelöst, sein Inneres war verstimmt. »Und wann wäre es deiner Meinung nach so weit?«, wollte er wissen und Spott verzerrte seine Stimme, als wäre meine Sicht der Dinge nicht entscheidend für seine Handlungsfreiheit. Schließlich musste er vor seinen Männern zeigen, dass er hier die Befehle gab, und nicht ich.

»Zwei Tage«, behauptete ich dermaßen überzeugt, dass ich es beinahe selbst geglaubt hätte, und bereute dennoch sofort, nicht drei gesagt zu haben. Doch vielleicht wäre das dann doch zu lang gewesen für Boz’ dünnen Geduldsfaden. Und ich wollte auf keinen Fall, dass dieser riss.

Aber würde ich mir in so kurzer Zeit eine gute Strategie ausgedacht haben, um das Dilemma, in dem ich und die Menschen aus den Kryokapseln steckten, zu beseitigen? Ich musste wohl.

»Gut. Ich gebe dir die Zeit. Aber sei dir sicher, dass ich in zwei Tagen wieder hier stehen werde und wenn du dann nicht ein paar willenlose Soldaten für mich hast, dann werde ich deinem sinnlosen kurzen Leben ein Ende setzen!«, drohte er mir. Mit jedem Wort wurde seine Seele finsterer.